Wachgeküsst von dem feurigen Scheich
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„Ich würde lieber sterben, als noch eine Sekunde länger deine Frau zu sein.“
Khal öffnete die Augen, saubere kühle Luft strömte in seine Lungen. Es dauerte ein wenig, bis er wusste, wo er sich befand. In der schlanken eleganten Hauptkabine des königlichen Jets. Weiter hätte er von dem roten Sand und dem unergründlichen Wasser seines Traumes nicht entfernt sein können. Nur ein Traum. Er lehnte sich zurück und starrte an die Decke empor. Allmählich beruhigte sich sein Herzschlag wieder.
Er löste den Sicherheitsgurt, stand auf und streckte sich. Natürlich hätte er sich auch in einem der drei luxuriösen Schlafzimmer an Bord hinlegen können, aber in letzter Zeit fand er nur schwer in den Schlaf. Denn jede Nacht suchten ihn diese schrecklichen Träume heim. Es waren dieselben Träume, die ihn bereits ein ganzes Jahr nach dem Tod seiner Frau geplagt hatten. Stress schien sie auszulösen. Und die vergangenen Wochen waren bestimmt keine entspannte Zeit gewesen.
Khal drückte einen Knopf auf dem Panel seitlich von ihm, woraufhin zwei Stewardessen aus einer Kabine am anderen Ende des Flugzeugs traten. Ohne ein Wort zu sagen, stellten sie ein Tablett mit heißen Handtüchern und einer Schale Eiswasser auf einen Tisch in seiner Nähe. Dazu servierten sie eine Kanne Kaffee.
„Das ist alles, danke“, sagte er mit einer vom Schlaf noch rauen Stimme. Er schaute auf und sah eine der Frauen zusammenzucken. Wortlos huschten die beiden zurück in die Kabine. Khal war wieder allein. So hatte er es am liebsten.
Die meisten Angestellten kannten ihn gut genug, um die Gerüchte zu ignorieren, die sich um den frühen Tod seiner Frau rankten. Es waren ekelhafte und verleumderische Gerüchte. Schon in den ersten Tagen seiner Trauer hatte er alles darangesetzt, sie zu bekämpfen. Trotzdem verbreiteten sie sich im Stillen stetig weiter. In vielen Köpfen hatte sich der Gedanke festgesetzt, dass er ein Mann war, den man besser fürchten sollte.
Im Grunde behagte ihm diese Vorstellung sogar. Auf diese Weise war er nicht gezwungen, sinnlose Gespräche zu führen. Weder richtete er gesellschaftliche Feste aus, noch besuchte er viele.
Oder zumindest bis vor Kurzem nicht.
Khal klappte seinen Laptop auf und überflog die Auswahl internationaler Artikel, die sein Presseteam in der vergangenen Woche zusammengestellt hatte. Die königliche Märchenhochzeit des Jahrzehnts, verkündete eine Schlagzeile.
Es war der Traum eines jeden Reporters: Prinzessin Olivia aus dem kleinen europäischen Königreich Monteverre verzichtete auf Thron und Titel, um den Mann zu heiraten, den ihre Familie für unpassend hielt. Ein Bild zeigte Khals engen Freund Roman Lazarov, wie er Hand in Hand mit der wunderschönen rothaarigen Prinzessin spazieren ging.
Was für eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Frau, die Khal endlich auserwählt hatte, seine zweite Ehefrau zu werden, ihm in letzter Sekunde weggeschnappt wurde. Und das ausgerechnet von seinem besten Freund.
Eine zweite Ehe einzugehen, hatte nie zu seinen Plänen gehört. Bei seiner ersten Hochzeit war er ein junger Mann gewesen – voller naiver Hoffnungen für die Zukunft. Doch diese Version von ihm existierte schon lange nicht mehr. Er hegte nicht den Wunsch, eine neue Frau zu finden, um sein gebrochenes Herz zu heilen oder aus einem der anderen Gründe, die seine Schwester und seine Mutter einander zuflüsterten, wenn sie glaubten, er könne sie nicht hören. Dank seiner Schwester gab es schließlich bereits zwei Neffen, die die Blutlinie der Al Rhas’ fortführen würden.
Allerdings begannen die Gerüchte auch langsam, Zayyars internationales Ansehen zu beschädigen. Seit zwei Jahrzehnten herrschte Frieden in seinem Land – seinem Großvater und seinem Vater war es zu verdanken, das kleine Königreich im Mittleren Osten vor dem kompletten Ruin bewahrt zu haben. Khal sehnte sich nicht nach einem Platz in den Geschichtsbüchern, wollte aber auch nicht als der Scheich in Erinnerung bleiben, der die harte Arbeit seiner Vorfahren zerstörte.
Er war bekannt dafür, seine Pläne mit äußerster Sorgfalt umzusetzen. Deshalb hatte er Monate damit verbracht, mit Monteverre, einem der ältesten und finanziell angeschlagensten Königreiche in Europa, eine Vereinbarung zu treffen. Der Deal würde all seine Probleme auf einen Schlag lösen. Er würde der monteverrischen Wirtschaft mit einer großzügigen Finanzspritze auf die Füße helfen, wofür er im Gegenzug die perfekte Braut mit dem perfekten politischen Einfluss und der perfekten Öffentlichkeitswirkung erhielt.
Doch mittlerweile hatte die ganze Welt erfahren, dass die Prinzessin ihren Titel abgelegt hatte, um mit ihrem skandalumwitterten russischen Liebhaber zusammen sein zu können. In keiner Zeitung wurde die gescheiterte Verlobung mit dem Scheich von Zayyar erwähnt. Sein Team hatte erstklassige Arbeit geleistet. Nur selten war sein Name in der Presse zu lesen, Fotos von Paparazzi gab es fast keine. Er zahlte gut für die Wahrung seiner Privatsphäre. Eine Strategie, die sich gerade wieder auszahlte … schließlich war er im Begriff, unangekündigt in ein fremdes Land einzureisen, um die Braut abzuholen, die als Ersatz dienen sollte.
Über die jüngste Sandoval-Prinzessin wusste er so gut wie nichts – nur, dass sie seit vielen Jahren in England studierte und sein Angebot ohne Zögern angenommen hatte. Sogar den Vertrag, der die Verlobung regelte, hatte sie unterschrieben, ohne ihn persönlich getroffen zu haben.
Die ursprüngliche Vereinbarung hatte er abgeändert und die Dauer der Ehe auf fünf Jahre beschränkt. Danach würde es zu einer einfachen Scheidung kommen. Fünf Jahre bedeuteten mehr als genug Zeit, um seinen Ruf wiederherzustellen. Trotzdem würde er erst zur Ruhe kommen, wenn er persönlich mit seiner Verlobten gesprochen hatte.
Den Rest des Fluges verbrachte er mit Nachdenken. Erst als sein Pilot die niedrigen Temperaturen in London durchgab, merkte er, dass sie gelandet waren. Es war Mitte Mai und doch verspürte er das Bedürfnis, den Kragen seines maßgeschneiderten Mantels auf dem kurzen Stück zwischen Jet und Limousine hochzuklappen. Normalerweise reiste er in den traditionellen weißen Gewändern seines Landes, doch die waren für das Wetter in diesem Teil der Welt nicht geeignet.
Sein Sicherheitschef erwartete ihn mit angespannter Miene im Wagen. Sofort schrillten in Khals Kopf alle Alarmglocken.
„Es gibt ein kleines Problem“, erklärte Sayyid ernst.
Ohne das Gesicht zu verziehen, hörte Khal sich den Bericht über die Ereignisse der vergangenen vierundzwanzig Stunden an. Schließlich schloss er einen Moment die Augen. „Halten Sie sie für ein Sicherheitsrisiko?“
„Sie zeigt alle Anzeichen. Wenn Sie mir den Befehl erteilen, lasse ich die Prinzessin auf der Stelle hierherbringen.“
„Ihre Männer sind noch vor Ort?“
„Wir überwachen sie, aber sie weiß nichts von unserer Anwesenheit.“
Khal nickte und fuhr sich über die ersten Bartstoppeln an seinem Kinn. Schon einmal hatte er König Fabians Versprechen geglaubt und sich böse verbrannt. Aber diesmal lagen die Dinge anders. Er hatte seinen persönlichen Sekretär mit offiziellen Dokumenten nach London geschickt und darauf bestanden, dass die Prinzessin selbst sie unterschrieb. Wenn sie jetzt von der Verlobung zurücktrat, bedeutete das ernste Konsequenzen für Monteverre.
Das war ihr doch klar, oder?
Trotzdem musste er sich auf die Möglichkeit vorbereiten, dass es ihr einfach egal war. Allerdings war sie in diesem Moment bereits seine Verlobte. Und in Zayyar war das fast gleichbedeutend mit einer Ehefrau. Es war also seine Pflicht, für ihre Sicherheit zu sorgen.
„Ich kümmere mich selbst darum“, entgegnete er mit einer Ruhe, die er nicht empfand. „Fahren Sie mich zu ihr.“
Der exklusive Club, von dessen Existenz die meisten Menschen nichts ahnten, versteckte sich hinter einer unscheinbaren schwarzen Tür eines alten Stadthauses in Mayfair. Eine kühle Brise streifte ihre Haut, als Cressida Sandoval auf den Bürgersteig trat und zu der schwach beleuchteten Fassade des Gebäudes emporblickte. Der Drang, ihre Pläne aufzugeben und sich in das behagliche Innere ihrer Limousine zurückzuziehen, war groß. Frank, ihr treuer Chauffeur seit fünf Jahren, hielt überhaupt nichts davon, dass sie allein hineingehen wollte.
„Hoheit, sind Sie sicher, dass ich Sie nicht hineinbegleiten soll?“, fragte er leise und nestelte unruhig an seiner Krawatte.
Cressida versteifte sich bei der förmlichen Anrede. Denn es war genau dieser Titel, der sie von jeder anderen Vierundzwanzigjährigen unterschied. Langsam atmete sie aus und rief sich ins Gedächtnis, dass ihre Freiheit ganz und gar von der Diskretion ihres Fahrers abhing. „Ich habe Sie noch nie um einen Gefallen gebeten.“
Er schüttelte den Kopf. „Seit fünf Jahren fahre ich Sie nach Oxford und nach Hause zurück. Ausgerechnet an meinem letzten Tag haben Sie beschlossen, mir einen Herzinfarkt zu bescheren.“
„Zwei Stunden allein, Frank. Mehr will ich nicht.“ Sie verstand seine Besorgnis, aber Prinzessinnen stiegen normalerweise nicht einfach in Taxis oder gingen ohne Begleitung in einen geheimen Nachtclub. Nein, sie hatte ihre beiden Leibwächter austricksen und Frank anflehen müssen, sie zu fahren und draußen zu warten. Und sobald die Zeit um war, würde sie in die Wirklichkeit zurückkehren.
Noch immer konnte sie die Stimme ihres Vaters hören.
Politisch von Vorteil … königliche Pflicht … zum Wohle des Königreiches.
Morgen würde sie wieder Prinzessin Cressida Sandoval sein und nach fünf Jahren des selbst auferlegten Exils in ihr Heimatland zurückkehren. Ihr Vater, der König von Monteverre, hatte sich kaum dafür interessiert, dass sie sich zur Promotion in Europäischen Sprachen angemeldet hatte oder dafür, dass ihr eine Lehrtätigkeit angeboten worden war. „Prinzessinnen unterrichten nicht, Cressida“, hatte er sie zurechtgewiesen. „Ich bin sicher, der Scheich besitzt massenhaft staubige Bücher, in die du deine Nase stecken kannst.“
Der Scheich. Ihr zukünftiger Ehemann.
Sie sollte sich nicht so nervös fühlen. Diese Ehe war eigentlich eine Geschäftsbeziehung. Fünf Jahre Pflichterfüllung, hatte ihr Vater gesagt. Was konnte es Romantischeres geben? Nicht, dass Romantik in ihrem Leben bisher eine Rolle gespielt hatte, aber trotzdem … Sie hatte sich wohlgefühlt in London, weit weg von den Augen der Öffentlichkeit. War sie wirklich bereit, eine Königin zu werden?
Kurz stieg Angst in ihr auf, als sie den kräftigen Türsteher vor dem Club sah. Leise nannte sie das Codewort, das sie drei Nächte zuvor von einem ihrer Leibwächter gehört hatte. Kommentarlos wurde ihr die Tür geöffnet. Dahinter enthüllte sich eine mit rotem Plüsch ausgelegte Treppe, die nach unten führte. Einen Moment schnürte die Furcht vor dem Unbekannten ihr die Kehle zusammen. Von unten drangen leise Musik und Gesprächsfetzen zu ihr hinauf.
Dies ist meine letzte Nacht in London, erinnerte sie sich und setzte den Fuß auf die erste Stufe. Sie schuldete es sich selbst, zumindest noch einmal die Freiheit zu erleben, die sie dummerweise für selbstverständlich gehalten hatte. Ab morgen war es zu spät.
Mit jeder Vertragsseite, die sie unterschrieben hatte, war das Gefühl intensiver geworden, dass es kein Entkommen mehr gab. Jetzt besaß sie keine Kontrolle mehr über ihr eigenes Leben. Vielleicht folgte sie deshalb zum ersten Mal einer spontanen Eingebung. Wenigstens einmal wollte sie allein irgendwohin gehen und dort vollkommen anonym sein, bevor sie das Richtige tat.
Denn wenn es um die Erfüllung ihrer Pflichten ging, tat sie immer, was von ihr verlangt wurde – ob es ihr gefiel oder nicht.
Seit dem Telefonat mit ihrem Vater fühlte sie sich nervös. Sie würde tun, was er wollte. Er wusste, dass sie immer unter dem Druck stand, sich mit ihren älteren Schwestern messen zu müssen. Dahinter steckte viel mehr, als normale geschwisterliche Eifersucht. Mehr als deutlich hatte er zu verstehen gegeben, dass sie für ihn immer erst an dritter Stelle stand. Cressidas Gedanken verdüsterten sich, als sie an den schicksalhaften Tag zurückdachte, als sie mit zwölf Jahren den Grund herausgefunden hatte.
Am Fuß der Treppe blieb sie nun abrupt stehen und musterte die sexy Blondine in dem roten Kleid. Sie atmete tief durch, als sie erkannte, dass es ihr eigenes Spiegelbild war. Verschwunden war der übliche Pferdeschwanz und die schlichte schwarze Brille. Stattdessen umrahmten ihre aschblonden Haare ihr Gesicht in sanften Wellen. Die Brille hatte sie gegen Kontaktlinsen ausgetauscht. Statt Jeans und Sneaker trug die das tief ausgeschnittene Kleid und die Schuhe mit den eigentlich zu hohen Absätzen. Für dieses Outfit hatte sie mehr Zeit und Recherche investiert, als für manche wissenschaftliche Arbeit, die sie verfasst hatte.
Das Innere des Clubs war riesig, viel größer als die schmale Fassade vermuten ließ. Altmodische Kronleuchter bildeten einen reizvollen Kontrast zu der modernen, ganz in Schwarz und Weiß gehaltenen Einrichtung. In einer Ecke befand sich eine kleine Bühne, auf der eine Band Jazz spielte.
So selbstbewusst wie möglich schlenderte Cressida zu der Bar und ignorierte, dass ihr das Herz bis zum Hals klopfte.
Die Musik besaß einen schnellen Takt, wirkte durch die rauchige Stimme der Sängerin in einem skandalös kurzen Kleid aber auch sehr sinnlich. Cressida nahm auf einem der Barhocker Platz und spähte die Reihe Separees entlang, in denen gelangweilt wirkende Menschen saßen. Der namenlose Club war bekannt für seine prominenten Gäste, weil er ihnen ein gewisses Maß an Anonymität versprach. Paparazzi erhielten selbstverständlich keinen Zutritt.
Obwohl es ein Wochentag war, war der Club gut besucht. An einem der Tische entdeckte Cressida eine bekannte Sängerin, die gerade dabei war, eine teure Flasche Champagner über ihre Freunde zu verspritzen. Lachend begannen die Männer und Frauen sich unter der Gischt zu drehen und lautstark mitzusingen.
Insgeheim staunte sie über dieses lächerliche Verhalten. Aber wenn sie ihre Freiheit wirklich genießen wollte, musste sie aufstehen und ebenfalls tanzen gehen. Und niemand würde sie eines Blickes würdigen. Bald jedoch würde sie um Erlaubnis bitten müssen, bevor sie etwas so Mutiges wie Tanzen in der Öffentlichkeit tat.
Natürlich konnte sie die Hochzeit immer noch absagen. Schließlich lebte sie nicht mehr im Mittelalter. Niemand würde sie an den Haaren vor den Altar schleifen. Sie mochte das Leben, das sie sich in London aufgebaut hatte. Aber natürlich wusste sie auch, dass Mitglieder des Königshauses keinen bezahlten Job annehmen durften. Die wundervolle Normalität, einfach als Lehrerin zu arbeiten, würde ihr für immer verwehrt bleiben. Ihre Pflicht lautete, den Menschen von Monteverre zu dienen.
Cressida bestellte ein Glas Weißwein. Ein anderes Getränk traute sie sich nicht zu. Hin und wieder trank sie ein Glas zum Dinner, aber nie mehr. Die berauschende Wirkung von Alkohol passte nicht zu ihrer strukturierten Natur. Langsam nippte sie an dem Glas und fühlte sich inmitten der tanzenden und feiernden Menschen seltsam fremd. Sie war noch nie gut darin gewesen, sich unter Leute zu mischen. Schon als junges Mädchen hatte sie sich gewünscht, selbstbewusster zu sein. Den Unterschied zu ihren älteren Schwestern hatte sie immer gespürt. Sie war das graue Mäuschen, sie die flammenden Schönheiten. Doch eines Tags hatte sich alles verändert. Cressida hatte aufgehört, es überhaupt zu versuchen. Sie fand Trost darin, sich im Hintergrund zu halten. Dort war es sicherer, denn keiner schaute sie dort allzu genau an …
Du bist hergekommen, um dich frei zu fühlen! Und jetzt schau dich an: Du sitzt in der Ecke und ertrinkst in Selbstmitleid! Sie biss sich auf die Unterlippe und schwenkte ihr Weinglas in einer Hand. Plötzlich spiegelte sich etwas auf der Oberfläche, und sie atmete ein unverkennbar männliches Parfüm ein.
Cressida sah auf.
Du lieber Himmel …
Groß, dunkel und gut aussehend beschrieb nicht einmal annähernd den Mann, der kaum einen Meter von ihr entfernt stand. Er war muskulös, exotisch und atemberaubend. Sie schluckte, als sein Blick aus dunklen Augen sie traf. Doch er gab keine Regung von sich. Nach einem langen Moment fragte sie mit leicht zitternder Stimme: „Kann ich Ihnen helfen?“
Auf seiner Miene zeichnete sich kurz Überraschung ab. Vielleicht hatte er sie verwechselt? Sein Blick wanderte nach unten, ihre langen Beine entlang, dann zurück zu ihrem Gesicht. Halb hoffte sie, es handle sich wirklich um einen Irrtum. Dann würde er wieder gehen, und sie könne wieder normal atmen.
„Erwarten Sie jemanden?“ Er deutete auf den leeren Hocker neben sie.
„Nein, ich bin allein hier“, erwiderte sie rasch. Hoffentlich klang das nicht zu mitleiderregend. „Ich meine, Sie können sich setzen, wenn Sie möchten … Das wollte ich sagen.“ Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss und kam sich wie ein Idiot vor.
Angespanntes Schweigen senkte sich über sie. Die Augen des Fremden verengten sich leicht, als warte er darauf, dass sie weitersprach. Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er sich setzte. Den Hocker zwischen ihm und ihr ließ er frei.
Stirnrunzelnd musterte sie ihn verstohlen. Sie nippte an ihrem Wein, um ihre plötzlich trockene Kehle zu befeuchten. Er sah umwerfend aus, das würde niemand bestreiten: mahagonifarbene Haut und ein schwarzer Bartschatten auf dem Kinn.
Der Schatten zog sich über seinen Hals bis hinunter zu dem offenen Hemdkragen. Sein Hemd leuchtete blütenweiß und schmiegte sich an muskulöse Schultern.
Rasch hob sie den Blick wieder und schaut in zwei dunkle Augen. Vor lauter Schreck, weil er sie ertappt hatte, verschluckte sie sich an ihrem Wein. Ihre Kehle schnürte sich zu, und sie musste husten. Eine Serviette tauchte in ihrem Sichtfeld auf. Insgeheim betete sie, dass sie ihr Augen-Make-up nicht verschmiert hatte. Eine weitere Peinlichkeit würde sie nicht mehr ertragen.
Cressida erstarrte, als er ihr auch noch ein Glas Wasser reichte. Für einen Moment berührten seine Finger ihre Hand. Die Hitze, die von ihm ausging, schien ihre Haut zu verbrennen. Doch das Wasser beruhigte ihre Kehle und auch ihren überhitzten Kopf.
Nun blickte sie auf und musste feststellen, dass der Fremde jetzt unmittelbar neben ihr saß. Aus dieser Nähe konnte sie die winzigen goldenen Flecken in seinen tiefbraunen Augen sehen.
„Danke“, sagte sie schließlich schüchtern. „Für das Wasser.“
„Gern geschehen.“ Unverwandt schaute er sie an. „Ich glaube, es wäre unverantwortlich von mir, Sie Ihren Drink unbeaufsichtigt trinken zu lassen.“
„Ich muss reichlich lächerlich wirken“, erwiderte sie halb lachend, halb irritiert, weil er ihr so viel Aufmerksamkeit schenkte.
„Das ist das letzte Wort, das ich verwenden würde“, antwortete er seidenweich und neigte den Kopf zur Seite.
Ihr gelang ein kleines Lächeln. Noch einmal überlegte sie, weshalb er sich ausgerechnet neben sie gesetzt hatte. Männer wie er interessierten sich nicht für Frauen wie sie. Wie sollte sie da nicht misstrauisch werden? Sie war nicht hier, um männliche Aufmerksamkeit zu finden – ganz im Gegenteil. Heute ging es allein um sie und ihre Freiheit.
„Ich frage mich …“, fuhr er mit dieser unglaublich samtigen Stimme fort, „… was hat Sie heute Abend in diesen speziellen Club geführt?“
„Derselbe Grund, wie alle anderen auch, nehme ich an. Es ist eine Flucht.“
„Möchten Sie vor etwas Bestimmtem fliehen?“
„Wenn ich sage vor der Wirklichkeit, klingt das sehr nach einem Klischee, oder?“ Allmählich entspannte sie sich. „Natürlich muss ich früher oder später zurückkehren.“
Einen Moment wirkte er nachdenklich. „Und während Sie hier sind, was möchten Sie tun?“
„So weit habe ich gar nicht vorausgeplant.“ Sie lachte und erschrak darüber, wie weiblich sich das Geräusch anhörte. „Ich möchte einfach einmal spontan sein. Vielleicht tanze ich?“
„Allein?“
„Wenn mich niemand auffordert, werde ich das wohl müssen.“ Cressida wurde rot, weil sie sich auf einmal wünschte, dass er sie zum Tanz bat. Was, um alles in der Welt, war nur über sie gekommen?
Noch nie in ihrem Leben hatte sie mit einem Mann geflirtet … war das überhaupt ein Flirt? Zumindest fühlte es sich anders an als jedes Gespräch, das sie bisher mit Männern geführt hatte. Herrje, was tat sie denn da? Sie war doch einem anderen Mann versprochen! Auch wenn sie ihren Verlobten noch nicht kennengelernt hatte, wusste sie genau, wo die Grenze lag. Aber ein einfacher Tanz … war wohl kaum unangemessen. Vielleicht war der Wein schuld, obwohl sie nur wenige Schlucke getrunken hatte. Allein sich frei zu fühlen war berauschend. Das musste die Erklärung sein.
„Nun, dann sollten Sie tanzen gehen“, erklärte er.
„Ja, liebend gern.“ Sie lächelte und fühlte sich noch mutiger. Cressida ließ sich vom Barhocker gleiten und biss sich auf die Unterlippe, als er sich nicht rührte.
Sie sollten gehen, nicht wir. Wie dumm von ihr!
Sie lächelte ein bisschen zu strahlend, bevor sie sich zur Tanzfläche umwandte. Während sie ging, warf sie einen letzten Blick über die Schulter zurück. Er beobachtete sie aus dunklen Augen. Die Luft zwischen ihnen schien sich elektrisch aufzuladen.
Ihr schüchterner Charakter und ihr Hang zum Workaholic-Dasein hatten bislang verhindert, dass sie mit Männern ausgegangen war. Zwar konnte sie acht Sprachen lesen und schreiben, doch eine einfache Aufforderung zum Tanz wollte ihr nicht über die Lippen kommen. Die Situation war so absurd, dass sie lachen musste. Ihr Gelächter erregte die Aufmerksamkeit eines blonden Mannes, der sich tanzend neben sie bewegte.
Sie schenkte ihm ein knappes Lächeln und tanzte selbstversunken weiter – immer mit der Frage beschäftigt, ob der Fremde wohl noch an der Bar saß und sie beobachtete. Der Gedanke war einfach lächerlich. Warum sollte ein völlig Fremder nach einem kurzen Gespräch dieselbe Anziehungskraft empfinden wie sie?
Die Musik veränderte sich zu einer langsamen Ballade. Cressida ließ ihren Blick über die Tanzfläche wandern, als jemand ihr plötzlich seinen Arm um die Taille legte. Sie erstarrte und wich einen Schritt zurück. Wie sollte sie den Tanz ablehnen, ohne die Gefühle des blonden Mannes zu verletzen? Bislang schien ihm ihre Abneigung nämlich nicht aufgefallen zu sein. Also stemmte sie eine Hand gegen seine Brust und schüttelte den Kopf. Aus Angst, dass er auch diesen Hinweis nicht verstand, drehte sie sich um und schritt energisch von der Tanzfläche … nur um gegen eine Wand aus warmen harten Muskeln zu prallen.
„Wollten Sie zu mir?“
Die tiefe Stimme des Fremden legte sich wie Balsam auf ihre Nerven. Er streckte eine Hand aus. Zu ihrer eigenen Überraschung legte sie ihre sofort hinein und ließ sich in eine enge Umarmung ziehen. Nur vage war sie sich bewusst, dass der andere Mann in der Menge verschwand. Aber es fiel ihr auf einmal immer schwerer, zusammenhängend zu denken, weil der Fremde nun seinen Arm um ihre Taille schlang.
Dann zog er Cressida fest an sich. Sein offener Hemdkragen befand sich unmittelbar vor ihren Augen, und sie atmete tief seinen Duft ein. Einen Moment wusste sie nicht, was sie mit ihrer freien Hand machen sollte. Schließlich legte sie sie auf seinen Nacken. Mit den Fingerspitzen berührte sie seine warme Haut und die weichen Haare.
Natürlich hatte sie als Teenager Tanzstunden erhalten, um für die vielen Gelegenheiten zu üben, bei denen sie als Prinzessin einen einfachen Walzer oder Foxtrott tanzen musste. Damals war sie meist über ihre eigenen Füße gestolpert, aber sie kannte die Grundlagen. Doch kein Unterricht der Welt hätte sie auf diesen Tanz vorbereiten können. Sie bewegten sich in perfektem Einklang miteinander. Der Fremde führte ganz ausgezeichnet, selbstbewusst und stark. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich fast anmutig. Seine Hände ruhten auf ihrem Platz an ihrer Taille. Nicht einmal ansatzweise versuchte er, sie anderswo zu berühren. Wie seltsam, sich in den Armen eines Mannes sicher und geborgen zu fühlen, den sie kaum kannte.
Dann neigte der dunkle Fremde den Kopf. Einen Moment glaubte sie schon, er wolle sie küssen. Cressida hielt den Atem an, entspannte sich gleich darauf jedoch wieder.
„In meinem Land“, flüsterte er ihr ins Ohr, „wird Tanzen als etwas sehr Intimes angesehen.“
„Ist das so?“ Gehörte diese sinnliche Stimme wirklich ihr? „Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum.“
Ein schelmisches Lächeln umspielte seine Lippen. „Können Sie nicht?“
„Die Menschen tanzen ständig. Daran ist wohl kaum etwas Gefährliches.“
„Ich bin mir da nicht so sicher“, murmelte er. „Wenn wir uns so bewegen … so eng aneinander geschmiegt … ich verstehe, weshalb manche darin eine Versuchung sehen.“
„Eine Versuchung?“ Fieberhaft überlegte sie, wieso er dieses Wort gebraucht hatte. Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich geriet sie sofort ins Stolpern, was ihr Tanzpartner grandios auffing.
„Bei uns ist es lediglich verheirateten Paaren vorbehalten, so zu tanzen“, fuhr er fort, als habe er von ihrer Verlegenheit nichts mitbekommen. „Oder jenen, die demnächst heiraten.“
Seine Worte bekam sie kaum noch mit. Ihre gesamte Aufmerksamkeit galt seiner Hand, mit der er langsam ihren Rücken hinaufstreichelte. Es war, als würde er mit dieser Bewegung auch eine unsichtbare Barriere zwischen ihnen verschieben. Sie schaute auf und sah ein Feuer in seinen Augen glühen.
Plötzlich überkam sie das Bedürfnis, sich noch enger an ihn zu schmiegen. Ihr Verstand befahl ihr, auf der Stelle zu gehen, doch sie ignorierte die Warnung.
„Ich bezweifle, dass jemand Tanzen so wichtig nimmt.“ Irgendwie gelang es ihr, ihre Stimme ruhig zu halten und eine äußerliche Kontrolle vorzutäuschen, die sie im Inneren überhaupt nicht spürte.
„Und ich habe vergessen, dass wir hier nicht allein sind“, entgegnete er leise.
Wieder schaute Cressida ihm in die Augen. Es lag ein ernster Ausdruck darin, keine Spur von Sarkasmus. Jetzt, sagte sie sich, jetzt sollte ich mich für den Tanz bedanken und mich ruhig und würdevoll zurückziehen.
Ein perfekter Tanz – genau, was sie gebraucht hatte. In ihrer letzten Nacht in Freiheit hatte sie nach einem kleinen Abenteuer gesucht. Morgen würde sie London verlassen und glücklich ihre Pflichten erfüllen. Dann würde sie diese Nacht und diesen Fremden vergessen und sich niemals fragen …
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie bereits aufgehört hatten zu tanzen. Die Musik war schneller geworden, die anderen Tänzer bewegten sich um die Stelle herum, an der sie, noch immer eng umschlungen, standen. Unverwandt schaute er sie mit dieser Intensität an, die die Zeit zu verlangsamen schien. Eine kaum merkliche Berührung seiner Fingerspitzen, sandte einen Schauer ihre Wirbelsäule entlang.