Baccara Collection Band 459

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NUR EINE NACHT DER LUST von JESSICA LEMMON
Um ihr Gedächtnis wiederzuerlangen, will seine Ex eine Nacht mit ihm verbringen? Selbstverständlich hilft Vic Grandin der verzweifelten Aubrey gern und zieht sie leidenschaftlich in die Arme. Mit jedem Kuss hofft er nicht nur auf Aubreys Genesung – sondern auch auf eine zweite Chance bei ihr!

KARRIERE ODER HAPPY END? von A.C. ARTHUR
Eine Neuauflage der Serie über die Taylor-Sechslinge wäre für TV-Produzentin Ava der nächste Hit! Zum Glück ist einer der sechs ihr neuer Lover. Doch Gage und seine Familie wollen nicht zurück ins Rampenlicht. Eine Herausforderung für Ava! Und so heißt es für sie bald: Karriere oder Happy End?

ÖFFNE DEIN HERZ FÜR MICH vonMAISEY YATES
Mit der sexy Brautjungfer die Hochzeit seines Bruders planen? Kein Problem für Rancher Kit Carson. Ein großes Problem aber ist das erotische Knistern zwischen ihm und Shelby. Denn sie trauert noch um ihren verstorbenen Mann. Wie kann Kit sie bloß davon überzeugen, ihr Herz für ihn zu öffnen?


  • Erscheinungstag 13.06.2023
  • Bandnummer 459
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516358
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jessica Lemmon, A.C. Arthur, Maisey Yates

BACCARA COLLECTION BAND 459

1. KAPITEL

An der Bar des Silver Saddle hob Vic Grandin eine Flasche eiskaltes Bier an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck. Dann wischte er sich mit der Hand über den Mund und seufzte.

Er war an diesem Abend wieder einmal mit seiner vier Jahre älteren Schwester Chelsea aneinandergeraten. Und wie immer war es darum gegangen, dass er der Nachfolger ihres Vaters auf der Ranch werden würde.

Seit seiner Geburt waren Vic und sie wie Feuer und Wasser gewesen, und sie hasste es, dass er der „Auserwählte“ war, wie sie immer betonte.

Ja, sein Vater hatte ihn ausgewählt, sich um alles zu kümmern, so war es von Anfang an gewesen. Vic war der einzige Junge unter drei Mädchen, aber keine machte ihm das Leben so schwer wie Chelsea.

Müde fuhr Vic mit der Hand über die Augen. Heute Abend würde er mit Sicherheit keine Lösung mehr für seine Probleme finden. Eben so wenig, wie er morgen die Charity Party des Texas Cattleman’s Club, kurz TCC, verpassen würde, obwohl er überhaupt nicht in Feierlaune war. Aber diese Partys waren eine feste Tradition in Royal, Texas, und deshalb war es für alle Mitglieder ganz klar, dass sie daran teilnehmen würden.

Vielleicht konnte er sich zumindest eine sexy Frau für die Nacht an Land ziehen. In den letzten zehn Jahren war das für ihn ja schon zur Gewohnheit geworden. Warum sollte er daran irgendwann etwas ändern?

Eine innere Stimme warnte ihn zwar, dass danach doch bloß ein schales Gefühl bleiben würde, aber das war ihm egal. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, sich sogar in der Gesellschaft einer netten, interessanten Frau gelangweilt und leer zu fühlen.

Vic verzog das Gesicht. Was für ein Armutszeugnis.

Bevor er den nächsten Schluck aus der Flasche nehmen konnte, drang eine Stimme an sein Ohr, die er kannte. Eine sanfte, weiche Stimme, die wie Honig in seinen Kopf floss.

Aubrey Collins. Sie waren vor langer Zeit einmal ein Paar gewesen, und ihre Stimme hatte nur selten anders geklungen. Er war derjenige gewesen, der mehr als einmal gemein zu ihr gewesen war, eine Eigenschaft, die Audrey fremd war.

Vic wappnete sich für ihren Anblick, bevor er den Kopf drehte, aber dann durchzuckte es ihn doch wie ein Blitz.

Ihr Profil hatte sich nicht verändert. Eine kleine Nase, volle Lippen und das lange rote Haar, das sie lässig im Nacken zusammengebunden trug, erinnerten ihn schmerzhaft an das, was er verloren hatte.

An den Tag, als sie ihm seinen Verlobungsring entgegengeschleudert und Vic zur Hölle gewünscht hatte.

„Guten Abend, Miss Collins“, sagte er. Er würde sie nicht davonkommen lassen, ohne ihn zumindest zu begrüßen, auch wenn das Ganze womöglich keine gute Idee war. Wahrscheinlich würde er sich auf dem Heimweg wie ein Stück Scheiße fühlen, wenn ihm wieder einmal klar wurde, dass er die tollste Frau seines Lebens für immer enttäuscht hatte.

Auf jeden Fall würde er sie nicht einfach so gehen lassen. Die ganzen Jahre über hatte sie ihn gemieden und ignoriert, doch nun hatte er die Chance, wenigstens ein paar Worte mit ihr zu wechseln.

Wortlos sah sie ihn an. Das rote Haar fiel ihr locker über die Schulter. Sie trug ein geblümtes Kleid und Cowboystiefel. Eigentlich sah sie genauso aus wie das nette Mädchen von nebenan, aber Vic wusste, dass sich unter dieser Oberfläche eine perfekte Verführerin verbarg, die ihn mehr als einmal aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

Jetzt war sie ihm näher als jemals zuvor in den vergangenen Jahren, doch ihre grünen Augen sprühten wie die einer Klapperschlange kurz vor dem Angriff.

Vic hatte keine Angst. Nach so langer Zeit der Zurückweisung konnte ihn Aubrey Collins nicht mehr verletzen.

„Mr. Grandin.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie ihn an.

„Was bringt dich heute Abend hierher?“, erkundigte er sich.

„Ich will mir ein Dessert holen. Cannoli. Und niemand kann das besser als Bo.“

Sie hatte recht. Bo machte wundervolle Cannoli mit einer Füllung aus Ricotta und Zimt. Oben drauf kamen geschlagene Sahne, Schokoladensoße und eine Kirsche.

Deshalb war Audrey gekommen.

„Ich habe gehört, dass du morgen die Gewinner der besten Chilis küren wirst“, sagte er schnell. Es war das einzige Thema, das ihm einfiel, denn mehr hatten sie nicht gemeinsam.

Sie drehte sich zu ihm. Ihr Kleid betonte ihre Kurven auf eine Weise, die gleichzeitig zurückhaltend und sexy war. Die kurzen Cowboystiefel an ihren Füßen erinnerten ihn daran, wie sie beide zusammen auf seinem Pferd die Ranch abgeritten hatten, wenn sie zu Besuch gekommen war. Der Wind hatte in ihrem Haar gespielt und seine Sinne waren angefüllt von dem Geruch wilder Blumen und dem unverwechselbaren Duft von Aubrey.

Obwohl sie nicht direkt neben ihm stand, konnte er die Funken spüren, die zwischen ihnen sprühten. So war es seit dem ersten Tag gewesen, an dem er sie getroffen hatte.

„Ich freue mich darauf“, antwortete sie, während sie ihr Haar nach hinten warf. Es war das gleiche Haar, das über seine Wange gestrichen war, als er sie das erste Mal geküsst hatte, und das seinen Bauch gekitzelt hatte, als sie furchtloser geworden waren.

Verdammte Erinnerungen. Wenn er sie doch nur loswerden könnte!

„Ja. Herzlichen Glückwunsch.“

Wie dumm sich das alles anhörte. Doch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde Aubreys Bestellung gebracht.

„Danke.“

„Gerne. Sie haben außerdem eine kostenlose Mitgliedschaft für den Club erworben, also sehen wir uns vielleicht öfter.“

Vics Herzschlag setzte für einen Moment aus. Würde sie etwa bei künftigen Veranstaltungen des TCC mit einem Date aufkreuzen? Er konnte sich nicht vorstellen, den Anblick ertragen zu können.

Ihr Lächeln für die junge Frau hinter dem Tresen war umwerfend.

„Vielen Dank“, sagte sie, während sie die Papiertüte mit ihrer Bestellung entgegennahm. Und zu Vic gewandt fügte sie hinzu: „Es war nett, dich zu sehen.“

Doch damit würde er sie nicht davonkommen lassen.

„Kann ich dir vielleicht einen Drink spendieren?“, fragte er schnell. „Du könntest die Cannoli auch hier essen.“ Und schon hatte er den Barhocker neben sich zur Seite gezogen.

„Ich verspreche, dass ich mich benehme“, fügte er hinzu.

Sie lachte amüsiert. „Das kann ich mir kaum vorstellen.“

„Ach, komm schon. Nur ein Drink.“

Er konnte sehen, dass sie darüber nachdachte. Sie hatte den Kopf nach hinten geneigt und die Lippen geschürzt. Schöne, volle Lippen.

Plötzlich hatte er das dringende Bedürfnis, sie zu küssen. Wenn sie sich zu einem Drink entschloss, konnte er vielleicht auch mehr herausholen. Ein Kuss würde doch niemandem schaden.

Aubrey sah unentschlossen zum Ausgang, als müsste sie überlegen, wie schnell sie bei ihrem Auto sein könnte.

„Ok“, sagte sie kopfschüttelnd. „Ein Drink. Aber nur einer.“

Er grinste triumphierend, während er für Aubrey ein Glas Chardonnay bestellte.

„Nein, ich nehme einen trockenen Martini“, erklärte sie. „Mit Eis und zwei Oliven.“ Mit hochgezogenen Brauen zog sie den Plastikbehälter mit ihrem Nachtisch aus der Tüte. „Du kennst mich wohl doch nicht so gut, wie du dachtest.“

„Offensichtlich.“ Vic lachte und beobachtete, wie der Bartender Aubreys Martini mischte. Dann schnupperte er begeistert.

„Teilst du das mit mir?“, fragte er, als Aubrey den Deckel von dem Gefäß hob, in dem die Cannoli waren.

„Das hättest du wohl gern“, gab sie trocken zurück, während sie sich insgeheim wünschte, zu Hause zu sein. Was tat sie hier, mit einem Drink, den sie nicht mochte, und einem Ex, der auf ihren Nachtisch schielte?

Sie hatte eine harte Woche hinter sich und eigentlich wollte sie mit einer Flasche Wein, Cannoli und ihrem Lieblingsfilm auf der Couch sitzen. Stattdessen verbrachte sie ihre Zeit mit jemandem, den sie zwar einmal geliebt hatte, jetzt aber nicht gerade gut leiden konnte.

Innerlich schaudernd nippte sie an dem bitteren Getränk. Vic durfte ihr nicht anmerken, dass sie es nicht mochte, denn er sollte niemals mehr wissen, wie ihr Leben aussah und was ihr gefiel oder nicht.

Sie war nicht mehr die naive Sechzehnjährige, die rasend in ihn verliebt war, nicht die Achtzehnjährige, der er die Unschuld nahm, und auch nicht die Zwanzigjährige, die nach einem heftigen Streit ihren Verlobungsring nach ihm geworfen hatte.

Sie war eine erwachsene, dreißig Jahre alte Frau. Lehrerin des Jahres. Clubmitglied im TCC. Okay, sie war Single, aber erfahren und wusste, wie die Welt funktionierte. Männer wie Vic Grandin konnten sie nicht mehr beeindrucken. Unter dem Charme, den er zeigte, verbarg sich ein kontrollsüchtiger Macho, der glaubte, dass jede Frau verrückt nach ihm war.

Aber sie hatte sich klargemacht, dass es sie in ihrer Entwicklung nicht weiterbringen würde, ihm für den Rest ihres Lebens die kalte Schulter zu zeigen. Natürlich sah sie Vic ständig irgendwo in der Stadt, schließlich lebte seine Familie seit vier Generationen in Royal. Und morgen würde sie ihn bei der TCC Poolparty sehen, dann im folgenden Monat bei der Halloween Maskerade und natürlich bei den Weihnachtsfeierlichkeiten.

Aubrey seufzte unhörbar. Vielleicht hätte sie doch kein Clubmitglied werden sollen …

Ach was. Es war höchste Zeit, wieder richtig am Leben teilzunehmen, und Vic würde ihr das nicht verderben.

Energisch nahm sie einen weiteren Schluck von ihrem Martini.

„Seit wann trinkst du das?“, erkundigte er sich.

„Ach, schon eine ganze Weile“, gab sie gleichmütig zurück. „Aber du magst immer noch das gleiche Bier, das du schon als Teenager getrunken hast.“

Er nickte, bevor er die Flasche wieder ansetzte.

Aubrey musterte ihn. Er sah immer noch unverschämt gut aus, mit seinem dunklen Haar und den braunen Augen, in denen sie vor langer Zeit ihre Zukunft gesehen hatte. Zwar war er ein kleines bisschen voller geworden, aber Jeans, Flanellhemd und Cowboystiefel standen ihm immer noch so gut wie früher.

Wahnsinn. Vic sah einfach um Längen besser aus, als es erlaubt war.

Sie sprachen über ihre Familien und die Ranch, ihren Job als Lehrerin an der High School, und mit der Zeit entspannte sich Aubrey immer mehr.

Irgendwann schob sie Vic den Rest von ihrem Nachtisch zu. „Ich kann nicht mehr“, verkündete sie.

„Wirklich nicht?“

Sein Lächeln löste Gefühle in ihrem Körper aus, die sie gar nicht haben wollte. Vor allem an Stellen, die sie seit Langem kaum mehr wahrgenommen hatte. Kleine Stromstöße fuhren von ihrer Brust über den Bauch bis hinunter zwischen ihre Beine und ließen ihre Hände zittern.

In den letzten paar Jahren hatte sie sich wenig um Partys, aber intensiv um ihren Job gekümmert. Ihre Leidenschaft für das Unterrichten beschäftigte sie viele Stunden, wenn sie zu Hause war, denn Korrekturen und Vorbereitung hatten einen festen Platz in ihrem Alltag. Ihre Schüler und ihre Karriere wurden zu Aubreys wichtigstem Lebensinhalt.

Natürlich war sie einige Male ausgegangen, aber ihre Dates erschienen ihr nie besonders interessant. Vermutlich war das bei ihm anders gewesen.

„Nun mach schon, bevor ich es mir anders überlege.“ Sie bot ihm ihren Löffel an.

„Cannoli habe ich seit Ewigkeiten nicht gegessen“, sagte Vic begeistert und verputzte die letzten zwei Cremeröllchen mit zwei Bissen. Dann leckte er hingebungsvoll den Rest der Schlagsahne vom Löffel.

Aubrey schluckte. Diesen Mund hatte sie mehr als einmal auf ihrem Körper gespürt …

Andererseits konnte sie sich nur zu gut daran erinnern, wie er sie herumkommandiert hatte. Nein danke.

Vic nahm die Kirsche aus dem Plastikbecher, steckte sie in den Mund und zog den Stiel ab.

„Meinst du, ich kann es noch?“, fragte er lauernd, während er den Stiel zwischen den Fingern hielt.

„Vermutlich hast du in den letzten zehn Jahren so oft geübt, dass es dir mühelos gelingt“, erwiderte sie so sarkastisch wie möglich. Was ging es sie an, mit wie vielen Frauen er zusammen gewesen war und was er mit seiner Zunge getrieben hatte.

„Okay, lass mal sehen.“ Vic schloss die Augen und steckte sich den Stiel der Kirsche in den Mund. Aubrey nutzte die Gelegenheit, ihn in Ruhe zu mustern. Sein Gesicht war älter, aber noch attraktiver geworden. Das Grübchen in seinem Kinn hatte sie schon immer gemocht.

Als er plötzlich die Augen öffnete, fühlte sie sich ertappt. Und sofort breitete sich ein jungenhaftes Grinsen auf seinem Gesicht aus. Dann holte er den Stiel aus seinem Mund. Er war kunstvoll verknotet.

Aubreys Herzschlag verdoppelte sich, als sie sich daran erinnerte, was Vic mit seiner Zunge so alles anstellen konnte.

„Hast du Lust auf etwas Verrücktes, Aubrey?“, fragte er, während er den verknoteten Stiel vor ihrem Gesicht baumeln ließ.

„Was?“ Sie wusste schon jetzt, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Niemals hätte sie sich auf den Drink einlassen dürfen. Aber jetzt war es zu spät.

„Was?“, wiederholte sie die Frage.

„Wir sollten unsere guten Zeiten noch einmal hochleben lassen.“

Aubrey schüttelte den Kopf.

„Hör doch erst einmal zu“, fuhr er fort. „Bleib heute Nacht bei mir. Wir reden weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft. Stattdessen tun wir das, was wir zusammen richtig gut können. Im Grunde sehnen wir uns doch beide danach, Aubrey. Und am Morgen kannst du so tun, als wäre nichts gewesen. Was hältst du davon?“

„Du bist komplett verrückt“, stieß sie atemlos hervor, während ihre Fantasie Purzelbäume schlug. Vics Hand auf ihrer Brust, sein muskulöser Körper eng an sie gepresst …

„Bestimmt“, antwortete er gelassen. „Aber wen interessiert das?“

Aubrey hasste sich dafür, dass sie nicht auf der Stelle die Bar verließ. Wie konnte sie nur ernsthaft über sein Angebot nachdenken?

Vic wusste, dass er fast am Ziel war. Er lehnte sich nah an Aubrey und flüsterte in ihr Ohr.

„Weißt du noch, wie gut wir immer zusammen waren, Aub? Ich versichere dir, dass du nicht enttäuscht sein wirst. Ich werde alles tun, um dir die wunderbarste Nacht deines Lebens zu schenken.“

Wider Willen musste Aubrey lächeln. Es war lange her, seit jemand so etwas zu ihr gesagt hatte. Und Vic schwindelte nicht. Auch nach zehn Jahren hatte sie nicht vergessen, wie sie ihre Nächte verbracht hatten.

„Aha. Und dann tun wir einfach so, als sei nie etwas gewesen und machen mit dem Alltag weiter wie immer?“

Während sie mit ihrer Halskette spielte, traute sie ihren Ohren nicht. War sie es, die diese Worte aussprach?

Er hob die Hand wie zum Schwur. „Genau. Wir werden nie wieder ein Wort darüber verlieren.“

2. KAPITEL

Zwei Tage später

Aubrey blinzelte ins Helle und schloss die Augen dann schnell wieder. In ihrem Kopf hämmerte es. Aber es war kein normaler Kopfschmerz, der auftauchte, weil man zu lange am Computer gesessen oder auf der falschen Seite gelegen hatte. Nein, es fühlte sich an, als würden die Nerven in ihrem Kopf explodieren oder jemand würde mit einem Hammer auf ihre Stirn schlagen.

Vorsichtig befühlte sie ihre Schläfen. Ein Verband bedeckte offensichtlich irgendeine Art von Verletzung. Außerdem war sie nicht in ihrem eigenen Schlafzimmer, sondern in einem Krankenzimmer.

Ihre Mutter saß an ihrem Bettrand und beugte sich besorgt über sie. Zwischen ihren Augen hatte sich eine steile Falte gebildet.

„Aubrey, wie hast du geschlafen?“

„Hm.“ Aubrey versuchte sich so gut es ging umzusehen. „Was ist passiert?“ Sie sah ihre Mutter ratlos an.

Auf der anderen Seite des Betts stand ihr Vater, der sie zärtlich anlächelte. „Du bist gefallen, Schätzchen“, erklärte er. „Nichts Schlimmes, nur ein kleiner Schlag auf den Kopf. Aber wir konnten ja nicht vorsichtig genug sein.“

„Oh.“ Aubrey konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was er meinte. Wieso war sie gefallen? Sie versuchte sich aufzusetzen. Sofort schoss ein heftiger Schmerz durch ihren Schädel. Stöhnend umfasste sie ihren Kopf mit beiden Händen und atmete tief ein, während sie registrierte, dass sie ein Nachthemd in der gleichen grünen Farbe wie die Bettdecke trug.

„Ich kann mich an gar nichts erinnern“, klagte sie. „Wie schrecklich.“

„So schlimm ist das doch nicht“, sagte die Frau, die soeben den Raum betrat. Sie war groß, hatte ein freundliches Gesicht und lange schwarzglänzende Haare. In der Hand hielt sie ein iPad.

„Ich bin Dr. Mitchell. Wie geht es Ihnen?“, wandte sie sich an Aubrey.

„Mein Kopf tut weh und ich kann mich nicht erinnern, dass ich gestürzt bin. Ist etwas gebrochen?“

„Nein. Und die Verletzung an ihrem Kopf wird in ein paar Tagen kaum noch zu spüren sein. Der Verband kann auch bald ab.“ Dr. Mitchell summte leise vor sich hin, während sie auf ihr iPad sah. „Es war wohl ein Unfall bei der Poolparty im TCC. Sie haben den Kochwettbewerb moderiert?“

„Ja, ich war bei der Charity Party“, murmelte Aubrey. Noch immer wollte die Erinnerung nicht zu ihr durchdringen. „Ich glaube, ich sollte die Gewinner ansagen.“

Dr. Mitchell nickte. „Die Bühne ist zusammengebrochen, als Sie gerade oben waren. Sie sind ohnmächtig geworden, aber alle unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass nichts Ernsthaftes passiert ist. Es ist normal, dass Sie noch Erinnerungslücken haben. Das geht wahrscheinlich bald vorbei.“

„Ich bin zur Lehrerin des Jahres gewählt worden“, sagte Aubrey, ohne nachzudenken.

Dr. Mitchell lächelte breit. „Das ist toll. Herzlichen Glückwunsch. Aber jetzt müssen Sie sich ausruhen.“

„Ich kann nicht“, protestierte Aubrey. „Das Schuljahr hat gerade erst begonnen. Alle verlassen sich auf mich.“

„Du hast doch gehört, was Dr. Mitchell gesagt hat“, griff Aubreys Mutter ein. „Zeit, sich auszuruhen.“

Dr. Mitchell nickte. „Bevor Sie nicht wirklich gesund sind, kann ich Sie nicht in die Schule lassen. Warum bleiben Sie nicht einfach in der nächsten Zeit bei Ihren Eltern? Sie haben mir versichert, dass dort jede Menge Platz ist.“

„Ich habe erst vor kurzem das Gästezimmer renoviert“, zwitscherte Mary Collins.

„Danke, Mom, aber ich bleibe lieber in meinem Appartement.“

Die Ärztin sah Aubrey entschuldigend an. „Tut mir leid, aber Sie dürfen nicht alleine bleiben.“

„Dann bleibe ich eben bei Vic“, erklärte Aubrey entschlossen. Auf keinen Fall würde sie wie ein Teenager bei ihren Eltern wohnen. „Wo ist er überhaupt?“

Ihre Eltern sahen sie entgeistert an.

„Vic hat keinen Platz in unserer Familie“, sagte ihr Vater drohend.

Natürlich wusste Aubrey, dass Ihr Vater kein Fan von Vic war, aber immerhin waren sie seit fast 15 Jahren zusammen, da sollte er sich doch allmählich an ihn gewöhnt haben.

„Ihr habt kein Recht, ihn von mir fernzuhalten“, widersprach Aubrey empört. „Er ist mein Freund und ich liebe ihn. Gerade jetzt brauche ihn am meisten.“ Dann, plötzlich, fiel ihr etwas ein. „Wir haben am Abend vor der Poolparty zusammen Cannoli gegessen“, sagte sie. „Genau.“

„Du und Vic?“ Mary Collins traute ihren Ohren nicht.

„Ja.“ Aubrey lachte erleichtert. „Und dann …“ Sie verstummte. Vielleicht sollte sie nicht allen erzählen, was dann gewesen war.

Vic hatte sie zu ihrem Wagen gebracht und war mit seinem Auto hinter ihr her zu ihrem Appartement gefahren. Kaum hatte sie ihn eingelassen, begann er sie zu küssen. Der Rest der Nacht stand ihr noch lebhaft vor Augen. Wie er sie ausgezogen und mit Händen und Lippen jeden Zentimeter ihres Körpers gestreichelt hatte. Wie er sie im Bett geliebt hatte, während er nicht aufhörte, ihr süße Worte ins Ohr zu flüstern.

„Wir haben es uns einfach ein bisschen gemütlich gemacht“, meinte sie unbestimmt. „Auf jeden Fall will ich ihn jetzt sehen.“

„Ich halte das für eine ganz ausgezeichnete Idee“, bemerkte Dr. Mitchell, bevor sie sich an die Eltern wandte. „Können Sie Vic anrufen? Sagen Sie ihm, dass Aubrey nach ihm gefragt hat und ihn bittet zu kommen.“

„Wahrscheinlich ist er schon halb verrückt vor Sorge“, murmelte Aubrey. Nach dieser Wahnsinnsnacht konnte sie sich tatsächlich nichts anderes vorstellen. „Ich verstehe gar nicht, wo er bleibt. Das passt überhaupt nicht zu ihm.“

Kopfschüttelnd blickte sie an sich herunter. Warum hatte sie eine so große Erinnerungslücke, wenn es um Vic ging? Sie konnte sich zwar an die Nacht mit ihm erinnern, aber dann nur an ihre gemeinsame Zeit in der High School. Und das war schließlich ewig her. Was war dazwischen gewesen? Ausflüge, Unternehmungen, Partys?

„Das macht mir Angst“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Ich kann mich nur an so wenig erinnern. Was, wenn es so bleibt? Ich kann doch nicht den Rest meines Lebens in einer Art Dunkelheit leben.“

Die Ärztin nahm ihre Hand. „Machen Sie sich keine Sorgen. Es bringt nichts, sich krampfhaft zu bemühen. Ruhen Sie sich aus. Dann kommt alles wie von selbst. Ich hatte schon viele Patienten mit zeitweiligem Gedächtnisverlust. Was Sie erleben, ist nicht unnormal.“

„Wirklich nicht?“

„Nein. Ihr Gehirn kriegt alles wieder hin. Und jetzt rufen wir Vic an.“

Aubrey nickte erleichtert. Es hatte keinen Sinn, panisch zu werden. Aber warum tauschten ihre Eltern ständig so komische Blicke aus? Aus irgendeinem Grund versuchten sie, Vic von ihr fernzuhalten.

„Bestimmt gab es auf der Ranch einen Notfall oder so“, sagte sie unbestimmt. „Er hat ja immer so viel zu tun.“

„Ich verschreibe Ihnen etwas gegen die Kopfschmerzen“, sagte Dr. Mitchell und nahm ihr iPad zur Hand. Dann sah sie Aubreys Eltern an. „Wenn Sie einen Moment Zeit haben, erkläre ich Ihnen kurz die Medikation und worauf Sie achten sollten.“

„Natürlich“, sagte Mary Collins, während ihr Mann eifrig nickte.

„Ist es okay, wenn ich Ihnen Ihre Eltern entführe und Ihnen eine Schwester schicke, die sich um Ihre Kopfschmerzen kümmert, Aubrey?“

„Klar. Aber bring mir dann Vic mit, ja, Daddy?“

„Mach ich, Schätzchen.“

Schon vor einer Stunde hatte Vic aufgehört, im Wartezimmer auf und ab zu gehen. Seitdem saß er auf einem unbequemen Stuhl und versuchte zu arbeiten. Völlig erfolglos. Solange er nicht wusste, wie es Aubrey ging, konnte er sich mit nichts wirklich ablenken.

In dem Moment, als sie bei der Party im TCC mit ihrer Rede begonnen hatte, war die Bühne an einer Seite zusammengebrochen und sie war im hohen Bogen heruntergefallen. Er hatte sich zwar so schnell wie möglich zu ihr durchgekämpft, doch da hatte ihre Mutter schon den Notdienst angerufen.

Dann waren Sanitäter gekommen, die Aubrey untersuchten, und man hatte sie ins Krankenhaus gebracht. Vic war dem Krankenwagen gefolgt.

Er hatte schon seit der Nacht davor erkannt, dass Aubrey in seinem Leben fehlte. Sie zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder so nah bei sich zu fühlen und ihren Atem auf seiner Haut zu spüren war ein Erlebnis, das ihm fast den Verstand raubte.

Im Krankenhaus hatte man Vic angewiesen, im Wartezimmer zu bleiben. So oft er auch jemanden ansprach, der einen Kittel trug, und nach seiner Verlobten fragte, so oft vertröstete man ihn. Bis ihm eine nette Schwester erklärte, dass es Aubrey relativ gut ging, sie aber keine weiteren Besucher empfangen sollte.

Doch jetzt, nachdem er etliche Stunden mit rastlosem Warten verbracht hatte, musste er einfach jemanden finden, der ihm mehr sagen konnte.

Er war bereits auf halbem Weg zum Schwesternzimmer, als er Aubreys Eltern mit ernsten Gesichtern auf dem Korridor erblickte. Sofort machte er kehrt. Was war passiert? Warum sahen sie so niedergeschlagen aus?

„Was ist los?“, rief er schon von weitem. „Geht es ihr schlechter?“

Eddie sah ihn grimmig an. „Sie ist wach und will dich sehen“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Endlich. Dann nichts wie los.“

„Einen Moment.“ Dr. Mitchell trat zu ihnen. „Bevor Sie hineingehen, muss ich mit Ihnen sprechen.“

Nachdem sie sich bei Vic vorgestellt hatte, beschrieb sie das Stadium, in dem sich Aubrey gerade befand.

„Sie kann sich nicht erinnern? Wegen der Kopfverletzung?“, fragte Vic entgeistert.

„Unsere Untersuchungen haben keine Schädigungen am Gehirn ergeben“, antwortete die Ärztin. „Oft kommen Erinnerungen bruchstückweise zurück, manchmal aber auch ganz plötzlich. Deshalb ist es wichtig, dass Aubrey das Tempo selber vorgibt und kein anderer versucht, sie zu beeinflussen.“

„Aber wenn sie nach mir fragt, muss sie sich doch an mich erinnern“, wandte Vic ein. Vorsichtig sah er Mary von der Seite an.

„Ja, sie erinnert sich an dich“, erwiderte Mary lächelnd. Sie hatte Vic immer lieber gemocht als ihr Mann. „Uns hat sie auch sofort erkannt. Und sie weiß, dass sie Lehrerin an der High School ist. An den Sturz kann sie sich allerdings gar nicht erinnern.“

„Aubrey glaubt, dass sie beide ein Paar sind“, ergänzte Dr. Mitchell. „In Wirklichkeit sind Sie wohl schon lange getrennt?“

„Zehn Jahre“, antwortet Eddie.

„Na ja, das stimmt nicht ganz“, murmelte Vic. Eddies Gesichtsausdruck verhärtete sich schlagartig.

„Es ist jedenfalls wichtig, dass wir alle tun, was für die Patientin das Beste ist“, fuhr Dr. Mitchell fort, während sie die Anwesenden streng musterte. „Meine Empfehlung ist, dass sie ihr eigenes Tempo für ihre Erinnerung finden muss. Abgesehen davon lassen wir sie glauben, was sie eben momentan glaubt.“

„Im Ernst?“, fragte Vic irritiert.

„Ja, solange es ihr nicht schadet.“ Dr. Mitchell lächelte.

„Sie kennen den Kerl nicht“, zischte Eddie.

„Eddie, bitte!“ Mary sah ihren Mann böse an. „Zu viel auf einmal könnte Aubrey durcheinanderbringen“, erklärte Mary, an Vic gewandt. „Das wäre nicht gut für sie.“

„Inwiefern?“, hakte Vic nach.

„Momentan kann sie sich an einiges erinnern“, schaltete sich die Ärztin ein. „An ihren Beruf, ihre Familie, ihre Klassen. Es ist alles noch nicht strukturiert, aber wenn sie weiter Fortschritte macht, wird das schon. Was sie am dringendsten braucht, sind Ruhe und Gleichmäßigkeit. Aubrey kann sonst im Prinzip alles machen, aber sie sollte wenig fernsehen oder am Handy sein.“

„Bis es ihr besser geht, kann sie bei uns wohnen“, erklärte Mary.

Vic verkniff sich das Lachen. Er wusste, dass Aubrey ihre Eltern liebte, aber dass ihr ihre Unabhängigkeit über alles ging.

„Sie haben eine Ranch, Vic?“

„Ja.“

„Aubrey sollte fürs Erste nicht reiten“, sagte Dr. Mitchell. „Erst wenn ich grünes Licht gebe.“

Bevor Vic antworten konnte, mischte sich Eddie erneut ein.

„Meine Tochter wird keine Minute mit diesem Kerl verbringen“, stieß er wütend hervor.

„Sie kann tun, was sie will“, gab Vic zurück.

„Hören Sie auf.“ Die Ärztin hob die Hände. „Es geht hier nicht darum, was einer von Ihnen will oder nicht will. Hier geht es einzig und allein um die Gesundheit meiner Patientin. Sie ist eine intelligente begabte Frau, die ein paar Erinnerungslücken hat. Wenn Sie sich beide zusammenreißen, statt Hahnenkämpfe auszutragen, wird sie hoffentlich bald wieder die Alte sein. Und das wollen wir doch alle, oder?“

„Natürlich“, brummte Eddie reumütig. „Und wenn sie sich erst wieder an alles erinnern kann, wird sie dich zum Teufel jagen“, fuhr er, an Vic gewandt, fort. „Dr. Mitchell hat nämlich recht. Unsere Tochter ist klug. Sie weiß genau, was sie in ihrem Leben will, und du gehörst nicht dazu.“

Vic war froh, dass er allein zu Aubrey gehen konnte. Sie war blass und um ihre Augen lagen dunkle Ringe. Als sie ihn erblickte, fing sie sofort an zu weinen.

Darauf war er nicht vorbereitet. Kaum hatte er sich auf ihr Bett gesetzt, ergriff sie seine Hand und küsste sie überschwänglich. Dann erklärte sie ihm, wie sehr sie sich fürchtete, und fragte, warum er nicht früher gekommen war.

„Aber ich war doch hier“, versicherte ihr Vic. „Nur musste ich im Warteraum sitzen, bis man mich zu dir gelassen hat.“ Zärtlich beugte er sich über sie, widerstand aber der Versuchung, sie zu küssen.

Sie sah ihn mit großen Augen an. Diesen Blick hatte er nicht einmal vor zwei Tagen an ihr gesehen, nachdem sie tollen Sex gehabt hatten. Er war so voller Vertrauen, dass er schlucken musste. Ja, sie hatten eine tolle Nacht miteinander verbracht, aber jeder von beiden hatte darauf geachtet, nicht zu viel von sich selbst preiszugeben.

„Ich kann überhaupt nicht glauben, dass Dad dich nicht zu mir lassen wollte“, sagte sie, während sie seinen Arm streichelte. „Das ist einfach lächerlich.“

„Jetzt bin ich ja hier“, antwortete er.

„Gott sei Dank! Bring mich hier weg, ja?“

„Sobald deine Ärztin es erlaubt“, versprach er. „Sie ist eine sympathische Frau und bestimmt sehr kompetent.“

„Sie hat gesagt, es würde eine Weile dauern, bis ich mein Gedächtnis ganz wieder habe“, flüsterte Aubrey, während sie aus dem Fenster sah. „Amnesie, Vic. Das ist ein Alptraum.“

Vic schüttelte den Kopf. Er würde dafür sorgen, dass sie wieder gesund wurde. Und wenn er die Ärzte dafür aus der ganzen Welt holen musste.

Natürlich machte es ihm Sorgen, dass Aubrey sich irgendwann an das erinnern würde, was zwischen ihnen vor zehn Jahren geschehen war. Aber in der Zwischenzeit würde er alles für sie tun, was er konnte.

Diese zweite Chance würde er sich nicht entgehen lassen.

3. KAPITEL

„Wieso darf ich dir nicht helfen?“, beklagte sich Aubrey bei ihrem Vater, der gerade ihren letzten Koffer ins Haus trug.

Hinter ihm war Mary Collins damit beschäftigt, Berge von Blumen und Geschenken, die alle von Vic stammten, so festzuhalten, dass nichts auf dem Boden landete.

Eine ganze Woche lang hatte man Aubrey zur Beobachtung im Krankenhaus behalten, was ihr gar nicht gefallen hatte. Es war die längste Woche ihres Lebens gewesen, noch dazu ohne Handy und Fernsehen. Lesen konnte sie immer nur für eine kurze Zeit, sonst bekam sie wieder Kopfschmerzen. Zum Glück war Vic regelmäßig zu Besuch gekommen.

„Weil du eben nicht darfst“, wiederholte ihre Mutter. „Hör auf, so dickköpfig zu sein.“

„Bin ich doch gar nicht“, behauptete Aubrey, während sie ihren Eltern ins Haus folgte.

Leider hatte sie ihre Erinnerungen in dieser einen Woche nicht zurückerlangt, aber die Schwestern und die Ärztin meinten, dass sie nur geduldig sein musste.

Sie seufzte. Ihr altes Zimmer war inzwischen Gästezimmer geworden und ähnelte in nichts mehr dem Mädchenzimmer, in dem Poster an der Wand hingen und Zeitschriften den Tisch bedeckten.

Ihre Mutter hatte die neuen Farben für den Raum sorgfältig ausgesucht. Eine Wand war wie die Bettdecke in einem warmen Graublau gehalten, während die anderen cremefarben gestrichen waren. Eine helle Kommode und passende Nachttische ergänzten die Gestaltung.

„Das ist ja wie im Hotel“, bemerkte Aubrey. Sie steckte den Kopf in das ebenfalls renovierte Badezimmer. „Ich wusste ja, dass du einiges verändern wolltest, aber so fremd habe ich es mir nicht vorgestellt. Oder lässt mich mein Gedächtnis schon wieder im Stich?“

„Aber nein“, erwiderte ihre Mutter. „Du warst ja seitdem noch nicht hier.“

„Auf jeden Fall gefällt es mir.“ In ihr eigenes Appartement konnte sie noch nicht zurück, deshalb … Aubrey erstarrte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie ihre eigene Wohnung aussah. Verdammt.

„Ist alles in Ordnung, Schätzchen?“, fragte ihre Mutter besorgt.

„Ja, alles bestens“, log Aubrey und lächelte. Nichts war bestens. Das Bild von ihrem eigenen Schlafzimmer verbarg sich irgendwo hinter einem Vorhang, den sie nicht lüften konnte. Eine dunkle Leere, mehr war da nicht.

„Eddie, hilfst du mir bitte mit dem Grill? Ich möchte die Steaks vorbereiten“, sagte Mary und zog ihren Mann mit sich.

Aubrey sah ihnen einen Moment nach, dann öffnete sie einen der Koffer, den ihre Mutter für sie gepackt hatte. Sowie sie die ersten Kleidungsstücke in der Hand hielt, ging es ihr besser. Die Sweatshirts, Kleider und T-Shirts waren ihr vertraut. Sie liebte es, Kleider mit Blumenmuster zu Cowboystiefeln oder ihren braunen Ledersandalen zu tragen. Glücklicherweise hatte ihre Mutter an alles gedacht.

Lächelnd presste Aubrey die Ledersandalen an sich und atmete ihren Duft ein, während sie versuchte, sich ihren eigenen Kleiderschrank vorzustellen. Nichts. Es war zum Verzweifeln.

Dr. Mitchell hatte sie völlig zu Recht davor gewarnt, ihre Erinnerung erzwingen zu wollen. Abgesehen von der Enttäuschung hatte sie sich auf diese Weise schon mehrere Male heftige Kopfschmerzen geholt.

Aber vielleicht würde es klappen, wenn sie sich Vic in ihrem Schlafzimmer vorstellte …

Mit geschlossenen Augen sah sie ihn in ihrer Fantasie vor sich, wie er Kaffee an ihr Bett stellte, bevor er sie zum Abschied küsste … und plötzlich war die Erinnerung lebendig.

„Ich muss los. Hier ist frischer Kaffee.“ Seine Stimme war tief und sexy.

„Okay.“ Sie schaute ihn an. Er trug dieselbe Jeans mit dem Flanellhemd wie am Abend zuvor. Sein Dreitagebart stand ihm so gut, dass sie sich nicht darüber beschweren würde, dass er nicht frisch rasiert war. Zumal es ein fantastisches Gefühl war, wenn er mit den kratzigen Stoppeln an ihren Schenkeln entlangstrich.

„Hm …“

Aubrey öffnete grinsend die Augen. Alles fügte sich wie ein Puzzle zusammen. Vic war aus dem Zimmer gegangen, während sie sich an ihr Kissen schmiegte und ihm hinterhersah. Sie liebte seinen Gang und vor allem seinen sexy Hintern.

Aubreys Grinsen verstärkte sich. Jetzt sah sie alles genau vor sich: die blau-weiße Einrichtung, die gerahmten Schwarzweißfotografien an den Wänden. Und sie erinnerte sich ganz genau, wie sie die Nacht mit Vic verbracht hatte. An jedes wundervolle, erotische Detail mit ihm im Bett. Von dem Moment an, als er sein Hemd ausgezogen und seine gebräunte muskulöse Brust gezeigt hatte. Dann hatte er sie ausgezogen und ihren Körper mit Küssen bedeckt. Als er mit der Zunge ihre Nippel einen nach dem anderen umkreiste und sanft nuckelte, hatte sie nach Luft gerungen.

Okay, sie erinnerte sich an diese Nacht. An eine Nacht. Aber nichts davor wurde lebendig, als wäre da ein riesiges Loch.

„Immerhin“, sagte sie laut zu sich selbst. „Immerhin.“

Sie durfte nicht in Panik verfallen, denn Dr. Mitchell hatte ja schon gesagt, dass es wahrscheinlich nur stückweise vorangehen würde. Also hatte sie gerade einen ersten Erfolg verbucht.

Entschlossen verstaute Aubrey ihre Sachen in der Kommode und hängte die Kleider in den Schrank. Dann ging sie nach unten, wo ihre Mutter Gemüse für den Salat vorbereitete. Wortlos nahm Aubrey ein Messer und schnitt zwei grüne Gurken in gleichmäßige Scheiben.

„Wann gibt’s Essen?“, fragte sie ihre Mutter.

„Ungefähr in einer Dreiviertelstunde. Ich habe noch Makkaroni mit Käse im Ofen. Das dauert am längsten.“

„Ich liebe deine Makkaroni“, erklärte Aubrey vergnügt. „Und Vic auch. Ich sage ihm gleich Bescheid.“

Marys Hand mit dem Messer schwebte über der Tomate, die sie gerade aufschneiden wollte. „Ich glaube, das ist keine gute Idee.“

„Dad muss damit zurechtkommen“, widersprach Aubrey heftig. „Es ist für mich auch nicht einfach, dass ich für eine Weile hier wohne, und wenn ich könnte, wäre ich zu Hause bei mir. Vergesst nicht, dass ich eine erwachsene Frau bin. Vic gehört zu mir, ob ich nun unter eurem Dach wohne oder nicht.“

Es war einfach lächerlich, ihr zu verbieten, in ihrem Appartement zu bleiben. Andererseits hatte Dr. Mitchell genau erklärt, wo die Probleme lagen. Aubrey könnte zum Beispiel schwindlig werden und fallen oder nach dem Aufwachen nicht wissen, wo sie sich befand. Außerdem sei die gewohnte frühere Umgebung für den Anfang zu viel Input, so dass sich ihr Zustand womöglich verschlechtern würde.

Das durfte sie unmöglich riskieren und so hatte sie sich bereit erklärt, für eine Weile wieder bei ihren Eltern einzuziehen. Eigentlich war es ja auch ganz schön, einmal mehr Zeit mit ihnen zu verbringen. Beide waren Lehrer im Ruhestand, so dass sie die meiste Zeit zu Hause sein würden.

Am liebsten wäre sie bei Vic gewesen, aber ihr Instinkt hatte sie gewarnt, ihn zu fragen. Es musste ja einen Grund geben, dass sie nicht zusammen lebten. Außerdem hatte er immer viel zu tun und sie wollte nicht irgendwo sitzen und bis abends auf ihn warten.

Bestimmt würde er sie bald zu sich einladen. Dann würden vielleicht noch mehr Erinnerungen hochkommen. Ganz abgesehen davon, was sie im Bett miteinander treiben könnten …

„Du hörst dich an wie früher“, bemerkte ihre Mutter jetzt. „Absolut verrückt nach Vic, und dein Vater durfte nichts dazu sagen.“

„Aber was haben die beiden denn gegeneinander?“, fragte Aubrey mit gerunzelter Stirn. „Ich bin doch keine Jungfrau mehr! Das hat Vic schon vor langem erledigt.“

„Aubrey!“

„Aber Mom!“ Aubrey schüttete sich aus vor Lachen. „Jetzt tu doch nicht so, als wüsstest du das nicht.“

Zum Glück klingelte in dem Moment Aubreys Handy, so dass sie ihrer Mutter weitere Peinlichkeiten ersparen konnte. Ihr Herz hüpfte, als sie Vics Namen auf dem Display sah.

„Hi Babe“, begrüßte sie ihn aufgeregt.

„Ja, hi, Aub“, kam es etwas zögerlich zurück. „Brauchst du irgendetwas oder habt ihr euch schon eingerichtet?“

„Wir kommen klar, danke.“ Mit dem Telefon in der Hand ging sie hinaus auf die Veranda. Es war ein herrlicher Septembertag, warm und sonnig. Ihr Herz öffnete sich, als sie die Strahlen auf der Haut spürte. „Vic, möchtest du zum Dinner kommen? Mom macht Käsemakkaroni.“

„Das klingt fantastisch.“

„Und nach dem Essen gehen wir aus, ja?“

„Wie meinst du das?“

„Hör mal, eine Woche lang habe ich ein Krankenhausnachthemd getragen. Meine Eltern bevormunden mich. Reicht das als Grund zum Ausgehen? Keine Angst, ich werde mich beim Essen vorbildlich verhalten, aber dann musst du mich entführen.“

Sein tiefes Lachen war so sexy, dass sie eine Gänsehaut bekam.

„Soll ich wirklich?“

„Wer sonst?“

Aubrey schlenderte um das Haus herum und bewunderte die prächtigen Büsche und bunten Blumen, die rund um die Veranda angepflanzt waren. Alles stand noch immer in voller Blüte. Durch das Fenster sah sie ihre Mutter in der Küche werkeln.

„Wir könnten den Abend bei dir verbringen“, schlug Aubrey vor. „Nur wir zwei.“

„Ach, heute Abend passt es auf der Ranch nicht gut.“

Er wohnte immer noch auf der Ranch? Zugegeben, das Anwesen war riesig und es gab jede Menge Platz für die Familie. Private Eingänge ließen allen genug Freiraum. Dennoch war sie überrascht.

„Okay, dann komm doch einfach zum Essen und danach trinken wir draußen Eistee. Oder wir gehen Eis essen. Du fehlst mir, Vic.“

Er räusperte sich. „Ehrlich?“

„Sicher.“ Wieso fragte er?

„Ich mache noch schnell meine Arbeit zu Ende und komme dann“, sagte er. „Soll ich etwas mitbringen?“

„Nur dich selber in einer eng sitzenden Blue Jeans“, hauchte sie.

„Das hört sich echt gut an“, erwiderte er. „Du kannst dich auf mich verlassen.“

Vic hielt das Handy noch in der Hand, als das Gespräch mit Aubrey längst beendet war. Er konnte immer noch nicht ganz fassen, was in der vergangenen Woche alles passiert war. Und dass seine Ex ihn vermisste und die Nacht mit ihm verbringen wollte …

„Hast du einen Geist gesehen?“, erkundigte sich seine Schwester Morgan, die gerade sein Büro betreten hatte. Sie war zwei Jahre jünger als er und hielt fast immer zu ihm. Das ganze Gezeter darüber, wer wohl die Ranch weiterführen würde, war ihr völlig egal. Morgan besaß ihre eigene Fashion Boutique, The Rancher’s Daughter, und war damit absolut glücklich. Mit Rinderzucht hatte sie nichts am Hut.

„Aubrey hat mich zum Dinner bei ihren Eltern eingeladen.“

„Interessant. Zuerst wart ihr vor dem Kochwettbewerb zusammen und jetzt geht es weiter? Bestimmt seid ihr demnächst wieder ein Paar.“

Vic stand auf und nahm seinen Cowboyhut vom Haken an der Wand. Er trug ihn nicht immer, fühlte sich jetzt aber danach. Vor allem konnte er seine Augen gut unter der breiten Krempe verbergen.

„Sie kann sich nicht daran erinnern, dass wir uns getrennt haben, Morgan. Aubrey hatte einen Unfall und jetzt braucht sie mich. Was soll ich machen? Glaubst du, ich habe eine Wahl?“

Morgan schüttelte den Kopf. „Das hört sich trotzdem nicht richtig an.“

Sie hatte recht. Und gleichzeitig fühlte er, dass es richtig war. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er alles für Aubrey getan hätte, und auch jetzt erschien es im selbstverständlich, für sie da zu sein.

„Keine Sorge. Ich werde die Situation nicht ausnutzen“, erklärte er.

Auf keinen Fall würde er so etwas tun wie sie in sein Schlafzimmer führen, sie nackt ausziehen und mit ihr schlafen. Obwohl die Erinnerung daran wie Feuer in ihm brannte. Dennoch wollte er keinen Sex mit ihr haben, solange sie nicht wusste, dass sie gar kein Paar mehr waren. In der Nacht nach dem Zusammentreffen im Silver Saddle war es anders gewesen. Sie hatte gewusst, worauf sie sich einließ.

Oh Mann, was für eine Nacht …

Morgan sah ihn mit hochgezogenen Brauen an, während sie sich eine ihrer roten Locken um den Finger wickelte.

„Ich will sie nicht belügen“, sagte sie.

„Wir belügen sie nicht“, beteuerte er, um seine Schwester zu beruhigen. „Wir geben ihr den Raum und die Zeit, sich in ihrem eigenen Tempo zu erinnern. So hat es uns die Ärztin ans Herz gelegt.“ Er setzte sich den Stetson auf und ging zur Tür. „Im Übrigen wäre es mir anders auch lieber.“

Nachdem er die Tür seines Büros hinter sich geschlossen hatte, lief ihm seine älteste Schwester Chelsea über den Weg.

Mit verschränkten Armen und zusammengepressten Lippen schaute sie ihm entgegen.

„Was ist?“, fragte er. „Mach schnell, ich habe es eilig. Wahrscheinlich komme ich schon zu spät zum Dinner bei Aubreys Eltern.“

„Du nutzt sie aus“, sagte Chelsea mit schneidender Stimme.

„Nein.“

„Sie hat dich zehn Jahre lang ignoriert und jetzt tust du so, als hätte es nie eine Trennung gegeben. Wie kannst du einfach so in ihr Leben platzen, als wäre nichts gewesen?“

„Es war ja was.“ Die Bemerkung kam von Morgan, die unbemerkt aus dem Büro getreten war. „Sie haben erst neulich die Nacht zusammen verbracht. Du brauchst dich also nicht aufzuregen, Chelsea.“

„Halt dich da raus, Morgan, bitte“, ermahnte Vic seine Schwester. „Aubrey fühlt sich gut und sicher, wenn sie mit mir zusammen ist“, erklärte er Chelsea. „Ich tue nur, worum mich ihre Eltern und die Ärztin gebeten haben.“

„Sicher? Ausgerechnet mit dir?“ Chelsea lachte. „Nachdem du ihre Flügel beschneiden und sie zur braven kleinen Hausfrau deiner Träume abrichten wolltest? Wenn ich mich recht erinnere, hat sie dich dafür sitzen lassen.“

„Wie auch immer, Chelsea, deine Meinung ist mir egal.“

„Mir war deine zu Nolan und mir auch egal, kleiner Bruder“, konterte Chelsea.

Er knirschte mit den Zähnen. Es stimmte, als Nolan Thurston aufgetaucht war, hatte er sich in die Beziehung zu Chelsea eingemischt. Aber damals war es schließlich auch um sein Erbe gegangen.

„Wenn ich eine zweite Chance bei Aubrey habe, werde ich sie nutzen“, stieß Vic hervor. „Völlig egal, was andere darüber denken.“

„Du gewinnst sie nicht zurück“, meinte Chelsea.

„Das versuche ich auch gar nicht.“ Er setzte vielmehr darauf, dass sie ihn nicht mehr hasste. Das wäre ein solider Neubeginn. Seit er in der letzten Woche mit ihr geschlafen hatte, wusste er, dass sein Leben ohne sie nicht viel wert war. Er hatte sich so zu seinem Nachteil verändert, seit er sie verloren hatte, dass er sich manchmal selber fremd war.

Nein, er war nicht so arrogant zu glauben, dass sie ihn zurücknehmen würde, aber vielleicht erlaubte sie ihm, irgendwie an ihrem Leben teilzuhaben. Allein das würde ihm helfen, wieder zu einem halbwegs anständigen Menschen zu werden.

„Ich finde das toll“, bemerkte Morgan.

„Toll!“ Chelsea schüttelte sich. „Weißt du was, Vic? Abgesehen von unserem Vater bist du der arroganteste und egoistischste Mann, den ich je getroffen habe. Dir geht es nur um dich. Und so einer soll die Ranch führen.“ Ihre Augen blitzten.

Er merkte, wie ihm vor Zorn die Röte ins Gesicht stieg und er die Hände zu Fäusten ballte. Von Chelsea durfte er sich nicht provozieren lassen. Seit Jahren schon warf sie ihm vor, zu wenig Einsatz auf der Ranch zu zeigen und ihr die Hauptarbeit zu überlassen. In Wahrheit stimmte das nicht, auch wenn er natürlich viel falsch gemacht hatte. Aber das zu diskutieren war jetzt keine Zeit.

„Ich habe es schon lange aufgegeben zu glauben, dass du mich verstehst, Chelsea“, knurrte er, drängte sich an ihr vorbei und ging zur Haustür.

„Warte nicht auf mich, Kleines“, warf er Morgan zu, bevor er verschwand.

4. KAPITEL

In halsbrecherischem Tempo fuhr Vic zu Aubreys Elternhaus, um wenigstens noch halbwegs pünktlich zu sein.

Er war immer noch aufgewühlt, obwohl er wusste, dass es Chelsea bei ihren Vorwürfen gar nicht um Aubrey ging. Dennoch hatte sie ihm ein schlechtes Gewissen gemacht.

Chelsea hatte sein Selbstbewusstsein nie gemocht und ihm schon oft vorgehalten, eingebildet zu sein. Vic hätte es eher Sturheit genannt. Er hatte die ausgeprägte Dickköpfigkeit, die Chelsea als Überheblichkeit empfand, von seinem Großvater und Vater geerbt. Wenn man bedachte, dass er bald eine der größten Ranchbetriebe in Royal, Texas, leiten würde, war das vielleicht nicht die schlechteste Charaktereigenschaft für so einen schwierigen Job.

Er musste mutig und entscheidungsfreudig sein, wenn er die Ranch auch für kommende Generationen profitabel erhalten wollte. Sein Vater hatte ihm diese Aufgabe übergeben und er war entschlossen, sie gut zu erfüllen. An der Spitze zu stehen bedeutete auch, die gesamte Verantwortung zu tragen. Vielleicht vergaß Chelsea das manchmal. Wenn etwas schiefging, würde er seinen Kopf hinhalten müssen.

Im Moment war sowieso alles in der Schwebe. Es ging um die Frage, ob sich unter dem Land der Grandin Ranch und dem angrenzenden Besitz der Lattimores Öl befand, war bisher nicht geklärt worden. Aber Heath Thurston hatte Anspruch auf das Land erhoben, und deshalb war das Zuhause von Vic in Gefahr. Wenn Heath Recht bekam, würde es keine Ranch mehr geben, auf der Vic, Chelsea und Layla arbeiten konnten.

Eine grauenhafte Vorstellung.

Er parkte den Truck vor dem Haus und schaltete die Zündung aus. Die meisten Leute würden es wahrscheinlich verurteilen, mit der Ex so umzugehen, wie er es gerade tat. Aber was interessierten ihn andere Leute? Die Zeit, die er vor kurzem mit Aubrey verbracht hatte, war umwerfend gewesen. Er war kein schwacher Mann, aber Aubrey konnte er nicht widerstehen. Schon gar nicht in dem verletzlichen Zustand, in dem sie gerade war.

Nichts haute ihn mehr um als ihr Lächeln, wenn sie ihn mit großen Augen ansah. Wie damals, als sie noch Teenager gewesen waren. In den Jahren danach waren die Blicke anders geworden.

Während der langen Monate, die auf die Trennung folgten, war ihm klar geworden, dass er sie nicht wieder für sich gewinnen würde. Irgendwann hatte er sich wieder mit Frauen verabredet, aber er hatte schnell gemerkt, dass keine davon Aubrey das Wasser reichen konnte. Keine einzige, weder hier in der Stadt noch sonst wo in Texas. Oder auf der ganzen Welt, dachte er resigniert.

Wozu also Skrupel haben? Er würde sich einfach gerne so lange in ihrem Umkreis bewegen, wie sie es erlaubte.

Es wäre schön, sich wenigstens für eine Weile mal wieder gut zu fühlen. Dann würden ihn seine Probleme, die er mit der Ranch und seiner Familie hatte, auch viel weniger belasten.

Er zögerte einen Moment, bevor er an die Haustür klopfte, und war froh, dass Aubrey selbst die Tür öffnete. Hinter seinem Rücken hatte er einen Strauß Blumen versteckt.

Aubrey sah ihn strahlend an.

„Hier“, sagte Vic und zeigte ihr den Blumenstrauß. „Die sind für deine Mom. Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht.“

Sie schüttelte lachend den Kopf. „Aber nein. Da ich momentan auch hier wohne, werden wir uns beide daran freuen.“

Vic konnte nicht glauben, dass sie wirklich ihn meinte mit diesem zauberhaften Lächeln. So viele Jahre hatte er darauf verzichten müssen.

Aubrey nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her in ihr Elternhaus, das Vic nur noch einmal nach der Trennung betreten hatte. Damals war er so wütend gewesen, dass ihn Eddie zum Glück gar nicht erst hereingelassen hatte. Alle späteren Versuche, mit Aubrey Kontakt aufzunehmen, hatten Eddie und Mary Collins ignoriert, sodass Vic irgendwann aufgegeben hatte.

All das hatte Aubrey vergessen.

„Mom, Vic ist da. Er hat dir Blumen mitgebracht.“ Aubrey holte eine Vase aus dem Schrank, füllte sie mit Wasser und stellte sie auf den Esszimmertisch, nachdem sie den Strauß darin arrangiert hatte.

Vic sah sich um. Alles sah aus wie damals. An diesem Tisch hatte er so oft mit der Familie gesessen, als die Zeiten noch gut waren. Im Wohnzimmer hatten sie abends manchmal zusammen gespielt oder ferngesehen.

„Danke, Vic. Wie nett von dir“, unterbrach die Stimme von Mary seine Gedanken. Sie war nie so böse auf ihn gewesen wie ihr Mann.

„Möchtest du ein Bier, Schatz?“

Aubrey sah ihn erwartungsvoll an.

„Gern.“

Aubrey drückte ihm eine Flasche in die eine und einen leeren Teller in die andere Hand.

„Bringst du das bitte raus zu Dad? Es gibt gleich Essen.“

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in die Höhle des Löwen zu begeben, wenn er Aubrey nicht vor den Kopf stoßen wollte.

Schweigend nahm Eddie den Teller entgegen, während er einen Schluck aus seiner Bierflasche nahm.

„Danke, dass ich kommen durfte“, sagte Vic schließlich.

Eddie beobachtete mit zusammengekniffenen Augen, wie die Steaks auf dem Grill schmorten. „Wir wissen beide, dass sie etwas Besseres als dich verdient hat“, knurrte er.

Das konnte ja lustig werden.

„Aber da sie dich jetzt nun einmal braucht, was ich übrigens in keiner Weise verstehe, und es ihr Freude macht, mit dir zusammen zu sein …“ Er zuckte mit den Schultern.

Vic schluckte. Wann hatte er das letzte Mal einem Menschen Freude bereitet? Das war ein wirklich großes Wort.

„Wenn es irgendwie anders ginge, würde ich Aubrey niemals anlügen“, fuhr Eddie fort, während er die Steaks wendete. „Aber ich kann die Situation nicht ändern. Für Aubrey würde ich alles tun.“

„Das verstehe ich sehr gut“, sagte Vic leise. Auch in seinem Leben hatte es eine Zeit gegeben, in der er Aubrey mehr liebte als alles andere auf der Welt. Irgendwann waren die Dinge zwischen ihnen schiefgelaufen und er hatte angefangen, sich völlig daneben zu benehmen. Sie hatte ihn dafür gehasst.

Das Wenigste, was er jetzt tun konnte, war, sie zu unterstützen, wo es nur ging. Vielleicht konnte er ein bisschen von dem, was er ihr angetan hatte, wiedergutmachen.

„Sollte ich feststellen, dass deine Gegenwart irgendetwas schlimmer macht …“

„Schon verstanden“, warf Vic ein. Eddie brauchte nicht deutlicher zu werden. Allerdings konnte er nicht ahnen, dass Vic fest entschlossen war, Aubrey nicht mehr aus den Augen zu lassen. Egal, was Eddie darüber dachte.

„Und? Sind sie sich schon gegenseitig an die Gurgel gegangen?“

Mary stellte die dampfende Kasserole auf den Untersetzer auf dem Esstisch.

Aubrey spähte aus dem Fenster. „Bis jetzt noch nicht.“

Die zwei Männer standen neben dem Grill, ohne einander anzusehen. Eddie schaute auf die Steaks, als müsse er sie bewachen, und Vic betrachtete den Sonnenuntergang, als könnte es sein letzter sein.

„Dad kann wirklich ein alter Griesgram sein“, murmelte sie, als sie neben ihre Mutter trat.

„Dafür gibt es gute Gründe“, erklärte Mary, die gerade das Silberbesteck aus der Kommodenschublade holte.

Aubrey zuckte ratlos mit den Schultern. Sie verstand einfach nicht, was ihr Vater gegen Vic hatte. Und immer, wenn sie darüber nachdachte, war da nur ein großes dunkles Loch. Natürlich war Aubrey in Eddies Augen immer noch sein kleines Mädchen, das er beschützen wollte, aber das reichte als Grund für so viel Feindseligkeit wohl kaum aus.

„Steaks sind fertig.“ Vic kam mit einem vollen Teller herein, den er vorsichtig auf dem Tisch absetzte. Bei dem Anblick lief Aubrey das Wasser im Mund zusammen. Jedoch nicht wegen der leckeren Steaks, sondern wegen Vic, der mit seinem männlichen Körperbau, dem dichten dunklen Haar und seinem Lächeln einfach umwerfend sexy aussah.

Aubreys Gedanken gingen zurück zu der Nacht, die sie vor kurzem gemeinsam verbracht hatten, und ihr wurde heiß. Mit jeder Faser ihres Körpers spürte sie, wie er in sie hineingeglitten war, keinen Blick von ihr gelassen hatte …

„Hungrig?“ Seine Stimme holte sie zurück in die Gegenwart.

Belustigt hob sie eine Augenbraue. „Kurz vorm Verhungern.“

Vics Augen sagten ihr, dass er sehr wohl verstanden hatte, was sie meinte. Sein Grinsen erstarb jedoch sofort, als Eddie den Raum betrat.

„Dann fangen wir mal an“, sagte Aubreys Vater.

Das Dinner verlief ohne irgendwelche Zwischenfälle. Man beschränkte sich auf allgemeine Themen wie Sport und Literatur, doch Aubrey war nicht bereit, die Party im TCC einfach zu ignorieren.

„Habe ich es denn wenigstens noch geschafft, die Gewinner bekanntzugeben, oder war der komplette Wettbewerb ruiniert?“, erkundigte sie sich. Schlagartig wurde es still am Tisch. Niemand beantwortete ihre Frage.

„Das ist total frustrierend“, sagte sie jetzt zu Vic, nachdem der Tisch abgeräumt und ihre Mutter in der Küche verschwunden war. Sie hatte jede Hilfe abgelehnt, und so schlenderten Vic und Aubrey jetzt über den Kiesweg, der um das Haus führte, während überall im hohen Grass die Grillen zirpten.

„Ich verstehe einfach nicht, weshalb mir keiner sagen kann, was an dem Abend passiert ist“, fuhr sie fort.

Vic blieb stehen und schaute sie an. „Du musst Geduld haben, Aub“, sagte er behutsam. „Das war doch immer eine deiner großen Stärken.“

Vics Gesicht war im Dämmerlicht kaum mehr erkennbar, doch der Mond ließ seine Silhouette klar hervortreten.

„Ich will mich aber erinnern“, beharrte Aubrey. „Ich muss es einfach.“

„Das wirst du auch“, erwiderte Vic so bestimmt, dass sie keinen Zweifel an seinen Worten hatte.

Er hatte recht. Ihr Gedächtnisverlust würde rasch vorübergehen und sicher konnte sie bald sie zu ihrem gewohnten Alltag zurückkehren. Wie zuvor würde sie dauernd an ihrem Handy herumspielen, leidenschaftlich gern Auto fahren und vor allem wieder unterrichten. Die Schule und die gewohnte Routine fehlten ihr am meisten.

Als sie an Vics Truck vorbeikamen, schlug ihr Herz aufgeregt, doch Vic schenkte dem Wagen keinen Blick.

Offensichtlich hatte auch er Lust, den Abend weiter zu verlängern. Wenn sie nur etwas mehr Privatsphäre gehabt hätten! Bestimmt spähte ihr Dad schon wieder durch das Küchenfenster, um sie zu kontrollieren.

Vic verschränkte seine Finger mit ihren, und Aubrey fühlte, wie sie von Wärme durchflutet wurde.

„Genieße einfach jeden Moment, Aub. Mehr brauchst du nicht zu tun. Deine Erinnerungen werden alle zurückkommen.“

„Na ja, eine sehr starke Erinnerung habe ich jedenfalls“, meinte sie schmunzelnd. „Neulich Nacht …“

„Tatsächlich?“

„Doch. Die Nacht vor meinem Unfall. Ich sehe mein Schlafzimmer. Du ziehst mich aus und leckst mit der Zunge über jeden Zentimeter meiner Haut, als ob du ein Verhungernder wärst. Es war so unglaublich, Vic.“

Sie merkte, wie er sich versteifte.

„Keine Angst, sie können uns nicht hören“, sagte sie leise. „Warum haben wir eigentlich nicht behauptet, dass wir Eis essen gehen? Dann hätten wir uns in mein Appartement schleichen und uns vergnügen können.“

„Also, Sex ist …“ Er brach ab. So nervös kannte sie ihn gar nicht. Was war nur los mit ihm? „Deine Gesundheit steht jetzt einfach im Vordergrund“, fügte er hinzu.

„Aber Sex ist supergesund“, erklärte sie und freute sich über sein leises Lachen.

„Ich weiß. Sex ist toll. Aber könntest du vielleicht aufhören, mich immer daran zu erinnern, wenn ich doch nur vernünftig und fair sein will?“

Aubrey seufzte. „Ich weiß nicht, ob mir das gefällt, Vic Grandin. Irgendwie passt die Einstellung nicht zu dir.“

Sein unverschämtes Grinsen ließ ihre Knie weich werden. „Kann ich wenigstens einen Kuss haben?“, fragte sie trotzig.

„Du lässt ja wirklich nicht locker“, stellte er fest.

„Darüber hast du dich bisher noch nie beschwert.“

„Na gut.“ Er neigte den Kopf. „Ein Kuss, aber danach lässt du mich nach Hause fahren. Dein Dad beobachtete uns garantiert schon die ganze Zeit.“

Aubrey nickte. Sie wollte es nicht zu weit treiben. Am Ende stellte sich noch heraus, dass sie eine Spionin war statt der braven Lehrerin, an die sie sich erinnerte …

„Bin ich etwa eine russische Spionin?“, brach es tatsächlich ungewollt aus ihr heraus.

„Was?“

„Ach nichts.“ So hatte das keinen Sinn. Sie musste denen vertrauen, die sie liebten. Anders ging es nicht.

Vic neigte sich zu ihr und küsste sie sanft auf den Mund. Dann zog er ihren Kopf zu sich und vertiefte den Kuss, spielte mit seiner Zunge in ihrem Mund. Je langsamer er wurde, desto größer wurde Aubreys Begehren. Ungeduldig stieß sie ihm die Zunge in den Mund und drückte sich an seinen Körper, um ihm so nah wie möglich zu sein.

Als sie die Härte hinter dem rauen Jeansstoff spürte, begann ihr Puls zu rasen. Ja, ja! Genau das wollte sie, ihn fühlen und wissen, dass sie am Leben war.

Vic zog die Luft scharf ein, als er sich von ihr löste.

„Du wusstest immer, wie du mich aus dem Konzept bringen kannst, Miss Collins“, murmelte er, während er die Hände tief in den Hosentaschen vergrub.

„Das haben wir dann wohl gemeinsam, Mr. Grandin“, gab Aubrey zurück.

Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging zum Haus zurück. Die Frage war, ob sie sich von seinen Worten geschmeichelt oder enttäuscht fühlen sollte.

5. KAPITEL

Als Vic am nächsten Morgen sein Büro betrat, war er sofort von seinen älteren Schwestern umringt. Chelsea und Layla sahen ihm mit verschränkten Armen und bösen Blicken entgegen.

„Was habe ich diesmal getan?“, brummte er, während er zum Büfett an der Wand ging, wo glücklicherweise eine Kanne mit frisch gebrühtem Kaffee stand und einen köstlichen Duft verströmte. Einen starken Kaffee benötigte er wirklich dringend, denn nach Aubreys Kuss am Abend zuvor hatte er in der Nacht die meiste Zeit wach gelegen.

Früher hätte er Aubrey auf der Stelle in seinen Truck verfrachtet und wäre mit ihr nach Hause gedüst, um zu beenden, was sie so wunderbar begonnen hatten.

Aber seit der Nacht mit ihr hatte er erkannt, dass er die meiste Zeit nichts weiter als ein verdammtes Arschloch gewesen war. Höchste Zeit, das zu beenden, zumal sie in einem so verletzbaren Zustand war. Ein weißer Ritter konnte nicht einfach seinen Impulsen folgen.

„Gar nichts“, erwiderte Layla, wobei sie tatsächlich aufrichtig klang.

„Wir sind zu unserem vierteljährlichen Treffen hier, so wie Dad es will“, fügte Chelsea hinzu.

Shit. Das hatte er ja total vergessen. Er war mit seinen Gedanken die ganze Zeit bei Aubrey gewesen, bei den frechen Sommersprossen auf ihrer Nase und ihrer Hand in seiner. Fast konnte er immer noch nicht glauben, dass er ihr einen Korb gegeben hatte. Mein Gott, was war aus ihm geworden!

„Und? Wo ist er?“ Vic nippte an seinem Kaffee und sah aus dem Fenster hinüber zu den Ställen. Sein Vater war nirgendwo zu sehen.

„Wir dachten eigentlich, dass du das weißt. Schließlich seid ihr doch fast unzertrennlich“, bemerkte Chelsea sarkastisch.

Vic ging nicht darauf ein. Er hatte heute weder Lust noch Kraft, mit Chelsea zu streiten.

„Ich sattle Titan und suche ihn.“ Vic stellte seine Tasse zurück.

Während er auf dem Rücken seines Pferdes nach seinem Vater Ausschau hielt, erspähte er auf seinem Land an der Grenze zum Besitz der Lattimores eine junge Frau.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er, als er näher kam. „Wie ich sehe, sind Sie Landvermesserin.“

Mit dem Messrad in der Hand sah sie ihm ruhig entgegen. Sie wa...

Autor

Jessica Lemmon
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<p>Schon von klein auf wusste Maisey Yates ganz genau, was sie einmal werden wollte: Autorin. <br/>Sobald sie mit einem Stift umgehen und ihre erste Worte zu Papier bringen konnte, wurde sie von der Leidenschaft fürs Schreiben gepackt und bis heute nicht mehr losgelassen. <br/><br/>Von da an konnte nichts und niemand...
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