Brich mir nicht mein Herz!

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Sexy, Single - und Vater von süßen Zwillingen: Cutler Grant ist ein Mann, der viele Frauenherzen höher schlagen lässt. Als er Kira bittet, einige Tage zu ihnen zu ziehen, sagt sie sofort zu. Denn Cutlers heißer Flirt weckt in ihr die sehnsüchtigsten Hoffnungen. Wird sie endlich das große Glück für immer finden? Oder sucht ihr attraktiver Schwager nur einen Ersatz für seine verstorbene Frau, Kiras Halbschwester? Als sie sich kaum noch vorstellen kann, ohne Cutler zu leben, macht er ihr ein überraschendes Geständnis …


  • Erscheinungstag 01.02.2016
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773236
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war noch nicht ganz dunkel, als Kira Wentworth nach Northbridge, Montana, einfuhr. Trotzdem waren die meisten Geschäfte an der Hauptstraße schon geschlossen. Sogar die Tankstelle machte gerade zu. Selbst für einen Mittwochabend schien hier wenig los zu sein.

„Entschuldigen Sie, bitte“, rief Kira aus dem Fenster ihres Mietwagens, während der Tankwart gerade den Schlüssel abzog und in die Tasche steckte. „Können Sie mir sagen, wo die Jellison Street ist? Ich suche die Nummer 104.“

Der sommersprossige Teenager brauchte nicht lange zu überlegen. „Das ist das Haus der Grants“, erklärte er. „Officer Grant hat sich den Knöchel gebrochen. Sie werden ihn bestimmt zu Hause antreffen.“ Er erklärte ihr kurz, wie sie fahren musste.

„Danke!“, sagte Kira. Sie ließ die Seitenscheibe wieder hoch und drehte die Klimaanlage eine Stufe höher. Beim Gedanken, dass sie nur drei Blocks von ihrem Ziel entfernt war, wurde ihr noch heißer, als es bei dieser Julihitze ohnehin schon der Fall war.

Sie warf einen prüfenden Blick in den Innenspiegel und hoffte, dass ihr Make-up auf der Fahrt nicht zu sehr gelitten hatte. Nein, die Wimperntusche um ihre blauen Augen war nicht verlaufen, und ihr hellrosa Lippenstift war nicht verblasst. Doch trotz des Rouges, das sie bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Billings aufgelegt hatte, hatte sie eine fahle Gesichtsfarbe. Kein Wunder!

„Vielleicht ist es gar nicht derselbe Mann“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Meine Reise könnte sich ebenso gut als Fehlschlag erweisen.“

Das machte sie aber nicht wirklich entspannter. Kira hatte immer noch das Gefühl, tausend Schmetterlinge flatterten in ihrem Magen. Und als wäre ihre blasse Haut nicht genug, gab es einen weiteren untrüglichen Beweis für ihre Nervosität. Irgendwann während der Fahrt von Billings hierher hatte sie ihr schulterlanges blondes Haar hinter die Ohren geschoben – eine Angewohnheit, die ihr Vater stets verabscheut hatte.

Rasch holte sie einen Kamm aus ihrer Handtasche – als könnte Tom Wentworth jeden Moment auftauchen und sie tadeln – und brachte ihre Frisur wieder in Ordnung.

Sie steckte den Kamm zurück, trug frisches Rouge auf ihre hohen Wagenknochen, zog den Kragen ihrer weißen Bluse zurecht und schnippte einen einzelnen Fussel von ihrer marineblauen langen Hose.

Nicht perfekt, überlegte sie mit einem weiteren Blick in den Spiegel, aber wenigstens vorzeigbar. Mehr konnte sie unter diesen Umständen nicht verlangen.

Ein Blick auf die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte ihr, dass es fünf Minuten nach neun war. Viell eicht sollte sie sich lieber beeilen. Sie wusste nicht viel über das Leben in einer Kleinstadt. Wenn sogar die Tankstelle schon so früh zumachte, war nicht auszuschließen, dass die Bewohner bald ins Bett gingen. Und sie wollte keinen weiteren Tag warten, um das herauszufinden, weshalb sie gekommen war.

Kira legte den Gang wieder ein und fuhr los. Kurz darauf bog sie in eine ruhige Straße, die zu beiden Seiten von hohen Ulmen, Eichen und Ahornbäumen gesäumt war. Die mittelgroßen Holzhäuser im Stil der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts sahen aus, als stammten sie alle vom selben Architekten.

Die zweistöckigen Gebäude mit ihren überdachten Vorderveranden unterschieden sich nur in ihrem helleren oder dunklerem erdfarbenen Anstrich, in den Fensterläden und den Blumenkästen, die bei einigen angebracht worden waren. Und in ihren Gärten. Einige waren aufwändig gestaltet, andere bestanden nur aus einem sorgfältig gepflegten Rasen.

Das Haus, das Kira suchte, war das vierte nach der Kreuzung. Es hatte einen gelbbraunen Anstrich und weiße Fensterläden. Eine Holzschaukel hing an Ketten auf der linken Seite der Veranda.

In der Einfahrt stand ein schwarzweißer Geländewagen mit dem Abzeichen der Polizei von Northbridge.

Kira hielt am Straßenrand an und machte den Motor aus. Sie nahm einen Aktendeckel vom Beifahrersitz und öffnete ihn. In einer Klarsichthülle befand sich ein Artikel aus der Sonntagsausgabe der Denver Post, den sie ausgeschnitten hatte.

Er handelte von zwei Männern aus Montana, einem Polizeibeamten und einem Geschäftsmann aus Northbridge, die in ein brennendes Haus gelaufen waren und eine Familie vor dem Tod gerettet hatten. Dabei war Addison Walker schwer von einem Balken getroffen geworden, und Cutler Grant hatte sich einen Fußknöchel gebrochen. Trotzdem war es ihm gelungen, den bewusstlosen Geschäftsmann ins Freie zu ziehen.

Der Name Addison Walker sagte Kira nichts.

Aber Cutler Grant – das war etwas anderes. Kira kannte einen Cutty Grant. Aus dem Zeitungsartikel war nicht viel über die beiden Männer zu erfahren. Nur dass Cutler Grant Witwer war und achtzehn Monate alte Zwillingstöchter besaß.

Das war eine Überraschung. Der Cutty Grant, den Kira kannte, hatte ihre ältere Schwester Marla geheiratet, und die beiden hatten einen gemeinsamen Sohn, der jetzt zwölf

Jahre alt sein musste.

Vielleicht war dieser Cutler Grant aus der Zeitung doch nicht derselbe Mann?

Trotzdem hoffte sie inständig, dass er es war. Dass die Frau, die ihn als Witwer mit achtzehn Monate alten Zwillingen allein gelassen hatte, seine zweite Ehefrau gewesen war. Dass er ihr sagen konnte, wo sie Marla und ihren zwölfjährigen Sohn jetzt finden konnte.

Kira steckte den Zeitungsausschnitt sorgfältig zurück und legte den Aktendeckel auf den Beifahrersitz. Entschlossen nahm sie ihre Lederhandtasche und stieg aus dem Wagen.

Der Duft von Geißblatt lag in der Luft, während sie zum Eingang ging. Licht schien durch die Fenster im Erdgeschoss, und die Haustür stand offen – wahrscheinlich, um die kühlere Abendluft hereinzulassen. Offensichtlich waren die Bewohner noch wach.

Kira stieg die fünf Zementstufen zur Veranda hinauf. Ein Mann saß in einem alten Sessel und telefonierte. Sobald er sie bemerkte, gab er ihr ein Zeichen hereinzukommen.

Verwechselt er mich mit jemandem? überlegte Kira unsicher und rührte sich nicht von der Stelle. Sie hatte sofort gemerkt, dass dies der Cutty Grant war, den sie suchte. Natürlich war er reifer geworden. Allerdings konnte er sie unmöglich erkennen. Er hatte sie nur ein einziges Mal gesehen, ganze zehn Minuten lang, bevor man sie in ihr Zimmer geschickt hatte. Außerdem war sie damals noch ein halbes Kind gewesen.

Er gab ihr erneut ein Zeichnen, und Kira trat ein. Sie wollte nicht unhöflich sein und lauschen. Deshalb schlug sie die Augen nieder und blickte zu Boden.

Cutty Grant hatte einen nackten Fuß von sich gestreckt. Ein weißer Gipsverband umschloss seine Ferse und verschwand unter dem Bein seiner alten Blue Jeans, die seine kräftigen Oberschenkel umspannten.

Unwillkürlich ließ Kira den Blick höher gleiten und betrachtete sein schlichtes weißes T-Shirt, das ihm wie eine zweite Haut passte. Es war unübersehbar, dass Cutty Grant fit genug war, um einen erwachsenen Mann aus einem brennenden Gebäude zu tragen. Seine Brust und seine Schultern waren äußerst muskulös, und seine Bizepse waren so groß, dass sich die kurzen Ärmel des T-Shirts bis an die Grenze spannten.

„Nein, das geht nicht.“

Einen Moment dachte Kira, er würde mit ihr reden, und blickte in sein Gesicht. Doch er telefonierte immer noch. „Sie können sich nicht gleichzeitig um uns und um Ihre Mutter kümmern“, erklärte er.

Kira betrachtete ihn näher. Der siebzehnjährige Teenager, an den sie sich erinnerte, hatte schon so gut ausgesehen, dass sie eifersüchtig auf ihre ältere Schwester gewesen war. Doch das war nichts im Vergleich zu dem Mann jetzt.

Der erwachsene Cutty Grant hatte immer noch rabenschwarzes Haar. Nur war es jetzt kurz, anstatt lang und zottelig.

Nicht nur der Haarschnitt hatte sich verändert. Cuttys jungenhafter Charme war einem erstaunlich männlichen Gesicht gewichen. Seine hohe eckige Stirn war imposant, und sein markantes Kinn und seine etwas längere Nase kamen nun besser zur Geltung. Jeder Winkel seines Gesichts schien stärker ausgeprägt zu sein.

Seine Oberlippe war immer noch schmaler als seine volle Unterlippe. Als er über eine Bemerkung seiner Telefonpartnerin am anderen Ende lächelte, bildeten sich zwei Grübchen zu beiden Seiten seines Mundes, der ein bisschen geschmeidiger geworden war. Außerdem unbeschreiblich sexy.

Seine tief liegenden Augen hatten sich dagegen nicht verändern. Sie waren immer noch von einem Grün, das Kira sonst nie bei Augen gesehen hatte. Tannengrün wie ein Weihnachtsbaum. Ein so umwerfend gut aussehender Mann wie der erwachsene Cutty Grant war ihr noch nie begegnet.

„Ja, hier herrscht ein furchtbares Durcheinander“, fuhr er fort. „Aber das hätte Lucinda dir wirklich nicht zu erzählen brauchen.“

Kira riss sich von Cuttys Anblick los und betrachtete das Wohnzimmer. Es war wirklich ziemlich unordentlich. Überall lag Spielzeug herum, auf dem Boden, auf den Beistelltischen, auf dem braunen Tweedsofa und sogar auf dem Schreibtisch in der Ecke. Kinderkleider waren dazwischen verstreut, und von dem Schirm einer Stehlampe baumelten winzige pinkfarbene Shorts. Frische Windeln quoll en aus einem Sack auf dem Fernsehapparat.

„Es ist mir Ernst, Betty. Die Mädchen und ich werden bestimmt zurechtkommen. Ihre Mutter braucht Sie jetzt. Sie kommen erst wieder zu uns, wenn es ihr …“

Es entstand eine kurze Pause, während die Frau am anderen Ende etwas einwandte, das ihn offensichtlich überzeugte. „Also gut“, seufzte er. „Eine Stunde morgen früh, aber mehr nicht. Anschließend will ich Sie erst wiedersehen, wenn Ihre Mutter hundertprozentig auf den Beinen ist. Wenn es nicht anders geht, kann ich notfalls Ad zu Hilfe rufen.“ Er hielt erneut inne und lachte leise, tief in der Kehle. „Ich weiß. Er ist ebenso wenig ein Hausmann wie ich. Aber mit seiner Beule am Kopf kann er mehr tun als ich mit dem Gips am Fuß. Machen Sie sich also keine Sorgen. Ich muss Schluss machen. Ich habe Besuch bekommen. Wir sehen uns morgen – aber nur für eine Stunde“, fügte er nachdrücklich hinzu. Dann legte auf und drehte sich zu Kira.

„ Entschuldigung. Das war die Frau, die mir normalerweise mit dem Haushalt und den Kindern hilft. Ihre Mutter hatte einen Bandscheibenvorfall, und es ist ihr furchtbar peinlich, dass sie mich ausgerechnet jetzt allein mit den Kindern lassen muss. Sie weiß, dass ich meinen Fuß nicht belasten darf.“ Er deutete auf seinen Gips.

Kira sah zu, wie er mühsam aufstand und zu einem Stock griff, der neben ihm an der Wand lehnte.

Selbst wenn er sich auf seinen Stock stützte, war er mindestens einsachtzig groß und körperlich noch eindrucksvoller als im Sitzen. Dieser große kräftige Mann hat garantiert nichts Jungenhaftes mehr an sich, dachte Kira benommen.

Cutty Grant bemerkte ihre Verwirrung nicht. „So, da sind Sie also. Ich hätte schwören können, dass wir Donnerstagabend zwischen acht und neun gesagt hätten, damit die Kinder schon schlafen.“

Kira stutzte plötzlich. „Für wen halten Sie mich?“

„Für die Journalistik-Studentin vom College, die einen Artikel über Ad und mich schreiben will. Sind Sie das etwa nicht?“

Das erklärte, weshalb er sie ohne Weiteres hereingewunken hatte.

Kira schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin nicht vom College. Ich bin Kira Wentworth, Marlas Schwester … Ich bin deine Schwägerin.“

Zwei tiefe Falten bildeten sich zwischen seinen Braunen. „Oh“, sagte er tonlos und schwieg so lange, dass Kira beschloss, die Stille zu beenden und ihm den Grund für ihr plötzliches Erscheinen zu nennen.

„In der Denver Post stand ein kurzer Artikel darüber, wie du zusammen mit einem anderen Mann eine Familie aus einem brennenden Haus gerettet hast. Es war das erste Mal, dass ich einen Hinweis darüber erhielt, wo Marla heute sein könnte, seit ihr beide vor dreizehn Jahren von zu Hause verschwunden seid. Ich bin hier, weil ich sie endlich wiedersehen möchte.“

Cutty Grant schloss seine grünen Augen, und seine Miene wurde hart. Dann öffnete er die Lider wieder und seufzte tief. Er deutete auf einen Stuhl und sagte: „Setzen wir uns.“

Kira ahnte, dass nichts Gutes kommen würde, und umklammerte ihre Handtasche so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. Sie nahm eine Stoffpuppe von einem Schaukelstuhl, umschlang sie mit beiden Armen und setzte sich. Cutty Grant ließ sich auf dem einzigen freien Platz des Sofas nieder und legte seinen Gipsfuß auf ein Kissen auf dem Couchtisch davor.

Lange sprach er kein Wort und sah Kira auch nicht an. Stattdessen richtete er den Blick auf den Stock, den er quer über seine Beine gelegt hatte.

Plötzlich fiel Kira auf, dass hier zwar eine Menge Sachen von Kleinkindern und von Cutty selber herumlagen. Nichts wies jedoch darauf hin, dass ihre Schwester oder ihr Neffe ebenfalls hier lebten. Trotzdem hoffte sie wider besseres Wissen, dass Cutty gleich sagen würde, Marla und er wären geschieden. Marla würde mit ihrem Sohn woanders wohnen und er wäre Witwer mit zwei Töchtern, weil seine zweite Frau …

„Es tut mir aufrichtig leid“, sagte er in diesem Moment, und Kira wurde es ganz elend.

„Marla und ich hatten einen kleinen Jungen“, fuhr er fort. „Deine Eltern wussten davon. Deshalb müsstest du es ebenfalls erfahren haben.“

„Ja, das habe ich“, bestätigte Kira zögernd.

„Dann hast du wahrscheinlich auch erfahren, dass er autistisch war.“

Das war neu für sie. „Nein, das wusste ich nicht. Ich hatte nur zufällig von der Geburt des Babys erfahren, weil ich mitbekam, wie meine Mutter es meinem Vater sagte. Die beiden hatten Marla so gründlich verstoßen, dass ich nicht einmal ihren Namen erwähnen durfte. Anschließend habe ich sie nie wieder über meine Schwester oder das Kind reden hören.“

„Anthony. Wir hatten unseren Sohn Anthony genannt.“ Der Schmerz in seiner Stimme war unüberhörbar.

„Ich hoffe nur, dass es nicht so schlimm ist, wie es scheint“, sagte Kira, als die Stille nicht enden wollte.

Cutty Grant schüttelte langsam den Kopf, um ihr zu zeigen, dass sie vergeblich hoffte. „Es geschah vor siebzehn Monaten. An einem Februartag, es war bereits schönes Frühlingswetter. Deshalb nahm Marla Anthony mit in den Vorgarten, damit er ein bisschen frische Luft bekam. Aus irgendeinem Grund lief er zwischen zwei Wagen, die am Straßenrand geparkt waren. Ein Laster kam heran, schneller als erlaubt. Der Fahrer sah Anthony nicht. Auch nicht Marla, die ihm nacheilte …“ Cutty brachte die Worte kaum heraus. „Der Laster erfasste alle beide.“

„Marla ist tot?“, flüsterte Kira.

„Ja. Es tut mir leid.“

„Und Anthony?“

„Er wurde auf der Stelle getötet.“

Durch ihre Tränen hindurch sah Kira, dass die Augen des Mannes ihr gegenüber eben falls feucht geworden waren. Trotzdem konnte sie den anklagenden Ton in ihrer Stimme nicht verhindern. „Und du hast es uns nicht wissen lassen?“

Einen Moment blitzten seine grünen Augen verärgert. Dann antwortete er tonlos: „Marla lebte nach dem Unfall noch ein paar Stunden. In der kurzen Zeit, die sie bei Bewusstsein war, bat sie mich, ihren Vater nicht anzurufen. Sie wollte ihn nicht an ihrer Seite haben. Ich habe ihren Wunsch respektiert.“ Es war klar, dass es ihm nicht schwer gefallen war, Marla diesen Wunsch zu er füllen. Auch er wollte Tom Wentworth hier nicht sehen.

„Aber ich hätte es wissen wollen“, sagte Kira und verlor den Kampf gegen ihre Tränen. Sie rollten ihre Wangen hinab.

Cutty Grant stand auf. Er humpelte aus dem Zimmer, kehrte mit einer Schachtel Papiertücher zurück und hielt sie ihr hin.

Kira bedankte sich geistesabwesend. Sie trocknete ihre Augen und kämpfte gegen die Gefühle, die sie durchströmten.

„Falls es ein Trost für dich ist …“, sagte Cutty. Er stellte die Schachtel auf den Tisch und setzte sich wieder. „Marla hat es immer bedauert, dass ihr euch nicht mehr sehen konntet, nachdem wir durchgebrannt waren.“

Natürlich war es kein Trost. Es stillte nicht den jahrelangen Schmerz darüber, dass Marla ihr furchtbar gefehlt hatte. Immer wieder hatte sie sich gefragt, wo ihre große Schwester sein könnte. Sie hatte gewünscht, sie könnte Marla anrufen oder ihr wenigstens schreiben. Sie hatte sich danach gesehnt, sie zu besuchen, damit sie wieder Schwestern wären. Auch als sie erwachsen war und ihr eigenes Leben führte, hatte sich nichts an dieser Sehnsucht daran geändert.

„Ich habe versucht, sie zu finden“, sagte Kira unter Tränen und verstand nicht recht, weshalb es ihr plötzlich wichtig war, dass Cutty es erfuhr. „Meine Eltern sagten, sie hätten keine Ahnung, wo sie sei.“

„Das war gelogen.“

Kira hatte es befürchtet. Aber das brauchte Cutty nicht zu wissen. „Ich ging zu drei Privatdetektiven, aber ich konnte mir deren Honorar nicht leisten. Auch im Internet habe ich es versucht. Doch es kam nichts dabei heraus.“ Sie machte eine kurze Pause. „Natürlich weiß ich, dass Marla und ich nicht blutsverwandt waren. Sie stammte aus der ersten Ehe meines Stiefvaters. Aber trotzdem war sie meine Schwester. Seit meinem dritten Lebensjahr hatten wir uns ein Zimmer geteilt. Uns verband etwas ganz Besonderes, und ich habe sie immer als Vorbild …“ Sie sprach nicht weiter.

Doch Cutty nahm den Faden auf. „Weiß dein Vater, dass du hier bist?“

Endlich versiegten Kiras Tränen. „Mom und er kamen letztes Jahr bei einem Unfall ums Leben. Sie waren auf der Heimfahrt von einem Ausflug in die Berge, als sich ein Felsen löste. Er stürzte direkt auf ihren Wagen. Beide waren auf der Stelle tot.“

„Das tut mir sehr leid“, sagte Cutty. „Deine Mutter war eine nette Frau.“

Das traf zu. Leider war sie zu nett gewesen, um sich gegen den starken Willen ihres Ehemanns durchzusetzen. Jenen Mann, der ihre dreijährige Tochter adoptiert hatte.

Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Kira war in der Hoffnung nach Northbridge gekommen, sich mit ihrer Schwester zu versöhnen. Eine Familie zu finden. Plötzlich wurde ihr klar, dass ihre einzige Chance in den Zwillingen bestand.

„Im Zeitungsartikel stand, dass du achtzehn Monate alte Zwillinge hast“, sagte sie.

„Ja, sie schlafen oben“, bestätigte Cutty, und seine Stimme klang ein wenig lebhafter.

„Sind die beiden … Marlas Kinder?“

„Ja. Sie waren keine drei Wochen alt, als der Unfall geschah.“

„Meine Nichten“, sagte Kira leise. Blutsverwandt oder nicht, sie fühlte sich mit ihnen verbunden.

„So ist es“, gab Cutty zu.

„Ich würde sie gerne kennenlernen. Darf ich sie sehen?“, fragte Kira aufgeregt.

Die Falte zwischen den Augenbrauen kehrte zurück. Offensichtlich gefiel Cutty diese Bitte überhaupt nicht. „Wie ich bereits sagte – sie schlafen schon.“

„Ich weiß. Aber …“

Plötzlich nahm sie die Unordnung im Raum wieder wahr, und ihr kam eine Idee. „Wie wäre es, wenn ich die Frau ersetze, mit der du vorhin telefoniert hast?“, fragte sie.

„Betty? Weshalb solltest du Bettys Platz einnehmen?“, antwortete Cutty verwirrt.

„Du hast erzählt, dass sie sich normalerweise um die Zwillinge und den Haushalt kümmert. Da du deinen Fuß nicht belasten darfst, steckst du offensichtlich in der Klemme. Ich würde gern einspringen und dir helfen. Auf diese Weise könnte ich die Kleinen kennenlernen und eine Beziehung zu ihnen aufbauen.“

Ja, je länger Kira darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr der Vorschlag.

Nach seiner Miene zu urteilen, schien Cutty ihre Begeisterung nicht zu teilen. „Hast du keinen Job oder einen Ehemann oder Freund, zu dem du zurückkehren musst?“

„Nein. Ich habe im Mai meinen Doktor in Mikrobiologie gemacht und arbeite ab nächstem Semester an der Universität von Colorado als Dozentin. Das Semester beginnt erst in der letzten Augustwoche. Bis dahin habe ich keine anderen Pläne. Also habe ich Zeit.“

„Kein Ehemann oder Freund, der auf dich wartet?“, fragte er. Kira konnte nicht erkennen, ob er nach einer Ausrede suchte oder die eigene Neugier befriedigen wollte.

„Nein, weder noch. Ich habe nur eine enge Freundin – Kit. Sie wird sich bestimmt gern um meine Post und meine Pflanzen kümmern. Ich kann also problemlos bleiben.“

„Du willst wirklich deine Sommerferien damit verbringen, hinter uns herzuräumen und Windeln zu wechseln?“, fragte Cutty misstrauisch.

„Ja, das möchte ich“, antwortete Kira und ärgerte sich, wie drängend ihre Stimme klang. „Allerdings habe ich nicht viel Erfahrung mit Kindern“, gestand sie. Es war nur fair, wenn Cutty wusste, worauf er sich einließ. „Aber was das Saubermachen betrifft …“

„Da bist du sicher von Tom Wentworth erzogen worden“, ergänzte er. „Ich weiß nicht recht. Ein bisschen Lässigkeit ist mir lieber.“

„Ich kann auch lässig sein.“ Allerdings war ihr nicht ganz klar, was lässige Haushaltsführung und Kinderpflege bedeutete.

Cutty schien immer noch nicht überzeugt. Er sah aus, als würde er ihren Vorschlag jeden Moment ablehnen.

Weshalb? Es war unübersehbar, dass er Hilfe brauchte. Es sei denn, er hegte immer noch einen Groll gegenüber ihrer

Familie wegen der Vorfälle vor dreizehn Jahren, als er zu ihren Eltern gekommen war und ihnen gestanden hatte, dass ihre siebzehnjährige Tochter von ihm schwanger war.

„Hör zu, ich habe nichts mit dem zu tun, was zwischen dir und meinem Vater passiert ist“, begann sie. „Ich erinnere mich, wie ausfallend er geworden ist. Er schickte mich damals in mein Zimmer. Aber ich versteckte mich auf der Treppe und hörte zu. Er war ein schwieriger Mensch …“

„Das ist aber eine gewaltige Untertreibung. Er war ein Tyrann.“

Kira bestritt es nicht. „Niemand kann die Vergangenheit ändern, und jetzt ist er tot, und Marla ist es ebenfalls. Aber es gibt die Zwillinge – und mich. Ich kann all die Jahre, die ich mit Marla und Anthony hätte verbringen können, nicht zurückholen. Aber ich könnte eine Zukunft mit den Zwillingen haben, wenn du mich lässt.“

Sie verabscheute den flehenden Ton, der sich in ihre Stimme geschlichen hatte.

Cutty schien der Ton ebenfalls nicht zu gefallen, denn er ballte die Fäuste, und seine Stimme wurde plötzlich hart. „Ich bin nicht der schlechte Kerl, für den dein Vater mich hielt. Der dich daran hindern würde, deine Nichten kennen zu lernen. Mir ist klar, dass du damals noch ein halbes Kind warst und nichts damit zu tun hattest.“

„Dann darf ich bleiben?“

Er antwortete nicht sofort. Sie merkte, dass er ungern nachgab, obwohl er dringend Hilfe brauchte. „Also gut, wir können es ja versuchen“, sagte er endlich.

Kira war überglücklich und lächelte breit. „Soll ich gleich anfangen?“, fragte sie mit einem Blick auf die Unordnung ringsum.

„Das hat Zeit bis morgen früh.“

In diesem Fall war es wahrscheinlich besser, wenn sie das Haus verließ, bevor er es sich wieder anders überlegte.

„Gut, dann mache ich mich jetzt wieder auf den Weg, um noch ein Hotelzimmer für die Nacht zu finden. Ich werde gleich morgen früh wieder hier sein.“

Erneut entstand eine Pause, und er schien über etwas nachzudenken.

„Wenn du keinen Wert auf besonderen Komfort legst, kann du gern hinten schlafen, wo Maria und ich früher gewohnt haben. Mein Onkel hatte die Garage zu einem Apartment für uns ausgebaut. Normalerweise vermiete ich es an Collegestudenten. Aber weil jetzt Ferien sind, steht es leer.“

„Das wäre wunderbar“, antwortete Kira. „Wahrscheinlich ist es sogar besser, wenn ich in der Nähe bin.“

Cutty wirkte nicht gerade überzeugt, enthielt sich aber einer Antwort.

Kira holte ihren Koffer aus dem Wagen, und er führte sie durch die Küche, die allein schon eine Katastrophe war, in einen kleinen Garten mit der ehemaligen Garage an der Rückseite.

Sie überquerten den Rasen, und Cutty öffnete die Tür und drückte auf den Schalter. Drei Lampen gingen gleichzeitig an und beleuchteten das Studio-Apartment.

Die Schlafecke bestand aus einem Doppelbett und einem Schrank. Ein kleines Sofa mit passendem Sessel, ein Couchtisch und ein Fernseher dienten als Wohnbereich. Einige Küchenschränke, ein Spülbecken, ein zweiflammiger Herd mit winzigem Backofen, ein Kühlschrank und ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen bildeten die Küche.

„Die Tür neben dem Kleiderschrank führt ins Bad“, erklärte Cutty. „Darin ist eine Dusche. Der Boiler ist ziemlich klein. Wenn du eine Menge Geschirr gespült hast, musst du eine halbe Stunde warten, bis du duschen kannst.“

„Ich komme schon zurecht, danke.“

Sie machte es ihm doch so leicht. Warum schaute Cutty dann schon wieder so zweifelnd drein? Als wäre ihm diese Regelung im Grunde nicht recht. Doch er sagte nichts.

Stattdessen fuhr er fort: „Die Mädchen wachen normalerweise gegen sieben Uhr auf.“

„In Ordnung. Ich werde kurz vorher drüben sein.“

Cutty nickte. „Handtücher sind im Badezimmer, Laken im Schrank. Falls du sonst vor morgen früh noch etwas brauchst …“

„Das glaube ich kaum.“

Er nickte erneut. „Dann gute Nacht.“ Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum.

Kira blickte ihm nach. Normalerweise gehörte die Kehrseite nicht zu den Körperteilen, auf die sie bei einem Mann achtete. Bei Cutty genügte ein einziger Blick, um festzustellen, dass es ein tolles Hinterteil war.

Das tolle Hinterteil eines tollen Körpers mit einem tollen Gesicht und tollem Haar.

Nicht, dass es eine Rolle spielt, ermahnte Kira sich rasch. Sie war nur wegen der Zwillinge hier. Alles, was Cutty Grant betraf, war reine Zugabe.

Eine Zugabe, die sie nicht aus den Augen ließ, bevor er in seinem Haus verschwunden war.

2. KAPITEL

Cutty brauchte an diesem Mittwoch lange, bevor er endlich einschlief. Als er am nächsten Morgen vor Anbruch der Dämmerung erwachte, kehrten seine Gedanken sofort zu dem Grund zurück, der ihn vom Schlaf abgehalten hatte. Und der hieß Kira Wentworth.

Ihr plötzliches Auftauchen hatte ihn tief erschüttert. Er hatte nicht erwartet, jemals wieder jemand aus der Familie Wentworth zu sehen. Nicht nach so vielen Jahren, in denen er für Tom Wentworth eine absolut unerwünschte Person gewesen war.

Autor

Victoria Pade
Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...
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