Lass die Liebe nicht warten

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Zwei Menschen sind eine Familie! Davon ist Jenna überzeugt, seit sie ihre Nichte adoptiert hat. Wenn es ihr jetzt noch gelingt, ihre Farm zu retten, dann wäre alles gut. Aber dafür braucht sie den attraktiven Ian Kincaid. Und der findet, dass zu einer Familie drei gehören …


  • Erscheinungstag 16.05.2016
  • Bandnummer 16
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774196
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Oh, sieh mal! Hier hat meine Mutter also J. J.s Prinzessinnenkostüm versteckt!“, rief Jenna Bowen, als sie das kleine, mit Rüschen verzierte Kostüm ganz hinten in dem Flurschrank entdeckte, den sie gerade ausräumte.

„An das Halloween erinnere ich mich“, sagte Meg Perry-McKendrick.

Jenna kniete vor dem Schrank, während ihre beste Freundin seit Kindertagen ihr eine Mülltüte und einen Karton hinhielt, damit Jenna entscheiden konnte, was weggeworfen und was gespendet werden sollte.

Jenny hielt das Kostüm hoch.

„Damals waren wir sechzehn“, fuhr Meg fort. „Wir hatten erst seit ein paar Wochen unseren Führerschein, und unsere Eltern wollten uns an dem Abend nicht das Auto geben, weil sie Angst hatten, dass wir eines der umherziehenden Kinder überfahren. Wir konnten das nicht verstehen. Wie alt war J. J. damals? Vier?“

„Ja, vier“, bestätigte Jenna. „Und anstatt durch die Gegend zu fahren, mussten wir mit J. J. von Haus zu Haus gehen. Sie war so süß und wollte ihr Kostüm selbst dann noch tragen, als Halloween längst vorbei war. Irgendwann hatte unsere Mutter genug, weil sie es nur über Nacht waschen durfte. Eines Morgens hat sie J. J. erzählt, dass die Waschmaschine das Kostüm gefressen hat. Ich dachte immer, sie hat es weggeworfen, aber offenbar hat sie es nur versteckt.“

„Bestimmt hatte sie Angst, dass J. J. sich strikt weigern würde, etwas anderes zu tragen. Deshalb hat sie es aufgehoben“, erwiderte Meg.

„J. J. ist daraufhin den ganzen Tag im Schlafanzug herumgelaufen“, erzählte Jenna.

„Sie war sehr willensstark“, erinnerte sich Meg. „Sollen wir das Kostüm für Abby aufheben? Meinst du, sie wird auch mal eine Prinzessin sein wollen?“

„Ich muss alles wegwerfen, was Abby und ich nicht unbedingt brauchen. Außerdem ist es so oft gewaschen worden, dass es schon ganz dünn ist.“

Meg nahm ihr das Kostüm ab und stopfte es in den Müllbeutel.

Jenna kroch in den Schrank und griff nach einem Stapel alter Pullover. „Das sind die von meiner Mutter. Die können in die Altkleidersammlung“, sagte sie und half Meg, die sehr großen, sehr weiten Pullover zusammenzulegen.

„Abby sieht genauso aus wie J. J. als Baby, nicht wahr?“

„Ja, wie aus dem Gesicht geschnitten.“

J. J. stand für Joanna Janeane. Ihre Mutter hatte sie spät und ungeplant bekommen. Abby war J. J.s fünfzehn Monate alte Tochter.

Das Baby schlief in Jennas Zimmer im oberen Stockwerk des alten Farmhauses, in dem vier Generationen der Bowens gelebt hatten. Jennas Großvater hatte es gebaut und ihrem Vater zusammen mit der kleinen Farm vererbt. Sie und Meg waren bei J. J.s Geburt beide zwölf gewesen, hatten oft genug auf ihre kleine Schwester aufgepasst und wussten daher genau, wie J. J. als Baby ausgesehen hatte.

„J. J. war ein wunderschönes Baby“, sagte Jenna und wehrte sich gegen die Trauer, die sie jedes Mal befiel, wenn sie an ihre Schwester dachte.

„Ja, das war sie.“

„Aber bisher scheint Abby nicht ganz so trotzig zu sein.“

„Mmh. Hoffen wir für dich, dass Tia sie nicht ansteckt“, antwortete Meg lachend.

„Trotzdem freue ich mich darauf, mit dir zusammen zwei kleine Mädchen großzuziehen. Ich hätte nie gedacht, dass es mal dazu kommt.“

Seit ihrer Heirat war Meg die Stiefmutter der dreijährigen Tia McKendrick. Jenna war nach ihrer Scheidung und dem Tod ihrer jüngeren Schwester und beider Eltern nach Northbridge, ihre kleine Heimatstadt in Montana, zurückgekehrt und hatte ihre Nichte adoptiert. Bei aller Trauer war sie erleichtert, wieder zu Hause zu sein, Abby bei sich zu haben und in der Nähe ihrer besten Freundin zu leben.

„Hast du dich schon entschieden, ob du eine Wohnung an der Main Street mietest oder das Gästehaus der alten Mrs Wilkes übernimmst, falls wir die Farm nicht halten können?“, fragte Meg.

„Dann nehme ich das Gästehaus“, antwortete Jenna. „Es ist zwar winzig, aber es hat zwei Schlafzimmer und einen kleinen Garten, in dem Abby spielen kann. Außerdem überlässt Mrs Wilkes es mir sehr günstig. Dafür schaue ich jeden Tag nach ihr, messe ihren Blutdruck und achte darauf, dass sie ihre Medikamente …“

„Du willst nicht nur im Krankenhaus arbeiten, noch dazu im Schichtdienst, sondern auch zu Hause Krankenschwester spielen?“

„Das macht mir nichts aus. Die niedrige Miete erlaubt es mir, ein paar Schulden abzutragen und für ein eigenes Zuhause zu sparen. Mrs Wilkes liebt Abby, und Abby liebt sie. Ich glaube, sie erinnert Abby an meine Mutter. Es ist für alle die beste Lösung und wird schon funktionieren“, schloss Jenna und versuchte, zuversichtlich zu klingen.

Aber Meg kannte Jenna und ihre Situation gut genug, um zu ahnen, wie sie sich wirklich fühlte. „Vielleicht kommen ja genug Spenden zusammen, und du kannst die rückständigen Steuern bezahlen oder wenigstens bei der Auktion mitbieten“, sagte sie und versuchte, ihrer Freundin etwas Hoffnung zu machen.

„Ja, vielleicht“, sagte Jenna und quittierte Megs Optimismus mit einem matten Lächeln, obwohl sie beide wussten, wie unwahrscheinlich das war. Sonst würden sie jetzt nicht zusammenpacken.

Den Bowen Farm Fund hatte ein alter Freund ihres Vaters eingerichtet, um Geld für die Rettung der Farm zu sammeln. Aber dazu brauchten sie vierzigtausend Dollar, und wenn sie diese Summe nicht aufbrachten, würde jeder Spender sein Geld zurückerhalten. Bisher war nicht annähernd genug zusammengekommen.

„Oder …“, begann Meg.

„Nein“, unterbrach Jenna sie scharf, denn sie wusste, was ihre Freundin sagen wollte.

Meg sprach es trotzdem aus. „Oder du verkaufst an die Kincaid Corporation und kannst nicht nur die Steuerschulden begleichen, sondern auch ein Haus mit drei Schlafzimmern kaufen.“

Jenna schüttelte den Kopf. „Ich habe auch so schon genug Schuldgefühle. Ich will den Letzten Willen meines Vaters respektieren.“

Meg antwortete nicht. Stattdessen blickte sie über Jennas Kopf hinweg zum Wohnzimmerfenster, als hätte sie dahinter etwas bemerkt. „Da wir gerade vom Teufel sprechen … na ja, nicht, dass ich Ian Kincaid für den Teufel halte … im Gegenteil, er ist echt toll.“

Jenna drehte sich um, schaute ebenfalls hinaus und sah die örtliche Maklerin Marsha Pinkell. Und einen Mann.

Seltsamerweise war es das erste Mal, dass sie Ian Kincaid zu Gesicht bekam.

Obwohl er und sein Zwillingsbruder in Northbridge geboren worden waren, hatte er eine komplizierte Beziehung zu der Kleinstadt. Ian war der Bruder von Chase Mackey, dem Geschäftspartner von Megs Ehemann bei Mackey and McKendrick Furniture Designs.

Dreißig Jahre zuvor hatte ein Verkehrsunfall am Rand von Northbridge Chase, Shannon, die Zwillinge Ian und Hutch und eine Halbschwester zu Waisenkindern gemacht. Die Halbschwester war zu ihrem leiblichen Vater gekommen, Chase zu einer Pflegefamilie, Shannon und die Zwillinge waren von zwei Ehepaaren adoptiert worden, die wenig später Northbridge verlassen hatten.

Nur die Halbschwester war alt genug, um sich daran zu erinnern, dass sie Brüder und eine Schwester hatte. Damit ihr Kind bei einem Blutsverwandten aufwachsen konnte, hatte sie nach ihren Geschwistern gesucht und Chase gefunden. Chase wiederum hatte Shannon aufgespürt, und zusammen hatten sie Hutchs und Ians Aufenthaltsort ermittelt.

Hutch war noch nicht aufgetaucht, aber Jenna hatte von Meg erfahren, dass Ian kurz nach Jahresbeginn mehrmals in Northbridge gewesen war, um Chase und Shannon kennenzulernen.

Das geschah zu der Zeit, als Jennas Vater gestorben war und Jenna die Farm zum Verkauf anbieten musste, um eine Zwangsversteigerung durch die Steuerbehörde zu verhindern.

Seit Januar hatte Ian Kincaid sich zusammen mit der Maklerin die Farm einige Male angesehen, um sie eventuell zu kaufen, aber Jenna war nie zu Hause gewesen und ihm auch nie in der Stadt über den Weg gelaufen.

Jenna hatte sich neben der Schichtarbeit im Krankenhaus um ihren Vater gekümmert. Danach hatte sie sich nur seinen Tod, sondern auch das finanzielle Chaos verkraften müssen, das er hinterlassen hatte. Außerdem hatte sie das Sorgerecht für Abby übernommen und das komplizierte und langwierige Adoptionsverfahren bewältigt. Bisher hatte sie kaum Zeit zum Luftholen gehabt.

Trotzdem war es seltsam, dass sie dem Mann, über den ganz Northbridge sprach und diskutierte, noch nie begegnet war. Dem Mann, der ihre Farm kaufen wollte. Dem Mann, an den sie ihr Erbe auf gar keinen Fall verlieren wollte.

Dem Mann, der jetzt an ihrer Gartenpforte stand. Mit seinen eins neunzig und der athletischen Figur ähnelte er Chase Mackey, war allerdings etwas größer und sah noch besser aus.

„Wow“, entfuhr es ihr.

Meg lachte. „Ich weiß“, sagte sie. Eine Erklärung war vollkommen überflüssig.

Da er nicht durchs Wohnzimmerfenster sah, sondern das Haus betrachtete, merkte er nicht, dass er beobachtet wurde. Mehr als das, denn Jenna musterte ihn ausgiebig.

Anzughose, Button-down-Hemd und Sakko konnten nicht verbergen, dass er breite Schultern, einen straffen Bauch, schmale Hüften und lange Beine hatte.

Und oberhalb der breiten Schultern?

Die Ähnlichkeit mit Chase Mackey war nicht zu übersehen. Allerdings war sein Kinn kantiger. Die Unterlippe war etwas voller als die obere, das hellbraune Haar so wellig wie Chases, auch wenn er es kürzer trug. Und die Augen …

Oh, was für Augen!

Chase Mackeys waren himmelblau.

Das Blau in Ian Kincaids Augen glich dem eines Himmels, der sich in einem zugefrorenen Teich spiegelte …

„Wow“, hörte Jenna sich zum zweiten Mal murmeln, als ihr bewusst wurde, wie atemberaubend der Mann aussah.

Meg lachte wieder. „Hallo? Jenna Bowen? Soll ich dir kaltes Wasser über den Kopf gießen?“

„Nein. Du hast recht, er ist und bleibt der Feind“, erwiderte Jenna blinzelnd.

„Er ist weder der Feind noch der Teufel, sondern einfach nur ein toller Typ, der …“

„… der die Farm meines Vaters übernehmen und in ein Trainingszentrum für Footballspieler verwandeln will.“

„Du hast gesagt, dass du dich damit abgefunden hast.“

„Ich versuche es“, verbesserte Jenna. Aber das bedeutete nicht, dass sie sich von dem Mann den Kopf verdrehen ließ.

„Warum gehen wir nicht hinaus, damit ich euch miteinander bekannt machen kann?“, schlug Meg vor.

Warum fragte sich Jenna auf einmal, wie sie aussah? Weshalb war es wichtig, ob ihr langes, braunes Haar noch zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebunden oder die Mascara an ihren grünbraunen Augen verschmiert war? Wieso störte es sie plötzlich, dass sie ausgebeulte Jeans und ein viel zu weites T-Shirt trug?

Es sollte ihr eigentlich nichts ausmachen.

Aber das tat es trotzdem.

„Ich sehe schrecklich aus“, sagte sie, als hätte sich Megs Vorschlag damit erledigt.

„Nein, tust du nicht. Du siehst gut aus“, widersprach ihre Freundin.

Aber irgendwie war gut nicht genug für die erste Begegnung mit einem Mann, der ihr Herz schneller schlagen ließ.

„Komm schon“, drängte ihre Freundin. „Tia und Abby lieben ihn und …“

„Abby kennt ihn?“

„Ja, natürlich. Er hat seinen Bruder oft besucht, wenn ich gerade ihr Babysitter war.“

Obwohl Meg auf Abby aufpasste, während Jenna arbeitete, und Ian Kincaid bei seinen Besuchen in der Wohnung über der Garage übernachtete, war Jenna ihm noch nie begegnet.

„Tia und Abby sind bis über beide Ohren in ihn verliebt“, fuhr Meg fort. „Tia malt ihm Bilder, macht ihm schöne Augen und folgt ihm wie ein Hündchen. Abby streckt die Arme nach ihm aus, sobald sie ihn sieht, und will von ihm getragen werden. Sie nennt ihn Onk und umarmt und küsst ihn ohne jede Vorwarnung. Es ist so süß!“

Er verzaubert mit seinem Aussehen also nicht nur große, sondern auch kleine Mädchen, dachte Jenna. „Stimmt das? Mag Abby ihn wirklich?“

„Sie himmelt ihn an. Und er ist immer freundlich zu ihr. Und zu Tia auch. Ich weiß, dir gefällt nicht, dass er die Farm in etwas anderes umwandeln will, aber eigentlich ist er kein übler Kerl. Du solltest ihn kennenlernen.“

Offenbar blieb ihr keine andere Wahl.

Die Maklerin schaute durchs Wohnzimmerfenster und winkte Jenna und Meg zu. Dann sagte sie etwas zu Ian Kincaid, woraufhin er fröhlich lachte, und die beiden gingen zur Haustür. Die Maklerin klopfte kurz, bevor sie die Köpfe hereinstreckten.

„Hi! Ich führe Mr Kincaid herum, weil er noch ein paar Fragen hat!“, rief Marsha Pinkell. „Dürfen wir reinkommen?“

Nein, dachte Jenna, sprach es aber nicht aus. Schließlich konnte sie der Maklerin, die sie mit dem Verkauf der Farm beauftragt hatte, schlecht den Zutritt verweigern. „Natürlich.“

„Hallo, Ian“, begrüßte Meg den Mann lächelnd.

„Hallo, Meg“, erwiderte er ebenso umgänglich. „Logan hat mir gesagt, dass ich dich vielleicht hier treffe.“

„Das ist Jenna“, sagte sie. „Jenna Bowen. Meine beste Freundin und nicht nur Abbys Tante, sondern auch ihre neue Mom.“

„Und die Eigentümerin dieser Farm. Ich kenne den Namen“, fügte Ian Kincaid hinzu und sah Jenna an. „Ich weiß, dass Ihr Vater vor gar nicht so langer Zeit gestorben ist. Das tut mir wirklich sehr leid.“

„Danke“, antwortete Jenna unwillkürlich und wehrte sich gegen die Wirkung, die sein durchdringender Blick auf sie hatte. Seine eisblauen Augen strahlten sie an, und wieder wünschte sie, sie hätte etwas anderes angezogen und sich mehr Zeit für ihr Haar genommen.

„Marsha hat mir erzählt, dass Sie – zu Ehren Ihres Vaters – darauf bestehen, dass die Farm als landwirtschaftlicher Betrieb erhalten wird“, fuhr er fort.

„Das stimmt“, bestätigte Jenna, denn sie sah keinen Grund, drum herumzureden. „Und ich weiß, dass Sie mit der Farm etwas ganz anderes vorhaben. Ihr Vater hat ein Footballteam nach Montana geholt und möchte hier ein modernes Trainingszentrum ansiedeln.“

„Die Montana Monarchs“, erklärte Ian, als hätte sie den Namen der Mannschaft nicht längst gehört. „Sie haben recht. Mein Vater ist Morgan Kincaid. Er hat immer davon geträumt, ein NFL-Team zu besitzen, jetzt hat er eins, und deshalb brauchen wir ein Trainingsgelände. Wir feilschen nicht, sondern zahlen den Preis, den Sie verlangen. Vorausgesetzt, Sie streichen die Klausel über die Erhaltung der Farm aus dem Vertrag.“

„Nein, das kommt nicht infrage, für kein Geld der Welt. Falls es zu einer Versteigerung kommen sollte, kann der Käufer mit der Farm machen, was er will, das ist mir klar. Aber solange mir noch eine Wahl bleibt, halte ich an der Bedingung fest.“

Ian war höflich und respektvoll, aber Jenna wusste, dass er ein hohes Tier im Konzern seines Vaters und einer der zukünftigen Erben war. Sie dagegen war nur eine Kleinstadtkrankenschwester, noch dazu hoch verschuldet.

„Was halten Sie davon, wenn wir Ihnen entgegenkommen und fünftausend mehr zahlen?“, fragte er.

„Jetzt feilschen Sie doch“, entgegnete sie und konnte einen spöttischen Ton nicht unterdrücken.

Dass er lächelte, ehrte ihn. „Feilschen bedeutet, dass ich den Preis zu drücken versuche. Ich dagegen biete Ihnen mehr, als Sie fordern.“

„Das können Sie gar nicht, denn an Sie verkaufe ich für kein Geld der Welt“, entgegnete Jenna. Gegen ihren Willen genoss sie den Wortwechsel mit ihm fast so sehr wie damals den Debattierklub in der Highschool.

„Wie wäre es mit zehntausend?“

Jenna lachte fröhlich. Sie hatte keine Ahnung, ob er das Angebot ernst meinte, aber es gefiel ihr, sich von ihm herausfordern zu lassen. Dann schüttelte sie den Kopf. „Kein Geld der Welt“, sagte sie zum dritten Mal. „Ich muss die Farm verkaufen, aber die Klausel ist nicht verhandelbar.“

„Ich kann ziemlich überzeugend sein …“

Daran zweifelte sie nicht. Sie brauchte ihm nur in die blauen Augen mit den Lachfältchen zu schauen, und schon kam es ihr vor, als hätte er vergessen, dass sie beide nicht allein waren. „Überzeugend oder nicht, in diesem Punkt bleibe ich hart“, beharrte sie.

„Hmm … Vielleicht muss ich mir nur überlegen, wie ich Sie erweichen kann …“

„Viel Glück dabei“, erwiderte sie, als wäre sie immun gegen alles, was er sich einfallen ließ. Selbst gegen seine Flirtversuche.

Ian Kincaid lachte, aber nicht laut und siegessicher, sondern leise und so, als würden sie ein kleines Geheimnis miteinander teilen.

Obwohl sie sich dagegen wehrte, konnte Jenna sich nicht der Wirkung entziehen, die Ian Kincaid auf sie ausübte. Aber vielleicht ist genau das seine Methode, alles zu bekommen, was er will, dachte sie. Dass es ausgerechnet zwischen ihnen beiden knisterte, war eine absurde Vorstellung, aber es fühlte sich so an.

Er sah sie noch einen Moment lang an, bevor er einen Blick auf den geöffneten Kleiderschrank warf. „Wir sollten Sie und Meg nicht länger von der Arbeit abhalten“, sagte er und klang fast bedauernd.

„Ja, Meg kann nicht mehr lange bleiben, deshalb muss ich jede Minute nutzen.“

„Ich habe mich gefreut, Sie endlich kennenzulernen, Jenna“, sagte Ian Kincaid, als würde er es ernst meinen.

„Ja, ich auch.“

Es hatte einfach nur so höflich klingen sollen wie ihr Dank für seine Beileidsbekundung, aber irgendwie kam es ihr anders über die Lippen. Ganz anders sogar. So, als würde sie sich tatsächlich über seinen Besuch freuen.

Konnte das sein? Freute sie sich, den Mann kennenzulernen, der höchstwahrscheinlich schuld daran sein würde, dass sie den letzten Wunsch ihres Vaters nicht erfüllen konnte?

Unmöglich.

Jenna verstand nicht, warum Ian ihr trotzdem sympathisch war.

Doch als er sich umdrehte und mit der Maklerin das Haus verließ, sah sie ihm nach, und es fiel ihr schwer, ihn gehen zu lassen. Was um alles in der Welt war nur mit ihr los?

„Habe ich es nicht gesagt?“, flüsterte Meg. „Er ist wirklich nett, oder?“

„Nett anzusehen“, gab Jenna zu, während ihr Blick wie von selbst von seinen breiten Schultern zu den langen, muskulösen Beinen wanderte.

Ob sie es sich nun eingestand oder nicht, aber an Ian Kincaid gefiel ihr mehr als nur sein Äußeres.

So unvorstellbar es auch sein mochte, der Mann war ihr alles andere als unsympathisch …

2. KAPITEL

Am Sonntag war es für die Jahreszeit ungewöhnlich warm, und Ian beschloss, das gute Wetter zu nutzen und mit der Maklerin zur Bowen-Farm zu fahren.

Sie lag nicht weit vom Zuhause der Mackeys und McKendricks entfernt, wo er immer wohnte, wenn er nach Northbridge kam. Aber obwohl die beiden Anwesen praktisch benachbart waren, fuhr er nicht direkt dorthin, sondern unternahm vorher einen Abstecher in den Ort, um mit seinem Bruder Chase, dessen Frau Hadley und dem sieben Monate alten Cody an einem Pfannkuchenfrühstück der Kirchengemeinde teilzunehmen. Shannon und ihr zukünftiger Ehemann Dag McKendrick waren auch dabei.

Dass er sich hier mit seiner Familie treffen konnte, war einer der Gründe, warum Ian Northbridge als Standort des neuen Trainingszentrums der Montana Monarchs ausgesucht hatte.

Und auch, weil Hutch und er dort geboren waren. Ihre leiblichen Eltern waren in Northbridge gestorben, und dort hatte man ihn und seinen Bruder auch adoptiert. Aber er und Hutch waren kaum zwei Monate alt gewesen, als sie mit ihren Adoptiveltern fortzogen.

Dann hatte Ian irgendwann eine E-Mail von Chase und Shannon bekommen, die ihn darüber informierte, dass Hutch und er nicht die einzigen Geschwister waren. Er hatte Kontakt zu seiner verschollenen Schwester aufgenommen und sie so oft wie möglich hier besucht.

Northbridge war ideal für ein Trainingszentrum. Die Kleinstadt lag weit genug von Billings entfernt, um keine verlockenden Ablenkungen zu bieten, aber zugleich nahe genug, um für Spieler, deren Familien, Personal, Betreuer, Trainer und die Medien erreichbar zu sein. Außerdem gefiel Ian die Vorstellung, dass er als Manager der Monarchs viel Zeit dort verbringen würde, wo Chase, Shannon und Cody lebten.

Der Konflikt zwischen ihm und seinem Adoptivvater war beigelegt, und sie standen sich wieder nahe, genau wie er und seine Adoptivschwester Lacey. Doch bei ihm und seinem Zwillingsbruder Hutch lagen die Dinge leider anders. Sie hatten sich seit fünf, fast sechs Jahren nicht mehr gesehen oder gesprochen.

Vielleicht lag Ian auch deshalb so viel daran, den engen Kontakt zu seinen wiedergefundenen Angehörigen aufrechtzuerhalten. Wenn das Trainingszentrum in Northbridge gebaut wurde, würde er sie noch häufiger besuchen können. Sein Vater war mit seiner Entscheidung einverstanden, und in Northbridge gab es gleich zwei Standorte, die infrage kamen, nämlich die Farm der Bowens und eine etwas größere Immobilie, die einige Meilen außerhalb der Stadt lag.

Die Farm der Bowens hatte nicht nur die richtige Größe, sondern kostete auch weniger. Außerdem war das Gelände flacher. Auf dem Land der McDoogals hätte erst ein großer Hügel eingeebnet werden müssen, um Platz für die Spielfelder zu schaffen. Selbst wenn Jenna Bowen Ians Angebot von gestern annahm und zehntausend Dollar mehr verlangte, wäre der Preis immer noch niedriger als bei den McDoogals, denn sie hatte ihn niedrig angesetzt, um so schnell wie möglich verkaufen zu können.

Aber Jenna Bowen wollte ihr Zuhause unbedingt als Farm erhalten, selbst wenn sie damit riskierte, ihre Steuerschulden nicht rechtzeitig begleichen zu können. In dem Falle würden die Finanzbehörden es in zehn Tagen zwangsversteigern lassen. Das bedeutete, dass die Kincaid Corporation Jennas Besitz auf jeden Fall bekommen würde, denn bei einer Auktion würde er für einen Spottpreis den Eigentümer wechseln.

Dennoch passte es nicht zu dem positiven Image, auf das die Kincaid Corporation und die Monarchs großen Wert legten, die Farm bei einer Zwangsversteigerung zu kaufen.

Die Hälfte der Einwohner von Northbridge war strikt dagegen, Haus und Land der Bowens an eine Footballmannschaft zu veräußern, und wollte den Bowens helfen, das Land an jemanden zu verkaufen, der den letzten Wunsch des Farmers respektierte.

Für Ian war es eine echte Herausforderung, die Kritiker zu überzeugen, dass es ein Gewinn für die ganze Region war, die Montana Monarchs nach Northbridge zu holen. Aber er liebte Herausforderungen. Er würde ihnen zeigen, dass er ein ehrlicher und anständiger Geschäftsmann war, und ihnen klarmachen, dass auch sie von dem Trainingszentrum profitieren würden.

Bei Jenna Bowen musste er besonders behutsam vorgehen. Deshalb war es höchste Zeit gewesen, dass sie beide sich kennenlernten. Er hatte gehört, wie Meg ihrem Mann erzählte, dass Jenna sich auf der Farm aufhalten würde, und beschlossen, sich von der Maklerin dorthin begleiten zu lassen.

Aber da hatte er sie nicht zum ersten Mal gesehen. Bei seinen Besuchen in Northbridge wohnte er immer in dem Apartment über der Garage hinter dem Haus. Von dort oben hatte er hin und wieder mitbekommen, wie Jenna ihre kleine Tochter abholte.

Megs beste Freundin war eine Kleinstadtschönheit, wenn auch kein makelloser Modeltyp wie Chelsea Tanner, die Frau, mit der sein Vater ihn unbedingt verheiraten wollte. Jenna hatte nicht die kühle und unnahbare Ausstrahlung wie Chelsea, sondern wirkte natürlich und voller Wärme. Außerdem hatte sie eine Haut, die ihn an Pfirsiche mit Schlagsahne erinnerte, und jedes Mal, wenn er sie sah, musste er sich beherrschen. Zu gern hätte er gewusst, ob ihre Haut sich auch so anfühlte, wie sie aussah.

Ihr Haar war lang und wellig, ein schimmerndes Braun. Meistens trug sie es zu einem Pferdeschwanz gebunden, aber manchmal auch offen und so, wie es ihm am besten gefiel. Dann umrahmte es ihr Gesicht und fiel bis über die Schultern wie ein schimmernder Wasserfall aus heißer Schokolade. Und ihre Augen erst …

Das Grün ihrer Augen glich dem Funkeln verborgener Smaragde und gab Jenna etwas Geheimnisvolles.

Ihre Nase war schmal und nicht zu lang. Sie hatte pinkfarbene Lippen, perfekte weiße Zähne und rosige Wangen, die ihr eine reizvolle Natürlichkeit verliehen. Ihre Haltung ließ vergessen, dass sie nicht besonders groß war, höchstens eins sechzig.

Und der Körper?

Kurvenreich genug, um ihn davon träumen zu lassen, wie sie unbekleidet aussehen würde …

Aber das hatte Ian nicht zu interessieren!

Autor

Victoria Pade
Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...
Mehr erfahren