Verführer im Kettenhemd

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England im Jahr 1229. Er ist es – und er ist in Not! Mutig vertreibt Marguerite Studdal die Angreifer, die Savaric Fitz Leonard in die Enge getrieben haben. Nie hätte sie geglaubt, dass sie den Ritter mit den goldenen Augen wiedersieht. Vor zwei Jahren hat er ihr das Herz erst gestohlen und dann gebrochen! Eigentlich wollte sie nichts mehr mit ihm zu tun haben, auch wenn sie längst nicht mehr das verträumte Mädchen von damals ist, sondern inzwischen eine geschulte Spionin des Königs. Doch ab sofort muss sie mit dem Verführer im Kettenhemd zusammenarbeiten, um die Krone zu beschützen …


  • Erscheinungstag 15.04.2025
  • Bandnummer 425
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531610
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Kai von Billingsgate, London

Im Jahre 1229

Voller Ungeduld hauchte Savaric Fitz Leonard in seine kalten Hände und rieb sie kräftig aneinander. Die Geisterstunde brach bereits an, und es kam ihm vor, als warte er seit einer Ewigkeit auf den Frachter, der nun endlich durch den dichten Nebel brach, welcher die Themsemündung wie ein weiches Wolltuch verhüllte.

Bei Gott, das wurde auch Zeit! dachte er erleichtert, als das Schiff gemächlich auf den Kai zusteuerte. Ich fürchtete schon, auf dem steinernen Boden am Ende festzufrieren!

Der behäbige Küstenfahrer, der unerwartet spät im Londoner Hafen einlief, kam von der französischen Küste und sollte die stichhaltigen Beweise mit sich führen, die Savaric und seine Ritterbrüder Warin de Talmont und Nicholas D’Amberly für ihre Nachforschungen dringend brauchten. Dabei hoffte der junge Ritter, dass ihr Informant in Paris den Frachter auch korrekt bezeichnet hatte. Brächte nämlich ein anderes Schiff die benötigten Indizien nach England, würde er sich eine weitere nasskalte Nacht im Hafen um die Ohren schlagen müssen.

Denn es war höchste Zeit, die kriminalistischen Untersuchungen im Fall des „Drachengespanns“ wieder aufzunehmen, welche vor zwei Jahren zum Stillstand gekommen waren. Gegenstand der Ermittlungen war eine Organisation ruchloser Landesverräter und Volksverhetzer, welche gegen die Krone konspirierten und zur Erreichung ihrer Ziele auch vor Mord nicht zurückschreckten. Geführt von einer Doppelspitze, den „beiden Drachen“, hatte die Bande sich damals zum Schein aufgelöst, im Geheimen aber weiteroperiert. Beim Gedanken an sie wurde es Savaric heiß vor Zorn, schien er doch mit seinen Ritterbrüdern allen Bemühungen zum Trotz kaum etwas erreicht zu haben. Zwar gelang es von Zeit zu Zeit, das eine oder andere Bandenmitglied gefangen zu nehmen; keines aber war bisher zu einer verwertbaren Aussage bereit gewesen. Lieber gingen die Delinquenten in den Tod, als ihre Mitverschwörer zu verraten. So waren die Nachforschungen am Ende zum Erliegen gekommen, als den letzten namentlich bekannten Anhängern der Gruppe kurz vor ihrer Ergreifung die Flucht nach Frankreich gelang.

So war das Segelschiff, das in schwärzester Nacht im Londoner Hafen anlegte, für Savaric und seine Kameraden von größter Bedeutung. Denn die Informationen aus Frankreich mochten dazu führen, die Wiederaufnahme der Untersuchung unumgänglich zu machen.

Während der junge Ritter mit den Schatten eines überdachten Gehwegs verschmolz, ließ er die Kogge nicht aus den Augen, deren rot-weißes Segel noch einmal heftig im Wind flappte, bevor es eingeholt wurde. Dann sprangen Matrosen vom Deck herunter und vertäuten das Schiff am Kai, was schnell getan war, worauf die Ladung gelöscht wurde.

Ein munteres Liedchen pfeifend mischte Savaric sich unter die Arbeiter und half beim Abladen schwerer Fässer und Truhen, während ein Aufseher alle Güter nachzählte und auf einer Liste abhakte. Dabei spähte der junge Mann immer wieder unter seiner Kapuze hervor, damit ihm nichts Verdächtiges entginge. Und siehe da: Gerade wischte er sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, als zwei Männer sein Interesse erregten, die offenbar im Begriff waren, einen Handel abzuschließen.

Es handelte sich um den Schiffskapitän und einen wohlbetuchten Kaufmann in teuren Gewändern. Vorsichtig schlich Savaric näher und beobachtete, wie der Händler zwei wohlgefüllte Lederbeutel aus seinem Schwertgürtel zog und dafür eine Pergamentrolle erhielt. Ein dritter Beutel verblieb an der Innenseite des Gürtels.

Jetzt tat es dem Ritter leid, dass seine Kameraden unabkömmlich gewesen waren und er auf sich allein gestellt operierte. Nur zu gern hätte er Schriftstück wie Geldbörsen beschlagnahmt, durfte aber das Risiko, bei dem Versuch zu scheitern und die Verschwörer mit seiner verpatzten Aktion zu warnen, nicht eingehen. Indem er fieberhaft überlegte, was zu tun wäre, fiel ihm auf die Schnelle nichts Besseres ein als ein reichlich riskantes Manöver.

Also bückte er sich, zog unauffällig eine Klinge aus seinem Stiefel, richtete sich wieder auf und stolperte rücklings in die beiden Männer hinein.

„Pass gefälligst auf, wo du hintrittst, du Hornochse!“, schimpfte der Kaufmann.

„Nehmt’s mir nicht krumm, S… Sir. Hab’n K… Klumpfuß“, stammelte Savaric wie geistig zurückgeblieben und krümmte sich so grotesk zusammen, dass niemand einen Kronenritter in ihm vermutet hätte. Als wüsste er sich kaum zu helfen, stolperte er über seine eigenen Füße und fuchtelte mit beiden Armen in der Luft herum, indem er sich devot verbeugte. Und da er an die Schriftrolle nicht herankam, schnitt er unbemerkt dem Handelsmann den letzten Beutel vom Gürtel ab und verbarg ihn in seinem weiten Ärmel. Welch ein Glück, dass Nicholas eine Meisterdiebin heiratete! schoss es ihm durch den Kopf. Eva verriet mir manch nützlichen Trick, bevor sie ihrem Gewerbe abschwor! Dann machte er sich schleunigst davon.

Als er zur Sicherheit einen Blick über die Schulter zurückwarf, stieß er mit einem Jüngling zusammen und wäre fast mit ihm zu Boden gegangen. Und da ihm mit dem Jungen etwas nicht zu stimmen schien, merkte er auf.

Da erkannte Savaric das flammend rote Haar, das unter einer weiten Kapuze hervorlugte, wie auch das Gesicht mit der Stupsnase und dem weichen Mund. Und während sein Blick an den blauesten Augen hängen blieb, die er je gesehen hatte, starrten diese ungläubig zurück. Denn der Frau mit den großen faszinierenden Augen war der Ritter ebenfalls gut bekannt, welchen die Gewissheit wie ein Schreck durchfuhr: Vor ihm stand Marguerite Studdal in der Verkleidung eines Jünglings.

Gott allein wusste, wie oft die junge Frau ihn in Gedanken heimgesucht hatte, seit er sie vor zwei Jahren aus den Augen verlor! So war das, was er herausbrachte, als sie sich im nächtlichen Londoner Hafen buchstäblich vor seinen Augen materialisierte, wenig originell.

„Marguerite?“, fragte er lahm. „Seid Ihr es wirklich?“

Die junge Frau neigte spöttisch den Kopf. „Guten Abend, Savaric.“

„Ungewöhnlich spät für einen Spaziergang, will ich meinen“, versetzte er, indem er sie losließ. „Was zum Teufel macht Ihr hier?“

„Das geht Euch nichts an“, wies sie ihn ab.

Ihre Direktheit versetzte ihm einen Stich. „Da bin ich anderer Ansicht“, erwiderte er. „Könnt Ihr Euch nicht denken, was mit Euch geschähe, entdeckte man mitten in der Nacht eine junge Frau bei den Docks?“

„Sprecht gefälligst leise!“, zischte sie ihn an.

„Nur ein Blinder würde Euch mit einem Knaben verwechseln, Marguerite!“ Er dämpfte seine Stimme. „Heraus mit der Sprache: Warum treibt Ihr Euch in absurder Maskerade am Hafen herum?“

„Habt Ihr nichts Besseres zu tun, Sir?“ Ihr Ton war spitz.

„Lassen wir das dahingestellt“, antwortete er. „Im Ernst, Marguerite: Warum bringt Ihr Euch in Gefahr?“

„Soweit ich weiß, bin ich Euch gegenüber nicht auskunftsverpflichtet!“, konterte sie.

Da stutzte Savaric und lenkte ein. „Was ich auch nicht behauptete.“

„Dann ist es ja gut, und jeder kann seines eigenen Weges ziehen.“ Sie lächelte herablassend.

Das gefiel ihm gar nicht. „Ist Eure Unhöflichkeit der Dank dafür, dass ich Euch damals zu Hilfe kam?“, begehrte er auf.

Zwar kam es ihm selbst etwas abgeschmackt vor, die alte Geschichte zu seinen Gunsten anzuführen. Doch ergriff die Sorge um Marguerite, welche die Drachenbande zwei Jahre zuvor um ein Lösegeld gefangen gehalten hatte, einmal mehr von ihm Besitz.

Nie würde er vergessen, wie einer der Schufte seiner Geisel damals mit dem Dolch die zarte Kehle ritzte, worauf ein Rinnsal Blut daran hinunterlief. Später, als die Gefahr gebannt war und Savaric die zierliche junge Frau von London nach Guildford Castle eskortierte, hatte sie ihn tagtäglich mehr bezaubert. Leider aber hatte der Ritter seiner Schutzbefohlenen damals nicht nur seine zarten Gefühle für sie verheimlicht, sondern sie dazu auch noch in die Jagd auf die Bande verwickelt, was sich leider nicht umgehen ließ.

Doch der Moment, in welchem Marguerites Leben nur noch an einem seidenen Faden hing, hatte sich unauslöschlich in des Ritters Seele eingebrannt. Nie zuvor und nie danach hatte er sich derart hilflos und gleichzeitig so tief und untrennbar mit einer Frau verbunden gefühlt. Damals, als der scharfe Dolch Marguerites weißen Hals ritzte, hatte Savarics Herz sich weit für sie geöffnet, ohne dass er etwas dagegen hätte tun können.

Diese Erfahrung hatte den jungen Mann aufgerüttelt und dazu gebracht, endlich seiner Stellung gerecht zu werden. Denn als Mitglied der Kronenritter, in deren Orden sich die Elite Englands versammelte, war er zwar den ritterlichen Tugenden und Idealen verpflichtet, hatte sich bis dahin aber wenig um seine Pflichten geschert. Erst die Rettung Marguerites führte dazu, dass Savaric ein vorbildlich zu nennendes Ritterleben führte. Und machte es ihm auch weiter zu schaffen, dass er sie in den Kampf gegen die Drachenbande hatte miteinbeziehen müssen, quälte es ihn noch mehr, dass er sich ihr gegenüber gleichgültig gegeben hatte. Denn sie lag ihm am Herzen wie niemand sonst.

„Wohl kaum“, drang ihre ungeduldige Stimme in seine Grübeleien. „Solltet Ihr befürchten, ich hätte vergessen, was früher war, kann ich Euch beruhigen.“

„Das freut mich zu hören,“ versuchte er, einen leichten Ton anzuschlagen, „schließt aber nicht aus, dass Ihr Euch erneut in Schwierigkeiten stürzt.“ Herrje, ich klinge wie mein eigener Großvater, dachte er reuevoll, besitze aber weiß Gott kein Recht, ihr Vorhaltungen zu machen! So war er nicht überrascht, als Marguerites Augen zornig zu funkeln begannen.

„Genug jetzt!“, stieß sie gereizt aus. „Gehabt Euch wohl.“

Impulsiv packte Savaric sie beim Handgelenk und senkte seinen Blick in ihre blauen Augen. „Nicht so schnell, junge Lady!“

„Hättet Ihr die Freundlichkeit, mich loszulassen?“, fauchte sie.

„Zuerst versichert mir, dass Ihr kein Risiko eingeht.“

„Also gut.“ Sie verdrehte die Augen. „Ich bin die Vorsicht selbst.“

„Marguerite …“, entkam ihr Name seinen Lippen, dann gab er sie widerstrebend frei. Denn selbst die flüchtige Berührung brachte ihn gehörig durcheinander.

Pfeilgerade richtete die junge Frau ihren Blick an seinem Ohr vorbei. „Sowieso seid Ihr es, der sich schleunigst aus dem Staub machen sollte!“

„Und Euch mitten in der Nacht schutzlos im Hafen zurücklassen? Ihr scherzt wohl.“

„Ich lernte längst, auf mich selbst achtzugeben“, gab sie patzig zurück, „und will hier kein Aufsehen erregen. Lasst mich endlich gehen!“

„Bei meiner Ehre! Mein Eid gebietet es mir, Euch zu beschützen.“

Ihr Lachen klang hohl. „An Euren gnadenlosen Heldenmut und Eure Ehrbegriffe erinnere ich mich gut. Steckt sie Euch an den Hut, Sir! Ich will nicht von Euch beschützt werden.“

„Marguerite …“ Ihr Name klang wie Musik in des Ritters Ohren.

„Mein Gott, Savaric! Ihr seid es, der in Schwierigkeiten steckt! Schließlich stahlt Ihr die Geldbörse, die Ihr jetzt am Körper tragt. Müsst Ihr mich denn immer in Schwierigkeiten verwickeln, worum ich nicht gebeten habe?“ Sie seufzte auf und fuhr fort, mit ihm zu schimpfen, als sei er ein kleines Kind. „Auch ich wohnte lange genug bei Eva, um ihre Tricks zu erlernen. Sorgt Euch also nicht um mich, während die Männer, die Ihr beraubtet, schon nach Euch suchen werden!“

„Ich werde Euch nicht allein lassen“, versetzte Savaric störrisch.

„Geht, bevor es zu spät ist!“, beschwor Marguerite ihn.

Und schon erhob sich in der Nähe ein Tumult, worauf eine zornige Männerstimme brüllte: „Dort drüben steht der Schurke! Haltet den Dieb!“

„Marguerite!“, flehte der Ritter.

„Los jetzt, Savaric, flieht! Ich bitte Euch!“

„Schnappt den Bastard!“, schrie der Bestohlene mit sich überschlagender Stimme.

Schon packte jemand ihn am Arm, doch riss er sich los. Dann warf er sich in die gesichtslose Menge der Matrosen und Dockarbeiter, verfluchte sich aber dafür, die junge Frau alleinzulassen.

Was für ein Desaster! schoss es ihm durch den Kopf. Nie hätte ich erwartet, Marguerite am Hafen zu begegnen, und erst recht nicht zu solch unchristlicher Stunde!

In vollem Lauf hastete er eine enge kopfsteingepflasterte Gasse entlang, vorbei an Vagabunden, Betrunkenen, ausgelassenen Hafenarbeitern und spärlich bekleideten Vertreterinnen des schönen Geschlechts. Die Verfolger aber blieben ihm dicht auf den Fersen.

Als der Ritter in eine enge Passage abbog, überraschte ihn dort einer der Häscher und versetzte ihm einen Kinnhaken, der ihn taumeln ließ. Da riss er sein Schwert aus der Scheide und richtete es drohend gegen den Angreifer.

„Hört auf damit“, warnte er den Mann. „Oder wollt Ihr aufgeschlitzt werden?“

Doch auch sein Gegner zückte sein Schwert und drang mit grimmigem Lachen auf den vermeintlichen Dieb ein. „Nicht so vorlaut, Freundchen! Ihr seid längst umzingelt.“

Tatsächlich kam ein weiterer Gegner mit erhobener Waffe von hinten auf Savaric zu, sodass dieser sich neu positionieren musste. Doch war er es gewohnt, gegen mehre Kontrahenten zu kämpfen, und überraschte seine Gegner, denen er in Statur und Körpergröße überlegen war, mit flinken Paraden und Blockaden.

Während der Ritter sich tapfer seiner Haut wehrte, verloren die beiden Angreifer trotz ihrer Unterlegenheit nicht den Mut. „Für ’nen primitiven Mohren kämpft Ihr nich’ schlecht“, warf einer von ihnen dem Ritter mit schnarrender Stimme an den Kopf. „Aber ’s kommen Bessere als wir, die Euch schon heimleuchten werden!“

Für einen primitiven Mohren kämpft Ihr nicht schlecht … Savaric, der wenig Lust auf die ihm altbekannten Reden verspürte, hieb wie ein Berserker drauflos. „Meine Hautfarbe geht nur mich etwas an!“, stieß er hervor.

Schon landete der respektlose Sprecher im Schmutz der Gasse, worauf der Ritter sich mit voller Kraft dem zweiten Angreifer widmete. Dabei stieg seine Hoffnung, sich zu Marguerite zurückkämpfen zu können.

„Vielleicht versteht Ihr nich’, was Eric sagt“, knurrte sein Kontrahent, der sich wacker hielt. „Ihr Leute aus dem Mohrenland sollt ja nicht die Klügsten sein.“

„Im Gegensatz zu Euch, meint Ihr wohl?“, fragte Savaric abschätzig.

„Haben wirklich alle eine Haut wie Schlamm, wo Ihr herkommt? Der Dreck unter meinen Füßen ist mehr wert als Ihr!“

Längst war das angestrengte Lächeln auf dem Gesicht des Ritters nichts als eine Maske, hinter welcher er seine Gefühle verbarg. Denn er kannte derlei verletzende Reden von klein auf. „Da fragt man sich, warum Euer Freund, ein stolzer Vertreter Eurer überlegenen Rasse, sich in der Gosse ausruht“, gab er grimmig zurück. „Wartet nur! Euch wird es nicht besser ergehen.“

„Da irrt Ihr“, gab der Mann nach kurzem Blick über die Schulter feixend zurück. „Glaubt Ihr, wir hätten Euch etwas vorgemacht? Die Verstärkung ist da. Jetzt habt Ihr den Salat!“

Und er hatte recht. Denn zwei weitere Männer traten hinter seinem Rücken hervor und richteten mit finsteren Blicken ihre Waffen auf den Ritter.

Die haben mir gerade noch gefehlt! dachte Savaric entnervt. Marguerite ist inzwischen sicher über alle Berge!

Da jetzt drei Kämpfer auf ihn eindrangen, fand er sich bald mit dem Rücken zur Wand. Und während ihm langsam die Luft ausging, wünschte er von Herzen, wenigstens einer seiner Ritterbrüder stünde ihm im Kampf zur Seite. Warin de Talmont und Nicholas D’Amberly aber waren in geheimer Mission, die der seinen ähnelte, an anderen Themsehäfen unterwegs. Auch sie versuchten, Informationen einzuziehen, mittels derer sie das Drachengespann ausheben und die dazugehörige Organisation mit Stumpf und Stiel vernichten konnten.

Noch hielt Savaric stand und wehrte die Hiebe seiner Gegner mit gewandten Schwertstreichen ab. Dann aber drang die Klinge eines der Angreifer in seinen rechten Arm ein, sodass ihn ein scharfer Schmerz durchzuckte. Halte durch, wies er sich an, biss die Zähne zusammen und schlug weiter um sich. Zum Jammern ist jetzt nicht die rechte Zeit! Doch wusste er, dass er auf verlorenem Posten kämpfte, und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Herr im Himmel, betete er in sein Schicksal ergeben, wenn ich schon fallen muss, sei mir gnädig und lasse es wenigstens schnell gehen!

In diesem Moment aber geschah ein wahres Wunder. Als erweise die Gnade Gottes sich ihm anders als erbeten, stürzte einer seiner Kontrahenten wie von Zauberhand gefällt zu Boden und hauchte sein Leben aus. Einem Zweiten fuhr ein Dolch durch den Hals, was ihm ebenfalls schlecht bekam. Da ging ein Ruck durch Savaric, und er nutzte seine Chance und erledigte den Dritten mit einem kraftvollen Schwertstreich. Dann erst hob er den Blick und ließ ihn verwundert auf einem Jüngling ruhen, der ihm offenbar zu Hilfe gekommen war.

Als dieser sich langsam die Kapuze vom Kopf streifte, rieb der Ritter sich ungläubig die Augen. Träum ich oder wach ich? fragte er sich. Ist es wirklich Marguerite, die auf mich zutritt?

„Findet Euch damit ab, dass ich es bin“, versetzte sie mit einem schiefen Lächeln. „Auf die Gefahr hin, Euer Zartgefühl zu verletzen oder gar Eure Vorurteile zu widerlegen, bin und bleibe ich eine Frau, die mit Waffen umzugehen weiß.“ Aufmerksam blickte sie die Gasse hinauf und wieder hinunter. „Doch Schluss mit dem Geplänkel! Ihr müsst schleunigst von hinnen.“

„Zwar besitzt Ihr ungeahnte Fähigkeiten, doch rühre ich mich ohne Euch nicht von der Stelle“, gab er kopfschüttelnd zurück.

„Herr im Himmel! Ihr lasst mich wünschen, Euch Eurem Schicksal überlassen zu haben“, versetzte Marguerite missmutig, fügte aber mit gedämpfter Stimme hinzu: „Dann allerdings hätte der Zorn Hubert de Burghs mich getroffen, den niemand leichtfertig erregen möchte.“

„Was sagt Ihr da?“ Der Ritter merkte auf.

„Ihr habt mich sehr wohl verstanden. Also los jetzt, ich will Euch den Gefallen tun. Hauptsache, Ihr bewegt Euch endlich! Mein Knappe kann Euch sein Pferd überlassen.“ Herausfordernd stemmte sie die Hände auf ihre schmalen Hüften. „Ihr zögert? Gehört Ihr etwa zu der Sorte Mann, welche die Hilfe einer Frau aus Stolz ablehnt?“

„Dergleichen sagte ich nicht“, beteuerte er widerwillig.

„Das will ich hoffen! Schließlich habe ich Euch gerade erst den Allerwertesten gerettet.“

„Macht Ihr Euch über mich lustig?“ Er runzelte die Stirn.

„Das liegt mir fern.“ Marguerite seufzte auf. „Wenn es Euch auch keinen Zacken aus der Krone bräche, zeigtet Ihr eine Spur von Dankbarkeit. Und ich rate Euch, die Armwunde umgehend verbinden zu lassen, wenn Ihr in Zukunft noch ein Schwert handhaben wollt.“

„Ich bitte um Verzeihung, denn ich muss Euch recht geben.“ Er verbeugte sich. „Seid von Herzen bedankt, Marguerite. Ich stehe in Eurer Schuld.“

„Keineswegs“, gab sie achselzuckend zurück, „habt Ihr mir doch vor zwei Jahren aus der Patsche geholfen. Jetzt aber sind wir quitt, was mir ausnehmend gut gefällt.“

Ist das wirklich Marguerite Studdal? fragte sich der Ritter, der die junge Frau kaum wiedererkannte, war sie ihm doch zwei Jahre früher wie die Verkörperung eines Unschuldslamms erschienen, welches kein Wässerlein trüben konnte. Stets hatte sie schüchtern den Blick gesenkt und sich seinen Anweisungen sittsam gefügt. Mit dem selbstbewussten Hitzkopf, der ihm soeben beigesprungen war, hatte das junge Mädchen von damals so gut wie nichts gemein.

„So sei es.“ Er nickte anerkennend. „Ihr habt Euch sehr verändert, Marguerite.“

„Schön, dass Ihr das bemerkt, Savaric.“ Stolz hob sie das Kinn. „Jetzt kommt mit und trödelt nicht länger.“

Auf dem Weg zu den Pferden fragte er neugierig: „Verratet Ihr mir, wie Ihr lerntet, den Dolch so treffsicher zu schleudern?“

„Na wie schon? Durch hartnäckiges Üben natürlich. Schlaft nicht ein! Ihr dürft ruhig einen Schritt zulegen.“

Stumm seufzte der Ritter in sich hinein. Nein, diese Marguerite kannte er wirklich noch nicht.

2. KAPITEL

Am folgenden Morgen ließ Marguerite Studdal die Vorkommnisse der Nacht vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Wahrlich, sie hätte sich auf ein Wiedersehen mit Savaric Fitz Leonard lieber in Ruhe vorbereitet; das Zusammentreffen mit ihm aber – kaum, dass sie englischen Boden unter den Füßen hatte – war unerwartet gekommen und hatte ihr einen herben Schlag versetzt.

Dass ausgerechnet ihr damaliger Retter ihr im Port of London über den Weg laufen würde, als sie nach zweijähriger Abwesenheit aus ihrem französischen Exil nach England zurückkehrte, verstand sie als Ironie des Schicksals. Und hatte sie ihn, den stattlichen Ritter, auch nach zwei Jahren auf Anhieb erkannt, war sie aufgrund ihrer Verkleidung für ihn so gut wie unsichtbar gewesen.

Nach ihrer Rettung damals hatte sie Hubert de Burgh, dem die Ritterbrüder um Savaric Fitz Leonard den Treueeid geleistet hatten, einen Vorschlag unterbreitet, den er auf der Stelle annahm. Infolge wurde Marguerite als Spionin am französischen Königshof tätig, um daselbst einer möglichen Verflechtung mit der Drachenbande nachzugehen, die ihr so übel mitgespielt hatte.

Lange waren ihre Nachforschungen ohne Ergebnis geblieben, bis sie eines Tages in einer Pariser Taverne eine Beobachtung gemacht hatte. Ein Mann mit dem zweifelhaften Ehrennamen Renaisser – was „Wiedergänger“ bedeutete –, der sie seit ihrer Gefangenschaft bei der Drachenbande aufgrund seiner Grausamkeit noch in ihren schlimmsten Albträumen heimsuchte, verkaufte einem Schiffskapitän eine Schriftrolle mit offenbar wertvollen Informationen. Tief besorgt war sie dem Kapitän durch die dunklen Gassen des Pariser Hafenviertels gefolgt und hatte entdeckt, dass sein Frachter für England reisebereit aufgetakelt war. Glücklicherweise hatte sie einen Platz auf einem anderen Schiff nach London ergattert, wo sie sich, kaum angekommen, flugs in einen Jüngling verwandelte. Und auch ihr war nicht entgangen, dass die Schriftrolle im Londoner Hafen für viel Geld den Besitzer wechselte und sich seither bei einem Tuchhändler befand.

Als Savaric ihr dann plötzlich wiederbegegnet war, hatte die Vergangenheit sie so lebhaft eingeholt, dass das Herz ihr immer noch bis zum Halse schlug. Zwar hatte sie sich nach all der Zeit der Verwirrung und des Herzeleids um ihn geschworen, inneren Abstand zu ihm zu halten. Doch war bei dem unerwarteten Wiedersehen am Kai eine spontane Wiedersehensfreude in ihr aufgekeimt, gegen die sie sich nicht hatte wehren können. Das ärgerte sie, und sie suchte ihr Herz zu verhärten; denn sie scheute die Erinnerung an die mädchenhafte Naivität, mit der sie den Ritter einst an sich herangelassen hatte.

Alle Vernunft aber half nichts gegen ihre unglückselige Verliebtheit, die sie so unbarmherzig packte, dass sie stehen blieb und dagegen anatmete. Doch gab sie sich selbst die Schuld, sich in Savaric verliebt zu haben, als er sie damals nach Guildford Castle eskortiert hatte. Es war doch nur ein Kuss, dachte sie traurig, der einem Mannsbild nicht zwingend dasselbe bedeutet wie dem Schäfchen, das er behüten soll. Bei der Erinnerung musste sie schlucken, um nicht in Tränen auszubrechen. Denn hatte sich auch während der Tage und Nächte, die Marguerite damals in des Ritters Gesellschaft verbrachte, zwischen ihnen eine zauberische Nähe eingestellt, war das vermeintliche Glück wie eine Seifenblase zerplatzt, als er ihr erklärte, eine gemeinsame Zukunft käme für sie nicht infrage.

Was war ich für ein Schaf, dachte Marguerite betrübt. Und wie schäme ich mich für meine Dummheit! Sie atmete tief durch und beschloss, nicht mehr an die erlittene Demütigung zu denken. Mein neues Leben hat mit dem alten nichts mehr gemein! dachte sie trotzig. Also sollten vergangene Gefühle obsolet sein.

An der London Bridge angekommen, zahlte sie den Brückenzoll und schlängelte sich durch die bunte Menge, die auch zu dieser frühen Stunde schon von einer Seite der Brücke zur anderen strömte. Aus ihren hölzernen Ständen heraus feilschten alle erdenklichen Handwerker und Händler wie Pfeilmacher, Bogner und Kurzwarenhändler mit ihren Kunden, welche die Waren sorgfältig prüften, bevor sie ihre Beutel zückten und einen Kauf tätigten. Lächelnd nahm Marguerite ein Bad in der Menge und erschnupperte genüsslich unzählige Gerüche gleichzeitig. Wie habe ich dieses Gewühl vermisst! dachte sie vergnügt. Nur hier in London gibt es solche Tummelplätze, die vor Leben förmlich brodeln. Paris ist zwar zu Recht berühmt für seine Eleganz, doch hier bin ich zu Hause. Meine Heimatstadt ist einfach unvergleichlich!

Auf dieser Brücke hatte die junge Frau Sir Savaric Fitz Leonard damals zum ersten Mal gesehen, der sie auf Anhieb mit seiner auffallenden Erscheinung beeindruckte. Mit seinem hohen kräftigen Wuchs überragte er alle seine Kameraden, und seine honigfarbenen Augen, aus denen ein besonderer Funke sprang, bezauberten sie auf der Stelle. Er trug einen federgeschmückten Hut aus Leder, der an jedem anderen Mann extravagant ausgesehen hätte, an Savaric aber nobel wirkte und die natürliche Autorität, die ihm eigen war, statt zu schmälern sogar noch unterstrich. Bereits bei diesem ersten Zusammentreffen hatte der Ritter Marguerite schier den Atem geraubt und sie unweigerlich in seinen Bann gezogen. Für sie war es Liebe auf den ersten Blick gewesen.

In Gedanken an sein jungenhaftes Lächeln zog sich ihr aufs Neue das Herz zusammen, und sie schalt sich eine Närrin. Reiß dich zusammen, du dummes Huhn, und lass dir nicht anmerken, was dich bewegt, dachte sie in bitterem Spott. Schließlich wirst du ihm in Kürze gegenübertreten …

Entschlossen trat sie in die Chapel of Thomas Becket, eine imposante burgähnliche Backsteinkirche, die sich mitten auf der Brücke gen Himmel erhob. Hier machten Katholiken vor allem auf dem Weg nach Canterbury halt, um für ihre Pilgerreise Gottes Segen zu erbitten. Auch Marguerite tauchte ihre Finger in das Weihwasserbecken und machte das Kreuzzeichen, worauf sie zielstrebig durch das Kirchenschiff schritt und in die Sakristei eintrat. Dort nahm sie eine Fackel aus der Wandhalterung, zog ihren langen Umhang enger um sich und stieg eine kalte granitene Wendeltreppe hinab. Darauf lief sie schnellen Schritts durch die geräumige Unterkapelle bis zur Krypta, deren Decke sich dem Rippenbogen eines urzeitlichen Tieres gleich über ihr wölbte.

Erst im hintersten Winkel blieb sie stehen und suchte die Wand mit den Augen ab, worauf sie eine unscheinbare Holzverkleidung beiseiteschob und auf den untersten dreier Steinknöpfe drückte, die zum Vorschein gekommen waren. Dadurch sprang die nächste hölzerne Vertäfelung beiseite, die junge Frau trat in einen Geheimgang und schlich auf einen Raum zu, aus dem gedämpfte Stimmen nach außen drangen.

Vorsichtig öffnete sie den Riegel an der dicken Eichentür, schlüpfte hinein und verschmolz mit dem Mauerschatten, sodass die Ritterbrüder in diesem geheimen Zimmer keine Notiz von ihr nahmen. Savaric, der Marguerite den Rücken zukehrte, saß mit entblößtem Oberkörper auf einem Schemel und redete eindringlich auf Warin de Talmont und Nicholas D’Amberly ein, während Letzterer sich daranmachte, die Wunde zu nähen, welche sein Freund in der Nacht davongetragen hatte. Als die Nadel dem Ritter durchs Fleisch drang, biss er kräftig die Zähne zusammen, indem ihm vor Pein der Schweiß ausbrach.

„Verdammt, Nick, geht es nicht ein wenig schneller?“, schimpfte er unter Atem. „Nur nicht so zimperlich! Mein Arm ist schließlich kein Stickrahmen.“

Der jungen Frau ging jeder Stich durch und durch, und sie wäre fast zu ihm geeilt, um ihm Trost zu spenden. Doch wusste sie es besser.

„Verzeiht, Kamerad, doch liegt mir das Schludern nicht“, gab D’Amberly ungerührt zurück. „Nun haltet still, verdammt noch mal!“

„Nehmt noch einen Schluck Bier“, schlug Warin vor und reichte seinem Freund einen Flakon, aus dem dieser mit zusammengekniffenen Augen trank.

„Ich versichere Euch, dass mir ihr Anblick einen Schlag versetzte!“, setzte Savaric den Disput fort, verzog während der schmerzhaften Prozedur aber so manches Mal das Gesicht. „Versteht Ihr mich denn nicht?“

Nun war Marguerite doppelt froh, sich nicht bemerkbar gemacht zu haben. Was Savaric Fitz Leonard über sie dachte, interessierte sie kolossal.

„Doch, doch“, gab Warin beschwichtigend zurück. „Ich begreife nur nicht, welche Bedeutung Ihr der Begegnung mit ihr zumesst.“

„Das verstehe ich selber nicht!“ Savaric zuckte zusammen und fuhr sich mit seiner freien Hand durchs Haar. „Wahrscheinlich irritiert es mich, dass sie darauf gefasst schien, mir an den Docks zu begegnen.“

Wüsstet Ihr, wie ich erschrak, als ich Euch sah, wäret Ihr überrascht, dachte Marguerite grimmig. Nur gut, dass ich inzwischen lernte, jede Regung zu unterdrücken! Das kam mir gestern zugute.

„Kann es nicht sein, dass sie mir nachspionierte?“, fuhr er fort. „Sie beobachtete sogar, dass ich den Mann, der die Schriftrolle kaufte, um seinen letzten Beutel erleichterte!“

„Was kümmert es Euch, dass sie im Hafen aufkreuzte?“, fragte Warin mit wegwerfender Geste. „Lasst mich Euch Bier nachschenken. Ihr scheint es nötig zu haben.“

„Ach, lasst mich mit Eurem Ale zufrieden!“, rief Savaric aufgebracht aus. „Marguerite erwähnte sogar unseren Lehnsherrn! Was zum Teufel verheimlicht Ihr mir?“

„Wie meinen?“ Warin blickte verdutzt drein.

„Nichts für ungut, Warin!“, lenkte Savaric ein. „Vielleicht tue ich Euch unrecht. Der unstete Blick, mit dem Nicholas mir ausweicht, ist mir aber nur zu gut bekannt!“ Anklagend zeigte er auf D’Amberly. „Den hat er immer, wenn er etwas zu verheimlichen sucht.“

„Ihr kränkt mich“, versetzte Nicholas trocken, indem er den letzten Stich machte und den Faden verknotete. „So, das wäre geschafft! Ich finde, meine Arbeit kann sich mit der einer jeden Lady messen, die je einen Stickrahmen auf dem Schoß hielt.“

„Gut gemacht, Nick, seid bedankt“, lobte Savaric seinen Freund versöhnlich. „Nehmt mir meine Vorhaltungen nicht übel. Ich hatte eine denkbar schlechte Nacht und bin wahrscheinlich nur ein bisschen gereizt.“

„Pardon gewährt. Was also unterstellt Ihr meinem unsteten Blick?“

Savaric seufzte auf. „Herrje, verratet mir einfach alles, was Ihr letzthin über Marguerite Studdal hörtet!“ Er erhob sich und zog sich vorsichtig die Tunika über. „Schließlich ist sie eine gute Freundin Eurer Gattin Eva.“

Nicholas hob zweifelnd eine Augenbraue. „Könnt Ihr die Frage nicht präzisieren?“

„Na ja, ich wüsste gern, was eine junge Frau wie sie nachts allein bei den Docks zu suchen hat! Und in welcher Verbindung sie zu Hubert de Burgh steht …“

Seine Freunde tauschten unschlüssige Blicke, dann murmelte Nicholas: „Wir haben keine Ahnung, was Marguerite im Hafen zu suchen hatte, Savaric.“ Kurz hielt er inne und fuhr dann fort: „Wenn auch zu erwarten war, dass sie über kurz oder lang nach London zurückkehrt.“

„Bei allen Heiligen, Nick! Kanntet Ihr etwa die ganze Zeit über ihren Aufenthaltsort?“, rief sein Kamerad, sprang auf und stemmte empört die Hände auf die Hüften. „Warum hat mich niemand informiert?“

Nach einigem Schweigen fragte Warin vorsichtig: „Woher rührt denn Euer plötzliches Interesse an ihr?“

Darauf hatte Savaric keine Antwort parat, weshalb er nur trotzig die Lippen zusammenpresste.

„Vielleicht lasst Ihr die Angelegenheit lieber ruhen“, versetzte Nicholas freundlich und klopfte ihm besänftigend auf die Schulter.

„Vielleicht auch nicht!“, fuhr sein Freund auf.

„Beruhigt Euch, Savaric …“

„Behandelt mich nicht wie ein Kind! Warum durfte ich als Einziger nicht wissen, wo Marguerite sich aufhält?“

Da trat die junge Frau, um die der Streit sich drehte, überraschend ins dämmrige Licht und antwortete schlicht: „Weil ich darum bat.“

Damals hatte es zwei Gründe für ihre Bitte gegeben: Zum einen hatte sie geglaubt, dass ihr Schicksal den Mann, der sie abgewiesen hatte, nicht länger kümmerte. Und zum anderen hatte sie versucht, sich von ihm, um den ihr Herz weinte, auch räumlich zu trennen.

Als Savarics Blick sie mit unerwarteter Härte traf, zuckte sie mit keiner Wimper. Ist er auch wenig begeistert, mich zu sehen, dachte sie sarkastisch, soll er sich nicht so anstellen. Schließlich geht es mir ebenso!

„Könnten meine sogenannten Freunde mir liebenswürdigerweise sagen, was gespielt wird?“, fragte Savaric gefährlich leise.

„Macht das besser mit der Lady aus“, gab Nicholas D’Amberly zurück. „Warin und ich verschwinden jetzt lieber. Sollte aber jemand ‚sogenannte Freunde‘ brauchen, findet er uns in der Schenke ‚Zu den drei Krähen‘.“

Darauf entfernten beide Ritter sich eilends aus der Gefahrenzone, um Zuflucht in dem beliebten Wirtshaus zu suchen, wo der Waffenrock Sir Thomas Beckets einen Ehrenplatz hatte.

„Sollen wir uns noch länger stumm anstarren, oder habt Ihr womöglich Fragen an mich?“ Marguerite hob herausfordernd das Kinn.

Als der Ritter das Wort an sie richtete, war seine Stimme kalt. „Ich erwartete nicht, Euch so bald wiederzusehen, Marguerite Studdal.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, versetzte sie sarkastisch. „Darf ich mich doch des liebenswürdigen Umgangs erfreuen, den Ihr mit mir zu pflegen wisst.“

„Ihr scheint Euch köstlich zu amüsieren“, gab er unwirsch zurück. „Mir aber fehlt der nötige Humor dazu.“

„Ihr irrt gewaltig, Savaric“, sagte sie ernst. „In Wahrheit macht Ihr mich nervös.“

„Bitte untertänigst um Verzeihung! Das war nicht meine Absicht. Immerhin habt Ihr mir erst gestern den Hals gerettet.“ Er betrachtete sie mit schmalen Augen. „Dass Ihr zur selben Zeit wie ich im Hafen von London auftauchtet, kann aber kein Zufall gewesen sein. Und warum kennt Ihr unseren geheimen Treffpunkt?“

„Ich kam aus guten Gründen zum Hafen; nicht aber Euretwegen, mit dem ich keineswegs gerechnet hatte.“

Als er aufstand und sie wie ein Raubtier zu umkreisen begann, zeigte sie keine Regung. Doch schlug das Herz ihr bis zum Hals.

„Ich will endlich wissen, was gespielt wird, Marguerite! Was macht Ihr in unserem Geheimzimmer? Und was habt Ihr mit Hubert de Burgh zu schaffen?“

Unwillig zog sie die Brauen zusammen und musterte ihn durch ihre langen Wimpern. „Wie ich schon sagte, bin ich Euch nicht auskunftsverpflichtet.“

Er stöhnte auf. „Ich bitte Euch, mein Fräulein, erlöst mich von meiner Unwissenheit!“

Da antwortete sie zögernd: „Nun, ich arbeite für den hohen Herrn. Was geht es Euch an?“

Auf ihre Frage ging er nicht ein. „Ich staune, Marguerite! Mit was für Aufgaben seid Ihr betraut?“

Von seiner Hartnäckigkeit ermattet antwortete sie zögernd: „Ich mache nichts anderes als Ihr, Savaric, indem ich … Informationen für ihn zusammentrage.“

„Sieh einmal an“, versetzte er trocken. „Und wo das?“

Um ihn nicht noch mehr zu reizen, gab sie widerwillig ein paar Informationen preis. „Ich führe in London momentan nur fort, was ich vor zwei Jahren in Paris begann, wo ich die ganze Zeit über stationiert war.“

Tatsächlich war es Marguerite in Frankreich nicht gelungen, etwas Wesentliches herauszufinden, was sie an Hubert de Burgh hätte zurückmelden können. Sie hatte sich aber beim französischen Adel beliebt gemacht, sodass Isabella von Angoulême, die Witwe King Johns und Mutter des derzeitigen englischen Königs Henry III., ihr erlaubt hatte, gemeinsam mit ihr und ihrer Entourage nach England zu reisen. 

Über die plötzliche Sehnsucht der erlauchten Lady nach ihrem königlichen Sohn, aufgrund derer die Reise in aller Eile vorbereitet wurde und vonstattenging, hatte Marguerite sich allerdings gewundert. Wusste sie doch um die Entfremdung zwischen Mutter und Sohn und die eklatante Abneigung der Königinmutter gegen Hubert de Burgh. Dieser aber war nach wie vor der engste Vertraute King Henrys, obwohl er sich Eigenmächtigkeiten herausgenommen hatte, die jeden anderen den Kopf gekostet hätten. So hatte er in dritter Ehe ohne Genehmigung der Krone eine schottische Prinzessin geheiratet und sich dazu der Ländereien bemächtigt, welche Isabella als Mitgift in die Ehe mit King John, Henrys Vater, eingebracht hatte. Diese hatte also kaum einen Grund, ihm gewogen zu sein.

„Ihr wart die ganze Zeit in Frankreich für meinen Lehnsherrn tätig? Ich hatte ja nicht den Hauch einer Ahnung …“ Savaric stieß im Stillen einen Fluch aus, denn er fühlte sich nicht nur von seinen Kameraden, sondern auch von dem mächtigen Mann hintergangen, dem er den Treueeid geleistet hatte.

„Traut Ihr mir nicht zu, gute Arbeit leisten zu können?“, fragte die junge Frau verärgert. „Dann lebt Ihr hinter dem Mond, denn ich bin längst nicht mehr das Blümchen, das Ihr damals kanntet!“

„Das allerdings entging mir nicht“, versetzte er, indem ein Glitzern in seine Augen trat. Unwillkürlich hob er die Hand und streckte sie nach ihr aus, ließ sie aber wieder fallen, als ihm sein Tun bewusst wurde. „Warum aber habt Ihr Euch einer derart gefährlichen Mission verschrieben?“, fragte er leise.

„Jedenfalls nicht, um Euch wieder über den Weg zu laufen“, gab sie unwirsch zurück.

Damit schlug Marguerite eine tiefer liegende Saite bei Savaric an, der sich unversehens an frühere Zeiten erinnerte. Und weil es ihr nicht anders erging, errötete sie, während er forschend seine Bernsteinaugen auf sie richtete. Da bereute sie ihre harmlosen Worte, kam es ihr doch vor, als habe sie ihm Einblick in ihre Seele gewährt.

„Was ich auch gar nicht behauptete“, beeilte er sich zu versichern.

„Dann ist es ja gut.“ Schnell wandte sie den Blick ab. „Ich fürchtete schon, Eure Eitelkeit führte Euch in die Irre.“

„Warum ausgerechnet Hubert de Burgh, mein Fräulein? War Euch das, was Ihr erleiden musstet, denn nicht Warnung genug?“

„Ihr meint wohl, dass Ihr mich entführtet und mit der Forderung, die Ritterbrüder zu unterstützen, um ein Lösegeld festhieltet?“

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