Ein bisschen Glück und sehr viel Liebe

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Weihnachten steht vor der Tür. Was auf Shannons Wunschzettel nicht steht, ist ein Mann! Aber das Fest in der Kleinstadt, wo sie ihre Familie besucht, beschert ihr überraschend Traummann Dag McKendrick. Wo sie doch längst ein neues Leben in Hollywood geplant hat …


  • Erscheinungstag 09.05.2016
  • Bandnummer 15
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774189
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ho, ho, ho! Ihr könnt aber schon gut eislaufen!“

Shannon Duffy lächelte über das, was sie hörte und sah, als sie aus ihrem Wagen stieg.

Nach einer langen und anstrengenden Fahrt war sie endlich in der Kleinstadt Northbridge im Bundesstaat Montana angekommen. Als sie direkt am Hauptplatz der Stadt einen freien Parkplatz entdeckte, fuhr sie sofort in die Lücke, damit sie aussteigen und sich strecken konnte.

Ganz in der Nähe befand sich eine offene Eisfläche, auf der eine Gruppe von Kindergartenkindern vom Weihnachtsmann persönlich Unterricht im Eislaufen bekam. Oder zumindest von jemandem, der als Weihnachtsmann verkleidet war und die Kinder mit fröhlichen Ho-ho-hos aufmunterte.

In einer guten Woche war schon Weihnachten, und Shannon war alles andere als traurig, dass sich das Jahr dem Ende näherte. Es war kein leichtes für sie gewesen.

Sie seufzte bei dem Gedanken an all die Schwierigkeiten des Jahres …

Doch als sie die kalte, frische Kleinstadtluft einatmete und die lachenden Kinder auf dem Eis sah, freute sie sich, dass sie hergefahren war. Sie fühlte sich schon etwas weniger einsam und allein als noch vor einer Minute. Es war beinahe, als würde die Kleinstadt sie willkommen heißen, die ihre vor Kurzem verstorbene Großmutter so geliebt hatte.

Shannon hatte in diesem Jahr drei Verluste erlitten. Vier sogar, wenn sie Wes mitzählte.

Anfang Januar war ihr Vater gestorben, drei Monate danach ihre Mutter. Der Tod ihrer Adoptiveltern kam nicht überraschend: Beide waren viele Jahre lang krank gewesen. Doch als im August auch noch ihre Großmutter an einem ebenso plötzlichen wie unerwarteten Herzinfarkt starb, war es ein Schock für Shannon gewesen. Innerhalb weniger Monate hatte sie ihre gesamte Familie verloren.

Und dann war auch noch ihre Beziehung zu Wes Rumson gescheitert …

Für ihre Reise nach Northbridge gab es zwei Gründe. Shannon war zu einer Hochzeit eingeladen worden und wollte die Feiertage mit den Menschen verbringen, die vielleicht ihre neue Familie werden würden.

Vor zwei Monaten hatte sich ein Mann namens Chase Mackey bei ihr gemeldet und ihr aus heiterem Himmel eröffnet, dass er ihr Bruder war. Und nicht nur das: Sie war eines von insgesamt fünf Kindern – drei Brüder, zwei Schwestern –, die nach dem Tod ihrer Eltern bei einem Autounfall teilweise getrennt und zur Adoption freigegeben worden waren. Damals war sie achtzehn Monate alt gewesen.

Shannon hatte gewusst, dass sie adoptiert war. Wovon sie vor Chase Mackeys Anruf jedoch keine Ahnung gehabt hatte, war, dass sie irgendwo auf der Welt Geschwister hatte.

Und wie sich im Gespräch mit Chase herausstellte, lebte einer ihrer Brüder noch nicht einmal allzu weit entfernt von ihr, denn Chase rief sie aus Northbridge an, der Stadt, in der ihre Großmutter gelebt hatte und wo sich die Farm befand, die Shannon nach dem Tod der alten Dame geerbt hatte.

Diese Farm war der zweite Grund, weshalb sie nach Northbridge gekommen war. Da sie keinerlei Verwendung für eine solche Immobilie hatte, würde sie heute die Dokumente für den Verkauf von Haus und Grundstück unterzeichnen.

„Hoppla, Tim! Hast du dir wehgetan?“

Einer der kleinen Eisläufer war hingefallen, und die Frage, die Shannon gehört hatte, kam vom Weihnachtsmann. Der war erstaunlich sportlich zu dem Jungen gerast und hatte mit elegantem Schwung vor ihm abgebremst. Der lange rote Mantel und das Kissen, das wohl daruntersteckte, hatten ihn dabei nicht im Geringsten behindert.

Der kleine Tim erwies sich als echter Held, der die Zähne zusammenbiss und gegen die aufsteigenden Tränen kämpfte. Er ließ sich vom Weihnachtsmann hochhelfen und fuhr mit ihm wieder zurück zur Gruppe.

Shannon war begeistert, wie souverän die beiden die Situation gemeistert hatten.

Nicht dass sie das irgendetwas anging. Es erinnerte sie nur an ihren Beruf als Kindergärtnerin, den sie manchmal etwas vermisste.

Sie arbeitete schon seit ihrem Collegeabschluss in einem Kindergarten, und sie liebte ihren Job. Doch der Tod ihrer Großmutter hatte ihr einen solchen Tiefschlag versetzt, dass sie eine Auszeit gebraucht und sich ein halbes Jahr freigenommen hatte.

Ob sie im neuen Jahr wieder in ihren Kindergarten zurückkehren würde, wusste sie noch nicht. Vielleicht würde sie auch das Angebot einer alten Freundin annehmen und nach Beverly Hills ziehen …

Doch all das stand in den Sternen, und während der kommenden Tage wollte sie sich nur mit ihrem neuen Bruder und ihrem kleinen Neffen beschäftigen und alles daransetzen, ihr erstes Weihnachtsfest nach den vielen Schicksalsschlägen so gut wie möglich hinter sich zu bringen.

Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche. Kurz vor Northbridge gab es ein Funkloch, und Shannon hoffte, dass sie während ihres Aufenthalts nicht von der Außenwelt abgeschnitten sein würde.

Doch ihre Befürchtung erwies sich als unbegründet. Wenige Minuten später hatte sie wieder ein Netz. Und eine Nachricht auf der Mailbox …

Es war die Sekretärin von Wes, die sie bat, sich zu melden, sobald sie gut angekommen war.

Shannon wusste Wes’ Fürsorglichkeit zu schätzen. Er hatte sich auch nach ihren Plänen für die Feiertage erkundigt, weil er nicht wollte, dass sie das Fest allein verbrachte.

Doch schon der Umstand, dass es einmal mehr Wes’ Sekretärin war, die sie anrief, und nicht Wes persönlich, bestärkte sie in ihrer Entscheidung, den Heiratsantrag des Mannes abzulehnen, mit dem sie in den vergangenen drei Jahren zusammen gewesen war.

Wes Rumson. Der politische Hoffnungsträger der mächtigen Familie Rumson, die nur aus Staatsanwälten, Senatoren, Kongressabgeordneten und Bürgermeistern zu bestehen schien. Und wenn Wes’ Wahlkampagne erfolgreich verlief, würde bald auch noch ein Gouverneur aus ihren Reihen kommen.

Wes war der Mann, der ihr das spannende Leben bieten konnte, das sie sich immer gewünscht hatte. Wenn sie den Antrag, den er ihr vor laufender Kamera gemacht hatte, angenommen hätte.

Aber das hatte sie nicht. Egal, wie die Öffentlichkeit ihre Antwort wahrgenommen hatte, Shannon hatte Nein gesagt.

Doch mit Ausnahme einiger weniger Insider wusste das niemand. Die Aufnahmen waren nicht gesendet worden.

Und sie hatte jetzt wirklich keine Lust auf eine Unterhaltung mit Wes’ Sekretärin. Deshalb schickte sie ihr nur eine SMS, in der sie schrieb, dass sie gut in Northbridge angekommen sei, und ihr fröhliche Weihnachten wünschte.

Offenbar reichte schon die Nähe des alten Mannes im roten Mantel aus, um Shannon in eine weihnachtliche Stimmung zu versetzen …

Während sie ihr Handy zurück in die Tasche ihres dunkelblauen Wollmantels steckte und dabei das Geschehen auf der Eisfläche beobachtete, fiel ihr auf, dass dieser Weihnachtsmann eigentlich gar nicht so alt wirkte. Hinter dem falschen Bart und unter der roten Zipfelmütze steckte ein viel jüngerer Mann als erwartet, der sich auf seinen Schlittschuhen ausgesprochen leichtfüßig und schnell bewegte.

Nein, alt war dieser Mann nicht. Er war fit und jung und sportlich und …

Shannon hatte keine Ahnung, warum sie hier stand und ihn anstarrte. Besonders, weil es höchste Zeit war, dass sie sich auf den Weg machte.

Ein letzter tiefer Atemzug, ein weiterer Blick auf den festlich dekorierten Hauptplatz, die kleinen Eisläufer und den flotten Weihnachtsmann, und dann stieg Shannon zurück in ihren Wagen.

Weil sie gleich ihren Bruder wiedersehen würde, den sie erst kürzlich kennengelernt hatte, klappte sie die Sonnenblende herunter und kontrollierte ihr Gesicht im Spiegel.

Sie hatte ihre langen, walnussbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Was sie von dem neuen Mascara hielt, mit dem sie ihre blaugrünen Augen akzentuiert hatte, musste sie erst noch herausfinden, aber zumindest war nach der langen Fahrt alles noch intakt. Auch an dem Hauch von Rouge auf ihren Wangen gab es nichts auszusetzen. Ihr Lippenstift hingegen benötigte dringend eine Auffrischung.

Abgesehen davon war sie schön genug, um sich bei Chase Mackey und seiner zukünftigen Frau Hadley sehen zu lassen.

Shannon las sich noch einmal die Wegbeschreibung durch, die Chase ihr gegeben hatte: Auf der South Street links abbiegen. Danach die vierte Querstraße rechts.

Sie hatte sich schon zweimal mit Chase getroffen, doch beide Male war er zu ihr nach Billings gekommen. Genau, wie auch ihre Großmutter immer sie besucht hatte – und nie umgekehrt. Dies war Shannons erster Besuch in Northbridge seit ihrem zwölften Lebensjahr.

Chase hatte erzählt, dass er und sein Geschäftspartner Logan McKendrick gemeinsam eine alte Farm gekauft hatten, die sie für ihre Zwecke umgebaut und hergerichtet hatten. Logan lebte im Farmhaus. Daneben gab es eine Werkstatt und einen Verkaufsraum für die Möbeltischlerei, die Chase und Logan gemeinsam betrieben.

Chase und Hadley lebten in einer geräumigen Wohnung über der Werkstatt. Über der Garage befand sich außerdem ein weiteres kleines Apartment, das Shannon während der Feiertage bewohnen würde.

Sie war also nicht nur bei Chase und Hadley zu Gast, sondern irgendwie auch bei Logan und seiner Familie.

Aber am meisten freute sie sich auf ihren Neffen Cody.

Cody war der fünfzehn Monate alte Sohn der ältesten Schwester von Shannon und Chase. Nach dem Tod seiner Mutter wurde er von Chase und Hadley erzogen, und er war auch der Grund dafür, dass die Familiengeschichte offengelegt wurde, die Shannon und Chase zusammengeführt hatte.

Chase hatte den süßen Kleinen beide Male mit nach Billings gebracht, sodass Shannon ihn schon kennengelernt hatte und das Wiedersehen mit ihm kaum erwarten konnte.

Sie klappte die Sonnenblende zurück. Aha, der Eislaufunterricht war anscheinend beendet. Jedenfalls zogen der Weihnachtsmann und seine Kindergruppe gerade ihre Schlittschuhe aus.

Es war wohl besser, wenn sie rasch losfuhr, bevor es auf dem Parkplatz von Eltern zu wimmeln begann, die ihre Kinder abholen wollten.

Shannon legte den Sicherheitsgurt an und drehte den Schlüssel im Zündschloss.

Klick, klick, klick. Nichts.

„Was soll das?“, fragte sie ihr dreizehn Jahre altes Auto. „Jetzt hast du mich doch schon so weit gebracht …“

Doch auch bei den nächsten Startversuchen passierte dasselbe. Nämlich nichts.

Der Motor war tot.

Und Shannon hatte keine Ahnung von Autos.

„Na prima“, murmelte sie.

Während sie noch überlegte, was sie nun tun sollte, klopfte jemand ans Fenster der Fahrertür. Der Weihnachtsmann starrte mit großen, dunklen Augen zu ihr hinein.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Er hatte seine schwarzen Schlittschuhe an den Schnürsenkeln zusammengeknotet und sich wie selbstverständlich über die Schulter gehängt. Obwohl der Bart einen Großteil seines Gesichts verbarg, hatte Shannon mit ihrer Einschätzung richtiggelegen: Der Mann musste etwa in ihrem Alter sein.

Sie ließ das Fenster herunter. „Der Motor springt einfach nicht mehr an. Ich bin gerade erst ohne Probleme eine weite Strecke gefahren. Dann habe ich den Wagen für zwei Minuten abgestellt, und jetzt startet er nicht mehr.“

„Machen Sie die Haube auf, und dann sehe ich mir das mal an“, schlug der Weihnachtsmann in einem tiefen, vollen Bass vor, der seinem Erscheinungsbild alle Ehre machte.

Shannon hatte keine Ahnung, ob ihre Pannenhilfeversicherung so weit entfernt von zu Hause überhaupt gültig war. Daher ging sie auf den Vorschlag des Weihnachtsmanns ein und zog an dem Hebel, mit dem die Motorhaube entriegelt wurde.

Danach stieg sie aus und stellte sich neben den Weihnachtsmann, um gemeinsam mit ihm den Motorraum zu inspizieren.

Der Mann war ein Hüne. Natürlich hatte er im Vergleich zu den Kindern groß gewirkt, aber auch Shannon überragte er um einen Kopf. Außerdem war er wesentlich muskulöser, als er unter seiner Verkleidung auf den ersten Blick gewirkt hatte.

Sie hatte keine Ahnung, warum sie über solche Dinge nachdachte …

„Ihre Batterie ist neu. Daran kann es nicht liegen“, stellte er fest. „Deshalb wird es nichts nützen, wenn ich Ihnen Starthilfe gebe.“

Starthilfe? Wer weiß, in manchen Bereichen könnte mir ein wenig Starthilfe vielleicht ganz guttun.

„Ich werde jetzt einige Dinge ausprobieren“, kündigte der Weihnachtsmann an. „Steigen Sie wieder ein und drehen den Zündschlüssel, wenn ich ‚jetzt‘ sage.“

Shannon gehorchte, aber trotz aller Versuche sprang der Motor nicht mehr an.

„Ich fürchte, Ihr Wagen hat ein größeres Problem. Jedenfalls keines, das ich auf die Schnelle beheben kann“, erklärte der Weihnachtsmann schließlich bedauernd.

Er schloss die Motorhaube und bückte sich, um sich im Schnee die Hände zu waschen.

Shannon sprang aus dem Auto und reichte ihm einige Taschentücher, die sie aus dem Handschuhfach geholt hatte.

„Aber trotzdem vielen Dank, dass Sie es versucht haben“, sagte sie, während er sich die Hände abtrocknete. Sie deutete die Hauptstraße hinauf. „Beim Herfahren habe ich dort oben eine Tankstelle gesehen. Sie wissen nicht zufällig, ob es dort auch einen Mechaniker gibt?“

„Doch. Sogar einen sehr guten. Ich kann ihn für Sie anrufen, wenn Sie möchten. Er kann Ihr Auto auch abschleppen, falls es notwendig sein sollte.“

Shannon warf einen Blick auf die Uhr. Bis zu dem Anwaltstermin für den Verkauf der Farm ihrer Großmutter hatte sie noch eine knappe Stunde Zeit. „Das wäre gut“, sagte sie zögernd. „Glauben Sie, der Mechaniker kommt bald? Ich habe es nämlich leider ziemlich eilig …“

„Selbst wenn er nicht kann – lassen Sie den Schlüssel einfach im Handschuhfach. Roy – das ist der Mechaniker – kümmert sich um Ihr Auto, sobald er Zeit hat. Hier bei uns in Northbridge kommt nichts weg, keine Angst. Und wenn Sie irgendwohin müssen, kann ich Sie gern hinfahren.“

Auch wenn er noch so sympathische Augen hatte – Shannon konnte unmöglich zu einem Fremden ins Auto steigen. „Vielen Dank, aber ich werde wohl am besten meinen Bruder anrufen.“

„Wer ist Ihr Bruder? Northbridge ist eine kleine Stadt. Vielleicht kenne ich ihn.“

„Chase Mackey?“

„Shannon? Du bist Shannon Duffy?“, fragte der Weihnachtsmann ungläubig.

„Richtig. Aber woher …“

„Ich bin Dag McKendrick. Du hast mir die Farm deiner Großmutter verkauft. Der Geschäftspartner von Chase ist mein Halbbruder Logan.“

Ein Anwalt aus Northbridge hatte den Verkauf abgewickelt. Shannon kannte den Namen des Käufers, und sie hatte auch gewusst, dass es eine familiäre Beziehung zum Partner ihres Bruders gab, aber sie hatten einander nie getroffen.

„Wow, das ist aber wirklich eine kleine Stadt“, erklärte sie verblüfft. Was für ein Zufall!

„Ich wohne übrigens bei Logan, bis ich das Haus deiner Großmutter richtig in Schuss gebracht habe. Und du bekommst während der Feiertage das Apartment über der Garage, richtig?“

„Ja.“

„Dann rufe ich jetzt schnell Roy an und bitte ihn, sich um dein Auto zu kümmern. Anschließend nehme ich dich mit nach Hause.“

Oh.

Bei ihm hörte sich das so einfach und selbstverständlich an. Aber Shannon war immer noch nicht wohl dabei, ihm alles, was er sagte, zu glauben und sich ihm anzuvertrauen. „Äh … danke, aber …“

„Komm schon, es ist alles in Ordnung. Ich habe sogar einen Lutscher für dich …“, lockte er sie übertrieben freundlich und zog tatsächlich einen Lutscher aus der Tasche seines roten Mantels.

Shannon musste wider Willen grinsen. „Ein Fremder, verkleidet als Weihnachtsmann, will mich mit einem Lutscher dazu bringen, in seinen Wagen zu steigen?“, fasste sie kopfschüttelnd zusammen.

Dag lachte. „Zugegeben, das klingt schon etwas mysteriös. Gut, wie wäre es damit …“

Er griff wieder in seine Manteltasche und förderte dieses Mal eine Geldbörse zutage.

„Hier. Ich beweise dir, wer ich bin.“ Er reichte ihr seinen Führerschein.

Shannon sah ihn sich genau an, besonders das Foto. Es bildete eine Ausnahme von der alten Regel, dass man schleunigst Urlaub machen sollte, wenn man seinem Führerscheinfoto ähnlich zu sehen beginnt. Nicht nur Dags Augen gefielen ihr, sondern sein ganzes Erscheinungsbild.

Seine Nase – weder zu dick noch zu dünn – stand ihm richtig gut. Ausgeprägte Lippen. Ein eckiges Kinn. Und ein Anflug von dunklen Bartstoppeln, die ihm das gewisse Etwas verliehen.

Sein Haar, kurz an den Seiten, etwas länger auf dem Kopf, hatte die Farbe von Espresso: nur einen Hauch heller als schwarz. Er trug es geradezu perfekt zerzaust.

Und ja, der Name auf dem Führerschein war wirklich Daegal Pierson McKendrick.

„Daegal?“, fragte Shannon amüsiert, als sie den ungewöhnlichen Namen sah.

„Meine Mutter war ein bisschen größenwahnsinnig“, erklärte Dag achselzuckend. „Sie hielt den Namen für etwas ganz Besonderes. Meine Schwestern heißen übrigens Isadora, Theodora und Zeli. Aber immerhin hast du jetzt gesehen, dass ich dir keinen Bären aufbinde. Und in einer Stunde sitzen wir zusammen beim Anwalt und unterzeichnen den Kaufvertrag. Außerdem werden wir heute Abend gemeinsam mit unseren Familien essen und die kommenden zehn Tage Tür an Tür wohnen. Da denke ich schon, dass du dich auf eine fünfminütige Autofahrt mit mir einlassen kannst.“

Shannon wusste selbst nicht, wieso, aber irgendwie hatte sie plötzlich Lust, Dag zappeln zu lassen, obwohl er sie schon lange von seiner Vertrauenswürdigkeit überzeugt hatte. „Woher weiß ich denn, dass der Mann hinter deinem weißen Rauschebart derselbe ist wie der auf dem Führerscheinfoto?“

Dag sah sich gründlich um, um sich zu versichern, dass keines seiner Eislaufkinder in der Nähe war, bevor er für einen Moment den Bart nach unten zog. Der Moment reichte Shannon, um festzustellen, dass er in Wirklichkeit noch besser aussah als auf seinem Führerscheinfoto.

Als der Bart wieder war, wo er hingehörte, deutete Dag mit dem Zeigefinger erst auf den Führerschein, dann auf sich selbst und sagte: „Habe ich dich jetzt überzeugt, oder bist du immer noch misstrauisch? Ich bin kein Triebtäter, der dich hinaus in den Wald fährt und über dich herfällt.“

Warum musste sie lächeln? Und warum klang das vielleicht sogar ein wenig verführerisch?

Wieder hatte sie keine Antwort auf diese Fragen, aber sie lenkte schließlich doch noch ein. „Okay. Ruf den Mechaniker an, und danach werde ich dir wohl oder übel vertrauen und mit in deinen Wagen steigen müssen.“

Dag McKendrick grinste sie an und zeigte ihr dabei seine makellosen weißen Zähne. „Du brauchst nicht mitzufahren, wenn du nicht willst. Du kannst auch zu Fuß gehen. Es sind nur etwa vier Meilen …“

„Schon gut, schon gut. Du hast mich überredet. Ich komme ja mit. Aber denk dran, dass der Mechaniker weiß, mit wem ich weggefahren bin, falls ich nicht mehr auftauchen sollte.“

„Das wird bestimmt nicht passieren. Ich habe nicht vor, mich mit dem künftigen Gouverneur von Montana anzulegen. Der dürfte gar nicht begeistert sein, wenn seine Braut plötzlich verschwindet.“

Dann hatte diese Nachricht also sogar Northbridge erreicht. Pech. Irgendwie hatte Shannon gehofft, dass man sich in der abgelegenen Kleinstadt nicht für solche Themen interessierte.

Aber obwohl sie nicht vorhatte, Wes Rumson zu heiraten, hatte sie doch eingewilligt, ihre Weigerung vorerst für sich zu behalten. Wes’ Medienbeauftragte würden einen Weg finden, die Sache öffentlich zu machen, ohne dass er dadurch das Gesicht verlor und sein Image litt. Deshalb konnte Shannon Dag jetzt nicht korrigieren. Schließlich war er praktisch ein Fremder, und sie standen auf einem öffentlichen Platz.

Und doch hätte sie nichts lieber getan, als ihm die Wahrheit zu sagen, weil sie den Gedanken, dass er sie irrtümlicherweise für verlobt hielt, schrecklich fand.

Dieses Gefühl war ihr genauso unverständlich wie ihre sonstige Reaktion auf diesen Mann.

Aber sie hatte Wes nun einmal Diskretion versprochen und würde dieses Versprechen auch halten.

Sie musste einfach.

Daher hielt sie sich zurück und sagte nur: „Wenn du freundlicherweise den Mechaniker anrufen würdest, lade ich inzwischen meinen Koffer aus.“

„Hört, hört, du klingst sogar schon wie eine künftige Gouverneursfrau“, witzelte er.

Statt einer Antwort rollte Shannon nur mit den Augen.

„Lass deinen Koffer ruhig, wo er ist. Ich hole ihn, sobald ich mit Roy gesprochen habe. Schließlich kann ich doch nicht zulassen, dass die künftige First Lady von Montana ihr Gepäck selbst schleppt.“

Shannon ignorierte die Äußerung und ging zum Kofferraum, um den Koffer zu holen.

Verstohlen warf sie einen Blick am offenen Kofferraumdeckel vorbei.

Dag McKendrick.

Warum in aller Welt war es ihr so wichtig, dass er wusste, dass sie nicht verlobt war?

Im Augenblick verstand sie sich wirklich selbst nicht.

2. KAPITEL

Am Donnerstagabend legte Dag den gerade unterzeichneten Kaufvertrag für sein Farmhaus in die oberste Schublade der Kommode im Gästezimmer seines Halbbruders Logan.

Er hörte Stimmen im Wohnzimmer. Die Gäste zum Abendessen begannen einzutrudeln. Schließlich gab es mit Shannon Duffys Ankunft und dem frisch besiegelten Hauskauf gleich zwei Gründe zum Feiern.

Dag freute sich auf den Abend, aber bevor er nach unten ging, musste er sich erst noch ein paar Minuten ausruhen. Er setzte sich auf die Bettkante, streckte sein Knie aus und massierte die schmerzende Stelle mit den Händen.

Autor

Victoria Pade
Victoria Pade ist Autorin zahlreicher zeitgenössischer Romane aber auch historische und Krimi-Geschichten entflossen ihrer Feder. Dabei lief ihre Karriere zunächst gar nicht so gut an. Als sie das College verließ und ihre erste Tochter bekam, machte sie auch die ersten schriftstellerischen Gehversuche, doch es sollte sieben Jahre dauern, bis ihr...
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