Unter dem Weihnachtsbaum in Virgin River

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Ein weihnachtlicher Kurzroman aus der beliebten »Virgin River«-Reihe: Jetzt als Netflix-Serie!

Kurz vor Weihnachten steht ein Karton voll winziger Welpen unter dem Christbaum mitten auf dem Dorfplatz in Virgin River. Barbesitzer Jack gewährt den niedlichen Waisenhunden Asyl hinter seinem Tresen, wo sie alsbald im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Vor allem der attraktive neue Tierarzt Nathaniel Jensen schaut auffallend oft vorbei. Und die hübsche Annie McKenzie lässt sich ebenfalls häufiger blicken als streng genommen nötig. Schon bald beginnt es zwischen den beiden heftig zu knistern …


  • Erscheinungstag 24.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783745752434
  • Seitenanzahl 112
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Robyn Carr

Unter dem Weihnachtsbaum in Virgin River

Roman

Übersetzung aus dem Amerikanischen von

Barbara Alberter

MIRA® TASCHENBUCH

Neuausgabe

Copyright © 2020 für die deutsche Ausgabe by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Under The Christmas Tree

Copyright © 2009 by Robyn Carr

erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Covergestaltung: bürosüd, München

Coverabbildung: www.buerosued.de

ISBN E-Book 978-3-7457-5243-4

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

www.harpercollins.de

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1. KAPITEL

In der Weihnachtszeit war ein Abstecher nach Virgin River ein Muss. Neuerdings stellten sie dort mitten im Ort einen etwa neun Meter hohen Christbaum auf, den sie in den Farben Rot, Weiß, Blau und Gold schmückten und mit einem riesengroßen prächtigen Stern krönten, der weithin leuchtete. Von meilenweit kamen die Menschen her, um den Baum zu bewundern, denn die patriotische Dekoration unterschied ihn von allen anderen Weihnachtsbäumen. Jack Sheridan, der die Bar im Ort besaß, behauptete scherzhaft, er rechne jederzeit damit, die drei Weisen aus dem Morgenland zu sehen, weil der Stern so weit strahlte.

Annie McKenzie fuhr nicht sehr oft durch Virgin River, wenn sie von ihrem Wohnort Fortuna zur Farm ihrer Eltern in der Nähe von Alderpoint wollte. Es bedeutete einen Umweg, aber ihr gefiel das nette kleine Dorf, und vor allem gefiel ihr Jack Sheridans Bar-Restaurant, wo man sie schon wie eine alte Freundin behandelt hatte, nachdem sie ein- oder zweimal da gewesen war.

Sie befand sich auf dem Weg zu ihrer Familie, da beschloss sie im letzten Moment, kurz in Virgin River vorbeizuschauen. Weil es die Woche nach Thanksgiving war, hoffte sie, dass sie bereits mit dem Schmücken des Baumes begonnen hatten. Es war ein ruhiger sonniger Montagnachmittag und sehr kalt, allerdings wurde ihr warm ums Herz, als sie in das Dorf kam und entdeckte, dass der Baum bereits dekoriert war. Sie erspähte Jack auf einer Leiter, damit beschäftigt, den Weihnachtsschmuck hier und da noch zurechtzurücken. Christopher, der sechsjährige Sohn von Jacks Koch Preacher, stand unten und blickte zu ihm hoch.

Annie sprang aus dem Truck und ging zu ihnen. »Hey, Jack«, rief sie nach oben. »Sieht gut aus!«

»Annie! Lange nicht gesehen. Wie geht’s deinen Eltern?«

»Ausgezeichnet. Und deiner Familie?«

»Gut.« Er schaute sich um. »Hm. Oh. David?«, stieß er aus. Dann wandte er sich an Christopher, während er bereits die Leiter hinunterkletterte. »Chris, du wolltest mir doch helfen, auf ihn aufzupassen. Wo ist er?« Nun schrie er laut: »David?«

»David! David!«, fiel Chris in sein Rufen ein.

Beide rannten um den Baum herum, sahen auf der Veranda der Bar nach und liefen hinters Haus, wobei sie ständig seinen Namen riefen. Unsicher, ob sie helfen oder die beiden lieber nicht stören sollte, blieb Annie neben dem großen Weihnachtsbaum stehen. Auf einmal bewegte sich der unterste Ast und ein Junge im Alter von etwa drei Jahren tauchte darunter auf.

»David?«, fragte sie und bemerkte, dass er etwas Pelziges in den Händen hielt, die in Fäustlingen steckten. Sie kniete sich vor ihn. »Was hast du denn da, mein Freund?« Gleich darauf schrie sie laut: »Hab ihn gefunden, Jack!«

David hatte irgendein kleines Tier aufgelesen, das erschreckend jung und schlaff wirkte. Sein Fell war schwarz-weiß, und mit geschlossenen Augen hing es kraftlos in den Händen des kleinen David. Sie konnte nur hoffen, dass der Kleine es nicht zu fest gedrückt und ihm das Leben ausgepustet hatte; Jungs waren nicht gerade berühmt für ihre Behutsamkeit. »Lass mich mal sehen, Schätzchen.« Nachdem sie David das Wesen abgenommen hatte, wurde dessen Kopf sichtbar. Kein Zweifel, es war ein Welpe. Ein neugeborenes, winziges Hündchen.

Jack kam um den Baum gelaufen. »Wo hat er gesteckt?«

»Unter dem Baum. Und das hatte er dabei, als er herauskam.« Annie ließ Jack nur einen ganz kurzen Blick auf das Tier werfen, bevor sie es unter ihren Wollpullover schob, um es zwischen T-Shirt und Pullover an ihrem Körper zu wärmen. Dann schloss sie ihre Daunenweste, damit der Hund an Ort und Stelle blieb. »Gut möglich, dass der arme kleine Kerl erfroren ist, oder jedenfalls so gut wie.«

»Oje, David, wo hast du ihn gefunden?«

David jedoch zeigte nur auf Annie und meinte: »Mein Wepie!«

»Ja, er hat recht«, erwiderte Annie. »Das ist ein Wepie … äh, Welpe. Aber nicht sehr alt. Nicht alt genug, um allein aus einem Haus oder von einem Hof davonzulaufen. Dieser niedliche Fratz sollte bei seiner Mom in einer Kiste liegen.«

»David, du bleibst bei Chris an der Hand«, befahl Jack.

Und David sagte etwas in seiner Kindersprache, das übersetzt so viel hieß wie: »Ich will meinen Welpen haben!« Allerdings lag Jack da schon bäuchlings auf dem kalten Boden und kroch unter den Baum. Annie hörte noch ein gedämpftes »Ach du Sch…!« von dort unten, und als er rückwärts wieder hervorkam, zog er einen Karton voller schwarz-weißer Welpen heraus.

Einen Moment lang starrten Annie und Jack sich nur an. »Bring sie lieber rein und stell sie ans Feuer. So junge Welpen können in der Kälte wirklich schnell sterben. Das könnte böse enden«, erklärte Annie schließlich.

Jack hob die Kiste hoch. »Und ob das böse enden wird! Ich werde herausbekommen, wer so etwas Schreckliches tun konnte, und nehme ihn auseinander!« Dann drehte er sich zu den beiden Kindern um. »Kommt mit, Jungs.« Er trug den Karton auf die Veranda, und Annie lief an ihm vorbei, um ihm die Tür aufzuhalten. »Ich meine, schließlich gibt es ja Tierheime, mein Gott!«

Im Kamin brannte ein Feuer, und am Tresen standen zwei Männer, die wie Jäger gekleidet waren und bei einem Krug Bier Cribbage spielten. Annie klopfte auf den Platz am Feuer, und sowie Jack die Hunde abgesetzt hatte, schaute sie sich die Welpen genauer an. »Ich werde hier etwas Hilfe brauchen, Jack. Kannst du vielleicht ein paar Handtücher im Trockner anwärmen? Ein paar zusätzliche warme Hände wären auch nicht schlecht. Da ist mir nicht genug Gezappel in der Kiste, das mich beruhigen könnte.« Plötzlich begann es unter ihrer Kleidung zu zappeln, und während sie die Beule unter ihrem Pullover tätschelte, fügte sie mit einem strahlenden Lächeln hinzu: »Meiner wird es schaffen.«

»Was habt ihr denn da?«, hörte sie jemanden fragen.

Sie warf einen Blick über die Schulter und stellte fest, dass die Jäger vom Tresen zum Kamin geschlendert waren und in den Karton spähten. »Irgendwer hat eine Kiste mit kleinen Welpen unter den Weihnachtsbaum gestellt. Sie sind halb erfroren.« Sie nahm zwei heraus, vergewisserte sich, dass sie sich bewegten, und reichte sie weiter. »Hier, stecken Sie sich die unters Hemd, wärmen Sie sie und achten Sie darauf, ob sie wieder zu sich kommen.« Dann hob sie zwei weitere aus dem Karton, sah sich die Tiere kurz an und reichte sie dem anderen Mann. Die Männer befolgten die Anweisung, und Annie selbst schob sich dann auch noch eins unter den Pullover.

Als Nächstes holte sie dann ein Hündchen aus der Kiste, das auf ihrer Handfläche schlappmachte. »Oh-oh«, murmelte sie und schubste es leicht an, doch es rührte sich nicht. Also legte sie ihren Mund über seine winzige Schnauze und blies ihm vorsichtig Atem ein. Sanft massierte sie seine kleine Brust, rieb ihm die Beinchen und beatmete ihn ein weiteres Mal. Und schon rollte er sich auf ihrer Handfläche zusammen. »So ist’s besser«, flüsterte sie und packte ihn unter ihr T-Shirt.

»Haben Sie diesen Welpen etwa gerade wiederbelebt?«, stieß einer der Jäger erstaunt aus.

»Kann sein«, antwortete sie. »Das habe ich einmal bei einem verwaisten Kätzchen gemacht, und es hat funktioniert. Also was soll’s, hm? Meine Güte, da sind acht von diesen kleinen Kerlchen. Ein großer Wurf. Wenigstens haben sie schon ein Fell, aber sie sind noch so jung. Ich wette, nicht älter als zwei Wochen. Und Welpen sind so kälteempfindlich. Sie müssen warm gehalten werden.«

»Wepie!«, rief David und versuchte mit seinen Händchen in den Karton zu greifen.

»Genau, du hast eine ganze Kiste voller Wepies gefunden, David«, sagte Annie. Sie hob das letzte Hündchen aus der Kiste und hielt es den Jägern hin. »Hat noch jemand ein warmes Plätzchen für das hier?«

Einer der Männer nahm es und platzierte es unter seinem Arm. »Sind Sie Tierärztin oder so was?«

Sie lachte. »Ich bin nicht weit weg von hier auf einer Farm aufgewachsen. Da hatten wir hin und wieder schon mal einen Wurf, ein Fohlen oder ein Kalb, um das die Mutter sich nicht kümmern konnte oder wollte. Das kommt zwar selten vor, dennoch passiert es. Normalerweise sollte man sich nie zwischen eine Mutter und ihre Kinder stellen, aber manchmal … Also, das Wichtigste ist erst einmal die Körpertemperatur, und diese Kerlchen hier haben wenigstens ein gutes Fell. Das Nächste ist dann etwas zu fressen.« Sie steckte eine Hand in den Karton und befühlte die Decke, auf der die Hündchen zusammengekuschelt gelegen hatten. »Hmm, die ist trocken. Kein Urin, kein Kot … was gar nicht so gut ist. Abgesehen davon, dass sie regelrecht unterkühlt sind, dürften sie inzwischen wahrscheinlich halb verhungert sein. Vielleicht sogar schon dehydriert. Welpen trinken eine Menge und offensichtlich wurden sie aus der Welpenbox geholt und von der Mutter getrennt.«

Jack kam zurück, Preacher folgte ihm dicht auf den Fersen. Er war groß genug, um über Jacks Schulter sehen zu können, dass der Karton leer war. »Was ist los?«, erkundigte er sich.

»Dad! David hat unter dem Weihnachtsbaum eine Kiste mit lauter Welpen gefunden! Die sind eiskalt! Die können sterben!«, informierte Christopher ihn verzweifelt.

»Wir wärmen sie ja wieder auf«, beruhigte Annie ihn und deutete auf die Ausbuchtungen unter den Hemden der Jäger. »Die Hälfte von ihnen zappelt schon rum, und nicht mehr lange, dann wissen wir auch, was mit der anderen Hälfte los ist. Bis dahin müssen wir schauen, dass sie etwas Flüssigkeit und Nahrung aufnehmen. So früh darf man sie nicht von der Mutter trennen. Milchpulver und Frühstücksflocken für Babys wären ideal, doch wir schaffen es auch mit etwas warmer Milch und verdünntem Hafermehl.«

»Milchpulver für Babys?«, fragte Jack. »Ich wette, dass ich das auftreiben kann. Du erinnerst dich doch an meine Frau Mel. Sie ist Hebamme. Sie wird Milchpulver vorrätig haben.«

»Perfekt. Und wenn sie noch ein paar Reisflocken oder Baby-Haferflocken hätte, wäre das sogar noch besser.«

»Werden wir Flaschen brauchen?«, wollte er wissen.

»Nö, ein paar flache Schalen tun’s auch. Sie sind zwar jung, doch ich wette, dass sie wahnsinnig hungrig sind. Das werden sie ganz schnell begreifen.«

»Hoppla!«, sagte einer der Jäger. »Ich hab einen Zappelphilipp hier!«

»Ich auch!«, rief der andere.

»Halten Sie sie noch eine Weile am Körper«, ordnete Annie an. »Wenigstens so lange, bis wir die warmen Handtücher in die Kiste legen können.«

Beinahe hätte ein Karton voller unterkühlter, hungriger Welpen, die sich kaum noch bewegten, Annie vergessen lassen, weshalb sie überhaupt in Virgin River gelandet war. Es war drei Wochen vor Weihnachten, und ihre drei älteren Brüder, deren Frauen und Kinder würden über die Feiertage auf der Farm ihrer Eltern einfallen. Heute war einer der zwei freien Tage in der Woche, an denen Annie nicht in ihrem Friseursalon arbeitete. Gestern, also am Sonntag, hatte sie den ganzen Tag über mit ihrer Mutter gebacken, und heute war sie früh aufgestanden, um zwei Schmorgerichte zuzubereiten, die ihre Mutter für die Feiertagsgäste einfrieren konnte. Sie hatte geplant, zuerst ihrer Mutter beim Kochen zu helfen und dann vielleicht mit einem ihrer zwei Pferde auszureiten. Auch ihrem preisgekrönten Stier Erasmus wollte sie Hallo sagen. Erasmus war schon sehr alt, und jedes Hallo konnte das letzte sein. Dann hatte sie vorgehabt, mit ihren Eltern zu Abend zu essen, was sie wenigstens einmal in der Woche tat. Sie war das Nesthäkchen der Familie McKenzie, unverheiratet und obendrein auch noch in der Nähe wohnend, da fiel ihr die Aufgabe zu, sich um Mom und Dad zu kümmern.

Nun aber saß sie hier am Kamin und kümmerte sich um eine Kiste Hundebabys. Im Nu hatte Jack Milchpulver, Haferflocken und zwei warme Handtücher aus dem Trockner herbeigezaubert. Preacher stellte flache Schalen zur Verfügung und rührte das Milchpulver an. Sie und Chris fütterten immer zwei der Hündchen gleichzeitig und hielten sie an, ihre Mahlzeit aufzuschlappern. Für die Welpen, die das nicht schafften, organisierte sie in der Arztpraxis auf der anderen Straßenseite eine Pipette.

Jack rief einen Bekannten an, der Tierarzt war, und wie sich herausstellte, kannte Annie ihn auch. Der alte Doc Jensen war schon vor ihrer Geburt regelmäßig auf der Farm erschienen, denn in jüngeren Jahren hatte ihr Vater einen zwar kleinen, aber blühenden Milchhof betrieben. Damals hatten sie immer viele Kühe gehabt, ein paar Pferde, Hunde und Katzen, Ziegen und einen reizbaren Stier. Obwohl Jensen eher ein Veterinär für Nutztiere war, würde er dennoch in der Lage sein, diese Welpen wenigstens zu untersuchen.

Annie bat Jack, sich auch bei ihrer Mutter zu melden und ihr zu erklären, was sie hier festhielt. Ihre Mom würde lachen, denn sie kannte ihre Tochter gut genug und wusste, dass Annie durch nichts von einer Kiste Hundebabys in Not wegzuholen war.

Als die Essenszeit heranrückte, war nicht zu übersehen, dass die Welpen eine Menge Leute anlockten. Sie kamen zu Annie an den Kamin, erkundigten sich nach der Geschichte, griffen in die Box, um das weiche Fell zu zausen oder sogar einen der Welpen auf die Arme zu nehmen. Annie war nicht sicher, ob so viel Streicheln eine gute Idee war, aber solange sie die kleinen Kinder, insbesondere David, davon abhalten konnte, sie falsch anzufassen, hatte sie das Gefühl, wenn schon nicht den Krieg, so doch wenigstens eine Schlacht gewonnen zu haben.

»Diese Bar hat längst mal ein paar Maskottchen gebraucht«, sagte jemand.

»Und dann acht! Donner, Prancer, Comet, Vixen und … wie sie auch immer heißen mögen.«

»Wer davon ist Comet?«, wollte Chris wissen. »Dad? Kann ich Comet haben?«

»Nein. Wir haben hier ein Geschäft, in dem gegessen und getrunken wird«, antwortete Preacher.

»Oooch, Dad! Dad, sag Ja. Bitte, Dad. Ich mach auch alles. Er kann bei mir schlafen. Ich pass auf, dass er immer lieb ist. Bitte

»Christopher …«

»Bitte. Bitte? Ich hab noch nie was haben wollen.«

»Tatsache ist, du willst immer alles haben«, korrigierte Preacher ihn. »Und meistens bekommst du es auch.«

»Ein Junge sollte nicht ohne Hund aufwachsen«, mischte sich einer der Gäste ein.

»Das lehrt sie Verantwortung und Disziplin«, lautete ein weiterer Kommentar.

»Es ist ja nicht so, als wäre er dann die ganze Zeit in der Küche.«

»Ich habe eine Ranch. Da kann ich mich über ein paar Haare in den Kartoffeln nicht aufregen.« Alle lachten.

Vier der acht Welpen waren schon richtig munter geworden; mit wiedergewonnener Kraft krabbelten sie herum und hatten auch einiges von dem mit Flocken angedickten Milchpulver aufgeschleckt. Zwei waren noch dabei, sich vom sicheren Tod durch Hunger und Unterkühlung zur erholen, und Annie gelang es, ihnen mit der Pipette etwas Nahrung einzuflößen. Zwei weitere atmeten zwar und ihre Herzen schlugen auch, doch sie waren nicht nur klein, sie waren schwach und schlapp. Sie tröpfelte ihnen ein wenig Milch in die winzigen Mäulchen, dann packte sie sie wieder unter ihr T-Shirt, um sie warm zu halten, wobei sie hoffte, dass sie sie fürs Erste mit ihrer Mutter verwechselten. Währenddessen fragte sie sich die ganze Zeit, ob der alte Doc Jensen jemals auftauchen würde.

Als wieder einmal ein Windstoß durch die geöffnete Eingangstür hereinwehte, vergaß Annie die Welpen für einen Moment. Der Mann, der gerade Jacks Bar betreten hatte, war wahrscheinlich der leckerste männliche Augenschmaus, den sie seit geraumer Zeit gesehen hatte. Abgesehen davon kam er ihr auch irgendwie bekannt vor. Sie überlegte, ob sie ihn in einem Film oder im Fernsehen gesehen haben könnte. Er ging direkt zum Tresen und Jack begrüßte ihn höchst erfreut.

»Hey, Nate! Wie geht’s dir? Hast du schon deine Flugtickets?«

»Allerdings, die habe ich«, antwortete er lachend. »Schließlich freue ich mich schon ewig darauf. Nicht mehr lange, dann liege ich in Nassau am Strand, um mich herum Hunderte von Stringbikinis. Davon träume ich bereits.«

»So eine Cluburlaubsgeschichte?«, fragte Jack.

»Nee.« Wieder lachte er. »Ein paar alte Studienkollegen. Die meisten habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Wir haben kaum noch Kontakt, doch einer von ihnen hat diese Reise organisiert, und da ich Zeit habe, finde ich die Idee ausgezeichnet. Der Typ, der sich um alles kümmert, hat so ein All-inclusive-Angebot in dem Hotel gebucht. Essen, Getränke, alles mit drin. Bloß für Aktivitäten wie Hochseeangeln oder Tauchen müsste ich noch zahlen, wenn ich nicht eh bloß am Strand liege und mir schöne Frauen in knappen Bikinis anschaue.«

»Freut mich für dich«, sagte Jack. »Ein Bier?«

»Nichts dagegen«, antwortete Nate. Und wie die Antwort auf ein Gebet, von dem Annie nicht einmal wusste, dass sie es ausgesprochen hätte, trug er sein Bier direkt zu dem Platz, wo sie mit der Kiste Welpen saß. »Hallo«, begrüßte er sie.

Bei seinem Anblick musste sie schlucken. Aus ihrer Sitzposition heraus konnte sie nur schwer einzuschätzen, wie groß er genau war, aber bestimmt über einen Meter achtzig. Annie hatte einen Blick dafür, weil sie selbst groß war. Seine Haare waren dunkelbraun; seine Augen wiesen einen sogar noch dunkleren Braunton auf und waren von massenhaft dichten schwarzen Wimpern umrahmt. Wenn ihre Mutter von solchen Augen sprach, sagte sie immer »Schlafzimmerblick«. Er zog die Augenbrauen hoch, als er zu ihr nach unten schaute. Dann lächelte er und auf seiner Wange erschien ein Grübchen.

»Ich habe Hallo gesagt«, wiederholte er.

Mit einem Husten riss sie sich aus der Benommenheit und brachte ein »Hi« zustande.

Leicht runzelte er die Stirn. »Hey, ich glaube, Sie haben mir mal die Haare geschnitten.«

»Das wäre möglich, denn damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt.«

»Ja, das waren Sie. Jetzt erinnere ich mich wieder.«

»Und was war das Problem daran?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich wüsste nicht, dass es ein Problem gegeben hat.«

»Warum sind Sie dann nicht wiedergekommen?«

Er schmunzelte. »Also gut, wir waren unterschiedlicher Meinung, was das Zeug anging, das Sie mir in die Haare schmieren wollten. Ich wollte es nicht, Sie aber haben mir gesagt, dass ich es wollte, und Sie haben gewonnen. Als ich dann rausging, sah ich ganz stachlig aus. Wenn ich mir an den Kopf fasste, war es, als hätte ich Baiser in den Haaren.«

»Gel«, erklärte sie. »Wir nennen es ‚Product‘. Das ist jetzt in.«

»Ach wirklich? Dann bin ich das wohl nicht, fürchte ich.« Er setzte sich an die andere Seite des Kartons auf die Kaminbank, griff hinein und hob einen der Welpen heraus. »Denn ich mag kein ‚Product‘ in meinen Haaren.«

»Sind Ihre Hände auch sauber?«, fragte sie ihn.

Erstaunt schaute er sie an. Dann wanderte sein Blick langsam von ihrem Gesicht zu ihrer Brust, er lächelte und sagte: »Hm, ich glaube, da bewegt sich was bei Ihnen. Aber vielleicht sind Sie ja auch nur froh, mir zu begegnen.« Und er grinste über beide Ohren.

»Witzbold«, erwiderte Annie, griff unter ihren Pullover und zog ein winziges sich windendes Hündchen heraus. »Ist der Spruch von Ihnen?«

Er neigte den Kopf und nahm ihr den Welpen aus der Hand. »Ich würde sagen, ein Border Collie steckt zumindest mit drin. Sieht aus, als würde der Border-Collie-Anteil überwiegen, doch wenn sie älter werden, könnten noch andere Merkmale zum Vorschein kommen. Niedlich«, stellte er fest. »In der Gegend hier gibt es viele unterschiedliche Rassen von Hütehunden.«

Autor

Robyn Carr
<p>Seit Robyn Carr den ersten Band ihrer gefeierten <em>Virgin River</em>-Serie veröffentlichte, stehen ihre Romane regelmäßig auf der Bestsellerliste der <em>New York Times</em>. Auch ihre herzerwärmende <em>Thunder Point</em>-Reihe, die in einem idyllischen Küstenstädtchen spielt, hat auf Anhieb die Leserinnen und Leser begeistert. Robyn Carr hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit...
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