Abenteuer auf Malta

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In dem herrlichen Haus auf den Klippen lernt die junge Reporterin Sophie die Liebe ihres Lebens kennen: den pressescheuen Schriftsteller Ray Buchanan. Doch ihre zauberhafte Romanze droht zu zerbrechen, als Ray entdeckt, dass Sophie heimlich Fotos von ihm gemacht hat...


  • Erscheinungstag 01.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778736
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Jetzt hab’ ich dich, Ray Buchanan!“, flüsterte Sophie Nash triumphierend. Einen schier endlosen Nachmittag lang hatte sie auf dem kleinen Felsvorsprung gut fünfzehn Meter über der steinigen Bucht in der Sonne ausgeharrt und wollte sich nun auf keinen Fall verraten.

Beinahe hätte sie schon aufgesteckt. Die Sonne war schon beinahe untergegangen, und Sophie hatte sich noch zehn Minuten gegeben, bevor sie diesen ungastlichen Platz, an dem man sich kaum rühren konnte, räumen und die rund fünf Meter bis zum Plateau zurückklettern würde. Von dort oben hatte der Felsvorsprung um einiges größer gewirkt, und sie war sich sicher gewesen, dass sie von da aus das ganze Gelände zwischen dem Meer und dem Turm würde überschauen können. Was für ein Irrtum! Sie hatte nur einen qualvoll verlockenden Blick aufs Wasser gehabt und inständig gehofft, dass der plötzliche Temperaturanstieg ihr „Opfer“ zu einem erfrischenden Bad nach draußen locken würde. Und das Glück war ihr hold gewesen.

Erneut drückte Sophie auf den Auslöser ihrer Kamera. Der Mann dort unten stand entspannt am Strand und sah aufs Meer hinaus. Wenn er wüsste, dass ich ihn beobachte, würde sich das sofort ändern, dachte sie und erschauerte trotz der noch immer herrschenden Hitze. Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich selbst von der Funktionstüchtigkeit des Kerkers, der sich in seinem Zuhause, dem alten Wachturm, befand, würde überzeugen können, sollte er sie irgendwo hier in der Nähe mit einem Fotoapparat entdecken.

Ach was, er war nur melodramatisch, und so einfach bin ich nicht zu erschrecken, tat sie die beunruhigende Vorstellung ab. Ray kann mir gar nichts. Sein Besitz beginnt erst jenseits der Felsen, die seine Privatsphäre fast schon übermächtig abschirmen. Und außerdem wird er erst merken, dass ich da war, wenn die Bilder zusammen mit Nigels Story in der Celebrity erscheinen.

Sophie verstellte das Zoom und hatte Ray plötzlich zum Greifen nahe vor sich. Sie sah sein markantes Profil, seine breiten nackten Schultern, den muskulösen sonnengebräunten Oberkörper, die schmalen Hüften in der knapp sitzenden schwarzen Badehose und Rays lange athletische Beine. Schnell richtete sie das Objektiv wieder auf sein Gesicht, weil sie spürte, wie ihr Mund beim Anblick solch geballter Männlichkeit trocken wurde.

Voller Scham erinnerte sie sich, wie er sie heute Morgen mit seinen meergrünen Augen fixiert hatte, als sie an die massive Eichenholztür seiner Festung geklopft und naiv darum gebeten hatte, ein Foto von ihm machen zu dürfen. Ich hätte wissen müssen, dass es nicht so einfach geht, dachte sie, sonst hätte Nigel mich nicht darauf angesetzt. Ray hatte absolut keinen Zweifel daran gelassen, dass Fremde hier unerwünscht waren. Seine interessanten, vom Leben gezeichneten, jedoch keineswegs verlebten Gesichtszüge war noch finsterer geworden, und sie hatte sich kurz gefragt, ob seine Nase wohl einmal bei einem Versuch von ihm, seine Privatsphäre zu verteidigen, Schaden genommen hatte. Denn das letzte Bild, das sie von ihm gesehen hatte, war inzwischen sechs Jahre alt und zeigte ihn mit grimmiger Miene, aber pfeilgerader Nase am Grab seines Bruders.

Ray Buchanan war einst ein gefeierter Buchautor gewesen. Doch seit Jahren hatte er keinen Bestseller mehr geschrieben oder einen Literaturpreis gewonnen, und genauso lange gab es auch keine neuen Fotos mehr von ihm, während er früher so manche Klatschspalte geziert hatte. Er war völlig von der Bildfläche verschwunden. Laut Nigel hatte er der Welt den Rücken gekehrt, sein Haus in London verkauft und sich ganz in seine Inselfestung zurückgezogen.

Gerade schaute er zur Seite, und Sophie schoss erfreut eine Aufnahme nach der anderen. Nigel würde begeistert sein. Ein Porträt machte sich bestimmt gut in seiner Story, die zweifellos reich an Spekulationen und arm an Fakten sein dürfte.

Sophie nahm den Film aus der Kamera und war einen Moment versucht, ihn einfach wegzuwerfen. Sie hasste Zeitschriften wie Celebrity. Aber bevor sie tatsächlich noch eine solche Dummheit begehen konnte, ließ sie das Röllchen schnell in der Reißverschlusstasche ihres Shirts verschwinden. Du hast doch gar keine Wahl, ermahnte sie sich. Wenn Ray nichts zu verbergen hat, kann Nigel ihm auch nicht schaden, dachte sie dann, strich sich energisch eine blonde Strähne aus der Stirn, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, und ignorierte standhaft die innere Stimme, die ihr sagte, dass sie sich etwas vormache.

Automatisch legte sie einen neuen Film ein und beobachtete fasziniert durch das Objektiv, wie Ray mit kräftigen Zügen etwas vom Ufer wegschwamm, sich dann auf den Rücken drehte und treiben ließ. Plötzlich stutzte sie. Ray richtete sich lächelnd auf, ging ein, zwei Schritte auf den Strand zu und breitete die Arme aus. Er ist nicht allein, schoss es ihr durch den Kopf. Gütiges Schicksal, bitte lass es irgendeine bekannte Persönlichkeit sein, vielleicht eine Schauspielerin oder ein Fotomodell. Und noch bevor sie den Blick zur Seite wenden konnte, sah Sophie, wie sich ein kleiner Junge an seine Brust warf.

Einen Moment war Sophie vor Verblüffung wie gelähmt. Nigel hatte nichts von einem Kind oder einer Frau erwähnt. Doch die Ähnlichkeit der beiden dunkelhaarigen Wasserratten war zu frappierend. Dann kam wieder Leben in sie, und sie betätigte den Auslöser ein ums andere Mal. Mit bebenden Fingern nahm sie den voll geknipsten Film aus dem Apparat, verstaute ihn in der Kameratasche und legte einen neuen ein. Das Licht war kaum noch für Fernaufnahmen geeignet, aber Sophie fotografierte wie wild weiter.

Plötzlich stockte ihr der Atem. Der etwa fünfjährige Junge zeigte zu den Felsen – genau in ihre Richtung.

Mit zusammengekniffenen Augen suchte Ray das Kliff ab und presste ärgerlich die Lippen aufeinander, als einer der letzten Sonnenstrahlen auf die Gegenlichtblende fiel und Sophie verriet.

Nur keine Eile, ermahnte sie sich, während sie mit bebenden Händen den Film aus der Kamera nahm und mit dem Apparat in der Tasche verstaute. Bis Ray sich abgetrocknet und angezogen hatte und oben auf dem Plateau sein konnte, wo sie ihren Wagen versteckt hatte, war sie schon lange weggefahren. Nur noch ein kurzer, leichter Aufstieg und dann bin ich fort, versuchte sie, sich zu beruhigen. Vorsichtig hängte sie sich die Tasche über die Schulter, richtete sich auf und suchte nach einem geeigneten Halt an den Felsen.

Der Rückweg war schwieriger als gedacht. Nach der mehrstündigen bewegungsarmen Wartepartie auf dem kleinen Vorsprung fühlte sie sich ziemlich ermattet. Sophie spürte, wie ihre Beine zu zittern begannen, als sie sich an den Aufstieg machte. Sie legte eine kleine Verschnaufpause ein und machte sich Mut, dass sie gleich wieder viel leichter vorwärts kommen würde. Schließlich hätte sie sich doch nicht hierher gewagt, wenn es gefährlich gewesen wäre.

Auch nicht für Jennie? Der Gedanke an ihre Schwester verlieh ihr neue Kräfte. Sie zog sich weiter nach oben, ließ sich auch von den stechenden Schmerzen in ihren Armen und Beinen nicht stoppen. Zentimeter um Zentimeter arbeitete sie sich vor, schrammte sich die Hände auf – die fünf Meter bis zum rettenden Plateau schienen einfach endlos zu sein. Was ist, wenn ich abrutsche und falle, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf, unter mir ist ein gähnender Abgrund. Jetzt nur keine Panik, mahnte sie sich zur Ruhe, mach eine kleine Pause und schau mal hinauf, wie weit es noch ist.

„Kann ich Ihnen helfen, Sophie Nash?“

Die barsche Stimme ließ sie entsetzt zusammenfahren. Vorsichtig, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, sah sie nach oben und blickte in unergründlich blickende Augen. Ray hatte sich flach auf den Boden gelegt und streckte ihr eine Hand entgegen. Ich war schon fast da, hatte es so gut wie geschafft, dachte Sophie, den Tränen nahe. Stolz drängte sie sie zurück, während sie starr auf die ihr angebotene breite Hand schaute. „Ich komme schon zurecht“, stieß sie mühsam hervor und zog sich wie zum Beweis etwas höher.

„Sie sollten sie nehmen“, meinte Ray kühl. „Ich lasse Sie nicht fallen, trotz Ihrer faustdicken Provokation.“

Sophie ignorierte seinen Rat und arbeitete sich weiter vor, musste sich aber nur wenig später wieder ausruhen, um neue Kräfte zu sammeln und die schmerzenden Glieder zu entlasten.

„Seien Sie nicht dickköpfig, Sophie, Sie schaffen das nicht allein“, sagte Ray energisch und wollte nach ihr greifen.

„Lassen Sie mich“, brachte sie kaum hörbar heraus.

„Tolle Worte. Denken Sie daran, solange Sie noch Zeit dazu haben.“

„Ich komme schon allein zurecht“, wiederholte sie, zuletzt schreiend, als ihr Fuß abrutschte und sie mit der Stirn gegen den Felsen schlug, während sie verzweifelt versuchte, irgendwo noch einen Halt zu finden. Ray umfasste mit beiden Händen ihr Handgelenk, zerrte Sophie über die Klippe und rollte sich mit ihr vom gähnenden Abgrund weg.

„Sie haben mir den Arm verrenkt“, beschwerte sie sich bitterlich, als ihr der Schmerz in den überdehnten Muskeln Tränen in die Augen trieb.

„Wären Sie lieber abgestürzt?“

Sophie erwiderte nichts, konnte vor Schmerzen und Tränen nichts sagen.

„Gar nichts ist da verrenkt“, stellte er ruhig fest, während er ihren Arm reichlich unsanft hin und her bewegte. Sophie stöhnte unwillkürlich auf und ließ dann den Kopf an Rays nackte Brust sinken. „Alles in bester Ordnung, doch das ist nicht Ihr Verdienst.“

Kein Wunder, dass er so schnell hier gewesen ist, er hat sich ja überhaupt nicht abgetrocknet und auch nur Shorts übergezogen, dachte sie, war aber viel zu geschafft, um sich zu rühren. Still lag sie da, die Wange gegen das dunkle Haar gedrückt, das sich auf seiner breiten Brust kräuselte. Sie hörte, wie sein Herz gleichmäßig schlug, und versuchte, wieder Kräfte zu sammeln.

„Sie haben gefährliche Hobbys, Sophie Nash.“ Er umfasste ihren Zopf und zog so heftig daran, dass sie Ray ansehen musste. „Aber eigentlich ist es gar kein Hobby, nicht wahr?“, fuhr er erbarmungslos fort, obwohl Sophie vor Schmerz laut aufgeschrien hatte und ihr erneut Tränen in die Augen stiegen. „Doch allein ohne Sicherungsseil zu klettern ist dumm, leichtsinnig …“ Er verstummte, war einfach viel zu wütend, um weiterzusprechen. Stattdessen blickte er sie zornig an und packte ihren Zopf fester. „Weiß jemand, wo Sie sind? Wenn Sie abgestürzt wären, hätte dann überhaupt irgendjemand es erfahren?“

Wie kann er nur so herzlos sein, dachte Sophie. Er muss doch sehen, dass er mir wehtut. „Man hätte meinen Wagen gefunden“, stieß sie keuchend hervor.

„Man hätte Ihren Wagen gefunden?“, wiederholte er entgeistert. „‚Hier ruhen Überreste von Sophie Nash. Wir wissen, dass sie von ihr sind, denn wir haben ihren Wagen gefunden.‘ Schöne Grabinschrift.“

Sophie liefen inzwischen die Tränen die Wangen herunter. Sie tropften auf seine nackte Brust und brachten ihn anscheinend dazu, seinen Griff etwas zu lockern. Erleichtert stöhnte sie auf, aber Ray war noch nicht fertig. „Lassen Sie sich eines von mir gesagt sein, Mädchen, Sie haben keine lange Karriere als Paparazza vor sich, wenn Sie die einfachsten Sicherheitsregeln missachten.“

„Ich bin keine Paparazza.“

„Meinem Eindruck nach wohl. Zum Teufel, ist denn ein Bild von mir so wertvoll, dass es sich lohnt, dafür sein Leben zu riskieren? Wer immer Sie beauftragt hat, muss Ihnen eine schöne Summe geboten haben.“ Er runzelte die Stirn, rollte sich herum und drückte Sophie mit seinem Gewicht auf den harten Felsboden, so dass sie kaum noch atmen konnte. „Wer ist es, Sophie?“

Er glaubt, ich mache das für Geld, dachte sie entsetzt und schloss die Augen. Ja, ich fotografiere für Geld, aber doch nur Hotels und deren Anlagen, und versuche, sie im besten Licht erscheinen zu lassen, damit die Bilder in den Reiseprospekten Urlauber anlocken. Bei dem Foto von ihm ging es doch um etwas viel Kostbareres.

Einen Moment war Sophie versucht, ihm alles zu erzählen und ihn zu bitten … Sie sah ihn kurz an und verwarf die Idee gleich wieder. Ray hatte ihr heute Morgen nicht nur eine Abfuhr erteilt, sondern sich auch richtig verächtlich verhalten. Wut, Entschlossenheit und reine Sturheit hatten sie dann blind gegenüber der Gefahr gemacht, die in ihren nächsten Schritten lauerte.

„Nun?“, fragte Ray.

Ich war wirklich dumm, gestand sie sich ein, doch die Genugtuung, das von mir zu hören, gebe ich ihm nicht. Und von Nigel sage ich auch nichts. „Ich wollte ein Bild von Ihnen, um es mir zu Hause im Schlafzimmer an die Wand zu hängen“, antwortete sie bissig. „Ich bin ein Fan von Ihnen.“

Er schien einen Moment sprachlos zu sein. Dann umspielte ein Lächeln seinen Mund. „Das glaube ich nicht, Miss Nash. Es braucht schon wesentlich mehr, damit Sie die Felsen hinunterklettern.“

„Sie sind zu bescheiden, Mr. Buchanan. Und außerdem war das fast ein Kinderspiel.“ Doch der pochende Schmerz in Kopf und Schultern sowie die aufgeschrammten, blutenden Hände straften ihre Worte Lügen. Der Abstieg schon, dachte sie, aber der Aufstieg weniger.

„Ein Kinderspiel? Wenn es das gewesen wäre, würden Sie jetzt nicht hier liegen, sondern mit Ihrer erschlichenen Beute unterwegs zum Flughafen sein.“

Sophie schloss kurz die Augen. Er hat natürlich Recht und wird mir jetzt die Filme abnehmen, so dass ich zu Hause nur noch an Nigels Ehrgefühl appellieren kann. Aber damit ist der wohl nicht gerade reich gesegnet.

„Ich hatte es nicht eilig“, sagte sie, als wäre ein Ausflug in die Felsen das Alltäglichste der Welt. „Ich habe … die Aussicht bewundert.“

„Sie können es einfach nicht zugeben, oder?“, erwiderte Ray, erbost über so viel Unverfrorenheit, und rückte mit dem Oberkörper etwas zur Seite. Angelegentlich betrachtete er Sophies Gesicht mit den großen grauen Augen und den vollen Lippen und ließ den Blick dann einen Moment auf ihren Brüsten ruhen, die sich viel zu schnell hoben und senkten. „Aber in einem haben Sie Recht: An der Aussicht ist absolut nichts auszusetzen.“

Sophie spürte, dass sie errötete, als ihr bewusst wurde, wie verletzlich sie war. „Wie … wie können Sie es wagen“, schrie sie ihn an und versuchte, von ihm wegzukommen, doch er hielt sie mühelos zwischen seinen muskulösen Schenkeln weiter gefangen.

„Warum auf einmal so schüchtern? Heute Morgen waren Sie noch bereit, mir alles für das Foto zu geben, was ich wollte.“

„Das ist nicht wahr! Lassen Sie mich los“, forderte sie ihn auf, und als seine Finger ihre Brust streiften und sich die Spitzen unwillkürlich aufrichteten, keuchte sie, die Augen vor Angst weit geöffnet: „Was tun Sie da? Hören Sie auf!“

„Das meinen Sie nicht wirklich, Sophie Nash“, erwiderte Ray ruhig, während er den Blick auf dem dünnen weißen Baumwollshirt ruhen ließ, unter dem sich die harten Knospen verräterisch abzeichneten. „Es muss Ihnen gar nicht peinlich sein. Sex ist die nahe liegende Reaktion auf eine Berührung mit dem Tod, gewissermaßen die Stimme der Natur, um die Arterhaltung zu sichern. Aber leider beschäftigt mich zurzeit etwas anderes.“

Er zog den Reißverschluss von Sophies Brusttasche auf und nahm den Film heraus, den sie vorhin dort hineingesteckt hatte. Gelassen durchsuchte er danach die übrigen Taschen und scheute auch nicht vor unvermeidlichen intimen Berührungen zurück. „Nur ein einziger?“, fragte er am Ende, und Sophie konnte aufhören, sich vor Unbehagen zu winden.

Sie schluckte, bevor sie langsam nickte. Starr schaute er sie einen Moment an, und Sophie wagte nicht zu atmen. Er wird mir sicher ansehen, dass ich lüge, dachte sie. Doch ihre Wangen waren schon von der Leibesvisitation her gerötet, und so stand er, offenbar zufrieden, auf und half auch ihr auf die noch etwas wackeligen Beine. Dann dirigierte er sie an den Rand der Felsen.

„Nein!“ Sophie wollte einen Schritt zurücktreten, aber Ray hielt sie fest, und sich loszureißen schien ihr doch zu gefährlich. „Was … was haben Sie vor?“

Ray fasste nach ihrer blutverschmierten Hand, legte die Filmrolle hinein und brachte Sophie dazu, sie mit ihren steifen, geschwollenen Fingern zu umschließen. Unsicher schaute Sophie ihn an. „Werfen Sie sie ins Meer, Sophie Nash“, befahl er.

„Nein!“

Fest umschloss er ihren Arm. „Tun Sie, was ich sage.“

„Nein, verdammt noch mal. Es war schwer, an diese Bilder ranzukommen. Machen Sie doch Ihre Drecksarbeit allein.“

„Das klingt ja großartig aus dem Mund einer Person, die sich den Lebensunterhalt damit verdient, hinter anderen Leuten herzuspionieren. Los, werfen Sie sie weg!“ Sekundenlang bot Sophie, das Kinn trotzig erhoben, Ray mit flammendem Blick die Stirn. „Werfen Sie sie weg“, wiederholte er energisch.

Langsam, fast gegen ihren Willen, drehte sie sich dann um und schaute aufs Wasser hinunter, das die Felsen umspülte. Es hatte irgendwie etwas merkwürdig Hypnotisches, magisch Anziehendes an sich. Sophie neigte den Oberkörper leicht vor und wurde im nächsten Moment von Ray mit einem wilden Fluch zurückgerissen. Leise stöhnend sank sie an seine Brust. Er hielt sie fest, und Sophie wurde bewusst, dass er Recht gehabt hatte. Sie hätte leicht fallen können.

Und er hatte noch mit etwas anderem Recht. An seiner warmen Brust geborgen, atmete sie unwillkürlich den Duft seiner Haut ein, die nach Schweiß und Salzwasser roch, und fühlte das starke Verlangen, er möge sie jetzt hier und gleich zu Boden ziehen und lieben. Die Erkenntnis traf sie so brutal wie ein Schlag ins Gesicht.

Entsetzt riss sie sich los. Sie musste so schnell wie möglich von diesem Mann wegkommen. Nicht nur, weil sie so erschreckend auf ihn reagierte, sondern auch, weil sie vielleicht noch die anderen Filme retten konnte, die er bis jetzt nicht gefunden hatte. Eilig griff sie nach ihrer Tasche und zuckte zusammen, als ihr der Lederriemen in die aufgeschrammten Finger schnitt.

„Kein schlechter Versuch, Sophie. Aber ich möchte trotzdem den Film haben.“ Ray umfasste ihr Handgelenk und zwang sie, sich zu ihm umzudrehen. Sophie glaubte schon, er hätte sie durchschaut, doch er zwängte nur ihre Finger auseinander, die den kleinen Gegenstand noch immer fest umschlossen. Unwillkürlich schrie sie auf. Ray blickte einen Moment starr auf die blutverschmierte Hand. „Besser, Sie kommen mit zu mir und waschen sie sich dort erst mal.“

„Danke, nicht nötig.“ Ray schien überrascht. „Das tue ich im Hotel“, fügte sie schnell hinzu. Er kann ja nicht wissen, dass ich das Zimmer schon geräumt und mein Gepäck im Auto habe, dachte sie dabei. Am Flughafen mache ich mich dann etwas frisch, ziehe mich um und verschwinde durch die Passkontrolle in den Abflugbereich, wohin er mir nicht mehr folgen kann.

„Sie glauben, in dem Zustand fahren zu können?“, fragte er entgeistert.

„Mir fehlt nichts“, erwiderte Sophie. Sie wollte nur zum Auto, sich hineinsetzen und einen Moment ausruhen, bis dieses entsetzliche Schwächegefühl endlich vorbei war. „Ich sollte Ihnen vermutlich noch danken, dass Sie mich gerettet haben“, fügte sie widerwillig hinzu.

„Ja, sollten Sie. Aber da wir uns ohnehin schon jenseits der Grenzen von gutem Benehmen befinden, würde ich es vorziehen, dass Sie mich nicht damit belästigen.“

Sein scharfer, verächtlicher Ton machte Sophie wütend. „Das werde ich auch nicht! Und seien Sie unbesorgt, Mr. Buchanan, ich werde Sie bestimmt nie wieder belästigen.“

„Ich wünschte, ich könnte das glauben. Warum nur kann ich das nicht?“ Er richtete den Blick auf die Tasche über ihrer Schulter, und ehe Sophie sich’s versah, hatte er sie ihr abgenommen und hielt sie abwägend in den Händen. „Vielleicht sollte ich die besser behalten, um auf Nummer sicher zu gehen.“

Entsetzt sah Sophie ihn mit großen Augen an und wollte sich ihrer Tasche wieder bemächtigen. „Nein“, schrie sie erschrocken, als Ray seine Beute außer Reichweite brachte.

„Nein?“

„Das ist doch nur mein Fotoapparat, und ohne den kann ich nicht arbeiten.“

„Sie wollen wohl an mein besseres Ich appellieren?“

„Ich bezweifle, dass Sie so etwas überhaupt besitzen.“

„Endlich zeigen Sie wieder etwas Vernunft“, parierte Ray und warf einen Blick auf die Tasche. „Da ist nur Ihre Kamera drin? Sie haben aber ganz schön was auf sich genommen für einen einzigen Film. Wie lange waren Sie auf dem Felsvorsprung?“

„Stunden“, gestand Sophie. „Aber Sie waren ja nur für ein paar Minuten zu sehen.“

„Stimmt. Und wie lange brauchen Sie mit Ihrer Motorkamera, um einen Film voll zu knipsen?“

„Nicht lange“, gab sie zu und beschloss, ein Risiko einzugehen. „In der Tasche sind über sechzig belichtete Filme. Ich habe die ganze Woche über für ein Reiseunternehmen Fotos für die nächsten Urlaubsprospekte gemacht.“

„Erwarten Sie, dass ich das glaube?“

Sophie spürte, wie ihre Hände zu zittern begannen. „Warum nicht? Es ist die Wahrheit.“ Energisch schluckte sie. Nicht mehr lange, und mir wird schlecht, dachte sie. Hoffentlich konnte sie sich bald kurz irgendwohin setzen.

„Hören Sie auf, Sophie Nash. Sie meinen doch nicht allen Ernstes, ich würde Ihnen abnehmen, dass Sie die Arbeit einer ganzen Woche aufs Spiel gesetzt haben?“

„Wieso aufs Spiel gesetzt?“ Sie verstand überhaupt nichts mehr. „Ja, mein Leben habe ich vielleicht in Gefahr gebracht, aber doch nicht meine Filme.“

„Sie hätten die Tasche auf Ihrer Kletterpartie verlieren können.“

„Ich …“ Sie blinzelte. „Ich war sehr vorsichtig.“ Plötzlich hatte sie das Gefühl, als würde der Boden unter ihr nachgeben. Hilfe suchend streckte sie die Hand nach Ray aus.

Er fasste sofort zu. „Was ist los?“

„Ich fürchte, ich …“ Dann wurde es dunkel um sie.

2. KAPITEL

Sophie erwachte mit rasenden Kopfschmerzen und trockenem Mund. Der ganze Körper tat ihr weh. Sie lag in einem abgedunkelten Raum, durch dessen geschlossene Fensterläden etwas Tageslicht fiel. Unwillkürlich hob sie den linken Arm, um einen Blick auf ihre Uhr zu werfen, und bemerkte ihre zerschundene Hand.

Sofort kehrte die Erinnerung zumindest in grundlegenden Zügen zurück. Himmel, dachte sie entsetzt, befinde ich mich etwa in der Höhle des Löwen? Unter Schmerzen richtete sie sich auf, um sich genauer umzuschauen. Dann stockte ihr der Atem. Das Bettlaken mit der Wolldecke war etwas heruntergerutscht, und Sophie sah, dass ihr Oberkörper bloß war. Vorsichtig hob sie die Zudecke hoch und stellte erschrocken fest, dass sie völlig nackt war. Jemand musste sie ausgezogen haben.

Doch nicht etwa Ray! Schnell versuchte sie, diesen schockierenden Gedanken zu verdrängen, indem sie sich ganz auf ihre Umgebung konzentrierte. Das große Zimmer hatte weiß gestrichene Wände, an denen zwei überdimensionale Tafelbilder hingen, die eine abstrakte Darstellung des Meers zeigten. Auf dem dunklen Holzboden lagen herrliche Buchara-Teppiche, deren Farben hier und da im Tageslicht glänzten, das durch die Läden der deckenhohen Fenster flutete. Links und rechts neben dem Bett befanden sich zwei Nachttischchen mit hohen chinesischen Lampen, ansonsten war der Raum nur noch mit einer wuchtigen Kommode mit schweren Messinggriffen sowie einem gleichermaßen beeindruckenden Kleiderschrank möbliert.

Sophie stand vorsichtig auf, wickelte sich ungeschickt das Laken um und wankte in Richtung Badezimmer. Woher weiß ich eigentlich, dass es dort hinter der Tür liegt? fragte sie sich und errötete sogleich, als die Erinnerung sie mit Macht überfiel.

Ray trug sie, das hatte sie noch gerade mitbekommen, eine breite Treppe hinauf. Kurz darauf hatte er sie auf die Beine gestellt, und als sie plötzlich von einem Wasserstrahl getroffen wurde, war sie vollends zu sich gekommen, nur um entsetzt mitzuerleben, wie Ray mit ihr in der großen Dusche stand und ihr die Kleidung abstreifte, während warmes Wasser unaufhörlich auf sie herunterrieselte und den Staub, das Blut und den Schweiß fortspülte.

Viel zu schwach, um allein stehen zu können, lehnte sie sich einfach an Ray, den Kopf an seiner Schulter. Sie protestierte auch nicht, als Ray sie um die Taille fasste, mit einem weichen Schwamm einseifte, abduschte, trockenrubbelte und in einen flauschigen Bademantel hüllte, bevor er ihre Hände in einer antiseptischen Lösung badete. Er war ausgesprochen vorsichtig und fürsorglich mit ihr umgegangen, doch seine Miene war verbissen und ärgerlich gewesen.

Eine Mrs. Buchanan scheint es hier nicht zu geben, dachte Sophie und erblickte im Spiegel über dem Waschbecken ihr hektisch gerötetes Gesicht. Nichts im Schlafzimmer oder auch hier im Bad deutete auf eine Mitbenutzerin hin. Es gab noch nicht einmal eine zweite Zahnbürste. Schnell machte sie den Wandschrank wieder zu.

„Haben Sie genug gesehen, oder wollen Sie eine Führung?“

Erschrocken fuhr Sophie herum und wünschte sich, es nicht getan zu haben, denn der Raum begann sich sofort um sie zu drehen. Sie lehnte sich gegen die Wand und zuckte zusammen, als sie die kühlen Kacheln auf der Haut spürte. Hektisch raffte sie das Laken im Rücken wieder zusammen und stöhnte gequält auf, denn die unkontrollierten Bewegungen verursachten stechende Schmerzen in der Schulter. „Ich habe ein Schmerzmittel gesucht“, erwiderte sie, um Haltung bemüht.

Ray lächelte spöttisch. „Aber natürlich.“ Er nahm sie beim Arm und führte sie zum Bett zurück. „Legen Sie sich hin, ich bringe Ihnen etwas.“

„Ich bin nicht krank.“

„Nein, nur eine Landplage. Aber legen Sie sich lieber wieder hin, bevor Sie noch umfallen.“

Sophie setzte sich willig aufs Bett, denn sie spürte, wie ihre Beine nachzugeben drohten. „Wenn Sie mir meine Sachen bringen, befreie ich Sie gern von meiner Gegenwart.“

„Habe ich ein ‚Bitte‘ überhört?“

Sophie funkelte ihn zornig an. „Muss ich Sie um meine eigenen Sachen bitten?“ Ray erwiderte nichts, stand nur abwartend da. „Bitte“, stieß Sophie schließlich zwischen den Zähnen hervor.

„Das ist schon viel besser. Aber leider werden Ihre Sachen gerade gewaschen, vielleicht können Sie sie morgen bekommen.“

„Morgen! Aber ich muss zum Flugzeug …“

Mussten. Ich habe Ihre Buchung annulliert.“

„Wie bitte!“, schrie sie wütend und ignorierte den stechenden Schmerz in ihrem Kopf, der sie daran erinnerte, dass es nicht ratsam war, sich so laut zu gebärden. „Dazu hatten Sie kein Recht! Und auch nicht dazu, einfach meine Tasche zu durchsuchen.“

Autor

Liz Fielding
<p>In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding in Wales. Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die inzwischen...
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