Bei Tag - und auch bei Nacht?

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Blake Clayton ist sexy wie die Sünde, gesteht Olivia sich ein. Aber die schöne Anwältin ruft sich sogleich wieder zur Ordnung. Schließlich ist Blake ihr neuer Klient! Und Job und Vergnügen hält sie aus gutem Grund strikt voneinander getrennt - bislang. Denn als Blake verlangt, dass Olivia ihm Tag und Nacht zur Verfügung steht, ist ihr Verlangen nach ihm bald stärker als jeder vernünftige Vorsatz. Wie berauscht folgt sie seiner Aufforderung, ihn zu küssen, ihn zu lieben. Auch wenn sie damit womöglich den allergrößten Fehler ihres Lebens begeht …


  • Erscheinungstag 21.07.2012
  • Bandnummer 0017
  • ISBN / Artikelnummer 9783864942440
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Olivia Brannigan. Blake Clayton?“

Während Olivia den kleinen Weg entlangging, probte sie ein letztes Mal die Begrüßung und zog sich die Jacke zurecht. „Ich vertrete Wagner, Liebstrahm, Barker und DeLuise. Ich …“

Bei dem, was jetzt kam, hatte sie die meisten Schwierigkeiten. Den Mann über eine Erbschaft zu informieren war eine Sache, ihm den Grund für das Zustandekommen dieser Erbschaft zu übermitteln eine ganz andere – selbst wenn die Nachricht bereits mehrere Wochen alt war. Aber er hätte schon auf dem Mond leben müssen, um nicht davon gehört zu haben. Außerdem konnten sie einander nicht sehr nahegestanden haben, nicht, wenn es so lange gedauert hatte, ihn ausfindig zu machen.

Die Fahne flatterte auf dem Terrassendach wie ein Willkommensgruß. Olivia atmete noch einmal tief durch, bevor sie die Hand hob, um die Klingel zu betätigen.

„Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen …“

Sie hasste diesen Satz. Das letzte Mal, als sie eine Todesmitteilung hatte überbringen müssen, war es wie der Paukenschlag nach einer Reihe von Ereignissen gewesen, der ihren bisherigen Lebensweg beendet hatte.

Die Tür wurde aufgerissen. Ein massiger Mann mit einem angebissenen Hamburger in der Hand musterte sie kauend von Kopf bis Fuß.

„Mr Clayton?“

„He, Blake!“, schrie er.

„Was ist?“, rief jemand zurück.

„Hat dich jemand verklagt?“

„Diese Woche noch nicht.“

„Na, dann kommen Sie rein.“ Grinsend forderte der Mann sie mit einem Kopfnicken auf, ins Haus zu kommen.

Olivia folgte ihm durch die Diele. Mit jedem Schritt schufen die Absätze ihrer Schuhe einen sehr gleichmäßigen, sehr geschäftsmäßigen Rhythmus. In wenigen Sekunden würde sie also wissen, wie der Mann aussah. Das Rätsel wäre endlich gelöst.

Sie wappnete sich für die enttäuschende Realität. Während der ganzen Zeit, in der sie nach ihm gesucht hatte, hatte ihre Fantasie Überstunden gemacht – was völlig untypisch für sie war. Etwas an diesem Fall hatte sie gefesselt. Doch bei ihrer Vergangenheit war es nicht gut, wenn sie sich bei der Arbeit zu sehr engagierte. Je eher sie das hier abgeschlossen hatte, desto besser.

Sie betrat einen Raum in einem halb fertigen und völlig chaotischen Renovierungszustand. Vier Männer waren anwesend. Zwei von ihnen aßen Hamburger, einer schliff einen Türrahmen ab, ein anderer stand bei einem frisch eingesetzten Fenster, auf dem noch die Schutzfolie klebte. Da er der einzige war, der sie ansah, ging sie mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

„Mr Clayton, ich bin Olivia Brannigan von …“

„Hier rüber, Schätzchen.“

Die tiefe Stimme zog ihren Blick auf den Mann beim Türrahmen. „Sie sind Blake Clayton?“ Angesichts der Zeit, die es sie gekostet hatte, ihn zu finden, musste sie sicher sein. „Blake Anders Clayton?“

Von dem Mann beim Fenster erklang ein trockenes Lachen.

„Vielen Dank auch“, murmelte der Mann beim Türrahmen und zog sich die Atemschutzmaske vom Gesicht. „Was soll ich jetzt schon wieder angestellt haben?“

Olivia öffnete den Mund, um ihn zu beruhigen, doch jeder klare Gedanke verflüchtigte sich, als der Mann die Maske ablegte und ihr das Gesicht zuwandte. Im Raum schien es plötzlich keinen Sauerstoff mehr zu geben. Ihre Augen weigerten sich, irgendetwas anderes wahrzunehmen als ihn. Und ehrlich gesagt, wer würde einem weiblichen Wesen das Starren verübeln können?

Ein Meter neunzig groß, schmale Hüften, breite Schultern, kurzes braunes Haar, das in alle Richtungen abstand, und blitzende dunkle Augen … Blake Clayton war der Typ Mann, vor dem Mütter ihre Töchter warnten – er war heiß.

Die Frau in ihr wurde schwach, die Anwältin rief sich zur Ordnung. „Mr Clayton, ich vertrete die Anwaltskanzlei Wagner, Liebstrahm, Barker und DeLuise und …“

„Muss schwierig sein, das alles auf eine Visitenkarte zu bekommen.“ Es zuckte amüsiert um seinen sinnlichen Mund.

Die Frau seufzte hingerissen, die Anwältin runzelte irritiert die Stirn, weil es so schwerfiel, sich zu konzentrieren. Ihre Vorstellungskraft hatte erbärmlich versagt, was das Aussehen dieses Mannes anging.

„Können wir irgendwo reden?“

„Wir reden doch.“

„Mr Clayton, ich fürchte, ich muss Ihnen schlechte Nachrichten überbringen.“

„Ich hab’s schon gehört.“ Seine Laune änderte sich sofort.

„Mein Beileid“, sagte Olivia leise.

Er schob sich an ihr vorbei, nahm seinen Kaffeebecher und setzte sich zu den Männern, die ihre Mittagspause machten. „War’s das?“

Sie warf einen Blick in die Runde. Er wollte doch sicher nicht, dass sie hier vor versammelter Mannschaft …?

„Sie können ruhig sagen, was Sie zu sagen haben“, meinte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Wenn man zusammennahm, was sie alles gedacht hatte, seit sie ihn gesehen hatte, konnte sie nur hoffen, dass er diese Gabe nicht besaß.

„Freunde haben keine Geheimnisse. Für den richtigen Preis verraten wir Ihnen Geschichten, mit denen Sie den Mann in einem halben Dutzend Staaten hinter Gitter bringen können“, sagte der Mann, der die Tür geöffnet hatte, grinsend.

„Und in Kanada“, kam es einstimmig von den anderen beiden.

„Geben Sie mir den Wisch, den ich unterschreiben muss“, meldete sich Blake in dem Gelächter. „Falls ich ein Erbstück erhalten soll, schicken Sie es mir mit der Post.“

„Das geht leider nicht“, erwiderte Olivia geduldig. „Sie sind der Alleinerbe. Er hat Ihnen seinen gesamten Besitz hinterlassen.“

„Den gesamten?“

„Ja.“

„Restlos alles?“

„Ja.“ Sie nickte. Offensichtlich hatte er nichts davon gewusst. Scheinbar freute er sich auch nicht. Die meisten Menschen wären jetzt völlig aus dem Häuschen.

„Es gibt keine anderen Erben?“

„Nein.“ Hatte sie nicht gerade „Alleinerbe“ gesagt? Mit seinem Testament hatte Charles Warren seinen Sohn zu einem der reichsten Männer Amerikas gemacht. „Ich kann mir vorstellen, dass es einschüchternd ist, die Verantwortung für ein so …“

„Bedeutendes Erbe?“ Eine dunkle Braue wurde in die Höhe gezogen. „Falscher Ansatz, Miss … wie hießen Sie noch?“

„Brannigan.“ Es wurmte sie, dass er ihren Namen nicht behalten hatte. „Olivia Brannigan.“

„Nun, Liv …“, er lehnte sich vor, „… jemand hätte Sie vorwarnen sollen. Es ist mir völlig egal, wie bedeutend dieses Erbe angeblich ist. Ich nehme es nicht an.“

War er irre?! „Ich verstehe natürlich, dass Sie sich erst an den Gedanken gewöhnen müssen, und …“

„Ich muss mich an gar nichts gewöhnen.“ Er stellte seinen Kaffee ab und richtete sich auf. „Ich muss nur diesen Job hier zu Ende machen.“ Damit nahm er wieder seine Schleifmaschine auf.

Olivia hatte es die Sprache verschlagen. Die Situation war geradezu surreal. Was sollte sie jetzt tun? In die Kanzlei zurückkehren und ihrem Chef sagen, dass sie einen anderen suchen mussten, dem sie Milliarden von Dollar in Immobilien und Firmen übergeben konnten? Vielleicht könnten sie eine Tombola abhalten …

Als sie sich nicht rührte, blickte er über die Schulter zu ihr. „Warten Sie auf Trinkgeld?“

Das meinte er nicht ernst, oder? Die Anwältin übernahm.

„Ich glaube, Sie verstehen nicht, Mr Clayton. Lassen Sie es mich kurz und prägnant ausdrücken: Sie sind der Mann. Ob Sie es wollen oder nicht, Charles Warren hat Sie in seinem Testament als Alleinerben bestimmt.“

Der Charles Warren?“, ertönte eine ungläubige Stimme hinter ihr.

„Ihr Vater hat seinen letzten Wunsch sehr klar formuliert.“

Vater? Das ist ein Witz, oder?“

Keine Geheimnisse vor Freunden? Von wegen!

Er machte einen Schritt auf sie zu. „Hören Sie, Lady“, sagte er bedrohlich leise. „Ich weiß, Sie machen nur Ihren Job, aber … Für den Fall, dass Sie es nicht verstanden haben, drücke ich mich jetzt kurz und klar aus: Ich bin nicht Ihr Mann. Also wäre mein Tipp, Sie fahren zurück nach Manhattan und schlagen Wagner, Liebstrahm, Barker und DeLuise vor, dass sie am besten gleich mit der Suche nach einem entfernten Verwandten anfangen, dem sie die ganze Sache andrehen können. Ich habe mein eigenes Leben. Ich werde nicht das eines anderen leben.“

„So kommen wir nicht weiter“, erwiderte sie ruhig. Sie würde sich nicht anmerken lassen, welche Wirkung seine Nähe auf sie hatte.

Wir vielleicht nicht, ich schon“, konterte er.

Was war das wohl für ein Leben, von dem er sprach? Olivia fragte sich, ob auch eine Frau dazugehörte. Irgendwie bezweifelte sie das. Er war nicht der Typ, der lange blieb. Die vielen Adressen in den verschiedenen Staaten, auf die sie bei ihrer Recherche gestoßen war – manche davon waren nur Wochen aktuell gewesen – ließen diesen Schluss zu.

Sie reckte die Schultern und zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche. „Falls Sie es sich anders überlegen …“

„Das wird nicht passieren.“

Olivia hielt ihm weiter die Karte hin.

„Sie finden sicher allein raus, oder?“

Na schön, wenn er auf die Samthandschuhe verzichtete … Entschlossen trat sie vor ihn und blickte ihn an. Er runzelte die Stirn.

„Morgen früh gehen überall im Land Tausende von Warren-Angestellten pünktlich zur Arbeit.“ Sie sprach gerade laut genug, dass ihr Publikum sie hören konnte. „Ich würde ihnen gerne sagen können, dass sie auch im nächsten Monat noch einen Job haben. Sie nicht auch?“

Sie legte die Visitenkarte auf einer Holzplanke ab, drehte sich um und ging den Korridor zurück zum Ausgang. Hinter sich hörte sie einen der Männer fragen:

„Charles Warren war dein alter Herr?“

Stille.

„Mein Cousin Mike arbeitet für Warren Tech. Er hat eine Frau und drei Kinder.“

Olivia lächelte. Sie zweifelte nicht daran, dass sie Blake Clayton wiedersehen würde. Um genau zu sein, sie freute sich schon darauf.

Blake zog Großstädte vor. Niemand hier steckte seine Nase in die Angelegenheiten anderer, man konnte in der Anonymität untertauchen. Zumindest war es bisher so gewesen.

„Ist das nicht diese Anwältin von letztens?“

„Ist es.“ Blake hatte sie in dem Moment erkannt, als sie hereinkommen war. Sein Blick hatte sie mit der Zielsicherheit einer Cruise Missile gefunden.

„Die hat da wirklich was Nettes in ihre Jeans gepackt“, lautete Martys Kommentar.

„Chrissy würde sich bestimmt freuen zu hören, dass dir so was auffällt.“

„He, ich bin verheiratet, nicht blind.“

Ohne strenges Kostüm sah sie anders aus, keine Frage. In den engen Jeans und dem T-Shirt mit rundem Ausschnitt war es schwierig, ihre Anwesenheit in der Billardhalle zu ignorieren. Hätte er geahnt, dass auch nur die kleinste Chance bestand, dass sich ihre Wege hier kreuzten, hätte er Martys Einladung zu einem Bier und einer Partie Billard am Ende der Arbeitswoche nicht angenommen. Jetzt war es zu spät.

Blake beugte sich vor, zielte und versenkte die Kugel in der Ecke. Aus dem Augenwinkel sah er definitiv weibliche Schenkel vor dem Billardtisch auftauchen.

„Gentlemen …“

Er richtete sich auf und stützte sich auf den Queue, um sie einer genauen Musterung zu unterziehen.

Einst waren amerikanische Billardhallen Zigarren rauchenden und Schnupftabak spuckenden Männern vorbehalten gewesen. Junge Grünschnäbel hatten leere Gläser abgeräumt, die Kugeln für die nächste Partie auf den Billardtischen arrangiert und dabei den groben Umgangston gelernt. Es waren die Klubs der Armen gewesen, in denen Frauen nichts zu suchen gehabt hatten.

Blake dachte, dass es für Olivia Brannigan besser wäre, wenn sich das nicht geändert hätte.

Denn beim zweiten Treffen war seine Reaktion auf sie genau die gleiche wie beim ersten Mal. Es juckte ihn in den Fingern, eben diese in die blonde Mähne zu schieben und ihr das Haar zu zerzausen, bis es aussah, als hätte sie ein heißes Schäferstündchen hinter sich, bei dem beide Parteien auf ihre vollen Kosten gekommen waren. Er bezweifelte ernsthaft, dass sie so etwas je erlebt hatte. Er wollte mit dem Daumen über ihre vollen Lippen fahren und den Lippenstift abreiben, damit sein Mund nichts anderes schmeckte als sie. Er wollte seine Hand in ihren Rücken legen und sie an sich pressen, bis …

Er atmete tief durch. „Wollen Sie mitspielen?“

„Wonach sieht es denn aus?“

Das kurze Aufblitzen in den blauen Augen war Zeichen genug, um zu wissen, dass sie eine Herausforderung immer annehmen würde. Ihm war auch ihr Tonfall nicht entgangen, der nicht anders als lasziv zu bezeichnen war.

„Glauben Sie, Sie können es mit mir aufnehmen?“

„Das werden wir herausfinden, nicht wahr?“

Allerdings. „Du bist an der Reihe mit Aufbauen, Marty.“

Während Marty seinen Queue ablegte und die Bälle aus den Taschen einsammelte, nutzte Blake die Zeit für eine Warnung. „Falls Sie hier sein sollten, um meine glückliche Erbschaft zu besprechen, vergessen Sie es am besten gleich.“

„Ich weiß ja nicht, wie Sie es halten, aber ich habe jetzt ein ganzes Wochenende lang frei.“ Sie schaute auf ihre Armbanduhr. „… und zwar genau seit einer Stunde und zehn Minuten.“

„Sie sind der Typ, der nie frei hat.“

„Vielleicht kennen Sie mich nicht so gut, wie Sie meinen.“

„Heißt das, ich sollte Sie besser kennenlernen?“

„Ich wäre soweit“, kam es von Marty.

Blake streckte auffordernd den Arm aus. „Ladies first.“

„Um meinetwillen brauchen Sie sich nicht zurückzuhalten.“

Er musterte sie herausfordernd, als er an ihr vorbeiging. „Ich halte mich nie zurück.“

„Ob sie weiß, auf was sie sich einlässt?“, fragte Marty, als Blake sich zu ihm an die Theke gesellte.

Das würde sich mit der Zeit herausstellen. Billardhallen waren eine der wenigen Konstanten in Blakes Leben gewesen, schließlich fand man sie in jeder Stadt. Im Grunde war Billard simple Physik. Er wusste alles über Einfalls- und Ausfallswinkel, über Drall und Krümmung, wusste, wann der Stoß fester und wann leichter sein musste. Beim Billardspiel hatte er sogar unverzichtbare Lektionen für das Leben gelernt. Wenn er jetzt jedoch Olivia Brannigan zusah, hatte Billard sehr viel mehr mit Chemie zu tun.

Ganz gleich von welcher Seite des Tisches sie ihren Stoß ausübte, Olivia Brannigan bot einen Anblick, der jedem Mann gefallen würde. Wenn sie sich über das Kopfende beugte, erhaschte man einen Einblick in ihr T-Shirt auf samtene Hügel, die an Paradiesäpfel denken ließen. Von der Längsseite hatte man den Blick auf einen vorgestreckten geraden Rücken, die wirklich reizende Kurve ihres Hinterteils und Beine, die wohl nie aufgehört hätten, wäre da nicht der Boden.

Und da Blake zweifelsfrei und hundertprozentig ein Mann war, verwunderte die Reaktion seines Körpers ihn nicht unbedingt. Eine verständliche Reaktion, aber auch eine unwillkommene, angesichts dessen, was Olivia Brannigan repräsentierte. Offensichtlich hatte er sich viel zu lange allein auf Arbeit konzentriert, anstatt sich auch ein wenig Freizeit zu gönnen. Nun, ein Fehler, den er bald zu korrigieren gedachte.

Für ihren nächsten Stoß stellte sie sich vor ihn – genau vor ihn!

„Sie ist gut“, murmelte Marty, als die Kugel von der Bande abprallte und in der Ecke im Loch verschwand.

Zwar nickte Blake stumm, doch er dachte dabei keineswegs an ihr Können beim Billard. Er stellte sein Bier ab und ging zu ihr. „Wollen Sie mich über den Tisch ziehen, Liv?“

„Ich heiße Olivia.“ Sie sandte ihm ein sonniges Lächeln. „Und wenn ich Sie über den Tisch ziehen wollte, müsste ich da nicht schlecht spielen, damit sich der Wetteinsatz lohnt?“

„Sie sind also nur hier, um eine Runde Pool mit den Jungs zu spielen?“

Sie rieb die Queue-Spitze mit Kreide ein, bevor sie mit einem kräftigen kurzen Stoß die nächste Kugel versenkte. „Verstößt das gegen irgendein Gesetz?“

„Sie sind die Anwältin, Sie müssen das wissen.“

„Also, im Staat New York tut es das nicht.“ Sie ging um den Tisch herum und visierte den nächsten Ball an. „Für Kanada müsste ich mich erst informieren.“ Als auch dieser Ball vom Tisch war, richtete sie sich mit einem zufriedenen Lächeln auf.

„Ich werde nicht mit Ihnen über das Testament reden.“

„Habe ich Sie darum gebeten?“

„Das werden Sie noch.“

„Ah, Sie können also die Zukunft voraussehen?“ Ihre Augen funkelten amüsiert. „Es könnte nicht schaden, die Lottozahlen von nächster Woche zu kennen.“ Auf dem Gang um den Tisch lockerte sie ihre Schultern. „Nicht, dass Sie einen Lottogewinn nötig hätten.“

„Ihnen ist klar, dass ich eine einstweilige Verfügung gegen jeden in Ihrer Kanzlei erwirken kann, oder?“

„Das wäre eine lange Liste.“

„Ich wüsste schon, wen ich ganz oben auf die Liste setze.“

Als er seine Hand auf die Bande stützte, warf sie ihm einen kurzen Blick unter halb gesenkten Wimpern hervor zu. Wurde ihr endlich klar, dass sie in der Oberliga spielte? Gut. Wägte sie ihre Optionen ab? Vermutlich. Mit wippenden Hüften ging sie um den Tisch. Für den arglosen Beobachter könnte es aussehen, als bereite sie sich auf den nächsten Stoß vor. Blake jedoch erkannte es als das, was es war.

Es ärgerte ihn, dass es funktionierte.

„Ich wusste nicht, dass Sie hier sein würden – wenn es das ist, was Sie andeuten wollen“, sagte sie.

Das wiederum glaubte er ihr unbesehen. Schließlich hatte er das vor einer knappen Stunde selbst noch nicht gewusst. Wie auch, wenn er nie voraussehen konnte, wo er von einem Freitag auf den nächsten war?

Ein scharfes Klicken, und die nächste Kugel rollte vom Tisch. „Aber da wir schon mal hier sind … Wenn Sie mir sagen, womit Sie ein Problem haben, könnten wir das vielleicht bereden.“

„Könnten wir. Aber ich habe bereits gesagt, was ich zu sagen hatte.“

„Sie haben das Thema aufgebracht.“

„Zu schade, dass Sie schon im Wochenende sind, nicht wahr?“

Sie seufzte. „Das ist eine Menge Geld, die Sie da ablehnen.“

Würde Geld ihm so viel bedeuten, wie sie offensichtlich annahm, wäre die Anmerkung nicht von der Hand zu weisen. Blake ließ den Blick durch die Halle schweifen. Ihm wäre es lieber, wenn jeder Cent sich einfach auflösen würde. Er wollte nicht die Verantwortung für Tausende von Leuten tragen. Jemand wie er war ständig auf der Walz, wenn er rastete, würde er auch unweigerlich rosten.

„Ich weiß, es ist einschüchternd, ein so riesiges Unternehmen zu führen, aber die Menschen arbeiten seit Jahren, manche seit Dekaden in den Firmen …“

Sie trumpfte also wieder mit der Schuldkarte auf?

„… und es gibt genügend, die die Leitung für Sie übernehmen können“, fuhr sie mit einem milden Lächeln fort.

„Genau das habe ich auch zu ihm …“

Blake ließ Marty, der vortrat, um seinen Senf hinzuzugeben, mit der Brust vor den ausgestreckten Arm laufen. „Sie meinen, ich würde nichts damit zu tun haben wollen, weil ich mir den Sprung vom Tischler zum CEO nicht zutraue?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

Nein, nicht so deutlich. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Und Sie wollen mich also bei der Hand nehmen und die ganze Sache mit mir durchgehen? Sie gehen mit mir den Anzug einkaufen und stehen mir beim Spielen mit den großen Jungs zur Seite?“ Er kniff die Augen zusammen und lächelte schmal. „Bilden Sie sich nicht ein, ich wüsste nicht, was Sie hier tun, Schätzchen.“

„Das nennt man ‚helfen‘.“

„Aha.“ Er nickte knapp. „Indem Sie mich beleidigen und meine Intelligenz anzweifeln? Kein sehr guter Anfang.“ Er ging zur Bar zurück und nahm einen Schluck Bier aus der Flasche.

Im Spiegel trafen sich ihre Blicke. „Es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen“, sagte sie in diesem schwülen Ton, der ihm direkt in die Lenden fuhr.

Blake biss die Zähne zusammen.

„Sie haben recht, das wäre wirklich kein guter Ausgangspunkt für eine Arbeitsbeziehung.“

Welche Arbeitsbeziehung?!

„Es geht mich nichts an, warum Sie Milliarden von Dollar einfach ablehnen wollen, aber wie ich schon sagte … die Verantwortung bleibt bestehen. Der Vorstand ist ohne Ihre Zustimmung handlungsunfähig. Er kann keine Entscheidungen treffen, weil Sie die Mehrheitsbeteiligung haben. Ihr Vater wollte es so.“

Die Frau wusste einfach nicht, wann sie aufhören musste!

Sie senkte die Stimme. „Sie trauern noch, daher …“

„Trauern?“ Er lachte harsch auf und baute sich drohend vor ihr auf. „Lady, Sie haben nicht die geringste Ahnung, was Sie …“

„Blake.“ Marty hielt ihn am Arm zurück, so wie früher, als Blake noch den Hang hatte, sich mit Typen anzulegen, die doppelt so groß waren wie er.

Blake atmete tief durch und nickte Marty unmerklich zu. Der verstand und zog seine Hand wieder zurück. Blake fiel auf, dass Olivia ihn mit einer Mischung aus Argwohn und Neugier ansah. Angst war da keine, und das verlangte ihm enormen Respekt ab. Er hatte wesentlich größere und stärkere Typen vor sich kuschen sehen. Er hatte von Anfang an geahnt, dass sie eine Frau mit ausreichend Selbstbewusstsein war.

Er schüttelte leicht den Kopf, als seine Libido prompt reagierte, wenn er sich die Möglichkeiten ausmalte. Er hatte schon immer eine Schwäche für starke Frauen gehabt, die ihm im und außerhalb des Schlafzimmers Paroli boten.

„So lästig Sie auch sind, das war unangebracht.“

Sie hob eine Augenbraue. „Ist das eine Entschuldigung?“

„Näher bin ich auf jeden Fall noch nie an eine herangekommen.“ Ein Mundwinkel zuckte ironisch. „Wenn ich Sie wäre, würde ich mich damit zufriedengeben und die Beine in die Hand nehmen.“

Mit schief gelegtem Kopf musterte sie ihn. „Wissen Sie, was Sie tun könnten, um es wieder gutzumachen?“ Der Vorschlag würde ihm nicht gefallen. „Kennen Sie die Warren-Stiftung?“

Und schon war er wieder der Idiot!

„In zwei Wochen findet eine Wohltätigkeitsgala statt. Wenn Sie sich blicken lassen, selbst nur für eine Stunde, werden die Leute tiefer in die Taschen greifen, um den neuen Eigentümer zu beeindrucken.“ Sie zuckte mit den Schultern, als wäre ihr völlig gleich, ob er auftauchte oder nicht. „Sie würden nicht nur etwas für eine gute Sache tun, Sie könnten auch ein paar von den Leuten kennenlernen, die für Sie arbeiten.“

„Sie geben nie auf, was?“ Er fragte sich, was nötig sein würde, um sie aus der Ruhe zu bringen. Wie weit war Olivia Brannigan bereit zu gehen, um zu bekommen, was sie wollte?

Es reizte ihn, das herauszufinden.

„Die Gala findet im Empire Hotel statt.“ Sie nickte, als hätte er bereits zugesagt.

„Ich überleg’s mir.“ Er steckte die Hände in die Jeanstaschen und wandte sich ab.

„Es ist eine formelle Angelegenheit. Sie werden einen Smoking brauchen.“

„Ich sagte, ich denke drüber nach.“ Er warf ein paar Geldscheine auf die Theke und drehte sich zu ihr zurück. „Und Sie sollten darüber nachdenken, worauf Sie sich einlassen.“

„Soll heißen?“

Er trat vor sie, zwang sie somit, den Kopf in den Nacken zu legen, suchte in ihren Augen und fand dort etwas, das ein kleines Lächeln um seinen Mund spielen ließ. Sie hatte einen Sekundenbruchteil zu lange gewartet, um den Ausdruck zu kaschieren. So, sie war also ebenso empfänglich für ihn wie er für sie. Wenn er nicht völlig danebenlag – und das hielt er für unwahrscheinlich –, dann hatte sie diese Show am Billardtisch ganz bewusst abgezogen. Sie glaubte, die Kontrolle über die Situation zu haben, und setzte ihre körperlichen Reize mit voller Absicht ein, um sich Vorteile zu sichern. Grundsätzlich hatte er nichts dagegen, aber wenn sie ihn zu mehr als einer Runde Billard herausfordern wollte, mussten einige Dinge vorab geklärt werden.

„Wenn Sie spielen wollen, müssen Sie auch bereit sein, den Einsatz zu erhöhen. Also überlegen Sie genau, was Sie auf den Tisch legen.“ Er beugte sich weiter zu ihr hinunter, den Blick fest auf ihren Mund gerichtet. „Ich treibe Spielschulden immer ein. Ich denke, Sie wissen, wie ich das meine.“

Ihr nahezu unmerkliches Blinzeln verriet ihm, dass sie ihn genau verstanden hatte. Und dann lächelte er träge, als er das Aufblitzen in ihren Augen sah, so als wäre eine Ampel auf Grün umgesprungen.

Gut, das Spiel konnte also beginnen. Für den Moment sollte das reichen.

Er durchquerte die volle Halle und trat nach draußen in die drückend schwüle Abendluft. Während er auf Marty wartete, lief er den Bürgersteig auf und ab.

Vielleicht sollte er wirklich zu dieser Gala gehen. Je eher er etwas unternahm, um Firmenbesitz und Aktien an die Leute abzugeben, die sie haben wollten, desto eher konnte er mit seinem Leben weitermachen. Das war besser, als darauf zu warten, dass sich wenigstens ein Anflug von Trauer einstellte. Vor allem, weil er sich durch den völligen Mangel derselben inzwischen wie ein herzloser Mistkerl vorkam.

Müsste er nicht irgendetwas fühlen? Wenn er in der dunklen Ecke in seinem Kopf kramte, in der er Erinnerungen aus der Vergangenheit verstaut hatte, war da nichts als eine große schwarze Leere. Das sollte ihm zumindest ein schlechtes Gewissen bereiten, doch nichts, nicht einmal das. So als würde ein Teil von ihm nicht mehr existieren.

Als Marty nach draußen trat, fällte Blake spontan eine Entscheidung. „Meinst du, du kannst eine Weile die Crew im Auge behalten?“

„Klar, kein Problem.“ Marty zuckte mit einer Schulter. „Kümmere du dich um das, was du zu erledigen hast, Anders.“

Das war dann also abgemacht. Auf dem Weg zur U-Bahn kam Blake ein weiterer Gedanke, der ihn vor sich hin lächeln ließ: Es gab keinen Grund, warum er bei der ganzen Sache nicht auch ein wenig Spaß haben sollte.

Autor

Trish Wylie
<p>Alles geschieht aus einem bestimmten Grund, davon ist Trish Wylie überzeugt. So war ein Reitunfall innerhalb ihrer beruflichen Karriere als Pferdedresseurin der Auslöser dafür, dass sie wieder zu schreiben begann, obwohl sie diese Leidenschaft im Laufe der Jahre erfolgreich in den Hintergrund gedrängt hatte. Dabei sammelte Trish schon in der...
Mehr erfahren