Berauscht von so viel Liebe

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Prickelnder Champagner im Club, danach eine rauschende Liebesnacht - mehr hat Playboy-Tycoon Daniil mit Tänzerin Libby nicht im Sinn. Er lässt niemanden an sich heran, sonst kommt noch sein Geheimnis ans Licht! Dumm nur, dass irgendetwas ihn immer wieder zu Libby zieht …


  • Erscheinungstag 15.08.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727192
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Hey, shishka.“

Daniil Zverev versteifte sich, als er den Schlafsaal betrat und hörte, wie sein Freund Sev ihn gerade genannt hatte. Anscheinend war shishka von jetzt an sein Spitzname. Das russische Slangwort hieß so viel wie „Großes Tier“ und traf Daniil an seiner empfindlichsten Stelle.

Sev legte sein Buch weg. „Wir haben gerade über dich und deine neue reiche Familie in England gesprochen, shishka.“

„Nenn mich nie wieder so!“, drohte Daniil. Er griff nach dem Buch und hielt es hoch über seinen Kopf. Er tat so, als wolle er ein paar Seiten rausreißen, warf das Buch jedoch schnell wieder aufs Bett, als er Sev schlucken sah.

Er hatte nie die Absicht gehabt, wirklich Seiten herauszureißen – Sev war ein echter Büchernarr –, aber Daniil hoffte, dass es seinem Freund eine Warnung war.

„Hast du Streichhölzer gefunden?“ Nikolai blickte von dem Holzschiff hoch, das er detailgetreu nachbaute.

Daniil griff in seine Hosentasche und zog eine Handvoll Streichhölzer heraus, die er beim Fegen aufgesammelt hatte. „Hier.“

„Danke, shishka.“

Daniil funkelte seinen Freund wütend an. Er würde nicht davor zurückschrecken, Nikolais Schiff zu zerstören.

Dabei waren die vier Jungs mehr als nur Freunde.

Daniil und Roman waren eineiige Zwillinge, zwar nicht mit Nikolai und Sev verwandt, aber zusammen mit ihnen aufgewachsen. Im Waisenhaus.

Keiner der vier Jungen hatte die Chance gehabt, schnell vermittelt zu werden. Als Kleinkinder hatten Daniil und Roman sich ein Bettchen geteilt, während Nikolai und Sevastyan links und rechts von ihnen geschlafen hatten.

Als die vier Jungen alt genug für richtige Betten geworden waren, waren sie in den Schlafsaal des Waisenhauses umgezogen. Jetzt, im Flügel für die Jugendlichen, teilten sie ein Vierbettzimmer.

Die meisten Menschen hielten sie für unkontrollierbar und schwierig, aber untereinander hielten diese Jungen zusammen wie Pech und Schwefel.

Sie waren alles, was sie hatten.

„Wehe, wenn du mein Schiff anrührst!“, drohte Nikolai.

„Dann nenn mich nicht shishka! Was sowieso völlig überflüssig ist. Ich gehe nämlich nicht nach England.“ Daniil sah seinen Zwillingsbruder Roman, der mit unter dem Kopf verschränkten Händen auf seinem Bett lag und an die Decke starrte, herausfordernd an. „Ich werde ihnen sagen, dass ich nicht will. Sie können mich nicht zwingen.“

„Warum solltest du das tun?“, fragte Roman. Er wandte seinem Bruder das Gesicht zu und fixierte ihn aus eisgrauen Augen.

„Weil ich nicht die Unterstützung einer reichen Familie brauche. Wir schaffen es auch allein, Roman.“

„Na klar doch!“, höhnte Roman.

„Wir schaffen das“, beharrte Daniil. „Sergio hat gesagt …“

„Was weiß der denn schon? Er ist nur der Hausmeister.“

„Er war früher Boxer.“

„Sagt er.“

„Wir sind doch die Zverev-Zwillinge! Er sagt, wir kommen ganz groß raus …“

„Geh du nur zu deiner reichen Familie. Hier werden wir nie im Leben reich und berühmt. Wir werden nie aus diesem Loch rauskommen.“

„Wenn wir hart trainieren, schon.“ Daniil griff nach einem der beiden Fotos neben Romans Bett. Sergio hatte vor ein paar Jahren seinen Fotoapparat mitgebracht und erst die Zwillinge und dann die Viererbande fotografiert. „Du hast selbst gesagt, dass wir es schaffen.“

„Ich habe gelogen.“

„Hey!“ Sev, der sich wieder in seine Lektüre vertieft hatte, hob den Blick. „Lass ihn in Ruhe, Roman. Er kann seine Entscheidung allein treffen.“

„Nein.“ Verärgert setzte Roman sich auf. Seit Monaten gab es Spannungen zwischen ihnen – seitdem sie erfahren hatten, dass eine Familie einem Zwölfjährigen ein Zuhause schenken wollte. „Er will sich diese einmalige Chance nur entgehen lassen, weil er dem idiotischen Traum nachhängt, es in den Ring zu schaffen. Daraus wird nie etwas.“

„Wir zusammen schaffen das“, widersprach Daniil.

Ich schaff das“, korrigierte Roman ihn. „Oder zumindest könnte ich es schaffen, wenn du mich nicht zurückhalten würdest.“ Er nahm Daniil das Foto weg und warf es auf den Fußboden. Der Rahmen hatte kein Glas, aber trotzdem zerbrach etwas.

Daniil fühlte es – tief in seinem Inneren.

„Komm schon!“, sagte Roman. „Ich zeige dir, wer von uns beiden wirklich boxen kann.“ Er stand auf und baute sich herausfordernd vor Daniil auf.

Endlich würden sie gegeneinander antreten.

Die Zverev-Zwillinge trainierten den ganzen Tag unter Sergios Anleitung. Erst seit wenigen Monaten durften sie miteinander sparren, aber nur unter der strengen Aufsicht ihres Trainers.

Die Jungs waren wundervoll gebaut, groß und langgliedrig. Sie waren außerdem leichtfüßig, schnell und ehrgeizig.

Mit dem richtigen Training würden sie es weit bringen. Was für ein Team! Sergio musste sie nur etwas bremsen.

Aber er war heute nicht hier.

„Sagt den anderen Bescheid!“, rief Roman. Schnell begann das Zimmer, sich zu füllen. Betten wurden zurückgeschoben, um mehr Platz zu schaffen und sich darauf zu knien.

„Na los, zeig mir, was du drauf hast“, rief Roman, bevor er angriff. Sofort ging Daniil in die Defensive, wehrte Schläge ab und schlug zurück.

Sie hatten weder Helme noch Handschuhe, und es ging nicht um Geld.

Noch nicht.

Roman war erbarmungslos. Er gönnte Daniil keine Pause.

Die anderen Jungs johlten, aber nur gedämpft, um das Personal nicht zu alarmieren.

Roman war am wildesten, und obwohl Daniil sein Bestes gab, ermüdete er zuerst. Er nahm Roman in den Schwitzkasten, um ein paar Sekunden nach Luft zu schnappen, doch sein Bruder schüttelte ihn ab.

Wieder gelang es Daniil, seinen Bruder zu Boden zu drücken, doch Roman kämpfte sich erneut frei, und sie schlugen sich weiter, bis Roman derjenige war, der seinen Bruder in den Schwitzkasten nahm und sich auf ihn legte. Daniil hörte den schweren Atem seines Bruders in einem Ohr, bevor er einen heftigen Schlag ins Gesicht bekam.

Als er wieder zu sich kam, sah er in erschrockene Gesichter. Er hatte keine Ahnung, wie lange er ohnmächtig gewesen war, aber anscheinend lange genug, um den anderen einen Schrecken einzujagen.

Allen – außer Roman.

„Siehst du?“, höhnte sein Zwillingsbruder. „Ich bin ohne dich besser dran, shishka!“

Dem Personal war inzwischen aufgefallen, dass ein paar der Schlafsäle leer waren. Außerdem waren die Anfeuerungsrufe der Zuschauer immer lauter geworden.

Katya, die Köchin, nahm Daniil mit in die warme Küche und rief ihrer Tochter Anya zu, den Verbandskasten zu holen. Anya war zwölf Jahre alt und machte eine Ausbildung an einer Ballettschule, war jedoch in den Ferien zu Hause. Manchmal ärgerte sie die Zwillinge, indem sie behauptete, fitter als sie zu sein.

Anya hatte große Träume und hoffte, eines Tages durch den Tanz dem Elend zu entfliehen.

Daniil hatte jetzt keine Träume mehr.

„Was zum Teufel habt ihr euch nur dabei gedacht?“, schimpfte Katya. Sie reichte Daniil eine Tasse starken, gesüßten Schwarztee, bevor sie sein blutendes Gesicht betupfte. „Die reiche Familie will bestimmt keinen hässlichen Jungen …“

Ein paar Tage später saß Daniil auf einem Bett, Lichtjahre von zu Hause entfernt.

Vom Wagen aus hatte er kleine Häuser und Läden an sich vorbeiziehen sehen, bevor sie in eine lange gewundene Einfahrt gebogen waren. In der Ferne war ein großes Herrenhaus aufgetaucht. Nur widerstrebend war Daniil davor aus dem Wagen gestiegen.

Ein Mann in einem schwarzen Anzug hatte die Tür geöffnet. In seinem Outfit hatte er Daniil zuerst an einen Beerdigungsunternehmer erinnert, aber das Lächeln des Bediensteten war aufrichtig und warm.

In der Eingangshalle hatten die Erwachsenen sich über seinen Kopf hinweg in der neuen Sprache unterhalten, die er noch nicht gelernt hatte. Dann hatte die Frau, die ihn zweimal im Waisenhaus besucht hatte, und die jetzt seine Mutter war, ihn eine breite Holztreppe hochgeführt.

Hinter der Biegung hatte er ein Porträt seiner neuen Eltern an der Wand gesehen. Darauf lagen ihre Hände auf den Schultern eines lächelnden dunkelhaarigen Jungen.

Dabei hatte man ihm erzählt, dass sie kinderlos waren.

Das Schlafzimmer war groß, und vom Bett aus waren Wiesen und Bäume zu sehen.

„Bad!“

Er hatte keine Ahnung, was die Frau von ihm wollte, bis sie auf die Tür zu einem angrenzenden Zimmer zeigte und ging.

Daniil nahm ein Bad und hüllte sich gerade noch rechtzeitig in ein Handtuch, als es an der Tür klopfte und gleich darauf seine neue Mutter eintrat. Sie begann sofort, seine Sachen zu durchwühlen und nannte ihn immer bei einem falschen Namen.

Er wollte sie korrigieren, ihr sagen, dass er Daniil hieß und nicht Daniel, aber dann fiel ihm wieder ein, was der Dolmetscher gesagt hatte: dass er jetzt einen neuen Namen hatte.

Daniel Thomas.

Die Frau – seine Mutter – trug Gummihandschuhe und steckte seine Kleidungsstücke und seine Schuhe in einen großen Müllsack, den der Mann im Anzug wortlos aufhielt. Die ganze Zeit sprach sie in einer Sprache, von der Daniil kein Wort verstand. Immer wieder zeigte sie auf das Fenster und dann auf seine Wange und machte eine Geste, als wolle sie nähen. Irgendwann begriff er, dass sie irgendwo mit ihm hinfahren wollte, wo man seine Wunde besser behandeln würde als Katya es getan hatte.

Stumm sah er ihr dabei zu, wie sie sein altes Leben entsorgte, bis sie zwei Fotos in die Hand nahm, die er gar nicht eingepackt hatte. Roman musste sie in sein Gepäck geschmuggelt haben.

„Njet!“, rief Daniil.

Es war das erste Wort, das er seit seiner Abreise aus Russland sagte. Die Frau keuchte erschrocken auf, als Daniil ihr die Bilder aus der Hand riss und ihr in wütendem Russisch verbot, sie je wieder anzurühren.

Fluchtartig rannte sie aus dem Zimmer, während der Mann im Anzug eine Weile unschlüssig stehenblieb, bevor er sich aufs Bett setzte und gemeinsam mit Daniil die Fotos betrachtete.

„Du?“, fragte er und zeigte von Daniil auf einen der Jungen auf dem Foto.

Daniil schüttelte den Kopf. „Roman.“

Der Mann mit dem freundlichen Blick zeigte auf seine Brust. „Marcus.“

Nickend richtete Daniil den Blick wieder auf das Foto. Erst in diesem Augenblick begriff er, dass Roman ihn nicht hasste. Dass er nur versucht hatte, ihn zu retten.

Dabei hatte Daniil gar nicht gerettet werden wollen.

Er hatte gemeinsam mit seinem Bruder in die Welt ziehen wollen.

Und jetzt war er plötzlich ganz allein.

1. KAPITEL

Libby Tennent sagte nicht ganz die Wahrheit.

Sie hatte es durch die vergoldete Drehtür geschafft, war durch das eindrucksvolle Marmorfoyer geschritten und bis zu den Fahrstühlen gekommen, bis ein uniformierter Wachmann sie angehalten hatte und sie gefragt hatte, wo sie hinwollte. „Ich habe einen Termin mit Mr. Zverev.“

„Das mag sein, aber bevor Sie den Fahrstuhl benutzen, müssen Sie sich erst an der Rezeption anmelden.“

„Ach ja, natürlich“, antwortete Libby so lässig, als sei ihr das nur kurz entfallen.

Sie war tief beeindruckt von diesem luxuriösen Bürogebäude in Mayfair. Aber im Gegensatz zu dem, was ihr Vater behauptet hatte, würde es kein Kinderspiel sein, Daniil Zverev zu sehen.

Libby ging zur Rezeption, um sich anzumelden. Hoffentlich fiel der Frau nicht auf, dass in Wirklichkeit nicht sie, sondern ihr Vater, Lindsey Tennent, einen Termin hatte.

„Und Ihr Name ist?“

„Tennent.“ Libby beobachtete, wie die Empfangsdame die Informationen eintippte und verwirrt die Augenbrauen zusammenzog.

„Einen Moment bitte.“ Sie griff zum Telefon. „Ich habe hier eine Miss Tennent. Sie sagt, sie habe einen Termin mit Mr. Zverev.“ Sie schwieg einen Moment und richtete den Blick dann auf Libby. „Ihr Vorname lautet?“

„Libby“, antwortete sie, bevor sie hinzufügte: „Als Abkürzung für Elizabeth.“ Sie versuchte, möglichst gleichmütig zu wirken und unterdrückte den Impuls, in ihrem Haar rumzufummeln oder mit einem Fuß auf den Boden zu klopfen.

In Wirklichkeit war sie nämlich total nervös. Diese Situation war ihr sehr unangenehm.

Die Rezeptionistin legte kopfschüttelnd auf. „Mr. Zverev kann Sie nicht empfangen.“

„Wie bitte?“, fragte Libby verblüfft. Nicht wegen der Ablehnung an sich, sondern weil sie ohne jede Entschuldigung oder Erklärung kam. „Wie meinen Sie das? Ich habe …“

„Mr. Zverev empfängt nur Personen, die einen Termin haben, und Sie haben keinen, Miss Tennent.“

„Doch, habe ich.“

Die Empfangsdame schüttelte den Kopf. „Der Sechsuhrtermin ist für Mr. Lindsey Tennent. Er hätte vorher fragen müssen, ob er jemanden an seiner Stelle schicken darf, wenn er es nicht rechtzeitig schafft. Mr. Zverev nimmt sich nicht für jeden Zeit.“

Libby wusste nicht, was sie jetzt machen sollte. Die Versuchung war groß, sich für die durch sie verursachten Umstände zu entschuldigen und zu gehen, aber ihr Vater hatte sie unter Tränen angefleht, den Termin wahrzunehmen. Davon hing nämlich eine Menge ab.

Also richtete sie sich zu ihrer vollen, wenn auch nicht sehr imposanten Körpergröße auf und sah die Empfangsdame direkt an.

„Mein Vater hatte einen Autounfall. Nur deshalb hat er mich an seiner Stelle geschickt. Würden Sie Mr. Zverev also bitte ausrichten, dass ich ihn sehen will? Der Grund meines Kommens ist ihm bekannt, aber natürlich kann ich ihn auch gern näher erläutern.“

Die Empfangsdame warf einen Blick auf zwei neu angekommene Besucher hinter Libby und schien zu dem Schluss zu kommen, die Angelegenheit lieber nicht im Foyer zu besprechen. „Einen Moment, bitte.“

Wieder griff sie zum Telefon, ging damit jedoch ein Stück weg, sodass Libby sie nicht hören konnte. Irgendwann kehrte sie zurück und reichte Libby einen Besucherausweis.

Kurz darauf öffnete man ihr die Fahrstuhltür, und Libby trat ein.

Sogar der Fahrstuhl war luxuriös. Der Teppich fühlte sich dick unter ihren Füßen an, und es war angenehm kühl und nur gedämpft beleuchtet – eine Wohltat an diesem heißen Sommertag.

Doch als sich die Fahrstuhltüren leise schlossen, fühlte sich Libby nicht mehr so wohl. Mit Schrecken betrachtete sie ihr windzerzaustes, erhitztes Äußeres in den verspiegelten Türen. Sie wirkte mal wieder viel jünger als fünfundzwanzig! Schnell band sie ihr langes blondes Haar zu einem ordentlichen Zopf und trug etwas Lipgloss auf.

Ich hätte mich nie von meinem Vater hierzu überreden lassen dürfen, dachte Libby.

Als sie von dem Unfall gehört hatte, hatte sie sich nur schnell etwas über ihre Trainingssachen geworfen und war losgeeilt. Sie war schrecklich in Sorge gewesen!

Als er sie dann bat, ihn bei einem Geschäftstermin seines Eventunternehmens zu vertreten, hatte Libby in ihrer Aufregung sofort zugesagt. Schließlich sollte es nur darum gehen, einen Mann namens Daniel Thomas dazu zu überreden, zum vierzigsten Hochzeitstag seiner Eltern zu kommen.

Erst in letzter Sekunde war Libbys Vater mit der ganzen Wahrheit herausgerückt.

„Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest“, hatte er gestanden. „Er hat jetzt einen anderen Namen.“

„Wie bitte?“

„Na ja, Daniel Thomas hat kürzlich seinen echten Namen angenommen – Daniil Zverev. Er wurde adoptiert.“

„Wenn er seinen Geburtsnamen wieder angenommen hat, ist das Verhältnis zu seinen Adoptiveltern eindeutig zerrüttet. Ich werde mich da nicht einmischen …“

„Libby, bitte“, hatte ihr Vater sie beschworen. „Zverev braucht sich nur kurz blicken zu lassen und eine Rede zu halten.“

Eine Rede? Die Forderungen nahmen ja gar kein Ende! Auftauchen, tanzen, gesellig sein und jetzt auch noch eine Rede halten!

Nein, Libby behagte die Vorstellung gar nicht!

„Du hast bisher gar nichts von einer Rede gesagt!“

„Kannst du nicht einfach mit ihm reden, Libby? Bitte!“

Warum zum Teufel hatte sie nur Ja gesagt?

Seufzend stieg Libby aus dem Fahrstuhl und ging einen langen Gang entlang.

Natürlich hatte sie während der Taxifahrt Internetrecherchen über Zverev gemacht. Ihr Vater hatte ihr geraten, an sein Gewissen zu appellieren, aber so wie es aussah, hatte der berühmte Finanzier keins. Er schien total herzlos zu sein.

Und was Frauen anging – tja, eine halbe Stunde im Taxi war viel zu wenig, um sich umfassend zu informieren. Das Wort „Herzensbrecher“ fiel in mehreren Artikeln. Anscheinend hatte seine längste Beziehung – wenn man das überhaupt so nennen konnte – gerade mal zwei Wochen gedauert. Die Frau, ein deutsches Topmodel, war hinterher am Boden zerstört gewesen.

Aber was stellten diese Frauen sich auch vor? Man musste schön blöd sein, sich auf so einen Typ einzulassen!

Libby hatte noch nie viel von One-Night-Stands gehalten, aber Daniil Zverev war darin offensichtlich Meister. Was Beziehungen anging, war Libby allerdings auch vorsichtig, und bisher hatte ihre Skepsis sich immer als berechtigt herausgestellt. Die Trennungsgründe, die ihre Freunde anführten, waren immer die gleichen: Libby war besessen vom Ballett und hatte kaum Zeit, auszugehen.

Was stimmte.

Genau das hatte sie ihnen immer von Anfang an gesagt!

Libby verdrängte die Erinnerungen an ihr katastrophales Liebesleben und konzentrierte sich wieder auf Daniil Zverev. Erstaunlicherweise hatte sie bei ihrer schnellen Recherche kaum Informationen zu seiner Namensänderung gefunden – so als schreckten die Medien vor bestimmten Themen zurück.

Genau wie ihr Vater … Was er ihr heute alles eröffnet hatte! Das Familienunternehmen steckte in ernsten Schwierigkeiten. Um den nächsten Monat zu überstehen, benötigte die Eventagentur ihres Vaters unbedingt den Auftrag für diese Hochzeitstagsparty. Doch den gab es nur, wenn Libby es schaffte, den Sohn der Feiernden als Gast zu gewinnen …

Die Vorstellung, diesen Mann zu bitten, einen auf heile Familie zu machen, widerstrebte ihr immer mehr. Sie hatte bestimmt keine Chance! Ein Mann, der die Verbindung zu seiner Familie so radikal gekappt hatte, dass er sogar seinen Namen geändert hatte, würde kaum Zugeständnisse machen, nur weil sie ihn darum bat.

Außerdem war Libby die Letzte, die anderen Menschen sagen wollte, was sie zu tun hatten. Das hasste sie nämlich selbst wie die Pest.

Okay, sie würde einfach loswerden, was sie zu sagen hatte, sich möglichst nicht von ihm einschüchtern lassen – und wieder gehen.

Der lange Gang hatte Libby zu einem weiteren Empfangstresen geführt, hinter dem eine weitere schöne Frau saß. Mit einem kritischen Blick musterte sie Libbys Erscheinung, dann griff sie stirnrunzelnd zum Telefon und kündigte Libbys Ankunft an. „Sie können gleich durchgehen“, sagte sie zu Libby, nachdem sie aufgelegt hatte. „Aber lassen Sie Ihre Tasche hier.“

Widerstrebend stellte Libby ihre Tasche ab und ging zur Tür. Als sie eine Hand hob, um anzuklopfen, hielt die Empfangsdame sie mit einem Zwischenruf davon ab.

„Klopfen Sie nicht an, das macht ihn nur ärgerlich! Gehen Sie einfach durch.“

Libby juckte es in den Fingern, jetzt erst recht anzuklopfen. Und dann gleich noch mal.

Bei der Vorstellung musste sie lächeln.

Und zwar über das ganze Gesicht …

Und so sah Daniil sie zum ersten Mal. Über einen geheimen Witz vor sich hin schmunzelnd.

Er erkannte auf den ersten Blick, dass die junge Frau Tänzerin war. Das sah er schon allein an ihrer Haltung, als sie die Tür hinter sich schloss und das Zimmer betrat.

Libby sah sich verblüfft um. Von diesem Büro aus hatte man einen herrlichen Blick auf London. Wie vom London Eye aus, aber dort würde ihr bestimmt nicht so eine Augenweide gegenübersitzen.

Der Mann hinterm Schreibtisch hatte dunkles Haar, dunkle Augen und helle Haut. Über dem linken Wangenknochen zeigte sich eine helle Narbe. Er saß sehr aufrecht hinter seinem sehr großen Schreibtisch und musterte sie mit mildem Interesse.

Er füllte den riesigen Raum mit seiner Präsenz total aus.

„Danke, dass Sie mich empfangen, Mr. Zverev“, sagte Libby.

„Aber, Mr. Tennent, was haben Sie für eine hohe klare Stimme?“, sagte er mit schwerem russischen Akzent. Seine Stimme klang tief, samtweich … und total sexy.

Libby musste lächeln. Ihre Nervosität löste sich schlagartig in Luft auf.

„Aber, Mr. Tennent, was haben Sie für glatte Haut“, fügte Daniil hinzu, während er ihre schlanken Beine betrachtete.

Nein, Libby hatte plötzlich keine Angst mehr.

Sie war wie gebannt von seinen eisgrauen Augen. Plötzlich konnte sie nachvollziehen, warum seine zahlreichen Geliebten sich auf ihn eingelassen hatten. Bisher hatte sie sich nie vorstellen können, einfach so mit einem Mann ins Bett zu gehen, aber jetzt schon. Er war so schön und sein Blick so intensiv und sexy, dass sie für nichts mehr garantieren konnte.

Sie räusperte sich, um ihre Stimme wiederzufinden. Was hatte sie noch mal sagen wollen? Ach ja!

„Wir wissen doch beide, Mr. Zverev, dass Sie der böse Wolf sind!“

Zu ihrer Überraschung lächelte Daniil. „Das bin ich tatsächlich.“

Libby stockte der Atem, als seine bisher verschlossenen Gesichtszüge sich für einen Moment entspannten. Ein schwaches Lächeln umspielte seine sinnlichen Lippen, und seine eisgrauen Augen sahen plötzlich gar nicht mehr so kalt aus.

Doch das änderte sich sofort wieder. „Setzen Sie sich!“, befahl er.

Libby gehorchte. Sie überkreuzte die Knöchel und legte die Hände in den Schoß.

„Möchten Sie eine Erfrischung?“

„Nein danke.“

„Sind Sie sicher?“

„Ganz sicher“, bestätigte Libby, obwohl sie schrecklichen Durst hatte. Plötzlich holte ihre Nervosität sie wieder ein. Sie ärgerte sich über ihren Vater, weil er sie hierzu überredet hatte.

Daniil öffnete eine Flasche Mineralwasser, die auf dem Tisch stand. Sie war eisgekühlt, wie Libby an dem Kondenswasser sah. Als sie das köstliche Zischen beim Öffnen und das herrliche Gluck-gluck-gluck beim Eingießen hörte, wurde ihr Durst fast unerträglich.

Er bot ihr das Wasser nicht wieder an.

Bastard!

Als er ihr wortlos das Glas hinschob, verdrehte sie die Augen und akzeptierte es. „Danke.“

Er schenkte sich ebenfalls ein Glas ein. Ihr Blick blieb an seinen Händen hängen. Sie waren schön und schlank, mit langen Fingern und kurzen, manikürten Nägeln.

„Und?“, fragte Daniil.

Ach so, ja.

Libby versuchte, sich auf den Grund ihres Kommens zu konzentrieren. „Mein Vater bedauert es sehr, dass er es heute Abend nicht geschafft hat. Er war in einen Autounfall verwickelt.“

„Tut mir leid, das zu hören. Er ist doch hoffentlich nicht ernsthaft verletzt?“

„Oh nein!“, sagte sie, überrascht von dem besorgten Unterton in seiner Stimme. „Er hat nur eine leichte Gehirnerschütterung …“

Daniil beobachtete, wie Libby stirnrunzelnd verstummte. Verwirrende Gedanken wirbelten durch ihren Kopf. Es war eine sehr leichte Gehirnerschütterung. Der Arzt hatte Libbys Vater bereits nach Hause geschickt. Wenn dieser Termin mit Daniil wirklich so dringend nötig war, hätte er eigentlich selbst kommen können …

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
Mehr erfahren