Big Sky Secrets - Antwort des Herzens

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"Warum können Sie mich nicht leiden, Ria?" - "Weil Sie zu gut
aussehen und das auch wissen. " - "Mein Verbrechen besteht also darin,
dass ich zu gut aussehe und es auch weiß?" - "Genau!"

Was soll man(n) dazu sagen? Landry Sutton fällt jedenfalls nichts mehr
ein. Deshalb verschließt er der kratzbürstigen Ria den
Mund mit einem Kuss. Aber damit fangen die Probleme erst an. Jeden
Tag fühlt er sich mehr zu Ria hingezogen. Doch ein Happy
End scheint in weiter Ferne: Denn Landry hat die Arbeit auf der Ranch,
die er mit seinem Bruder führt, satt, und vermisst das quirlige
Stadtleben. Im Gegensatz zu Ria! Die hat der hektischen Großstadt den
Rücken gekehrt und genießt die beschaulichen Stunden auf ihrer
Blumenfarm. Bald muss Landry sich entscheiden:
Landliebe oder Citylife?


  • Erscheinungstag 10.01.2015
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783956493546
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller

Big Sky Secrets – Antwort des Herzens

Roman

Aus dem Amerikanischen von Anita Sprungk

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Big Sky Secrets

Copyright © 2014 by Linda Lael Miller

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München; Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-354-6

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Mit finsterer Miene und hochrotem Kopf rappelte Landry Sutton sich wieder auf, nachdem er auf dem von zahllosen Hufen hart getrampelten Grund von Walker Parrishs Hauptpferch gelandet war. Trotzig biss er die Zähne zusammen und bückte sich nach den Überresten seines Huts. Der Bronco, ein Wallach mit dem passenden Namen Pure Misery, hatte ihn in dem kurzen, aber wilden Unterfangen, Landry zum dritten und für heute letzten Mal abzuwerfen, zertrampelt.

Vermutlich kann ich froh sein, dass mein Schädel nicht das gleiche Schicksal erlitten hat, dachte Landry. Doch so einfach gelang ihm der Wechsel von adrenalinbefeuertem Zorn zu Dankbarkeit nicht. Landry war frustriert, beschämt und sauer – und das waren nur die Empfindungen, die er benennen konnte.

Das schweißnasse Pferd drehte ein paar stolze Runden im Pferch und bewegte sich dabei in immer größer werdenden Kreisen. Ein oder zweimal schnaubte es, den Hals gebeugt, den Kopf stolz hoch erhoben und die Ohren so dicht angelegt, dass sie kaum zu sehen waren.

Schließlich blieb der Wallach etwa zehn Meter von Landry entfernt entschlossen stehen, die Hinterbeine fest auf den Boden gestemmt, während seine Flanken leicht zitterten. Das ganze Tier war ein Bündel kaum gebändigter Kraft und Energie, die sich in völlig neuen Wegen Bahn zu brechen und in einem urzeitlichen Gewitter zu entladen suchte.

Komm schon, Cowboy. Versuch’s noch mal. So lautete die Botschaft.

Allmählich wurde Landry die unmittelbare Umgebung, seine und die des Pferdes, wieder bewusst, obwohl alles, was jenseits der Kampfarena lag, immer noch im Dunst des aufgewirbelten Staubs verschwand. Lediglich seinen Bruder Zane, der auf dem Zaun hockte, nahm er wahr. Er wusste, dass sein Bruder ihn mit mildem, ja, freundlichem Interesse beobachtete und darauf wartete, was als Nächstes geschehen würde.

Möglicherweise fragte er sich, ob Landry so dumm sein würde, das durchgeknallte Wildpferd noch einmal zu besteigen, oder ob er so vernünftig wäre, es für heute sein zu lassen.

„Irgendwas gebrochen?“, rief er ihm heiter zu. Er war nur dreizehneinhalb Monate älter als Landry, allerdings hätte ebenso gut ein Jahrzehnt zwischen ihnen liegen können. Zane strahlte eine Reife und Weisheit aus, die einem Vater oder ehrwürdigen Onkel gut angestanden hätte. Oder einem Obersten Richter.

Landry warf nur einen kurzen Blick in Zanes Richtung und klatschte dann den ruinierten Hut gegen seine Oberschenkel, um ein bisschen Dampf abzulassen. Ein paar Rancharbeiter – alles Angestellte von Walker Parrish, einem ortsansässigen Rodeopferdezüchter und dem älteren Bruder von Zanes Frau Brylee – schauten in dem halbherzigen Versuch, ihr amüsiertes Grinsen zu verbergen, kurz zur Seite.

Natürlich war leicht zu erraten, was die Männer dachten. Obwohl Landry seit fast einem Jahr in Montana lebte, war er immer noch ein Außenseiter, das herausgeputzte Greenhorn aus Chicago und in aller Augen ein Schönling auf ewig. Immer noch und für alle Zeiten der kleine Bruder des großen Zane Sutton.

Mit seinen ein Meter achtzig, seiner Intelligenz und als Selfmademann, der es zu Reichtum und finanzieller Unabhängigkeit gebracht hatte und eine Ranch besaß, gab Landry sich normalerweise nicht mit Kleinigkeiten ab. Tatsächlich war ihm mit Anfang dreißig noch nie etwas misslungen, was er sich vorgenommen hatte. Abgesehen von seinen Bemühungen, die Ehe mit Susan Ingersoll zu retten, ohne dabei zum Mörder zu werden. Für ihn war diese unselige Beziehung eine Katastrophe gewesen.

Im Moment taten ihm sämtliche Muskeln weh. Seine Knochen schmerzten, als wäre er seit dem Frühstück zwanzig Jahre älter geworden, und sein Stolz hatte mächtig gelitten. Mürrisch verfolgte Landry, wie einer der Rancharbeiter den Bronco einfing, ihn aus dem Pferch führte und auf der angrenzenden Weide laufen ließ.

Zane trat auf Landry zu, während sich der Staub langsam legte. „Möchtest du ein Bier?“, fragte er ruhig. Seine rechte Hand zuckte leicht, als wollte er Landry auf die Schulter klopfen, offenbar kam er jedoch zu dem Schluss, es lieber zu lassen, denn er ließ sie wieder sinken.

Es handelte sich nur um ein Bier, und Landry hätte nur zur gern eins gehabt. Trotzdem wollte er das Angebot im ersten Augenblick ausschlagen. Er und Zane hatten sich als Kinder sehr nahegestanden, und das war so geblieben, bis sie in den Zwanzigern waren. Doch dann, etwa zu der Zeit, als ihre Mutter starb …

Damals war alles den Bach runtergegangen. Zwischen ihnen hatte sich ein Abgrund aufgetan, und sie hatten nie mehr zueinandergefunden. Die meiste Zeit waren sie einfach getrennte Wege gegangen. Zane tingelte von einem Rodeo zum nächsten und landete schließlich beim Film – ausgerechnet! –, während es Landry nach Chicago zog, eine Stadt, die ihn schon immer fasziniert hatte. Er besuchte die Abendschule, jobbte tagsüber und an den Wochenenden als Barista in einem Coffeeshop, machte seinen Abschluss und bekam einen Posten bei Ingersoll Investments, wo er zunächst in der Poststelle arbeitete. Schnell kletterte er die Karriereleiter hinauf, lernte die Tochter des Chefs kennen und heiratete sie.

In der Gewissheit, endlich seinen Platz gefunden zu haben, krempelte Landry die Ärmel hoch und packte es an, Geld zu scheffeln – viel Geld –, und zwar für die Firma und dank diverser Boni und schließlich einer Teilhaberschaft auch für sich selbst.

„Jetzt ein Bier wäre nicht schlecht“, hörte er sich sagen, obwohl sein Instinkt ihm eigentlich zu „Nein, danke“ riet. Vernünftiger wäre es natürlich gewesen, seine Jammergestalt sofort zurück auf seine Hälfte von Hangman’s Bend zu verfrachten. Dort hätte er einen oder zwei Scotch kippen, ein Aspirin schlucken und sich unter die heiße Dusche stellen können, bis seine Muskeln aufhörten zu protestieren.

Stattdessen verließen sie gemeinsam den Pferch. Zane winkte den anderen zum Abschied zu, und zusammen mit Landry ging er zu seinem Wagen, einem silberfarbenen Pick-up mit verlängerter Kabine, der so mit Schlamm verschmiert war, dass die eigentliche Farbe nicht mehr zu erkennen war. Slim, Zanes adoptierter Streunerhund, lag auf der Ladefläche und hechelte in der hellen Junisonne vor sich hin. Offenbar war er gänzlich zufrieden damit, was und wo er war.

Ein Mensch kann viel von einem Hund lernen, dachte Landry. Er stieg auf der Beifahrerseite aufs Trittbrett, beugte sich kurz nach hinten und kraulte dem Tier Kopf und Schlappohren. „Hallo Hund. Wie geht’s dir?“ Eine rein rhetorische Frage, und trotz der Schroffheit in seiner Stimme war klar, dass er Slim mochte.

Slim wedelte mit dem Schwanz. Danach legte er sich für die kurze Fahrt zur benachbarten Hangman’s-Bend-Ranch wieder hin.

Zane setzte sich hinters Steuer, ließ das Auto an, warf einen kurzen Blick über die Schulter nach hinten und grinste dem Hund zu. Er liebte diese Schlafmütze, keine Frage, und er hätte das Tier auch in der Fahrerkabine mitgenommen, wenn es das gewollt hätte. Doch Slim hatte in letzter Zeit eine Vorliebe für die Ladefläche entwickelt. Offenbar gefiel es ihm zwischen Futtersäcken und anderem Ladegut, und es sah nicht danach aus, als würde er in näherer Zukunft seine Meinung ändern.

„Du solltest dir einen Hund zulegen“, meinte Zane, während er den Wagen langsam wendete. „Sie leisten einem prima Gesellschaft, weißt du.“

Mein Bruder, die große Autorität in Sachen Einsamkeit, schoss es Landry durch den Kopf, und er seufzte innerlich voller Ironie. Als hätte es Zane jemals an Gesellschaft gemangelt, selbst bevor er sich auf der heruntergekommenen Ranch außerhalb der Stadtgrenzen von Three Trees, Montana, niedergelassen hatte. Eben der Ranch, die er und Landry ein paar Jahre früher unbesehen zusammen gekauft hatten. Inzwischen leistete ihm vor allem seine wunderschöne Frau Brylee Gesellschaft. Und außerdem gab es da noch ihre Respekt einflößende und überaus treue Haushälterin Cleo sowie den dreizehnjährigen Nash. Der Junge war Zanes und Landrys Halbbruder, und gegen das, was er in seinem jungen Leben bereits erlebt hatte, war ihre eigene, von Armut und Schwierigkeiten geprägte Kindheit der reinste Spaziergang gewesen.

„Irgendwann tue ich das“, erwiderte Landry, in Gedanken immer noch ganz woanders. „Mir einen Hund zulegen, meine ich.“ Er schwieg einen Moment. „Hat doch keine Eile, oder?“, fügte er dann ärgerlich hinzu.

Zane antwortete nicht, und das war in Ordnung, denn manchmal – zum Beispiel jetzt – war ihnen nicht nach Reden zumute. Der Pick-up rumpelte über die lange zerfurchte Rancheinfahrt und rüttelte Hund und Ladung auf der Ladefläche ordentlich durch.

Walkers Ranch Timber Creek war ein ansehnliches Anwesen, um es vorsichtig auszudrücken, aber der unbefestigte Weg, der zum Haupttor führte, war in kaum besserem Zustand als ein Viehtrampelpfad nach einem Monat Dauerregen und zehn Jahren Dürre. Wie Landry inzwischen bemerkt hatte, legten die Leute hier draußen in der Wildnis von Montana unabhängig von ihrem Geldbeutel keinen übertriebenen Wert auf Annehmlichkeiten oder Äußerlichkeiten. Wahrscheinlich kämen die meisten nie auf die Idee, eine Einfahrt mit Asphalt zu befestigen. Ein oder zwei eher protzige Typen hätten vielleicht eine Ladung Kies verteilt, wenn gerade mal Geld reinkam und anständig für Rindfleisch gezahlt wurde – allerdings eine Einfahrt zu pflastern, das würde hier keiner machen.

Nein, selbst so erfolgreiche Rancher wie Walker Parrish gaben sich offenbar damit zufrieden, sich mit den gegebenen Verhältnissen zu arrangieren, sei es der hüfthohe Schnee im Winter, der zähe Schlamm, den die Einheimischen Gumbo nannten, im Frühling oder die tief gefurchten, trockenen Fahrrinnen im Sommer und Herbst.

Ab und zu kam es vor, wenn auch immer nur kurz, dass die Gegend überhaupt keinen Reiz für Landry hatte – so wie jetzt.

Offenbar weiterhin in fröhliche Gedanken versunken, fuhr Zane weiter. Das Wohngebäude auf seinem Teil der Hangman’s-Bend-Ranch war vergleichsweise bescheiden, vor allem wenn man bedachte, wie wohlhabend er war. Bevor er sich plötzlich entschlossen hatte, dem Leben als Filmstar den Rücken zu kehren, aufs Land zu ziehen und sich völlig neu zu erfinden, war er eine Art moderner John Wayne gewesen. Jetzt lebten er und Brylee in einem renovierten, großen und komfortablen Steinhaus, das jedoch kein bisschen Chic aufwies, jedenfalls, wenn man nach Hollywood-Standards ging. Zur Ranch gehörten außerdem ein robustes Stallgebäude und eine altmodische, frei stehende Garage mit verbeultem Aluminiumtor, das von Hand hochgeschoben und heruntergelassen werden musste. Weder ein Tennisplatz noch ein Swimmingpool verschandelten die Landschaft.

Brylee jätete Unkraut im Gemüsegarten, als Zane und Landry eintrafen. Ihr Deutscher Schäferhund, wie immer treu in ihrer Nähe, überwachte ihr Tun.

Zanes Frau trug einen leichten Strohhut – die Haare hatte sie darunter gesteckt –, dazu eine ärmellose Bluse und an den Knien abgeschnittene Jeans. Ihre langen Beine waren von der Sonne gebräunt, genau wie ihre Arme, und ihre vermutlich nackten Füße waren wahrscheinlich mit Schlamm bedeckt.

Beim Anblick des Wagens strahlte sie übers ganze Gesicht und eilte ihnen zwischen Reihen von Mais, grünen Bohnen und Kopfsalat anmutig entgegen.

Als er sie so sah, stieg ein Gefühl von Verlorenheit in Landry auf, schlimmer als Einsamkeit, aber er empfand keinen Neid, jedenfalls fast keinen. Zane sprang aus dem Wagen, lief seiner Frau entgegen, hob sie lachend hoch und schwang sie einmal im Kreis, bevor er sie zärtlich küsste.

Slim verhielt sich wie jeder gute Hund auf dem Lande: Er hüpfte von der Ladefläche, rannte bellend zu Herrchen und Frauchen und beteiligte sich an der überschwänglichen Begrüßung.

Brylees Hut war inzwischen auf dem Boden gelandet, und ihre dunkelbraunen Locken mit den goldenen Lichtreflexen fielen ihr über die Schultern. Etwas verspätet nahm sie auch Landry wahr und errötete verlegen – eine moderne Eva, der plötzlich auffiel, dass sie und ihr Adam doch nicht allein im Garten Eden waren.

So viel zum Liebespiel gleich hier im hohen Gras, dachte Landry. Die beiden waren durchaus zu so etwas fähig. Und wer wollte es ihnen verübeln?

Er lächelte Brylee zu und griff sich kurz an den Hut, bevor er sich erinnerte, dass er ihn auf die Ladefläche des Pick-ups geworfen hatte. Die überraschend liebevollen Worte, die ihm durch den Kopf schossen, galten allerdings seinem Bruder. Was für ein Glück du doch hast, du Bastard.

„Ich habe diesem Typen ein Bier versprochen“, erklärte Zane und deutete immer noch grinsend mit dem Daumen auf Landry, um klarzustellen, wen er mit dem Typen meinte. Die Luft um das Paar schien zu knistern. „Wie du siehst, ist er ein bisschen lädiert.“

Obwohl Zane sich bei dieser Bemerkung sicher nichts gedacht hatte, entsann sich Landry schlagartig, dass er dreimal abgeworfen worden war, seine Kleidung vor Staub und Schweiß starrten und jede Menge Pferdemist an seinen Stiefeln klebte. Obendrein bedeckte Schmutz seine Haut, verstopfte jede Pore und hing an jedem einzelnen Haar.

Wieder überfiel ihn Unsicherheit und ein undefinierbares Verlustgefühl, ein Gefühl, das er vor seinem Umzug nach Montana nie gekannt hatte.

„Ich bleibe am besten hier draußen auf der Veranda“, schlug er vor und wünschte sofort, er hätte den Mund gehalten.

Brylee schenkte ihm ein warmes Lächeln. Sie hatte ihn anfangs zwar alles andere als sympathisch gefunden, ihre Einstellung ihm gegenüber allerdings seit Weihnachten, und damit ihrer Hochzeit, deutlich gewandelt. „Mach dir darüber keine Gedanken“, erwiderte sie und schaute verlegen auf ihre eigenen schlammigen Füße. „Dies ist eine Ranch, und da ist Dreck einfach unvermeidlich.“

Im selben Moment quietschte die Fliegentür in den Angeln, und die Haushälterin Cleo trat auf die Veranda. Ihre Haut glänzte ebenholzschwarz, die dunklen Augen funkelten, die grauen Haare bändigte Cleo – wenigstens teilweise – mit einem Tuch. Sie sah streng aus, tat jedoch vermutlich nur so, denn sie war ein warmherziger Mensch.

„Wie bitte, Mrs Sutton?“, mischte sie sich ein und stellte damit klar, dass sie Brylees Bemerkung über den Schmutz gehört hatte. „Ich bin gerade fertig mit Wischen der Küche – der Boden ist noch nicht mal trocken –, und es ist mir egal, wie viel Dreck für diese Ranch normal ist. Du setzt keinen Fuß in mein sauberes Haus, bevor du ihn nicht gründlich gewaschen hast.“ Im nächsten Moment glitt ihr Blick zu Zane und Landry. „Für euch zwei gilt dasselbe. Ich arbeite mir doch hier nicht zum Spaß die Finger wund!“

Zane, der ihre Predigten kannte, grinste nur und nickte der Frau freundlich beschwichtigend zu. Auch Landry kam der Wortwechsel bekannt vor. Er konnte sich leicht vorstellen, eine solche Warnung aus dem Mund von Highbridge zu hören. Allerdings drückte sich der Mann nicht ganz so blumig aus, und seine Aussprache und Grammatik waren besser.

Ach ja, Highbridge. Noch ein Grund, warum Landry hierher passte wie eine sechste Zehe in einen engen Stiefel. Er beschäftigte einen Butler. Welcher Cowboy mit ein bisschen Selbstachtung tat so etwas?

„Sagt mir, was ihr wollt, und ich bringe es euch raus“, fuhr Cleo fort, die Hände in die Hüften gestemmt. Inzwischen hatte sich ein Lächeln in ihre Augen gestohlen, und um ihre Mundwinkel zuckte es verdächtig. Genau wie Highbridge stellte sie gern klar, was sie dachte – gefragt oder ungefragt.

„Bier“, entgegnete Zane leichthin. „Und bitte gut gekühlt, wenn es dir nichts ausmacht.“

Cleo kniff die Augen zusammen und fixierte Brylee mit drohendem Blick. „Eistee oder Limonade für dich“, erklärte sie knapp. „Wenn du nicht schwanger bist, liegt es nicht an mangelndem Eifer. Das steht fest. Und wir wissen beide, dass Alkohol nicht gut für Babys ist.“

Brylee lief knallrot an und schüttelte den Kopf. „Cleo“, schimpfte sie lachend.

„Eistee oder Limonade?“, wiederholte diese unbeeindruckt und verschränkte die Arme vor der Brust.

Da hob Brylee ergeben beide Hände und setzte sich an den kleinen Weidentisch in einer schattigen Ecke der Veranda. Zane und Landry gesellten sich zu ihr.

„Tee, bitte“, sagte sie beinah schüchtern.

Nickend kehrte Cleo zurück ins Haus, um die Getränke zu holen.

„Cleo kann manchmal ein richtiger Tyrann sein“, bemerkte Brylee. Ihre Wangen glühten immer noch, und wenn sie zu Zane hinüberschaute, schien es zwischen ihnen gewaltig zu knistern.

„Aber nur zwischen Mitternacht und null Uhr morgens“, erwiderte Zane. Er hatte Brylees Hand genommen und seine Finger mit ihren verschränkt, eine selbstverständliche, ganz normale und doch ungeheuer intime Geste.

Landry ließ sich kurz die wenigen stürmischen Jahre durch den Kopf gehen, die er mit Susan verbracht hatte. Die blitzschnelle und glutheiße Erkenntnis, dass sie einander nie, nicht einmal in ihren besten Zeiten, so nahe gewesen waren wie Zane und Brylee, stimmte ihn traurig. Immerhin hatten sie guten Sex gehabt, aber nach seiner nicht gerade geringen Erfahrung war schlechter Sex ausgesprochen selten.

Er strich sich mit der Hand durch die verdreckten Haare und fragte sich, was ihn eigentlich so nachdenklich gemacht hatte.

Inzwischen waren auch die beiden Hunde auf die Veranda getapst und hatten sich schattige Plätzchen für ihr Nachmittagsschläfchen gesucht. Bienen summten in den nahe gelegenen Blumenbeeten, und in der Ferne muhte eine Kuh. Wahrscheinlich rief sie nach ihrem Kalb.

Cleo kam wieder aus dem Haus, diesmal mit einem Tablett in den Händen. Darauf standen ein Glas Eistee, ein Teller mit Keksen und zwei langhalsige braune Glasflaschen mit einer dünnen Eisschicht darauf.

Zuerst reichte sie Brylee den Tee, danach stellte sie vor jeden der Männer eine Bierflasche.

„Habt ihr Nash gesehen?“ Die Frage war an alle gerichtet, aber bevor jemand antworten konnte, redete sie bereits weiter. „Ich bin drauf und dran, dem Jungen den Hals umzudrehen, wenn er seine Schmutzwäsche weiter rumliegen lässt. Wie oft habe ich ihm schon gesagt, er soll sie aufheben. In seinem Zimmer kann man keinen Fuß vor den anderen setzen. Überall leere Pizzaschachteln und Limodosen. Wenn das so weitergeht, können wir uns demnächst vor Ungeziefer im Haus nicht mehr retten!“

Zane, der gerade einen Schluck Bier trank, gab ein ersticktes Lachen von sich und setzte die Flasche wieder ab. „Nash ist mit Walker und Shane zum Bullenmarkt in Missoula gefahren“, erinnerte er Cleo. „Wenn er wieder da ist, werde ich ihn in Ketten legen.“

Cleo lächelte nicht einmal über den Witz. „Ich wüsste gern, wer dem Kind erlaubt hat, einfach durch die Gegend zu tingeln. Er hat nicht eine seiner Pflichten erledigt“, brummelte sie, nahm drei schneeweiße, tadellos gebügelte Stoffservietten vom Tablett und legte sie fächerförmig auf den Tisch.

„Das war dann wohl ich“, meinte Zane.

„Total verwöhnt, dieser Junge“, stieß Cleo missmutig hervor, drehte sich auf dem Absatz ihrer grünen Sneakers um und rauschte zurück ins Haus.

Brylee schlug mit ihrer freien Hand nach Zane, aber sie lächelte dabei. Ihre Wangen waren immer noch gerötet. Bei ihr sah das unglaublich attraktiv aus. Landry wagte die Prophezeiung – natürlich nur in Gedanken –, dass die beiden keine fünf Minuten, nachdem er sich verabschiedet hatte, gemeinsam unter der Dusche stehen würden. Und keine fünf Minuten später die Laken zerwühlen würden.

Möglicherweise hegte Cleo die gleiche Vermutung, denn sie eilte sofort aus dem Haus zurück. Nach wie vor trug sie ihren Baumwollkittel, dazu aber einen roten Sonnenhut und eine umwerfende Designer-Sonnenbrille. Ihre große Handtasche hatte sie sich fest unter den Arm geklemmt, als rechnete sie damit, sich gleich eines Taschendiebs erwehren zu müssen.

„Manche Leute“, stichelte sie, während sie an den dreien vorbeiging, die Verandastufen hinunterstieg und auf den alten Kombi zumarschierte, der neben Zanes Pick-up stand, „wissen Besseres mit ihrer Zeit anzufangen, als im Schatten rumzusitzen. Ich fahre in die Stadt. Lebensmittel kaufen. Wird dauern, bis ich wieder da bin.“

Amüsiert schüttelte Brylee den Kopf.

Zane lachte.

Landry, der sich mehr und mehr überflüssig fühlte – in diesem Fall waren drei ganz klar einer zu viel –, schob hastig seinen Stuhl zurück und erhob sich, um sich vom Acker zu machen.

Aufgescheucht hoben beide Hunde ihre Köpfe und schauten ihn an.

„Warum die Eile, kleiner Bruder?“, fragte Zane und runzelte die Stirn. „Du hast noch nicht mal dein Bier ausgetrunken.“

War der Mann wirklich so begriffsstutzig? Da bot sich ihm die Chance, mit seiner atemberaubend schönen Frau allein zu sein, und was tat er? Machte sich Gedanken über einen Rest Bier.

Landry seufzte und beugte sich vor, um Brylee auf die Wange zu küssen. „Ich habe noch viel zu tun“, antwortete er. Mit einem letzten Blick auf sein Bier entschied er, doch lieber einen Scotch aus seinem eigenen Barschrank zu trinken, ließ die Bierflasche stehen und ging zu seinem Wagen.

Obwohl Cleos Auto längst außer Sichtweite war, hing die Staubwolke ihres Kombis immer noch in der Luft, als Landry aus Zanes Einfahrt auf die Straße bog.

Ganz kurz durchzuckte ihn der Wunsch, irgendwo anders hinfahren zu können als nach Hause, wo niemand auf ihn wartete – außer Highbridge und eine Herde Büffel, die gerade mal zwei Tieren umfasste.

Die Dämmerung färbte den gewaltigen Himmel über Montana lavendelblau, warf die ersten dünnen Schatten über den Rand des Tals und hüllte die Felder voller bunter Zinnien und Gerbera in die sanfte Kühle des hereinbrechenden Sommerabends. Ria Manning ließ den Blick über ihr kleines Stück Land schweifen. So etwas Ähnliches wie Heimweh überfiel sie, allerdings war das lächerlich. Schließlich war sie jetzt hier zu Hause. Sie biss sich auf die Unterlippe, rollte geschickt den grünen Gartenschlauch zusammen und hängte ihn an den Haken an der Wand des Geräteschuppens.

Schon früher am Nachmittag hatte sie den Rasen gemäht, und jetzt schaltete sich der Rasensprenger ein. Der süße Duft von frisch gemähtem Gras hatte eine beruhigende Wirkung auf Ria, die auf dem Weg zu ihrer rückwärtigen Veranda den kleinen Wasserfontänen auswich. Die Dielen hingen ein wenig durch, waren verwittert und wacklig. Noch ein Punkt auf der beängstigend langen Liste der Dinge, die erledigt werden mussten.

Hinter dem Haus – im Grunde war es nur eine kleine Hütte – wuchs das Unkraut so dicht und hoch, dass die dort abgestellten, längst überholten landwirtschaftlichen Geräte und andere vergessene Zeugnisse früherer Geschäftigkeit darin verschwanden. Auf dieser Seite des Hauses waren die von intensiver Bewirtschaftung ausgelaugten Felder leer: gepflügt und brach gelassen, damit der Boden sich erholen konnte.

In einem Jahr würde er wieder fruchtbar sein, sofern er angemessen gedüngt und vielleicht einmal abgeflämmt würde – natürlich unter sorgfältiger Überwachung des Feuers. Das behauptete jedenfalls der Experte für landwirtschaftliche Entwicklung. Manch anderer hätte vielleicht die Geduld verloren, aber Ria war das grundlegende Prinzip langfristiger Investitionen klar. Sie wusste, dass denen, die geduldig warteten, tatsächlich Gutes daraus erwuchs.

Einmal Erbsenzähler, immer Erbsenzähler. Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihr verstorbener Mann Frank hatte immer gesagt, ihre linke Hirnhälfte sei so dominant, dass es an ein Wunder grenze, dass Ria nicht bei jedem Versuch aufzustehen einfach umkippe.

Seufzend – Erinnerungen an Frank ließen sie immer seufzen – streifte Ria sich an der Hintertür die schmutzigen Schuhe ab und ließ sie auf der alten Zeitung stehen, die sie dafür ausgelegt hatte. Der Küchenfußboden glänzte vor Sauberkeit, und sie nahm sich einen Moment Zeit, das zu genießen, bevor sie die Deckenlampe anmachte.

Ria hatte schon vor langer Zeit, möglicherweise sogar schon als Kind erkannt, dass es ihr nicht guttat, lange untätig zu sein. Dann überfiel sie die Einsamkeit. Also machte sie sich sofort an die Arbeit, wusch sich die Hände am Spülbecken, füllte den altmodischen Kupferteekessel mit Wasser, stellte ihn auf den Herd und schaltete die Platte ein.

Aus einem der Küchenschränke nahm sie eine hübsche Tasse samt Untertasse, hängte einen Teebeutel hinein und ging zu ihrem Computer. Mit einem kurzen Ruckeln an der Maus weckte sie den Rechner aus seinem Ruhezustand. Während das Gerät hochfuhr, nahm sie ihr Handy aus der Ladestation und überprüfte ihre Mobilbox.

Der Kessel auf dem Herd begann rhythmisch zu pfeifen.

Eine einzige Nachricht – und damit eine mehr als üblich. Sie kam von ihrer zehn Jahre älteren Halbschwester Meredith, die sich nur äußerst selten bei Ria meldete, da sie außer ihrem Dad, der schon längst tot war, nichts gemeinsam hatten. Wenn sie anrief oder eine E-Mail schickte, wünschte Ria sich meistens, sie hätte es nicht getan. Meredith verhielt sich nicht direkt feindselig – jedenfalls nicht immer –, aber sie hatte nun mal nichts für Idioten übrig. Und obwohl sie das nie laut ausgesprochen hätte, war klar, dass Ria in ihren Augen eine Idiotin war. Wider besseres Wissen drückte Ria die Taste zum Abhören der Nachricht, legte das Handy auf die Arbeitsplatte und eilte zum Kühlschrank, um nachzuschauen, was sie fürs Abendessen dahatte.

Affektiert und schrill tönte die Stimme ihrer Halbschwester vom Band durch die kleine Küche, und Ria biss unwillkürlich die Zähne zusammen.

„Bist du da, Liebes?“, zwitscherte Meredith. „Ich hatte gehofft, dass du rangehst.“ Ausnahmsweise.

Ria stieß einen weiteren Seufzer aus, entschied sich für einen Käsetoast und Dosensuppe zum Dinner und platzierte die Zutaten dafür ordentlich auf die Arbeitsplatte.

„Hör zu, Liebes, es ist wichtig“, fuhr Meredith munter fort. „Ich musste schon wieder einen Manager feuern. Diesmal in der Filiale in Seattle. Und jetzt stehe ich vor einem kompletten Chaos. Es geht um mögliche Unterschlagung. Es könnten sogar Ermittlungen eingeleitet werden. Wenn du nicht kommst und die Sache bereinigst, müssen wir das Büro schließen. Das hieße Buchprüfungen und jede Menge schlechte Presse, und du weißt doch, wie sehr das Daddy treffen würde.“ Meredith holte hörbar Luft und setzte dann zum großen Finale an. „Ruf mich an, sobald du diese Nachricht abgehört hast. Unbedingt bitte. Ganz egal, wie spät es ist. Du hast meine Nummern.“ Einen Moment Schweigen. „Hab dich lieb!“

Ende.

Hab dich lieb!

Na klar doch, dachte Ria. Sie wünschte, sie könnte die Bitte ihrer Schwester um Rückruf einfach ignorieren, dabei war ihr längst klar, dass sie das nicht fertigbringen würde. Dafür hatte sie einfach ein zu ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Das war ihr Problem.

Dennoch wollte sie erst essen. Sie hatte den ganzen Tag hart gearbeitet, gejätet, gewässert, Vorbereitungen für den samstäglichen Bauernmarkt in Parable getroffen, und sie war hungrig. Und müde natürlich auch.

Ria bereitete ihr Sandwich zu und wärmte sich die Suppe auf. Ihr Tee war inzwischen fertig. Sie richtete ihr Essen auf dem guten Porzellan an und benutzte das Silberbesteck, das sie und Frank zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. So versuchte sie wenigstens ansatzweise, die Atmosphäre eines Essens im Familienkreis zu wahren.

Frank. Er war ihre Stütze gewesen, ihre einzige wahre Liebe, und sie konnte sich nicht vorstellen, jemals jemand anderen zu lieben. Obwohl Frank gerade mal zweieinhalb Jahre tot war, konnte sie sich manchmal schon nicht mehr an sein Gesicht erinnern und musste die Hochzeitsbilder zu Hilfe nehmen. Sie prägte sich sein kantiges Kinn, den kräftigen Mund, die dicken schwarzen Haare, braunen Augen und sein Lächeln ein.

Und vergaß alles wieder.

Obwohl Ria wusste, dass es nicht ungewöhnlich für trauernde Hinterbliebene war, sich nicht mehr an das Gesicht des geliebten Verstorbenen zu erinnern, geriet sie jedes Mal ein wenig in Panik, sowie ihr das passierte. Die damit verbundenen Schuldgefühle hielten Stunden an, wenn nicht länger.

Warum aber fühlte sie sich ausgerechnet jetzt so leer?

Es liegt an der Tageszeit, rief sie sich schweigend ins Gedächtnis. Sie setzte sich, breitete eine Serviette über ihre Oberschenkel und atmete tief durch, um ihr inneres Gleichgewicht zurückzugewinnen.

Eben noch war sie hungrig gewesen, jetzt allerdings hatte sie kaum noch Appetit. Sie knabberte an einer Hälfte des Toasts und nahm ein paar Löffel von der Suppe. Dann gab sie auf und räumte den Tisch ab. Sie warf die Reste in den Müll und spülte Teller und Schüssel ab, anschließend ging sie, die Tasse lauwarmen Tee in der Hand haltend, ins vordere Zimmer.

Der Kopf, dunkelbraun, haarig, mit Hörnern, tauchte plötzlich mitten im Panoramafenster auf. Und obwohl Ria durchaus wusste, was sie da sah, war sie so überrascht, dass sie erschrocken aufschrie, rückwärts sprang und beinahe ihre Tasse samt Untertasse fallen gelassen hätte.

Das Lebewesen vor dem Fenster stieß einen schrecklich klagenden Laut aus, eine Art verzweifeltes Bellen. Durch die Vorhänge, die noch nicht zugezogen waren, fühlte Ria sich an eine Theaterbühne erinnerte, sodass sie sich wie die Zuschauerin bei einer Horrorshow vorkam.

Allmählich fing sie sich wieder ein wenig. Mit zitternden Fingern stellte sie den Becher auf einem Beistelltisch ab und drückte die Hand auf ihr hämmerndes Herz.

Bessie. Während der Schock sich langsam legte, geriet Ria in Rage.

„Nicht schon wieder“, sagte sie wütend. „Verdammt noch mal, nicht schon wieder!“

Im Gegensatz zu ihr hatte sich die Büffeldame in Rias Blumenbeet anscheinend deutlich abgeregt. Nach dem einen grauenvollen Schrei senkte sie den Kopf außer Sicht, und als sie ihn wieder hob, kaute sie an einem dicken Bündel frisch gepflanzter Petunien. Ganz in der Nähe entdeckte Ria ihr einjähriges Kalb, das inzwischen schon fast so groß war wie seine Mutter. Es war dabei, sich an den leuchtend orangen Mohnblumen zu vergreifen, die in einer alten Schubkarre wuchsen.

Einen Augenblick stand Ria wie erstarrt da. Bessie wirkte jetzt ganz zufrieden, aber das hieß noch lange nicht, dass sie sich nicht wieder aufregen konnte. Da sie vermutlich in etwa so viel wog wie ein Truck, hatte diese Vorstellung etwas Beängstigendes. Mit einem einzigen Schwung ihres gewaltigen Kopfs konnte sie das Fenster mühelos zerschmettern. Vielleicht war sie sogar in der Lage, sich durch die Öffnung zu zwängen und in Rias Wohnzimmer Amok zu laufen.

Reiß dich zusammen. Kein Grund, in Panik auszubrechen.

Der Versuch, sich selbst zu beruhigen, half nicht viel.

Rückwärtsgehend flüchtete Ria sich in die Küche, stürzte zum Festnetztelefon an der Wand über ihrem Computertisch und wählte eine Kurzwahlnummer.

„Sutton-Residenz“, meldete Highbridge sich förmlich. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Sie sind schon wieder draußen“, erklärte Ria. „Diese … Viecher …“

„Ach herrje“, meinte Highbridge bedauernd. „Das tut mir leid. Haben sie Schaden angerichtet?“

„Abgesehen davon, dass sie mich zu Tode erschreckt haben und meine Blumen abfressen?“ Natürlich war Ria bewusst, dass Highbridge nichts für die Situation konnte – er war ein Butler, kein Rancharbeiter –, doch weil er sich in der Schusslinie befand, kriegte er eine ordentliche Ladung ab „Ist Ihnen klar, Mr Highbridge, dass orientalischer Mohn erst im zweiten Jahr nach der Pflanzung blüht?“

„Einfach Highbridge, bitte“, widersprach er sanft. Britisch durch und durch gelang es ihm, sowohl Anteilnahme als auch sorgsam beherrschte Belustigung zu vermitteln.

„Und dass eins dieser Tiere sie gerade alle rausgerupft hat?“, fuhr Ria fort.

„Mr Sutton kommt sofort zu Ihnen, um die Tiere abzuholen“, erwiderte Highbridge. „Ich bin sicher, er wird Sie wie immer gern für den angerichteten Schaden entschädigen.“

Mr Sutton kommt sofort zu Ihnen.

Immerhin etwas, dachte Ria und begann sich langsam zu beruhigen. Wenn Landry hier auftauchte, würde sie einfach so tun, als wäre sie nicht zu Hause.

2. KAPITEL

Ria mochte Landry Sutton nicht. Kein bisschen. Sie hatte ihn nie gemocht und würde ihn nie mögen. Darum war sie wild entschlossen, sich nicht blicken zu lassen, wenn er kam, um seine stinkenden, flohzerbissenen, mohnfressenden Büffel abzuholen.

Landry war etwa zur selben Zeit in Parable County aufgekreuzt wie Ria, nämlich vor etwas mehr als einem Jahr, und er war ihr von Anfang an starrköpfig, eingebildet und meistens unerträglich verbohrt vorgekommen. Nur sein unglaublich gutes Aussehen – der klassische kantige Unterkiefer, die vollkommen ebenmäßigen Gesichtszüge und die blauen Augen, deren Farbe je nach Stimmung zwischen lavendel- und kornblumenblau wechselte, das struppige weizenblonde Haar, der schlanke und dennoch kräftige Körperbau – und nicht zuletzt seine ausgeprägte Männlichkeit verhinderten, dass er ganz und gar unerträglich wirkte.

Körperliche Eigenschaften werden vererbt. Sie sind zufällige Geburtsgeschenke. Also ist es nicht das Verdienst dieses Mannes, gute Gene zu haben.

Aber so wie Landry nun mal war, betrachtete er es vermutlich trotzdem als sein Verdienst. Er benahm sich wie ein Mann, dem nichts, was er anpackte, jemals misslungen war. Da aber kein Mensch immer erfolgreich sein konnte, hatte Ria ihn längst als Angeber abgestempelt.

Sie trat ans Fenster und spähte durch das Glas. Ihr Herz, das sich gerade erst einigermaßen beruhigt hatte, begann sofort wieder wild zu pochen. Ria wusste nur zu gut, dass sie fürchterlich erschrecken würde, falls Bessie ihr heute Abend noch einmal gegenüberstünde.

Die schwerfälligen Lebewesen waren nicht zu sehen. Das war keine Überraschung, da es draußen inzwischen dunkel war. Ria wagte dennoch nicht zu hoffen, dass das Tier von allein nach Hause abgezogen war, um sie nie wieder zu belästigen. Das wäre zu einfach gewesen.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und runzelte die Stirn. Der große Landry Sutton ließ sich verdammt viel Zeit, um zu kommen und sich um seine Viecher zu kümmern. Mindestens eine Stunde war vergangen, seit sie bei ihm angerufen hatte, damit er etwas unternahm.

Zutiefst verärgert griff Ria nach den Vorhängen und zog sie mit einem Ruck zu. Vielleicht wäre sie milder gestimmt gewesen, wenn sie und ihre ums Überleben kämpfenden Zinnien und Gerbera in den letzten Monaten nicht schon mindestens sechs Mal von dieser Naturkatastrophe heimgesucht worden wären.

Dann hörte sie das Geräusch. Es war eine erschreckend laute und einfach grässliche Kombination aus heftigen dumpfen Schlägen und wiederholten Kratzgeräuschen, und sie kam von der vorderen rechten Hausecke, kaum mehr als einen Meter von dem Punkt entfernt, an dem sie in der fragwürdigen Sicherheit ihres eigenen Wohnzimmers stand. Mit angehaltenem Atem zog Ria mit dem Zeigefinger vorsichtig einen der Vorhänge ein paar Zentimeter zurück und spähte noch einmal nach draußen. Sie konnte nichts sehen.

Aber natürlich konnte sie es erraten.

Zu ihrem Entsetzen wurde das nervenzerfetzende Geräusch noch intensiver. Ein- oder zweimal hätte sie schwören mögen, dass das ganze Haus in seinen uralten Fundamenten erbebte.

Ihre Vorsicht wurde nur noch von dem Wunsch übertroffen, ihren Verdacht bestätigt zu sehen. Also schlich sie auf Zehenspitzen zur Tür, schaltete das Verandalicht ein, zog entschlossen den Riegel zurück und trat hinaus, bereit, sofort wieder über die Türschwelle zurückzuspringen, falls sich das als nötig erweisen sollte.

Die einzelne Glühlampe in ihrer von toten Insekten gezierten Fassung warf ein schwaches gelbes Licht auf die Fußmatte, auf der „Willkommen“ stand. Es hatte keine Chance, die nahezu komplette Finsternis einer fast mondlosen Nacht im ländlichen Montana zu durchdringen.

Ringsumher zirpten Heuschrecken, und obwohl unzählige Sterne am Himmel funkelten, gelang es ihnen nicht, die Landschaft zu erhellen.

Ein plötzliches dröhnendes Bellen ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren.

Aber dies war ihr Haus, ihr Eigentum, und genug war genug, verdammt noch mal.

Ria wagte sich ein paar Schritte näher an die Verandaecke, die in tiefem Schatten lag. Im Grunde war ihr klar, was sie dort entdecken würde, aber sie konnte es noch nicht ganz glauben.

Und tatsächlich: Da stand Bessie und schubberte sich das Zottelfell an der Hausecke.

„Kusch!“, flüsterte Ria heiser, machte mit beiden Händen eine scheuchende Bewegung und stand ansonsten stockstill. „Geh weg!“

Als Antwort kam ein weiteres ohrenbetäubendes Bellen, das die Scheiben in den Fenstern klirren ließ. Sollte das eine Warnung sein? Gab das Tier damit seinem Unmut Ausdruck?

Ria wusste es nicht, und es war ihr auch egal. Sie war nicht dumm genug, um Bessie noch näher zu kommen, aber ein Rückzug kam auch nicht infrage. Verdammt noch mal, sie hatte schließlich Rechte.

Als Büffel konnte Bessie das natürlich nicht wissen, aber ihr Halter hätte es durchaus wissen müssen.

Warum brauchte er eigentlich so lange, um aufzukreuzen? Er lebte schließlich gleich nebenan und hatte mehr als genug Zeit gehabt, ein Pferd zu satteln oder was auch immer.

Sie holte tief Luft und versuchte noch einmal, das Tier zu verscheuchen. Diesmal gelang es ihr sogar, die Stimme zu heben: „Kusch! Hau ab! Verschwinde!“

Keine Reaktion. Nur der Boden der alten Veranda schien ein wenig unter ihren Füßen zu schwanken, als Bessie erneut ihren mächtigen braunen Körper gegen die Hausecke warf.

Im selben Moment – wie als Antwort auf ihre verärgerte Frage von eben – beleuchteten helle Scheinwerfer die lange Einfahrt zu Rias Haus, und sie hörte einen großen und schweren Wagen über die harten, steinigen Furchen rumpeln.

Dadurch abgelenkt, hörte Bessie auf zu brüllen und sich an der Hausecke zu kratzen. Ria presste die Fingerspitzen an die Schläfen und seufzte wütend und erleichtert zugleich, während sich die verspannten Muskeln zwischen ihren Schulterblättern ein wenig lockerten.

Als der Wagen näher kam, sah sie, dass er einen Anhänger zog.

Bessies Kalb kam aus der Dunkelheit getrottet und blieb still im Scheinwerferlicht des Wagens stehen. Angst schien das Tier nicht zu haben, ganz anders als ein Reh oder andere Wildtiere. Stattdessen stand der Jungbüffel einfach still da und grunzte einmal leise. Nun setzte sich auch Bessie langsam in Bewegung und gesellte sich zu ihrem Jungen.

Dieses Verhalten erstaunte und ärgerte Ria. Sie war sicher gewesen, dass beide Tiere auf sie losgehen würden, sobald sie die Veranda verließ, aber stattdessen benahmen sie sich wie gut erzogene Haustiere.

Waren sie etwa zahm? Kaum zu glauben, wenn man bedachte, dass sie sich eben noch benommen hatten wie wütende Ungetüme mit Bauchschmerzen, die ihre Blumenbeete zertrampelten und versuchten, ihr Haus umzuwerfen.

So lässig, als wäre der ganze Vorfall ein Klacks, wenn auch zugegebenermaßen lästig, öffnete Landry die Fahrertür des Fahrzeugs. Dabei schaltete sich die Innenbeleuchtung ein und präsentierte den ganzen, gut aussehenden Kerl. Er hob die Hand zu einem flüchtigen Gruß, stieg aus und ging nach hinten zum Anhänger. Dort pfiff er einmal leise durch die Zähne, und – oh Wunder – beide Büffel folgten diesem Pfiff wie zwei treue Farmhunde.

Obwohl sie eigentlich jeden direkten Kontakt mit ihrem Nachbarn hatte vermeiden wollen, zog Ria sich nicht ins Haus zurück, um abzuwarten, bis Landry seine entlaufenen Viecher eingesammelt und sich wieder vom Acker gemacht hatte. Auch wenn das vermutlich besser gewesen wäre, blieb sie, wo sie war, dickköpfig, aufgebracht und ganz gegen ihre Natur auf einen Streit aus.

Während das Blut in ihren Ohren rauschte, hörte sie, wie Landry die hintere Klappe des Anhängers öffnete und eine Metallrampe über die Kante der Ladefläche zog, deren unteres Ende mit dumpfem Aufprall auf dem Boden landete.

Landry murmelte einen Befehl, und die Hufe der schweren Tiere dröhnten über die Rampe in den Anhänger, der viel zu klein und zerbrechlich für sie wirkte.

Sekunden später schlug er die Klappe zu und verriegelte sie.

Geh rein, forderte Ria sich selbst auf. Lass Landry Sutton mit seinen dummen Bisons verschwinden.

Eine kluge Aufforderung, denn eine Auseinandersetzung brachte sicher nichts Gutes, aber Ria konnte sich einfach nicht dazu durchringen, sich zurückzuziehen. Außerdem war es längst zu spät, so zu tun, als wäre sie nicht zu Hause. Landry hatte sie bemerkt.

Endlich kam er um Anhänger und Wagen herum, klopfte sich den Staub von den Händen und gratulierte sich wahrscheinlich dazu, ein Problem behoben zu haben. Im Licht der schwachen Verandabeleuchtung und der Scheinwerfer konnte Ria seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber das war auch nicht nötig. Sie wusste auch so, dass er grinste.

Arroganter Mistkerl.

„Sie haben lange gebraucht, um zu kommen“, stieß sie hervor und verschränkte die Arme fest vor der Brust, als wäre ihr kalt. Sie war immer noch wütend. Trotzdem bereute sie ihre Worte sofort, denn statt wieder in den Wagen zu steigen, zu wenden und abzufahren, kam Landry näher.

Er bewegte sich langsam mit einem lässigen, aufreizenden und verteufelt sexy Gang.

Vor der Verandatreppe blieb er stehen. Das Licht der Lampe neben der Vordertür erhellte seine Züge und zeigte ein freundliches, tolerantes und amüsiertes Grinsen.

„Wenn sie irgendwelchen Schaden angerichtet haben, schicken Sie mir einfach eine Rechnung.“

Kein bisschen Bedauern. Offenbar fand er das Ganze auch noch komisch.

Leute wie Landry – reiche Leute – schienen zu glauben, Geld könne jedes Problem lösen. Ria funkelte Sutton wütend an – zum Glück waren sie fast auf Augenhöhe, weil er auf dem Boden und sie auf der Veranda stand – und drückte die verschränkten Arme noch fester an die Brust. „Vielleicht kennen Sie das alte Sprichwort“, stieß sie gepresst hervor, „dass gute Zäune Garanten für eine gute Nachbarschaft sind?“

Landry wirkte ein wenig ernüchtert, aber in seinen Augen funkelte immer noch der Schalk. „Ist das so?“, fragte er liebenswürdig zurück.

Herablassender Mistkerl. Er ärgerte sie absichtlich – und genoss es.

Rias Miene verfinsterte sich. Sie war ein vernünftiger Mensch. Was hielt sie also davon ab, sich einfach wortlos umzudrehen, ins Haus zu gehen und ihm die Tür vor der hübschen Nase zuzuschlagen?

Sie wusste es nicht.

Auf einmal seufzte Landry tief, als hätte er ein schweres Los zu tragen. Seine breiten Schultern hoben und senkten sich leicht, als er einatmete und den Atem heftig wieder ausstieß. „Schauen Sie“, sagte er schließlich. „Es tut mir leid, was passiert ist, aber ich kann mich nur entschuldigen und Schadenersatz anbieten …“

„Sie könnten auch Ihre Zäune ausbessern“, gab Ria knapp zurück. Wer ist bloß diese schnippische Frau in meinem Körper? Normalerweise war sie nett und freundlich, meistens jedenfalls, aber Landry Sutton hatte etwas an sich – etwas, was sie nicht in Worte fassen konnte –, das ihr einfach tierisch auf die Nerven ging.

Jetzt verschränkte er die Arme vor der Brust. Versuchte er etwa, sie mit seiner Körpersprache zu gewinnen?

Viel Erfolg.

„Meine Zäune“, erwiderte er schroff, „sind in Ordnung. Wahrscheinlich hat einfach jemand irgendwo ein Tor offen gelassen. Das ist alles.“

„Das ist alles?“, giftete Ria zurück. Insgeheim fragte sie sich immer noch, warum sie diese Unterhaltung in die Länge zog, obwohl sie doch einfach nur wieder ins Haus gehen, ein heißes Bad nehmen, noch eine Stunde lesen und dann ins selige Vergessen eines erholsamen Schlafs fallen wollte. Wenn sie erst einmal schlief, musste sie nicht mehr nachdenken: über ihren viel zu attraktiven Nachbarn, ihre fordernde Halbschwester oder die Tatsache, dass sie mitten im Nirgendwo in Montana eine Blumenfarm gekauft hatte, mit der sie sich kaum über Wasser halten konnte, auch ohne dass ihr streunende Büffel in die Quere kamen. „Diese Blumen dienen nicht nur der Zierde für meinen Hof, Mr Sutton. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf. Wie groß der Schaden ist, kann ich erst morgen früh sagen, wenn es hell genug ist, um das Ausmaß der Verwüstung zu überblicken. Aber die Aussichten stehen gut, dass ein Großteil oder schlimmstenfalls meine ganze Ernte vernichtet worden ist.“ Sie holte tief Luft und stieß sie dann heftig aus. „Sie können doch sicher verstehen, dass mir das Sorge macht?“

Ihr Tonfall verriet, dass sie das nicht glaubte, so blind, wie dieser Mann für die Sorgen anderer war.

Er seufzte noch einmal und strich sich mit der Hand durchs Haar. „Ja“, gab er betont ruhig zurück. „Es tut mir leid.“

Ihre nächsten Worte hätte Ria gern ungeschehen gemacht, aber einmal über die Lippen gebracht, ließen sie sich leider nicht zurücknehmen. „Warum können Sie nicht einfach Rinder, Hühner, Schweine oder Schafe halten wie jeder andere hier in der Gegend? Warum müssen es ausgerechnet Büffel sein?“

Ein Muskel verkrampfte sich in seinem Kiefer. „Zum einen, weil ich nun mal nicht ‚jeder andere hier in der Gegend‘ bin“, erwiderte er, kniff die Augen zusammen und musterte sie einen langen, peinlichen Moment. „Und wenn ich mich nicht irre, Mrs Manning, sind Sie es auch nicht“, fügte er dann hinzu.

Eine Hitzewelle schoss durch Rias Körper. Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch. Ihre Brustwarzen richteten sich auf, und ihr Herz begann wild zu pochen. Ihr ganzes Leben hatte sie sich anpassen und dazugehören wollen, aber etwas in ihrem Inneren hatte sich immer dagegen aufgelehnt und am Ende dafür gesorgt, dass sie ihre eigenen Wege ging, statt der Hammelherde zu folgen.

Bis zu diesem Augenblick hatte sie geglaubt, dass niemand ihr Geheimnis kannte. Dass niemand wusste, dass sie anders war. Nicht einmal ihr verstorbener Mann Frank hatte ihre Fassade durchschaut, obwohl sie einander sehr nah gewesen waren. Und nun stand ausgerechnet Landry Sutton vor ihr, forderte sie heraus und stellte subtil die Fassade infrage, die sie so angestrengt zu wahren versuchte.

Verdammter Mistkerl.

„Da dieses Gespräch zu nichts führt“, erklärte sie ruhig und betont vernünftig, „wird es wohl das Beste sein, gute Nacht zu sagen.“

Die bis vor Kurzem noch milde Abendluft war kühl geworden, und Ria hatte eine Gänsehaut. Im Gegensatz dazu glühte sie innerlich wie ein Vulkan, der kurz vor einem Ausbruch stand.

Landry lachte in sich hinein, aber es klang ein wenig rau und verletzt. Er wandte den Blick ab, sah sie dann aber wieder an. Im Hänger wurden Bessie und ihr Kalb allmählich ungeduldig. Ria hatte den Eindruck, die nervösen Tiere könnten den Hänger jeden Moment umwerfen, mitten auf ihrer Einfahrt.

„Vermutlich haben Sie recht“, gab er zu. „Ich komme morgen früh noch mal vorbei. Dann schauen wir uns gemeinsam Ihre – Ernte – an und treffen eine Übereinkunft.“ Er schwieg einen Moment. „Obwohl ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass Sie jemals über irgendetwas mit mir übereinkommen.“

Inzwischen war Rias Wut weitestgehend verflogen, und ihr fiel keine passende Entgegnung ein. Also ignorierte sie den Seitenhieb, nickte steif und ging endlich ins Haus zurück, ließ die Tür ins Schloss fallen und den Riegel zuschnappen.

Draußen hörte sie Landry Sutton lachen.

„Was für eine dickköpfige Frau“, sagte Landry zu sich selbst, als er hinter dem Steuer seines Wagens saß, ihn vorsichtig wendete und langsam der Einfahrt zur Straße folgte.

Zu Hause angekommen, rangierte er den Hänger, den er sich von Zane ausgeliehen hatte, rücklings vor ein Pferchtor, stieg aus dem Wagen und ließ Bessie und ihr Kalb wieder auf die Weide.

Nachdem er das erledigt hatte, stellte er Truck und Hänger neben dem Haus ab.

Dank Highbridge waren die Küchenfenster erleuchtet, und Landry fühlte sich ein bisschen weniger einsam – und trostlos –, denn wenigstens für eine kleine Weile würde er nicht allein sein.

Er erledigte ein paar Arbeiten im Stall, sah nach den Pferden und vergewisserte sich, dass in jeder Futterkrippe Heu und in den Tränken sauberes Wasser war. Erst dann ging er zu seinem halb fertigen Haus.

Seine Muskeln schmerzten, eine Erinnerung an den Broncoritt am Morgen, und sein Stolz war auch nicht gerade in bester Verfassung. Schlimm genug, dass halb Parable County mit angesehen hatte, wie er dreimal nacheinander abgeworfen worden war; die Auseinandersetzung mit Ria Manning hatte diesem Tag die Krone aufgesetzt.

Natürlich hatte die Lady allen Grund, sich über den Schaden aufzuregen, den Bessie und ihr kräftiges Kalb angerichtet hatten, aber verdammt noch mal, er hatte ihr doch eine Entschädigung dafür angeboten. Was sonst hätte er tun sollen?

Er hatte nicht die leiseste Ahnung.

Eins allerdings war mehr als klar: Nichts, was er sagte oder tat, konnte Ria ihm gegenüber milder stimmen. Sie mochte ihn einfach nicht, und das hatte nichts mit streunenden Büffeln zu tun. Normalerweise gab Landry nichts auf die Meinung anderer Leute, aber in diesem Fall war es anders. Die Meinung dieser speziellen Frau bedeutete ihm etwas.

Und das war durchaus der beunruhigendste Punkt an der ganzen Sache.

Am Haus ging Landry über die gepflasterte Veranda in die geräumige und ultramoderne Küche. Sie war mit Travertinplatten ausgelegt, hatte Granitarbeitsplatten und war mit den neuesten technischen Geräten ausgestattet. Er nickte seinem Butler zum Gruß zu, bevor er sich in einer der Edelstahlspülen die Hände wusch.

Highbridge, groß, dürr und der Inbegriff englischer Würde, stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen stocksteif da. Mit anderen Worten: Er war entspannt.

„Ich gehe davon aus, dass der neueste – Büffelzwischenfall – überstanden ist?“, murmelte er und unterdrückte dabei offensichtlich ein Lächeln.

Landry trocknete sich die Hände ab. „Vorerst“, gab er ein wenig brummig zurück.

Highbridge warf einen Blick auf seine geerbte Taschenuhr, die er aus einer speziellen Tasche seines Butlerrocks zog, und räusperte sich. „Haben Sie noch einen Wunsch, Sir?“

Landry ging zum Backofen – genauer gesagt zu einem der Backöfen –, in dem sein Abendessen wartete, sorgfältig abgedeckt und noch warm. „Nein, du kannst diesen affigen Anzug ausziehen und tun, was immer du tust, wenn dein Arbeitstag beendet ist.“

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