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Ewige Liebe, Treue, Ehepflichten … damit hat Travis Wilde nichts im Sinn. Er würde jedoch keiner schönen Frau verwehren, in sein King-Size-Bett zu schlüpfen. Besonders fasziniert ihn die schüchterne Jennie, die genau weiß, was sie will: Ihn. Der Millionär ahnt nicht, dass das Leben der Blondine am seidenen Faden hängt und sie ihn für die Erfüllung ihres letzten Wunschs braucht: Eine Nacht voller Zärtlichkeit! Travis schenkt ihr das ersehnte Glück … Nacht für Nacht für Nacht. Doch wie viel Jennie ihm wirklich bedeutet, begreift er erst spät. Zu spät?


  • Erscheinungstag 28.07.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783745753196
  • Seitenanzahl 127
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Solange Travis Wilde denken konnte, gehörte der Freitagabend ihm und seinen Brüdern.

Schon seit der Highschool hatten sie diesen Termin für sich reserviert. Nicht, dass sie es abgesprochen hätten. Es hatte sich einfach so ergeben, eine stillschweigende Übereinkunft, die mit den Jahren zur Tradition geworden war.

Die Wilde-Brüder trafen sich freitags, komme, was da wolle.

Immer.

Na schön, vielleicht nicht immer.

Manchmal war einer von ihnen geschäftlich unterwegs. Caleb an der Ost- oder Westküste, um sich als Fachanwalt für Wirtschaftsrecht um einen komplizierten Fall zu kümmern, Jacob in Südamerika oder Spanien, um Pferde für seine eigene Ranch oder El Sueño , das Familienanwesen, zu kaufen, Travis in irgendeiner internationalen Metropole bei einem Meeting mit Investoren.

Und dann hatte es Zeiten gegeben, wenn einer oder mehrere der Wildes in einem dreckigen Loch festgesessen und zu überleben versucht hatten, weil irgendwo auf der Welt in irgendeinem Krieg einer der besten Hubschrauberpiloten, einer der besten Geheimagenten oder einer der besten Kampfjetflieger der USA gebraucht worden war.

Manchmal verhinderte auch eine Frau die Zusammenkunft.

Travis nahm einen Schluck aus der Bierflasche.

Aber nicht oft.

Frauen waren wunderbare Wesen, aber Brüder … nun, Brüder waren eben Brüder. Die gleiche Familie, die gleichen Erinnerungen. Das war etwas Besonderes.

Langer Rede kurzer Sinn: Selbst wenn das Ende der Welt bevorstand und die Reiter der Apokalypse herandonnerten, sobald die Wildes sich an einem Freitagabend in relativer Nähe zueinander aufhielten, fanden sie eine Bar, in der es kalte Getränke, gutes Essen und einen Musikmix von Willie Nelson bis Bruce Springsteen gab, und gönnten sich ein paar angenehme Stunden.

Das Lokal hier entsprach nicht dieser Beschreibung.

Es war auch nicht der Ort, wo die Wildes sich hatten treffen wollen, aber wie sich gezeigt hatte, war Travis sowieso der Einzige, der aufgetaucht war.

Eigentlich hatten sie sich in einem Lokal in der Nähe seines Büros verabredet, mit ruhigen Nischen, guter Musik, einem Dutzend Biersorten vom Fass und Steaks von der Größe halb Texas’, die auf einem offenen Grill zubereitet wurden.

Der Plan hatte sich zerschlagen, und Travis war zufällig hier gelandet.

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass seine Brüder nicht kommen würden, war er eine Weile herumgefahren und hatte dann bei der erstbesten Kneipe angehalten, um etwas zu trinken und zu essen.

Bei dieser hier.

Keine bequemen Nischen, weder Willie noch Bruce, kein Bier vom Fass und auch kein offener Grill mit brutzelnden Steaks. Dafür ein halbes Dutzend zerschrammter Tische, Musik in einer Lautstärke, bei der einem das Trommelfell platzte, und Hamburger, aus denen das Fett troff, wenn sie aus der Küche im hinteren Teil zu den Gästen getragen wurden.

Das Beste an dieser Kneipe war noch die Theke. Ein langer Zinktresen, der entweder von besseren Tagen zeugte oder das Überbleibsel hochfliegender Träume war, die sich nie verwirklicht hatten.

Schon als Travis auf den Parkplatz fuhr und die zerbeulten Pick-ups und schweren Harleys sah, war ihm klar, was ihn erwarten würde. Genau wie er gewusst hatte, was er hier nicht antreffen würde.

Freundliche und aufgeschlossene Menschen.

Nicht gerade der beste Ort, wenn man allein unterwegs war. Aber ein Mann, der Einsätze in den Krisengebieten dieser Welt überlebt hatte, wusste, wie man sich in so einer Situation verhielt, also konnte er hier wenigstens einen Hamburger essen, bevor er wieder nach Hause fuhr.

Einige starrten Travis an, als er eintrat. Sicher. Ein Fremder in einer Kneipe, in der wahrscheinlich jeder jeden kannte, zumindest vom Sehen. Immerhin passte er vom Äußeren hier rein.

Er war groß, 1 Meter 95 ohne Schuhe, und muskulös – dank jahrelanger Arbeit mit den Pferden auf El Sueño , dem Anwesen mit einer halben Million Morgen Land, zwei Stunden von Dallas entfernt gelegen. Highschool- und College-Football sowie das Training in der Air Force hatte dann ein Übriges getan.

Heute, mit vierunddreißig, absolvierte Travis jeden Morgen ein Fitnessprogramm in seiner Eigentumswohnung in Turtle Creek, und meist ritt er auch noch immer an den Wochenenden, spielte regelmäßig Football mit seinen Brüdern …

Falsch: Früher hatte er regelmäßig Football mit Jacob und Caleb gespielt, jetzt konnten die beiden sich dafür kaum noch freimachen.

Was ja auch der Grund war, weshalb er heute hier in dieser Kneipe stand. Seine Brüder hatten nur noch selten Zeit.

Nein, er bemitleidete sich nicht, sondern trauerte um einen Lebensabschnitt – Junggesellentum. Freiheit. Verantwortung für niemanden, außer sich selbst.

Seine Brüder hatten einen anderen Weg gewählt. Der Himmel war sein Zeuge, er wünschte ihnen nur das Beste, doch er hatte eine ungute Ahnung, wie das alles enden würde.

Liebe war kein sehr beständiges Gefühl, konnte morgen schon verflogen sein. Ein Lippenbekenntnis, mehr nicht. Wieso seine Brüder diese Lektion vergessen hatten, war ihm schleierhaft.

Er hatte sie verinnerlicht. Was ihn wieder auf die Freitagabendroutine mit Steaks und Bier zurückbrachte. Und die eine Bindung, auf die man sich blind verlassen konnte. Die zwischen Brüdern. Man wusste einfach, dass man sich vertrauen konnte.

Darum war es bei den Freitagabenden gegangen: zusammen rumsitzen, ein paar Runden Poker – Travis war unschlagbar beim Pokern –, reden über Gott und die Welt – und natürlich über Frauen.

Nur redeten die Wildes nicht mehr über Frauen, seit Caleb und Jake verheiratet waren.

Travis seufzte still. Es schien undenkbar, doch es stimmte. Seine Brüder waren verheiratet.

Noch gestern hatte er sie daran erinnert, dass der Freitag vor der Tür stand, und … ob sie sich in der Bar bei seinem Büro treffen würden? Früher war das nicht nötig gewesen.

„Klar“, hatte Jake gesagt.

„Wir sehen uns dann dort“, hatte Calebs Antwort gelautet.

Und jetzt stand er hier. Der einsame Held. Am schlimmsten war, dass es ihn nicht einmal überraschte. Er nahm es seinen Schwägerinnen auch nicht übel. Nein, er liebte Addison und Sage wie seine eigenen drei Schwestern. Trotzdem …

Die Ehe veränderte alles.

„Ich schaff’s heute nicht“, hatte Caleb gesagt, der ihn am Nachmittag angerufen hatte. „Wir haben Lamaze.“

„Wen?“

„Nicht wen, sondern was. Lamaze. Du weißt schon. Geburtsvorbereitung. Normalerweise ist es immer donnerstags, aber der Kurs wurde verlegt.“

Geburtsvorbereitung? Sein Bruder, der knallharte Rechtsanwalt? Der Exagent?

„Travis? Bist du noch dran?“

„Ja, sicher. Lamaze also. Nun, dann viel Spaß.“

„Bei Lamaze geht es nicht um Spaß.“

„Kann ich mir denken.“

„Du wirst es auch eines Tages herausfinden.“

„Wohl kaum.“

Caleb hatte nur gelacht. „Weißt du noch, was unsere Haushälterin zu Hause immer gesagt hat? Verliebt, verlobt, verheiratet …“

Wenn Travis jetzt an diese Unterhaltung zurückdachte, graute ihm. Selbst wenn eine Ehe funktionierte … sie veränderte den Mann. Und „Liebe“ war im Grunde nur ein netteres Wort für „Sex“. Von Sex hatte er mehr als genug, auch ohne die ganzen Komplikationen.

Jakes Anruf war gleich nach Calebs gekommen.

„Hey“, hatte Jake gegrüßt.

„Hey“, hatte Travis geantwortet – nicht, um sich als Meister brillanter Konversation zu beweisen, sondern weil er sich denken konnte, was folgen würde.

Jake räusperte sich. „Das mit heute Abend …“

„Du kannst nicht.“

„Ja. Ich meine, nein. Es klappt nicht.“

„Weil?“

„Nun, Addison hat einen Termin für uns ausgemacht. Wir treffen uns mit diesem Typen.“

„Welchem Typen?“

„Nun, einem Typen wegen der Renovierungen, du weißt schon.“

„Ich dachte, das sei dein Ressort. Der Anbau, das zusätzliche Badezimmer, die neue Küche …“

„Ist es auch. Dieser Typ macht … andere Sachen.“

„Und was?“

„Herrgott, gibst du nie Ruhe? Er kennt sich gut aus.“

„Womit?“

„Mit Tapeten“, knurrte Jake genervt. „Der Typ kommt mit Millionen von Mustern. Hatte Adoré mir schon vor Tagen gesagt, aber ich hab’s vergessen, okay? Jetzt ist es zu spät, um noch …“

„Hey, ist in Ordnung, kein Problem“, sagte Travis, denn warum sollte er die Situation für seinen Bruder, den Kriegshelden, noch peinlicher machen, als sie schon war? Als Beweis brauchte man nur zu hören, wie Jake den richtigen Namen seiner Frau benutzte, von dem der Rest der Welt nichts wissen sollte.

„Aber nächste Woche, einverstanden?“

„Ja, sicher“, sagte Travis und dachte insgeheim ironisch: na klar, bestimmt.

Nächste Woche saß Caleb wahrscheinlich im Windelwechsel-Kurs, und Jake würde sich Tausende von Stoffmustern ansehen müssen.

Häuslichkeit und Lamaze standen sich in nichts nach.

Travis wollte weder das eine noch das andere ausprobieren.

Nie.

Ihm gefiel sein Leben so, wie es war. Da draußen lockte eine große aufregende Welt. Das meiste davon hatte er schon gesehen, aber eben noch nicht alles. Da gab es noch immer Orte, die er besuchen wollte, Dinge, die er tun wollte …

Dinge, die all die schrecklichen Bilder von Krieg und Tod aus seinem Kopf verbannen könnten.

Die Leute hatten für fast alles immer gute Ratschläge, aber niemand erwähnte auch nur mit einem Wort, dass ein Soldat nach Kampfeinsätzen seine Seele reinigen musste …

Was machte er überhaupt hier?

Eine heruntergekommene Kneipe am falschen Ende der Stadt war sicher nicht der geeignete Ort, um philosophisch zu werden.

Travis trank sein Bier aus. Ohne darum gebeten worden zu sein, stellte der Barmann ihm eine volle Flasche hin.

„Danke.“

„Neu hier in der Gegend?“

Travis zuckte mit den Schultern. „Einmal ist immer das erste Mal.“

„Wollen Sie etwas essen? Ich frage nur, bevor die Küche schließt.“

„Ja. Ein Steak, medium.“

„Ich meine, es ist Ihr Geld, aber … die Hamburger sind besser.“

„Fein, dann also einen Hamburger.“

„Mit Pommes?“

„Pommes sind okay, ja.“

„Kommt sofort.“

Travis setzte die neue Flasche an die Lippen. Vor ein paar Wochen hatten seine Brüder ihn gefragt, was mit ihm los sei. Ob etwas mit ihm nicht stimme.

„Ihr seid diejenigen, bei denen etwas nicht stimmt“, hatte er gesagt und kurz gegrinst. „Verheiratet, lasst euch Regeln vorschreiben …“

„Manchmal sind Regeln eben das, was ein Mann braucht“, hatte Jake gesagt.

„Genau“, hatte Caleb in die gleiche Kerbe geschlagen und noch einen draufgesetzt. „Weißt du, vielleicht ist es an der Zeit, dein Leben zu überdenken.“

Sein Leben überdenken? Er mochte sein Leben. Ein Leben auf der Überholspur. Er hatte alles, was er brauchte, arbeitete hart, feierte ausgelassen. Daran war nichts auszusetzen. So hatte er es immer gehalten.

Seine Brüder auch. Obwohl der Krieg sie verändert hatte. Jake hatte manchmal noch immer mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zu kämpfen, und Caleb trug ein Misstrauen in sich, das wohl nie nachlassen würde.

Bei ihm war das nicht so. Sicher, es gab Nächte, da fuhr er schweißgebadet und mit rasendem Puls aus dem Schlaf auf, weil er von Dingen geträumt hatte, an die ein Mann sich nicht erinnern wollte. Doch ein Tag in seinem Büro mit einem Aktiendeal, der ihm Millionen einbrachte, eine Nacht im Bett mit einer fantastischen Frau, die wie er kein Interesse an einer festen Bindung hatte, und es ging ihm wieder prächtig.

Vielleicht war das ja das Problem. Er hatte sich schon länger nicht mehr mit einer Frau verabredet.

Und wie kam das überhaupt? Er hielt genauso viel von Enthaltsamkeit wie von Häuslichkeit, und trotzdem war es Tage, nein Wochen her, seit er mit einer Frau zusammen gewesen war.

„Ein Hamburger, medium gebraten, mit Pommes.“ Der Barmann schob ihm einen Teller hin, auf dem ein Hamburger von der Größe eines Frisbees lag. Kohlschwarz verbrannt.

Travis nahm ein Kartoffelstäbchen und biss hinein. Nur gut, dass er keinen allzu großen Hunger hatte.

Die Bar füllte sich langsam, fast alle Barhocker waren besetzt, genau wie die Stühle an den Tischen. Hauptsächlich männliche Klientel, groß, bullig gebaut, viele trugen Bärte und noch mehr Tattoos. Manch einer davon musterte ihn genau.

Travis hielt den Blicken stand.

Er kannte genügend ähnliche Bars wie diese, nicht nur in Texas, sondern auch in wirklich gefährlichen Ecken Osteuropas und Asiens. Eine Regel galt überall: niemals als Erster wegsehen.

Es funktionierte, vor allem, weil er nicht wie ein Möchtegerncowboy aussah, der sich unter die Eingeborenen gemischt hatte. Nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch, da er statt eines maßgeschneiderten Brioni-Anzugs – seine übliche Bürokluft – ein altes T-Shirt, eine noch ältere Jeans und Stiefel, in denen er schon seit Jahren herumlief, trug. Warum sollte ein Mann einen Anzug tragen, wenn Jeans und Stiefel doch so viel bequemer waren?

Sein Aufzug, seine Statur, die pechschwarzen Haare, die er seinen indianischen Ahnen zu verdanken hatte, kombiniert mit einem olivfarbenen Teint und dunkelblauen Augen – Erbe römischer und nordischer Vorfahren –, ließen ihn wie einen Typen wirken, der zwar nicht nach Ärger suchte, ihm aber auch nicht aus dem Weg ging, sollte er provoziert werden.

„Ein sündhaft sexy böser Junge“, hatte eine seiner Gespielinnen ihn einmal genannt. Es war ihm extrem peinlich gewesen – zumindest hatte er das behauptet –, aber schließlich war er nicht für seine Gene verantwortlich, nicht wahr?

Das Blut von Generationen von Kriegern floss durch seine Adern, wie natürlich auch durch die seiner Brüder. Ihr Vater, der General, hatte sie mit Geschichten von Mut und Tapferkeit erzogen und ihnen beigebracht, dass es in gewissen Situationen gut war, wenn man eine „Leg dich besser nicht mit mir an“-Haltung einnahm. Eine Botschaft, die Männer verstanden und meist auch akzeptierten, obwohl es immer wieder den einen oder anderen Trottel gab, der meinte, das gelte nicht für ihn.

Eine Botschaft, die auch Frauen zu deuten wussten, denn sie reagierten so darauf, dass er selten eine Nacht allein verbringen musste, es sei denn, er wollte es …

„Hallo, Hübscher.“

Der Barhocker zu seiner Linken, vorhin noch unbesetzt, war jetzt nicht mehr frei. Eine Blondine saß neben ihm und strahlte Travis an, als hätte sie soeben ein riesiges Geschenk unter dem Weihnachtsbaum gefunden.

Na großartig.

Sie war sicher auch ein Geschenk – für jemand anderen. Um es nett auszudrücken – sie war nicht sein Typ.

Toupierte Haare wie ein Helm, Make-up, das sie abends wahrscheinlich abspachteln musste. Enges T-Shirt, aus dem die beeindruckende Oberweite fast herausfiel, viel zu enge Jeans, über deren Bund eine enorme Speckrolle quoll. Das alles war schon schlimm genug. Schlimmer jedoch war, dass Travis die Regeln kannte, die in einem Laden wie diesem hier galten.

Wenn eine Lady die Initiative ergriff, hatte man sich gefälligst geschmeichelt zu fühlen, ansonsten beleidigte man sie.

Prompt schauten auch schon einige Neugierige interessiert zu ihnen herüber.

„Hallo“, grüßte er gezwungen höflich, biss in den Hamburger und kaute, als hinge sein Leben davon ab.

„Du bist neu hier, nicht wahr?“

Er kaute noch immer, nickte dabei.

„Ich heiße Bev.“ Sie lehnte sich näher zu ihm, bis ihre Brust seinen Arm berührte. „Hast du auch einen Namen, Cowboy?“

Und jetzt? Was immer er jetzt tat, außer natürlich, er nahm Bevs Einladung an, würde unweigerlich zu Ärger führen.

Sie würde beleidigt sein, und dann kämen ihr ihre Barfreunde zu Hilfe, um Bevs Ehre zu retten … Vielleicht war Ehrlichkeit die beste Taktik.

Er nahm eine Serviette aus dem Spender und wischte sich den Mund ab. „Hör zu, Bev, ich bin nicht interessiert, okay?“ Er sah, wie sie rot anlief. Verdammt, er handhabte das wohl nicht besonders gut. „Ich meine, du bist wirklich eine tolle Frau, aber ich … ich warte hier auf jemanden.“

„So?“ Ihre Stimme wurde schlagartig kalt. „Du wartest hier auf deine Verabredung, und dann isst du ohne sie?“

Der Typ auf Bevs anderer Seite lehnte sich vor. Ein Schrank von einem Kerl, und dem Ausdruck in den kleinen Augen nach zu schließen, freute er sich schon auf eine anständige Prügelei.

Sehr langsam, sehr bedacht, legte Travis den Hamburger wieder auf den Teller zurück. Der Kerl war mindestens zwanzig Kilo schwerer als er, hatte Hände wie Schaufeln, aber das sollte kein Problem sein. Travis hatte es mit noch weit Stärkeren aufgenommen und sich gut gehalten. Falls überhaupt notwendig, war das ein zusätzlicher Ansporn.

Nur … der Schrank hatte Freunde hier, und Travis … er war allein.

Die Stimme der Vernunft. Auch wenn seine Brüder etwas anderes behaupteten … er hörte die Stimme nicht nur, er hörte auch auf sie.

Allerdings schimpfte Bev jetzt lautstark auf miese, charakterlose Lügner, und ihrer Tirade galt die Aufmerksamkeit der gesamten Kneipe.

Nicht gut, warnte die Stimme der Vernunft.

Gegen eine Schlägerei hätte Travis vielleicht gar nichts einzuwenden gehabt, aber am Montag hatte er ein Meeting mit Investoren in Frankfurt, und es würde bestimmt keinen guten Eindruck machen, wenn er in der erzkonservativen Firma mit einem Veilchen und Schrammen im Gesicht auftauchte.

Verdammt, wo waren seine Brüder, wenn man sie brauchte?!

„Die Lady redet mit dir.“ Der Schrank beugte sich vor. „Was ist, bist du taub, Schönling?“

Alle Gespräche verstummten. Travis spürte, wie sein Adrenalinpegel in die Höhe schoss.

„Mein Name ist nicht Schönling“, sagte er sehr ruhig.

„Hört euch das an.“ Der Schrank drehte sich in den Raum. „Er heißt gar nicht Schönling.“

Bev, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, rutschte vom Barhocker und zog sich zurück. Vielleicht hatte Travis ihre Absichten ja falsch verstanden. Vielleicht hatte sie nur den Anlass zu einem Streit liefern sollen. Wie auch immer, Travis’ Optionen schwanden rapide.

Bevs ritterlicher Beschützer stand auf.

„Sie machen einen Fehler“, sagte Travis leise.

Der Kerl schnaubte nur grinsend.

Travis nickte knapp, nahm einen letzten Schluck von seinem Bier und strich in Gedanken das Meeting in Frankfurt. „Draußen oder hier?“

„Hier.“

Drei Männer waren hinter dem Schrank aufgetaucht. Travis lächelte. Möglich, dass er die nächsten fünf Minuten nicht überlebte. „Soll mir recht sein.“

Das war das Zeichen, es gab kein Zurück mehr. Das Adrenalin rauschte jetzt regelrecht durch seine Adern. Er war schon ewig nicht mehr in eine Kneipenschlägerei verwickelt worden, nicht mehr seit Manila. Oder war es Kandahar gewesen?

Ja, Kandahar, während seiner letzten Mission. Überall Tote um ihn herum … Plötzlich besaß die Vorstellung, den Schrank zusammenzuschlagen, maßlosen Reiz. Dann flog er Montag eben tatsächlich nicht nach Frankfurt.

Es würde sowieso ein Wunder nötig sein, um ihn jetzt noch zu retten …

Die Tür ging auf. Später würde Travis es nicht erklären können, aber alle Köpfe drehten sich in Richtung Eingang.

Eine große, blonde, sexy Schönheit trat ein, wie frisch der Coverseite eines Hochglanzmodemagazins entstiegen.

Absolute Stille.

Das Model starrte die Kerle an, die Kerle starrten zurück.

„Wen haben wir denn da?“, fragte irgendjemand.

Die Vernunft setzte wieder ein.

Meine Rettung, dachte Travis. Das benötigte Wunder.

„Endlich!“ Er grinste in die Runde. „Meine Verabredung.“

Und dann schlenderte er auf die Frau zu, mit der zufriedenen Selbstsicherheit eines Pokerspielers, der vier Asse auf der Hand hielt.

Sie war groß, vor allem mit den sündhaft erotischen Stilettos, trotzdem musste sie den Kopf ein wenig in den Nacken legen, um in Travis’ Gesicht sehen zu können.

Es gefiel ihm. Das hatte einen netten Touch. „Baby, wo warst du nur so lange?“

Ihr blieb gerade noch Zeit, entsetzt die Augen aufzureißen und „Wie bitte?“ zu stammeln, bevor Travis sie an sich zog und seinen Mund auf ihre Lippen presste.

2. KAPITEL

Eine Stunde, bevor sie auf Travis Wilde gestoßen war, hatte Jennie Cooper in ihrem uralten Honda Civic gesessen und war streng mit sich ins Gericht gegangen.

Inzwischen war es neun Uhr, und der Abend wurde schließlich auch nicht jünger. Und noch immer hatte sie ihren Plan nicht ausgeführt.

Sie war eine Frau mit einer Mission und suchte nach einer Bar.

Lächerlich. Das konnte doch nicht so schwer sein in einer Stadt wie Dallas?!

Sehr schwer sogar. Zumindest, wenn man nach der „richtigen“ Bar suchte. Dallas war sehr großflächig, und inzwischen konnte Jennie gar nicht mehr zählen, durch wie viele Stadtteile sie bereits gefahren war.

Das Universitätsviertel, das Künstlerviertel … aber das war nicht wirklich das Passende für ihre Mission, da lief sie vielleicht Bekannten über den Weg. Sie wohnte erst acht Monate in Dallas und musste überlegen, welche anderen Möglichkeiten es gab. Und sie musste sich beeilen, bevor sie doch einen Rückzieher machte.

Turtle Creek. Sie hatte nur davon gehört. Dort sollten sich angeblich die ganzen wohlhabenden und erfolgreichen jungen Leute angesiedelt haben …

Fast hätte sie aufgelacht. Nun, jung war sie. Reich? Ganz bestimmt nicht – mit dem Gehalt einer Lehrbeauftragten. Erfolgreich? Nicht nach Turtle-Creek-Maßstäben. Hier lebten nur Ärzte, Anwälte und Finanzgurus. Was sollte sie mit so jemandem reden, immer davon ausgehend, dass ein solcher Mann ihr überhaupt einen zweiten Blick gönnen würde?

Und am heutigen Abend ging es ja auch nicht ums Reden.

Bei dem Gedanken stieg Panik in ihr auf.

Panik, die Jennie entschieden niederkämpfte. Nein, sie hatte keine Angst. Ganz sicher nicht. Vielleicht war sie … nun, sie war ein wenig nervös. Und wer wäre das nicht an ihrer Stelle?

Aber sie hatte Wochen an diesem … diesem Plan gefeilt, sie würde sich jetzt nicht alles durch ihre Nervosität verderben lassen. Noch würde sie an einem Freitagabend in eine Bar in Turtle Creek gehen, wo sich die Singles trafen.

Wo die Singles sich gegenseitig abschleppen, Geneviève Baby , flüsterte ihr immer so verdammt logisches Alter Ego ihr zu.

„Sie treffen sich“, murmelte sie vor sich hin. „Und ich heiße nicht …“

Doch, heute Abend hieß sie so. Das hatte sie beschlossen, als sie ihren Plan entwickelt hatte.

Schön, dass du dich erinnerst. Du bist Geneviève. Und heute Abend geht es nicht um ein „Treffen“, sondern um …

Jennie ignorierte die Stimme. Trotzdem stand ihr der Plan klar vor Augen: eine Bar finden. Hineingehen. Einen sympathischen Mann suchen. Mit ihm flirten …

Vergiss die Metaphern.

Richtig. Sie suchte einen Mann, den sie genug mochte, um ihn mit nach Hause zu nehmen und mit ihm zu schlafen.

Vor Anspannung fing sie an zu zittern. „Hör auf damit“, ermahnte sie sich.

Sie war eine erwachsene Frau. Letzten Sonntag war sie vierundzwanzig geworden. Dass sie noch nie mit einem Mann geschlafen hatte, war nicht nur peinlich, es war geradezu unfassbar.

Der alte Stones-Song traf nicht zu. Die Zeit war nicht auf ihrer Seite. Deshalb hatte sie ja Gegenmaßnahmen ergriffen.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, sagte sie zu sich selbst, und ein lächerliches Beben ging durch ihren Körper.

Sie hatte lange überlegt und alles gründlich von jedem Blickwinkel aus betrachtet. Es war richtig, es war logisch, es war nötig. So würde es ablaufen müssen.

Keine Romantik. Hier ging es schließlich nicht um die große Liebe.

Keine Versprechen. Darüber lohnte sich das Nachdenken nicht einmal.

Keine Bindung. Dafür hatte Jennie keine Zeit.

Es ging nicht um Gefühle, sondern allein um die Erfahrung. Ein Selbstversuch. Etwas in der Praxis lernen, über das man bisher nur gelesen hatte. Es war nicht anders als damals, als sie von New Hampshire nach New York gefahren war, um sich die Immigrantenviertel anzusehen, bevor sie ihre Abschlussarbeit geschrieben hatte. Oder die Reise, um das Jane Addams Hull-House Museum in Chicago zu besuchen …

Jennies Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, sie sollte die Vergangenheit besser vergessen. Ihre wissenschaftlichen Forschungen spielten bald keine Rolle mehr. Was sie jetzt brauchte, war reales Praxiswissen. Eigentlich sollte das grundsätzlich als Studienfach eingeführt werden, denn …

Sie verplemperte hier nur kostbare Zeit.

Jennie sah in den Rückspiegel, setzte den Blinker und reihte sich wieder in den Verkehr ein. Sie würde nach Süden fahren.

Nach einer Weile veränderte sich das Stadtbild. Die Straßen wurden enger und düsterer, die Häuser kleiner und trostloser unter dem sternenübersäten Himmel von Texas. Ein Gutes hatte die Gegend auf jeden Fall – unzählige Bars und Kneipen.

Jennie fuhr an allen vorbei.

Natürlich fuhr sie an allen vorbei. Keine davon eignete sich für ihre Mission.

Vor der einen standen nicht genug Autos, vor der anderen zu viele, vor der nächsten die falschen.

Sie hörte ihr Alter Ego abfällig schnauben. Das ergibt jetzt eine ziemlich schlechte Bilanz, oder?

Also gut, die nächste. Auf jeden Fall. Definitiv. Kein Herumdrücken mehr.

BAR.

Jennies Herz setzte aus. Das Schild leuchtete direkt vor ihr. Eine Kneipe, die – wie überaus passend – BAR hieß. Nein, das war kein Name, sondern die Bezeichnung. So wie bei einem Getränkeladen ein Schild mit dem Wort „Getränke“ über dem Geschäft hing. Oder „Motel“ über einem Motel oder …

Herrgott, Geneviève, es ist eine Bar!

Sie bremste den Wagen ab, setzte den Blinker, wartete geduldig, bis ein einzelner Wagen auf der Gegenseite in noch fast einem Kilometer Entfernung an ihr vorbei war, und fuhr auf den Parkplatz.

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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