Bittersüßes Hoffen

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Brian ist kein Kind von Traurigkeit, als Faith sich blutjung in ihn verliebt. Und als er von einer Nacht zur anderen verschwindet, hat sie Grund genug, an seinem Charakter zu zweifeln - so wie später Brian an ihr zweifelt, nachdem er erfährt, dass sie kurz darauf seinen Bruder Ted geheiratet und ein Kind bekommen hat. Bei ihrem Wiedersehen sind neun Jahre Vergangen, aber ihre Gefühle füreinander so explosiv wie nie zuvor. Denn während sie sich doch beide für den vermeintlichen Verrat hassen möchten, spüren sie, dass da immer noch Begehren ist. Begehren, das in Faith beinahe übermächtig wird, wenn sie spürt, wie sehr Brian es erwidert - und das sie beide in eine gefährliche Affäre mit ungewissem Ausgang verstrickt...


  • Erscheinungstag 01.09.2013
  • Bandnummer 1522
  • ISBN / Artikelnummer 9783864947414
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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Prolog

Liberty, Georgia, vor neun Jahren

So lange, wie jedermann zurückdenken konnte, lebten die Camerons schon in Liberty. Erst hatten sie Ackerbau betrieben. Dann hatten sie Rinder gezüchtet. Und als die Grundstückspreise in die Höhe geschnellt waren, hatten sie das Land parzelliert und Häuser gebaut. Die Häuser waren nicht besonders gut, aber groß und teuer. Es war nicht billig, in einer Stadt zu wohnen, die rasch zu einem Vorort von Atlanta wurde.

Jetzt besaßen die Camerons auch die größte Bank und die erfolgreichste Immobilienfirma in Liberty, und jeder Politiker im Staat wusste, wo er für einen gelegentlichen Gefallen einen dicken Scheck bekam. Die Leute redeten respektvoll über Isaiah Cameron und seinen älteren Sohn Ted, jedoch nicht über Brian. Ted sprach liebevoll von seinem kleinen Bruder. Mrs. Sherry, die Direktorin der Highschool, sprach bedauernd von ihm. Sheriff Steele tat es mit Entsetzen.

Isaiah voller Abscheu.

Brian war es gleichgültig. Früher einmal hatte es ihm etwas ausgemacht, aber mit achtzehn hatte er die Hoffnung längst aufgegeben, dass sein Vater ihn jemals so liebevoll ansehen würde, wie er Ted ansah, oder auch nur so herzlich wie seine Hunde. Inzwischen war Brian einen Meter fünfundachtzig groß. Er hatte braunes Haar, grüne Augen und durch die jahrelange Arbeit auf den Baustellen seines Vaters eine muskulöse Figur. Er hatte von Isaiah niemals einen Penny bekommen, für den er nicht gearbeitet hatte.

Isaiah sagte immer, mit dem Jungen habe es vom Tag seiner Geburt an nichts als Ärger gegeben.

Die meisten Frauen in Liberty sprachen nur flüsternd über Brian. Sie träumten von ihm, besonders jetzt, da er fast ein Mann war. Er konnte sich seine Frauen aussuchen, und weil er jung war, flirtete er mit allen und schlief mit den hübschesten. Die Gefühle einer Frau zu verletzen war nicht seine Absicht, aber vielleicht weil sie so verfügbar waren und er niemals lange mit einer zufrieden war, brach er viele Herzen. Und wenn er gelegentlich Ärger bekam, weil er mit seiner gebraucht gekauften Harley zu schnell fuhr, die Schule schwänzte oder ein Bier zu viel trank, machte ihn das nur umso reizvoller.

Ted und Brian waren so verschieden wie Tag und Nacht, und Ted sorgte sich, dass sein Bruder irgendwann ernsthaft in Schwierigkeiten geraten würde. Isaiah sorgte sich nicht. Was ihn anbelangte, war das unvermeidlich. Brian hatte immer den Eindruck, dass sich sein Vater sogar freuen würde, wenn es schließlich dazu kommen würde.

“Du hast am Tag deiner Geburt mein Leben ruiniert”, sagte Isaiah nicht nur einmal zu ihm.

Brian hielt es für die Wahrheit. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben, und er würde den Verlust niemals wiedergutmachen können.

Das Ende kam früher, als irgendjemand erwartet hatte, und ausgelöst wurde es von einer Reihe anscheinend unzusammenhängender Ereignisse.

Sie hieß Faith. Ihr Vater war ein Mann, der nach etwas suchte, was er noch nie gefunden hatte, weder bei einer Frau noch in einer Flasche. Er ließ sich ziellos von einer Stadt zur anderen treiben, nahm jede Arbeit an, die er sich verschaffen konnte, und schleppte Faith und ihre Mutter mit. In diesem Sommer brachte er seine Familie in einem Wohnwagen am Stadtrand von Liberty unter.

An einem Montag, an dem Brian beschlossen hatte, zur Schule zu gehen, anstatt irgendetwas Interessanteres zu unternehmen, kam er zur Mittagszeit in die Cafeteria, beachtete die Cheerleader nicht, die darauf warteten, was er als Nächstes tun würde, sah an den Sportlern vorbei, mit denen er in der Footballmannschaft der Highschool spielte, und konzentrierte sich auf einen Engel mit langem blondem Haar und kornblumenblauen Augen. Er lächelte das Mädchen strahlend an und ließ seinen Charme spielen, der niemals versagte. Nichts passierte. Brian brauchte eine Woche, Faith Davenport dazu zu bringen, sein Lächeln zu erwidern. Eine weitere Woche dauerte es, bis sie mit ihm zusammen zu Mittag essen wollte. Als er endlich mit ihr ausgehen durfte, war er schon in sie verliebt.

Seine Freunde meinten, er habe den Verstand verloren. Faith war hübsch, aber nicht schön. Sie war nicht so flott und spritzig wie andere Mädchen, und sie behandelte Brian nicht wie den guten Fang, der er schließlich war. Ihm war es gleichgültig. Sie hatte etwas Unverdorbenes, Süßes an sich, was er noch nie kennengelernt hatte und ihm zu Herzen ging.

Nach dem zweiten Date wollte er mehr. Nicht Sex. Brian war sicher, dass Faith unschuldig war. Zum ersten Mal war es ihm wichtiger, einfach mit einem Mädchen zusammen zu sein. Man konnte gut mit Faith reden, sie war anständig und sanft und betrachtete ihn nicht als den berühmten bösen Jungen der Stadt. Er war nur Brian Cameron, und sie erkannte Eigenschaften in ihm, von denen er selbst nichts gewusst hatte. Gute Eigenschaften. Das war eine neue Erfahrung. Er lachte, als sie zu ihm sagte, er sei intelligent. Aber er begann zu büffeln, und plötzlich bestand er seine Prüfungen mit Eins. Schule wurde interessant. Er fing an, jeden Tag dort aufzukreuzen. Dann fragte Faith, auf welchem College er studieren wolle, und er blickte sie verständnislos an. Er plante nicht, aufs College zu gehen, doch sie hielt hartnäckig an dem Thema fest, und so führte er schließlich ein Gespräch mit dem Berufsberater. Wie sich herausstellte, könnte er mit seinen verbesserten Zensuren und seinem Talent als Footballspieler vielleicht ein Stipendium bekommen. Das brauchte er, weil sein Vater auf keinen Fall die Rechnung bezahlen würde.

Faith änderte sein Leben, und Brian liebte es. Er liebte sie. Er wollte es ihr sagen und sie bitten, fest mit ihm zu gehen, doch bevor er das tun konnte, hatte er eine unangenehme Pflicht zu erfüllen.

Er hatte eine Beziehung. Nicht zu einem Mädchen, sondern zu einer Frau. Sie war nicht die erste Hausfrau in Liberty, die ihn zu verführen versucht hatte, aber die erste, der es gelungen war. Ihr Name war Jeanine. Sie war die junge, sexy, gelangweilte Ehefrau von Edward Francke, einem Mann mittleren Alters, der die Hälfte der Geschäfte und die meisten Politiker der Stadt besaß.

Sie war Brian aufgefallen. Jedem männlichen Einwohner Libertys über zehn Jahre war sie aufgefallen. Eines Tages hatte seine alte Harley auf der Straße zum Windham Lake aufgegeben. Er zog sein Hemd aus und machte sich an die Arbeit. Jeanine hielt neben ihm am Straßenrand. Brian bemerkte das Auto und die Frau, achtete jedoch nicht groß darauf, weil er unbedingt das Motorrad wieder in Gang bringen wollte.

Jeanine sagte Hallo. Brian sagte Hallo. Nach zwei oder drei Minuten stieg sie aus.

“Kennst du dich gut mit Maschinen aus?”, fragte sie.

Er zuckte die Schultern. “Gut genug, um ein bisschen mit ihnen herumzuspielen.”

Sie lachte. “Wie würde es dir gefallen, mit meiner herumzuspielen?”

Jetzt sah Brian auf und ließ den Blick langsam von ihren langen nackten Beinen bis zu ihrem Gesicht gleiten. Sie hatte sich aufreizend die Lippen befeuchtet, und er hatte gewusst, welche Maschine sie meinte.

Als er Faith kennenlernte, hatte er schon seit zwei Monaten Sex mit Jeanine. Jeden Freitagnachmittag, wenn ihr Mann drüben im nächsten Landkreis Golf spielte, fuhr Brian zum Haus der Franckes am See und schlief mit ihr, bis sie beide erschöpft waren. Es hatte niemals so viel Spaß gemacht, wie er gehofft hatte, und nachdem er Faith getroffen hatte, hörte er einfach auf damit. Er glaubte, Jeanine würde kapieren, dass es aus war.

Er wollte nur noch mit Faith zusammen sein, selbst wenn es bedeutete, auf Sex zu verzichten. Was er tat, weil Faith noch unschuldig war. Die letzten beiden Dates waren allerdings ziemlich leidenschaftlich geworden. Er hatte ihre Brüste berührt, sie hatte gestöhnt und seine Hand zu ihrem Bauch geführt, aber er hatte die süße Einladung nicht angenommen. Faith war nicht so. Mit ihr sollte man nicht gleichgültig schlafen. Er würde warten, bis er mit der Schule fertig war und einen Job hatte … Bis er ihr einen Ring kaufen, niederknien und ihr einen Heiratsantrag machen konnte.

Und dann kam das Wochenende, an dem alles kaputtging. Am Nachmittag vor dem Abschlussball der Highschool rief Jeanine an. Die Haushälterin warf ihm einen seltsamen Blick zu, als sie ihm mitteilte, da sei ein Anruf für ihn. Brian wusste, warum, sobald er diese heisere, erotische Stimme hörte. Sie müsse ihn sehen, sagte Jeanine. Es sei dringend. Sie klang durchgedreht, deshalb stieg er auf die Harley und fuhr zum Haus der Franckes. Wochenlang habe sie ihn nicht gesehen, klagte sie. Wo, zum Teufel, sei er gewesen? So behutsam, wie er konnte, erklärte er ihr, zwischen ihnen sei es aus. Sie nahm es nicht gut auf. Erst schmollte sie, dann tobte sie. Schließlich drohte sie ihm.

“Niemand verlässt mich, Brian Cameron”, schrie sie, als er wegfuhr. “Es ist aus, wenn ich sage, dass es aus ist. Du kannst nicht einfach alles tun, was du willst, und ungestraft davonkommen!”

Sein Vater, seine Lehrer, jeder in Brians Leben hatte das schon zu ihm gesagt. Jeanines Warnung war nur eine mehr, die er ignorierte.

An diesem Abend zog er den geliehenen Smoking an, lieh sich Teds Auto und holte Faith ab. Er wusste, dass ihr der Unterschied zwischen dem großen Haus der Camerons und dem Wohnwagen peinlich war, doch er hatte ihr versichert, es spiele keine Rolle. Sein Vater war anderer Meinung, aber das erzählte ihr Brian nicht. Als Isaiah das Gerücht gehört hatte, sein jüngerer Sohn verabrede sich mit einem Mädchen vom Wohnwagenplatz, hatte er zum ersten Mal nach vielen Wochen wieder mit Brian gesprochen und ihm geraten, sich vorzusehen vor Frauen, die hinter dem Namen Cameron und dem Geld der Familie her waren. Brian fand den Vortrag lachhaft. Schließlich wusste jeder, dass er nur den Namen hatte. Isaiah machte immer wieder klar, dass er einen guten und einen schlechten Sohn hatte und Brian keinen Cent von seinem Geld bekommen würde.

Wie sich herausstellte, hätte er sich die Warnung seines Vaters zu Herzen nehmen sollen.

Faith sah wunderschön aus. Sie trug ein Abendkleid aus weißer Spitze und hellrosa Seide, das sie sich selbst genäht hatte. Brian half ihr in Teds Auto und fuhr los. Auf halbem Weg zur Sporthalle der Highschool legte ihm Faith die Hand auf den Oberschenkel. Es war, als würde seine Haut brennen. Brian hielt den Atem an.

“Ich will nicht auf den Ball”, flüsterte Faith. “Bring mich zum See, zu unserem Platz. Bitte, Brian.”

Er zögerte, obwohl er schon erregt war. Ihr Platz war eine grasbewachsene, versteckt zwischen den Bäumen liegende Stelle am Ufer, wo er Faith’ Brüste berührt und fast die Beherrschung verloren hatte. “Bist du sicher?”, fragte er rau.

Faith antwortete, indem sie ihn küsste.

Er fuhr zum See, nahm eine Wolldecke aus dem Kofferraum, zog Faith und sich aus und fand alles, wovon er immer geträumt hatte, als er das Geschenk annahm, das sie ihm mit ihrer süßen Jungfräulichkeit machte.

“Ich werde dich heiraten”, flüsterte er hinterher, und Faith lächelte, küsste ihn und zog ihn fest an sich.

Um Mitternacht brachte er sie zurück zum Wohnwagenplatz, denn das war ihre Sperrstunde, sogar in dieser besonderen Ballnacht. Brian hatte ihr seine Liebe erklärt, und Faith war für immer die seine geworden. Aufgeregt, zu glücklich, um zu schlafen, fuhr er in die Berge und dachte an Faith und das Leben, das sie miteinander teilen würden.

Die ersten Strahlen der Morgensonne färbten die Berge, als er zu dem großen Haus zurückfuhr, das ihm noch nie wie ein Zuhause vorgekommen war. Er stellte Teds Auto in die Garage, schlüpfte unbemerkt in sein Zimmer und schlief fest, bis Isaiah die Tür aufriss.

“Du nichtswürdiger Idiot”, schrie er und zerrte Brian aus dem Bett. “Warst du betrunken, oder bist du einfach nur dumm?”

Noch halb im Schlaf, blickte Brian seinen Vater verwirrt an. “Was ist los?”

Isaiah ohrfeigte ihn. “Komm mir nicht mit dem Mist, Junge. Du bist in der Nacht ins Haus der Franckes eingebrochen und hast das Wohnzimmer demoliert.”

“Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich bin in der vergangenen Nacht nicht einmal in der Nähe ihres Hauses gewesen.”

“Franckes Frau hat dich gesehen. Sie war im Schulballkomitee und hat dich bei ihrer Rückkehr aus dem Fenster steigen sehen.”

“Mich interessiert nicht, was sie behauptet. Sie kann mich nicht gesehen haben, weil ich nicht dort war.”

“Sie sagt, du seist es gewesen und hättest es getan, weil sie nicht bereit war, dir zu geben, was du wolltest.”

“Die Dame sagt, du hättest um sie herumgeschnüffelt wie ein Hund um einen Knochen”, warf jemand ein.

Brian sah an seinem Vater vorbei. Sheriff Steele stand in der Türöffnung. “Das stimmt auch nicht.”

“Nicht?”

“Nein. Wenn überhaupt, ist es umgekehrt, Sheriff. Sie ist stocksauer, weil ich nicht tun will, was sie verlangt.”

Isaiah hob die Hand, um seinen Sohn wieder zu schlagen.

Brian blickte ihm in die Augen.

Sein Vater wich einen Schritt zurück. “Die Frau behauptet, dich erkannt zu haben, Junge.”

“Sie lügt.” Brian sah den Sheriff an. “Ich war in der Nacht nicht einmal in der Nähe des Hauses.”

“Wo warst du dann?”

Auf dem Ball, hätte Brian fast gesagt, aber er bemerkte den spöttischen Blick des Sheriffs.

“Ganz recht”, sagte er sanft. “Das habe ich schon überprüft. Du warst nicht auf dem Ball. Also? Wo warst du?”

Mit Faith am See, wollte Brian sagen und unterließ es.

Sheriff Steele grinste. “Hat es dir die Sprache verschlagen?”

Brian sah die beiden Männer starr an. Wie konnte er die Wahrheit sagen, ohne Faith in die Sache hineinzuziehen? Alle in der Stadt würden darüber reden und Geschichten erfinden, die sich wie ein Lauffeuer verbreiten und dabei immer abenteuerlicher werden würden. Und er ertrug nicht einmal den Gedanken daran, dass der Sheriff zu Faith gehen würde, um sich bestätigen zu lassen, was er gesagt hatte. Faith’ Vater war ein bösartiger Säufer. Nur der Himmel wusste, was er tun würde, wenn ein Polizist bei ihm aufkreuzte, um seine Tochter zu vernehmen.

“Antworte!”, befahl Isaiah.

“Ich habe es nicht getan.”

“Kannst du das beweisen?”

Brian blickte den Sheriff an. “Ich kann Ihnen nur mein Wort geben.”

Sein Vater lachte. “Dein Wort ist ebenso nutzlos, wie du es bist. Warum habe ich zwei Söhne bekommen, wenn einer davon keinen Pfifferling wert ist?”

Brian sah Ted hinter dem Sheriff stehen. “Ich habe es nicht getan”, wiederholte er.

“Das weiß ich”, erwiderte Ted, aber das spielte keine Rolle.

Francke hatte zum Sheriff gesagt, er würde keine Anzeige erstatten, wenn man ihm den Schaden bezahlen würde. Der Sheriff meinte, nichts würde besser werden, wenn er Brian einsperrte. Isaiah war es gleichgültig, was mit seinem Sohn passierte. “Du bist nicht mehr mein Sohn”, sagte er kalt. “Ich will dich nicht mehr in meinem Haus haben.”

Brian wollte protestieren. Nicht dagegen, dass er aus dem Haus geworfen wurde, sondern dagegen, für schuldig befunden zu werden. Aber wie könnte er? Niemand würde auf ihn hören. Am Mittag würde die Geschichte schon in der ganzen Stadt herum sein. Er würde ein Paria sein. Zu schnell mit dem Motorrad zu fahren, die Schule zu schwänzen oder zu viel zu trinken war eine Sache. In ein Haus einzubrechen und es zu verwüsten war etwas anderes.

Er musste die Stadt verlassen und durfte erst zurückkehren, wenn er bedeutender geworden war als die Lügen, die Jeanine Francke fabriziert hatte. Dann konnte er seinen Anklägern eintrichtern, dass die Behauptungen falsch waren, und Anspruch auf Faith erheben. Das war der einzige Ausweg aus dem Schlamassel. Er würde zu ihr gehen, ihr erzählen, was passiert war, und schwören, dass er eines Tages zurückkommen und sie holen würde …

Aber wenn er jetzt auf dem Wohnwagenplatz auftauchte, würde er Faith in die Geschichte hineinziehen. Seine süße, unschuldige Faith würde darauf bestehen, sofort zu seinem Vater und dem Sheriff zu laufen, um ihn zu verteidigen. Und sie wäre ruiniert. Genau das wollte er doch unbedingt vermeiden.

Er konnte seine Liebe zu ihr nur beweisen, indem er sie verließ und nicht zurückblickte. Sie hatte sowieso einen Besseren verdient. Der Traum war vorbei.

“Ich will, dass du verschwindest, Junge.” Isaiah verschränkte die Arme. “Du hast zehn Minuten, um zu packen.”

Brian stopfte Jeans und T-Shirts in einen alten Rucksack. Als er fertig war, hielt ihm Isaiah einen Hundertdollarschein hin. Brian nahm ihn, riss ihn durch und warf ihn seinem Vater vor die Füße, dann ging er nach draußen, stieg auf die Harley und brachte den Motor auf Touren.

“Warte!” Ted kam die Treppe heruntergerannt.

Brian wollte gerade losfahren. “Pass auf Faith auf.”

“Was soll ich ihr sagen?”

Dass ich sie liebe und immer lieben werde, dachte Brian. “Nichts. Hast du gehört, Teddy? Pass auf sie auf. Überzeug dich davon, dass sie okay ist. Und erzähl ihr nicht, was passiert ist.”

“Sie wird fragen.”

“Lass sie glauben, ich hätte es hier satt bekommen und sei fortgegangen. Es ist besser, wenn ich einfach aus ihrem Leben verschwinde.”

“Nein. Brian, bitte …”

“Schwör es!”

Ted seufzte. “Ja, in Ordnung. Aber wohin willst du? Wovon willst du leben? Brian …”

Er kuppelte ein und brauste die Auffahrt hinunter.

Zwei Jahre später hatte sich Brian durch Georgia bis nach Corpus Christi gearbeitet und dann auf einem Öltanker bis nach Kuwait. Er war erwachsen geworden. Er hatte aufgehört, so draufgängerisch zu sein, und er war nicht mehr so verbittert. Immer öfter dachte er daran, nach Hause zu fahren, Ted wiederzusehen und sich vielleicht sogar mit seinem Vater zu versöhnen. Vor allem dachte er daran, Anspruch auf Faith zu erheben und auf das Leben, das sie gemeinsam haben konnten. Er war dabei, seine Rückkehr zu planen, als ein Brief von Ted eintraf. Der Umschlag war schmutzig und eingerissen. Brian hatte sich noch einmal aus Corpus Christi bei seinem Bruder gemeldet, und der Brief war ihm offensichtlich von dort aus um die halbe Welt gefolgt.

Sein Vater war vor über einem Jahr an einem Herzinfarkt gestorben. Brian wartete darauf, dass sich ein Gefühl der Trauer einstellte, doch er war nur ein bisschen enttäuscht, dass er jetzt keine Gelegenheit mehr haben würde, Isaiah gegenüberzutreten und ihm zu sagen, wie sehr er sich in seinem jüngeren Sohn geirrt hatte. Er las weiter.

Dad hat alles mir vermacht. Natürlich ist das nicht richtig. Wir finden eine Lösung, wenn Du nach Hause kommst.

Brian lächelte angespannt. Ted mochte so denken, aber er wollte keinen Penny vom Geld der Camerons. Er drehte den Brief um und wunderte sich über die nächste Zeile.

Ich weiß nicht so recht, wie ich es Dir mitteilen soll. Du hast gesagt, ich solle auf Faith aufpassen, deshalb habe ich es getan. Sie war so allein, so verzweifelt …

Sein Bruder war mit Faith verheiratet. “Nein”, flüsterte Brian, “nein …” Mit Faith, die er liebte und anbetete. Nur die Erinnerung an sie hatte ihn am Leben erhalten, während er sich abgequält hatte, um seinen Weg zu finden. Isaiah hatte recht gehabt. Sie hatte gesagt, sie liebe ihn und werde niemals einen anderen lieben, aber sie war die ganze Zeit nur hinter dem Namen und dem Geld der Camerons her gewesen. Vom Rest des Briefs bekam Brian nur einen undeutlichen Eindruck. Brüllend vor Qual zerknüllte er ihn. Die Männer, die in seiner Nähe standen, sahen auf, dann gingen sie davon. Sie waren raubeinige Ölbohrarbeiter wie er, aber keiner von ihnen wollte etwas mit dem zu tun haben, was sie an jenem Tag in Brian Camerons Blick erkannten.

Brian zerriss den Brief in kleine Fetzen. Dann brach er mit Zuhause, Ted, Faith, mit allem, wovon er viel gehalten und was er gewollt hatte.

Von diesem Moment an hielt er nur noch etwas davon, reich zu werden. Und Rache war das Einzige, was er wollte.

1. KAPITEL

Liberty, Georgia, heutzutage

Der Juni war nach Georgia gekommen und hatte eine solche Hitze mitgebracht, dass ebenso gut Hochsommer hätte sein können. Sogar jetzt schon, um acht Uhr morgens, war es drückend heiß.

Faith saß am Toilettentisch und stöhnte fast auf vor Verzweiflung. An jedem anderen Morgen hätte sie sich über das Wetter nicht aufgeregt. Sie war in den Südstaaten aufgewachsen und wusste, dass man mit dem Sommer am besten fertigwurde, indem man ihn ignorierte. Man band sich das Haar zum Pferdeschwanz, zog Shorts, ein T-Shirt und Sandalen an und blieb ungeschminkt. Aber an diesem Tag ging das nicht. In einer Stunde hatte sie einen Termin bei Sam Jergen, Teds Anwalt. Sie musste aussehen wie Faith Cameron und nicht wie Faith Davenport. Jergen hielt sie noch immer für ein Flittchen, das seinen Mandanten vor neun Jahren in die Ehe gelockt hatte. Dass er sie nicht mochte, hatte sie in dem Moment gewusst, als sie ihn kennengelernt hatte, doch der Anwalt war nicht dumm. Er hatte sie respektvoll behandelt, solange Ted am Leben war.

Am Tag der Beerdigung ließ Jergen die Maske fallen. “Mein Beileid, Miz Davenport”, hatte er gesagt und dann hinterhältig gelächelt. “Verzeihung. Miz Cameron, meinte ich natürlich.”

Faith presste die Lippen zusammen. Eigentlich hatte er sie mit einem der Schimpfnamen belegen wollen, die von den Leuten in der Stadt benutzt wurden, aber sie hatte ihm nicht die Freude gemacht, zu reagieren. An diesem Tag würde sie es auch nicht tun, obwohl er zweifellos alles versuchen würde, um sie zu erniedrigen.

Tränen traten ihr in die Augen. Ted, tot. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass er auf einer regennassen Straße zwischen Liberty und Atlanta bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Die Wochen danach waren wie in einem Nebel vergangen. Leute waren ins Haus gekommen, angeblich, um ihr Beileid auszudrücken, in Wirklichkeit, um sie sich mal näher anzusehen, jetzt, da niemand mehr da war, der sie vor Klatsch schützte. Es war alter Klatsch, aber das spielte keine Rolle. In einem Ort wie Liberty hielt sich Klatsch ein Leben lang, besonders, wenn er saftig war. Und was hätte saftiger sein können als ihre schnelle Heirat mit Ted Cameron, nachdem sein Bruder sie sitzen gelassen hatte? Höchstens die Geschwindigkeit, mit der sie schwanger geworden war.

Faith bürstete sich das Haar. Wenn sie doch nur die Besprechung an diesem Morgen absagen könnte. Und was nützte es, etwas aufzuschieben, was erledigt werden musste? Jergen hatte klargemacht, dass es wichtig war.

“Es geht um den Nachlass Ihres Mannes”, hatte er gesagt.

Tun Sie nicht so übertrieben diensteifrig, hätte sie fast erwidert. An diesem Morgen würde die vorschriftsmäßige Verlesung des Testaments stattfinden. Sie wusste, was darin stand. Ihr praktisch denkender Ehemann hatte mit ihr darüber gesprochen, als er vor einem Jahr plötzlich beschlossen hatte, ein Testament aufzusetzen.

Er hinterließ alles ihr, damit sie es treuhänderisch für Peter verwaltete. “Es ist sein Geburtsrecht”, sagte Ted.

Faith zögerte. “Willst du nicht irgendetwas …”, sie brachte den Namen nicht heraus, “deinem Bruder vermachen?”

Teds Augen wurden dunkler, und sie wusste, dass sein Schmerz in all den Jahren nicht schwächer geworden war. Er hatte nichts von Brian gehört, seit er ihm von ihrer Heirat geschrieben hatte. Auch wenn Ted und sie niemals darüber redeten, war Faith klar, dass er Brian nicht so sehen konnte oder wollte, wie er wirklich war. Sie hatte Verständnis dafür. Liebe verfälschte das Urteil eines Menschen. Sie hatte nächtelang geweint, nachdem Brian sie im Stich gelassen hatte. Zumindest sie war zur Besinnung gekommen.

“Nein”, hatte Ted leise erwidert. “Das ist wohl sinnlos. Brian hat seinen Vater gehasst und will sicher nichts von dem Geld, das ich von Isaiah geerbt habe. Aber ich weiß, dass mein Bruder eines Tages zurückkehren wird, und dann musst du ihm die Wahrheit sagen. Er hat das Recht, zu erfahren, dass du ein Kind von ihm hast, ebenso wie Peter das Recht hat, den Mann kennenzulernen, der wirklich sein Vater ist.”

Faith blickte starr in den Spiegel. Brian hatte auf nichts Anspruch. Was Peter betraf … Sie konnte sich nicht vorstellen, ihm irgendwann wehzutun, indem sie ihm erzählte, dass sein leiblicher Vater sie sitzen gelassen hatte. Ihr Sohn war besser dran, wenn er sein ganzes Leben lang Ted für seinen Vater hielt. Er würde damit glücklich sein, und nur sein Glück war wichtig. Deshalb hatte sie Ted geheiratet. Und deshalb würde sie aus Liberty wegziehen, sobald der Anwalt mit dem ganzen juristischen Hokuspokus fertig war. Dann würde sie das Geld haben, um ein neues Leben anzufangen, irgendwo weit weg, wo ‘Cameron’ einfach ein Name war. Die Entscheidung war ihr nicht leichtgefallen. Trotz allem war Liberty ihr Zuhause.

Sie stand auf, ging zum Kleiderschrank, öffnete ihn und ließ die Hand über die Sachen gleiten, die an der Stange hingen. Als sie das pinkfarbene Kostüm streifte, zögerte sie flüchtig. Sie hatte es bei Teds Beerdigung getragen, und die Leute hatten sie missbilligend angesehen. Zum Teufel mit ihnen, hatte sie gedacht. Ted hatte Schwarz gehasst. Aber an diesem Tag ging es nicht um die Liebe und den Respekt, die sie Ted entgegengebracht hatte. Es ging um Peters Zukunft. Faith wählte ein schwarzes Seidenkostüm und eine cremefarbene Bluse. Wahrscheinlich würde sie vor Hitze umkommen, doch es war das passende Outfit. Sie verzog das Gesicht, während sie eine Strumpfhose anzog. Sobald sie den Reißverschluss des Rocks zugemacht, die Jacke zugeknöpft und ihre Füße in die schwarzen Pumps gezwängt hatte, klebte ihr die Bluse auch schon an der Haut.

Faith atmete tief durch und drehte sich zum Spiegel um. Das Kostüm war geschäftsmäßig und elegant, und wenn sie die Jacke zugeknöpft ließ, würde niemand die verschwitzte Bluse bemerken. Aber ihr Haar … “Verdammt”, schimpfte Faith. Wie immer bei Feuchtigkeit lockte es sich, anstatt ihr in weichen, damenhaften Wellen über die Schultern zu fallen. Außerdem glänzte ihr Gesicht, obwohl sie ausnahmsweise Puder benutzt hatte. So viel dazu, kühl und selbstbewusst auszusehen. Sie sah aus, wie sie sich fühlte, unsicher und traurig, weil sie den einzigen Menschen verloren hatte, der sie jemals aufrichtig gerngehabt hatte.

“Mom?”

Faith wandte sich um. Ihr Sohn kam herein. Seine Miene war ernst – zu ernst für einen Jungen seines Alters. Bei seinem Anblick wollte ihr das Herz bersten vor Liebe. Sie ging zu ihm, zog ihn an sich und seufzte, als sie seine Anspannung spürte.

“Alice sagt, du fährst in die Stadt.”

“Das stimmt.” Faith trat zurück und schob Peter das braune Haar aus der Stirn.

“Musst du hin?”

“Ja. Aber ich werde nur ein oder zwei Stunden weg sein.” Ihr Sohn nickte. Teds Tod hatte ihn schwer getroffen. In letzter Zeit wollte er ständig in ihrer Nähe sein. “Soll ich dir ein neues Spiel aus dem Computerladen mitbringen?”

Peter schüttelte den Kopf. “Dad hat mir eins gekauft, kurz bevor …” Er biss sich auf die Lippe. “Ich vermisse ihn so, Mom.”

“Ich auch.” Faith drückte ihren Sohn einen Moment lang fest an sich, dann schob sie ihn auf Armeslänge. “Was möchtest du machen, bis ich zurückkomme?”, fragte sie energisch.

Peter zuckte die Schultern. “Ich weiß nicht.”

“Wie wäre es, wenn du Charlie anrufst und ihn hierher einlädst?”

“Er ist nicht zu Hause. Heute ist die Party bei Sean.”

Verdammt, dachte Faith. Sie war so in ihren eigenen Kummer versunken, dass sie vergessen hatte, wie viel Kummer es Peter bereitete, dass er der einzige Junge war, der nicht zur Party seines Klassenkameraden eingeladen worden war.

“Warum lädt Sean mich nicht ein?”, hatte er gefragt, und Faith hätte ihm fast die Wahrheit gesagt, dass nämlich in der starren Gesellschaftsordnung der Stadt schon jetzt ihre und seine Stellung neu eingeschätzt wurde. “Weil Sean ein Blödmann ist”, hatte sie gespielt fröhlich erwidert. “Und warum solltest du überhaupt Lust haben, hinzugehen, wenn wir beide doch hier eine Party feiern können?”

“Gut, dass du mich daran erinnerst”, sagte Faith jetzt. “Das bedeutet, dass heute auch unsere Party ist. Ich hole uns auf dem Rückweg Hamburger, Pommes frites und Schokoshakes bei Burger Pit.”

Ihm sein Lieblingsessen zu kaufen ist eine Bestechung, überlegte sie, als sie einige Minuten später mit dem Kombi durch das Tor fuhr und auf die Hauptstraße abbog. Na und? Ihr kleiner Junge hatte gelächelt. Nichts war so wichtig wie sein Glück.

Ted hatte ebenso gedacht.

Wieder überwältigte sie die Trauer. Er war ein wundervoller Mann gewesen. Die Leute in Liberty meinten das auch, obwohl sie ihn gleichzeitig für einen Dummkopf hielten, weil er sie geheiratet hatte. Was hatte ihn an jenem schicksalhaften Tag vor vielen Jahren veranlasst, sie zu besuchen? Brian war seit acht Wochen fort gewesen, als Ted an die Wohnwagentür geklopft hatte.

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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