Catching up with the Carters - In your eyes

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Die erste Liebe ist bittersüß und unvergesslich ...

Aphrodite steht mit der Reality-Show ihrer Familie »Catching up with the Carters« im Rampenlicht. Die Öffentlichkeit hält sie für ein Party-It-Girl. Wie es in ihr aussieht, weiß niemand. Nur Garett, dessen TV-Dynastie eine Fehde mit den Carters führt, kannte ihre Ängste. Doch ihre Liebe zerbrach in tausend Scherben. Als erneut fiese Dinge über sie geschrieben werden, ergreift Aphrodite die Chance, bei einer Datingshow hinter den Kulissen zu arbeiten und sich eine eigene Karriere aufzubauen. Am Set trifft sie ausgerechnet auf Garett. Ein Blick in seine blauen Augen, auf die Narbe an seinem Kinn, und die bittersüßen Erinnerungen sind zurück – wie auch diese unbeschreiblich tiefen Gefühle. Wenn Aphrodite ihnen nachgibt, könnte es sie endgültig zerstören …

Der Auftakt der mitreißenden New-Adult-Serie über eine Hollywood-TV-Familie

»Ganz großes Kino! Mein Herz gehört ab sofort der Catching up with the Carters-Trilogie und hat somit Gossip Girl abgelöst.« Roxy’s Podcast

»Wer auf der Suche nach ganz viel Glamour, tiefen Gefühlen und herzzerreißender Romantik ist , der ist bei den Carters genau an der richtigen Adresse! Die Catching up with the Carters-Reihe ist ein absolutes Muss in jedem Shelfie!« books.with.jenny


  • Erscheinungstag 28.06.2022
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783745703139
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Nora

Danke für alle Friends-Marathons, Capri-Sonnen-Abende, Schmelzflockensnacks, ungesunden Einkaufstrips und Mitternachtsgespräche – ohne dich wäre ich verzweifelt, bevor ich es schaffe, ein Buch zu Ende zu schreiben.

PLAYLIST

drivers license – Olivia Rodrigo

Inside of Love – Nada Surf

Jealous – Labrinth

Waiting – Alice Boman

All I Want – Kodaline

You’re Somebody Else – Flora Cash

Someone You Loved – Lewis Capaldi

SOFARSOGOOD – Travi The Native

Only Ever Been You – Dan Elliott

HALF HEARTED – We Three

The Weight of Us – Sanders Bohlke

Us – James Bay

Say Goodbye – Ed Prosek

Die a Little More – Motherfolk

Piece of You – Tim Olstad

Only You – Jimi Charles Moody

Bridge Back to Your Heart – The Beach

Speak – The Hollow Men

Half Light BANNERS

Ribcage – Plested

1. KAPITEL

Aphrodite

»Cut«, schreit ein Mann, den ich wegen der blendenden Scheinwerfer, die auf uns gerichtet sind, nicht erkennen kann. Nur das Blitzen der Kameraobjektive sehe ich, alles, was dahinterliegt, versinkt im Dunkeln.

Genervt lasse ich mein Besteck sinken. Schon wieder. Mein Essen ist längst kalt, und ich habe nicht mehr als zwei Bissen zu mir nehmen können, weil irgendjemandem in der schützenden Dunkelheit hinter den Kameras nicht zu passen scheint, worüber meine Familie und ich uns am Tisch unterhalten. Alle sind hier. Meine Eltern, meine Geschwister und ein zwanzigköpfiges Kamerateam.

Ein ganz normales Familiendinner also.

»Haben wir es bald mal?«, stößt Hadrian, der mir gegenübersitzt und sein Essen noch verzweifelter anstarrt als ich meines, seufzend hervor.

»Wenn ich noch einmal denselben Satz sagen muss, raste ich aus«, murmelt Athena auf dem Stuhl neben mir, die immer automatisch ein Stück von mir abrückt, sobald die Kameras nicht mehr laufen.

Hadrian und sie sind ein eingespieltes Team. Es vergeht kein Drehtag, an dem sie nicht die Augen verdrehen oder lautstark ihr Missfallen kundtun.

»Stellt euch nicht so an«, ermahnt meine Mutter die beiden über die gedeckte Tafel hinweg. Ich kann mir ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, deswegen verstecke ich es hinter dem Weinglas, das ich an meine Lippen führe. Manchmal frage ich mich, wann meine Geschwister und ich anfangen werden, uns wie Erwachsene zu benehmen. Da wir schon um die zwanzig Jahre alt sind, ist es wohl langsam so weit, die Hoffnung aufzugeben, dass dieser Tag jemals kommen wird.

»Haben wir genug im Kasten?«, richtet sich meine Mom an die Stimme aus dem Off. So nenne ich alle Regisseure, die in den letzten Jahren am Set von Catching up with the Carters, der Reality-TV-Show meiner Familie, gearbeitet haben. Sie bleiben nicht lange genug, dass es sich lohnen würde, sich ihre Namen zu merken. Jeder im Business weiß, dass Evelyn Carter hohe Ansprüche hat, die niemand erreichen kann. Am wenigsten ihre eigenen Kinder. Meine Mutter ist immer perfekt und vergisst deswegen gern, dass niemandem Perfektionismus so liegt wie ihr.

Ungeduldig streicht sie eine Strähne, die dreist genug war, ihrer perfekten Frisur zu entweichen, wieder hinter ihr Ohr. Ihre schwarzen, vollen Haare hat sie an jedes ihrer sieben Kinder vererbt. Unserem Dad sieht keiner von uns wirklich ähnlich. In den Medien kursieren viele Witze und nicht ernst gemeinte Theorien darüber. Mein Favorit: Wir wurden nicht gezeugt, wir sind durch Zellteilung entstanden.

»Haben wir es dann endlich, Darling?«, fragt mein Vater vorsichtig. Er ist der Einzige, der sich das erlauben darf, ohne sich dafür einen schnippischen Kommentar einzufangen. Zumindest wenn meine Mutter einen guten Tag hat.

Meine Mom steht auf und verschwindet hinter den Kameras, kehrt in die nicht perfekt ausgeleuchtete Realität zurück. Obwohl – ist das überhaupt die Realität für ein Mitglied der Carter-Familie? Ein Esszimmer, auf das Kameras gerichtet sind, beschreibt mein Leben eigentlich ziemlich passend.

Mein Dad unterhält sich am anderen Tischende leise mit meinen älteren Geschwistern Octavian, Caesar, Hera und Demeter, bis meine Mutter zurückkehrt.

»Wir haben es gleich«, verkündet sie, und wir seufzen. Schon seit Monaten drehen wir für die neue Staffel von Catching up with the Carters. Heute sollte der letzte Drehtag sein. Aber er will einfach nicht enden. »Ich will nur, dass ihr Mädchen noch kurz einen Blick in diese Zeitschrift werft. Ich brauche ein paar unverschämte Kommentare.« Zwei Produktionsassistenten lösen sich aus der Schwärze, schnappen uns das Essen unter der Nase weg und legen stattdessen ein Klatschmagazin auf dem massiven Holztisch ab.

»Das kann man aber nicht essen«, murmelt Athena in sich hinein, und Hadrian versucht sein Lachen mit einem Husten zu übertönen. Vielleicht würde ich auch lachen, wenn mir die Vertrautheit der beiden nicht so auf die Nerven gehen würde.

»Seid ihr so weit?«, fragt meine Mutter.

Ich nicke, und sie schenkt mir ein zufriedenes Lächeln. Sie kann anstrengend sein, ohne Zweifel, aber meine Mom ist eben eine knallharte Businessfrau. Daher hat sie keine Zeit für überflüssige Nettigkeiten, und dafür respektiere ich sie.

Die Stimme aus dem Off ruft, und die Kameras laufen wieder. Da ich am Set dieser Show aufgewachsen bin, bilde ich mir ein, dass ich es körperlich spüren kann, wenn ich gefilmt werde.

Athena rutscht wieder näher an mich heran und schlägt das Magazin auf. Meine Mom will, dass wir böse Seitenhiebe an andere Promis verteilen, damit sich die Zuschauer, die sich das Leben meiner Familie von der Couch ihrer Wohnung aus ansehen, kurz denken können: Das hat sie gerade nicht gesagt. Das verkauft sich eben. Und wer bin ich, das infrage zu stellen?

Athena und ich spielen mit. Ich bin die Zicke, sie diejenige, die mich immer wieder ermahnt, nicht so gemein zu sein. Das sind unsere Rollen. Natürlich würde ich auch lieber ihre spielen. Aber es hat mich keiner um meine Meinung gebeten.

»Habt ihr das furchtbare Bild von dem Edwards-Jungen gesehen?«, ruft unsere Mutter uns zu. »Furchtbar.« Klar, ein fieser Kommentar über die Edwards’, unsere Rivalen, darf natürlich in keiner Folge fehlen. Athena blättert weiter, bis sie die Seite gefunden hat.

Und ich erstarre. Obwohl ich das Gewicht der Kamera förmlich auf mir fühlen kann, gelingt es mir für einen Moment nicht, meinen Gesichtsausdruck zu kontrollieren. Mein Herz setzt keinen Schlag aus oder rast. Es schlägt im selben Rhythmus wie zuvor, aber nun scheint sich nicht mehr nur mein Herz zusammenzuziehen, sondern mein ganzer Körper. Ich weiß, dass ich diese Schläge brauche, um am Leben zu bleiben, trotzdem tut jeder einzelne weh.

Unter dem Tisch balle ich meine Hände zu Fäusten, löse den Griff wieder und strecke die Finger aus. Ich atme tief durch. Endlich habe ich meinen Schock hinter meinem neutralen, ein bisschen arroganten Lächeln versteckt, das ich schon vor Jahren perfektioniert habe, indem ich es stundenlang vor meinem Spiegel geübt habe.

»Ist die arme Frau sicher, dass sie so einen heiraten will?«, fragt meine Schwester grinsend.

»Sie sind ja nur verlobt. Sie kann es sich immer noch anders überlegen.« Es ist ein Wunder, dass mir die Worte nicht im Hals stecken bleiben. Vor allem verlobt. Noch nie hat ein Wort einen so schalen Nachgeschmack auf meiner Zunge hinterlassen.

GARETT EDWARDS UND SÄNGERIN KATHERINE O’CONNELL VERLOBT? steht in leuchtenden Großbuchstaben über dem Foto, das die beiden zusammen zeigt. Ich will nicht weiterlesen. Ich sollte doch inzwischen gelernt haben, dass mir das, was auf den Seiten eines Boulevardmagazins geschrieben steht, nicht gefällt. Aber natürlich kann ich nicht anders.

Garett Edwards, der Sohn von Harold Edwards, Mitglied des Edwards-Clans, einer der bekanntesten Reality-TV-Familien Amerikas, soll seiner langjährigen Freundin, der Countrysängerin Katherine O’Connell, endlich einen Antrag gemacht haben. Das verrät ein Insider aus dem engsten Freundeskreis des Paares.

Der Autor dieses Artikels tut ja fast so, als würde er über einen Adeligen berichten. Wie wohl mein Titel und mein Stammbaum lauten würden?

Aphrodite vom Hause der Carters, die Erste ihres Namens, Spross eines ehrwürdigen Geschlechts von Reality-TV-Stars, Königin von Beverly Hills und Herrscherin über ihren Instagram-Account.

Klingt auf jeden Fall glanzvoller, als einfach nur zu sagen, dass ich die Tochter eines in die Jahre gekommenen Girlgroup-Mitglieds und eines mittelmäßig erfolgreichen Schauspielers bin, die ihren Promistatus und das Leben im Scheinwerferlicht brauchen wie die Luft zum Atmen.

Ich betrachte das Foto. Alles in mir zieht sich zusammen. So fest, dass es mich nicht wundern würde, wenn man es später auf den Aufnahmen sehen könnte. Die beiden stehen direkt voreinander. Garetts Hand liegt an ihrer Hüfte, sie hat ihre auf seinem Oberkörper abgelegt. Die Szene wirkt so intim, dass ich die Liebkosungen, die er ihr ins Ohr flüstert, förmlich hören kann. Vertraut schauen sie einander in die Augen und lächeln.

Ekelhaft.

»Cut!« Die Stimme aus dem Off erlöst mich, Athena rückt wieder von mir ab, schließt endlich die fürchterliche Zeitschrift, und ich trinke meinen Wein auf ex. Leider ist das Glas nicht groß genug, um all meine Gefühle hinunterzuspülen.

»Wir sind fertig«, verkündet meine Mom endlich. Ich springe sofort auf. Athena und Hadrian tun es mir gleich, doch im Gegensatz zu mir eilen sie nicht die Treppe in den ersten Stock hinauf, sondern in die Küche, um den Rest ihres kalten Abendessens zu verschlingen. Mir ist der Appetit vergangen.

Schon während ich die Stufen erklimme, hole ich mein Handy aus meiner Hosentasche. Ich öffne den Chat, in dem sich die It-Girls von Beverly Hills versammelt haben und sich über die wichtigsten Events des Jahres auf dem Laufenden halten, und schreibe eine Nachricht: Wer hat heute Abend Lust auf Party?

Sobald ich mein Zimmer erreiche, reiße ich die Doppeltüren meines Kleiderschrankes auf und suche nach einem Outfit für den Abend. Ich muss die Antworten der anderen nicht abwarten. Die meisten werden sofort dabei sein. Ein paar Instagram-Fotos mit mir auf einer schicken Party, und ihre Followerzahl und damit das Geld, das sie mit Werbedeals verdienen, schießen in die Höhe. Über die Oberflächlichkeit dieser Freundschaften könnte ich mich jetzt natürlich aufregen oder mich selbst bemitleiden, wenn es nicht genau das wäre, was ich will. Leute, bei denen ich meine Gedanken kurz vergessen kann, die sich aber nicht die Mühe machen, mich richtig kennenzulernen, sind die Menschen, mit denen ich am besten klarkomme. Wenn man nichts von sich preisgibt, dann läuft man auch nicht Gefahr, am nächsten Tag intimste Details über sein Privatleben im Internet nachlesen zu können.

Ich werfe einen Blick auf mein Handy. Schon vier Zusagen. Hilary, die Tochter eines CEOs einer riesigen Kosmetikfirma, hat sogar schon eine Party aufgetan, die es lohnt zu besuchen, und eine Uhrzeit vorgeschlagen, wann sie mich mit ihrem Fahrer abholt. Ein Emoji mit einem ausgestreckten Daumen ist alles, was ich noch brauche, um die Pläne final zu machen.

Weil ich mich heute so richtig betrinken will, hole ich ein Kleid aus meinem Schrank, das eng und lang genug ist, dass egal, in welchem Zustand ich mich später auch befinden werde, nichts verrutschen kann. Man muss aus seinen Fehlern lernen. Es ist vollkommen ausreichend, dass mein linker Nippel vor zwei Jahren überall abgedruckt wurde, nachdem ich so leichtsinnig war, für die After-Show-Party einer Filmpremiere ein Kleid ohne Träger anzuziehen. Die Welt muss nicht auch noch meinen rechten Nippel zu Gesicht bekommen.

Ich ziehe Jeans und T-Shirt aus. Als ich nur in Unterwäsche vor dem großen Spiegel stehe, der in die Türen meines Kleiderschrankes eingelassen ist, wandert mein Blick zu dem Schlüssel, den ich an einer Kette um den Hals trage. Wie von selbst fasse ich danach, umschließe ihn mit den Fingern, spüre die scharfen Kanten auf meiner Handfläche. Ich sollte ihn ablegen. Das hätte ich schon vor Jahren tun sollen. Doch wie so oft, wenn ich mir vornehme, ihn einfach aus dem Fenster zu schmeißen, löse ich meinen Griff wieder. Dann schlüpfe ich in mein Kleid und lasse den Schlüssel unter dem Stoff verschwinden. Niemand kann ihn sehen. Aber ich spüre das Metall, das meine Wärme so dauerhaft in sich aufgenommen hat, dass es schon fast Teil meines Körpers ist.

Ich zwinge mich, nicht mehr an diesen Gegenstand zu denken, dem ich immer noch zu viel Bedeutung beimesse, und setze mich an meinen Schminktisch. Meine Haare stecke ich hoch, meine grünen Augen – der einzige Hinweis, dass ich doch mit meinem Vater verwandt bin – umrahme ich mit schwarzem Lidschatten. Schließlich ziehe ich meine pinkfarbenen High Heels an, die der einzige Farbklecks meines sonst komplett schwarzen Outfits sind.

Als ich fertig bin, schaue ich mich in meinem Zimmer um, das nichts über mich verrät. Zumindest nichts Ehrliches. Meine Mutter hat irgendjemanden engagiert, um es kameratauglich einzurichten. Die Familienfotos, die mich breit grinsend mit meinen Geschwistern zeigen, hätte ich niemals selbst auf meiner Fensterbank aufgestellt. Die Farben im Raum sind für meinen Geschmack zu grell, die Möbel zu protzig, die Deko zu mädchenhaft. Die Inneneinrichtung erinnert ein bisschen an die Playboy Mansion. Dieses Zimmer ist mir fremd. Aber es passt zu der Aphrodite Carter, die die Nation aus dem Fernsehen kennt. Und ist das nicht das, worauf es ankommt?

Ein Hupen reißt mich aus meinen Gedanken. Sehr gut. Ich will sie nämlich nicht mehr hören. Und nichts hilft besser gegen lästige Gedanken als aufgedrehte Frauen, viel Alkohol und laute Musik.

Nach dem Verlassen meines Zimmers laufe ich an Athenas vorbei, wo ich durch die geöffnete Tür sie und Hadrian auf dem schrägen Dach vor ihrem Fenster sitzen sehe. Sie haben mich nie zu einem ihrer Gespräche an ihrem Rückzugsort eingeladen.

Ich kann mich nicht an den expliziten Moment erinnern, ab dem wir aufgehört haben, richtige Geschwister zu sein. Früher haben wir uns gut verstanden. Als die erste Staffel von Catching up with the Carters gedreht wurde, waren unsere anderen Geschwister schon volljährig und wir noch kleine Kinder. Wir sind mit den Kameras in unserem Haus aufgewachsen. Eigentlich müssten die beiden die Menschen sein, die mich wirklich verstehen können. Eigentlich.

Doch irgendwann haben die beiden beschlossen, dass sie zu gut für den Ruhm unserer Familie sind. Sie haben sich über alles lustig gemacht, was unsere Eltern aufgebaut haben, obwohl sie niemals selbst etwas erreicht haben.

Sie sind ein Team, das keine neuen Mitglieder aufnimmt. Und nur wenn ich mich darüber lustig mache, kann ich damit umgehen, dass sie ohne mich auf diesem Dach sitzen und Athena unseren Bruder als Einzige Adrian und nicht Hadrian nennt.

Ich wende den Blick ab, laufe zügig weiter und eile die Treppe ins Erdgeschoss hinab.

»Hab Spaß, Kleines«, sagt mein Vater, dem ich im Flur begegne. Er gibt mir einen Kuss auf die Wange und schiebt mich dann zur Wand, als sich vier mit Kameraequipment beladene Menschen ihren Weg zu unserer Eingangstür bahnen. Überall höre ich sie wuseln. Der letzte Drehtag. Zumindest für die nächsten paar Monate. Es gibt noch viel aufzuräumen. Dieses Haus ist niemals leise. Gut, dass mir Stille sowieso nicht liegt.

»Danke, Dad«, erwidere ich, steige über ein Kabel und trete endlich nach draußen. Vor unserer breiten Einfahrt steht eine Limousine, die nicht auf den Vorplatz neben dem Garten fahren konnte, weil dort noch die Autos des Produktionsteams parken.

Sobald ich die schwarze Tür öffne, die so gut poliert ist, dass ich mich darin spiegeln kann, werde ich von freudigem Kreischen begrüßt. Vier Frauen in knappen und zum Teil glitzernden Kleidchen warten bereits auf mich. Hilary drückt mir, bevor mein Hintern überhaupt den Ledersitz auf der Rückbank berührt hat, ein fast überlaufendes Champagnerglas in die Hand.

»Prost!«, rufe ich und kippe das Getränk auf ex. Sofort wird mir nachgeschenkt.

Ab dem Moment kann ich mich an nichts mehr erinnern.

Nur langsam öffne ich meine Augen. Das Bewegen meiner Lider ist ein großer Kraftakt. Ich wünschte, ich wäre noch nicht aufgewacht. Doch der Sonnenstrahl, der direkt auf mein Gesicht fällt, macht es mir unmöglich, wieder einzuschlafen.

Mir entfährt ein Stöhnen, als ich versuche, mich aufzusetzen. Mein Kopf dröhnt, mein Magen rumort, und mein Hals schreit mich an, endlich was anderes als Alkohol zu trinken.

Wieso habe ich gestern vergessen, meinen Vorhang zuzuziehen? Anfängerfehler. Den will ich jetzt beheben, doch ich halte inne und lasse mich zurücksinken. Auf ein Sofa. Nicht auf mein Bett. Ich bin nicht in meinem Zimmer.

Sofort ziehe ich die Decke enger um meinen Körper und sehe mich hektisch um, woraufhin mein Kopf sich mit einem Schmerz beschwert, der wie ein Blitz in meine rechte Schläfe einschlägt. Die Bewegungen waren zu schnell. Schon wieder so ein Anfängerfehler.

Ich starte einen zweiten Versuch. Diesmal drehe ich meinen Kopf nur ganz behutsam, während ich mich umschaue. Ich muss endlich herausfinden, wo zur Hölle ich eigentlich bin.

In irgendeinem Hotelzimmer, wird mir schnell klar. Eine Suite. Schicke Cremetöne umzingeln mich von allen Seiten. Der Raum ist riesig. Gegenüber von der Couch stehen noch zwei weitere. Leere Flaschen, volle Aschenbecher und Kleidungsstücke liegen überall verteilt herum, egal wohin ich sehe.

Ich riskiere einen Blick unter meine Decke. Gut. Die Klamotten auf dem Boden sind nicht meine. Sehr beruhigend. Das Einzige, was noch schlimmer wäre, als verkatert in einem fremden Hotelzimmer aufzuwachen, wäre, dabei auch noch nackt zu sein. Und neben einer anderen nackten Person zu liegen, an die man sich nicht mehr erinnern kann. Und natürlich spreche ich gerade nicht aus Erfahrung.

Als ich aufstehe, entfährt mir erneut ein gequältes Stöhnen. Es ist schon hell draußen, ich habe keine Ahnung, wo und mit wem ich hier bin. Ich muss hier verschwinden.

Auf Zehenspitzen schleiche ich durch den Raum, um meine Schuhe zu suchen. Ich schaue in das Schlafzimmer. Das hätte ich nicht tun sollen. Die Decken sind auf der Erde verstreut, anstatt die nackten Körper auf dem Bett zu bedecken. Es ist Hilary und irgendein Kerl. Schnell wende ich den Blick ab und laufe weiter. In der Badewanne finde ich schließlich meine Schuhe. Wie sie dahin gekommen sind, will ich lieber gar nicht erst wissen.

Der Spiegel überm Waschbecken offenbart, wie furchtbar ich aussehe. Ich streiche mir über das verknitterte Kleid und kämme mir notdürftig mit meinen Fingern die verknoteten Haare, die vor Stunden einmal eine schicke Hochsteckfrisur gewesen sind. Aus meiner Clutch hole ich eine Sonnenbrille hervor und setze sie auf, damit keiner bemerkt, dass meine Augen von verschmiertem Make-up umrandet sind.

Besser. Aber dennoch wird jeder, der mich anschaut, sofort wissen, was ich letzte Nacht gemacht habe. Ich muss allerdings auch nicht zu einem Fotoshooting. Ich muss nur unentdeckt durch die Lobby zu den Taxis gelangen, die ohne Zweifel vor einem so schicken Hotel auf ihre nächsten reichen Kunden warten. Das müsste zu schaffen sein.

Ich straffe die Schultern, umklammere meine Clutch und lasse die Suite hinter mir. Obwohl ich mich gerade furchtbar fühle, hat sich der letzte Abend gelohnt. Ich konnte alles vergessen, was ich vergessen wollte.

Doch nun ist alles zurück, und mit brennendem Rachen und pochender Schläfe sind dunkle Gedanken auf einmal noch schwerer zu ertragen.

Egal, denke ich. Ich muss erst mal nach Hause. Über den Rest kann ich mir später den Kopf zerbrechen. Oder besser überhaupt nicht.

Meine Schuhe klacken laut auf dem Marmorboden der Lobby. Doch ich bin nicht die Einzige, deren Schuhe dieses Geräusch erzeugen, also sieht sich niemand zu mir um. Sehr gut. Nur noch ein paar Meter trennen mich vom Ausgang und hoffentlich einem Taxi.

Ein Portier öffnet die Eingangstür für mich.

Meine Kopfschmerzen explodieren, als ich mitten hinein in das Blitzlichtgewitter trete, das draußen auf mich gewartet hat.

2. KAPITEL

Garett

»Guck mal, wir sind verlobt.«

»Gut, dass mir das auch endlich mal jemand mitteilt.«

Obwohl Kat mich dazu gezwungen hat, die Show meiner Familie zu gucken und ein Trinkspiel daraus zu machen, starrt sie nun lieber auf ihr Handy und scrollt durch die Schlagzeilen einer Promiwebsite.

»Shot, dein Vater hatte wieder seinen Todesblick drauf!«, ruft sie. Ich stelle es nicht infrage, ich trinke einfach. Sie schafft es also tatsächlich, ihr Smartphone und den Fernseher gleichzeitig im Blick zu haben.

»Haben wir jetzt nicht genug geguckt?«, versuche ich schon zum dritten Mal, sie dazu zu bringen, At Home with the Edwards auszumachen. Es ist schlimm genug, diesen ganzen Mist drehen zu müssen. Ich muss ihn mir nicht auch noch in meiner Freizeit anschauen.

Ich versuche, nur das Filmplakat von Der Pate, das hinter meinem Fernseher an der Wand hängt, anzustarren. Doch das funktioniert leider nicht. Trotzdem kann ich mich aus den Augenwinkeln selbst dabei beobachten, wie mein ehemaliger Eishockeyprofivater mich übers Eis scheucht und wegen jedes falsch ausgeführten Schlags anschreit. Ich trinke noch einen Wodka-Shot, obwohl Kat mich nicht dazu aufgefordert hat. Die Regeln ihres Trinkspiels habe ich zwar nicht verstanden, aber mir dabei zuzusehen, wie ich immer und immer wieder gedemütigt werde, ertrage ich nur, wenn ich betrunken bin. Ich knalle das leere Schnapsglas mit ein bisschen zu viel Schwung auf meinen Wohnzimmertisch. Die DVDs, die ich dort gestapelt hatte, fallen zu Boden. Kat macht sich immer über mich lustig, weil sie meint, dass ich der einzige zweiundzwanzigjährige Mensch auf der ganzen Welt bin, der noch DVDs besitzt. Ich lasse mir da aber nicht reinreden. Nichts würde mich dazu bringen, sie wegzuwerfen. Ich stehe auf und hebe die DVDs wieder auf. Die Unbestechlichen, Der Coup und Casablanca und Zwei Banditen, in dem es um den Bank- und Eisenbahnräuber Butch Cassidy und dessen Partner Sundance Kid geht. Mein Herz verkrampft sich kurz, als ich diese beiden Filmtitel lese. Doch bevor verschüttete Erinnerungen nach mir greifen können, verstaue ich die Filme in einer Schublade der Fernsehanrichte.

Kat hat nicht bemerkt, dass ich mich kurz verkrampft habe. Sie kippt sich ebenfalls den nächsten Shot rein. »Das nennt sich Konfrontationstherapie, Garett.«

»Ich fühle mich noch nicht besser«, sage ich trocken und lasse mich wieder auf meine Ledercouch zurücksinken. Kat sitzt im Schneidersitz neben mir. Sie trägt eine Jogginghose und eines meiner T-Shirts, in dem sie fast versinkt. Und sie liest immer noch diese furchtbaren Artikel auf ihrem Handy.

»Warum liest du diesen Scheiß eigentlich?«

»Hallo, Konfrontationstherapie«, erwidert sie und zuckt mit den Schultern. »Wenn ich mich ständig mit meinem öffentlichen Image auseinandersetze, ist es mir vielleicht irgendwann egal, was über mich gesagt und geschrieben wird.«

»Und? Funktioniert es schon?«

Kat hebt den Blick von ihrem Smartphone und presst die Lippen zu einem halbherzigen Lächeln zusammen.

Das ist wohl Antwort genug. »Deswegen muss ich mir das hier antun?«, frage ich und deute auf den Fernseher. Es ist seltsam, sich selbst zu beobachten und dennoch das Gefühl zu haben, dass man einen Fremden anschaut.

»Ja«, antwortet Kat schlicht und bindet ihre langen blonden Haare zu einem Knoten auf ihrem Kopf zusammen, damit ihr die Strähnen nicht mehr in die Augen fallen. »Als Nächstes können wir auf YouTube nach Videos suchen, die für mich peinlich sind. Zum Beispiel den Clip von dem Konzert, wo ich mich versungen habe. Dann sind wir quitt.«

»Mach dir nichts vor, O’Connell, dann sind wir noch lange nicht quitt. Ein dreißig Sekunden langes Video ist definitiv nicht so schlimm wie eine ganze Staffel von At Home with the Edwards

Kat grinst. »Okay, das mag sein.«

Unwillkürlich ziehe ich die Augenbrauen hoch. Kat gibt nicht gern zu, wenn jemand anderes recht hat. Schon gar nicht, wenn ich derjenige bin.

»Aber bald können wir uns so richtig über Henry lustig machen. Er wird uns ja auch sehr viele Stunden Unterhaltung liefern«, sagt sie.

Ich wende meinen Blick ab und sehe wieder stur nach vorn.

»Du bist immer noch sauer auf ihn«, stellt sie fest.

»Ich bin nicht sauer«, widerspreche ich. Aber dass ich lieber mir selbst dabei zuschaue, wie ich zum wiederholten Male in einem Eisstadion auf die Schnauze fliege, als sie anzusehen, straft meine Worte wohl Lügen.

Das Fernsehbild friert ein.

»Doch, du bist sauer«, beharrt Kat.

Ich brumme nur und will mir die Fernbedienung schnappen, um die Folge weiterlaufen zu lassen, Kat jedoch stopft sie kurzerhand in die Ritze zwischen zwei Sofapolstern und setzt sich dann drauf.

»Du weißt, dass ich dich ohne Probleme hochheben kann, oder?«, frage ich und drehe mich zu ihr um. Das war wohl genau das, was sie erreichen wollte, denn sie grinst siegessicher.

»Das weiß ich, aber du bist ein Gentleman, also wirst du mich ausreden lassen und mich nicht wie ein Neandertaler über deine Schulter werfen, damit du an die Fernbedienung kommst.«

»Willst du dich darauf wirklich verlassen?«

Kat verdreht nur die Augen. Das macht sie immer, wenn sie findet, dass ich mich kindisch verhalte.

Aber dann wird ihre Miene ganz ernst. »Ich weiß, dass du sauer auf Henry bist«, setzt sie an, und bevor ich sie unterbrechen kann, hebt sie gebieterisch ihre Hand, und ich verstumme, weil ich weiß, was gut für mich ist, »aber er ist dein bester Freund. Er ist unser bester Freund. Und er hat Mist gebaut. Da sind wir uns beide einig. Doch wenn man es nicht geschafft hat, einem guten Freund einen Fehler auszureden, dann muss man das akzeptieren und ihn stattdessen unterstützen. Egal bei was.«

»Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Freundschaftsvertrag unterschrieben zu haben.«

»Du warst zu betrunken«, sagt Kat und grinst mich schief an. Dieser Gesichtsausdruck passt so viel besser zu ihr als der strenge Blick. »Henrys Entscheidung lässt sich nicht mehr rückgängig machen, also wirst du ihn von nun an unterstützen.«

Ich seufze. »Muss ich?«

»Du musst«, entgegnet Kat ungerührt. »Er hat nicht auf deinen Rat gehört. Aber was hast du denn erwartet? Wir reden hier von Henry Lloyd.«

»Auch wahr.« Ich seufze erneut, lasse meinen Hinterkopf auf die Couchlehne sinken und starre den Ventilator an, der über meinem Kopf an der niedrigen Decke hängt. Henry fragt mich immer, warum ich in so einer »durchschnittlichen Wohnung« lebe, wenn ich mir doch ein Loft leisten könne. Allerdings mag ich die Durchschnittlichkeit meines Apartments. Wozu brauche ich zehn Zimmer? Ich schaffe es kaum, zwei Räume zu füllen. Ich mag Leere nicht. Sie erinnert nur an all das, was man nicht hat und niemals haben kann.

»Also wirst du dich gut benehmen, wenn er aus England zurückkommt? Tu’s für deine Verlobte.«

Ich werfe Kat einen Seitenblick zu. »Ich kann mich nicht daran erinnern, auf die Knie gesunken zu sein.«

»Hier, wenn du einen Beweis brauchst«, meint Kat lächelnd und hält mir erneut ihr Handy hin. Ich überfliege den Artikel. Eine Quelle aus dem engsten Freundeskreis soll es also verraten haben.

»Denkst du, Henry hat sich einen Spaß erlaubt?«, frage ich.

»Da wir nur einen besten Freund haben und hier vom engsten Freundeskreis die Rede ist, gibt es nur einen Verdächtigen«, antwortet Kat. »Aber ich habe ihn schon gefragt. Er schwört, nichts damit zu tun zu haben. Er ist ein furchtbarer Lügner, also glaube ich ihm. Und wir wissen inzwischen, dass so was manchmal auch einfach erfunden ist.«

Ich nicke. O ja, das wissen wir. Ganz von allein scrolle ich weiter. Eigentlich habe ich mir schon vor Jahren vorgenommen, nie wieder einen Blick in ein Boulevardmagazin oder auf die Websites solcher Promiklatschportale zu werfen. Doch auch wenn man weiß, dass etwas nicht gut für einen ist, kann man sich nicht immer davon fernhalten.

Ich stocke. Ein Bild sticht heraus, brennt sich in meine Netzhaut. Der Text daneben ist bestimmt nicht positiv, aber ich kann mich nicht lange genug von ihrem Gesicht losreißen, um die Worte zu lesen. Dabei ist das Gesicht zur Hälfte von einer großen Sonnenbrille bedeckt.

Vorhin hatte ich alle Gedanken an sie noch unterdrücken können. Nun ist das nicht mehr möglich.

Ich schlucke schwer. Das kleine grüne Notizbuch, das ich immer in meiner Hosentasche bei mir trage, scheint sich auf einmal gegen meinen Oberschenkel zu drücken, und meine Hand ruckt wie von selbst zu meinem Kinn. Gedankenverloren fahre ich über die Narbe. Ein Teil von mir …

Ein Türklingeln reißt mich zum Glück aus meinen Gedanken, bevor ich mit ihnen davondriften kann. Schnell sperre ich das Display und lasse ihr Gesicht verschwinden.

»Wer das wohl ist?«, fragt Kat gespielt unschuldig.

»Kat!«, rufe ich, da ist sie schon zu meiner Wohnungstür gerannt und hat den Türöffner betätigt. Ich stehe von der Couch auf und folge ihr in den Flur. »Kat? Was hast du mir nicht erzählt?«

»Vieles«, sagt sie grinsend und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

Im nächsten Moment klopft es auch schon, Kat drückt die Klinke runter, und dann fliegt die Tür schwungvoll nach innen. Im Rahmen steht niemand Geringeres als Henry Lloyd, ehemaliges Mitglied der britischen Boyband DreamFive und internationaler Frauenschwarm, die Arme ausgebreitet, als würde er bei einem Konzert auf der Bühne stehen und nicht an einem Sonntagmorgen in meinem Apartment.

»Ich bin zurück«, verkündet Henry feierlich und springt dann auf Kat zu, die er in seine Arme schließt. Sie lacht überrascht auf, als er sie dann auch noch herumwirbelt.

»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, meint sie, kaum dass er sie wieder herunterlässt.

Henry wendet sich mir zu. Seine Euphorie verflüchtigt sich ein bisschen. Er schaut mich vorsichtig an, als wüsste er nicht, ob ich ihn gleich wieder aus meiner Wohnung schmeiße. Den Schalk kann er natürlich trotzdem nicht ganz aus seinen braunen Augen vertreiben. Das kann er nie. Ich stoße ein Geräusch aus, das halb Schnauben, halb Lachen ist, und umarme ihn zur Begrüßung.

»Ich bin froh, dass dein Flieger nicht abgestürzt ist«, begrüße ich ihn, und Henry lacht laut auf. Ich lasse ihn los und deute auf sein Gepäck, das er einfach im Hausgang hat stehen lassen. »Das musst du schon selbst reintragen. Wir sind nicht deine Butler.«

Henry grinst breit, fährt sich durch die dunkelblonden Haare und schleppt Koffer und Rucksack rein. Kat schließt die Tür hinter ihm. Auf dem Weg ins Wohnzimmer lässt er es sich nicht nehmen, meinen Boxsack, der im Flur hängt, anzustupsen, damit er mir entgegenfliegt. Ich fange ihn auf und verdrehe die Augen.

»Wie war’s in der Heimat?«, fragt Kat. Sie holt ein drittes Schnapsglas aus meiner kleinen Einbauküche, macht es voll und reicht es ihm. »Du musst aufholen.«

Er lacht erneut und beschwert sich nicht darüber, dass er schon vor dem Mittagessen dazu genötigt wird, Wodka zu trinken, und kippt den Shot einfach runter. Kat und ich machen es uns wieder auf meinem Ledersofa bequem, Henry lässt sich uns gegenüber in den grünen Ohrensessel fallen.

»Ganz lustig«, meint er und verschränkt die Arme hinter seinem Hinterkopf, wie er es immer tut. »Meine Eltern waren nicht so begeistert von den Fernsehteams in ihrem Vorgarten.«

»Warum wohl«, murmele ich in mich hinein und kriege sofort Kats Ellbogen in die Seite gerammt. »Hey!«

»Sei nett«, ermahnt sie mich. »Und du auch!«, richtet sie sich an Henry. »Wir haben uns alle lieb, verstanden?«

»Verstanden«, sagen Henry und ich wie gescholtene Schuljungen.

»Gut«, erwidert Kat zufrieden und fordert Henry auf weiterzureden.

»Aber es war echt witzig«, meint er. »Ich wurde gut umsorgt. Ich hatte schon einen Kaffee in der Hand, bevor ich mir überhaupt einen wünschen konnte. Meine Eltern mussten vor der Kamera darüber reden, was für eine Frau sie sich an meiner Seite wünschen. Wir haben in ihrem Haus gedreht, ein bisschen in London, und schon bin ich zurück.«

Obwohl er breit grinst, wirft er mir wieder einen verunsicherten Seitenblick zu. »Ich weiß, dass du meine Entscheidung, bei Celebrities in Love mitzumachen, nicht gutheißt. Aber ich hoffe, dass du mich trotzdem unterstützen wirst.«

»Habt ihr euch abgesprochen?«, frage ich und sehe von Kat zu Henry und wieder zurück.

»Vielleicht«, antwortet Kat nur schulterzuckend.

Ich seufze. »Du kannst machen, was du willst, Henry. Und wenn du an einer Datingshow teilnehmen willst, dann ist das eben so. Ich habe dir von meinen eigenen Erfahrungen im Reality-TV erzählt. Wenn du nicht auf mich hören willst, ist das deine Sache.«

»Autsch, dieser unterschwellige Vorwurf«, sagt Henry und fasst sich getroffen an die Brust. Er kann nicht anders, er muss aus allem immer einen Witz machen. Aber an seinem unruhig umherwandernden Blick erkenne ich, dass ihm das hier gerade wichtiger ist, als seine scherzhaften Worte vermuten lassen.

»Das musst du aushalten«, erwidere ich, lächle aber versöhnlich. »Du lebst ein paar Monate in einer Villa, und zwanzig Frauen werden sich um dich streiten. Ich muss zugeben, das klingt nicht nach einer schlechten Zeit.«

»Habe ich mir auch gedacht«, sagt er leicht verhalten.

Kat und ich sparen uns einen weiteren Kommentar, denn wir beide wissen, dass Henry nicht bei der nächsten Staffel von Celebrities in Love mitmacht, weil er die wahre Liebe finden will. Er braucht Publicity, und um seine Karriere als Sänger zu retten, ist er bereit, so gut wie alles zu tun.

Kurz breitet sich Schweigen zwischen uns aus. Nur Kats nervöses Fingertrommeln ist zu hören, pausenlos klopft sie auf die Ledercouch. Das kann nur bedeuten, dass sie noch mehr im Schilde führt, als mich an einem Sonntagmorgen mit Henry Lloyds Ankunft zu überraschen. Die Blicke, die die beiden tauschen, bekräftigen meine Vermutung.

»Spuckt es schon aus«, sage ich. »Bringt es hinter euch.«

»Wir sind wohl nicht die Subtilsten, Kat«, erwidert Henry und fummelt umständlich an den Schnallen seiner Lederjacke herum. Die Kandidatinnen der nächsten Staffel haben zwar noch keine Ahnung, um welchen Mann sie sich streiten werden, doch ich denke nicht, dass sie enttäuscht sein werden. Henry hat einen britischen Akzent und ein spitzbübisches Grinsen. Wenn er dann auch noch seine Gitarre auspackt und ein bisschen singt, wird er sie bestimmt alle von sich überzeugen.

»Sprich du nur für dich selbst«, meint Kat, kann ihre Finger aber immer noch nicht stillhalten. »Los, Henry, wolltest du Garett nicht etwas vorschlagen?«

Henry räuspert sich laut, rutscht mehrmals in dem Sessel herum und beugt sich dann vor, um seine Unterarme auf seinen Oberschenkeln abzustützen.

»Ich hatte gehofft, dass du dabei sein könntest.«

Ich runzle die Stirn. »Wovon redest du, Lloyd? Drück dich mal deutlicher aus.«

»Am Set. Dass du während des Drehs auf Hawaii dabei bist. Kat hat schon zugesagt und sich in ein schickes Häuschen am Strand eingemietet. Sie muss zwar endlich mal wieder Zeit im Aufnahmestudio verbringen«, erklärt Henry, woraufhin ihm Kat zwei ausgestreckte Mittelfinger zeigt, »aber immer wenn es passt, schaut sie bei uns vorbei. Ich habe das schon mit den Produzenten abgeklärt. Du könntest mit mir in der Villa wohnen und am Set arbeiten. Wir könnten eine superentspannte, coole Zeit auf Hawaii verbringen. Das wird richtig toll!«

Ich warte darauf, dass Henry mir verkündet, dass er eben einen seiner Witze gemacht hat, die ich nicht verstehe. Doch ausnahmsweise bleibt seine Miene ganz ernst. Ich wusste gar nicht, dass er länger als eine Minute in der Lage ist, sich ein Grinsen zu verkneifen.

»Ich soll am Set von Celebrities in Love arbeiten? Als was?«

»Als Producer«, erklärt Henry. »Du würdest hinter der Kamera mitarbeiten. Die Produzenten waren super begeistert. Ein Edwards am Set einer Reality-TV-Show. Das können sie auch extrem gut vermarkten.«

Damit spricht Henry meine größte Befürchtung aus.

»Mach nicht so ein Gesicht«, sagt Kat, und endlich verstummt ihr nervöses Fingergetrommel. »Hinter der Kamera zu arbeiten anstatt davor, war immer dein Ziel. Also was spricht dagegen?«

Hektisch nickt Henry. »Kat hat recht. Du sagst doch seit Jahren, dass du lieber hinter der Kamera arbeiten willst.« Ich gehe nicht darauf ein, dass das nicht die ganze Wahrheit ist, weil ich sie den beiden nie verraten habe. Es ist sinnlos, von einem Traum zu erzählen, der sich ohnehin nicht erreichen lässt. Zumindest nicht auf die Weise, wie ich ihn erreichen möchte. Wieder wiegen das Notizbuch und die vielen Worte, die ich hineingeschrieben habe, obwohl sie nie ihren Weg von den Seiten in die Welt finden werden, schwer in meiner Hosentasche. Da ich nicht daran denken will, zwinge ich mich dazu, mich auf Henrys Geplapper zu konzentrieren. »Das ist deine Chance! Und ich gebe sie dir, gütig, wie ich bin.«

»Ist ja schon gut«, unterbreche ich ihn, bevor er mir einen Vortrag halten kann. Das liebt Henry. Auch wenn er selten weiß, worauf er eigentlich hinauswill. »Ich bin dabei.«

Henry und Kat springen beide auf, um sich High five zu geben.

»Habt ihr euch zusammen eine Strategie überlegt, um mich in die Sache reinzuziehen?«

»Natürlich«, antwortet Kat nur, grinst und schenkt jedem von uns einen Shot ein. Wir stoßen an. »Und tu nicht so, als würde dir der Gedanke nicht gefallen«, sagt sie an mich gewandt. »Ich kann das Grinsen genau sehen, das du so verzweifelt versuchst zu verstecken.«

»Ich weiß gar nicht, wovon du redest«, sage ich, und wir wissen beide, dass es eine Lüge ist. Tatsächlich fällt es mir gerade schwer, nicht zu lächeln.

Seit Jahren lebe ich von meinem Promistatus. Ich lasse die Dreharbeiten der Show meiner Eltern über mich ergehen, bin erleichtert, wenn ich ein paar Monate meine Ruhe habe, und verbringe diese dann mit Henry und Kat. Aus mehr besteht mein Leben nicht. Alles ist ziellos. Ich bin ziellos. Vielleicht ist es gut, das zu ändern.

Und ich muss aus dieser Wohnung raus, wenn ich den Erinnerungen, die mich heute mal wieder mit besonderer Vehemenz niederdrücken, entfliehen will.

»Dann trinken wir auf deine Zukünftige!«, verkünde ich, und Kat lacht schadenfroh.

Henry verdreht die Augen. »Nicht jeder kann schon so eine wunderbare Verlobte haben wie du«, scherzt er, und Kat hätte ihm für diese Bemerkung vermutlich auch einen Ellbogen in die Seite gerammt, wenn er nicht zu weit weg sitzen würde. Wir stoßen noch einmal an und trinken.

»Welche Fragen haben sie dir zum Dreh schon gestellt? Ob du an die wahre Liebe glaubst?«, fragt Kat.

Henry grinst. »Natürlich. Und wie meine Traumfrau sein muss. Und wie ich mir die perfekte Beziehung vorstelle. Ich musste mir irgendwas ausdenken. Ich meine, was antwortet man schon auf solche klischeehaften Fragen?«

»Wenn du bei einer Datingshow mitmachst, solltest du mit solchen Fragen umgehen können«, sagt Kat.

»Ja, schon klar, aber was antwortet man darauf? Garett, was würdest du sagen?«

Ich streiche über meine Narbe am Kinn. Ein Gesicht will sich vor das meiner Freunde schieben. Ich schüttle den Kopf, als könnte ich sie so loswerden. Inzwischen sollte ich doch eingesehen haben, dass sie es mir niemals so leicht macht.

Unverfänglich lächle ich und hoffe, dass die beiden mein kurzes Zögern nicht bemerkt haben.

»Richte dich mit solchen Fragen bitte an meine Verlobte.« Da ist der Ellbogen wieder. Wir lachen alle, trinken den nächsten Shot und den nächsten, und irgendwann habe ich auch ihr Gesicht wieder aus meinen Gedanken vertrieben.

Zumindest vorerst.

3. KAPITEL

Aphrodite

Die ersten unvorteilhaften Fotos haben mich schon auf meinem Handy erreicht, bevor ich überhaupt zu Hause angekommen bin. Nur wenige Minuten nachdem mir die Paparazzi vor dem Hotel aufgelauert haben, sind die Bilder auf allen Social-Media-Plattformen und Promiwebsites zu finden. Die dazu passenden Artikel haben auch nicht lange auf sich warten lassen.

Es wird von einer heißen Nacht berichtet, die ich nach einer ausschweifenden Party in dem Hotel verbracht haben soll. Irgendein Angestellter, der anonym bleibt, hat irgendwelchen Klatschreportern verraten, dass ich das Gebäude mit Hilary und ihrer männlichen Begleitung betreten habe. Natürlich reicht das schon, um von einem wilden Dreier sprechen zu können.

Ich muss einen Kerl nur anschauen, und am nächsten Tag darf ich irgendwo nachlesen, welche Sexstellung ich mit ihm ausprobiert haben soll. Einige Geschichten, die über mich geschrieben werden, sind wahr, die meisten nicht. Aber das kümmert niemanden. Hauptsache, die Story verkauft Zeitschriften und bringt Klicks. Ich atme gepresst, will mein Handy weglegen, kann aber den Blick nicht von den Worten losreißen, die mich wie ein Schlag in die Magengrube treffen.

Was hat Aphrodite Carter in ihrem Leben eigentlich schon geleistet, außer reich und hübsch auf die Welt gekommen zu sein?

Eine gute Frage, das muss ich zugeben. Ich versuche sie mit einem Schulterzucken und einem Augenrollen wieder loszuwerden. Aber die Bedeutung bleibt. Meine Kehle schnürt sich zu, und Schlucken fällt mir schwer.

Aphrodite Carter, die Königin der Party-It-Girls von Beverly Hills.

Wenigstens bin ich von irgendwas die Königin. Ist das nicht besser, als keine Königin zu sein?

Doch während ich die Worte der Klatschpresse wie Messerstiche im Herz spüre, prallen meine eigenen, beschwichtigenden wirkungslos an mir ab. Sie machen nichts besser. Sie ändern nichts daran, dass mich die Welt genau so sieht. Ich bin eine verzogene Göre, die alles geschenkt bekommen und sich nichts erarbeitet hat. Ich bin die Schlampe, die man sexualisieren, aber niemals respektieren darf. Ich bin gut für eine Nacht, Shoppingtouren und Partys. Und für nichts anderes.

Endlich lege ich mein Handy zur Seite und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ich zwinge mich, tief durchzuatmen. Das sind nur Worte. Das ist alles nicht real. Ich bin real.

Aber als ich die Hände wieder sinken lasse, bin ich mir da nicht so sicher. In meinem Zimmer entdecke ich nichts, was wirklich real ist. Nichts, was wahr oder ehrlich ist. Am wenigstens ich selbst. Ich lebe nicht in einem Haus, ich wohne an einem Set. Das hier ist nicht mein Zimmer, das ist eine Kulisse. Mein Lächeln, das so gut einstudiert ist, dass ich es auch aufsetze, wenn ich allein bin, ist kein aufrichtiger Gesichtsausdruck, es ist eine Maske.

Ich stehe auf und verlasse schnellen Schrittes den Raum. Ich bin barfuß, aber ich trage ein frisches schwarzes Kleid.

Welches Zimmer ich ansteuere, merke ich erst, als ich im Erdgeschoss angekommen bin und die Tür zum Büro meiner Mutter aufstoße. Eigentlich muss man klopfen, wenn man Eintritt in Evelyn Carters Refugium erhalten will. Aber mir lässt sie es durchgehen. Das hat sie schon immer gemacht.

»Hallo, Liebes«, grüßt sie mich. Meine Mutter ist genau wie ich schicker gekleidet, als man es in seinem eigenen Haus sein müsste. Und sie scheint ihre einstudierten Posen und Gesichtsausdrücke ebenfalls nicht einmal ablegen zu können, wenn keine Kameras in der Nähe sind.

Sie hat sich in ihrem Stuhl, auf den jeder Bond-Bösewicht neidisch wäre, zurückgelehnt, die Beine auf dem massiven Schreibtisch verschränkt. Die blutroten Sohlen ihrer schwarzen Pumps springen mir direkt ins Auge. Sie trägt eine Anzughose und eine weiße ärmellose Bluse. Fehlt nur noch ein Whiskeyglas in ihrer rechten Hand, und die Szene wäre perfekt. Doch in der rechten Hand hält sie wie immer ihr Smartphone. Sie legt es nie zur Seite. Vermutlich nimmt sie es sogar mit unter die Dusche. Es kommt mir vor, als wäre es schon vor Jahren an ihrer Hand festgewachsen und ließe sich nur noch chirurgisch entfernen.

Ich reagiere nicht auf ihre Begrüßung, ich schließe die Bürotür hinter mir und lehne mich an das massive Holz. Ihr Arbeitszimmer ist schalldicht. Als Kinder haben wir immer versucht zu lauschen, weil wir schon damals erkannt haben, dass alles, was hier geschieht, wichtig ist. Dieser Raum ist die Einsatzzentrale unserer Familie, aber kein Ton dringt nach draußen.

»Ich habe die Artikel gesehen«, sagt meine Mutter. Ich muss ihr nicht erzählen, was los ist, sie weiß es auch so. »Lass dich davon nicht runterziehen. Was habe ich dir beigebracht? Es gibt nur …« Sie hält inne und schaut mich abwartend an.

»… gute Publicity«, vervollständige ich den Satz, wie die folgsame Tochter, die ich nun mal bin. Ich seufze, stoße mich von der Tür ab und setze mich auf einen der Samtsessel vorm Schreibtisch meiner Mutter. Alle Zimmer in unserem Haus sind hell, mit großen Fenstern, und wirken sehr offen. Doch Moms Büro besteht nur aus dunklem Holz und massiven Möbeln. Es ist der einzige Raum, der nie in unserer Show zu sehen ist. Obwohl er groß ist, wirkt er wegen der sehr kleinen Fenster immer ein bisschen gedrängt. Ich kann nicht einmal sagen, wieso, aber hier fühle ich mich am wohlsten. Vielleicht weil es der einzige Ort auf der Welt ist, wo mich Fernsehkameras nicht finden können.

»Du weißt doch, dass uns jedes Foto höhere Einschaltquoten bringt. Das ist Gratiswerbung für uns, Liebes.« Meine Mutter nennt mich Liebes, weil sie mich nach der griechischen Göttin der Liebe benannt hat. Sie wollte ihren Kindern außergewöhnliche Namen geben, mit klarer, kraftvoller Bedeutung. Deswegen haben ihre Töchter die Namen griechischer Göttinnen erhalten, und meine Brüder wurden nach römischen Kaisern benannt.

Manchmal glaube ich, dass diese Namen uns verflucht haben. Dass ihre Bedeutung uns heimsucht. Dass mein Liebesleben das ist, was es ist, weil das Universum sich einen Spaß erlaubt. Einen Sinn für Ironie muss es auf jeden Fall haben.

»Ich weiß …«, bringe ich über die Lippen, weiche dem Blick meiner Mutter aber aus, »… trotzdem ist es …«

»… verletzend«, vervollständigt sie nun meinen Satz für mich.

Ich nicke knapp. »Ich glaube, das Schlimmste ist«, ich stocke, fahre mir durch meine langen schwarzen Haare und kämpfe mit jeder Silbe, weil es manchmal nichts Schmerzhafteres als die Wahrheit gibt, »dass sie recht haben.«

Meine Mutter nimmt die Füße vom Tisch. Ich soll ihre Schuhe eines Tages erben. Das hat sie mir an meinem zwölften Geburtstag versprochen. Komischerweise habe ich inzwischen auch genau dieselbe Schuhgröße, was meine Mom natürlich damals noch nicht wissen konnte. Oder vielleicht doch? Evelyn Carter hat Fähigkeiten, von denen die meisten Menschen nur träumen können.

Sie läuft um den Tisch herum und setzt sich auf den Samtsessel neben meinem. Dann beugt sie sich zu mir rüber und nimmt meine Hände in ihre. »Liebes, sieh mich an.«

Ich seufze, zögere eine Sekunde und komme ihrer Bitte dann doch nach.

»Sie haben nicht recht.« Ich will ihr widersprechen, doch sie schüttelt entschieden den Kopf. Einer Evelyn Carter fällt man nicht ins Wort. »Du bist eine wunderschöne, intelligente, starke Frau. Ich meine, wie könntest du es auch nicht sein? Du bist meine Tochter. Und du kommst nach mir.«

Ich lächle schwach. Das ist ihre Art, ich liebe dich zu mir zu sagen. Schon seit ich ein kleines Mädchen bin, flüstert sie mir zu, dass ich das Kind bin, das ihr am ähnlichsten ist. Und ich kann nicht anders, als mich beim Klang dieser Worte ein bisschen stolz zu fühlen.

Doch das Gefühl hält nicht lange an. Jede Person, die je etwas über mich geschrieben hat, scheint zu einer Stimme in meinem Hinterkopf zu werden.

»Aber ich habe wirklich nichts vorzuweisen«, sage ich mit leicht zitternder Stimme. »Ich bin einundzwanzig Jahre alt und habe mir noch nichts aufgebaut. Mein Leben ist unsere Show. Aber sollte es nicht mehr für mich geben? Etwas Eigenes. Etwas, mit dem ich zeigen kann …« Ich stocke und beende den Satz nur in meinen Gedanken: dass ich nicht nutzlos bin.

Meine Mutter lässt meine Hände los, steht auf und geht dann in ihrem Büro auf und ab. Ihre Absätze klacken auf dem teuren Parkettboden. Das Geräusch sollte nerven, doch mich beruhigt es.

»Du musst niemandem etwas beweisen«, sagt meine Mutter. Ihre Augen fixieren einen Punkt in der Ferne, den nur sie ausmachen kann. Ich kenne diesen Blick. Das heißt, dass sich eine Idee in ihrem Kopf formt. Eine gute. Eine geniale. Wie von selbst setze ich mich aufrechter hin. »Nicht den Medien, nicht der Öffentlichkeit. Nicht mir.« Sie bleibt stehen und schaut mir dann direkt in die Augen. »Aber wenn du etwas tun willst, für dich, weil du es willst, weil du dir selbst etwas beweisen willst: Dann tu das.«

Ich warte darauf, dass sie weiterspricht, da ich weiß, dass sie mit ihrer Ausführung noch nicht fertig ist. Diese dramatischen Pausen hat sie sich über die Jahre im Rampenlicht angewöhnt.

»Du wolltest doch immer hinter der Kamera arbeiten«, fährt sie fort, und ein sanftes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. Meine Mom lächelt nie breit. Das gäbe Falten. »Als kleines Kind musste ich dich quasi vor die Kamera zerren, weil du lieber Zeit mit den Produktionsassistenten verbracht hast als mit deiner eigenen Familie. Du hast Kabel getragen, bist dem Drehteam den ganzen Tag nicht von der Seite gewichen, hast unseren Kameraleuten über die Schultern gesehen. Du kanntest jeden Namen, vom Regisseur bis zum Set-Runner.« Das Lächeln meiner Mutter schwindet. »Aber irgendwann hast du damit einfach aufgehört. Was ist passiert?«

Ich bin älter geworden, denke ich. Und mein Image ist mit mir zusammen älter geworden. Jedes Mitglied unserer Familie spielt nun mal eine Rolle. Und weil ich die mit den knappen Kleidern und der geleakten Geschichte über mein erstes Mal bin, war schnell klar, welche Rolle ich verkörpern würde. Jeder, der neu an den Set unserer Show gekommen ist, von der Tontechnikerin bis zum Stylisten, kannte dieses Image. Sie haben geglaubt, dass sie wüssten, wer ich bin, bevor sie mich kennengelernt haben. Und ich habe nicht versucht, sie umzustimmen. Ich habe nicht länger die Namen der Crewmitglieder gelernt, ich habe keine Fragen mehr gestellt, ich bin vor der Kamera geblieben.

Doch nichts davon sage ich meiner Mutter.

»Keine Ahnung«, setze ich an und zupfe imaginäre Fussel von meinem Kleid. »Aber es hat mir früher immer sehr viel Spaß gemacht. Das stimmt.« Ich erinnere mich daran zurück, dass mich die Crew behandelt hat, als wäre ich eine von ihnen, obwohl ich noch ein kleines Mädchen war. Ich hatte Insiderwitze mit der Aufnahmeleiterin, der Regisseur hat mir seine Arbeit bis ins kleinste Detail erklärt. Ein zurückhaltendes Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. »Ich habe jeden mit meinen Fragen genervt. Ich wollte alles wissen, weil ich Regisseurin werden und Filme drehen wollte.« Mein Lächeln schwindet. Es gab eine Zeit, als ich mir gestattet habe, an diesen Traum zu glauben, und er sich so real angefühlt hat.

»Das könntest du immer noch machen«, sagt meine Mutter und setzt sich wieder auf ihren Schreibtischstuhl.

»Klar, die Berufserfahrung, die ich als Zwölfjährige gesammelt habe, wird bestimmt viele Produktionsfirmen beeindrucken. Besonders wenn sie die neusten Storys über mein Partyleben und meine weggesoffenen Gehirnzellen lesen.«

»Liebes«, ermahnt meine Mutter mich streng. »Vergiss diese Magazine, vergiss die Fotos.«

»Einfacher gesagt als getan«, murmle ich. »Wer würde mich einstellen?«

»Ich könnte dich einstellen«, entgegnet meine Mom. »Zufällig bin ich die Besitzerin einer großen Produktionsfirma. Ich bin Evelyn Carter, schon vergessen?«

»Wie könnte ich?«

»Richtige Antwort.« Sie riskiert trotz eventueller späterer Falten ein breiteres Lächeln.

»Aber ich kann nicht für dich arbeiten, Mom. Ich will nicht, dass du mir einen Job in deiner Firma besorgst, ich will ihn mir verdienen. Ich will mich beweisen«, erwidere ich. »Ich will ihnen allen zeigen, dass sie falschliegen.« Endlich hat meine Stimme den zitternden Unterton verloren. Kurz ist sie fest und bestimmt. Ich balle meine Hände zu Fäusten, als wollte ich die Gründe, warum meine alten Träume gestorben sind, darin zerdrücken, bis nur noch die Träume und die Entschlossenheit, sie auch zu verfolgen, zurückbleiben.

»Das wollte ich hören«, sagt meine Mutter. »Ich könnte dich natürlich zur Produzentin unserer Show oder irgendeiner anderen Sendung meiner Produktionsfirma machen. Bei Dance Night oder Love for Three hättest du bestimmt deinen Spaß. Aber du hast recht. Du musst bei einem Format einsteigen, das nichts mit mir zu tun hat. Und du könntest nicht direkt als Regisseurin oder Produzentin arbeiten. Wenn dein Erfolg deiner sein soll, dann musst du unten anfangen. Wärst du dazu bereit?«

»Ja«, antworte ich sofort. Auf einmal fühle ich mich ein bisschen freier und ein bisschen stärker. Meine Ziele. Meine Träume. Vielleicht sind sie genau das, was ich brauche, um all das loszuwerden, was mich feige macht.

»Gut, dann habe ich was für dich«, meint meine Mutter. »Ich kenne den Produzenten von Celebrities in Love. Die Dreharbeiten beginnen in zwei Wochen. Wenn ich ein gutes Wort einlege, dann findet sich bestimmt ein Job am Set für dich. Du könntest Producerin sein oder die Kandidatinnen betreuen. Ich würde dir zwar helfen, den Job zu bekommen, aber danach wärst du ein ganz normales Crewmitglied, und ich habe bei der Show nicht meine Finger drin. Was du dort machst, wäre dein Verdienst. Und wer weiß, was in ein paar Jahren daraus werden kann?«

»Denkst du wirklich, das würde klappen?«, frage ich atemlos.

»Auf jeden Fall«, antwortet meine Mom und zwinkert mir zu. Sie legt ihre Beine wieder auf dem Schreibtisch ab, verschränkt sie an den Knöcheln, lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und drückt ihr Handy an ihr Ohr. Wenn sie so lässig vor mir sitzt, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ihr zu glauben.

Ich verharre auf dem Sessel, klemme meine Hände zwischen meine Knie, um sie am Zittern und meine Beine am Wackeln zu hindern. Meine Mutter telefoniert mit dem Produzenten von Celebrities in Love, macht ein bisschen Small Talk, lacht und zwinkert mir immer wieder zu. Ich warte, bis sie das Smartphone sinken lässt, und starre sie erwartungsvoll an. Meine Mutter lässt sich Zeit, mich aufzuklären. Jeder Muskel in meinem Körper scheint angespannt zu sein.

»Und?«, frage ich, als ich die Stille und das wissende Grinsen meiner Mutter nicht mehr aushalte.

»Was denkst du denn? Hast du jemals an mir gezweifelt? Willkommen bei Celebrities in Love, Liebes.«

Mir entfährt ein Freudenschrei, während ich vom Sessel aufspringe. »Danke«, bringe ich aufgeregt hervor.

»Du wirst das richtig toll machen. Das weiß ich«, sagt meine Mutter.

Ich grinse, denn spontane Freudenausbrüche sind eigentlich gar nicht mein Ding. Ich weiß nicht, ob ich in meinem Leben schon jemals einen so albernen Ton wie diesen Schrei von mir gegeben habe. Es ist lange her, dass ich einen Anlass dafür hatte.

Als ich das Büro meiner Mutter hinter mir lasse, fühle ich mich anders als beim Betreten. Meine Lungen scheinen sich auf einmal mit mehr Luft zu füllen, mein Körper vibriert vor Tatendrang. Und ich lächle. Nicht das antrainierte Lächeln, das ich nicht mehr abstellen könnte, selbst wenn ich es wollte. Sondern ein echtes. Ein aufrichtiges. Ein ehrliches. Vielleicht, nur vielleicht, wendet sich doch alles zum Guten.

4. KAPITEL

Aphrodite

Es wendet sich nicht alles zum Guten. Das ist mir schon wenige Stunden nach meiner Landung unmissverständlich klar geworden oder, besser gesagt, klar gemacht worden.

Als ich nach einem sechsstündigen Flug von Los Angeles nach Honolulu aus dem Flughafen in die Sonne Hawaiis hinausgetreten bin, habe ich tief durchgeatmet. Auch der Zigarettenrauch, den mir die Frau neben mir direkt ins Gesicht gepustet hat, konnte den starken Geruch nach Neuanfängen, der in der Luft hing, nicht überdecken. Ich habe mir einfach meine riesige schwarze Sonnenbrille, die mein halbes Gesicht verdeckt, und die Kappe, die über den Rest einen Schatten wirft, gerade gerückt und bin weitergelaufen.

Meinen Glauben daran, dass diese Zeit bei Celebrities in Love ein Wendepunkt für mich sein könnte, habe ich auch nicht verloren, als mir nicht zwei, nicht drei, sondern vier Taxis vor der Nase weggeschnappt wurden. Ich bin ruhig geblieben, habe den Geruch nach Neuanfängen noch einmal tief eingeatmet und bin immer noch lächelnd in das fünfte Taxi eingestiegen.

Bei der Ankunft im Hotel, in dem die ganze Crew die nächsten Monate verbringen wird, strahlte ich auch noch übers ganze Gesicht. Selbst als ich meine Koffer fünf Stockwerke hochgeschleppt habe, weil die Aufzüge ausgefallen sind und ich niemanden um Hilfe bitten wollte, habe ich meinen Glauben nicht verloren. Ich habe meinen rechten großen Zeh zwischen Stufe und Koffer eingeklemmt. Auch kein Problem für meine resolute gute Laune. Selbst die Fahrt zum Set hat sie überlebt, obwohl der Fahrer keinen Orientierungssinn hatte. Weswegen ich nach fünf Umwegen zu spät ankam.

All das konnte mir meinen Neuanfang nicht verderben. Mein Lächeln hat all das überlebt. Doch es hat nur zwei Sätze meines Bosses gebraucht, und es ist mir einfach aus dem Gesicht gefallen. Ich kenne ihn erst seit wenigen Minuten, und doch hat der Charme von Logan West, dem Executive Producer von Celebrities in Love, schon volle Wirkung gezeigt. Er kann jedes Selbstbewusstsein unter wenigen Worten zermalmen, bis nur noch feiner Staub zurückbleibt, den der Wind an der Küste von Hawaii in den Weiten des Ozeans verteilt.

»Ich tue hiermit deiner Mutter einen Gefallen. Nur damit das klar ist«, sagt er bei Weitem nicht zum ersten Mal, während er zielstrebig über den Set läuft und ich Mühe habe, mit ihm Schritt zu halten. Er hat ein Headset am Ohr klemmen, bellt ab und an Befehle dort hinein und manchmal einfach quer über den Platz. Die Dreharbeiten beginnen erst morgen. Aber heute wird der Set vorbereitet, und das Chaos, das hier herrscht, kommt mir sehr bekannt vor. Weil Logan keine Sekunde stehen bleibt, geschweige denn nachsieht, ob ich überhaupt noch neben ihm bin, bleibt mir kaum Zeit, die Aussicht zu genießen. Die Villa, in der die Frauen untergebracht werden sollen, befindet sich direkt am Strand. Die Fassade ist hell und gepflegt, die Dachziegel rot. Der Garten ist genauso weiträumig wie das Innere des Hauses. Dieser Ort könnte idyllisch sein, wenn nicht die Stimmen vieler sehr hektischer Menschen das beruhigende Rauschen des Meeres übertönen würden.

»Mit Evelyn Carter sollte man sich immer gut stellen«, wendet sich Logan nach einigen Minuten, die ich ihm beim Rumschreien und Rumkommandieren zugeschaut habe, wieder an mich. Diesem Statement kann ich nicht widersprechen.

In der Auffahrt stehen mehrere schwarze SUVs, die Crewmitglieder von Ort zu Ort fahren. Die Villa des diesjährigen Stars, ehemaliges Boyband-Mitglied mit gescheiterter Solokarriere Henry Lloyd, liegt nur eine Meile von hier entfernt. Nah genug, dass die Crew schnell von einem Drehort zum nächsten gelangt. Weit genug weg, dass die Frauen nicht auf die Idee kommen, ihn außerhalb des Drehs zu überfallen. Scheint wohl schon mal passiert zu sein. Aber ich bin mir nicht sicher. Denn Logan springt schnell von Thema zu Thema. Ob ich ihm gedanklich folgen kann, ist ihm offensichtlich auch egal.

Vor der Einfahrt wird ein roter Teppich ausgerollt. Die Villa wird noch mal von oben bis unten geputzt, und im großflächigen Garten wurde ein Container aufgebaut, in dem das Equipment und die sogenannte Kommandozentrale des Drehs untergebracht sind. Auf diesen steuert Logan nun zu. Obwohl er bestimmt fünfzehn Jahre älter ist als ich und ein Wohlstandsbäuchlein vor sich herträgt, ist er nicht so außer Atem wie ich. Mein einziger Trost ist, dass auch ihm Schweiß über die Stirn rinnt. Auf seiner perfekt rasierten Glatze bricht sich das einfallende Sonnenlicht und würde mich vermutlich blenden, wenn ich mir nicht meine Sonnenbrille vor die Augen geschoben hätte.

»Du hast keinerlei Erfahrung hinter der Kamera, deswegen erwarte ich jetzt einfach mal nicht zu viel. Aber wer weiß, vielleicht überraschst du mich ja. Doch ich rechne nicht damit.« Beeindruckend, wie schnell dieser Mann von Beleidigung zu Kompliment und zurück zu Beleidigung wechseln kann. Er macht sowieso alles, was er tut, beeindruckend schnell. Jeder Schritt, jede Geste, jedes Wort ist hektisch. Als könnte er sich nicht einmal für ein schlichtes Danke schön Zeit nehmen, auch nicht für die Assistentin, die ihm einen Kaffee in die Hand drückt. Er geht einfach weiter, ohne sie eines Blickes zu würdigen. »Aber natürlich«, richtet er sich wieder an mich, nachdem er sich das Getränk so schnell runtergekippt hat, wie von ihm zu erwarten war, und sich fürchterlich die Zunge verbrannt hat, was ebenfalls niemanden überrascht, »lässt sich die Anwesenheit einer Aphrodite Carter auch für meine Zwecke nutzen, und das werde ich. Wir werden dich in die Vermarktung einbeziehen. Die Folgen werden ja schon ausgestrahlt, während die Dreharbeiten noch laufen. Also würde in ein paar Wochen schon eine Publicitytour anstehen, inklusive Talkshows, wo du über deine Erfahrungen am Set redest. Geht das klar?« Sein Tonfall legt nahe, dass es eine richtige und falsche Antwort auf diese Frage gibt, und an meinem ersten Tag habe ich nicht vor, die falsche zu geben.

»Das geht klar.«

Er nickt. Auch das viel zu hektisch. Wenn er nicht aufpasst, zerrt er sich noch einen Muskel im Nacken. »Und natürlich werden wir dich ab und an auch mal vor die Kamera stellen. Du wirst offiziell die Unterstützerin der Kandidatinnen sein. Ein Reality-TV-Profi hilft den Anfängerinnen mit den Kameras warm zu werden. Bla, bla, bla.« Für diesen Kerl bin ich also publicitywirksame Deko. Gut zu wissen, wo man steht.

»Verstanden?«

»Verstanden«, sage ich trotzdem brav. Vielleicht traut er mir noch nichts zu, aber das heißt ja nicht, dass ich ihn nicht vom Gegenteil überzeugen kann.

»Gut, dann werde ich dir mal deinen Kollegen vorstellen. Obwohl, ihr kennt euch eigentlich schon. Wie dem auch sei. Wenn die Kandidatinnen jemanden zum Händchenhalten brauchen, braucht den natürlich auch unser Star. Und besser als ein Reality-TV-Star sind bekanntlich zwei.«

Ich schiebe mir meine Sonnenbrille in die Haare und folge ihm zügig in den Container, in dem Leute herumwuseln, Kameraequipment vorbereitet wird und große Bildschirme aufgebaut werden. Hier gibt es zum Glück eine Klimaanlage. Aber ich vermute, dass Logan sie nicht seinen Angestellten zuliebe installiert hat, sondern um das Equipment daran zu hindern, warmzulaufen und auszufallen. Logan West mag vieles sein. Ein Menschenfreund ist er nicht.

»Ah, da bist du, Garett. Ihr kennt euch ja schon seit Jahren. Also spare ich mir jetzt die sinnlosen Vorstellungsphrasen.«

Die Erwähnung dieses Namens reicht aus, um mich sofort am Boden festzufrieren, was bei diesen heißen Temperaturen unmöglich sein sollte. Logan ist an einen Mann herangetreten, der mir nur seinen muskulösen Rücken, der in einem schlichten weißen Shirt steckt, zugewandt hat. Obwohl ich mir einreden will, dass es viele Garetts auf dieser Welt gibt, erkenne ich ihn sofort. Dass es dafür nur seinen Rücken braucht, macht die Situation nicht einfacher.

Er dreht sich zu mir um. Und erstarrt ebenfalls. Seine Augen weiten sich, und seine Brust hebt und senkt sich abrupter, als müsste er mit jedem Atemzug, den er in meiner Gegenwart tut, kämpfen. Dass er von meinem Auftreten genauso kalt erwischt wurde wie ich von seinem, ist nur ein kleiner Trost. Es ändert schließlich nichts an der Tatsache, dass er immer noch in diesem Container steht.

Als ich erfahren habe, dass Henry Lloyd der Star der diesjährigen Staffel von Celebrities in Love sein würde, war mein erster Impuls, die ganze Sache wieder abzublasen. Die beiden sind enge Freunde, Henry weiß Dinge über mich, von denen er nichts gehört haben sollte. Doch da er ein umgänglicher Typ und nie ein böses Wort zwischen uns gefallen ist, habe ich mir eingeredet, dass es am Set wegen meiner Vergangenheit zu keinen Spannungen kommen wird. Dass er seinen besten Freund wie seinen Lieblingsteddy mit nach Hawaii nehmen würde, hätte ich wirklich nicht ahnen können. Die beiden sind erwachsene Männer, nicht Kinder auf einer Klassenfahrt.

Doch all diese panischen Gedanken, die mir mit hundert Meilen pro Stunde durch den Kopf jagen, können nichts an der Tatsache ändern, dass Garett immer noch vor mir steht.

Ich mustere ihn. Suche ich nach Zeichen, die mir beweisen, dass er so ist wie früher oder dass er sich verändert hat? Seine braunen Haare hat er kurz geschnitten, seine Augen leuchten blau, und die Narbe an seinem Kinn durchtrennt noch immer sauber seinen Dreitagebart.

Ich kann das nicht, schießt es mir durch den Kopf. Am liebsten würde ich davonrennen. Das wäre so viel einfacher, als hier stocksteif zu verharren. Doch wenn ich jetzt wegrenne, dann beweise ich nicht nur, dass alle negativen Sachen, die jemals über mich geschrieben wurden, wahr sind, sondern auch, dass Garett Edwards daran schuld ist.

Wir starren uns schon viel zu lange an, ohne was zu sagen. Und wir sind nicht allein. Ich bin mir aller Blicke bewusst, die gespannt auf uns ruhen. Also zwinge ich mich, mein arrogantes Lächeln aufzusetzen und alle Gefühle, die Garett Edwards in mir auslöst, in meinem Inneren einzusperren.

»Hallo, Edwards.« Wir haben drei Jahre lang kein einziges Wort miteinander gewechselt. Dass dies die ersten nach so einer langen Zeit sind, fühlt sich falsch an.

Meine Begrüßung, die genauso arrogant klingt, wie mein Lächeln aussieht, scheint Garett aus seiner Starre zu reißen. Auch er setzt ein unverfängliches Grinsen auf, das nicht preisgibt, was in ihm vorgeht.

»Hallo, Carter«, sagt er mit dem leicht herausfordernden Tonfall, der von einem Edwards erwartet wird, wenn er auf ein Mitglied der Carter-Familie trifft. »Ich würde ja sagen, dass ich mich freue, dich zu sehen, aber …«

»Aber dann müsstest du lügen. Verstehe genau, was du meinst«, gebe ich zurück.

»Die Carter-Edwards-Rivalität. Also das nenne ich mal gutes Reality-Fernsehen«, sagt Logan. Das erste Mal, seitdem ich ihn kennengelernt habe, klingt er wirklich zufrieden.

»Die Carters wissen doch gar nicht, was gutes Fernsehen ist«, erwidert Garett ganz automatisch.

Solche Phrasen mussten wir alle auswendig lernen. Unsere Familien haben jahrelang Cross-over-Folgen gedreht, und unsere Eltern waren enge Freunde – solange es ihnen genutzt hat. Als eine Cross-over-Folge keine Garantie für hohe Einschaltquoten mehr war, haben meine Mutter und Garetts Vater die Strategie geändert. Sie haben einen riesigen Streit inszeniert, ihre Kinder zu den Hauptakteuren in dieser Fehde gemacht und jedes öffentliche Zusammenstoßen eines Carters und eines Edwards in eine gewaltige Show verwandelt. Doch die Sache mit gespieltem Hass ist die: Wenn man andere Menschen oft genug öffentlich bloßstellt und beleidigt, wird aus einer erfundenen Rivalität schnell eine echte. Dann vergessen alle Beteiligten, dass sie das nur spielen sollten, und Beleidigungen kommen ein bisschen zu leicht über die Lippen. Aber ich weiß, dass Garett und ich die Letzten sind, die dieser Farce ein Ende setzen können. Also spiele ich einfach mit.

»Wieso bist du eigentlich hier, Edwards? Dich wollten sie nicht als Star einstellen, weil sie wussten, dass die Frauen sich dann nicht genug anstrengen?« Ich kann die Anwesenden aufgeregt flüstern hören. Niemand macht mehr seine Arbeit, da wir ihnen gerade besonders gute Unterhaltung bieten. Bestimmt zuckt in diesem Moment nicht nur einem der Kameraleute der Finger, weil er uns aufnehmen will.

»Ich bin bereits in festen Händen, Carter. Schon vergessen?«

Nein, natürlich habe ich das nicht vergessen. Und dass er mir das auch noch direkt ins Gesicht sagt … Nur mit Mühe halte ich meine Hände davon ab, sich zu Fäusten zu ballen.

»Ach ja, da habe ich, glaube ich, was gelesen. Muss ich dir jetzt zu deiner Verlobung gratulieren?« Ich bin es gewohnt, angesehen zu werden. Ich kann das Jucken ignorieren, das Tausende Augenpaare auf der Haut hinterlassen. Doch es fällt mir schwerer, wenn Garett die gleiche Luft atmet wie ich.

»Glaub nicht alles, was du im Internet liest.« Kurz flackert etwas in seinem Blick auf. Als er es wieder versteckt hat, würde ich am liebsten vor Erleichterung seufzen. Dieses kleine Funkeln in seinen blauen Augen hat mich an zu vieles erinnert, an das ich nicht mehr denken möchte.

»Guter Rat, vielen Dank, das werde ich mir merken. Da wäre ich ja nie selbst draufgekommen«, sage ich, und meine Stimme trieft vor Sarkasmus. Ein Hauch mehr, und er tropft vor mir auf den Boden, weil meine Worte einfach nicht mehr in sich aufnehmen können.

»Das weiß ich«, erwidert Garett, und sein böses Grinsen sieht so echt aus, dass ich wirklich nicht mehr weiß, ob es nur gespielt ist. Vielleicht hat auch Garett vergessen, dass unsere Eltern sich die Fehde gemeinsam bei einer Flasche Wein ausgedacht haben. Oder vielleicht bedenkt er mich mit diesem Blick nicht, weil ich eine Carter bin, sondern aus Gründen, die nichts mit unseren Familien zu tun haben. Das wäre noch schlimmer. Viel schlimmer.

»Und warum bist du hier? Schaffen du und Henry Lloyd es nicht einmal ein paar Monate, getrennt zu sein?«, frage ich laut, damit ich mich nicht mehr mit den stummen Fragen, die mich niederdrücken, auseinandersetzen muss.

»Das Gleiche wollte ich dich auch fragen. Bist du etwa eine der Kandidatinnen? Tja, manche müssen wohl ins Fernsehen, weil sie Liebe nicht in der echten Welt finden können.«

Ich schlucke schwer. Meine Hände zittern so stark, dass ich sie tief in den Taschen meiner Jeansshorts vergraben muss, damit es niemand bemerkt. Meine Augen fixieren Garetts. Sein Wangenmuskel zuckt kurz. Ob er gemerkt hat, dass er einen Schritt zu weit gegangen ist? Ich habe keine Ahnung. Ich kenne ihn nicht mehr. Der Garett Edwards, den ich kannte, hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als so was zu mir zu sagen. Er sieht vielleicht aus wie früher, aber er hat sich verändert. Diese Erkenntnis legt sich wie ein eisernes Band um mein wild schlagendes Herz. Ich bilde mir ein, bei jedem Schlag zu spüren, wie es an diesem Band reißt, das es nicht mehr loslassen will.

»Ich kümmere mich um die Kandidatinnen, sammle Erfahrungen hinter der Kamera. Du weißt schon. Ich baue mir eine Karriere auf. Nicht alle von uns wollen für immer vom Ruhm unserer Eltern leben.«

Garett ignoriert meinen letzten Satz. Sein Blick wird weniger abweisend, und ich flehe ihn stumm an, jetzt nicht nett zu mir zu sein. Wer weiß, was alles zum Vorschein kommen kann, wenn er nicht aufpasst.

»Eine Karriere hinter der Kamera?« Seine Stimme hat ihren herausfordernden Unterton verloren. Garett klingt ehrlich interessiert, geradezu freundlich. Wenn jemand wüsste, worauf er achten muss, würden diese fünf Wörter ihm sehr viel über Garett und mich verraten. Dinge, von denen niemand jemals erfahren darf.

Das ist der Moment, in dem sich Logan West wieder einmischt. Er scheint nur zufrieden zu sein, wenn sich Menschen fast an die Kehlen springen. Diesen weder unfreundlichen noch unverschämten Satz kann er nicht tolerieren. Nicht an seinem Set.

»Ich habe eine Idee. Eine grandiose Idee«, verkündet er und tritt zwischen uns. Er dreht sich zu mir, dann zu Garett, dann wieder zu mir, und schließlich wendet er sich an alle Anwesenden. »Wie wäre es mit einem kleinen Spiel, um uns die nächsten Wochen zu versüßen?«

Mein Körper spannt sich an. Ich kenne Logan West nicht einmal eine Stunde, doch eines ist mir bereits klar geworden: Er versüßt sich seine Zeit nicht wie andere Menschen. Ihm versüßen nicht Hundewelpen, nette Worte oder gute Musik den Tag. Nein. Was ihm die Zeit bei den Dreharbeiten versüßen kann, sind Tränen, lautstarke Streitereien und, wenn er Glück hat, kleinere Handgreiflichkeiten, die keine Verletzungen nach sich ziehen, für die er verklagt werden könnte.

»Eine Carter und ein Edwards an meinem Set. Das sollten wir nutzen. Diese Rivalität ein bisschen anstacheln. Endlich herausfinden, welche Familie wirklich die Herrscher über das Reality-TV sind.« Er macht eine dramatische Pause, die mich an meine Mutter erinnert. »Eine Wette.«

»Eine Wette?«, fragt Garett misstrauisch und zieht die Augenbrauen hoch.

»Eine Wette«, wiederholt Logan West zufrieden und reibt sich die Hände. »Wer es schafft, mir die Show zu liefern, die ich will, gewinnt.« Er lässt seine Arme über seine Umgebung schweifen. »Und der Preis ist meine Unterstützung. Den, der mich überzeugt, werde ich fördern und dessen Karriere voranbringen. Denjenigen werde ich bei all meinen Kontakten in der Branche in den höchsten Tönen loben. Dann habt ihr einen Fürsprecher, der sich nicht den Nachnamen mit euch teilt. Ist das nicht der Grund, warum ihr hier seid?« Bei diesen Worten sieht er mir direkt in die Augen. Er hat mich durchschaut. Ihm ist klar, wie wichtig es mir ist, mich zu beweisen. »Der, der es schafft, die Gewinnerin der diesjährigen Staffel aufzubauen und hervorzubringen, gewinnt. Seid ihr dabei?«

Ich verschwende keinen Blick an Garett, weil diese Entscheidung nichts mit ihm zu tun hat. »Ich bin dabei.«

Ein paar Leute aus der Crew jubeln, und als Garett knapp nickt, klatschen sie auch noch.

»Das werden spannende Monate, was meint ihr?«, fragt Logan seine Leute, die schon jetzt Wetten abschließen, wer der Sieger sein wird. Dass die meisten auf Garett tippen, ignoriere ich. Nur ein paar Menschen mehr, denen ich es beweisen muss. Darauf kommt es auch nicht mehr an.

»Besiegelt die Wette mit einem Handschlag«, fordert Logan Garett und mich auf und tritt zur Seite, damit wir aufeinander zugehen können. Zögerlich mache ich einen Schritt nach vorn, und noch zögerlicher halte ich ihm meine Hand entgegen. Garett zögert auch. Aber ich glaube, dass nur ich das wahrnehme. Er sieht mir in die Augen, und dann schließen sich seine Finger um meine. Kurz versinkt die Welt um uns herum. Stimmen verklingen, die Menschen verschwimmen.

»Möge der Bessere gewinnen«, flüstert Garett. Seine Stimme ist rau, was das Prickeln, das seine Berührung ausgelöst hat, noch verstärkt.

Autor

Fam Schaper
<p>Fam Schaper beschäftigt sich schon ihr ganzes Leben mit Texten. Nach dem Schulabschluss arbeitete sie als Journalistin und machte neben ihrem Studium ein Volontariat bei einer Zeitung. Doch seit ihrer Kindheit lassen sie vor allem ihre eigenen Geschichten nicht los. Sie verlässt das Haus nie ohne ein Notizbuch, weil ihre...
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