Das Abenteuer dieser Nacht

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Jareds gefährlichste Waffe soll sein sexy Lächeln sein? Für Geheimdienst-Chefin Rowan kein Problem, schließlich ist es ihr Job, die selbstherrliche Fassade ihrer Agenten zu durchschauen. Und tatsächlich, anstatt über seinen Auftrag zu berichten, beginnt der gefährlich gutaussehende Jared mit ihr zu flirten - doch dieses Spiel beherrscht die schlagfertige Rowan genauso gut! Kein Wunder, dass zwischen ihnen die Funken sprühen: in ihrem Büro ebenso wie in seinem Bett! Bis Jared spurlos verschwindet und Rowan fühlt, dieser Agent bedeutet ihr mehr, als ihr lieb ist, viel mehr …


  • Erscheinungstag 05.07.2016
  • Bandnummer 0014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706852
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Rowan Farringdon graute vor den Sonntagsessen bei ihren Eltern. Der Brauch war neu. Ihre Eltern hatten ihn eingeführt, nachdem sie in den Ruhestand gegangen waren und sich ein Haus gekauft hatten, das eher einem Museum als einem gemütlichen Heim glich. Selbst die Blumensträuße wirkten steif.

Vor zwei Monaten hatte sie den Fehler gemacht, einen Arm voll duftender cremefarbener Rosen mitzubringen, die umgehend in das Spülbecken der Waschküche verfrachtet worden waren – wahrscheinlich, um so schnell wie möglich ganz entsorgt zu werden.

So etwas würde ihr nicht noch einmal passieren.

Aus irgendeinem Grund liebte ihre Mutter dieses Haus und fand, dass ihre Tochter Rowan als ihr einziges Kind und damit Alleinerbin es ebenfalls lieben musste. Aber da irrte sie sich. Als Rowan ihr geraten hatte, das Haus wieder zu verkaufen und das ganze Geld auszugeben, bevor es zu spät dafür war, war das zwar nicht besonders taktvoll gewesen, aber sie hatte es ernst gemeint.

Wenn man behauptete, dass Rowan und ihre Mutter ein schlechtes Verhältnis zueinander hatten, dann war das eine glatte Untertreibung.

Heute saßen vier Personen an dem riesigen Tisch: Rowans Mutter, ihr Vater, ihr Großvater und sie selbst. Eigentlich hätte dadurch, dass der Tisch rund war, der Eindruck entstehen müssen, dass alle, die daran saßen, gleichermaßen wichtig waren, doch die Gespräche verrieten, dass dies nicht der Fall war.

Rowan und ihr Großvater warfen sich einen verstohlenen Blick zu, als Rowans Vater einen seiner Monologe anstimmte, der von einem Essen mit irgendwelchen furchtbar wichtigen Personen handelte, von denen sie noch nie gehört hatte. Ihre Eltern waren früher beide bei der Armee gewesen und hatten später als Botschafter gearbeitet. Sie hatten den überwiegenden Teil ihres Lebens im Ausland verbracht, während Rowan die meiste Zeit bei ihrem Großvater gelebt hatte. Sein ehemaliger Beruf war auch nicht gerade die ideale Vorbereitung auf das Großziehen von Kindern gewesen – er war General a. D. –, doch er hatte Rowan nie im Stich gelassen, wofür sie ihn umso mehr liebte.

Als Rowans Telefon in ihrer Handtasche klingelte, die sie auf einem Beistelltisch abgelegt hatte, zuckte Rowan zusammen. Sie wusste, was nun kommen würde.

„Hatte ich dich nicht gebeten, das Telefon auszuschalten?“, fragte ihre Mutter missbilligend.

„Du weißt, dass das nicht geht“, erwiderte Rowan und erhob sich. „Tut mir leid, ich muss den Anruf annehmen.“ Sie nahm ihr Telefon und ging damit in den Flur. Eine Minute später kam sie zurück und griff nach ihrer Tasche.

„Gehst du schon?“ Die Stimme ihrer Mutter klang eher vorwurfsvoll als enttäuscht.

Rowan nickte.

„Gibt es Ärger?“, fragte ihr Großvater.

„Ich springe diese Woche für einen meiner Vorgesetzten ein, der außer Landes ist. Einer seiner Agenten kommt von einem verdeckten Einsatz zurück, und wir nehmen ihn in Empfang.“

„Wir sehen dich kaum noch“, beklagte sich ihre Mutter.

„Bevor ihr in Pension gegangen seid, hat sie euch so gut wie nie gesehen“, bemerkte ihr Großvater trocken. „Immerhin sagt uns Rowan die Gründe, wenn sie kurzfristig wegmuss.“

Ihre Mutter machte ein verkniffenes Gesicht, während in Rowan alte Erinnerungen hochkamen.

„Aber ich habe Geburtstag“, hatte Rowan einst gesagt, als ihre Eltern, ihre Koffer im Schlepptau, das Haus verlassen hatten. „Großvater hat Kuchen gebacken. Für uns.“

„Es tut mir leid, meine Liebe“, hatte ihre Mutter knapp geantwortet. „Was muss, das muss.“

„Aber ihr wart nur einen Tag lang hier“, hatte sie sich einmal bei ihrem Vater beklagt und sich daraufhin einen Vortrag darüber anhören müssen, dass sie die Verpflichtungen ihrer Eltern zu akzeptieren habe.

„Wohin fahrt ihr?“

Das zu fragen hatte sie längst aufgegeben. Und sie war sicher, nie eine ehrliche Antwort darauf erhalten zu haben. Sie hatten nur immer gesagt, dass sie dringend irgendwohin mussten, wo Rowan nicht willkommen sei. „Du musst härter werden“, hatten sie immer wieder gesagt – und das hatte Rowan beherzigt.

Dass ihre Mutter sich jetzt eine andere Beziehung zu ihrem einzigen Kind wünschte, war Rowan egal. „Tut mir leid, ich muss los.“

„Dein Großvater ist nicht mehr der Jüngste, Rowan. Du solltest dich mehr um ihn kümmern.“

Ihre Mutter hatte sie mit diesem Seitenhieb verletzen wollen, aber Rowan lächelte nur, die Bemerkung traf sie nicht. Sie sah ihren Großvater meist öfter als zwei Mal in der Woche und rief mindestens alle zwei Tage bei ihm an. Wovon ihre Mutter allerdings nichts wusste. Und Rowan hatte auch nicht das Bedürfnis, sie darüber in Kenntnis zu setzen.

„Du würdest ihn mögen, den Agenten, von dem ich eben erzählt habe“, sagte sie zu ihrem Großvater, da sie wusste, dass es ihn interessierte. „Er hat mit äußerst begrenzten Mitteln ein unglaubliches Chaos angerichtet.“

„Ist er ehemaliger Militär?“

„Nein, er war von Anfang an bei uns. Ein sehr kreativer Kopf.“

Sie hätte wetten können, dass ihr Großvater bis zu ihrem nächsten Telefonat wissen würde, von wem sie sprach. Obwohl er schon lange in Pension war, war er noch erstaunlich gut vernetzt.

„Ja, ja, Rowan. Wir wissen, dass deine Arbeit wichtig ist“, giftete ihre Mutter.

Rowan wandte sich der perfekt frisierten Frau zu, die sich dafür, dass sie sicher die gleichen Kämpfe in einer Männerdomäne auszufechten gehabt hatte wie ihre Tochter, erstaunlich unbeeindruckt von Rowans Karriere beim Australian Secret Intelligence Service zeigte. „Lasst es euch schmecken“, antwortete sie nur und rang sich ein Küsschen für ihre Mutter und ihren Vater ab. „Ich habe euch Apfelauflauf zum Nachtisch mitgebracht.“

„Hast du ihn selbst zubereitet?“

Eine weitere Spitze ihrer Mutter, die nur selten in der Küche einen Finger krumm gemacht hatte – immerhin hatte sie als Diplomatin im Ausland ein privilegiertes Leben geführt.

„Nein. Ich habe eine Freundin dafür bezahlt, dass sie ihn backt. Sie hat ihn nach einem alten Familienrezept zubereitet. Ich hoffe, er schmeckt euch.“ Rowan ging zu ihrem Großvater und küsste ihn zärtlich auf die Wange.

Als ihr Telefon wieder piepte, richtete sie sich auf. „Ich muss los.“

„Ich nehme an, das ist dein Fahrer?“, mutmaßte ihre Mutter. „Ziemlich ungeduldig.“

„Nein, er gibt mir nur Bescheid, dass er hier ist.“

„Vielleicht schaffst du es ja nächsten Monat, bis zum Ende des Essens dazubleiben. Wenn ich mir überhaupt noch einmal die Mühe mache, euch einzuladen.“

„Wie du willst, Mutter.“ Rowan wandte sich ihrem Vater zu, der ungewöhnlich wortkarg war. „Und, bist du auch so unzufrieden mit mir?“

Keine Antwort. Ihr Vater war wie eh und je ganz Diplomat.

„Wenn ihr nur einmal versuchen würdet, stolz auf mich zu sein, anstatt mich ständig zu kritisieren, überlege ich mir vielleicht, euch so viel Zeit einzuräumen, wie ihr euch offensichtlich wünscht.“

Und so ging das Sonntagsessen mit ihren Eltern für Rowan zu Ende.

Ihr Großvater, Gentleman wie immer, erhob sich und brachte sie zur Tür, ihre Eltern blieben sitzen. Ihre Mutter wäre nie auf die Idee gekommen, ihrer Tochter die Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, die sie ihr ganzes Leben lang Fremden hatte angedeihen lassen.

Marissa Farringdon-Stuart war Botschafterin gewesen. Eigentlich hätte sie wissen müssen, wie man sich anderen Menschen gegenüber zu verhalten hatte.

„Mach dir nichts draus“, tröstete sie ihr Großvater.

„Es wird schlimmer.“

„Sie scheint das Gefühl dafür zu verlieren, was akzeptabel ist und was nicht. Wahrscheinlich erste Anzeichen von Altersdemenz.“

„Ach komm. Ich kann ganz gut zwischen Demenz und purer Boshaftigkeit unterscheiden.“

„Sie ist eifersüchtig, und daran bin ich nicht ganz unschuldig“, erwiderte ihr Großvater. „Ich hatte nie Zeit für sie. Und ich habe aus dem Fehler gelernt und mir Zeit für dich genommen. Außerdem bist du beruflich erfolgreich. Das wurmt sie – du weißt ja, wie sehr sie dazu neigt, sich an anderen zu messen.“

„Und mein Vater? Was hat er für ein Problem mit mir?“

„Keine Ahnung. Er ist ein Idiot. Zu viel blaues Blut und zu wenig Hirn.“ Es war kein Geheimnis, dass ihr Großvater den Mann, den seine Tochter geheiratet hatte, nicht leiden konnte.

„Ich ruf dich morgen an“, versprach Rowan.

„Du siehst schön aus heute Abend“, bemerkte ihr Großvater.

„Alter Schmeichler.“

Rowan machte sich immer für das Sonntagsessen zurecht – ihre Mutter erwartete das von ihr –, aber es änderte nichts an ihren schräg geschnittenen Augen, ihrem zu großen Mund und ihren abstehenden Ohren. Weil ohnehin nichts dagegen half, hatte Rowan sich schließlich damit abgefunden und ihr Haar ratzekurz geschnitten.

Wenn überhaupt, sah sie interessant aus. Mit dem entsprechenden Make-up konnte sie hinbekommen, einigermaßen einnehmend auszusehen. Aber schön würde sie wohl nie sein.

„Nimm den Apfelauflauf mit, wenn du nachher gehst. Mutter wird ihn wegwerfen. Und ich habe Maddy nur deinetwegen gebeten, ihn zuzubereiten. Mit ganz viel Zimt.“

„Ich bewahre etwas davon für dich auf.“

„Ich nehme dich beim Wort.“ Rowan drückte ihren Großvater, der zusehends zerbrechlicher wurde. „Sehen wir uns am Mittwoch?“

Er nickte. „Und bring die neuesten Gerüchte und Intrigen mit.“

„Aber sicher“, antwortete Rowan und ging zum Wagen.

2. KAPITEL

Jared hatte zu vielen Geburtstagen, zwei Heiligabenden und zwei Sylvesterfeiern nicht kommen können, doch zur Hochzeit seiner Schwester hatte er es geschafft.

Okay, er war ein bisschen zu spät gekommen und sah ziemlich heruntergekommen aus – aber wenn schon?

Inzwischen war es ein paar Stunden her, dass seine Schwester Lena seinen besten Freund Trig – Adrian Sinclair – geheiratet hatte. Das Hochzeitsmenü war längst verspeist und die Gäste tanzten unter den laternengeschmückten Eukalyptusbäumen am Ufer des Flusses. Jared hatte sich alle Mühe gegeben, mit Leib und Seele bei der Sache zu sein. Er hatte gelächelt, bis sein Gesicht geschmerzt hatte, mit der Braut getanzt und mit dem Bräutigam gelacht. Er hatte inmitten der Gäste gestanden, bis er nicht mehr stehen konnte, und sich schließlich unter einen der Bäume gesetzt und die Party Party sein lassen.

Viele Gäste schienen entschlossen, bis spät in die Nacht hinein zu feiern. Jared hingegen spürte, wie seine Kräfte schwanden, er war entsetzlich erschöpft. Er brauchte dringend ein Bett. Am liebsten hätte er tagelang gelegen, nein, wochenlang … Er musste sich dringend eine Bleibe suchen.

Damon hatte ihm angeboten, in seinem Strandhaus zu wohnen, und für ein paar Tage war das sicher eine gute Lösung. Aber dort kamen oft Leute zu Besuch, und Jared wollte unbedingt allein sein.

Mit mäßigem Interesse sah er zu, wie Trig mit einer Frau im Schlepptau auf ihn zukam. Sie war vor etwa einer Stunde angekommen und schien sich nicht weiter daran zu stören, dass sie sowohl die Trauung als auch das Essen verpasst hatte. Wahrscheinlich gehörte sie nicht zu den Gästen. Warum sie dann hier war, wusste er nicht.

Sie war makellos gekleidet, das musste man ihr lassen. Sehr elegant mit ihren schlanken Beinen und den High Heels, die sicher ein Vermögen gekostet hatten. Weil seine beiden Schwestern eine Phase gehabt hatten, in der sie auf teure Schuhe scharf gewesen waren, konnte er das einschätzen, selbst wenn er die Marke nicht kannte.

Als die Schuhe vor ihm stehen blieben, sah er auf und lehnte seinen Kopf an den Baumstamm.

Von Nahem konnte er sehen, dass sie ein wenig älter war, als er von Weitem gedacht hatte. Und dass sie ein sehr ungewöhnliches Gesicht hatte. Ihr Mund war groß, die Lippen voll. Ihre Mundwinkel zeigten nach oben – genau wie die Winkel ihrer weit auseinanderstehenden Augen. Ihre Nase war klein, ihr braunes Haar jungenhaft kurz geschnitten. Und ihre Ohren standen ein kleines bisschen ab.

Alles in allem sah sie zu ungewöhnlich aus, um als klassische Schönheit durchzugehen, und zu interessant, um über sie hinwegzusehen.

„Jared, ich möchte dir Rowan Farringdon vorstellen“, erklärte Trig. „Die neue Leiterin der Spionageabwehr, Sektion fünf.“

Sektion fünf … Jared dachte nach. Sektion fünf war für Osteuropa zuständig, und als er vor zwei Jahren das Land verlassen hatte, war sie von dem alten Evans geleitet worden. Es war schwer einzuschätzen, ob er in dieser Frau eine gute Verbündete finden würde oder nicht.

Wohl eher nicht.

„Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Mr. West“, sagte sie ein wenig schroff und bückte sich, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Nach dem, was man mir erzählt hat, hätte ich gedacht, Sie würden besser aussehen.“

„Ich bin noch ein wenig ramponiert. Das wird schon wieder.“

Sie lächelte ihn an, und ihr Lächeln …

… ihr Lächeln war eine Waffe.

„Ihre Schwester meinte, dass Sie vielleicht froh über eine Mitfahrgelegenheit wären. Ich habe einen Wagen hier.“

Den hatte er bemerkt. Schwarz, schnittig und wahrscheinlich gepanzert.

„Warum sind so viele Sicherheitsleute auf dieser Hochzeit?“ Es war ihm nicht entgangen, dass gut ein Viertel der Gäste Spezialeinsatzkräfte waren – größtenteils bewaffnet. Wie auch die Frau, die vor ihm stand.

„Das wissen Sie ganz genau“, antwortete sie lächelnd. „Ihretwegen.“

„Ich arbeite nicht für Ihre Sektion.“

„Worüber ich sehr froh bin. Sie haben ja ein ziemliches Chaos angerichtet. Nichtsdestotrotz sind wir hier, um Sie nach Canberra zu bringen und dafür zu sorgen, dass Ihnen auf dem Weg dorthin nichts zustößt.“

„Geben Sie mir das Wochenende Zeit, und ich komme aus freien Stücken.“

„Mr. West … Wir haben Ihnen diesen Abend lang Zeit gegeben, und das sollten Sie zu schätzen wissen. Eigentlich hätten Sie vor zwei Jahren zurückkommen sollen.“

„Entschuldigen Sie die Verspätung“, antwortete er grinsend, um zu sehen, ob sie sich davon provozieren ließ. „Für eine Sektionsleiterin sind Sie ziemlich jung.“

„Ich bin vierzig Jahre alt und kenne alle Tricks.“

Sie war zehn Jahre älter als er.

„Wie gesagt …“

Ihr ungekünsteltes Lachen landete auf Anhieb auf der Liste von den Dingen, die er gern noch einmal erleben wollte.

„Unterschätzen Sie mich nicht, Mr. West. Dann werde ich auch Sie nicht unterschätzen.“

„Nennen Sie mich doch Jared“, bot er an und bemerkte, dass Trig aufhorchte.

„Jared …“ Sein bester Freund – und seit heute sein Schwager – sah ihn belustigt an. Oder eher resigniert? Offenbar kannten sie sich lange genug, dass Trig ihm anmerkte, dass er sich für diese Sektionsleiterin mit dem eigentümlichen Gesicht und der tiefen Stimme nicht nur beruflich interessierte.

„Nein.“

„Doch.“

„Keine gute Idee.“

„Ich hatte schon schlechtere“, erwiderte Jared und lächelte die Sektionsleiterin an.

„Hören Sie auf Ihren Freund, Mr. West. Ich kann Sie fertigmachen.“

„Ich hätte nichts dagegen.“

„Oh doch, das hätten Sie“, erwiderte sie lächelnd.

„Und wenn ich mitkomme, bringen Sie mich dann in Lenas Landhaus oder direkt zur Nachbesprechung?“

„Erst mal ins Haus Ihrer Schwester. Bei der Nachbesprechung müssen Sie erst morgen früh um zehn nach neun erscheinen.“

„Haben Sie eine Ahnung, was man danach mit mir vorhat?“

Ihr Blick verschloss sich. Jared erkannte ihr taktisches Geschick und diplomatisches Können. Beides hatte sicher dazu beigetragen, dass sie es als 40-jährige Frau zur Sektionsleiterin gebracht hatte. „Ich würde sagen, dass es davon abhängt, wie gut Sie ab jetzt mitspielen. Sie wissen ja wohl, wie es geht.“

Er war attraktiver, als sie es erwartet hatte – und Rowan hatte viel erwartet. Jared West war stattlich gebaut und durchtrainiert, und sein kurzes schwarzes Haar trug noch zu seiner Respekt einflößenden Ausstrahlung bei. Sein Gesicht wirkte wie das eines Models oder Filmstars, und seine vollen Lippen sahen sehr verlockend aus. Kinn und Wangenknochen waren perfekt geformt, und seine Augen hatten zärtlich geleuchtet, wann immer er seine Schwester angesehen hatte. Und nun sah er sie aufmerksam und prüfend an.

Das hier war der Mann, der im Alleingang ein milliardenschweres illegales Waffenimperium hochgenommen hatte. Im Alleingang die korrupten Strukturen der Antiterroreinheit aufgedeckt hatte, für die er tätig gewesen war – sie hatten bis zum Vizedirektor gereicht. Das hatte natürlich spektakuläre Konsequenzen gehabt, und es wurde viel darüber debattiert, ob West schon alles bekannt gegeben hatte oder noch Informationen zurückhielt.

Sie hätte es so gemacht. „Mr. West, lassen Sie sich von mir zum Haus bringen und sich von einem Arzt durchchecken. Meine Leute schließen bereits Wetten ab, wie viele Rippen Sie sich gebrochen haben und ob Sie überhaupt noch hören können. Momentan setzen drei von vieren darauf, dass Sie einfach gut darin sind, von den Lippen abzulesen.“

„Die wollen doch alle selbst nur meine Lippen angucken“, erwiderte West. „Das sagt man mir jedenfalls recht oft.“

„Das kann ich mir denken. Und ich bin sicher, dass Sie das sehr gut auszunutzen wissen.“ Einen Moment lang betrachtete sie die besagten Lippen, die tatsächlich perfekt waren, doch dann sah sie ihm wieder in die Augen. Rowan hatte sich sehr gut unter Kontrolle und beabsichtigte nicht, an diesem Zustand etwas zu ändern. „Trotzdem würden wir Sie gern untersuchen lassen.“

„Ist das ein Befehl?“

„Hören Sie denn auf Befehle?“

Er lächelte. „Wenn sie von Ihnen kommen – vielleicht.“

„Vielleicht versuchen Sie es mal mit einem Elektroschocker“, schlug Trig vor. „Das könnte funktionieren.“

„Mag sein, aber er sieht schon arg mitgenommen sein. Wenn er mir jetzt stirbt, gibt es jede Menge lästigen Papierkram zu erledigen.“

„Ms. Farringdon – dürfte ich den Bräutigam kurz unter vier Augen sprechen?“, fragte Jared.

Er ließ es wie ein Gesuch klingen, doch er erwartete sicher, dass sie ihm seine Bitte gewährte. Daran bestand kein Zweifel. Aber Rowan würde ihn nicht alleine lassen, solange sie seinen Zustand nicht einschätzen konnte. „Gehen Sie doch an den Fluss hinunter“, schlug sie vor. „Da sind Sie ungestört.“

„Hier wären wir auch ungestört.“

„Mr. West.“ Dann würde sie eben konkret werden und keine Rücksicht auf seinen Stolz nehmen. „Wie wäre es, wenn Sie aufstehen und meinen Leuten beweisen würden, dass Sie noch gehen können?“

Er sah sie herausfordernd an. „Ich kann gehen.“

„Das würde ich gern sehen.“

Doch er erhob sich nicht. Stolz war schon eine vertrackte Sache.

„Sorgen Sie dafür, dass er irgendwie zum Haus kommt. Dort wartet ein Arzt auf ihn.“ Ohne Trigs Antwort abzuwarten, ging Rowan zu ihrem Wagen. Sie wusste, dass West sich kaum rühren konnte. Sie wusste über alles Bescheid, was er getan hatte, nachdem Antonovs Yacht in die Luft gesprengt worden war. Dass er es nach alldem geschafft hatte, schnurstracks heimzureisen, um die Hochzeit seiner Schwester nicht zu verpassen, war erstaunlich. Er hatte mindestens fünfzig Stunden lang keinen Schlaf bekommen und musste entsetzlich müde sein. Sicher hatte er kaum mehr die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Allein seine Willenskraft sorgte dafür, dass er nicht zusammenbrach.

Dieser Mann hatte bislang auf jedem Posten, den er beim Geheimdienst innegehabt hatte, geglänzt. Und wenn man die Aktion mit Antonov als verdeckte Operation im Alleingang wertete, dann hatte er auch damit brilliert. Rowan hatte ihn sich als einen schönen Mann mit messerscharfem Verstand vorgestellt – mit einem eisernen Willen sowie der Neigung, für Ärger zu sorgen.

Sie war nicht enttäuscht worden.

„Was für ein Gang!“, seufzte Jared, als er ihr hinterhersah. Und auch ihre Ohren gefielen ihm weiterhin.

„Kannst du laufen?“ Trig ließ sich nicht vom Thema ablenken.

„Ich glaube schon. Ich schaffe es nur nicht, aufzustehen.“

Trig streckte ihm eine Hand entgegen und half ihm hoch. Schließlich stand er und kämpfte dagegen an, in Ohnmacht zu fallen oder sich zu übergeben – oder beides. Zwei tiefe Atemzüge später tauchte Lena in ihrem Hochzeitskleid neben ihm auf und packte ihn am Oberarm, um ihn zu stützen.

„Und, machst du dich jetzt auf den Weg zum Haus?“, fragte sie ihn.

„Demnächst.“ Die Frage war nur, wie er dort hinkommen sollte.

Zu Fuß. Er konnte ja laufen.

„Nimm gern unser Bett.“

Das Hochzeitsbett? Bestimmt nicht. „Nein. Geh lieber einen Schritt weg, damit ich dein Kleid nicht dreckig mache.“

Sie hörte nicht auf ihn. Lena tat nur sehr ungern, was man ihr sagte. In dieser Hinsicht war sie ihm sehr ähnlich. Nun legte sie ihm eine Hand auf die Wange und sah ihn besorgt an. „Du siehst schlimm aus – als seiest du durch die Hölle gegangen, um herzukommen. Versprich mir, dass du nicht dorthin zurückgehst.“

„Das kann ich nicht versprechen, Lena.“

Sie sah ihn mit diesem sturen Ausdruck an, der nichts Gutes verhieß.

„Ich muss da noch einiges regeln“, erklärte er. „Nichts Wildes.“

„Hast du deine Stelle noch?“

„Zum Mitarbeiter des Monats werde ich bestimmt nicht gewählt.“

Trig schnaubte.

„Was hat die Sektionsleiterin gesagt?“, wollte Lena wissen.

„Dass wir morgen abreisen.“

„Hat sie dir gesagt, dass im Landhaus ein Arzt auf dich wartet, um dich durchzuchecken? Sie hat ihn sofort dorthin bestellt, nachdem sie dich gesehen hat.“

„Ihr Frauen müsst immer alles übertreiben.“

„Vorsicht. Das kannst du weder mir noch ihr zum Vorwurf machen. Wenn ich zu deiner Hochzeit gekommen wäre und so ausgesehen hätte, wie du jetzt aussiehst, hättest du mich auf der Stelle ins Krankenhaus gebracht.“

„Ich mach mich jetzt auf den Weg“, brummte er. „Nun hör schon auf, mich so besorgt anzugucken.“

„Ich bin ein Jahr lang so angeguckt worden.“

„Nicht von mir“, wandte er ein.

„Ja, weil du nicht da warst.“

„Aber jetzt bin ich hier, Lena.“ Es klang wie eine Bitte. Um Gnade. Um Vergebung. Und wenn sie nicht bald einen Schritt beiseiteträte, würde er ihr Kleid ruinieren. „Ich gehe jetzt und schlafe mich erst mal aus. Tue, was der Onkel Doktor sagt.“ Er schmiegte sich ihrer Hand auf seiner Wange entgegen und legte seine eigene Hand darauf. Ein schwacher Moment – diejenigen, die ihn mitbekamen, würden sich ihren Teil dazu denken. Und sie wurden von einigen Leuten beobachtet. „Ich gehe jetzt. Ich wollte nur noch einen Moment lang das Fest genießen.“

Er atmete zweimal tief durch und machte einen Schritt vorwärts.

Und dann wurde ihm schwarz vor Augen.

3. KAPITEL

„Ziemlich dickköpfig“, sagte Rowan zu der Braut, während der Arzt, den sie herbeigerufen hatten, den Bräutigam und einen der Agenten bat, Jared West aufs Bett zu tragen.

Das Schlafzimmer war im venezianischen Stil gehalten, dabei allerdings recht farbenfroh, und der ohnmächtige Jared sah darin definitiv fehl am Platze aus, was durch sein hastig zusammengestelltes Outfit noch verstärkt wurde.

„Das können Sie laut sagen“, antwortete Lena verdrossen. „Ich hätte ihn von Ihnen in ein Krankenhaus bringen lassen sollen, sobald er hier war.“

Jared öffnete die Augen einen Spaltbreit – gerade lange genug, um ihnen einen finsteren Blick zuzuwerfen.

„Wie heißt er?“, wollte der Arzt wissen.

„Jared West“, antwortete Lena. „Und er macht ständig Ärger.“

Der Arzt beugte sich mit einer kleinen Taschenlampe über den Patienten. „Mr. West? Hören Sie mich?“

Jared brummte etwas vor sich hin, das man als Ja deuten konnte.

„Ich werde jetzt Ihren Pupillenreflex überprüfen. Das tut nicht weh.“

„Ich habe keine Gehirnerschütterung. Vor drei Tagen hatte ich eine. Aber das ist wieder in Ordnung“, murmelte Jared.

„Das freut mich. Ist das eine ärztliche Diagnose?“

„Eine Erfahrungsdiagnose.“

„Ist er immer so besserwisserisch?“, wollte Rowan von Lena wissen.

„Ja, das ist er. Er nennt es Überzeugungskunst.“

„Haben Sie Prellungen am Kopf?“, fragte der Arzt nun.

„Ein paar“, antwortete Jared und ließ sich vom Arzt abtasten.

„Was ist mit dem Hals? Irgendwelche Bewegungseinschränkungen?“

„Mit meinem Hals ist alles o. k. Meine Schulter ist kaputt.“

Wenn er in der Lage war, die Fragen des Arztes mit geschlossenen Augen zu verstehen, konnten seine Trommelfelle nicht gerissen sein. „Sie sind doch nicht taub“, stellte Rowan erleichtert fest und erntete ein schwaches Lächeln von Jared. „Da sind mehr als die Hälfte meiner Agenten ihr halbes Monatsgehalt los.“

„Ja, aber die anderen sind umso reicher.“

„Wie ist es, wenn er richtig lächelt?“, wollte Rowan wissen. Vielleicht war diese Frage nicht ganz angebracht, aber es konnte nicht schaden, sich im Voraus für das zu wappnen, was kommen konnte.

„Das habe ich länger nicht erlebt“, antwortete Lena, „aber es kann ziemlich fatal sein. Zum Steinerweichen. Er kriegt jeden damit rum.“

„Amen“, murmelte Jared.

Autor

Kelly Hunter
<p>Obwohl sie von Beruf Naturwissenschaftlerin ist, hatte Kelly Hunter schon immer eine Schwäche für Märchen und Fantasiewelten und findet nichts herrlicher, als sich in einem guten Buch zu verlieren. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und drückt sich gerne davor, zu kochen und zu putzen. Trotz intensiver Bemühungen ihrer...
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