Das Vermächtnis der Familie Locke - Stürmische Leidenschaft in Manhattan (3-teilige Serie)

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SINNLICHE NÄCHTE IN MANHATTAN
Sawyer richtete den Blick seiner dunkelbraunen Augen auf Kendall, während er ihr lächelnd die Hand entgegenstreckte. Sofort fühlte sie sich in die Vergangenheit zurückversetzt, spürte seine Küsse … Kendall traut ihren Augen nicht: Der Kunde ihres neuesten PR-Projekts ist ausgerechnet Sawyer Locke! Ein paar Wochen zuvor hatte sie den heißesten One-Night-Stand ihres Lebens mit ihm. Nun soll sie eine Kampagne für sein neues Hotel entwickeln. Kendall will Karriere machen und weiß: Ihre Beziehung zu dem sexy Milliardär muss rein geschäftlich bleiben, sonst ist sie ihren Job los. Doch es knistert gewaltig zwischen ihr und Sawyer, und schon bald liegt sie erneut in seinen Armen. Die leidenschaftlichen Nächte bleiben nicht ohne Folgen …

BRENNENDES VERLANGEN NACH DEM EX
Charlotte will sich unbedingt beweisen: Sie wird eine Suite im Luxushotel ihrer Familie in Manhattan verkaufen. Tatsächlich hat sie bald einen Käufer: ausgerechnet Immobilienmagnat Michael Kelly! Ihr sexy Ex und ihr schärfster Konkurrent. Weil er nicht an die Liebe glaubt, hat sie sich von ihm getrennt. Nun wohnt Michael direkt neben ihr. Eine Katastrophe! Denn wie soll Charlotte diesem beziehungsscheuen Mr. Perfect widerstehen - und verbergen, dass ihre letzte heiße Liebesnacht süße Folgen hatte?

SCHEINVERLOBT MIT DEM PLAYBOY
"Was machen Leute, nachdem sie sich Verlobungsringe gekauft haben?", fragte er. Sie haben Sex? Es klingt alles so harmlos: Nur eine Woche lang soll Lily die Verlobte ihres Playboy-Bosses spielen, damit er für einen wichtigen Deal seriös wirkt. Aber mit Noah Locke zum Schein verlobt zu sein, stellt sich als ganz und gar nicht harmlos heraus! Jede seiner Berührungen weckt in Lily eine heiße Sehnsucht nach mehr. Und als er sie - nur zur Probe - auf dem Rücksitz der Limousine sinnlich küsst, ist sie rettungslos verloren! Wird Lily diese Woche mit Noah überstehen, ohne danach zu verzweifeln?


  • Erscheinungstag 14.05.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717353
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Karen Booth

Das Vermächtnis der Familie Locke - Stürmische Leidenschaft in Manhattan (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2017 by Karen Booth
Originaltitel: „Pregnant by the Billionaire“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 2048 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Roswitha Enright

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733724023

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt betrat Sawyer Locke mit schnellen Schritten sein Büro in Manhattan. „Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen? Sie wissen nicht, wie die Story in dem Blatt gelandet ist?“ Er knallte die Zeitung auf seinen Schreibtisch. Schlagzeile: Renovierung des Grand Legacy Hotel gefährdet! „Sie sind schließlich mein PR-Agent. Ich bezahle Sie dafür, dass so etwas nicht passiert. Und die Reporterin hat sich nicht mit Ihnen in Verbindung gesetzt? Mit mir nämlich auch nicht!“

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, Mr. Locke“, stotterte der Mann am anderen Ende. „Der Artikel hat mich total überrascht.“

Mich nicht. Sawyer hatte einen ganz bestimmten Verdacht, woher diese Geschichte kam. Er legte seinen Laptop auf den Schreibtisch und trat ans Fenster. Vor fünf Jahren hatte er seine Firma für Bau- und Landschaftsentwicklung gegründet und war in dieses frisch renovierte vierstöckige Gebäude gezogen. Hochhäuser waren nichts für ihn. Da war er seinem Vater sehr ähnlich.

Unten hatten sich die Blätter der Straßenbäume leuchtend rot gefärbt. Seit drei Tagen betrachtete er sie immer wieder, weil sie ihn an das Haar einer Frau erinnerten, die er einfach nicht vergessen konnte. Dabei hatte er bisher nie Probleme gehabt, die Frauen ganz schnell aus seinem Gedächtnis zu streichen, mit denen er eine Nacht verbracht hatte.

Aber mit Kendall war das irgendwie anders.

Die Herbstfärbung machte außerdem deutlich, dass der Winter vor der Tür stand. Und das bedeutete, dass die Renovierung des Hotels dringend vorangetrieben werden musste. Silvester sollte das Grand Legacy in neuem Glanz erstrahlen und mit einer großen Gala eröffnet werden. Der Termin stand seit Monaten fest und konnte nicht verschoben werden.

„Ich will wissen, was Sie gegen die Zeitung zu tun gedenken. Das können wir nicht so stehen lassen.“

„Ich weiß nicht so recht, Mr. Locke. In Ihrem Fall halte ich es für das Beste, Geduld zu haben und die ganze Sache zu ignorieren. Dann lässt das Interesse schnell nach.“

Seit einem knappen Jahr fühlte sich Sawyer zunehmend genervt. Die Renovierung ging einfach zu schleppend voran. Zu viel Geld stand auf dem Spiel, und zu viele Menschen warteten nur darauf, dass er mit dem Projekt scheiterte. Wie sollte er da Geduld aufbringen? „Das kommt überhaupt nicht infrage. Ich denke nicht daran, mich mit negativer Publicity abzufinden.“

Stillhalten und abwarten, das lag nicht in Sawyers Natur.

„Vielleicht sollten wir dann lieber unseren Vertrag lösen, Mr. Locke. Sieht nicht so aus, als wären wir die richtige Agentur für Sie.“

Verdammt. Dieser zögernde, ja ängstliche Tonfall war Sawyer nur zu vertraut. Sollte sein Vater hier wieder seine Hand im Spiel haben und den Mann unter Druck gesetzt oder bestochen haben? Das war schon häufiger der Fall gewesen. „Wie Sie wollen. Sie sind gefeuert.“

„Mr. Locke …“

„Bis März sind Sie bezahlt. Schicken Sie mir eine Rechnung über den Rest. Das wär’s.“ Kurz dachte er noch daran, seinem Vater Grüße bestellen zu lassen, legte dann aber doch auf. „Lily!“, rief er, als die Assistentin seines Bruders an seiner Bürotür vorbeikam. „Ist Noah schon da?“

Sie blieb stehen. „Er ist gerade angekommen. War im Verkehr stecken geblieben.“

„Hat er die Zeitung schon gesehen?“

„Das weiß ich nicht.“

„Ich muss ihn unbedingt sprechen. Sofort.“

„Ich sag’s ihm.“

Sawyer trat wieder an seinen Schreibtisch und nahm sich den Artikel noch einmal vor.

Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfuhren, haben Sawyer und Noah Locke ihr Budget um Millionen überzogen und können ihren Zeitplan nicht einhalten.

„Zuverlässige Quelle? Ich kenne die verdammte Quelle“, stieß Sawyer wütend zwischen den Zähnen hervor. „Das ist alles gelogen.“

Die meisten Mitglieder der Familie Locke sind von dem Projekt alles andere als begeistert. Sawyer und Noah Locke wollen, wie man hört, das Hotel gegen den Willen ihres Vaters wieder herrichten lassen.

Sawyer lachte kurz auf. Was er auch tat, sein Vater war nie damit einverstanden. Und er konnte nichts dagegen machen. Sie waren so unterschiedlich, wie zwei Menschen nur sein konnten. Je mehr er versuchte, sich von seinem Vater abzunabeln, desto mehr mischte der alte Locke sich ein. Genau aus diesem Grund war es sehr wahrscheinlich, dass sein Vater hinter der Falschmeldung steckte.

Ihr Vater hatte Sawyer und Noah jeden erdenklichen Stein in den Weg gelegt. Er wollte, dass das Grand Legacy abgerissen wurde. Denn zu lange schon sei es der Schandfleck des Familienunternehmens, das sich ganz auf luxuriöse Hotels konzentrierte. Sawyer hatte sich energisch dagegen gewehrt. Da das alte Legacy ihm gehörte, konnte er damit machen, was er wollte.

Jahrelang hatte es darum Streit gegeben, bis Sawyer vor zwei Jahren, es war am Weihnachtsabend, klipp und klar gesagt hatte, dass er das Hotel behalten und renovieren lassen wolle. Seitdem hatte sein Vater das Thema nie wieder angesprochen, was Sawyer einerseits erleichterte. Andererseits wusste er, dass das Schweigen ein schlechtes Zeichen war. Denn sein Vater versuchte mit allen Mitteln, die Renovierung zu hintertreiben. Handwerker erschienen nicht. Pläne verschwanden. Strom und Wasser wurden abgestellt. Es war ein mühseliger Kampf und ein sehr kostenintensiver dazu.

Mit dem Kaffeebecher in der Hand betrat Noah Sawyers Büro.

„Was gibt’s denn?“, fragte Noah.

Trotz seines offensichtlich sehr teuren Anzugs wirkte der jüngere Locke-Bruder immer lässig und entspannt. Er war groß und schlank, fast immer gut gelaunt und ziemlich attraktiv mit seinem dunkelbraunen Haar. Er sah Sawyer ähnlich, nur dass sich bei dem älteren Bruder schon einzelne graue Strähnen zeigten.

Sawyer seufzte. Mit zweiunddreißig war er für graue Haare eigentlich noch zu jung. Aber der ganze Ärger mit seinem Vater und dem Hotel hatte ihm wohl zugesetzt.

Er schob seinem Bruder die Zeitung zu. „Tut mir leid, dir die Laune zu verderben.“

Noah setzte den Becher ab und nahm die Zeitung zur Hand. Er las, stutzte und sah Sawyer ungläubig an. „Das darf doch wohl nicht wahr sein! Die Fotos sind unmöglich und vermitteln einen total falschen Eindruck. Sicher, die Lobby sieht noch furchtbar aus, aber sie kommt ja auch ganz zuletzt dran.“

„Da kann doch nur Dad dahinterstecken. Er hat die Informationen an die Zeitung gegeben. Meinst du nicht auch?“ Wahrscheinlich langweilte ihr Vater sich schon wieder mit seiner vierten Ehefrau und suchte Ablenkung, indem er sich in Angelegenheiten mischte, die ihn nichts angingen. Zwar wünschte Sawyer seinem Vater nicht, dass auch diese Ehe in die Brüche ging. Aber vielleicht wäre er mit einer fünften Ehefrau anderweitig abgelenkt.

„Wir müssen etwas tun“, erklärte er Noah. „Wir können den Eindruck nicht stehen lassen, dass das Hotel nie fertig wird. Allerdings haben wir keine PR-Agentur mehr. Ich habe den Mann rausgeworfen.“

Noah setzte sich und strich sich seufzend das Haar zurück. „Aber jemand muss sich um unsere Pressearbeit kümmern, Sawyer. Schon wegen der geplanten Gala zur Eröffnung. Die Medien müssen informiert werden. Willst du das tun? Ich nicht.“

„Verstehe.“

„Wir müssen jemanden dafür finden. Wenn Dad hinter der Sache steckt, ist es wichtig, gegenzusteuern.“

Sawyer ließ sich in seinen Schreibtischstuhl fallen. Sein Bruder hatte recht. Ihr Vater würde nicht aufgeben, denn er hatte immer noch nicht verwunden, dass sein Großvater das Hotel direkt an seinen Urenkel Sawyer vererbt und damit ihn übersprungen hatte. Dennoch war es erstaunlich, dass der alte Locke darüber derartig wütend war. Deshalb war Sawyer sicher, dass es noch einen anderen Grund gab. Er hatte aber in den letzten fünfzehn Jahren nicht herausfinden können, welcher das sein könnte.

Er richtete sich wieder auf. „Keine Sorge, das lass ich dem Alten nicht durchgehen.“

„Ich würde mich auch um eine PR-Firma kümmern“, meinte Noah. „Aber du willst ja immer alles selbst machen.“

„Klar. Ist doch auch mein Hotel.“

„Das weiß ich nur zu genau. Wenn das nicht der Fall wäre, hätten wir all diese Probleme nicht.“ Noah stand auf. „Kennst du irgendwelche guten Profis?“

„Ich denke an Sloan PR. Die hatten wir damals doch auch auf der Liste.“

„Okay, dann versuch du bei ihnen dein Glück.“

Kaum hatte Noah den Raum verlassen, klappte Sawyer seinen Laptop auf und rief die Website von Sloan PR auf. Da er sich nicht mehr erinnern konnte, mit wem er damals gesprochen hatte, klickte er „Unser Team“ an. Oben auf der Seite erschien ein Gruppenbild mit fünf oder sechs Personen darauf. Eine Frau fiel ihm sofort auf. Dieses tiefrote Haar …

Er beugte sich vor. Sollte das Kendall sein? Das wäre ja ein wahnsinniger Zufall. Er klickte ihr Porträt an und erhielt ausführliche Informationen. Tatsächlich, es war Kendall Ross, Prokuristin, Public Relations.

Er lehnte sich zurück und betrachtete ihr schönes Gesicht. Diese vollen Lippen, der helle sanfte Teint und vor allem die großen blauen Augen … Sie war ihm auf der Hochzeit seines Freundes Matt gleich aufgefallen. Das war jetzt sechs Wochen her, aber er erinnerte sich noch genau, als er sie das erste Mal auf der Tanzfläche gesehen hatte. Als sich ihre Blicke getroffen hatten …

Sie hatten die Nacht zusammen verbracht, und jetzt ärgerte er sich, dass er sie nicht angerufen hatte, als er wieder in New York war. Zwar hatte er es sich zur Regel gemacht, sich nicht weiter auf die Frauen einzulassen, mit denen er eine kurze Affäre einging. Aber vielleicht hätte er hier eine Ausnahme machen sollen?

Allerdings hatte sie sich auch nicht bei ihm gemeldet, und das war er eigentlich nicht gewöhnt. Ob sie die Nacht nicht genossen hatte? Das konnte er sich nicht vorstellen. Der Sex war fantastisch gewesen, und sie hatten einander in jeder Weise verwöhnt, wie es zwischen Mann und Frau nur möglich war. Außerdem hatte sie ihn am Morgen zum Abschied geküsst, langsam und leidenschaftlich, sodass er noch Stunden später ihre Lippen auf seinen zu spüren meinte.

Also gut. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer der Agentur. Hoffentlich würde seine kurze Affäre mit Kendall Ross die Situation nicht unnötig verkomplizieren.

Kendall Ross überflog die Titelseite der Morgenzeitung auf ihrem Smartphone. „Klar ist dieser Sawyer Locke wieder auf der ersten Seite. Der Mann taucht wirklich überall auf“, schimpfte sie vor sich hin.

Sie legte das Telefon auf die Kommode und las den Artikel, während sie in ihr Kleid stieg und den Reißverschluss zuzog. Da war auch ein Foto von Sawyer, wie er die Straße vor seinem Hotel überquerte. Mit der teuren Sonnenbrille und dem eleganten Anzug sah er aus wie der König von Manhattan. Und unglaublich sexy. Das war irgendwie unfair.

Sie ließ sich auf die Bettkante nieder und angelte nach ihren High Heels, die sie gestern nach einem langen Arbeitstag erschöpft von den Füßen geschleudert hatte. Dass das Foto sie so sehr beschäftigte, ärgerte sie, auch, dass sie in den letzten sechs Wochen immer wieder an Sawyer hatte denken müssen.

Zum Teil war ein Mann daran schuld, der jeden Morgen an ihrer Haltestelle mit in die Bahn einstieg und in die Stadt fuhr. Sie kannte ihn zwar nicht, aber er benutzte offenbar das gleiche Eau de Cologne wie Sawyer. Und dann war da der Schlosser, der neulich seinen Wagen mit der Aufschrift Locke and Key vor ihrem Apartmenthaus geparkt hatte. Außerdem wurde in ihrer Straße ein neues Gebäude hochgezogen, und an dem Bauzaun hing ein großes Schild von Locke and Locke. Und an diesem Zaun kam sie leider zweimal am Tag vorbei.

Ein kurzer Blick auf den Wecker und sie erschrak. Nur noch fünf Minuten oder sie versäumte ihren Zug! Sie musste sich endlich von den Gedanken an diesen Sawyer Locke befreien, aber das war leichter gesagt als getan. Die ganze Sache war ein Riesenfehler gewesen.

Sie ging zu ihrem Kleiderschrank und holte einen verstaubten Schuhkarton vom obersten Bord. Vorsichtig hob sie den Deckel ab und zog unter einem Stapel alter Fotos ein kleines Kästchen hervor. Glückstrahlend hatte ihre Mutter ihr den kostbaren Ring gezeigt, den sie von einem ihrer Verehrer bekommen hatte. Auf einen Heiratsantrag hatte sie allerdings vergebens gewartet, und die tiefe Enttäuschung ihrer Mutter hatte die kleine Kendall nie vergessen.

Sie hatte sich nach einem Daddy gesehnt, und bei jedem neuen Freund der Mutter hoffte sie auf ein Wunder. Als Teenager war ihr klar geworden, dass es nie dazu kommen würde. Ihre Mutter hatte viele reiche Liebhaber, aber keiner dachte daran, sie zu heiraten. So konnte zwar die Miete immer bezahlt werden, und es gab auch genug zu essen, aber im Übrigen war ihre Mutter nicht mehr als die hübsche Geliebte dieser Männer.

Kendall hatte sich geschworen, nie in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten. Männern gegenüber gab sie sich meist unnahbar, und deshalb machte es ihr auch so zu schaffen, dass sie bei Sawyer Locke schwach geworden war. Ihm hatte sie einfach nicht widerstehen können. Sie hatte seine Komplimente aufgesaugt, obwohl sie ihm die Schmeicheleien nicht wirklich geglaubt hatte, und war mit ihm ins Bett gegangen. Schon nach dem ersten Tanz war ihr klar gewesen, dass es dazu kommen würde, auch wenn One-Night-Stands sonst überhaupt nicht ihr Ding waren. Aber er hatte diese Ausstrahlung eines mächtigen Mannes, war charmant und sexy, und da war es geschehen.

Vielleicht hatte sie auch zu viel Champagner getrunken. Nach dem ersten Glas hatte sie angefangen, mit ihm zu flirten. Nach dem zweiten hatte sie sich von ihm auf die Tanzfläche führen lassen. Sie wusste, dass er aus einer der reichsten Familien New Yorks stammte, kannte seinen Ruf als Playboy und ging trotzdem mit ihm. Und das, obgleich ihr klar war, dass genau diese Typen mehr als einmal ihrer Mutter das Herz gebrochen hatten.

In den Wochen nach der Feier zeigte sich, dass Sawyer seinem Ruf mehr als gerecht wurde. Er hatte zwar nach ihrer Telefonnummer gefragt und so getan, als wolle er sie anrufen. Aber auf den Anruf hatte sie vergebens gewartet, und das hatte sie sehr gekränkt. Doch wahrscheinlich war es besser so.

Wieder ein kurzer Blick auf die Uhr. Hastig sprang sie auf und steckte sich den Ring auf den Ringfinger der linken Hand. „Männer, haltet euch zurück!“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich bin verlobt!“

Sie griff nach Mantel, Handtasche und Laptop, stürzte aus der Tür und schloss ab. Dann rannte sie die Straße hinunter und erwischte ihre U-Bahn gerade noch, bevor die Türen sich schlossen. Aufatmend ließ sie sich auf einen freien Platz fallen. Erst jetzt wurde ihr wieder bewusst, dass sie den auffälligen Ring trug. Aber warum nicht, sie wollte ja, dass man sie für verlobt hielt. Sie hatte genug von Männern. Sie brauchte keinen, sondern war ganz allein für ihre Zukunft verantwortlich.

Kendall war daran gewöhnt, dass Männer sich für sie interessierten, weil sie eine verlockende Figur hatte, nicht aber, weil sie intelligent war und eine interessante Persönlichkeit besaß. Da war Sawyer sicher keine Ausnahme gewesen. Warum war sie bloß zu dieser Hochzeit einer alten Studienfreundin gegangen? Denn an diesem Wochenende in Maine war ihr wieder mehr als deutlich geworden, dass sie als Single auffiel. Normalerweise machte ihr das nichts aus, aber in dieser Situation schon. Fast alle ihre ehemaligen Studienkolleginnen waren verheiratet oder zumindest in einer festen Beziehung. Eine hatte bereits ihren zweiten Mann. Alle waren sie in ihrem Leben vorangekommen.

Das war Kendall natürlich auch, wenn auch auf andere Art und Weise. Sie hatte das geschafft, was ihre Mom nie fertiggebracht hatte: Sie hatte sich eine berufliche Karriere aufgebaut. Und darauf sollte sie sich jetzt auch konzentrieren. Sich um Männer Gedanken zu machen war der absolut falsche Weg.

Der Zug hielt, sie stieg aus und ging schnell zu dem Gebäude, in dem Sloan Public Relations seinen Sitz hatte. Seit fast zwei Jahren arbeitete sie für die Firma und war inzwischen schon gut angesehen. Zumindest schien ihre Chefin Jillian Sloan eine Menge von ihr zu halten.

Als sie das Büro betrat, fiel ihr gleich auf, dass eine merkwürdige Stille herrschte. Ihre Kollegen sprachen mit gedämpfter Stimme und sahen kaum von ihren Schreibtischen hoch. Maureen, die am Empfang saß, starrte Kendall mit ernster Miene an.

„Was ist denn los?“ Kendall runzelte die Stirn. „Ist jemand gestorben?“

„Wanda wurde gefeuert.“

„Wieso das denn?“ Ausgerechnet Wanda, die gerade befördert werden sollte. „Wann?“

„Vor zehn Minuten.“ Maureen beugte sich vor und sah Kendall vielsagend an. „Wahrscheinlich hatte sie etwas mit einem unserer Kunden. Du weißt ja, wie Jillian ist.“

Oh ja, das wusste Kendall nur zu genau. Jillian achtete sehr auf den makellosen Ruf von Sloan PR.

„Wenn du pünktlich hier gewesen wärst“, fuhr Maureen fort, „hättest du das Drama miterleben können. Wanda packt gerade ihre Sachen zusammen. Ach so, ja, Jillian will dich sofort sprechen.“

„Sofort?“

„Ja. Nun mach schon.“

Schnell ging Kendall den Flur hinunter, legte, ohne stehen zu bleiben, ihre Sachen auf ihren Schreibtisch und hielt vor der Tür des Chefbüros inne. Hier am Ende des Ganges gab es zwei große Eckbüros, durch einen Konferenzraum getrennt. In dem einen saß Jillian, in das andere hätte eigentlich, wie alle glaubten, Wanda als ihre Stellvertreterin einziehen sollen. Die letzte war vor drei Monaten gegangen, um ihre eigene Agentur aufzumachen, seitdem stand der Raum leer.

Die Tür zu Wandas Büro war geschlossen. Kendall hörte Wanda leise fluchen. Ganz offensichtlich war sie sauer über die Kündigung. Aber sie hätte wissen müssen, dass Jillian private Kontakte mit einem Kunden nicht tolerieren würde.

Jillians Assistentin legte den Telefonhörer schnell wieder auf, als sie Kendall sah. „Gut, dass Sie kommen, Ms. Ross. Ms. Sloan wartet auf Sie.“

Kendall trat ein und blieb an der Tür stehen. Jillian tippte noch etwas in ihren Computer. „Morgen, Kendall“, sagte sie, ohne den Kopf zu heben. „Sie haben sicher schon davon gehört. Ich musste Wanda gehen lassen.“

Jetzt schaute sie auf und sah Kendall an. Ihr glänzendes kastanienbraunes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, wahrscheinlich, damit jeder ihre großen Diamantstecker bewundern konnte. Jillian hatte sich hochgearbeitet und keine Scheu, ihren Erfolg zu zeigen.

„Ich habe es nicht gern getan, aber es musste sein.“ Sie lächelte kurz. „Dadurch ergibt sich für Sie eine einmalige Gelegenheit. Sie arbeiten hart, haben gute Ideen und stellen sich ganz auf unsere Kunden ein. Sie könnten etwas pünktlicher sein, das schon, aber das ist jetzt nicht unser Thema.“

Kendall räusperte sich, bemüht, vor Freude nicht allzu breit zu lächeln. „Danke.“

„Da Wanda nun nicht mehr hier ist, ist der Posten wieder offen. Und ich denke, das wäre etwas für Sie.“

„Das freut mich sehr. Danke.“

„Ich habe mich aber noch nicht genau festgelegt. Wes wäre wahrscheinlich auch geeignet.“ Wieder lächelte Jillian kühl. „Er kommt gleich nach Ihnen in der Hackordnung.“

Wes! Ausgerechnet! Nur mit Mühe behielt Kendall ihren freundlichen Gesichtsausdruck bei. Wes war ihr nervigster Kollege. Ein widerlicher Speichellecker, der sich an die Chefin ranschmiss und Kendall Steine in den Weg legte, wo er nur konnte.

„Zeigen Sie mir, dass Sie die Richtige für den Job sind. Das können Sie mir übrigens gleich beweisen. Im Konferenzraum wartet ein sehr wichtiger potenzieller Kunde. Verhandeln Sie mit ihm. Versuchen Sie, dass er uns seinen PR-Etat überträgt. Ich bin dabei, überlasse die Gesprächsführung aber Ihnen. Er will kein Herumgerede, sondern genau wissen, was Sache ist, und nur mit demjenigen sprechen, der später auch sein Projekt betreut. Er stellt hohe Ansprüche.“

„Und was ist mit Wes?“

„Dies ist Ihre Bewährungsprobe.“ Jillian stand auf, kam um den Schreibtisch herum und legte Kendall kurz die Hand auf die Schulter. „Die Chance haben Sie sich verdient. Enttäuschen Sie mich nicht.“

„Danke für Ihr Vertrauen. Ich werde Sie nicht enttäuschen.“

Jetzt erst schien Jillian Kendalls auffälligen Ring zu bemerken. „Haben Sie sich verlobt? Den Ring habe ich noch nie gesehen.“

„Nein. Der Ring gehörte meiner Mutter.“

„Und Sie tragen ihn auf dem linken Ringfinger?“

Kendall nickte lächelnd. „Werden Sie manchmal von Männern angemacht, mit denen Sie wirklich nichts zu tun haben wollen?“

„Dauernd. Macht mich wütend.“

„Eben. Wenn ein Mann sich nicht plump anstellt und mir gefällt, kann ich immer noch sagen, der Ring sei nur ein Erbstück. In allen anderen Fällen hält er die Männer auf Abstand, und ich kann mich ganz auf meinen Beruf konzentrieren.“

„Sehr gut.“ Jillian nickte befriedigt.

Kendall folgte Jillian in den Konferenzraum. Tausend Gedanken schossen ihr auf einmal durch den Kopf. Nervös drehte sie an ihrem Ring. Sollten sich ihre Hoffnungen wirklich erfüllen? Würde sie ihr ehrgeiziges Ziel erreichen, ganz oben mitzuspielen? Es musste einfach klappen.

Doch als sie die schwere Tür hinter sich schloss und den Blick hob, wäre sie fast in Ohnmacht gefallen. Am Ende des langen Konferenztisches saß der wohl attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Der Mann, den sie unbedingt vergessen wollte. Der Mann, dessentwegen sie den Ring ihrer Mutter trug.

Sawyer Locke.

2. KAPITEL

Normalerweise war Kendall auf Kundengespräche immer gut vorbereitet. In diesem Fall jedoch wusste sie etwas zu viel über Sawyer Locke. Den Kunden schon nackt gesehen zu haben wirkte auf sie doch eher verwirrend. Hatte er gewusst, dass sie hier arbeitete? Hatte er etwas vor? War er an ihr interessiert? Aber warum hatte er sich dann nicht telefonisch bei ihr gemeldet?

„Mr. Locke …“ Jillian reichte ihm die Hand. „Dies ist Kendall Ross, unsere Top-PR-Frau. Wenn wir für Sie arbeiten dürfen, wird sie Ihre Ansprechpartnerin sein.“

Sawyer richtete den Blick seiner dunkelbraunen Augen auf Kendall, während er ihr lächelnd die Hand entgegenstreckte. Sofort fühlte sie sich sechs Wochen in die Vergangenheit zurückversetzt, spürte förmlich seine leidenschaftlichen Küsse und sah ihn ohne seinen maßgeschneiderten Anzug vor sich. Und doch war er ein möglicher Kunde, und sie musste alles tun, ihn für die Agentur zu gewinnen. Aber wie?

„Was für eine Überraschung.“ Sawyer hielt ihre Hand viel zu lange fest. „Ms. Ross und ich sind uns bereits begegnet.“

Warum hatte er das gesagt? Was versprach er sich davon? Wenn er doch bloß meine Hand loslassen würde! „Äh … ja, wir kennen uns.“ Hastig entzog sie ihm die Hand. „Wir haben uns auf der Hochzeit von gemeinsamen Freunden getroffen.“

„Dabei haben wir uns sehr gut amüsiert. Ms. Ross hat mir viel gezeigt.“ Seine Mundwinkel hoben sich leicht. „Auf der Tanzfläche.“

Mistkerl. Er wollte sie absichtlich verunsichern. Dabei stand für sie so viel auf dem Spiel. Für ihn natürlich nicht, diesen unverschämt gut aussehenden Millionär.

„Bitte, nehmen Sie doch Platz, Mr. Locke.“ Kendall setzte ihr professionelles Lächeln auf, zog sich einen Stuhl heran und legte ihren Notizblock vor sich hin. „Was können wir für Sie tun?“

Als sie hochsah, begegnete sie seinem Blick, dann schaute Sawyer starr auf ihren funkelnden Ring. Sehr gut.

Jillian war stehen geblieben. „Ich lasse Sie jetzt allein, Mr. Locke. Ich weiß, Sie wollen mögliche Strategien besprechen. Und da ist Kendall die richtige Frau für Sie.“

„Tatsächlich?“ Sawyer lehnte sich zurück und trommelte leicht mit den Fingern auf die Tischplatte.

Die richtige Frau für Sie … Bei dem Gedanken wurde Kendall heiß. Nervös befeuchtete sie sich die Lippen. „Ja, ich bin gut in meinem Job. Darauf können Sie sich verlassen.“

Sawyer setzte ein selbstsicheres Lächeln auf. Es war klar, dass er nicht nur wusste, was er wollte. Er war es auch gewohnt, sein Ziel zu erreichen.

„Perfekt. Ich brauche eine neue PR-Agentur. Die letzte Firma war unfähig, das durchzusetzen, was ich wollte. Und ich habe zu viel zu tun, um mich um alles selbst zu kümmern.“

Na klar. Kendall schlug die Beine übereinander. Männer wie Sawyer Locke konnten es nicht ertragen, wenn jemand anderer Meinung war. „Erzählen Sie mir von dem Grand Legacy. Vermutlich geht es doch um das Hotel. Ich habe die Story in der Times gelesen.“

„So, dann wissen Sie Bescheid?“

„Ja, zumindest über das, was in dem Artikel stand. Das war nicht sehr schmeichelhaft.“ Auch wenn du auf dem Foto sehr sexy aussiehst.

„Sagen Sie mir, was Sie wirklich dabei empfunden haben“, drängte er.

Kendall zuckte mit den Schultern. „Ich habe den Text gelesen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Sawyer presste kurz die Lippen zusammen, dann räusperte er sich. „Okay. Ja, Sie haben recht. Es war alles andere als schmeichelhaft. Mein Bruder und ich sind nicht sehr glücklich, dass diese Fotos veröffentlicht wurden. Wir haben uns bemüht, dass die Einzelheiten unseres Projekts nicht an die Öffentlichkeit kommen. Und nun das.“

„Möglicherweise sind Sie nicht ganz unschuldig daran. So etwas kann man nicht geheim halten. Und wenn man es versucht, wird die Presse nur noch aufmerksamer.“

„Nicht, wenn man es richtig anpackt. Sie müssen wissen, es geht hier nicht nur um die Renovierung eines Hotels. Wir wollen einen Traum wahr machen. Deshalb darf vor der großen Eröffnung nichts bekannt werden. Denn dann erst soll die Bombe platzen, zur großen Überraschung der Allgemeinheit.“

Kendall schüttelte leicht den Kopf. „Ich denke, ich gehöre zu dieser Allgemeinheit, die Sie überraschen wollen? Aber weshalb sollte mich das Ganze interessieren? Ich kenne die Geschichte des Grand Legacy nicht, obgleich ich hier aufgewachsen bin. Das Hotel ist seit über zehn Jahren geschlossen und längst vergessen. Aus der Sache ein Geheimnis zu machen scheint mir nicht der richtige Weg zu sein.“

„Da hat Kendall recht“, warf Jillian ein, die interessiert zugehört hatte. Andere Chefs hätten vielleicht lieber gesehen, wenn dem potenziellen Kunden Honig um den Bart geschmiert worden wäre. Aber nicht Jillian, sie war immer für absolute Offenheit.

„Was schlagen Sie denn dann vor?“ Sawyer war verärgert, das war deutlich zu merken. „Sollen wir alle Welt zusehen lassen?“

Kendall lächelte kurz. „Lassen Sie mich mit einer Frage antworten. Was wäre Ihnen lieber? Schlechte undeutliche unattraktive Fotos Ihres Hotels in der Zeitung? Oder professionelle Bilder über den Wiederaufbau eines ehemals legendären Hotels, zusammen mit interessanten Details aus seiner Geschichte?“

Sawyer runzelte die Stirn. „Ich verstehe, was Sie meinen“, sagte er nachdenklich.

„Es kommt darauf an, die Neugierde anzuregen und Spannung aufzubauen“, fuhr Kendall ruhig fort. „Dazu sind gewisse Informationen notwendig. Lassen Sie es langsam angehen, Mr. Locke. Sehr bald wird man mehr wissen wollen und den Tag der Eröffnung kaum noch erwarten können.“ Auch wenn sie nicht einer Meinung waren, es tat ihr gut, ihm zu zeigen, dass sie nicht zu allem Ja und Amen sagen würde.

Jillians Assistentin schaute zur Tür herein. „Tut mir leid zu stören, Ms. Sloan. Aber Ihr Zehn-Uhr-Termin ist bereits da.“

„Ich komme.“ Jillian sah Sawyer an. „Ich muss gehen. Aber ich bin sicher, dass Kendall genau weiß, was sie tut. Sie sind bei ihr in den richtigen Händen.“

„Danke. Davon bin ich überzeugt …“

Kendall unterdrückte ein Stöhnen. Der Mann hatte ein Talent für sexuelle Andeutungen. Sowie Jillian den Raum verlassen hatte, wandte er sich ihr wieder zu und sah sie schweigend an.

Was ihm wohl durch den Kopf ging? Sollten sie wirklich in Zukunft zusammenarbeiten, musste sie eine nüchterne Arbeitsatmosphäre schaffen. Kein Flirten, keine Anspielungen.

„Nun, wie ist es?“, fragte sie freundlich lächelnd. „Darf sich Sloan PR um das Grand Legacy kümmern?“

Er nickte. „Ja. Aber ich habe noch ein paar Fragen.“

„Selbstverständlich. Was wollen Sie wissen?“

„Was mich besonders interessiert: Seit wann bist du verlobt?“

Du … Kendall erstarrte. Was sollte sie darauf sagen? Und der Ring … Dass sie Sawyer wiedersehen würde, daran hatte sie heute Morgen wirklich nicht gedacht, als sie den Ring ansteckte.

Wenn Sawyer etwas bei Geschäftsbesprechungen hasste, dann waren es Unterbrechungen oder Abweichungen vom Thema. Aber dieses war keine übliche Besprechung. Denn Kendall Ross war nicht nur eine aufregende Frau, sie war auch eine ebenbürtige Gesprächspartnerin.

„Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich zu unserem eigentlichen Punkt zurückkehren. Es geht um Ihr Hotel und die geeigneten PR-Maßnahmen.“ Kendall hatte sich wieder gefangen und blickte ihn kühl an.

Sawyer hatte Schwierigkeiten, sich zu fassen. Das geschah ihm höchst selten, aber zu deutlich war die Erinnerung an jene Nacht. Wieder meinte er, Kendalls zarte Haut an seiner zu spüren, ihr leises Keuchen zu hören … Verdammt, warum fiel es ihm so schwer, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren?

Er wusste, warum. Es war eine Sache, eine frühere Flamme wiederzutreffen, wenn sie ihm ihren neuen Freund vorstellte. Damit konnte er umgehen, denn er nahm seine Beziehungen nicht ernst. Aber verlobt? Noch nicht einmal zwei Monate nachdem sie miteinander geschlafen hatten? Was war das für ein Typ? Wie und wo hatte Kendall ihn kennengelernt? Offenbar war sie über den One-Night-Stand vor sechs Wochen schneller hinweggekommen als er. Denn er konnte sie einfach nicht vergessen.

„Okay“, gab er widerstrebend zu.

„Wie ich schon sagte, es ist wichtig, einen sehr ausgefeilten Zeitplan einzuhalten, der schließlich in der großen Eröffnung gipfelt. Um die Presse im Zaum zu halten, müssen Sie klarmachen, dass Sie bereit sind, jegliche Informationen herauszugeben. Allerdings nach Ihren Bedingungen.“

„Es langsam angehen lassen …“ Was er mit ihr nicht getan hatte, im Gegenteil. Die Leidenschaft, mit der sie sich geliebt hatten, hatte sie beide überrascht.

„Ja. Sie müssen davon ausgehen, dass die meisten Menschen keine gute Vorstellungsgabe haben. Aber immer mal wieder Einblicke zu geben, eine knappe Information hier und ein Foto da, wird die Spannung steigern, und alle werden der Eröffnung entgegenfiebern.“

Sie war wirklich gut, das musste er ihr lassen. „Ich habe das Gefühl, ich hätte dich gleich engagieren sollen.“

„Soll das heißen, dass Sloan PR den Auftrag sicher hat?“

Sawyer lachte leise. „Ich fürchte, mir bleibt nichts anderes übrig. Du bist sehr überzeugend. Auch wenn ich anderer Meinung bin, ich bin bereit, es mit deiner Methode zu probieren. Bedingung ist allerdings, dass wir uns duzen, wenn wir allein sind. Ich komme mir sonst zu albern vor.“

Kendall zögerte kurz, dann nickte sie. „Okay. Ich freue mich über den Auftrag.“ Sie lächelte, und eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen, während sie sich das Haar zurückstrich.

Dieses Lächeln traf Sawyer mitten ins Herz. Sie sollte immer so lächeln, wenn sie mit ihm zusammen war … „Und du hast dich verlobt? Gerade kürzlich?“ Wenn sie schon länger verlobt war, würde das bedeuten, dass sie ihren Verlobten betrogen hatte, und das ging irgendwie zu weit. Denn das hieß, dass sie vielleicht nicht vertrauenswürdig war.

„Das ist doch völlig unwichtig. Wir sollten uns auf das Geschäftliche konzentrieren. Der Ring geht dich gar nichts an.“

„Oh, doch. Ich muss wissen, ob ich der Person vertrauen kann, mit der ich in den nächsten drei Monaten zusammenarbeite.“

„Willst du damit sagen, dass ich dich irgendwie hintergangen habe?“

„Möglich. Vor sechs Wochen haben wir eine Nacht zusammen verbracht. Ich hoffe, du warst damals noch nicht verlobt. Denn ich fange normalerweise nichts mit Frauen an, die in festen Händen sind.“ Dazu hatte er in der Vergangenheit zu viel erlebt. Er hatte unter Untreue gelitten, sein Vertrauen war enttäuscht worden, und das hing ihm immer noch nach.

„Wenn du es unbedingt wissen willst, den Ring trage ich erst seit kurzer Zeit.“

„Wie kurz?“

„Sehr kurz. Aber in unserem Fall soll er uns daran erinnern, dass wir nur eine geschäftliche Beziehung haben.“

„Verstanden.“ Sawyer wusste, es hatte keinen Sinn, zu diesem Zeitpunkt dagegen anzugehen.

„Gut. Wie sieht dein Zeitplan aus?“

„Die Eröffnung ist für den letzten Tag des Jahres geplant.“

„Wir haben jetzt den siebten Oktober. Es wird also relativ knapp.“

„Kann man so sagen.“ Wieder spürte er das ganze Gewicht der Verantwortung. Er musste die Bauleute antreiben und irgendwie seinen Vater davon abhalten, sich immer wieder einzumischen. Seine Hoffnung setzte er jetzt auf Kendall Ross. Vielleicht hatte sie magische Kräfte, und die Eröffnung konnte tatsächlich wie geplant stattfinden.

„Erst einmal muss ich mir das Hotel ansehen. Hast du morgen Zeit?“ Kendall sah ihn fragend an.

Morgen? Da hatte er einen Termin nach dem anderen. Aber das war egal. Sie musste möglichst bald wissen, worum es ging. Außerdem hatte er mehr Lust, ihr das Hotel zu zeigen, als sich mit allem anderen herumzuschlagen. „Wie wäre es mit morgen Vormittag um zehn Uhr? Ich schicke dir einen Wagen.“

„Nicht nötig. Ich kann die U-Bahn oder ein Taxi nehmen.“

„Das weiß ich.“

Sie lächelte kurz. „Danke für das Angebot. Aber ich komme gut so zurecht.“

„In Ordnung. Ich will mich nicht mit dir streiten.“

Als sie aufstand, musterte er sie unwillkürlich von oben bis unten. Es würde nicht einfach werden, so eng mit ihr zusammenzuarbeiten und alle anderen Wünsche zu unterdrücken.

„Dann sehen wir uns morgen.“ Sie reichte ihm die Hand.

„Bis morgen.“ Wie seltsam, ihr nur die Hand zu schütteln, wenn er daran dachte, was vor sechs Wochen geschehen war …

Er wandte sich zur Tür, froh, dass die PR-Geschichte unter Dach und Fach war. Andererseits musste er immer an ihren Verlobten denken. Was war das für ein Mann, der eine Frau wie Kendall in so kurzer Zeit für sich gewonnen hatte? Dem Ring nach zu urteilen, musste er Geld haben. Wie er wohl aussah. Vielleicht kannte er ihn sogar. Hoffentlich nicht …

Sawyer verließ das Gebäude, stieg in seinen Wagen und rief seinen Bruder an. Wichtig war, dass er sich ganz auf die Aufgaben konzentrierte, die vor ihm lagen. Er musste sich Kendall aus dem Kopf schlagen, was nicht einfach war, weil sie jetzt mit im Boot war. Aber so kühl und gefasst, wie sie sich ihm gegenüber benommen hatte, musste er wohl davon ausgehen, dass sie nicht weiter an ihm interessiert war.

Schließlich war sie ja verlobt.

3. KAPITEL

Das Taxi hielt direkt vor dem Eingang des Grand Legacy mitten in Manhattan, nicht weit vom Times Square entfernt. Kendall stieg aus und zog den Mantel fester um sich. Der Herbstwind fegte die Blätter von den Bäumen, es war kühl und regnerisch. Sie blickte an dem Gebäude hoch, das vollkommen eingerüstet war.

Vier Muskelmänner in Schwarz bewachten den Eingang, und Kendall fragte sich, wie es der Reporter von der Times wohl geschafft hatte, an ihnen vorbeizukommen. Gestern Abend hatte sie sich im Internet über das Hotel und die Familie Locke schlaugemacht. Offenbar hatte Sawyer kein gutes Verhältnis zu seinem Vater, der seinem Sohn wohl das Hotel neidete. Ob der Alte hinter dem rufschädigenden Artikel steckte?

„Guten Morgen“, begrüßte Kendall einen der Sicherheitsleute. „Ich bin mit Sawyer Locke verabredet.“ Aus dem Augenwinkel sah sie, dass eine Überwachungskamera sich in ihre Richtung drehte. Wahrscheinlich saß Sawyer drinnen wie eine Spinne im Netz und bewachte sein Reich.

„Okay, Ma’am. Mr. Locke erwartet Sie. Folgen Sie mir.“ Der Sicherheitsmann öffnete eine provisorische Tür, die in einen Raum voller Baumaterialien führte. „Hier.“ Er nahm einen gelben Plastikhelm von einem Bord und reichte ihn Kendall. „Vorschrift.“

„Ist das wirklich notwendig?“

„Ja. Anweisung von Mr. Locke.“ Der Mann öffnete eine verstaubte Glastür. Der eigentliche Haupteingang, eine prächtige Drehtür, war mit Sicherheitsfolie verklebt.

Widerstrebend setzte Kendall sich den Helm auf. Sicher sah sie schrecklich albern mit dem gelben Ungetüm aus. Wollte Sawyer sie verunsichern, um ihr so die Sache mit dem Verlobten heimzuzahlen?

Sie traten in eine große Halle, wohl ursprünglich die Lobby des Hotels. Der Fußboden war mit Papier abgedeckt, Sägemehl lag überall verstreut. Jede Menge Handwerker liefen herum, der Lärm der Maschinen war ohrenbetäubend. Der Artikel in der Times hatte nicht übertrieben. Unvorstellbar, dass die Renovierung bis Ende des Jahres abgeschlossen sein sollte.

„Wo finde ich Mr. Locke?“, schrie sie dem Mann zu.

„Dahinten!“ Er wies auf einen der Arbeiter.

„Sie haben mich missverstanden. Ich meine Mr. Locke!“ Kendall blickte sich um, konnte den eleganten Millionär in seinem Maßanzug aber nirgends entdecken.

„Ich auch!“

Das war Sawyer Locke? Dieser Mann in Jeans, blauem Flanellhemd und braunen Arbeitsschuhen, der vor dem Fahrstuhl hockte? Die Haarfarbe stimmte, die Figur auch. Kendall trat näher, da drehte der Mann sich um und grinste sie an.

Tatsächlich, er ist es!

Jetzt richtete er sich auf, wischte sich die Hände an der Hose ab und kam auf sie zu. Kendall stockte kurz der Atem. Der Mann konnte anziehen, was er wollte, er sah immer sexy aus. Als er auf sie zutrat, machte sie unwillkürlich einen Schritt zurück. Diese kräftigen, braun gebrannten Unterarme, der Bizeps, der sich unter dem weichen Flanellhemd abzeichnete … Sie atmete ein paarmal tief durch, dann hatte sie sich gefangen. Dieser Job war ihre Bewährungsprobe, sie musste sich ihm unbedingt gewachsen zeigen.

„Hallo!“, sagte er und strich sich das kräftige Haar zurück. „Ich hätte dich auf die Baustelle vorbereiten sollen. Jeans wären wohl passender gewesen. Aber hübsch siehst du aus. Auch mit Helm.“

„Warum trägst du keinen?“

„Ich weiß, was ich tue.“

„Und du meinst, ich nicht?“

„Doch, doch.“ Er lachte gutmütig. „Aber das ist dein erster Besuch auf der Baustelle, da will ich kein Risiko eingehen.“

War das wirklich der Grund? Aber egal. „Okay. Dann zeig mir jetzt das Hotel.“

„Hier unten ist noch nicht viel zu sehen.“ Er trat zur Seite, um einem Arbeiter mit einer großen Leiter Platz zu machen. „Ich zeige dir den großen Ballsaal.“

Mit schnellen Schritten ging er zum Fahrstuhl, und Kendall hatte Mühe, ihm zu folgen. Auf Sawyer in Jeans, die eng seinen knackigen Hintern umschloss, war sie nicht vorbereitet gewesen. Ein Mann wie er, reich und privilegiert, mischte sich unter die Arbeiter und machte sich die Hände dreckig? Das war mehr als sexy …

Er wies auf die Fahrstuhltür. „Ich versuche, das ursprüngliche Relief auf den Türen wieder hervorzuholen. Reines Art déco.“

„Das Hotel muss wunderschön gewesen sein. Ich habe mir gestern Abend alte Fotos angesehen.“

„Ja, es war eins der schönsten Gebäude der Stadt. Und das soll es wieder werden.“

Inzwischen hatten sie die Halle verlassen, der Lärm ebbte ab. Kendall atmete auf. Noch mehr als die Architektur hatte sie die Geschichte des Hotels interessiert. Offenbar waren hier die Mafiabosse in ihren dicken Bentleys vorgefahren, schöne Frauen mit Nerzstolen im Schlepptau. Die ganze Nacht hindurch wurde Poker gespielt. Politiker, Hollywoodgrößen, alles fand sich ein. Und im Vergleich mit den rauschenden Silvesterpartys, die hier gefeiert worden waren, hatte das, was heutzutage auf dem Times Square um Mitternacht abging, wohl eher Ähnlichkeit mit einer braven Gemeindeversammlung.

Sawyer führte sie in einen offenen Raum, wo früher vermutlich der Empfang gewesen war. Der elegante Kronleuchter hing noch an der Decke und war mit einer Plastikfolie geschützt. Fünf große Doppeltüren gingen von der Halle ab. Sawyer zog ein enormes Schlüsselbund aus der Tasche und schloss eine der Türen auf, während er Kendall einen anerkennenden Blick über die Schulter zuwarf. „Du hältst mit mir Schritt. Sehr gut. Das zeigt, dass es dir mit dem Projekt ernst ist.“

„Allerdings.“ Sie trat ein, und als er das Licht angeschaltet hatte, blickte sie nach oben. Die Decke bestand aus blauen und weißen Glasplättchen, die geometrisch angeordnet waren. Ein sanftes Licht drang durch das Glas und erhellte den Raum. „Wie auf den Fotos!“, staunte Kendall.

„Ja, es soll wie Mondlicht aussehen, ist aber eine ziemlich komplizierte Lampenkonstruktion in einer Art Zwischendecke. Darüber befinden sich die Zimmer des dritten Stockwerks. Das Ganze war sehr mühsam zu reparieren. Viele Glasplättchen waren heruntergefallen in den fünfzehn Jahren, die das Hotel geschlossen war.“

„Vor fünfzehn Jahren hast du es geerbt, oder?“

Überrascht sah er sie an. „Du weißt ja gut Bescheid! Ja, ich war siebzehn und natürlich nicht in der Lage, ein Hotel zu leiten. Aber auf keinen Fall wollte ich es meinem Vater überlassen.“

„Das wollte ich dich gerade fragen. Wollte dein Vater das Hotel wirklich abreißen lassen?“

„Ja. Und er ist immer noch der Meinung, dass es das Beste wäre.“ Sawyer blickte nach oben und schüttelte leicht den Kopf. „Kannst du dir das vorstellen? Alles weg?“

Kendall konnte den Blick nicht von seinem markanten Profil lösen. Seine Liebe zu dem Hotel berührte sie tief. „Von der Decke könnte man ein eindrucksvolles Foto machen. Würde gut wirken in einem Hochglanzmagazin. Ich werde nachher gleich mal unseren Fotografen herschicken.“

„Wenn du hiervon schon beeindruckt bist, muss ich dir unbedingt die Bar zeigen.“ Sawyer schloss den Ballsaal wieder ab und ging quer durch den Empfangsbereich zu einer Metalltür. Er schloss sie auf und trat einen Schritt zurück. „Ladies first!“

Vorsichtig trat Kendall in ein spärlich beleuchtetes Treppenhaus. „Ist das die Feuertreppe?“

„Ja. Anders kommen wir momentan nicht nach oben.“

Zögernd trat sie auf die erste Stufe und blickte hoch. „Wie weit müssen wir?“

„Nur in den zweiten Stock.“

„Hast du schon die ganze Zeit so aktiv mitgearbeitet? Oder erst seitdem die Zeit knapp wird?“ Ihre Stimme klang ein wenig atemlos, denn Sawyer war dicht hinter ihr.

„Ich war von Anfang an dabei. Es gibt so viele Einzelheiten zu besprechen. Als Kind war ich oft hier und kann mich noch gut an vieles erinnern. Alles andere kann ich in den Unterlagen meines Urgroßvaters nachlesen.“

„Aber du hast doch sicher einen Architekten, der sich um alles kümmert?“

„Das schon. Aber er muss eng mit mir zusammenarbeiten. Für mich hat das Ganze absolute Priorität.“

„Das heißt, du willst alles bis ins Kleinste überwachen?“ Sie blieb auf dem Treppenabsatz stehen und blickte sich nach Sawyer um.

Er griff an ihr vorbei und öffnete die Tür zum zweiten Stock. Seine Nähe ließ sofort alle Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht wieder wach werden. Die Hitze seiner Haut, die leidenschaftlichen Küsse, wie er sie mit Lippen und Zunge verwöhnt hatte … Die Knie wurden ihr weich, und nur mit Mühe hielt sie sich davon ab, zu stolpern. Doch gut, dass sie den Helm aufhatte …

„Ja, vielleicht bin ich so etwas wie ein Kontrollfreak“, meinte Sawyer lächelnd. „Aber nur so erreicht man, was man will.“

Sie betraten eine Art Vorraum. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine Tür. Sawyer öffnete sie, schaltete das Licht ein und ließ Kendall eintreten.

Sie riss die Augen auf. „Oh, Sawyer, das ist ja unglaublich, noch schöner als der Ballsaal!“

Eine lange Bar aus Ebenholz zog sich auf einer Seite des großen Raumes entlang, in der sich die bleiverglasten Hängelampen spiegelten. Auf der anderen Seite waren intime Nischen durch vergoldete Metallwände abgeteilt. Jede Nische war mit zierlichen Ledersesseln und einem kleinen runden Tisch eingerichtet, der ebenfalls aus Ebenholz bestand. Am anderen Ende des Raumes war ein großes rundes Fenster eingelassen, das allerdings noch mit Papier ausgekleidet war.

„An das Fenster kann ich mich gar nicht erinnern“, meinte Kendall. „Das hätte man doch von außen sehen müssen.“

„Das habe ich auch erst wieder einsetzen lassen. Man hatte es 1919 zugemauert, da in der Zeit des Alkoholverbots die Bar eigentlich nicht existieren durfte. Dabei war hier damals am meisten los. Übrigens hat mein Urgroßvater schwarz Whiskey gebrannt. Von dem Geld hat er sich unter anderem dann das Hotel gekauft.“

„Dann stimmt, was man sich erzählt? Die Lockes haben ihr Vermögen mit Alkohol gemacht?“

„Mein Urgroßvater war ein eindrucksvoller Mann. Er hatte immer die verrücktesten Ideen.“ Sawyers Augen leuchteten. „Meine Familie stammt ursprünglich aus sehr kleinen Verhältnissen. Das hat meinen Vater immer gestört. Er will am liebsten unsere bescheidene Herkunft verschleiern und so tun, als hätten wir immer schon zur führenden Schicht New Yorks gehört.“

„Dann ist ihm die Familiengeschichte peinlich?“

„Offenbar ja. Aber mein Urgroßvater war entschlossen, sich ein besseres Leben zu schaffen. Deshalb dies Hotel.“

Kendall sah Sawyer an, wie viel ihm das Hotel bedeutete. Den leidenschaftlichen Blick kannte sie allerdings aus einem anderen Zusammenhang … „Dann ist es mehr für dich als ein Mittel zum Geldverdienen?“, fragte sie schnell.

„Allerdings.“

Er musterte sie aufmerksam und kam näher, als wolle er sie küssen. Sie wich zurück. Sosehr sie sich auch danach sehnte, es durfte nicht sein. Sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen, und Sex war dabei nicht vorgesehen.

Er hob kurz verwundert die Augenbrauen, dann lächelte er leicht, als verstünde er, was in ihr vorging. „Das Grand Legacy ist mein Baby. Schon als Kind liebte ich das Hotel. Es verbindet mich mit unserer echten Familiengeschichte. Und die sieht anders aus als das, was mein Vater sich vorgaukelt.“

„Hat dein Urgroßvater dir deshalb das Hotel vererbt? Statt es in eure Hotelkette einzureihen?“ Kendall holte ihr Smartphone aus der Tasche, um sich ein paar Notizen zu machen. Später im Büro würde sie die erste Pressemitteilung formulieren und ein paar Interviews vorbereiten.

„Hast du etwas dagegen, wenn wir uns kurz setzen?“, fragte Sawyer.

„Nein, natürlich nicht.“

Sie setzten sich an den nächsten kleinen Tisch. Sawyer streckte den Arm aus und nahm ihr den Plastikhelm ab. „Ich glaube, den brauchst du jetzt nicht mehr.“

Verlegen lockerte sie ihr Haar. Die leichte Berührung hatte sie wieder an die Hochzeit erinnert. Im Fahrstuhl hatte er ihr damals kurz den Handrücken an die Wange gelegt. „Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe“, hatte er gemurmelt. Wahrscheinlich sagte er das jeder Frau, aber sie hatte es damals unbedingt glauben wollen. Auch jetzt sehnte sie sich danach, dass er die Worte wiederholte.

Ja, er wusste genau, wie er das erreichen konnte, was er wollte. Er brachte sie dazu, sich ihm ganz auszuliefern.

Doch sie musste sich zusammenreißen, also lehnte sie sich zurück und räusperte sich. „Eins würde mich interessieren“, sagte sie mit fester Stimme. „Meinst du, dass dein Vater hinter dem Artikel steckt?“

Sawyer schwieg kurz. Der Blick aus seinen warmen braunen Augen wirkte traurig. „Ich kann es nicht beweisen, aber es ist möglich. Wie kommst du darauf? Ist es so offensichtlich?“

„Irgendwie weist alles auf ihn hin. Ist er wirklich so nachtragend? Man würde denken, er freut sich, dass du dich um das Hotel kümmerst. Dass es dir so viel bedeutet. Er selbst hatte doch nie etwas für das Grand Legacy übrig. Warum lässt er es dir nicht, sondern legt dir Steine in den Weg?“ Kendall war selbst überrascht, wie sehr sie diese Geschichte mitnahm. Sawyers eigener Vater wollte seinem Sohn nur Böses. Auch sie hatte sich mit ihrer Mutter häufig gestritten, aber eigentlich nur aus Liebe. Sie wollten immer das Beste für den anderen.

Sawyer nickte. „Er nimmt mir nicht nur übel, dass ich das Hotel geerbt habe, sondern auch, dass ich mich ihm häufig widersetze. Er kann es nicht leiden, wenn nicht alles nach seinen Vorstellungen läuft.“

„Das ist schlimm.“

„Und genau aus diesem Grund werde ich mich von ihm nicht stoppen lassen.“

Und ich werde dir dabei helfen, dachte Kendall.

Zuzugeben, dass sein Vater sein größtes Problem war, fiel Sawyer nicht leicht. Irgendwie fühlte er sich hilflos, dass er ihn nicht daran hindern konnte, ständig querzuschießen. Und er verachtete sich dafür. Doch eigentlich war ihm schon klar, dass es sich hier weniger um eine Schwäche handelte, als dass er sich auf die hinterhältigen Methoden seines Vaters einfach nicht einlassen wollte. Sawyer hatte nichts gegen einen offenen Kampf. Der alte Locke dagegen liebte Angriffe aus dem Hinterhalt.

„Die Sache mit deinem Vater tut mir so leid, Sawyer. So was ist einfach schrecklich.“

Als Kendall ihm tröstend die Hand auf den Arm legte, war er spontan gerührt, – bis er den Ring sah. Etwas in ihm verhärtete sich, und er lachte kurz und bitter auf. „Das kann man wohl sagen. So viel Geld steht auf dem Spiel, und ich muss gegen meinen eigenen Vater ankämpfen. Es handelt sich ja nicht nur um den Artikel. Dass die Renovierung so schleppend vorangeht, geht größtenteils auch auf sein Konto.“

„Und er lässt nicht vernünftig mit sich reden? Es muss doch eine Möglichkeit geben.“

Sawyer schüttelte den Kopf. Lieb, dass sie die Hoffnung nicht aufgab. Wieder starrte er auf den Ring. Wenn sie nicht verlobt wäre, würde er sie jetzt auf einen Drink einladen und sich dafür entschuldigen, dass er sich nicht bei ihr gemeldet hatte. „Mit jemandem, der alles besser weiß, kann man nicht vernünftig argumentieren.“

„Hm … Und was willst du dagegen tun? Ihn deinerseits angreifen?“

„Wie meinst du das?“

„Ich denke an unsere PR-Kampagne.“ Kendall beugte sich vor. „Sie sollte ihm nicht nur zeigen, dass du dich von ihm nicht aufhalten lässt. Wir können auch subtil zurückschlagen. Wenn du damit einverstanden bist.“

„So hintenrum? Das ist eigentlich nicht mein Stil.“

„Daran denke ich auch nicht.“

„Woran denn dann?“ Das Gespräch gestern hatte Sawyer sehr beeindruckt. Offenbar hatte Kendall einen Plan. Und nun wollte sie sogar seinen Vater angreifen?

„Wir gehen mit der Geschichte des Hotels an die Öffentlichkeit und machen deutlich, was für ein Mensch dein Urgroßvater war, wie er sein Geld verdiente und dass er sich nicht schämte, sich emporgearbeitet zu haben. Das wird deinem Vater gar nicht recht sein.“

„Was stellst du dir genau vor?“

„Wir machen natürlich deutlich, wie sehr du das Hotel liebst und dass es in neuer Pracht wieder auferstehen wird. Aber wir erzählen auch Geschichten aus der damaligen Zeit, von der Mafia, korrupten Politikern und Hollywoodgrößen. Wir verkaufen das Hotel als das mit der berüchtigtsten Vergangenheit.“

„Und dann?“

„Du weißt doch, wie die Leute sind. Sie lieben alles, was anrüchig ist. Wenn das Ganze dann in einer luxuriösen prächtigen Form wiederersteht, hat es einen großen Reiz.“

Kendalls Wangen glühten vor Eifer, ihre Augen strahlten. Sawyer konnte den Blick nicht von ihr lösen. Wie schön sie war, wie sexy … Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und geküsst, ja, sie gleich hier geliebt … Aber dann schaute er wieder auf den Ring.

„Das ist eine Superidee, einfach fantastisch“, sagte er und atmete tief durch. Du bist fantastisch, und ich bin ein Idiot.

„Gut!“ Sie machte sich ein paar Notizen, dann steckte sie das Smartphone wieder in ihre Handtasche. „Ich fahre jetzt zurück ins Büro, um meinen Plan genauer auszuarbeiten und auch die ersten Interviews anzuleiern. Außerdem wird Jillian wissen wollen, wie alles läuft. Und du hast sicher auch genug zu tun.“

„Okay. Nächstes Mal zeige ich dir mehr. Das Restaurant ist nahezu fertig, und an der zweiten Bar arbeiten wir.“

„Einverstanden.“ Sie stand auf.

„Ich lasse dir einen Wagen kommen.“

„Nicht nötig. Ich nehme ein Taxi.“

Warum bestand sie auf dieser Distanz? Sicher, dies war eine professionelle Beziehung. Aber das war nicht alles. Sie fühlten sich spontan voneinander angezogen, das musste sie doch auch spüren. So wie damals auf der Hochzeit …

Empfand sie so etwas auch, wenn sie mit ihrem Verlobten zusammen war? Wenn ja, hatte der Mann das einzig Richtige getan und ihr einen Ring an den Finger gesteckt. Nicht zum ersten Mal fragte Sawyer sich, ob es richtig war, jeder Verpflichtung aus dem Weg zu gehen.

„Dann lass mich wenigstens das Taxi rufen.“

„Okay.“ Sie nickte lächelnd und griff nach dem gelben Schutzhelm. „Muss ich das Ding wieder aufsetzen?“

„Nein.“ Er nahm ihr den Helm ab, und als sich ihre Finger berührten, zuckten sie beide zusammen. „Nicht, wenn du dicht an meiner Seite bleibst.“

Draußen auf der Straße hielten sie beide nach einem Taxi Ausschau.

„Dein Plan gefällt mir wirklich sehr“, fing er wieder an. Er wollte nicht, dass sie ging, und hätte sie am liebsten festgehalten.

„Das freut mich. Ruf mich auf dem Handy an, wenn du mich erreichen willst.“ Sie stockte kurz und blickte betont in die andere Richtung. „Du hast doch meine Nummer noch?“

„Ja …“

„Dann hast du mich absichtlich nicht angerufen?“ Sie wandte sich zu ihm um. Ihr Gesicht war ernst.

Ja, warum hatte er sie nicht angerufen? Weil er es sich zur Regel gemacht hatte. „Wenn es dich tröstet, ich rufe die Frauen nie hinterher an.“

„Nie?“

„Nein, tut mir leid.“

„Warum fragst du dann nach der Telefonnummer? Das ist ein ganz mieses Männerverhalten. Das hätte ich nicht von dir gedacht.“

Das hatte Sawyer auch schon von anderen Frauen gehört. „Du hast mich ja auch nicht angerufen“, verteidigte er sich lahm.

„Vielleicht bin ich altmodischer, als du glaubst. Ich erwarte immer noch, dass der Mann sich zuerst meldet.“

Kendall und altmodisch? Das konnte er sich nicht vorstellen. „Vielleicht bin ich auch altmodisch. Aber da du verlobt bist, muss es dir doch recht gewesen sein, dass ich nicht angerufen habe.“ Und warum sie nicht reagiert hatte, war ja mehr als deutlich an ihrem Finger zu sehen. „Und deinem Verlobten erst!“

Kendall senkte den Blick und sagte nichts.

„Der Glückliche!“ Sawyer ärgerte sich, dass er von dem Thema nicht loskam. Aber er musste einfach wissen, was für ein Typ das war, der ihr Herz so schnell gewonnen hatte. Was war so Besonderes an dem Kerl?

„Wer?“ Sie sah ihn kurz an, wich dann aber schnell seinem Blick aus.

„Dein Verlobter. Dem kann man nur gratulieren.“

Sie schwieg.

„Da kommt ein Taxi.“ Sawyer trat auf die Straße und hielt den Wagen an. Kendall stand nur wenige Schritte entfernt. Sie sah ihn nicht an, wirkte aber angespannt, als sie sich das Haar zurückstrich, das ihr ins Gesicht fiel. Er hatte sie aufgeregt. Er sollte sie jetzt in Ruhe lassen, doch sie war nun einmal die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Und die frustrierendste, weil er aus ihr einfach nicht schlau wurde.

Der Wagen hielt. Sawyer öffnete die Tür, und Kendall stieg ein. Dabei rutschte ihr Rock etwas höher. Unwillkürlich starrte er auf ihre langen schlanken Beine und hätte sich am liebsten zu ihr auf den Rücksitz gesetzt. Hätte sie getröstet und an sich gezogen, hätte sie geküsst und wäre mit ihr zu sich nach Hause gefahren. Um gutzumachen, dass er sie nicht angerufen hatte.

Wieder stellte er seine bisherige Lebensmaxime infrage, sich nicht bei der Frau zu melden, mit der er die Nacht verbracht hatte. Es war nicht immer so gewesen. Aber er war ungeheuer verletzt und enttäuscht worden und wollte das auf keinen Fall noch einmal durchmachen müssen.

„Danke für die Führung“, sagte sie leise und sah ihn mit ihren großen blauen Augen an.

„Danke für deine tollen Ideen. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit. Und ich muss unbedingt gleich meinem Bruder davon erzählen.“

Jetzt lächelte sie, und sein Herz schlug schneller. „Ich bin froh, dass unsere professionelle Beziehung so gut klappt“, sagte sie. „Privat konnte es nichts werden.“

Warum nicht? „Auf Wiedersehen.“ Er schlug die Tür zu, blieb aber noch stehen und sah dem Wagen hinterher. Ihre letzten Worte ließen ihn nicht los. Wieso war sie da so sicher?

Aber egal, jetzt musste ihn erst einmal die Arbeit ablenken. Er rief Noah an.

„Na, wie war dein Treffen?“, fragte sein Bruder gespannt.

„Sehr gut. Ich glaube, die Frau ist ein absoluter Glücksfall. Sie hat tolle Ideen. Das heißt, wir werden eine ganz neue Kampagne starten.“

4. KAPITEL

„Wann kommt denn dieser Locke?“ Wes, Kendalls Albtraum, trieb sich im Konferenzraum herum und nahm sich einen Keks von dem Teller, den sie für Sawyer zurechtgemacht hatte.

„Für dich ist es immer noch Mr. Locke. Und die Kekse sind nicht für dich.“

Wes zuckte nur mit den Schultern und ließ sich auf einen der Stühle fallen. „Ich verstehe nach wie vor nicht, warum Jillian dir diesen Auftrag gegeben hat. Das wird sie noch schwer bereuen.“

Am liebsten hätte sie Wes mit einem Fußtritt aus dem Raum befördert. Aber noch war er ihr nicht unterstellt, und Kendall musste vorsichtig sein. „Was ist mit dir los, Wes? Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der seine Unverschämtheiten seinem Opfer direkt ins Gesicht sagt. Kannst du dich nicht zivilisiert benehmen und wenigstens nur in der Kaffeepause über mich herziehen, wenn ich nicht dabei bin?“

Er grinste. „Ich bin immer sehr direkt. Das solltest du inzwischen wissen.“

„Wir arbeiten für Public Relations. Da ist Direktheit nicht angesagt, im Gegenteil. Wir erfinden schöne Geschichten.“

Er richtete sich auf und wies auf ihre linke Hand. „Dafür ist wohl auch der Ring da, was?“

„Das geht dich gar nichts an. Das habe ich dir doch schon zigmal gesagt.“

„Aber nur, weil du mit der Wahrheit nicht herausrücken willst. Du bist nämlich gar nicht verlobt. Die Leute sollen es nur glauben. Warum wohl?“

Kendall wurde blass und wandte sich schnell ab, sagte aber nichts.

„Ich glaube, ich weiß, warum“, fing Wes wieder mit seiner näselnden Stimme an. „Wir arbeiten für eine Frau, die in Sachen Flirt keinen Spaß versteht. Die Kunden versuchen es trotzdem, auch bei dir. Deshalb der Ring. Er sagt eindeutig, dass du in festen Händen bist. Da du hinter dem Stellvertreterposten her bist, ist das beinahe genial. So kommst du nicht in Schwierigkeiten und kriegst den Job.“

Ihren Freundinnen konnte sie erzählen, was es mit dem Ring auf sich hatte. Aber Wes? Nie! „Eine hübsche Theorie, lieber Kollege“, meinte sie lächelnd. „Aber nun geh, bitte. Du lenkst mich ab, und ich bin mit meinen Vorbereitungen noch nicht fertig.“

„Nur noch ein paar Minuten. Findest du nicht, dass du mich Locke vorstellen solltest? Er ist unser neuester und wichtigster Kunde. Und da ich noch immer im Rennen um die Position des Vize bin, sollte ich ihn kennenlernen.“

„Kommt gar nicht infrage.“

„Warum denn nicht?“

„Weil du mich zu Tode nervst und ich zu tun habe.“ Sie versuchte, Wes aus dem Stuhl hochzuziehen, was ihr beinahe gelang. Dann aber hatte er sich gefasst, stieß sie zurück und stand auf.

„Weißt du was, Ross? Du bist so unkollegial, wie es nur geht. Das werde ich dir nie vergessen.“

„Natürlich nicht. Etwas anderes habe ich von dir auch gar nicht erwartet.“

„Umso besser.“ Wes nahm sich noch zwei Kekse und verschwand.

Kendall atmete erleichtert auf. Auf keinen Fall durfte sie sich von Wes weiter provozieren lassen. Sie setzte sich, holte ihr Smartphone heraus und sah die Notizen durch. Sie musste sich auf das konzentrieren, was vor ihr lag. Alles sah so weit gut aus. Sawyer war mit ihrer Arbeit zufrieden, sie hatte einen brillanten PR-Plan, und der Ring hatte seine Aufgabe erfüllt.

Für heute waren drei Telefoninterviews geplant, die Sawyer in den nächsten zwei Stunden geben sollte. Normalerweise überließ sie so etwas dem Kunden selbst, aber in diesem Fall wollte sie unbedingt dabei sein. Bei diesem intriganten Vater und der knappen Zeit bis Ende des Jahres konnten sie sich keine Fehler leisten. Falls Sawyer während des Interviews in Verlegenheit kam, konnte sie ihm einen Zettel mit der passenden Antwort hinschieben.

Sie blickte auf die Uhr. Er hätte schon vor fünf Minuten hier sein sollen. Keine große Verspätung, aber er gehörte bestimmt zu den Männern, die normalerweise pünktlich waren.

Wenige Minuten später trat er durch die Tür. Sie blickte hoch, und sofort fing ihr Herz schneller zu schlagen an. Sie stand auf und schüttelte ihm die Hand. Dabei fiel ihr auf, dass er sie düster ansah.

„Tut mir leid, dass ich zu spät komme. Aber einer von deinen Kollegen hat mich aufgehalten. Wes? Kann das sein?“ Sawyer zog sein Jackett aus und hängte es über einen Stuhl. „Er hat mir alle möglichen Fragen gestellt.“

Oh, nein … „Tut mir leid. Hat er dich genervt?“

„Er hat mir so einiges über dich erzählt.“ Sawyer ließ sich ihr gegenüber auf einen Stuhl fallen und krempelte sich die Ärmel hoch.

„Er liebt Klatsch.“ Kendall tat ungerührt. „Wir sollten uns jetzt auf unsere Arbeit konzentrieren und mit dem ersten Interview anfangen. Da ist Wasser für dich. Und ich habe dir ein paar Kekse hingestellt. Das hilft mir immer, den Nachmittag zu überstehen.“

„Ja, danke. Wunderbar.“ Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu, als er die Flasche öffnete.

Sehr einsilbig. Was war mit ihm los? „Wollen wir anfangen? Der erste Journalist legt viel Wert auf Pünktlichkeit.“

„Okay. Was auch immer du für richtig hältst. Du hast hier das Sagen.“

„Gut.“ Kendall wählte.

„Nur eins noch“, sagte er, während das Telefon klingelte. „Wenn wir mit den Interviews fertig sind, möchte ich gern wissen, warum du wegen des Rings gelogen hast.“

Der Journalist nahm ab. „Hallo?“

Später wusste Kendall nicht mehr, was sie gesagt hatte. Sawyers letzter Satz dröhnte ihr in den Ohren.

Sawyer hasste es, Kendall so bloßzustellen. Die steile Falte zwischen ihren Brauen vertiefte sich, und ihr warmes Lächeln war wie weggewischt.

Aber sie hatte ihn belogen, und das konnte er nicht einfach so hinnehmen, vor allem nicht in diesem Fall. Ein Verlobungsring, daran hatte er keine guten Erinnerungen. War es nicht ein Verlobungsring gewesen, der ihn zu diesem zynischen Mann gemacht hatte, der Verpflichtungen Frauen gegenüber scheute?

Zwischen den Interviews war leider keine Zeit, über das Thema zu sprechen. Sawyer war ein Profi und hatte keine Schwierigkeiten, die Fragen der Reporter zu beantworten. Alle schienen sehr an dem Projekt interessiert zu sein.

Nach dem dritten Interview stellte Kendall die Mithöranlage aus. „Das lief ja sehr gut. Du hast das super gemacht und ganz ohne meine Hilfe.“

„Über das Hotel zu sprechen ist nicht schwer. Das könnte ich stundenlang tun.“ Dabei hatte er sogar hin und wieder vergessen, dass er unbedingt mit Kendall über den Ring reden musste. Wenn sie nicht ehrlich zu ihm war, konnte er nicht mit ihr arbeiten.

„Ich habe noch ein paar Interviews vorbereitet, aber die kannst du im Laufe der Woche führen. Unter anderem auch mit Margaret Sharp, die ihren eigenen Fotografen mitbringen will.“

Die Margaret Sharp?“ Sawyer war schwer beeindruckt. Die Frau schrieb für mindestens ein Dutzend Hochglanzmagazine.

„Ja.“ Kendall stand auf und packte schnell ihre Sachen zusammen, als hätte sie es extrem eilig, den Raum zu verlassen.

„Halt, nicht so schnell.“ Er hielt sie am Arm fest. „Ich muss noch wissen, was es mit dem Ring auf sich hat. Wes hat gesagt, es sei kein Verlobungsring. Er habe die anderen darüber reden hören.“ Und als wäre es gestern gewesen, waren die Erinnerungen an den Betrug seiner Verlobten wieder da. Aber warum hatte Kendall ihn angelogen?

„Dann glaubst du eher jemandem, den du gerade auf dem Flur getroffen hast, als mir?“

„Nicht unbedingt. Aber der Ring wirkte irgendwie gleich verdächtig.“

„Warum denn? Weil du dir nicht vorstellen kannst, dass jemand eine Frau heiraten will, die dir gleichgültig ist? So gleichgültig, dass du sie noch nicht einmal angerufen hast?“

Angriff ist die beste Verteidigung … Ist das ihr Motto? „Darum geht es nicht. Ich muss wissen, ob ich dir vertrauen kann. Ich kann nicht mit jemandem zusammenarbeiten, der mich belügt. Also sei ehrlich. Bist du wirklich verlobt?“ Sawyer wusste selbst nicht, welche Antwort er sich erhoffte. Entweder war sie verlobt, dann war sie für ihn tabu. Oder sie hatte gelogen und war Single, dann konnte er nicht mit ihr arbeiten.

„Nein, ich bin nicht verlobt. Aber ich habe meine Gründe, den Ring zu tragen.“

„Dann hast du mich tatsächlich angelogen.“ Er wollte es nicht glauben. Hatte er nicht genau die gleichen Worte zu seiner früheren Verlobten Stephanie gesagt?

„Ich habe nie behauptet, verlobt zu sein. Das weiß ich ganz genau. Du hast es nur vermutet.“

„Bei dem kostbaren Ring am linken Ringfinger lag das doch auf der Hand.“

„Viele Leute tragen Ringe auf diesem Finger, ohne verlobt oder verheiratet zu sein. Warum machst du so eine Riesengeschichte daraus? Es ist doch nur ein Ring.“

„Es ist eben nicht nur ein Ring!“, platzte er heraus. „Er symbolisiert etwas. Liebe zum Beispiel, das Versprechen, zusammenzubleiben.“

„Doch nur, wenn man wirklich verlobt ist. Das habe ich nie gesagt.“

„Aber du wusstest, dass ich es annahm. Warum hast du mich nicht aufgeklärt?“ Allmählich verlor er die Geduld.

„Es ist der Ring meiner Mutter und soll mich daran erinnern, dass meine Karriere für mich an erster Stelle kommt. Mit der Liebe habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Offenbar ziehe ich immer die falschen Männer an.“

„Das kann ich mir kaum vorstellen.“

Sie verdrehte die Augen. „Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen den Prototyp des falschen Mannes vorstellen, Sawyer Locke!“ Mit einer dramatischen Geste zeigte sie auf ihn. „Er will nichts anderes als Sex ohne Verpflichtungen. Erwarten Sie nicht, dass er am nächsten Tag anruft, selbst wenn er es versprochen hat!“

Er zog die Augenbrauen zusammen. Irgendetwas stimmte hier immer noch nicht. „Warum hast du den Ring während der Hochzeit nicht getragen?“

Sie blickte zu Boden und umklammerte die Oberarme, als wolle sie sich schützen. „Da brauchte ich ihn noch nicht“, stieß sie leise hervor.

„Dann hat die Hochzeit etwas damit zu tun?“

„Irgendwie schon.“

Wieso denn? Sawyer war am Ende seiner Weisheit. So sehr hatte ihn noch keine Frau frustriert. „Was meinst du damit? Ich habe in der Vergangenheit böse Erfahrungen gemacht und bin deshalb Menschen gegenüber sehr misstrauisch.“ Besonders Frauen gegenüber … „Ob mein Hotel ein Erfolg wird, liegt in deinen Händen. Wenn ich kein Vertrauen zu dir habe, kann ich nicht mit dir arbeiten. So einfach ist das.“

„Dann willst du unseren Vertrag auflösen?“

„Nicht unbedingt. Aber ich muss Jillian sagen, dass es mit dir nicht geht.“

„Und ich kann dir sagen, was dann passiert. Wes wird übernehmen, und das kommt nicht infrage!“ Sie holte tief Luft, ihre Augen sprühten vor Zorn. Wie schön sie ist … „Ich habe angefangen, den Ring zu tragen, weil sich alles nur noch um dich drehte, als ich zurück nach New York kam.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Wohin ich auch ging, überall waren Locke-Plakate. Wenn ich die Zeitung aufschlug, sahst du mir auf einem Foto entgegen. Alles erinnerte mich an diesen Kerl, mit dem ich einmal schlief und der nicht anrief. Das tat unglaublich weh. So etwas habe ich zu oft erlebt, und ich wollte, dass endlich damit Schluss ist. Dann habe ich in einem Film gesehen, wie die Heldin es geschafft hat: Sie trug einen Ring am linken Ringfinger, damit sie dem Mann, der sie in Schwierigkeiten bringen könnte, leichter aus dem Weg gehen konnte.“

„Und ich bin der Mann, der dich in Schwierigkeiten bringt?“

„Möglich. Auch wenn dir das Ganze albern vorkommt, es war ja eigentlich gar nicht für dich gedacht. Der Ring sollte mich schützen.“ Sie hängte sich ihre Tasche über die Schulter. „Günstig war natürlich, dass wir durch den Ring gleich eine rein professionelle Beziehung hatten und alles andere damit ausschließen konnten.“

„Moment mal. Soll das bedeuten, dass es dir sonst schwerfallen würde, bei einer professionellen Beziehung zu bleiben?“

„Darauf sollte ich nicht antworten“, sagte sie leise und trat näher. „Hier im Büro darf ich über so etwas nicht reden. Wenn das jemand mitkriegt, werde ich entlassen. Du weißt, dass du mir nicht gleichgültig bist, Sawyer. Aber in Maine sind wir zu weit gegangen.“

Er war ihr nicht gleichgültig … Sein Herz klopfte wie verrückt. Schon lange hatte er nicht so auf eine Frau reagiert. Was war es, was ihn so sehr zu ihr hinzog? Das war gefährlich, denn sein Vertrauen in sie war ziemlich erschüttert. Aber es reichte noch für ihre geschäftliche Beziehung. „Du hast recht. Das sah uns beiden nicht ähnlich.“ Eine dicke Lüge. Er griff nach seinem Jackett und wandte sich zur Tür. Doch Kendall hielt ihn am Arm fest.

„Nicht so, Sawyer. Es tut mir leid. Es war falsch von mir, dich glauben zu lassen, ich sei verlobt.“

„Stimmt, es war falsch.“

„Alles wieder okay zwischen uns?“

Eigentlich nicht. Er sehnte sich nach ihr, obwohl ihm klar war, dass das gefährlich war. Und das machte ihm Angst. „Du meinst unsere Zusammenarbeit?“

„Ja, natürlich.“

„Ja, da ist alles okay. Ich muss jetzt los.“

5. KAPITEL

Kendall saß auf dem Bett. Das erste Morgenlicht drang durch ihr Schlafzimmerfenster und fiel auf den glitzernden Ring auf dem Nachttisch. Es war wahrscheinlich doch keine gute Idee gewesen, sich von einem Film inspirieren zu lassen.

Hatte der Trick gewirkt? Was Sawyer betraf, ganz sicher nicht. Ihm hatte sie nichts vormachen können, und sie war jetzt schlechter dran als vorher. Er wusste, dass er ihr nicht gleichgültig war. Und falls er sich entschloss, das auszunutzen? Könnte sie ihm widerstehen?

Aber hatte sie eine Wahl gehabt? Sie hatte ehrlich zu ihm sein müssen, sonst hätte Wes das Projekt übernommen, und sie wäre erledigt gewesen. Dann hätte Jillian Wes auch zu ihrem Stellvertreter ernannt. Und das alles, weil sie Sawyer mit dem Ring hatte täuschen wollen.

Sie musste los, sonst würde sie ihren Zug verpassen. Aber sie konnte sich einfach nicht aufraffen. Vielleicht sollte sie sich krankschreiben lassen, doch das kam in ihrer jetzigen Situation auch nicht infrage. Am liebsten hätte sie sich auf dem Bett zusammengerollt und geschlafen. Warum war sie nur ständig müde? Wahrscheinlich, weil sie mehrmals in der Nacht mit heftig klopfendem Herzen aufwachte.

Ihre Träume drehten sich immer um Sawyer, um Sex mit ihm, heißen, wilden Sex. Kaum sahen sie sich, rissen sie sich die Kleider vom Leib und liebten sich an den unmöglichsten Orten. Im letzten Traum auf dem Küchentisch … Verrückt.

Wieder sah sie auf die Uhr. Nur noch wenige Minuten. Hastig schlüpfte sie in ihre High Heels, griff nach Mantel und Laptop und stürzte aus der Tür. Kurz blieb sie stehen und blickte in den Himmel. Oh, wie sie dieses Wetter hasste, grau und nieselig. Sie zog den Mantel fest um sich und ging mit schnellen Schritten die Straße hinunter. Da bemerkte sie eine schwarze Stretchlimousine, ein seltener Anblick in ihrem Viertel.

Ein Mann in schwarzem Anzug und mit dunkler Sonnenbrille stand neben der Beifahrertür. Sofort musste sie an ihren ersten Besuch im Grand Legacy denken – und natürlich auch an Sawyer Locke. Als sie näher kam, trat der Mann auf den Bürgersteig und versperrte ihr quasi den Weg. Was soll das? Sie versuchte auszuweichen, aber er ließ sie nicht durch. Panik stieg in ihr auf.

„Kendall Ross?“

„Woher kennen Sie meinen Namen?“

Er riss die Beifahrertür auf, und Kendall zuckte zurück.

„Mr. Locke möchte mit Ihnen sprechen.“

Sawyer? War er hier? Im Wagen? Was sollte das Ganze? Sie trat an das Fenster, um ihm die Meinung zu sagen. Doch zu ihrer Überraschung saß nicht Sawyer auf der Rückbank, sondern sein Vater James Locke. Ein gut aussehender älterer Herr, das musste sie ihm lassen. Sein grau meliertes Haar saß perfekt, er war glatt rasiert und hielt sich kerzengerade.

„Ms. Ross, ich möchte gern mit Ihnen sprechen.“

„Keine Zeit. Ich muss ins Büro.“

„Steigen Sie ein. Wir können uns auf dem Weg unterhalten.“

Autor

Karen Booth
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