Dating you, hating you - Hoffnungslos verliebt

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Als wäre das Leben als Schauspielagentin in Hollywood nicht schon stressig genug, muss Evie sich auch noch ausgerechnet in den attraktiven Carter verlieben. Denn nach einer heißen Nacht mit ihm erfährt sie, dass ihre Firmen fusionieren sollen - was sie zu erbitterten Konkurrenten macht. Liebe wird somit umgehend vom Speiseplan gestrichen - jetzt helfen nur noch gezielte Sabotageakte. Evie hat nicht umsonst so lange für ihre Karriere geschuftet: Jetzt ist Krieg! Aber jeden Tag wird ihre Sehnsucht nach Carters heißen Küssen stärker …Prall gefüllt mit Spaß, popkulturellen Referenzen und Neckereien, die einen einfach zum Grinsen bringen - die perfekte Liebesgeschichte fürs 21. Jahrhundert.«

»Die perfekte Liebesgeschichte fürs 21. Jahrhundert.« Kirkus

Kirkus Review, mit dem »Kirkus-Star« ausgezeichnet

»Das grandiose Team hinter dem Namen Christina Lauren ist zurück - und in Topform! Ein unterhaltsamer, witziger und unerschrockener Roman über Liebe, Karriere und das Erwachsenwerden.«
Romantic Times, Top Pick


  • Erscheinungstag 01.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783955767976
  • Seitenanzahl 416
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Kristin – und all die Abenteuer, die vor uns liegen

1. Kapitel

Evie

Der La Cienega Boulevard ist eine sich endlos dahinschlängelnde Beton-Hölle – aber gleichzeitig ein notwendiges Übel in dieser Stadt. Er durchzieht Los Angeles von Norden nach Süden und bildet eine gewaltige Hauptverkehrsader durch die sogenannte Thirty Mile Zone oder TMZ – eine geschichtsträchtige Gegend, in der all die alten, traditionsreichen Studios liegen.

In deren Blütezeit, bevor andere Städte begannen, die Filmcrews mit Steuervergünstigungen und anderen Anreizen an Originalschauplätze zu locken, wurden die meisten Kinohits hier gedreht. Obwohl dieser Teil von Los Angeles jahrzehntelang Dreh- und Angelpunkt zahlloser Millionen-Deals war, habe ich noch nie jemanden aus der Branche beiläufig »TMZ« ins Gespräch einwerfen hören, jedenfalls nicht in Bezug auf die geografische Lage der Studios. So wie ein Tourist, der durch San Francisco schlurft und die ganze Zeit von »Frisco« spricht, outet sich, wer heutzutage das Zentrum des Hollywood-Betriebs als TMZ bezeichnet, als auswärtiger Besucher, der zufällig über einen besonders detailverliebten Wikipedia-Eintrag gestolpert ist. Tatsächlich ist der Ausdruck mittlerweile so antiquiert, dass viele meiner Kollegen nicht mal mehr wissen, dass das populäre Online-Klatsch-Portal seinen Namen daher hat.

La Cienega sieht aus wie die meisten Straßen hier in Hollywood: gesäumt von Läden und Restaurants, die in seltsamen Winkeln errichtet und in jeden verfügbaren Quadratzentimeter gerammt wurden, und Palmen und Plakatwände, die in den grau verschleierten blauen Himmel ragen – und vollgestopft mit Autos, so weit das Auge reicht. Am nördlichen Ende findet sich der Stoff, aus dem die meisten Hollywood-Träume sind: Steile Hügel, die sich direkt aus dem Asphalt zu erheben scheinen, bilden den dramatischen Hintergrund für Milliarden-Dollar-Villen, die sich wie Tetrisblöcke in den Hängen verteilen und mit ihren glänzenden Fenstern und bewachten Zufahrten über dem Rest der Stadt thronen.

Ein Wahnsinns-Panorama, wenn man es sich leisten kann. Ich stehe allerdings, wie die meisten Leute hier in Los Angeles, mit beiden Füßen fest auf dem Boden der Tatsachen. Der einzige Ausblick, den mein Zuhause zu bieten hat, ist das Apartment gegenüber, in dem ein marokkanischer Jongleur wohnt, der gern und häufig sein T-Shirt auszieht.

Ich schätze mal, es gibt schlimmere Aussichten.

Sosehr ich La Cienega mit seinem Endlos-Stau auch hasse – der Boulevard ist nun mal der direkteste Weg durch L. A. Jeder Einheimische wird bestätigen, dass es für Autofahrer nur aufs richtige Timing ankommt. Wer um vierzehn Uhr startet, kommt binnen zwanzig Minuten praktisch überallhin. Wer wie alle anderen um siebzehn Uhr aufbricht, braucht für acht Kilometer eine geschlagene Stunde.

Gott sei Dank gehöre ich fast immer zu den Letzten, die das Büro verlassen.

Es klopft, ich schaue hoch und sehe, dass Daryl in all ihrer blonden blauäugigen Pracht am Türrahmen lehnt. Während ich die perfekte Mischung aus meinen beiden dunkelhaarigen, dunkeläugigen Elternteilen bin, ist Daryl Hannah Jordan ihrer Namensvetterin wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch obwohl sie eher so aussieht, als wäre sie einfach irgendwann am Set von »Splash – Eine Jungfrau am Haken« angeschwemmt worden, ist sie in San Dimas aufgewachsen, in derselben Straße wie ich, drei Häuser weiter.

»Du hast seit einer Stunde Feierabend«, bemerkt sie.

»Ich will nur noch schnell den Artikel hier zu Ende lesen, bevor ich abhaue.« Ich mustere sie argwöhnisch. Noch vor ein paar Stunden war sie in Rock und schwindelerregend hohen High Heels unterwegs, jetzt trägt sie Krankenhaus-Uniform und Pferdeschwanz. »Du weißt doch, dass wir noch zu dieser Party bei Mike und Steph gehen, oder? Sag bitte, dass das, was du da anhast, dein Kostüm ist.«

Daryl fängt an, nervös herumzuhampeln, und bekundet wachsendes Interesse an einem unsichtbaren Fleck am Saum ihres Oberteils, und mir wird klar, dass ich reingelegt worden bin.

»Nein«, zische ich.

»Tut mir leid!« Sie lässt sich theatralisch in den Stuhl mir gegenüber fallen.

»Du Miststück. Du lässt mich im Stich?«

»Nicht absichtlich! Aber ich hatte vergessen, dass ich meinem Onkel versprochen habe, heute Abend einzuspringen. Warum hast du mich am Nachmittag nicht noch mal an die Party erinnert? Schließlich ist das dein Job in unserer Beziehung!«

Ich sinke in meinem Stuhl zusammen. Daryl hat während ihrer Collegezeit in der Schönheitsklinik ihres Onkels gejobbt und dabei den Angestelltenrabatt bis zur Neige ausgekostet. Sie ist umwerfend attraktiv – straffe Haut, perfekte Brüste und eine Oberschenkel-Lücke, durch die man problemlos fernsehen könnte. Aber sie wäre auch die Erste, die einräumen würde, dass sie einen Großteil dieser Schönheit den bahnbrechenden Leistungen der Wissenschaft verdankt – und ihrem Onkel Dr. Elias Jordan, seines Zeichens plastischer Chirurg. Daryl wird dieses Jahr dreißig, und neben ihrem Agentur-Job oben in der Abteilung TV-Drehbücher schiebt sie wieder ab und zu Schichten in der Klinik, um die Kosten für all das »Feintuning« der letzten Monate abzuarbeiten. Wie die meisten Menschen in dieser Stadt ist sie wild entschlossen, niemals älter zu werden.

Zum Glück braucht sie sich darum künftig keine Sorgen mehr zu machen, da ich ihr jetzt den Hals umdrehen werde.

»Das ist der Tiefpunkt meines ohnehin schon grotesk beschissenen Tages.« Ich werfe noch einen prüfenden Blick auf mein Handy, bevor ich es in die Handtasche werfe. »Sag mir doch bitte noch mal kurz, warum ich dich so liebe?«

»Du liebst mich, weil ich deinen endlosen detailverliebten Film-Ergüssen zuhöre und weil meine Lahmarschigkeit die ideale Ergänzung zu deinem Bedürfnis ist, ständig den Ton anzugeben.«

Ich hätte gern widersprochen, aber sie hatte zwei gute Gründe genannt. Ich war von klein auf besessen vom Kino; es liegt mir im Blut. Mein Dad war Elektriker bei Warner Bros., und meine Mom hat als Visagistin für fast jedes Studio gearbeitet. Mit acht Jahren rang ich meinen Eltern die Erlaubnis ab, nach der Schule zur nächstgelegenen Videothek (ja, ich bin alt) radeln zu dürfen, und überredete den mürrischen Geschäftsführer Larry dazu, mir kleine Jobs zu geben – dafür konnte ich mir dann kostenlos Videos ausleihen. Als ich in der elften Klasse war, ließ er sich endlich dazu breitschlagen, mich richtig zu bezahlen.

Ich bin viel in der Welt herumgekommen, aber L. A. ist und bleibt mein Zuhause. Das liegt nicht nur daran, dass meine Familie hier lebt. Nein, ich liebe einfach das Chaos, die Courage, die man hier braucht, und die ungeschriebenen Gesetze Hollywoods. Deshalb bin ich Schauspielagentin geworden. Ich wollte niemals selbst in einem Kinofilm mitwirken, aber ich habe immer davon geträumt, Teil des Entstehungsprozesses zu sein.

Und ich muss tatsächlich immer den Ton angeben. Auch da hat Daryl völlig recht.

»Na schön«, sage ich. »Aber das nächste Mal, wenn ein Kunde für mich ein grässliches Blind Date arrangiert, das ich nicht ablehnen kann, setzt du eine Evie-Maske auf und gehst an meiner Stelle.«

»Abgemacht.« Sie mustert mich und lächelt gequält. »Ich will ja kein Öl ins Feuer gießen, aber hast du dein Kostüm im Auto, oder verkleidest du dich als schlecht gelaunte, aber schicke Bänkerin?«

Ich habe schon den Mund geöffnet, um ihr zu erklären, wohin genau sie sich mein Kostüm stecken kann, als ich über ihre Schulter hinweg jemanden an der geöffneten Tür vorbeihuschen sehe.

»Amelia!«, rufe ich, und sie steckt ihren Kopf in mein Büro. »Was machst du heute Abend? Bitte, bitte sag, dass du nichts vorhast, Ms. Amelia Baker, mein absoluter Lieblingsmensch.«

»Ich hole Jay aus dem Sommercamp ab«, erwidert sie. »Und lungere den Rest des Abends im Pyjama auf der Couch und esse Ravioli aus der Dose.«

Ich lasse den Kopf auf die Tischplatte fallen.

Mein Arbeitsbereich ist die Spielfilm-Abteilung unserer Künstleragentur; ich vertrete Schauspielerinnen und Schauspieler im Bereich Kino. Amelia ist stellvertretende Personalchefin. Da sie früher mit dem Erwachsenwerden angefangen hat als die meisten anderen hier, ist sie außerdem stolze Mommy des weltweit klügsten und schönsten zwölfjährigen Jungen.

Ich bin jetzt wirklich am Verzweifeln. »Kannst du dir nicht vielleicht einen Babysitter besorgen?«

Amelia kommt ins Zimmer und setzt sich auf die Armlehne von Daryls Stuhl. Ihr Haar ist so kurz geschoren, dass man die Kopfhaut durchschimmern sehen kann. Ich wünschte, mir würde ein solcher Buzzcut stehen, was leider nie der Fall sein wird. Doch bei ihr betont der radikale Schnitt ihr strahlendes Lächeln, die ebenmäßige dunkle Haut und die atemberaubenden Wangenknochen.

»An einem Freitagabend?« Sie klingt, als ob sie gleich in schallendes Gelächter ausbricht. »Keine Chance. Warum?«

»Weil Daryl meine schlechteste und du meine beste Freundin bist?«

Jetzt lacht sie wirklich laut auf und gibt mir dadurch indirekt zu verstehen, dass ich aufgeben soll.

»Große Pläne?« Mit komplett unverhohlenem Sarkasmus fügt sie hinzu: »Ich rechne zwar nicht wirklich damit, dass du ein Date oder so was hast, aber du weißt ja, die Hoffnung stirbt zuletzt.«

Ich setze mich aufrecht hin und deute mit einer dramatischen Geste auf Daryl. »Ich hatte eigentlich vor, mit der da auf eine Party zu gehen.«

»Das stimmt«, bestätigt Daryl schuldbewusst. »Aber ich hab’s vergessen und Onkel Elias versprochen, seine Bücher durchzugehen.«

Amelia hebt tadelnd den rechten Zeigefinger. »Du lässt bitte nichts mehr an deinem Gesicht machen.«

Daryl tut diese Bemerkung sofort ab. Normalerweise kommentieren wir ihre Optimierungsmaßnahmen nicht – schließlich ist sie eine erwachsene Frau, sie will es nun mal, obwohl sie unserer Meinung nach bereits perfekt ist, und, nun ja, es geht uns ja im Grunde wirklich nichts an. Doch selbst ich muss zugeben, dass sie in letzter Zeit etwas … übereifrig ist.

»Nur ein bisschen entstauben.« Sie wedelt abwehrend mit den Händen und wendet sich wieder mir zu. »Apropos Onkel Elias, ich muss jetzt los.«

»Ich werde mich dann wohl auch mal auf den Weg machen. Es bringt nichts, das Unvermeidliche aufzuschieben.« Als ich mich anschicke, ein paar Unterlagen in meine Tasche zu packen, fällt mir wieder ein, was ich gerade gelesen habe. »Hey, ganz schnell: Hat eine von euch den Artikel über Brad in Variety gesehen?« Ich senke die Stimme und lasse den Blick über den Teil des menschenleeren Büros schweifen, den ich von hier aus überschauen kann. »Moment mal, ist er etwa noch hier?«

Amelia geht zur Tür und späht über den Flur zum Büro von Brad Kingman, seines Zeichens Vice President von Price & Dickle, Chef der Spielfilm-Abteilung und ein Riesenarschloch. Sie kommt zurück und schüttelt den Kopf. »Ich glaube, nur wir und Dudley sind noch im Haus.«

Ich deute auf meinen Computer-Monitor, und die beiden drängen sich hinter mich, um zu lesen. »Es geht nicht direkt um ihn.« Ich deute auf den betreffenden Artikel. »Hier wird nur erwähnt, dass er beim Dinner mit Gabe Vestes gesehen wurde.« Gabe ist ein Filmstar – und absoluter A-Promi –, der bei unserem schärfsten Konkurrenten CT Management unter Vertrag ist. Schon seltsam: Jeder weiß, dass Brad und Gabe einander spinnefeind sind, aber keiner kennt den Grund.

Daryl richtet sich enttäuscht auf. »Das ist alles? Ich dachte, du hast was Schmutziges, Skandalöses entdeckt.«

Ich knurre sie ungnädig an und konzentriere mich wieder auf den Artikel. Sie mag ja der Ansicht sein, dass dieses Treffen nichts weiter zu bedeuten hat, aber das beruhigt mich nicht; ein Verdacht nagt an mir.

»Vielleicht haben sie ja ihren mysteriösen Streit beigelegt«, gibt Amelia zu bedenken.

»Hm.« Ich bin nicht überzeugt. »Ich glaube nicht, dass Brad jemals versöhnlich drauf ist, es sei denn, es geht um Geld.«

»Dann denk mal weiter da drauf rum, Nancy Drew«, sagt Amelia. »Aber ich muss jetzt los, Jay wartet.« Sie wendet sich zum Gehen, bleibt aber kurz vor der Tür noch mal stehen. »Ach, bevor ich es vergesse, ich habe heute ein Memo auf den Tisch bekommen, vermutlich kriegst du die entsprechende Mail noch diese Woche, Evie: Brad verschiebt euer diesjähriges Teambildungsseminar in Big Bear, du kannst den Termin also vorerst aus deinem Kalender streichen.«

»Er verschiebt das Seminar? Hat er gesagt, warum?« Bei mir schrillen jetzt sämtliche Alarmglocken. Das Teambildungs-Meeting der Spielfilm-Abteilung in Big Bear findet seit Menschengedenken um dieselbe Zeit im November statt.

»Nein, er hat keinen Grund genannt«, erklärt Amelia. »Ich weiß nur, dass sie auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Und du bist bestimmt die Letzte, die sich darüber beschwert, dass sie darum herumkommt, mit dem Typ ein komplettes Wochenende im Wald verbringen zu müssen.«

Wenn man in meinem Alter ist und allein in einem Apartmentkomplex mit Haupteingang, endlosen Fluren und winzigen Summern neben den Türen lebt, vergisst man gern diese schleichende Hoffnungslosigkeit, die einen ereilt, wenn man sich einem echten Haus nähert. Einem Haus mit Veranda, rustikaler Holztür und einem Türklopfer, der durch seine Form schon einiges über die Bewohner verrät.

Ein eiserner Drachen.

Eine Messingrose.

Oder vielleicht ein Gargoyle aus Kupfer.

Ich starre auf den dekorativ angelaufenen Engel an Stephs und Mikes Haustür und bin plötzlich sehr viel unzufriedener mit meinem Leben als noch vor ein paar Stunden. Die beiden sind sechs Jahre jünger als ich und schon Türklopfer-Menschen. Haustür-Menschen. Hausbesitzer.

Ich kann mich nicht zu einem Netflix-Jahresabo durchringen, und mir gehört nicht mal das Auto, das ich zwei Blocks weiter geparkt habe. Für eine Erwachsene lasse ich definitiv einiges zu wünschen übrig.

Ich werfe einen kritischen Blick auf meinen schwarzen Bademantel, die burgunderrot-gelb gestreifte Krawatte und den Zauberstab in meiner rechten Hand und frage mich, warum um alles in der Welt ich mich dazu habe breitschlagen lassen. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt und gehe als Hermine Granger zu einer Kostümparty.

Lieber Gott, Evie.

Verfluchte Daryl.

Lassen Sie sich gesagt sein, dass es einigen Mutes bedarf, hier allein aufzuschlagen, noch dazu gekleidet wie eine Hogwarts-Schülerin im Teenie-Alter. Da ist diese instinktive Panik, diese von Bridget Jones’ »Flittchen und Pfarrer«-Mottoparty-Panne inspirierte Furcht, dass die Tür sich gleich öffnet, alle Anwesenden mich fassungslos anstarren und Steph mitfühlend-peinlich-berührt flüstert. Hast du denn die E-Mail nicht bekommen, dass wir die Idee mit den Kostümen verworfen haben?

Wenn Daryl mitgekommen wäre, hätte das sogar ganz lustig werden können; wir hätten uns zusammen betrinken und einander scherzhaft unter die Nase reiben können, dass wir an einem Freitagabend ausgerechnet hier gelandet waren. Aber allein? Eher nicht. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass das »Komm, wie du bist«-Motto weiterhin Gültigkeit hat, denn ein Mädchen, das einen Zeitumkehrer braucht, um jeden Tag alles Erforderliche erledigt zu kriegen, ist das perfekte Alter Ego für eine alleinstehende Frau, die in Hollywood arbeitet.

Ich hebe den Klopfer mühsam an, mit beiden Händen. Er ist überraschend schwer.

Als ich ihn loslasse, verursacht er nicht das sanfte dumpfe Geräusch, mit dem ich gerechnet habe, sondern knallt mit einem ohrenbetäubenden metallischen Scheppern gegen das Holz. Der Krach hallt durch den winzigen ummauerten Vorgarten, und für eine Schrecksekunde vibrieren die gewaltigen Engelsflügel in ihren Scharnieren, als ob sie gleich zu Boden fallen würden.

Ich springe erschrocken zurück und bemerke dabei die stinknormale Klingel an der Hauswand: sauber, unübersehbar und augenscheinlich absolut funktionstüchtig.

Also … kein Türklopfer.

Die Tür wird aufgerissen, und ohrenbetäubendes Gelächter dringt nach draußen. So, wie alle mich anstarren, haben sie vermutlich den Heidenlärm, den ich gerade verursacht habe, vernommen. Steph kommt raus, begleitet von einem Schwall ihres Prada-Parfums, und bringt mit anmutiger, makellos manikürter Hand den Engel zum Schweigen, bei dem es sich, wie ich im Nachhinein feststelle, ganz offensichtlich lediglich um eine metallene Türdekoration handelt.

»Evie ist hier!« Sie umarmt mich. »Du bist gekommen!«

Ich mag Steph. Wir haben mal zusammen in der Alterman Agency gearbeitet, ich als junge frischgebackene Agentin, sie als Praktikantin. Sie ist immer noch dort, inzwischen als vollwertige Agentin, und hat bis zum heutigen Tag die Ehre, von all meinen – ehemaligen wie aktuellen – Kollegen diejenige zu sein, die ich am seltensten erwürgen wollte. Sie ist warmherzig, sie ist versiert … doch sobald ich eintrete, werde ich wieder daran erinnert, wie verzweifelt sie an ihrer Teenager-Ästhetik festhält, obwohl sie mittlerweile bis über beide Ohren in den Zwanzigern steckt. Zum Beispiel: ihr Kostüm. Ich bin ziemlich sicher, dass sie sich als Miley Cyrus der »Wrecking Ball«-Ära verkleidet hat; mit bauchfreiem weißen Tanktop, weißem Bikinihöschen und Stiefeln. Außerdem entdecke ich auf einem Ecktisch ein kunstvolles Arrangement aus Red-Bull-Dosen plus eine Auswahl angesagter Wodka-Marken.

Während sie mich reinführt, sagt sie, viel zu laut: »Das Ding ist doch bloß Dekoration, du Gans! Du hast uns einen Riesenschreck eingejagt! Und, oh mein Gott, Hermine! Du siehst toll aus. Und es ist so großartig, dass du allein kommst. Meine tapfere kleine Evie!«

Tapfer?

Dieses Geräusch, das Sie da gerade gehört haben und das ein bisschen an quietschende Reifen erinnerte? Das war mein Selbstvertrauen, das kurz hinter der Tür eine Vollbremsung einlegte.

Ich schaue in eine Ansammlung erwartungsvoller, höflich lächelnder Gesichter.

Eine freundlich wirkende Rothaarige im Arielle-Kostüm, die die Taille einer Latino-Version von Prinz Eric umschlungen hält.

Eine unnahbare, als Vampir verkleidete Brünette, die ihrem Vampir-Freund etwas zuflüstert.

Einige Pärchen, die am anderen Ende des Raums in eine Gruppendiskussion vertieft waren, nun aber dorthin starren, wo soeben in meiner Gestalt das Singledasein in eine Party platzt, die offenbar für Zweiergespanne gedacht ist.

Ich winke in die Runde und murmele Steph aus dem Mundwinkel in bester Bogart-Manier zu: »Du hast mir nicht gesagt, dass das hier eine Pärchen-Veranstaltung ist.«

»Ist es eigentlich auch nicht. Es hat sich einfach so ergeben!«, zwitschert sie und zieht mich weiter ins Wohnzimmer hinein. »Du wirst Spaß haben, versprochen.«

Als ich zwei Frauen entdecke – die eine als Beyoncé, die andere als Nicki Minaj kostümiert –, die sich zusammen auf eine Couch gekuschelt haben, glaube ich kurz daran, dass sie recht haben könnte. Das hier ist eine lockere Truppe, und ich bin eine starke Frau, die beschlossen hat, zu ihrer Unabhängigkeit zu stehen und allein zu einer Party zu gehen. Es gibt absolut keinen Grund, sich fehl am Platze zu fühlen.

Doch dann führt sie mich an der Hauptgruppe der Gäste vorbei und parkt mich am Wodka-Red-Bull-Tisch.

Das kann ja heiter werden.

»Ist wenigstens Morgan hier?«, frage ich hoffnungsvoll. Ich bin gern bereit, den ganzen Abend über Stephs und Mikes kleine Tochter bei Laune zu halten, wenn mich das zumindest einen Hauch weniger blöd aussehen lässt.

Sie schürzt die Lippen zu einem theatralischen kleinen Schmollmund. »Bei der Babysitterin. Und sonst so, wie läuft’s im Job?«

Ich lasse resigniert die Schultern sinken. »Na super. Du erinnerst dich doch an Tyler, den Broadway-Schauspieler, den ich im März unter Vertrag genommen habe? Er pendelt noch zwischen New York und Los Angeles und kann erst ab Ende November richtig zu Frau und Kind hierherziehen. Also habe ich ihm angeboten, nach den beiden zu schauen. Und den Tag dann im Wesentlichen in einem Koordinationstrainings-Kurs für Kinder verbracht, bei dem Babys für siebenhundert Dollar die Stunde mit gekochten Nudeln spielen, die in riesigen Plastikeimern aufgefahren werden.«

Nach einer – nachvollziehbaren – Schweigesekunde beugt Steph sich näher zu mir. »Das hast du nicht getan!«

»Oh doch.« Nachdem ich es erwähnt habe, fällt mir auch wieder ein, wie fassungslos ich war, als wir den Seminarraum betraten, in dem winzige Frauen in weißen Jeans und ihre perfekt gestylten, porentief reinen Kinder freudig erregt auf gigantische Eimer voll gekochter Nudeln starrten. Doch als ich dann mitkriegte, wie glücklich die kleine Bea darüber war, einmal so richtig unartig mit ihrem Essen herummatschen zu dürfen, legte sich meine zynische Geringschätzung dieser lächerlichen elterlichen Extravaganz etwas, und ich ließ mich von der allgemeinen Begeisterung anstecken. Oh ja, das ist echt ziemlich großartig.

Aber genau so funktioniert die Gehirnwäsche in dieser Stadt. Siebenhundert Dollar, um eine Stunde lang weiche Nudeln zwischen kleinen Fäusten zu zerquetschen. Diese Kinder könnten für einen Dollar fünfzig daheim in ihrer Badewanne eine Riesengaudi mit gekochten Makkaroni haben.

»Du bist nicht ihre Nanny«, hält Steph mir leicht empört vor.

»Ich weiß. Aber ich vergöttere Tyler, und dass er die Hauptrolle in ›Long Board‹ an Land gezogen hat, war ein großer Erfolg für uns beide.« Ein Erfolg, den ich gerade gut hatte gebrauchen können, was Steph natürlich auch klar ist. »Es macht mir echt nichts aus, mich ein bisschen um seine Familie zu kümmern, aber ja, klar: Ich bin keine Nanny. Und was ist mit dir? Alles im grünen Bereich?«

»Ja. Ken führt sich ein bisschen merkwürdiger als üblich auf, aber …« Sie mimt jemanden, der dramatisch eine Flasche ansetzt, und ich lache. Die Cocktail-Stunde im Büro mit meinem Exboss Ken Alterman war immer ein Abenteuer.

Jemand am anderen Ende des Zimmers sucht Blickkontakt mit Steph. Sie drückt mir beruhigend die Schulter, ohne auf mein flehendes Kopfschütteln einzugehen. »Bleib sitzen. Ich bin gleich wieder da.«

Und dann ist sie weg.

Man sollte ja meinen, dass ich mittlerweile daran gewöhnt bin, allein durch einen Raum voller Pärchen-Menschen zu navigieren, aber irgendwie wird es nicht einfacher.

Ich hole mein Handy aus der Bademanteltasche und schicke Daryl eine SMS.

Das ist eine Pärchen-Party? Wusste ich nicht!

Ich stöhne innerlich und werfe einen verstohlenen Blick auf die Uhrzeit, bevor ich das Handy wegstecke. Nach einer Dreiviertelstunde kann ich wieder gehen, oder? Das scheint mir genau die richtige Aufenthaltsdauer zu sein, um zu kommunizieren: Ich lege Wert auf deine Freundschaft und bin total froh, dass ich hier war! Und: Nein, ich mache mich absolut nicht überstürzt aus dem Staub, um mich weiter in Frieden auf das Schicksal einer alten Jungfer vorzubereiten.

Ich finde, es sollte da eine klare Regel geben: Wenn man in meinem Alter unverheiratet ist und öfter als siebenmal Brautjungfer war, hat man automatisch das Recht, sich frühzeitig von jeder Paar-Veranstaltung zu verabschieden, ohne als Arschloch zu gelten.

Nachdem das nun entschieden ist, beäuge ich meine Wodka-Optionen und ziehe den teuersten aus dem Arrangement bunter Flaschen hervor.

»Ist das hier der Fünftes-Rad-am-Wagen-Tisch?«

Da ich gerade mit Eingießen beschäftigt bin, antworte ich, ohne mich umzudrehen. »Der mit dem ganzen Sprit? Na hoffentlich. Das ist schließlich das Mindeste, was sie tun können.«

»Dann muss ich dich leider bitten, zu gehen«, sagt der Mann streng. Ich drehe mich überrascht um und spüre im selben Moment, wie er sich leicht vorbeugt, um leiser weiterzusprechen. »Man hat mir versichert, dass ich der einzige Single bin, der für dieses Event angeheuert wurde.«

Er ist näher, als ich erwartet habe, und bei seinem Anblick bleibt mir das Lachen im Hals stecken.

Will er mich veräppeln? Dieser Typ ist Single? Ich kann mein Glück kaum glauben! Seine Haare sind dunkel, oben länger als an den Seiten, und während er sich vorbeugt, um die Flaschen zu begutachten, streicht er sie sich aus der Stirn. Nicht, um sie irgendwie in Form zu bringen – eher im Gegenteil, denn jetzt stehen sie senkrecht nach oben ab –, sondern mit einer offensichtlich unbewussten Geste. Mir fällt sofort auf, wie wohl er sich in seiner Haut zu fühlen scheint. Sein Auftreten ist locker und beiläufig genug, um nahezulegen, dass er sich bestimmt nicht gerade überlegt hat, Darmkrämpfe vorzutäuschen, um blitzartig von hier verschwinden zu können.

Er lächelt. Erst jetzt nehme ich zur Kenntnis, was er trägt, und ich muss die Augen schließen, um nicht laut loszulachen.

»Hat Steph dich dazu angestiftet?«, frage ich.

»Wozu?« Er folgt meinem Blick. Sein Kostüm ist dezent, aber unter Berücksichtigung der Haare, der grünen Augen und der Brille kann ich das weiße Hemd, die locker gebundene Krawatte und die graue Reißverschlussjacke mühelos zuordnen. Harry Potter. Die Blitznarbe, die er sich auf die Stirn gemalt hat, ist natürlich ebenfalls hilfreich; die hätte mich eigentlich sofort auf die richtige Spur bringen müssen.

Er runzelt fragend die Stirn, doch dann registriert er meinen Bademantel, den Schlips, den Zauberstab und die wilde dunkle Mähne, die ich, während ich im Stau stand, noch nach allen Regeln der Kunst aufgebauscht habe. »Oh mein Gott«, ruft er. »Soll das ein Witz sein? Wir sind die beiden einzigen Singles auf dieser Party, und unsere Kostüme passen zusammen?«

Diesmal kann ich das Lachen nicht unterdrücken, es bricht förmlich aus mir heraus und erwischt ihn kalt – so wie jeden anderen Menschen, der es jemals gehört hat. Ich bin klein, aber mein Lachen ist gewaltig.

Er starrt mich an, und ein amüsiertes Grinsen zuckt um seinen Mund. »Wow.«

»Hi.« Ich strecke die rechte Hand aus. »Ich bin Evie.«

»Ist das eine Abkürzung für Evil, die Böse?« Er tut so, als hätte er Angst, und schüttelt meine Hand gespielt zaghaft. »Bist du sicher, dass du eine Gryffindor bist? Dein Lachen gibt Anlass zu der Vermutung, dass du irgendwo ein Geheimlabor hast und darin einen apokalyptischen Roboterhund baust, der jede selbstgefällige Person hier mit Haut und Haaren auffrisst. Du gehörst unbedingt nach Slytherin.«

»Es ist eine Kurzform von Evelyn. Das schrille Gackern ist meine besondere Gabe. Es hält mir die überempfindsamen Mimosen vom Leib.«

»Ich heiße Carter.« Er deutet mit beiden Daumen auf seine Brust. »Keine überempfindsame Mimose, versprochen.«

Flirtet er etwa mit mir? Ich lasse im Geiste die flüchtigen Höhepunkte meiner Dating-Erfahrungen Revue passieren und stelle erstaunt fest, dass ich offenbar nicht mal mehr imstande bin, einfache Balzrituale zu erkennen.

Carter ist definitiv heiß – und irgendwie ein bisschen nerdig. Die Brille mit der dicken dunklen Fassung sieht echt aus. Er ist größer als ich, aber nicht zu groß – ein Pluspunkt in meinem Wertekanon –, seine Augen sind von einem ziemlich spektakulären Grün, seine Haare dick und dunkelbraun …

Plötzlich wird mir klar, dass ich schon recht lange auf seinen Oberkopf starre. Ich blinzele, um mich aus dem Inspektions-Modus zu reißen, und richte den Blick wieder auf sein Gesicht. »Schön, dich kennenzulernen.«

»Gleichfalls.« Er zeigt noch einmal auf sein Kostüm. »Das war noch das Beste, was ich aus meiner halbherzigen Motivation und einem eher uninspirierten Kleiderschrank herausholen konnte.« Er mustert mich anerkennend. »Du hingegen bist eine grandiose Hermine. Harry und Hermine. Perfekt. Ich war schon immer dafür, dass die beiden ein Paar werden.«

Irgendwas flattert in meinem Bauch. »Eigentlich sollte meine Freundin Daryl mich als Ron begleiten, aber sie hat sich in letzter Minute gedrückt. Damit ist sie für mich gestorben.«

Carter lacht laut auf, öffnet eine Dose Red Bull und nimmt einen langen Schluck.

Ich gebe mir ehrlich Mühe, cool zu bleiben und ihn nicht allzu intensiv anzugaffen, scheitere aber kläglich.

Da ich in L. A. lebe und dazu auch noch in Hollywood arbeite, treffe ich täglich auf schöne Menschen; ein paar davon habe ich sogar gedatet. Aber eine ganze Stadt voll hübscher Gesichter hat mich auf Dauer immun gegen all diese berechenbare, gleichförmige Symmetrie gemacht. Carter ist auf unterscheidbare Weise attraktiv: Seine Augen sind groß und von unglaublich dunklen dichten Wimpern umrahmt. Sein Gesicht hat scharf definierte Konturen. Dazu diese markante Brille … Carters Schönheit ist unbewusst, unaufgeregt. Seine Haare müssten mal wieder geschnitten werden. Und wenn er lächelt, kann ich sehen, dass seine Zähne weiß sind, aber nicht kerzengerade. Das lässt ihn sofort freundlich wirken. Seine kleinen Unvollkommenheiten überraschen in einer Welt voll unsichtbarer Zahnspangen, Botox und Selbstbräuner. Er sieht … echt aus.

Sie finden, ich mache mir im Vorfeld viel zu viele Gedanken? Dann darf ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass ich nicht mehr in meinen Zwanzigern bin. Wenn eine Frau meines Alters Männer kennenlernt, dann ordnet sie sie, um das Leben für alle Beteiligten leichter zu machen, spontan in eine von drei Kategorien ein: erotisch interessant, erotisch uninteressant oder schwul. Erotisch interessant heißt im Wesentlichen: Man trägt in Gegenwart dieser Männer einen BH und spricht nicht über Körperfunktionen oder Pickel. Erotisch uninteressant oder schwul: Alles ist erlaubt.

»Dann hast du mir was voraus«, sagt er. »Ich hatte nie eine potenzielle Begleitung. Unsere erlauchten Gastgeber haben mich unter Androhung tätlicher Gewalt gezwungen, zu dieser Party zu kommen. Woher kennst du die beiden?«

»Ich habe mal mit Steph zusammen bei Alterman gearbeitet.«

Etwas flackert in seinen Augen auf – ein Anflug von Resignation vielleicht? –, aber bevor ich der Sache nachgehen kann, kommt Steph auf uns zu, einen Stapel Teller balancierend. Carter und ich beeilen uns, zwischen den Red-Bull-Dosen etwas Platz zu schaffen.

»Was soll eigentlich diese Getränkeauswahl?« Ich weise auf das Angebot auf dem Tisch. »Erwartest du noch eine Horde Burschenschaftler?«

»Oh mein Gott, was für eine Idee!« Sie klingt so atemlos, als hätte sie gerade einen Orgasmus gehabt, und ich starre sie verständnislos an. »Alles andere ist da drüben.« Sie deutet mit dem Kinn auf einen anderen Tisch, wo, wie ich nun sehe, Wein, Bier und weitere alkoholische Getränke bereitstehen.

Ich lasse betont verzagt die Schultern sinken. »Aber das ist auf ehelichem Terrain.«

»Für die Seite des Raums haben wir keine Tickets«, fügt Carter hinzu.

Steph ist kurz davor, mit den Augen zu rollen, erstarrt aber mitten in der Bewegung und mustert uns verblüfft. »Eure Kostüme passen zusammen.«

Carter und ich wechseln einen verschwörerischen Blick. »Wir haben uns vorher abgesprochen«, erklärt er. »Um unsere Verkleidungen aufeinander abzustimmen, damit es auch wirklich maximal peinlich wird.«

Sie versetzt ihm einen Klaps auf den Arm. »Halt die Klappe! Mikey und ich waren ganz sicher, dass ihr beide euch auf Anhieb verstehen würdet. Wusstet ihr eigentlich, dass wir alle im Talentmanagement tätig sind? Ich meine, Leute. Ihr seid doch wie füreinander geschaffen.«

Steph lächelt uns versonnen an, als wären wir ihre zwei allerliebsten Porzellanfiguren im Regal und sie hätte uns gerade ein winziges Stück näher zueinandergerückt. Dann macht sie auf dem Absatz kehrt und verschwindet in Richtung Küche.

Carter dreht sich zu mir, und wir starren einander eine wortlose Sekunde lang fassungslos an.

»Diese Arschlöcher wollen uns verkuppeln«, flüstert er dann.

»Sieht ganz danach aus.« Ich werfe Steph einen finsteren Blick hinterher. »Wissen sie denn nicht, dass so was nie funktioniert?«

»Es ist wie dieser Film mit Seth Rogen und Katherine Heigl, in dem sie ihr katastrophales Date haben.« Er unterbricht sich, die Red-Bull-Dose auf halbem Weg zu seinem Mund führend. »Moment mal … erinnere ich mich da etwa falsch?«

Plötzlich fühlt es sich an, als ob in meiner Brust eine ganze Ladung Knallbrause knistert. Ich weiß, von welchem Film er spricht. »Du meinst ›Beim ersten Mal‹?«

Er nickt, und ich sprudele los: »Das ist eigentlich gar kein Date. Sie begegnen sich in einem Club, in dem sie – Katherine Heigl – ihre Beförderung feiert. Den Club, in dem sie Seth Rogen zum ersten Mal trifft, gibt es wirklich hier in L. A., er heißt Plan B, und die beiden betrinken sich und haben dann ungeschützten Sex. Acht Wochen später stellt sie fest, dass sie schwanger ist, und dann haben sie das peinliche Date, bei dem sie es ihm erzählt.«

Als ich endlich notgedrungen innehalte, um nach Luft zu schnappen, mustert er mich über den Rand seiner Getränkedose hinweg, die Brauen fast bis zum Haaransatz hochgezogen. »Das war eine beeindruckende Inhaltsangabe eines Films, der vor mehr als zehn Jahren herausgekommen ist.«

Ich tänzele von einem Bein aufs andere. »Das ist meine andere besondere Gabe.«

Seine Augen leuchten. »Ich muss schon sagen, Stephanie sollte es eigentlich besser wissen. Du bist unglaublich hübsch und offensichtlich mit mindestens zwei beneidenswerten Gaben gesegnet, aber bei Lichte betrachtet gibt es doch wohl kaum etwas Schlimmeres, als einen Agenten-Kollegen zu daten.«

Gott, ja, dem kann ich nur zustimmen. Mit jemandem auszugehen, der das Gleiche macht wie ich, wäre desaströs. Die Arbeitszeiten sind furchtbar, das Telefon klingelt ununterbrochen und der Blutdruck und das Liebesleben leiden.

Daher bin ich froh, dass er das Thema aufs Tapet gebracht hat. Plötzlich ist der Druck weg, und es fühlt sich an, als ob wir im selben Team sind: Team Die beiden sind süß, aber es würde nie funktionieren.

»Außerdem«, fährt er fort, »habe ich soeben kapiert, dass du die heiß geliebte Evelyn Abbey bist – jetzt ergibt das alles auch einen Sinn.«

Seine Aussage überrascht mich, und einen Moment lang weiß ich nicht, wie ich reagieren soll. Der Hollywood-Betrieb beschäftigt fast vierzigtausend Menschen, aber die Kreise, in denen wir uns bewegen, sind klein. Es kann also gut sein, dass er von mir – und meiner Erfolgsbilanz – gehört hat … oder auch nicht. Ich bin unsicher, weil ich nicht weiß, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft.

»Du bist also auch Agent?«, frage ich. »Wie kommt es, dass wir uns noch nie begegnet sind?«

»Mein Gebiet sind TV-Drehbücher.« Kleine Kreise. Ich entspanne mich wieder etwas. »Aber Michael Christopher und Steph reden dauernd von dir.«

»Du nennst Mike tatsächlich Michael Christopher? Wie niedlich. Erinnert mich an ›Pu der Bär‹.«

»Die Macht der Gewohnheit. Wir sind zusammen zur Uni gegangen«, erklärt Carter. »Er versucht, so zu tun, als ob er es super findet, verheiratet zu sein und ein dreijähriges Kind zu haben, das ihn dazu zwingt, eine Tiara aufzusetzen. Aber ich weiß genau, dass es ihn in der Tiefe seiner Seele verrückt macht, dass ich noch Single bin und es auf Instagram keine Bilder von mir mit dem Glitzerlipgloss meiner Tochter gibt.«

Ich lache. »Falls es dich irgendwie tröstet: Das hier läuft unendlich viel besser als bei Stephs letztem Verkupplungsversuch.«

Carter besitzt die magische Fähigkeit, eine einzige Braue zu heben, was dazu führt, dass die chemische Reaktion in meinem Inneren zu diversen Explosionen führt. »Macht sie das öfter mit dir?«

»Beim letzten Mal«, erläutere ich, »wollte sie mich mit ihrem dicklichen zweiundzwanzigjährigen Cousin Wyatt zusammenbringen.«

»Wie nett von ihr. Sie muss Wyatt wirklich mögen.«

Ich lasse das Kompliment warm an mir abperlen. »Ich bin dreiunddreißig, also …«

Carters Lachen ist leise, lässt aber sein ganzes Gesicht aufleuchten. »Ich nehme an, er war dir nicht gewachsen.«

»Der Arme kam frisch von der Uni und hatte seit Monaten nicht mehr gedatet.« Ich lächele. »Oder … überhaupt noch nie.«

Er hört mir ehrlich interessiert zu. Ich weiß nicht so recht, was ich mit dieser geradlinig auf mich gerichteten Aufmerksamkeit anfangen soll – ich bin daran gewöhnt, mich im Hintergrund zu halten, zwangsläufig. Der Großteil meines Lebens und Soziallebens dreht sich um die Arbeit. Ich mache mich bei Bedarf bemerkbar, um Warnsignale zu setzen oder für meine Klienten eine Lanze zu brechen, aber ansonsten lässt sich mein Job am besten hinter der Bühne erledigen. Und erst in diesem Moment, mit diesem Mann, der mich anschaut, als ob ich die einzige Person im Raum wäre, wird mir klar, wie lange es her ist, dass irgendwer mich auf diese spezielle Art angesehen hat.

Mir fällt etwas ein: Wenn Carter sich um Fernsehautoren kümmert, dann wohnt er doch bestimmt hier, auch wenn er wie Mike von der Ostküste stammt. Vielleicht kennt Daryl ihn ja sogar. »Wo arbeitest du denn?«

Carter lächelt, als ob er ahnt, dass seine Antwort eine kleine soziale Stinkbombe ist, die zwischen uns zerplatzt. »CTM.«

CT Management ist unser größter Rivale. In meinem Inneren kämpfen gegensätzliche Impulse: Der Drang, triumphierend die Faust zu recken, weil er tatsächlich hier lebt, wird durch ein instinktives Aufflackern von Konkurrenzdenken ausgebremst.

Falls er mein Schweigen registriert, lässt er sich davon nicht aus der Spur bringen. »Ich bin vor zwei Jahren hergezogen und noch immer fassungslos. Ich spreche als jemand, der zwischen U-Bahnen und Millionen anderen Möglichkeiten, sein Ziel zu erreichen, aufgewachsen ist. Aber hier? Du lieber Gott. Ich wohne in Beverly Hills – ich hätte nie gedacht, dass ich das mal von mir sagen kann –, aber es ist trotzdem ein Albtraum, von A nach B zu kommen.«

»Ihr von der Ostküste seid einfach nur verwöhnt mit euren …«, ich male Anführungszeichen in die Luft, »U-Bahnen und eurem effizienten Taxi-System

Carters Lachen ist ein leises, raues Summen. »Das stimmt. Ich bin im Herzen ein Long-Island-Junge. Aber nun atme ich den Geist Hollywoods.«

»Pass bloß auf, dass du nicht total Hollywood wirst.«

»Ich bin nicht mal sicher, was total Hollywood zu sein bedeutet. Heißt das, man entdeckt bei Saks ein Paar Fünfhundert-Dollar-Schuhe und denkt: ›Die muss ich dringend haben‹? So was gibt es in Manhattan auch.«

»Schlimmer«, erwidere ich. »Total Hollywood ist, wenn du die Fünfhundert-Dollar-Schuhe an den Füßen einer anderen Person entdeckst und sofort weißt, wo sie gekauft wurden. Und dann verachtest du die betreffende Person ein bisschen, weil der Designer dieser Schuhe nicht mehr der angesagteste und überteuerteste Designer der Stadt ist, und du weißt, dass sie vergangene Woche im Angebot waren und ihr Träger nicht den vollen Preis bezahlt hat.«

»Wow. Du bist wirklich böse, Evil

»Oh, ich bin nicht so.« Ich hebe abwehrend die Hände und deute dann auf die schlichten gelben Ballerinas, die unter meinem Bademantel hervorblitzen. »Lassen Sie sich gesagt sein, dass diese Schuhe von Old Navy sind, Sir. Im Ausverkauf erworben. Aber ich wohne schon mein ganzes Leben hier. Und jeder Tag ist ein neuer Kampf, nicht mit in dieses Spiel hineingezogen zu werden.«

»Welches Spiel?«

»Hallo Künstleragenten in Hollwood? Du weißt genau, dass das ein Spiel ist.«

»Stimmt.« Er nickt, und diese eine subtile Geste macht mir klar, dass er bereits spielt. Und wenn mein Instinkt mich nicht trügt, dann ist er gut. Offen und aufgeschlossen, bis das Thema Arbeit aufkommt – und sofort fährt ein Filter hoch.

Interessant.

Ich nehme einen Schluck von meinem Drink und lasse den Blick durch den Raum schweifen. Zusammen bilden Carter und ich eine winzige Insel inmitten der Party; es kommt mir fast so vor, als ob die anderen Gäste instruiert worden wären, uns in Ruhe zu lassen.

»Du bist also bei P&D«, bemerkt er.

»Ja.« Ich schaue ihn aufmerksam an, versuche, wie bei jeder neuen Bekanntschaft herauszufinden, wie er tickt, um mein Verhalten darauf einzustellen, und denke: Er hat die Ruhe weg. »Unter Brad Kingman.«

Carter zeigt keine Reaktion, was, wenn meine Vermutung zutrifft, daran liegt, dass ihm das bereits bekannt war.

»Stimmt es, dass er notorisch wählerisch ist, wenn’s ums Essen geht, und nur rohe, unverarbeitete Nahrung zu sich nimmt, keinen Zucker …?« Carter grinst und trinkt einen Schluck aus seiner Red-Bull-Dose. »Wie du siehst, bin ich ebenfalls sehr gesundheitsbewusst.«

Ich lache. »Stimmt alles.«

»Es kann nicht so extrem sein, wie die Leute behaupten.«

»Ich habe mal eine von diesen Haus-und-Garten-Zeitschriften auf seinen Schreibtisch gelegt, weil ich dachte, er könnte den der Ausgabe beigeklebten Hundefutterriegel für seine verhätschelte Dänische Dogge mitnehmen. Als ich später noch mal in sein Büro kam, sah ich, dass er das Ding aß. Offenbar ist er derart an fades, geschmacksneutrales Essen gewöhnt, dass ihm beim Verzehr eines Bio-Hundefutterriegels nicht auffiel, dass sein Snack nicht für Menschen gedacht war.«

Carter schaut mich entsetzt an. »Hast du ihn aufgeklärt?«

»Äh, nein.« Ich muss unwillkürlich lachen. »Aber zu meiner Verteidigung möchte ich anmerken, dass er mir kurz davor gesagt hat, ich sähe in meinem neuen Kleid ein bisschen schwammig aus. Also hat er es womöglich verdient.«

Sobald mir die Worte über die Lippen gekommen sind, wünsche ich mir, ich könnte sie zurücknehmen.

Agenten sind berüchtigt für ihre Klatschsucht. Geteilte Vertraulichkeiten können Türen öffnen und gehören in gewisser Weise zum Geschäft. Allerdings war Tratsch nie ein besonders großer Teil meines Geschäfts. Ich bin professionell. Ich bin geradeheraus. Ich kriege meine Angelegenheiten auch so gewuppt. Und auch wenn ich es noch so sehr für gerechtfertigt halte, meinen Boss Hundefutter essen zu lassen, sinke ich normalerweise nicht so tief, Anekdoten über schlechtes Benehmen und betrunkene Eskapaden auf Bar-Tischen zu verbreiten oder Gerüchte zu streuen, welche Praktikantin gerade welchen Geschäftsführer poppt. Es sei denn, ich bin mit Daryl oder Amelia zusammen – dann fallen alle Hemmungen. Grundsätzlich bewege ich mich gern im Kreise Gleichgesinnter. Schließlich kommt es in meinem Job vor allem auf die Reputation an.

Carter beugt sich näher zu mir. »Es war auf jeden Fall ziemlich scheußlich von ihm, so was zu dir zu sagen.«

Verdammt, mit dieser geflüsterten Bestärkung hat er es geschafft, gleichzeitig die professionelle und die persönliche Perspektive abzudecken. Gute Agenten können Menschen entweder lesen wie ein geöffnetes Buch, ihnen instinktiv die Befangenheit nehmen oder in jeglicher Situation Diskretion wahren. Großartige Agenten vereinen nahtlos alle drei Eigenschaften.

Keiner von uns lässt sich gern in die Karten schauen; wir halten möglichst damit hinterm Berg, was wir wirklich denken. Wir sind stets wachsam, unsere Schutzwälle sind hoch, und unser Bullshit-Radar ist standardmäßig auf die höchste Empfindlichkeitsstufe eingestellt.

Während ich Carter etwas genauer ins Visier nehme, wird mir klar, dass er sich definitiv nicht in die Karten schauen lässt – und außerdem noch ein richtig gutes Blatt zu haben scheint.

2. Kapitel

Carter

Michael Christopher findet mich am Samstagmorgen in seiner Küche vor. Die Zeitung liegt aufgeschlagen auf dem Tisch, im Hintergrund blubbert leise die Kaffeemaschine.

»Ich bin froh, dass du nicht mehr versucht hast, nach Hause zu fahren.« Seine Stimme klingt so kratzig, als hätte er Glasscherben verschluckt. Ich blicke auf und muss grinsen. Er trägt einen blauen Samtmorgenmantel über gestreiften Boxershorts und einem verblichenen T-Shirt. Sein Haar steht in alle Richtungen ab.

»Guten Morgen, Mr. Hefner.«

Er tritt auf ein paar Legosteine, die sich im flauschigen Küchenteppich verkrochen haben, und flucht lauthals los.

»Schön sprechen.« Diese diskrete Ermahnung habe ich schon Dutzende Male aus Stephanies Mund gehört.

Michael knurrt und bückt sich, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. »Du weißt nicht, was Schmerzen sind, bevor du dir nicht eins dieser Scheißteile in die Fußsohle gerammt hast.« Nachdem er sich vergewissert hat, dass er nicht blutet, humpelt er weiter zum Geschirrschrank, entnimmt ihm einen weißen, mit Morgans winzigen Handabdrücken verzierten Keramikbecher und gießt sich Kaffee ein. »Warum stehst du eigentlich immer so früh auf?«

»Keine Ahnung. Meine innere Uhr besteht weiterhin darauf, ein New Yorker zu sein.«

»Deine innere Uhr ist ein Idiot.«

»Stimmt.« Ich lache. »Schicker Morgenmantel übrigens.«

Er kippt etwas Sahne in seinen Kaffee und stellt den Becher dann zurück in den Kühlschrank. In dem Apartment, das wir uns am College geteilt haben, war der Kühlschrank von Pizza-Gutscheinen und Telefonnummern bedeckt; an diesem hier kleben ein riesiges Gemälde von Bibo und ein Zettel mit Playdate-Terminen. Hinweis für alle Nichteltern: Playdates sind offizielle Verabredungen zum Spielen mit anderen Kindern.

Michael lässt sich in den Stuhl mir gegenüber fallen und nimmt einen Schluck Kaffee. »Den hat Steph mir zum Vatertag geschenkt.«

»Glückwunsch. Du bist jetzt offiziell zu einem Vater mutiert.«

Michael atmet den Dampf ein, der seinem Kaffeebecher entsteigt, und beugt sich ein Stück über die Tischplatte. »Ich kann jetzt noch nicht auf Klugscheißereien, Carter. Mir platzt gleich der Schädel, und ich versuche, immer noch herauszufinden, warum ich beim Aufwachen Stephs Unterwäsche anhatte.«

»Nein! Nein und nochmals nein.« Ich schüttele den Kopf, in der Hoffnung, dieses Bild vor meinem geistigen Auge zu vertreiben, bevor es sich unauslöschlich in mein Hirn brennt.

Dann stehe ich auf, um ihm ein paar Schmerztabletten zu holen. Ich weiß, wo ich Ibuprofen und Co. finde: im Schränkchen neben der Spüle – beziehungsweise der Hausapotheke, wie sie es nennen. Darin stapeln sich Rezepte und Pflasterschachteln und sämtliche nicht verschreibungspflichtigen Medikamente, die man jemals brauchen könnte. Du liebe Zeit, es gibt sogar eine Flasche Jod.

Erwachsene haben Jod vorrätig. Meine Mom hat Jod. Ich bin achtundzwanzig Jahre alt und habe keinen blassen Schimmer, wozu genau Jod eigentlich gut sein soll.

In Momenten wie diesem wird mir bewusst, wie sehr sich meine Existenz mittlerweile von Michaels und Stephs unterscheidet. Die beiden haben ein Vierzimmerhaus in einer ruhigen Wohnstraße. Sie haben einen Briefkasten, an dem in lustigen, bunten handgemalten Buchstaben Evans steht, und an der Tür ihres Kleiderschranks hängt ein Somatogramm, auf dem sie die körperliche Entwicklung ihres Kindes festhalten.

Sie haben ein Kind!

Ich hingegen habe ein kleines Einzimmerapartment und einen Kaktus, der mein ganzer Stolz ist – immerhin ist es mir gelungen, ihn über sechs Monate am Leben zu erhalten.

Wann ist Michael in der Disziplin Erwachsenwerden eigentlich so rasant an mir vorbeigezogen?

Vielleicht, als er geheiratet hat? Oder als er sich so tapfer in das Abenteuer stürzte, eine Immobilie zu erwerben? Vielleicht ist es auch erst passiert, als er Vater wurde. Egal, ich würde ohnehin nie danach zu fragen wagen, da er und Steph sich, so respektabel sie auch geworden sein mögen, immer noch als leicht gealterte Jugendliche betrachten. Jede gegenteilige Andeutung würde die beiden zwangsläufig dazu animieren, mich mit der Bierbong abzufüllen oder auf das nächstgelegene Rave zu zerren. Und für so was fühle ich mich ironischerweise inzwischen definitiv zu alt.

Mit drei Tabletten und einem Glas Wasser kehre ich zum Tisch zurück.

Er murmelt so was wie »Danke«, schluckt die Tabletten und leert das Glas mit einem durstigen Zug. »Mir geht’s heute Morgen echt dreckig.«

»Wundert dich das etwa?« Ich setze mich wieder hin. »Auf eurer Party gab es Wodka-Red Bull und drei unterschiedliche Möglichkeiten, Marihuana zu konsumieren. Gras und Alk in Kombination habe ich seit meiner Abschlussklasse nicht mehr gesehen.«

Er hebt den Kopf, um mich beleidigt anzusehen. »Es war eine Hammerparty.«

»Schon klar. Allerdings war es auch eine Halloweenparty Ende September

»Die Zeit rund um Halloween ist echt stressig für Morgan«, erklärt er. »Playdates und Paraden und Herbstkirmes … Dieses Kind hat mehr Termine als ich. Daher mussten Steph und ich unsere Party vorverlegen.«

Ich sage nichts und hoffe, dass er seine eigenen Worte so weit sacken lässt, dass ihm ihre tiefere Bedeutung bewusst wird, aber er scheint noch immer voll und ganz damit beschäftigt zu sein, sich in seinen Kaffee zu verlieben.

Schließlich halte ich es nicht länger aus. »Ich glaube, das weibliche Wesen mit der meisten Kleidung am Leib war deine als Miley Cyrus verkleidete Frau.«

In Michael Christophers Augen glimmt ein winziger Funke auf. »Das würde ich so nicht sagen. Evie hat ungefähr so viel Haut gezeigt wie du. Ihr wart echt süß, ihr beiden Hogwarts-Schnuckis.«

Jetzt geht es los.

Ich senke meinen Blick und nehme noch einen Schluck von meinem Kaffee.

Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn beiläufig mit den Schultern zucken. »Steph dachte, dass ihr euch gut verstehen würdet.«

»Dafür, dass du deiner Frau erlaubt hast, bei mir einen Verkupplungsversuch zu starten, entziehe ich dir die letzten fünf deiner verbliebenen Coolness-Punkte.«

»Gestern Abend scheint dir das aber nicht so viel ausgemacht zu haben.«

Ich stelle die Tasse ab und bemühe mich, das leichte Hochschnellen meines Pulses zu ignorieren. Stimmt schon, während der drei Stunden mit Evie habe ich mehr Prickeln verspürt als bei all meinen Dates des vergangenen Jahres zusammen.

»Es hat mich tatsächlich nicht gestört«, gebe ich zu. »Sie ist heiß, sie ist witzig und dieses Lachen? Ist einfach umwerfend.«

Er wirkt plötzlich sehr interessiert und beugt sich noch weiter über die Tischplatte. »Jetzt kommt die Stelle, an der ich mich bei der Vorstellung, dass du mit jemandem anbandelst, den wir kennen, und wir dann als Paare Dinge unternehmen können, vor Begeisterung überschlage. Ich brauche dringend ein cooles Paar in meinem Bekanntenkreis, Carter. Hier wollen alle immer nur darüber reden, wie sich ihr Leben verändert hat, seit sie nur noch glutenfrei essen oder wie viel sie in ihre private Rentenversicherung einzahlen.«

»Jetzt überstürz mal nicht gleich alles. Ich mag sie schon, aber … sei doch mal realistisch. Du bist mit Steph zusammen, du kriegst mit, was für absurde Arbeitszeiten sie hat. Nun stell dir mal vor, Steph würde Steph daten. Das geht gar nicht. Es wäre ein Albtraum. Und genauso wäre es bei Evie und mir. Am Ende würden wir einander nur noch hassen.«

»Warum zerstört die Vernunft bloß immer all meine Träume?« Er wirft einen vorsichtigen Blick über seine Schulter zur offen stehenden Tür und fügt leise hinzu: »Sag bloß nicht meiner Frau, dass ich das vorschlage, aber wie wär’s denn, wenn ihr einfach nur miteinander in die Kiste geht? Ihr könntet ganz unverbindlich ein bisschen Spaß haben und dann schauen, was draus wird.«

»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Aber zumindest haben wir Telefonnummern ausgetauscht.« Ich stehe auf und stelle meine Tasse in die Spüle. »Wir haben uns gut unterhalten, und die Verbindung kann irgendwann nützlich sein, wenn ich es schaffe, in die Spielfilm-Abteilung zu wechseln.«

Er grinst. »Falls einer von euch gefeuert wird, könnte die Sache immer noch in meinem Sinne ausgehen.«

»Das war zwar nicht ganz das, worauf ich hinauswollte, aber mir gefällt deine absurde Variante von Optimismus.«

Wummernde Bässe und die Geräusche eines Autos, das deutlich zu schnell durch die ruhige schlafende Straße prescht, lassen uns beide gleichzeitig hochschrecken.

Michael steht auf und starrt durch das Fenster auf die Einfahrt. »Hast du mir nicht mal erzählt, dass Jonah einen schwarzen Range Rover fährt?«

»Jonah? Du meinst meinen Bruder Jonah?« Ich geselle mich zu ihm.

Und tatsächlich – ein schimmernder schwarzer Range Rover saust mit quietschenden Reifen in Michael Christophers schmale Einfahrt. Der Motor erstirbt abrupt, und die plötzliche Stille lässt meine Ohren klingeln.

Schon jetzt fürchte ich mich vor dieser Begegnung. Ich habe meinen jüngeren Bruder seit Monaten weder gesehen noch gesprochen und nicht den Hauch einer Ahnung, was er jetzt hier macht. Wir schauen zu, wie die Fahrertür sich öffnet und den Blick auf ein Paar jeansumhüllte Beine freigibt.

Michael hebt die Brauen. »Nun ja, er sieht … anders aus.«

»Du hast ihn nicht mehr getroffen, seit er achtzehn war. Natürlich sieht er anders aus.« Ich gehe zur Haustür.

Die meisten Leute, mit denen wir aufgewachsen sind, haben Jonah nicht mehr gesehen, seit er direkt nach dem Highschool-Abschluss von zu Hause ausgezogen ist. Er war der künstlerisch begabte Bruder, derjenige, der ständig mit einer Kamera um den Hals herumlief, Starkstromleitungen und Ziegelmauern fotografierte und deprimierende Schnappschüsse von Menschen machte, die nicht mit der Gabe des Lächelns gesegnet zu sein schienen. Mit einem dieser Bilder gewann er ein Stipendium für das Abschlussjahr irgendeiner renommierten Kunstakademie, aber während alle anderen Pläne fürs College schmiedeten, schnappte Jonah sich seine Kamera und eine Reisetasche und zog nach Los Angeles. Einfach so. Kaum angekommen, traf er auf einer Party den richtigen Typen, der ihn vom Fleck weg anheuerte, um ein paar Schwarz-Weiß-Momentaufnahmen von der größten Gitarristen-Legende des Rock ’n’ Roll zu schießen. Der Musiker starb nur Tage später einen tragischen Tod, und Jonah wurde über Nacht vom darbenden Künstler zum Cover-Fotografen der meistverkauften Rolling Stone-Ausgabe aller Zeiten und Wunderknabe der Szene, mit so viel Jobs und Frauen und Geld, dass er gar nicht mehr wusste, was er damit anstellen sollte.

Meine Mom redet ständig von ihm.

Es ist schon komisch, der ältere Bruder zu sein und sich trotzdem als hoffnungsloser Nachzügler zu empfinden.

Michael folgt mir durch den Flur. »Ich meine die Tattoos und Ohrringe«, präzisiert er. »Er sieht aus wie der obligatorische coole Typ einer Boyband.«

Als ich die Tür öffne, ist Jonah gerade drauf und dran, die Vortreppe hochzustampfen. »Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«, flüstere ich in scharfem Ton und trete auf die Veranda. Ich krümme mich innerlich, weil ich exakt so klinge wie unsere Mutter.

Jonah wirft seine Zigarette auf Michaels Veranda und tritt sie mit einer – sehr spitzen – Stiefelspitze aus. Er hat die Frechheit, eine verwirrte Miene aufzusetzen. »Hä?«

»Steph und Morgan schlafen noch«, führe ich betont langsam und deutlich aus. »Es ist Samstagmorgen in einer ruhigen Wohngegend.« Ich begutachte seine Kluft aus Jeans, T-Shirt, schwarzer Lederjacke und Mehrere-Tage-Bart. »Die meisten Menschen liegen noch im Bett, und du lärmst hier die Straße runter, als ob du in diesem Ding da deine eigene Hausparty steigen lässt.«

»Schon gut, Dad.« Er schiebt sich an mir vorbei ins Haus, mustert Michael Christopher von oben bis unten und stößt ein nicht besonders freundliches Lachen aus. »So sieht also ein glücklich verheirateter Familienvater aus? Total fertig

Michael hat schon den Mund geöffnet, um zu antworten, kapiert dann aber, dass er soeben beleidigt wurde, und wirft Jonah einen mörderischen Blick zu, der jedoch leider sein Ziel verfehlt, da mein Bruder bereits in die Küche vorgedrungen ist.

»Nettes Haus.«

Ich folge ihm und sehe zu, wie er sich Kaffee einschenkt. »Nur zu, bediene dich, Jones.«

Er dreht sich um, lehnt sich an den Tresen und führt die Tasse an den Mund. »Mom hat mir ungefähr zweihundert SMS geschickt, um zu fragen, ob ich weiß, wo du steckst.« Er trinkt und schluckt vernehmlich. »Ich schätze, sie weiß nicht, dass wir uns nur einmal gesehen haben, seit du hergezogen bist.«

»Du bist in vier Jahren ein einziges Mal zu Hause gewesen«, rufe ich ihm in Erinnerung. »Also erspar mir die Lektion in Familiensinn.«

»Ja, ich habe schwer zu tun, aber ich würde mir schon Zeit für meine Familie nehmen. Gott sei Dank hat Mom mir diese Adresse hier geschickt. Wer weiß, wie lange es sonst gedauert hätte, bis ich herausgefunden hätte, dass du praktisch obdachlos bist und auf dem Sofa deines ehemaligen College-Mitbewohners schläfst.«

»Wir verfügen durchaus über ein Gästezimmer«, wirft Michael Christopher wenig hilfreich ein.

Ich schaue Jonah entnervt an. »Ich bin nicht obdachlos, du Trottel. Ich habe nur hier übernachtet.«

Michael lacht unbehaglich und schlägt uns beiden auf die Schulter. »Um mal von was anderem zu sprechen: Was macht der Job, Jones? Ich habe letztes Jahr das Stück über dich in People gelesen. Ich meine, People, verdammt noch mal. Das ist unglaublich, Mann.«

Mein Bruder zieht sich einen Stuhl heran, dreht ihn um und setzt sich rittlings drauf. Wie ein Arschloch. »Das war ganz okay«, sagt er. »Aber Vogue … das war echt der Hammer.«

Ich nehme ihn etwas genauer unter die Lupe. »Jones, du siehst aus, als hättest du seit einer Woche nicht mehr geduscht.«

Er grinst mich über den Rand seiner Tasse hinweg an. »War eine verdammt abgefahrene Nacht.«

Michael Christopher dreht seinen Stuhl um und nimmt die Sitzfläche zwischen die Beine, genau wie Jonah. »Wir hatten auch eine ziemlich abgefahrene Nacht, stimmt’s, Carter?«

»Es war in der Tat … ziemlich abgefahren«, bestätige ich sarkastisch. Sie mochten ja Wodka-Red Bull und Gras im Angebot gehabt haben, aber es gab auch eine Sangria-Bar, einen Tampon-Strauß im Gästeklo und ein abschließbares Abpump-Zimmer für stillende Mütter.

»Ja, hier ging voll die Post ab«, fährt Michael unbeirrt fort. »Es ist sogar richtig spät geworden. Nun ja … ich meine, gegen elf war Schluss, weil Morgan unleidlich ist, wenn sie nicht genug Schlaf kriegt, und viele der Gäste zu Hause Babysitter hatten und nicht allzu lange bleiben konnten. Aber bis dahin? Der helle Wahnsinn!«

Jonah nickt, als könnte er das total gut nachvollziehen, und ich muss ihm immerhin zugutehalten, dass er sich nicht über Michael lustig macht.

»Carter hat sogar jemanden kennengelernt«, fügt Michael hinzu. Ich stöhne auf, sobald die Worte seinen Mund verlassen haben.

»Ein Mädchen?« Jonah grinst.

Ich funkele ihn finster an. »Eine Frau, ja.«

Er lacht in seinen Kaffee. »’tschuldigung«, sagt er. »Ich meine eine Frau

Ich werfe Michael einen hoffentlich Angst einflößenden Blick zu.

»Wie heißt sie denn, MC?«, erkundigt Jonah sich. »Kenne ich sie?«

»Nein«, entgegne ich rasch. Keine Ahnung, ob das stimmt; es handelt sich eher um einen verzweifelt ins Universum geworfenen Wunsch.

»Evie«, plaudert MC eifrig aus der Schule. »Sie ist heiß, schlau, sensationelle Figur. Sie hat mal mit Steph bei Alter…«

Ich falle ihm ins Wort. »Michael. Einfach mal die Fresse halten!«

Jonah schlägt die Hände zusammen. »Mann, da wird Mom aber begeistert sein.«

»Wenn du mit Mom nicht über mein Liebesleben sprichst, dann erwähne ich ihr gegenüber auch nichts von den kaum Volljährigen, die scharenweise durch dein Bett rotieren.«

Er kontert meinen Tiefschlag mit einem noch tieferen. »Du hast recht. Ich will ihr keine falschen Hoffnungen machen. Weißt du noch, wie schwer es sie getroffen hat, als du die Sache mit Gwen versaut hast?«

Ich glaube, ich kann hören, wie Michael Christopher zusammenzuckt.

»Ach du großer Gott.« Ich lege stöhnend die Stirn in die Hände.

Gwen Talbot war das erste Mädchen, in das ich mich verliebt habe, und meine Mom hat sie vergöttert. Während die meisten Mütter versuchen würden, ihre vierundzwanzigjährigen Söhne davon zu überzeugen, dass sie noch zu jung für eine ernsthafte Beziehung, geschweige denn eine Verlobung sind, konnte ich jedes Mal, wenn ich Gwen mit nach Hause brachte, praktisch sehen, wie Mom Namen für ihre künftigen Enkel aussuchte. Doch Gwen und ich passten nie wirklich zusammen. Sie wünschte sich ein ruhiges Leben auf Long Island, mit Haus und Kindern. Ich arbeitete für einen Agenten und wohnte in einem schäbigen Apartment in der Stadt, damit ich zu jeder Show gehen und jeden einflussreichen Menschen in der Theaterbranche treffen konnte. Die Bezahlung war unter aller Kanone, die Arbeitszeiten waren noch schlimmer, und nach einem Jahr lösten wir unsere Verlobung. Ich glaube nicht, dass Mom sich jemals von diesem Schlag erholt hat.

Jonah, der liebend gern Salz in diese spezielle Wunde streut, nippt selbstzufrieden an seinem Kaffee. Ich ringe darum, mir ins Gedächtnis zu rufen, warum es keine gute Idee wäre, ihm eine reinzuschlagen. Jonah mit seinem Range Rover und seinem Geld und seinen Drachen-Tattoos. Jonah ist ein Arschloch.

MC bricht die unheilschwangere Stille. »Gwen war eine Nutte. Und das meine ich keineswegs im Freizügig-mit-ihrer-Sexualität-Sinne, was ich absolut unterstütze, weil es Mädchen definitiv erlaubt sein sollte, zu schlafen, mit wem sie wollen, ohne dafür abgestraft zu werden. Ich meine einfach nur die Art und Weise, wie sie sich nach eurer Trennung aufgeführt hat. Was für ein Miststück!«

Ich nicke ihm dankbar zu, denn, oh ja, Gwen war ein Miststück, und wende mich dann wieder meinem Bruder zu. »Halt einfach nur die Klappe. Aber jetzt mal ernsthaft, warum bist du hier?«

»Mom hat ständig versucht, dich zu erreichen, und sagte, dass du nicht an dein Telefon gehst. Sie wollte, dass ich mal bei MC nachhake, weil der, falls du irgendwo tot im Graben liegst, vermutlich wüsste, wo genau.«

»Ich … he, Moment mal!«, ruft MC gekränkt.

Jonah trinkt aus und steht auf, wobei sein Stuhl geräuschvoll über den Boden scharrt. Er lässt sowohl Stuhl als auch Tasse da, wo sie sind. »Aber da du nicht tot im Graben liegst, kann ich auch wieder abhauen. Man sieht sich, großer Bruder.«

Und schon ist er wieder weg.

Als ob sie im Flur gelauert hätte, um mich in einen Hinterhalt zu locken, stellt meine Assistentin mich am Montagmorgen in dem Moment, in dem ich den Fahrstuhl verlasse.

»Da bist du ja!«, zwitschert sie.

»Stefanie, was machst du denn schon hier? Es ist gerade mal acht.«

Ungerührt steuert sie mein Büro an, mit dem Notizblock in der Hand. Sollte ich mich nicht wieder in den Fahrstuhl zurückziehen wollen – was nicht die schlechteste Idee wäre, die ich je hatte –, bleibt mir keine andere Wahl, als ihr zu folgen.

»Ich wollte sichergehen, dass ich dich erwische, bevor mir wer zuvorkommt«, wirft sie mir über die Schulter hinweg zu. »Einer von Blakes Klienten hat schon nach dir gefragt.«

»Wer?«

»Der Hübsche mit dem Bizeps.«

Stefanie nennt kaum jemanden bei seinem echten Namen. Im Ressort TV-Drehbuch repräsentieren wir alle möglichen Autoren und Serienentwickler, aber kaum Schaupieler. Die landen meist beim Spielfilm. Emil Shephard ist einer der wenigen, die bei uns sind, und ich brauche ein paar Sekunden, um Stefanies Bemerkung zu verarbeiten. Wenn Emil von Blakes Klienten-Stamm zu meinem abwandern will, dann wäre das bereits der dritte Überläufer allein in den letzten zwei Monaten. Und mein erster berühmter Schauspieler.

Untertreibung des Jahres: Blake wird nicht glücklich darüber sein.

»Emil hat nach mir gefragt?«

»Er hat übers Wochenende drei Mal angerufen.« Sie zieht an meinem Arm, um mich wieder in Bewegung zu setzen.

»Weiß Blake das?«

Stefanie reißt ein mit nahezu unleserlicher Schreibschrift bedecktes Blatt von ihrem Block und reicht es mir. »Vermutlich nicht, jedenfalls habe ich nicht gehört, dass irgendwelche Tische umgeworfen wurden. Du musst Emil noch heute Morgen anrufen, wenn du interessiert bist, bevor irgendwer Wind davon bekommt. Du weißt, wie solche Sachen aus dem Ruder laufen können, aber wenn Emil wegwill, dann will er weg. Du wirbst ihn nicht ab.«

Es ist nett, dass sie mir den Rücken stärkt, aber die Situation ist trotzdem unangenehm. Ich möchte irgendwann zum Spielfilm wechseln, und Kollegen die Klienten wegzunehmen ist nicht unbedingt der beste Weg dorthin. Schwer einzuschätzen, was die aktuelle Entwicklung für mich bedeuten könnte.

Stefanie rattert meinen Terminplan herunter: Meetings um neun und halb zehn, dann ein Meeting per Skype um zehn, gleich danach Team-Konferenz und anschließend Mittagessen mit einem potenziellen neuen Autor. Ich glaube, wenn ich einen bestimmten Frauentyp hätte, dann wäre es Stefanie. Sie ist klug und sarkastisch, hat braune Haare und eine atemberaubende Figur. Ich habe sie an meinem zweiten Tag in L. A. zufällig in einem Coffeeshop getroffen und mochte sie auf Anhieb. Tatsächlich mochte ich sie sogar so sehr, dass ich drauf und dran war, sie um ein Date zu bitten, als sie plötzlich auffuhr und rief, dass sie fast schon zu spät dran sei für ein Vorstellungsgespräch. Wie sich herausstellte, war das Vorstellungsgespräch mit mir. Und ich bin jeden Tag aufs Neue froh und dankbar, dass sie damals auf ihre Uhr geschaut hat, bevor ich sie zum Abendessen einladen konnte.

Trotz unserer eher unkonventionellen Anfänge kam es nie zu irgendeiner schrägen Situation zwischen uns; unser Verhältnis war immer rein professionell. Stefanie ist sensationell in ihrem Job und weiß in Wahrheit mehr über das, was bei uns vorgeht, als die Agentur-Bosse. Was wiederum bedeutet, dass sie im Prinzip das Zeug zu einer fantastischen Künstleragentin hätte; doch sie behauptet steif und fest, dass ihr der ganz spezielle Motivationsmuskel fehlt, den man dafür braucht.

Als sie am Ende ihrer ellenlangen Liste angekommen ist, haben wir mein Büro erreicht. Sie spürt, dass meine Aufmerksamkeit sich ziemlich weit von ihr entfernt hat. »Carter?«, hakt sie nach. »Hast du das alles verinnerlicht?«

Ich schaue auf den Zettel in meiner Hand und überfliege ihn, die Poststapel auf meinem Schreibtisch und »Melde dich, sobald du da bist«-Post-its an meinem Computer-Bildschirm bewusst ignorierend. »Das meiste schon, glaube ich. Aber es ist gut möglich, dass ich noch nicht genug Koffein getankt habe und daher nicht auf allen vier Zylindern zünde. Frag in einer Stunde noch mal.«

»Ich weiß wirklich nicht, womit du mich verdient hast.« Sie geht um meinen Tisch herum, hebt einen dampfenden Pappbecher hoch, der neben meiner Tastatur stand, und hält ihn mir hin.

»Du bist eine Göttin.« Allein der Duft löst schon eine Art pawlowschen Reflex aus, und sofort fühle ich mich wacher. »Ich hatte keine Zeit mehr, mir unterwegs noch einen zu holen. Dafür lade ich dich zum Lunch ein.«

Sie weist auf den Zwölfuhrtermin auf meinem Zettel. »Nein, du lädst Alan Porter zum Lunch ein. Potenzieller neuer Klient, weißt du noch?«

Ich sinke in mich zusammen. »Stimmt.«

Sie packt mich bei den Schultern und schiebt mich zum Schreibtisch. »Der Tag heute ist randvoll, also fängst du am besten gleich damit an, ihn hinter dich zu bringen.« Ich lasse mich in meinen Stuhl fallen und schaue zu, wie sie zum Fenster geht und die Jalousien hochzieht. »Schönen Montag noch.«

Autor

Christina Lauren
Hinter Christina Lauren steht das Autorinnenduo Christina Hobbs und Lauren Billings. Beide sind bekennende Liebesroman-Fans und schreiben seit 2009 gemeinsam. Getrennt durch den US-Staat Nevada, telefonieren sie mehrmals täglich miteinander und sind sich einig, dass die allerschönste Nagellackfarbe Rubinrot ist. Wenn sie die Wahl hätten, würden sie nur eins tun:...
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