Dein Herz will ich erobern

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Auf diesen Mann kann man sich verlassen! Das spürt Alison Quintano sofort, als sie in Seattle den mutigen Luc LeBlanc kennen lernt. Seinem wagemutigen Einsatz verdankt sie es, dass sie einen Überfall auf ihr Taxi unversehrt übersteht. Da er jedoch dabei verletzt wird, nimmt ihn Alison mit zu sich nach Hause und kümmert sich liebevoll um ihn. Dass es ihm nach wenigen Tagen wieder gut geht, freut sie sehr, andererseits ahnt sie, dass er bald zurück nach Alaska gehen wird. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung macht Luc ihr jedoch ein aufregendes Angebot ...


  • Erscheinungstag 28.07.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783745753233
  • Seitenanzahl 131
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ein schriller Schrei durchdrang seine Gedanken.

Als ein zorniger Wortschwall folgte, war Jean-Luc LeBlanc bereits herumgewirbelt und eilte zu Hilfe. Die Reaktion war rein instinktiv. Ihm kam überhaupt nicht in den Sinn, dass hier in den Straßen von Seattle ganz andere Gefahren lauern könnten als in Hades, seinem Heimatort in Alaska. Dort galt es hauptsächlich, sich vor vierbeinigen Kreaturen oder heftigen Unwettern zu schützen. Hier ging die Bedrohung eher von zweibeinigen Gestalten aus, die ebenso grausam sein konnten wie jede Laune der Natur.

Luc zögerte nicht, um das Für und Wider abzuwägen. Jemand brauchte seine Hilfe, und er war in der Nähe. Das war Grund genug, in Aktion zu treten.

Er brauchte nur einen Moment, um die Situation einzuschätzen. Hinter ihm in der Gasse kämpfte die Taxifahrerin – die ihn vom Flughafen abgeholt und keine halbe Minute zuvor bei dem Hotel abgesetzt hatte, in dem er absteigen wollte – gegen einen Angreifer auf dem Beifahrersitz. Etwas blitzte auf im Licht.

Der Mann hatte ein Messer.

Luc ließ seinen Koffer fallen und lief schneller. „Lassen Sie sie gefälligst los!“

Seine Stimme, die tief und gefährlich klang, wirkte beinahe unvereinbar mit seinem gewinnenden Äußeren. Sein muskulöser Körperbau verlieh der Aufforderung durchaus Nachdruck. Er erreichte das Taxi, zerrte den Straßenräuber vom Sitz und schleuderte ihn beiseite wie einen wertlosen Lumpen.

Das Messer flog dem Angreifer aus der Hand, als er mit dem Kopf gegen einen Müllcontainer prallte, der neben dem Hintereingang des Hotels stand.

Ohne den Blick von seinem Widersacher zu lösen, bückte Luc sich, um die Waffe aufzuheben und aus dem Verkehr zu ziehen.

Mit einem deftigen Fluch rappelte sich der Straßenräuber auf und ging zum Angriff über.

Ein gewaltiger Fausthieb streckte Luc nieder, und er konnte das Messer nur noch mit einem Fuß wegstoßen. Obwohl es ihm den Atem verschlagen hatte, war er schnell wieder auf den Beinen und hob die Fäuste, um sich zu verteidigen, wie er es schon als Teenager gelernt hatte.

Er hörte die Taxifahrerin schreien und erkannte eine Sekunde später, dass es eine Warnung war. Doch schon krachte etwas auf seinen Hinterkopf, und er verspürte einen unerträglichen Schmerz.

Und dann wurde alles schwarz ringsumher.

Verdammt, ich hätte nicht hier anhalten sollen.

Alison hätte es besser wissen sollen. Aber die Straße vor dem Embassy Hotel war schon seit längerer Zeit aufgerissen. Die umfangreichen Bauarbeiten hatten einen beträchtlichen Verkehrsstau verursacht und sie veranlasst, in eine Gasse abzubiegen, die den Kreaturen der Nacht und stämmigen Lieferanten hätte vorbehalten bleiben sollen. Es war gewiss kein geeigneter Ort für eine frisch gebackene Krankenschwester, die das Taxi ihres Bruders fuhr, um sich ein bisschen Geld zu verdienen.

Mit einem Auge auf dem Handgemenge und pochendem Herzen schaute Alison Quintano sich hektisch nach einem Streifenwagen um, aber es war natürlich keiner in Sicht.

Fluchend schnappte sie sich den Deckel einer Mülltonne und hieb ihn dem zweiten Straßenräuber, der aus dem Nichts aufgetaucht war und ihr das Fahrgeld entrissen hatte, mit aller Kraft über den Schädel.

Mit zornig funkelnden Augen wirbelte der Mann zu ihr herum. In einer Reflexbewegung fasste er sich an den Hinterkopf, und als er die Hand senkte und Blut darauf sah, schrie er: „Das wirst du bereuen, du kleines Biest!“

Schon wollte er auf sie losgehen, doch sein Partner, der gerade die Taschen ihres hingestreckten Fahrgastes plünderte, rief ihm zu: „Wir müssen verschwinden.“

Ihr Gegenüber zögerte. Doch dann siegte seine Vernunft. Er setzte dem ersten Mann nach und hob unterwegs lediglich den Koffer auf.

Alison widerstand dem Drang, sie zu verfolgen, denn das wäre töricht gewesen. Gegen zwei Männer, selbst wenn sie nicht besonders groß und kräftig waren, hätte sie nichts ausrichten können.

Vielmehr eilte sie zu ihrem Fahrgast. Er lag reglos auf dem Bauch. Besorgt sank sie neben ihm auf die Knie und presste die Fingerspitzen auf seine Halsschlagader. Sie atmete erleichtert auf, als sie seinen Puls spürte.

Er lebte noch, aber er war bewusstlos. Der zweite Straßenräuber hatte ihm einen Baseballschläger über den Kopf gezogen. Wie schlimm war die Verletzung?

Sehr vorsichtig rollte sie den Mann auf den Rücken. Nacheinander hob sie seine Augenlider. Seine Pupillen waren nicht geweitet, aber das konnte sich noch ändern.

Abgesehen von einer Platzwunde über der linken Braue und einer bösen Prellung auf der Wange schien ihr Retter zumindest äußerlich nicht ernsthaft verletzt zu sein.

Sanft legte sie ihm eine Hand auf die Schulter und schüttelte ihn. „Sind Sie okay?“ Sie beugte sich über ihn. „Mister, können Sie mich hören? Wachen Sie auf!“

Er blieb reglos liegen.

Besorgt blickte Alison sich um, aber niemand kam am Eingang der Gasse vorbei, was geradezu unmöglich erschien im Herzen von Seattle.

Eine Sekunde lang spielte sie mit dem Gedanken, Hilfe zu holen. Doch dazu hätte sie ihn allein lassen müssen, und das widerstrebte ihr, da er bewusstlos und somit wehrlos war. Das Risiko durfte sie nicht eingehen.

Sie beschloss, sich vielmehr über das Funkgerät im Taxi mit ihrem Bruder in Verbindung zu setzen. Ein Blick zur Uhr verriet ihr, dass es kurz nach zwei war. Wenn sie Glück hatte, war Kevin schon von der Mittagspause zurück.

Es wird ihn auf die Palme bringen, schoss es ihr durch den Kopf. Er hatte sich dagegen ausgesprochen, dass sie den Teilzeitjob ausführte, auch wenn es sich dabei um sein eigenes Taxiunternehmen handelte. Sie war das Nesthäkchen in der Familie, und alle wollten sie beschützen.

Doch momentan sorgte sie sich weniger um die Reaktion ihres Bruders als um den Zustand ihres Helfers. Als sie aufstand, sah sie seine Lider flattern.

Er kam zu sich.

Dann öffnete er die Augen. Als sie ihn im Rückspiegel des Taxis gemustert hatte, war ihr nicht aufgefallen, wie strahlend blau diese Augen waren.

Erleichtert atmete sie tief durch. „Sie sind wach.“

Ihre Erleichterung währte nicht lange, als sich die ausgebildete Krankenschwester in ihr regte. Dass seine Augen nun offen waren, hieß noch lange nicht, dass er in Ordnung war. Zumindest musste er einen gewaltigen Brummschädel haben. „Wie fühlen Sie sich? Er hat Ihnen einen bösen Hieb versetzt.“

Es dauerte eine Sekunde, bis er begriff, dass sie zu ihm sprach. Ihr Anblick faszinierte ihn so sehr, dass er ihre Worte kaum verstand. Er glaubte, einen Engel vor sich zu sehen – einen Engel mit kastanienbraunen Locken und himmelblauen Augen.

„Wer?“, hakte er nach.

„Der Straßenräuber.“

„Straßenräuber?“ Er versuchte, sich aufzusetzen, und fühlte sich, als läge ein Amboss auf seiner Stirn.

Sie nahm ihn bei der Hand und half ihm behutsam in eine sitzende Position. „Ja, da war noch einer.“

Er bemühte sich, ihre Worte zu verstehen, hatte jedoch wenig Erfolg. „Noch einer?“

Ihre Besorgnis kehrte zurück. „Warum wiederholen Sie alles, was ich sage?“

Er strich sich mit einer Hand über die Stirn. „Ich versuche nur, mir ein klares Bild zu machen.“

Oder überhaupt ein Bild, relativierte er im Stillen. Der heftige Schmerz in seinem Kopf zerriss alle Gedankengänge, die er zu fassen suchte.

Alison hockte sich vor ihn und blickte ihm in die Augen. „Kein Wunder, dass Sie verwirrt sind nach allem, was Ihnen passiert ist.“ Seine verständnislose Miene veranlasste sie zu erklären: „Dass Sie mir geholfen haben, war sehr tapfer. So was gibt es heutzutage nur noch selten.“ Schuldbewusst fügte sie hinzu: „Tut mir leid, dass Sie das meiste abgekriegt haben. Ich habe dem zweiten Typen mit dem Deckel einer Mülltonne eins übergezogen, aber es hat ihm nicht sehr wehgetan. Der hat offensichtlich einen Kopf aus Stein, was zu seinem Neandertalerverhalten passt.“ Sie lächelte ihn an. „Nicht wie Sie.“

„Was ist nicht wie ich?“

„Ich habe ihm nicht so wehgetan wie Sie dem anderen.“ Erneut musterte sie ihn besorgt. Seine Pupillen waren auch jetzt nicht geweitet, aber das hieß nicht viel. „Geht es Ihnen gut?“

„Ich weiß nicht.“

Alison hielt eine Hand vor sein Gesicht. „Wie viele Finger halte ich hoch?“ Als er nicht antwortete, bewegte sie die Hand vor und zurück, bis sich seine Augen darauf fokussierten. „Wie viele Finger sehen Sie?“

Er blinzelte, doch selbst diese kleine Bewegung schien eine Lawine des Schmerzes in seinem Kopf ins Rollen zu bringen. Es fiel ihm schwer zu reden. „Zwei, wenn Sie nicht so damit wackeln.“

„Richtig. Könnte aber geraten sein“, murmelte sie vor sich hin. „Wissen Sie, welchen Tag wir heute haben?“

Er dachte lange darüber nach. „Nein.“

Keine voreiligen Schlüsse, ermahnte sie sich. Wenn sie sehr beschäftigt war, vergaß auch sie manchmal den Wochentag. „Es ist Mittwoch. Wissen Sie, wo Sie sind?“

Obwohl es wehtat, den Kopf zu bewegen, blickte er sich sehr langsam um. Die Straße war eng, und zu beiden Seiten ragten hohe Gebäude gen Himmel. Der Geruch nach etwas Verdorbenem wehte zu ihm hinüber. „In einer Gasse?“

Alison unterdrückte ein Seufzen. „Können Sie mir nicht mehr sagen?“

Erneut blickte er sich um, doch diesmal bewegte er nur die Augen. „In einer schmutzigen Gasse?“

Sie beugte sich näher zu ihm. „Wissen Sie, wer ich bin?“ Sie erwartete, dass er ihren Namen nannte, den er während der Fahrt von der Plakette auf der Rückseite des Fahrersitzes abgelesen und als sehr hübsch bezeichnet hatte.

Nun überlegte er fieberhaft. War sie eine wichtige Person für ihn? Er hatte das Gefühl, dass dem so sein könnte, aber er konnte es an nichts festmachen. „Eine schöne Frau?“

Ihr Argwohn erwachte. Täuschte er die Benommenheit nur vor, um ihr Mitgefühl zu erringen – und vielleicht mehr? Sie richtete sich auf. „Ist das ein Trick?“

„Nein, kein Trick.“ Er griff sich an den Kopf und zuckte zusammen, als er einen stechenden Schmerz verspürte.

Alison untersuchte seinen Hinterkopf. Es war kein Blut zu sehen, aber das bedeutete nicht, dass keine innere Verletzung vorlag. Er musste zu einem Arzt, und zwar je früher, desto besser. „Was erinnern Sie?“

Er versuchte zu denken, aber ein lautes Summen in seinen Ohren verhinderte es, Zusammenhänge zu begreifen. „Nichts.“

Dieses eine Wort traf sie wie ein Fausthieb in den Magen. Alles war ihre Schuld. Sie hätte sich in die lange, im Schneckentempo vorwärts kriechende Schlange vor der Baustelle einreihen und ihn vor dem Haupteingang aussteigen lassen sollen. „Nichts? Was wollen Sie damit sagen?“

„Ich erinnere mich an gar nichts. Es ist alles total verschwommen.“ Seine Stimme klang verwundert und erschrocken, so als würde es ihm nun erst bewusst.

„Sie erinnern sich nicht, woher Sie gekommen sind?“, hakte sie nach, um Zeit zu gewinnen in der Hoffnung, dass sein Gedächtnis schon bald zurückkehren und sie von der Verantwortung entbinden würde.

„Nein.“

Er hatte ihr den Namen des Hotels genannt. Vielleicht wollte er dort jemanden treffen. „Und wohin Sie wollten?“

Er seufzte frustriert. „Nein.“

„Können Sie sich erinnern, wie Sie heißen?“, fragte sie in dem sanften, ruhigen Ton, der antrainiert war und stets ihre Patienten tröstete – der nichts von der Panik in ihrem Innern verriet.

Einige Erinnerungsfetzen waren vorhanden, doch als er sie zu sammeln suchte, lösten sie sich in Tausende winzige Bruchstücke auf und zerstoben wie Konfetti im Wind. „Nein.“

Ihr fiel ein, dass er nach der Bemerkung über ihren Namen seinen eigenen erwähnt und gescherzt hatte, dass er nicht warten wollte, bis sie einander formell vorgestellt wurden. Sie hatte sich darüber gewundert, wie ungewöhnlich nett er war. In diesem Teil der Stadt waren die Fahrgäste meistens abweisend und nur daran interessiert, schnellstens ihr Ziel zu erreichen.

Erleichtert blickte sie ihn an in der Hoffnung, dass der Name den Erinnerungsprozess ins Rollen bringen würde. Manchmal bedurfte es dazu nur eines Wortes, eines Blickes. „Sagt Ihnen Jean-Luc etwas?“

Er ließ es sich durch den Kopf gehen, versuchte einen Zusammenhang zu sich selbst oder einer anderen Person herzustellen, wartete darauf, dass ihm ein dazugehöriger Nachname einfiel. Das Einzige, was ihm in den Sinn kam, erschien ihm seltsam und aus dem Zusammenhang gerissen. „Gab es nicht mal eine Science-Fiction-Serie mit …“

„Ja. Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert . Captain Jean-Luc Picard.“ Alison wartete auf irgendein Anzeichen der Erinnerung in seinem Blick.

Vergeblich.

Entweder war er ein hervorragender Schauspieler, oder er litt wirklich an Amnesie.

Seine Anstrengung, die Verwirrung zu überwinden, erhöhte sie nur noch mehr. Er kramte in seinen Taschen. „Sollte ich nicht einen Ausweis bei mir haben?“

Er erinnert sich tatsächlich nicht an den Überfall, dachte sie niedergeschlagen. „Die haben Ihnen alles abgenommen.“

„Die? Sie meinen die Räuber?“

„Ja.“ Alison blickte über die Schulter zu dem Taxi. Drei Türen standen immer noch offen. „Ich glaube, Sie würden sich im Auto wohler fühlen.“ Sie musterte seine Gestalt. „Glauben Sie, dass Sie aufstehen können?“

„Mal sehen.“ Er versuchte es, doch schon drehte sich alles um ihn. Gebäude und Farben verschwammen vor seinen Augen. In dem Bestreben, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, ruderte er mit den Armen, suchte nach einem Halt und bekam Alison zu fassen.

Um zu verhindern, dass er stürzte, schlang sie hastig die Arme um ihn. Ihre Knie gaben nach unter dem unerwarteten Gewicht. Unwillkürlich versteifte sie sich gegen den Kontakt, der unliebsame Erinnerungen auslöste.

Hastig verdrängte sie das unangenehme Gefühl. „Stützen Sie sich auf mich“, wies sie ihn mit zusammengebissenen Zähnen an.

Es war ein Wunder, dass sie nicht beide zu Boden gingen. In allerletzter Sekunde fand sie die Balance wieder, indem sie die Beine spreizte und die Muskeln spannte wie ein Gewichtheber, der um den Weltmeistertitel kämpft.

„Sie sind schwerer, als Sie aussehen“, brachte sie keuchend hervor.

Er spürte ihren Atem im Gesicht und die Wärme ihres Körpers. Mit Mühe verscheuchte er die neblige Finsternis, die ihn zu verschlingen drohte. „Entschuldigung.“ Schweißperlen rannen ihm über die Stirn und zwischen den Schulterblättern hinab.

„Es ist ja nicht Ihre Schuld.“ Vorsichtig begann sie, den Griff um ihn zu lockern. Die Starrheit in ihrem Innern war schwerer zu lösen. „ Ich sollte mich entschuldigen.“

„Wofür denn?“ Durch den Schmerz und den Schwindel drängte sich die Erkenntnis, dass sie sich weich, verlockend weich anfühlte. Es war ein winziger Lichtblick in der chaotischen Situation.

„Wenn Sie mir nicht zu Hilfe gekommen wären … Wer weiß, was die mir angetan hätten.“ Sie erschauerte unwillkürlich. Es kostete sie all ihre Willenskraft, sich nicht von der Vergangenheit überwältigen zu lassen. „Sie erinnern sich an gar nichts, oder?“

Mit einer Hand auf ihrer Schulter ging er langsam zum Taxi. „Nein.“ Er blickte sie an. „Aber wenn ich Sie gerettet habe, bin ich froh, auch wenn dadurch alles ausgelöscht ist.“ Sorge trat in seinen Blick. „Haben die Ihnen wehgetan?“

Ihretwegen war sein Gedächtnis verschwunden, und doch erkundigte er sich nach ihrem Wohlergehen? Diese Tatsache erweckte Zweifel, ob er real oder nur ein Ausbund ihrer Fantasie war. „Dazu blieb den Tätern keine Zeit, weil Sie so schnell waren.“

Er sank auf den Rücksitz, gerade als seine Knie unter ihm nachgaben. „Momentan fühle ich mich nicht besonders schnell.“ Nachdenklich blickte er sie an. „Jean-Luc also?“

„Das haben Sie gesagt. Aber Sie haben auch erwähnt, dass Sie nur Luc genannt werden.“

„Luc, nicht Luke“, murmelte er vor sich hin. „Also die französische Variante. Das ist immerhin ein Anhaltspunkt.“ Er ließ sich den Namen immer wieder durch den Kopf gehen.

Gespannt, hoffnungsvoll musterte sie ihn. Sie wollte sein Gedächtnis nicht auf dem Gewissen haben. Gerade hatte sie sich ihren Lebenstraum erfüllt und war Krankenschwester geworden. Das bedeutete, anderen zu helfen statt ihnen zu schaden. „Erinnern Sie sich an etwas?“

Er schüttelte den Kopf.

„Luc – und wie weiter? Ist Ihr Nachname auch französisch?“

Er strengte sein Hirn an, aber nichts geschah. „Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“

2. KAPITEL

Detective John Donnelley starrte auf seinen Notizblock. Seine beharrliche Befragung von zwanzig Minuten Dauer hatte nichts weiter als eine halbe Seite ergeben. Es war heiß und stickig, und er musste sich bemühen, seine Gereiztheit zu verbergen.

Seufzend strich er sich über den kahl gewordenen Schädel, klappte den Block zu und blickter finster zu dem Mann, den er befragt hatte. „Das ist nicht gerade viel, was Sie mir zu sagen hatten.“

Alisons Mutterinstinkt, der seit dem Tod ihrer eigenen Mutter vor sechzehn Jahren sehr ausgeprägt war, erweckte in ihr den Drang, sich schützend vor Luc zu stellen.

„Es ging alles so schnell“, warf sie ein. Luc hatte genug durchgemacht, und er sah gar nicht gut aus. Er war nicht in der Verfassung, um noch länger ausgequetscht zu werden. „Es waren höchstens fünf Minuten. Wahrscheinlich sogar nur drei.“

Detective Donnelley nickte besonnen. „So läuft das meistens ab.“ Er wandte sich wieder an Luc. „Und Sie können absolut nichts hinzufügen?“

„Ich fürchte nein.“

„Größe, Gewicht, Haarfarbe?“ Die dunklen Augenbrauen hoben sich auf seiner hohen Stirn, in milder Hoffnung.

„Ich würde sie nicht erkennen, wenn sie unter den Leuten da wären.“ Luc deutete zu der Schar Schaulustiger hinter den Sägeböcken, mit denen die Polizei den Tatort abgeriegelt hatte.

„Das haben wir doch alles schon durchgekaut“, wandte Alison ein. Luc brauchte eine ärztliche Untersuchung, nicht ein polizeiliches Verhör. Ihr Beschützerdrang hätte sie verwundert, hätte sie darüber nachgedacht. Sie war zerbrechlich im Vergleich zu Luc, und doch meinte sie, ihn verteidigen zu müssen. Zumindest, bis er wieder er selbst war – wer immer das sein mochte. „Er hat Ihnen doch gesagt, dass er sich an nichts erinnern kann. Warum stellen Sie ihm immer wieder dieselben Fragen?“

„He, ich tue nur meinen Job. Wenn man nicht bohrt, kriegt man keine Antworten.“

„Manchmal kriegt man erst recht keine Antworten, wenn man bohrt“, konterte sie. „Entschuldigung, aber er muss dringend zu einem Arzt.“

„Okay, Sie können gehen“, sagte Donnelley, als ihm bewusst wurde, dass Luc im Gesicht geradezu bleich wie ein Geist war. „Wo können wir Sie erreichen, falls sich noch Fragen ergeben?“

Luc steckte die Hände in die leeren Taschen. Falls er Geld bei sich gehabt hatte, so war es verschwunden. Seines Wissens besaß er nichts mehr außer der Kleidung, die er gerade auf dem Leib trug. „Ich weiß nicht.“

Seine Miene verfinsterte sich. Er war diese Worte, die notgedrungen seine Antwort auf fast alles darstellten, gehörig leid. Er wusste nicht, wie er hieß, woher er kam, wohin er wollte, wie alt er war oder ob jemand irgendwo auf ihn wartete.

Der Detective holte noch einmal seinen Notizblock aus der Tasche und schrieb etwas auf. Dann riss er das Blatt ab und reichte es Luc. „Das ist die Adresse einer Herberge.“ Unwillkürlich dachte er daran, dass ihn am Ende seiner Schicht eine wohlschmeckende, warme Mahlzeit und eine gute Frau in einem hübschen Eigenheim erwarteten, das er fast abbezahlt hatte. Er hätte nicht in den Schuhen dieses jungen Mannes stecken wollen. „Es ist dort sauberer als in den meisten derartigen Unterkünften. Dort bekommen Sie ein Feldbett und etwas zu essen. Vielleicht können Sie sich ja schon morgen wieder erinnern“, fügte er in skeptischem Ton hinzu.

Alison stellte sich auf Zehenspitzen und blickte Luc über die Schulter auf den Zettel. Die Herberge lag in einer Gegend, die sie tunlichst mied, wenn sie Taxi fuhr. Sie blickte den Detective vorwurfsvoll an. „Das ist nicht gerade eine gute Adresse.“

Er lachte kurz auf. „Für gewöhnlich wollen reiche Leute nun mal kein Obdachlosenasyl in ihrer Nachbarschaft.“

Luc faltete den Zettel und steckte ihn in die Hemdtasche. Momentan konnte er nun einmal nicht wählerisch sein. „Danke.“

Alison wurde zunehmend kribbelig. Sie stand nicht gern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und die Menge der Schaulustigen hatte weiter zugenommen. „Können wir jetzt gehen?“

„Das habe ich doch schon gesagt“, erwiderte Donnelley.

Erleichtert setzte sie sich in Richtung des Taxis in Bewegung. „Kommen Sie“, forderte sie Luc über die Schulter auf.

Einen Moment lang hatte er befürchtet, dass sie ihn zurücklassen wollte. Doch anscheinend fühlte sie sich ihm verbunden. Das erleichterte ihn, und es wunderte ihn, denn offensichtlich waren sie sich vor der verhängnisvollen Taxifahrt nie begegnet.

Als er die Beifahrertür öffnete, fragte sie schroff: „Was haben Sie denn vor?“

Verwundert hielt er inne. „Ich wollte einsteigen.“

„Warum nicht hinten?“, entgegnete sie, denn schließlich war das der Platz für Fahrgäste – fort von ihr.

„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich lieber vorn bei Ihnen sitzen. Ich fühle mich da hinten zu isoliert.“ Zuvor hatte er auf dem Rücksitz auf das Eintreffen der Polizei gewartet und sich dabei unerträglich abgeschnitten gefühlt.

Alison nagte an der Unterlippe. Sie wusste nicht, ob es nur ein Trick von ihm war oder der Wahrheit entsprach. Aber was konnte schon passieren? Er sah gegenwärtig zu mitgenommen aus, um eine Bedrohung darzustellen. „Okay“, murmelte sie schließlich und setzte sich ans Steuer.

Luc starrte den Sicherheitsgurt mehrere Sekunden an, so als würde er die Funktionsweise analysieren, bevor er den Verschluss einklinkte. „Wohin fahren wir?“

Sie bog in südlicher Richtung auf die Querstraße ein. „In die Notaufnahme, um Sie durchchecken zu lassen.“

„Aber das kostet doch Geld.“

„Keine Sorge. Ich kenne dort einen Assistenzarzt.“

Der betreffende Assistenzarzt war nicht nur mit Alison bekannt; er war ihr drei Jahre älterer Bruder Jimmy, und sie wusste mit Sicherheit, dass er gerade Dienst im University Medical Center hatte. Mit etwas Glück kam Luc schnell an die Reihe und hatte die Untersuchung bald hinter sich.

Und was dann?

Diese Frage ging ihr im Kopf herum, während sie das Taxi in eine kleine Parklücke lenkte.

Und dann sehen wir weiter, sagte sie sich. Vielleicht kehrte sein Gedächtnis ja zurück, noch bevor er das Krankenhaus wieder verließ.

„Wir sind da“, verkündete sie, als er sich nicht vom Sitz rührte.

Er stieg aus und blickte sich um. „Sollten wir nicht vorn reingehen?“

Sie hatte neben dem Hintereingang geparkt, der den Ambulanzen und dem Personal vorbehalten war. „Hier geht es schneller.“

Sie führte Luc durch die elektronisch gesteuerte Schiebetür und eilte weiter. Die Sprechstundenhilfe am Empfang blickte ob der Störung ein wenig verärgert von ihrem Schreibtisch auf.

„Ist Jimmy in der Nähe, Julie?“

Die junge Frau brauchte einige Sekunden, bis sie Alison erkannte und lächelte. „Sicher. Im Aufenthaltsraum. Es ist sehr ruhig momentan.“

„Jetzt nicht mehr“, murmelte Alison und blickte über die Schulter zurück, als ihr bewusst wurde, dass Luc nicht mehr an ihrer Seite war. Sie hatte ihn am Eingang verloren. Zwei Krankenschwestern hatten sich vor ihm aufgebaut und fragten ihn offensichtlich nach seinem Anliegen. Vermutlich suchten sie ihm dabei auch persönliche Informationen zu entlocken.

Da habt ihr kein Glück, Mädchen.

Nicht, dass Alison es ihnen verdenken konnte. Luc war eindeutig nett anzusehen. Sogar mehr als nett, entschied sie, während sie zu ihm zurückging. Sie stellte sich zwischen ihn und die Krankenschwestern, von denen ihr eine bekannt war. „Hallo, Grace, ich suche Jimmy.“

„Im Aufenthaltsraum.“ Grace würdigte sie kaum eines Blickes und wandte sich sogleich wieder an Luc. „Können wir irgendwas für Sie tun?“

„Nein danke“, sagte Alison, bevor er antworten konnte, und zog ihn am Arm mit sich.

Er lächelte unwillkürlich. „Sind die Schwestern hier immer so nett?“

Sie zog ihn einen renovierungsbedürftigen Korridor entlang. Die Wandfarbe war an zahlreichen Stellen gerissen und abgeblättert. „Normalerweise haben sie keine Zeit, so nett zu sein. Anscheinend haben Sie sich einen günstigen Augenblick ausgesucht, um überfallen zu werden.“

„Ich bezweifle, dass es einen günstigen Augenblick dafür gibt“, wandte er ein.

Sie öffnete schnell die Tür zum Aufenthaltsraum und rief: „Jimmy?“

Luc erkannte Jimmy auf Anhieb unter den grün gekleideten Männern, die in dem kleinen, stickigen Raum saßen – auf Grund der frappierenden Ähnlichkeit mit Alison. Beide hatten kastanienbraune Haare, ausdrucksvolle blaue Augen und ein Grübchen in der rechten Wange.

Allerdings wirkte Jimmy momentan wesentlich gelassener als Alison.

Er wandte sich halb von der Sendung ab, die er in einem kleinen, alten Fernseher verfolgt hatte, und lehnte sich auf dem Küchenstuhl zurück. „Hey, Aly, was liegt an? Ich dachte, du fährst heute Taxi.“

„Das habe ich auch. Bis sich zwei Typen das Fahrgeld geschnappt haben.“

Jimmys Miene wurde abrupt ernst. Er sprang auf und stürmte zu ihr. „Bist du verletzt?“, fragte er und musterte sie eingehend, während er ihr über die Arme strich.

„Nein, aber ich wäre es wahrscheinlich, wenn er mir nicht zu Hilfe gekommen wäre.“

Autor

Marie Ferrarella
<p>Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...
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