Der Wikinger und die blonde Schönheit
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Sie war die einzige Frau, die er jemals geliebt hatte.
Das wurde ihm in einem einzigen Augenblick klar, als ein Kribbeln von ihm Besitz ergriff, das in seinen Fingerspitzen begann, weiter an seinen Armen hinauflief und schließlich seinen ganzen Körper erfasste. Wenn er sie in den vergangenen Jahren auch nur einmal gesehen hätte, dann hätte er diese Liebe eher erkannt. Oder wenn er sich zugestanden hätte, auch nur davon zu träumen, dass ein solches Gefühl möglich war, so hätte er dieses Gefühl ihrem Wesen zugeschrieben. Stattdessen hatte er alles versucht, sie zu vergessen. Es fiel ihm leichter, vorzugeben, dass sie gar nicht existierte. Wenn er nicht darüber nachdachte, bei ihr zu sein, dann würde er sich auch nicht nach ihr sehnen. Wenn er sich nicht in Erinnerung rief, wie es sich anfühlte, sie in den Armen zu halten, dann würde er sich auch nicht der Wirklichkeit stellen müssen, dass sie gar nicht für ihn bestimmt war. Dass er sie nie wieder in den Armen halten würde und dass seine Hände von der Leere nicht schmerzen würden.
Nur hatte Gunnar nie wirklich aufgehört, sich ihr Gesicht vorzustellen. Jede Frau, die er jemals berührt hatte, hatte im Dunkel der Nacht ihre Gestalt angenommen.
Von seinem Versteck im Wald aus beobachtete er, wie Kadlin den Weg von ihrer Wohnstatt zu dem Bach nahm. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet und ihre Bewegungen anmutig. Sie sprang über eine Schneewehe, und ihre jüngeren Brüder folgten dicht hinter ihr; sie quiekten und lachten, als einer von ihnen stolperte und in die vereiste Schneeböschung fiel. Ihr Mischlingshund begleitete die kleine Truppe bellend und sprang vergnügt umher. Gunnar wurde bewusst, dass er lächelte, während er schnell einen Schritt zurücktrat, um sich hinter einem Baum zu verstecken, als Kadlin sich plötzlich umdrehte und ausgelassen mit den Geschwistern lachte. Der geliebte Klang ihres Lachens drang bis zu seinem Versteck am Waldrand und erlöste ihn von dem Gewicht, das seine Brust belastet hatte. Er hatte ganz vergessen, wie gut es sich anfühlte, dieses Lachen zu hören.
Es brachte Erinnerungen daran zurück, wie sie als Kinder in genau diesem Wald herumgetollt waren. Einen Augenblick lang stand er mit geschlossenen Augen da, während er die Bilder der Vergangenheit in sich aufsteigen ließ: Wie Kadlin ihn mit Schneebällen bewarf; wie sie ihm auf einem niedrig hängenden Ast auflauerte, während er sie suchte, und ihn dann zu Boden drückte; wie Kadlin ihm eine Ohrfeige gab, als er sie „Mädchen“ nannte. Aber dann wurden ihre fröhlichen Stimmen schwächer, deshalb schlich er den dreien nach, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.
Wären ihre jüngeren Brüder nicht bei ihr gewesen, so hätte er sich ihr am Bach genähert. Aber er erinnerte sich an die harten Worte ihres Vaters während seines letzten Besuches und blieb daher auf Abstand. Es würde schon die Zeit kommen, sie später in der Nacht aufzusuchen, wenn alle schliefen. Oft genug hatte er in der Vergangenheit erkundet, wie er sich Zugang verschaffen konnte, ohne gesehen zu werden. Er blieb an dem geschützten Platz am Waldrand und beobachtete sie.
Die beiden Zöpfe gingen ihr bis zur Taille. So lange er denken konnte, war er von ihrem Haar fasziniert gewesen. Es war von einem seltenen Silberblond, das er nie bei jemand anderem gesehen hatte. Als Kind hatte er sich nachts in ihre Schlafkammer gestohlen, wenn er zu verletzt und mutlos gewesen war, um in seinem Bett Trost zu finden. Dann hatte er ihre langen Zöpfe gelöst und die seidige Kaskade ihres Haars über sich fallen lassen. Er konnte sich auch lebhaft daran erinnern, wie sie ihn mit ihren klaren blauen Augen überrascht angesehen hatte, wenn sie in jenen Nächten erwacht war. In diesen Augen spiegelte sich, dass sie ihn so annahm, wie er war, und dies war der einzige sichere Hafen, den er je gekannt hatte. Sein Vater, ein verbitterter und hasserfüllter Mann, hatte ihn verstoßen, später auch seine Mutter, die sich von ihrem unehelichen Kind abgewandt hatte, um zu heiraten. Gunnar hatte nie Zärtlichkeit und Anerkennung erfahren, ausgenommen von Kadlin.
Es war töricht von ihm gewesen, die Tiefe seiner Gefühle für sie damals nicht zu erkennen. Aber er war ja auch noch ein Kind gewesen, und was wussten Kinder schon von der Liebe? Er wusste nur, dass er stets zu ihr gegangen war, wann immer sein Leben unerträglich geworden war, und sie ihm dann Trost gegeben hatte. Er begriff nicht ganz, was ihn dazu gebracht hatte, sie von sich zu weisen. Der Grund mochte sein, dass sie für seinen Halbbruder bestimmt gewesen war und dass Gunnar sich nicht dem unvermeidlichen Schmerz hatte aussetzen wollen, wenn sie Eirik ihm vorzog. Aber jetzt war ihm überdeutlich bewusst, dass sie für immer einen festen Platz in seinem Herzen hatte, der nur für sie bestimmt war.
Es war ein Jammer, dass die Bestimmung ihn in wenigen Tagen hinaus aufs Meer führen würde. Und während dieser Gedanke ihm durch den Kopf ging, gelangte Gunnar zu dem Schluss, dass es wohl das Beste für sie sein würde, wenn er fortginge. Sie verdiente jemanden, der so ehrenhaft und so gut war wie sie selbst. Jemanden, der ihr mehr bieten konnte, als er von ihr nehmen würde. Jemanden, der ihr einen Bruchteil dessen zurückgeben könnte, was sie einem Mann zu schenken hatte. Er selbst war dieser Mann nicht, und er wusste, dass es sinnlos wäre, danach zu streben. Während sie strahlendes Licht war, war er nur Dunkelheit. Er würde nur von ihr nehmen. Aber in dieser Nacht würde er sie aufsuchen, würde ein letztes Mal mit ihr sprechen, sie ein letztes Mal in den Armen halten. Das müsste ihm für den Rest seines Lebens genügen.
Kadlin wachte in dem verstörenden Bewusstsein auf, dass sie in ihrer Schlafkammer nicht allein war. Sie blieb ganz still liegen und lauschte, ob irgendein Geräusch den Eindringling verraten würde, aber sie hörte nur das Pochen ihres eigenen Herzens. Das Feuer schwelte nur noch, und sie musste blinzeln, damit sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Da war eine gewisse Schwere in dem Raum, eine Gegenwart, die nicht ihre eigene war. Sie war sicher, dass sie sich das nicht einbildete. Diese Gegenwart verursachte ihr ein Kribbeln auf der Haut und sog gleichsam die Luft aus ihrer kleinen Kammer heraus.
Wo war bloß ihr Hund? Der Umstand, dass ihr treuer Kamerad sie verlassen hatte, bereitete ihr ein namenloses Unbehagen, sodass ihr das Herz in der Brust fror. Wenn jemand Freya hatte fortlocken können, dann …
„Ich bin es nur, Kadlin. Hab keine Angst.“
Gunnar! Seine Stimme hätte sie überall erkannt. Den tiefen Klang seiner Stimme begleiteten sprühende Funken, als das Feuer wieder aufflackerte. Der warme Schein liebkoste Gunnars Gesicht, und seinen bernsteinfarbenen Augen schien aus der kurzen Entfernung ein Glühen innezuwohnen. Das Flackern des Feuers hob das dunkle Rot seines Haars hervor, und erneut verlor Kadlin sich in seinen markanten Gesichtszügen, auf denen sich Licht und Schatten in rascher Folge abwechselten. Er war wie der zum Leben erwachte Gott des Feuers.
Aber er war Gunnar, ein unverwechselbarer Mann aus Fleisch und Blut. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, aber aus einem ganz anderen Grund. Sie hatte ihn seit über zwei Jahren nicht gesehen, denn damals war er fortgegangen, war in den Kampf jenseits des Meeres gezogen. Aber selbst vor dieser Zeit hatte sie ihn kaum richtig kennengelernt, es gab nur verstohlene Blicke und Mahlzeiten in verlegener Atmosphäre, wenn ihre Väter zusammenkamen. Sie waren immer noch Kinder gewesen, als er das letzte Mal die lange Wanderung allein durch den Wald von seiner Wohnstatt zu ihrem Bett unternommen hatte.
Jetzt aber hatte er die breiten Schultern eines erfahrenen Kriegers, die durch den Pelzumhang sogar noch breiter wirkten. Sie konnte den Blick kaum von der Kraft dieser Schultern abwenden. Wie selbstverständlich begann er, das Feuer zu schüren, wobei sie bemerkte, wie groß und stark seine Hände geworden waren. Ganz anders als jene, die sie so viele Jahre zuvor gehalten hatten. Tief in ihr machte sich ein Zittern bemerkbar.
„Ich wusste nicht, ob ich dich wiedersehen würde.“ Sie war etwas außer Atem, während sie die Worte aussprach, und musste tief Luft holen, als sie sich im Bett aufrichtete. Sie wollte ihn berühren, um sicher zu sein, dass er wirklich da war und sie keinem Traum aufsaß. Sie wollte seine Schultern mit den Händen berühren, wollte dieses Gefühl mit ihren Träumen vergleichen. Sie sehnte sich danach, ihre Hände auszustrecken und ihn festzuhalten, ehe er gehen und sie ihn nie wiedersehen würde. Sie wollte ihn dafür schütteln, dass er sie verließ.
Aber es war so viel Zeit verstrichen, seit sie die unbeschwerte Kameradschaft ihrer Jugend genossen hatten, und er schien so kämpferisch und unnahbar geworden zu sein, so ganz anders als jener Junge, an den sie sich erinnerte. „Du bist im Herbst mit Eirik zurückgekehrt.“ Sie hätten den ganzen Winter miteinander verbringen können, um sich wieder näherzukommen. Diesen Gedanken sprach sie nicht aus, aber der Vorwurf hing wortlos zwischen ihnen in der Luft. „Warum bist du nicht gekommen?“ Da löste sich ein Schatten aus der Ecke hinter ihm, und Kadlin sah, dass Freya ein großes Stück getrocknetes Fleisch bekommen hatte. Wie es schien, hatte sich Gunnar gut auf dieses heimliche Treffen vorbereitet!
Er tat einen tiefen Atemzug und war offenbar zu einer Entscheidung gelangt, denn als sein Blick sie traf, sah Gunnar ihr so direkt und ernst in die Augen, dass es ihr die Sprache verschlug. Kein belustigtes Funkeln lag in diesem Blick, keine spielerische Verstellung, nicht einmal der Anflug von Höflichkeit. Da war nur eine ruhelose Kraft, die er einzusetzen gedachte und die völlig auf sie ausgerichtet war. Als er schließlich zu reden begann, war seine Stimme erfüllt von Sehnsucht. „Du warst meinem Bruder versprochen. Falls ich dich wiedersehen sollte, wusste ich, dass ich ihn deinetwegen herausgefordert hätte.“
Schließlich erlöste er sie von dem Bann seiner starr auf sie gehefteten Augen, und sein durchdringender Blick wanderte über ihr zerzaustes Haar und hinunter zu ihren Brüsten. Kadlin wurde plötzlich ganz warm. Er legte ein letztes Stück Holz in das Feuer und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sodass es schien, als füllte er fast den ganzen Raum aus.
Sein durchdringender Blick ließ sie erschauern. Sie hatte sich dieses Wiedersehen über die Jahre immer wieder vorgestellt, hatte sich ausgemalt, wie er sie heimlich nachts in ihrer Kammer aufsuchte, aber die Wirklichkeit war nahezu überwältigend. Sein Eingeständnis, dass er sie begehrte, zusammen mit der Intensität seines Blicks, ließ ihren Körper in einer Weise aufleben, wie sie es noch nie empfunden hatte. Ihre Haut schien in Flammen zu stehen, sie nahm diesen Mann mit jeder Faser ihres Leibes wahr. Als er einen Schritt auf sie zuging, raubte es ihr einen Moment den Atem. Um sich zu zügeln, sagte sie herausfordernd: „Du hättest deinem Bruder gestattet, mich zu heiraten? Obwohl du wusstest, dass du mich für dich wolltest?“
Die Erregung in seinem Blick war nicht zu übersehen. Oft genug hatte sie einen ähnlichen Ausdruck bei den Männern gesehen, die bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten hatten, hatte dies aber nie begrüßt. Aber das, was Gunnar nun ausstrahlte, war wie das Licht der Frühlingssonne, die ihre Haut nach einem besonders strengen Winter wärmte. Er war der Einzige, den sie jemals bereit wäre zu heiraten.
„Ich glaubte, dass er deine Wahl war.“ Mit diesen Worten blieb er vor ihrer Schlafstatt stehen.
Sie erhob sich auf die Knie, ließ die Bettdecke fallen und kämpfte gegen das Verlangen an, ihn zu berühren. Offenbar hatte er in all diesen Jahren eine gewisse Zuneigung zu ihr verspürt, was sie indes nicht recht glauben konnte, da er doch jede Frau hätte haben können. Vielleicht hatte sie auch Angst davor, es zu glauben, Angst davor, dass es nichts ändern würde, selbst wenn er ihr tiefere Gefühle entgegenbrachte. Er würde ihr nach wie vor nicht gehören. „Du musst wissen, dass mein Herz nie Eirik gehörte. Er ist ein guter Freund, aber … nicht in der Weise, die für eine Ehe erforderlich wäre.“
„Ich habe den Winter weitab von zu Hause verbracht, an Orten, die dich mit Abscheu erfüllen würden.“ Dabei schüttelte er den Kopf. „Bei schrecklichen Leuten … weil ich nicht in das Haus meines Vaters zurückkommen und dich dann als Eiriks Frau sehen wollte. Jede Nacht habe ich mir ausgemalt, wie du in seinen Armen liegst, und das war eine Qual. Als ich nach Hause kam und erfuhr, dass du ihn nicht geheiratet hast, kam ich so schnell wie möglich zu dir.“ Er hielt inne, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Seine Augen leuchteten, und für einen Moment sah sie wieder den Jungen vor sich, dem sie in Liebe zugetan gewesen war. Er streckte seine starke Hand nach ihr aus, um das Ende eines ihrer Zöpfe zu erfassen und sich das geflochtene Haar um die Finger zu winden. Beide sahen, wie der Schein des Feuers die blonden Strähnen silbrig erscheinen ließ. „Ich überlasse es dir, ob du die Wünsche der beiden Jarls, deines und meines Vaters, erfüllen willst.“
Ein kleines Lächeln deutete sich um ihre Mundwinkel an. „Er war nicht der Mann, den ich wollte.“ Sein Atem geriet ins Stocken, aber er nahm den Blick nicht von der Haarsträhne, die er liebkoste. „Warum hast du mich all die Jahre nicht beachtet, Gunnar?“, flüsterte sie.
„Nein, Kadlin, du warst immer in meinen Gedanken. Es gab keinen einzigen Augenblick, in dem ich mir deiner nicht bewusst gewesen wäre. Jederzeit warst du mir nahe; auch dann, wenn ich dich nicht sah. Mein Körper wusste immer, dass du da warst, und ich konnte nicht umhin, deine Stimme zu hören, deinen Duft einzuatmen.“ Er zog die Haarsträhne an die Lippen und schloss die Augen, als er ihren Duft einatmete. „Ich konnte nie vergessen, wie du duftest und wie es sich anfühlt, mein Gesicht in deinem Haar zu bergen und friedlich bei dir einzuschlafen.“
„Aber du bist nicht gekommen. Warum?“
Er stöhnte und wich nur so weit zurück, dass er seinen Blick über ihren Leib schweifen lassen konnte. „Der Junge, den du kanntest, ist vor langer Zeit gestorben, Kadlin. Ich bin nicht der, den du brauchst.“
Sie atmete tief ein, um ihre innere Unruhe ein wenig zu besänftigen. Dieser Mann, dieser Krieger, der nun vor ihr stand, so schonungslos abweisend, war tatsächlich nicht der Junge, den sie in Erinnerung hatte. Aber trotz der Veränderung, die dieses harte Leben in ihm bewirkt hatte, war er nicht weniger anziehend. Im Gegenteil, seine ganze Erscheinung hatte eine fesselnde Anziehungskraft, die allem Verbotenen innewohnte und ihn umso begehrenswerter machte. Trotz alledem aber erschien er ihr noch immer so vertraut. Sie konnte sich nicht länger zurückhalten, ihn zu berühren, und legte ihre Hände auf die seinen. Ob er wohl den Zauber spürte, der sich bei dieser Berührung einstellte … die unsichtbare Flamme, die zwischen ihnen entzündet wurde?
Rastlos strich sie ihm über die Unterarme und vermochte nicht innezuhalten, da der Drang, ihn zu berühren, so übermächtig wurde. Seine Arme fühlten sich unter ihren Händen so fest und hart wie Eisen an. Bei der Betrachtung seiner breiten Brust vermutete sie, dass sein ganzer Körper sich so anfühlte. Eine plötzliche Erregung erfasste sie. „Es ist mir gleich, Gunnar, du bist, was ich will.“ Aufrichtigere Worte waren ihr nie über die Lippen gekommen. Er war noch nicht lange bei ihr in der Kammer, und doch hatte sie das Gefühl, dass ein Teil von ihr wieder zu sich selbst gefunden hatte. Es gab keinen Schmerz mehr an der Stelle, wo ihr Herz saß. Gunnar war für sie bestimmt, das wusste sie jetzt viel sicherer als jemals zuvor. Und sie war sich sicher, dass er tief in seinem Inneren genauso empfand.
In seinen Augen lag ein Glühen, eine jäh aufflammende Wildheit, die Kadlin zuvor womöglich in Angst versetzt hätte. „Du solltest aufpassen, was du zu mir sagst.“
„Warum?“, fragte sie kühn.
Ein Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus, aber es war ein durchtriebenes Lächeln, in dem all die dunklen Dinge mitschwangen, die sie gern mit ihm erleben wollte. Es war ein forderndes Lächeln. Langsam lösten sich seine Finger von ihrem Haar, sodass er ihr die Hände sanft auf die Hüften legen konnte. Dabei nestelte er zurückhaltend an dem zarten Gewebe ihres Nachtgewands. Zwischen Kadlins Oberschenkeln begann es auf ungewohnte Weise zu pochen. „Weil ich jeden Moment in dieser Kammer mit dem Versuch zugebracht habe, mich davon zu überzeugen, dass ich nur gekommen bin, um mich von dir zu verabschieden.“
„Hast du wirklich geglaubt, dass ich dich so leicht gehen lassen würde?“ Sie ließ ihre Hände schließlich auf seiner festen breiten Brust ruhen. Er war so muskulös und so stark. Ein Kribbeln durchlief ihre Fingerspitzen, während sie begann, die Konturen seiner Brust nachzuzeichnen. Aber das reichte ihr nicht, daher schob sie beide Hände unter seinen Pelzumhang, um die Wärme seines Körpers besser spüren zu können. Seine Worte hatten das Pochen in ihrem Schoß noch verstärkt; sie fühlte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen.
Bei ihren neckischen Worten schüttelte er den Kopf und warf ihr unter halb gesenkten Lidern einen nahezu verzweifelten Blick zu. „Du begreifst nicht, was du – auf deine unschuldige Art – mit mir machst.“
Dieselben Worte hätte sie zu ihm sagen können. Damit ließ er jeden Gedanken an Vorwürfe oder an Pflichten in den Hintergrund treten. Er brachte sie tatsächlich dazu, diese Gedanken ganz zu verwerfen, wenn es nur bedeutete, dass er ihr gehörte. Sie schmiegte sich an ihn und spürte unter ihrer Handfläche seinen Herzschlag. Seine Augen weiteten sich leicht vor Überraschung, aber er wandte sich nicht ab, als ihre Lippen die seinen berührten. Kadlin schloss die Augen und ließ ihre Zunge über seine Unterlippe gleiten; sie nahm den Geschmack des Mets auf, den er getrunken hatte, und drängte dann mit ihrer Zunge weiter hinein in die seidige Wärme. Als er mit seiner Zunge, die sich gleichzeitig weich und rau anfühlte, über ihre strich, rief dies in Kadlin ein sehnsüchtiges Gefühl hervor, das ihr Verlangen ins Unermessliche steigerte. Sie strich ihm mit den Fingern über die Brust, schob sie in sein Brusthaar, hielt an seinem Nacken inne und umfasste Gunnars Gesicht schließlich mit beiden Händen. Stöhnend gab er nach und packte ihre Hüften fest, während er sie dicht an sich zog.
Der Kuss steigerte sich schnell von zarter Erkundung zu heißer Lust, bis Gunnar sich ein wenig von ihr löste und einen tiefen Atemzug tat. Kadlin versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, konnte es aber nicht, weil sie so glücklich darüber war, dass sie ihn endlich so geküsst hatte, wie sie es sich jahrelang erträumt hatte. Es war sogar besser gewesen als in ihren Träumen. Ganz eindeutig aus der Fassung gebracht und erregt, war er der begehrenswerteste Mann, den sie je gesehen hatte. Er verströmte eine Wildheit, ein ungezähmtes Wesen, das jeder Erklärung trotzte. Sie hatte aber tief in das Herz des Mannes geschaut, der unter dieser Wildheit verborgen war, und sie wusste, dass er sie wollte.
„Ich begreife schon, Gunnar. Du machst dasselbe mit mir.“
Mit dem glühenden Blick, mit dem er sie ansah, drohte er sie völlig zu entflammen. Unwillkürlich packte er sie fester als zuvor, während er sich an sie presste und sie seine Erregung spüren ließ. „Du verdienst mehr, als ich dir geben kann.“
Es war eine Warnung, die ihr aber gleich war. „Du hast nicht zu entscheiden, was ich verdiene, genauso wenig, wie unsere Väter darüber zu entscheiden haben, wen ich heirate. Ich bin für mich selbst verantwortlich.“ Seine Lippen hatten sich zu einer schmalen entschlossenen Linie verhärtet, aber tief in seinen Augen lauerte die Sehnsucht des Jungen, der er einst gewesen war. Es brach ihr fast das Herz, und sie sprach sanfter zu ihm: „Seit Langem habe ich von der Nacht geträumt, in der du zu mir zurückkehren würdest. Komm …“ – dabei zog sie ihn behutsam zu sich – „leg dich zu mir.“ Sie hatte mehr als nur davon geträumt. In ihren Gedanken war Gunnar immer der einzige Mann gewesen, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Er war der Mann für sie, der Einzige – deshalb erschien es ihr völlig natürlich, dass diese Nacht endlich gekommen war.
Sie ließ ihn los und ging zurück zu ihrer Bettstatt; langsam ertastete sie die Bänder ihres Nachtgewandes. Voller Verlangen verfolgte er mit den Augen jede ihrer Bewegungen, und sein Atem beschleunigte sich. Ein Prickeln breitete sich in ihrem Leib aus, während Gunnar sie mit Blicken zu verschlingen schien. Sie löste die Bänder, sodass der Stoff ihr von den Schultern rutschte und ihre Brüste entblößte.
Er warf einen prüfenden Blick zur Tür, aber als er Kadlin wieder ansah, war sein Blick von heißer Leidenschaft erfüllt. Sie zitterte vor Erregung, als er die Fibel seines Pelzumhangs löste, der seine breiten Schultern bedeckt hatte und nun auf den Boden fiel.
„Ich habe immer nur dich gewollt“, ermunterte sie ihn. „Komm und nimm, was dir gehört.“
Kadlin schloss die Augen, als sie sich im Bett umdrehte und gegen die aufwallende Übelkeit ankämpfte, die sie durchfuhr. Sie drückte die Stirn gegen ihren Arm und wartete darauf, dass die Übelkeit vergehen würde. Seit einer Woche war es jeden Morgen so: Sie wachte auf, ließ Freya hinaus, dann wankte sie wieder zurück ins Bett; ihr war zu schwindlig, um aufrecht zu stehen. Oft musste sie sich übergeben. Auch schon vor Beginn der Übelkeit und des Schwindels hatte sich ein Ziehen in ihren Brüsten bemerkbar gemacht. Sie hatte den seltsamen Schmerz zuerst auf die monatliche Blutung zurückführen wollen, aber die hatte nicht mehr eingesetzt; und jetzt konnte sie es nicht mehr leugnen.
Es wurde Zeit, zuzugeben, dass sie ein Kind erwartete.
Mit diesem Eingeständnis ließ sie sich flach auf den Rücken fallen und starrte die Decke an. Mit der Hand berührte sie ihren Leib in der Hoffnung, etwas von ihrem Kind zu spüren. Dieses Ritual hatte sie vom ersten Moment an, seit sie den Verdacht zum ersten Mal gehabt hatte, jede Nacht in ihrer Kammer wiederholt. Bis jetzt fühlte sich ihr Bauch so flach wie immer an.
Als sie Gunnar in ihr Bett gelassen hatte, war sie in dem Glauben gewesen, sie würde nur ihr Herz riskieren, sie hatte indes nicht daran gedacht, dass daraus ein Kind entstehen könnte. Wie leichtgläubig sie gewesen war. Ein Lachen regte sich tief in ihr und kam ihr leicht über die Lippen, als sie den Kopf zurückwarf. Freya kratzte an der Tür, weil sie hereinwollte; die Hündin war durch die Stimme ihrer Herrin aufgeschreckt worden. Kadlin achtete nicht weiter auf das Tier. Ihre liebenswerte Hilfe, Edda, war eine Närrin. Kadlin kannte nicht die genauen Hintergründe, warum das Mädchen ihrer Familie diente, sie vermutete aber, dass Eddas Vater über die lose Lebensführung der jungen Frau verärgert gewesen war und sie weggeschickt hatte, damit sie fortan unter den wachsamen Augen von Kadlins Mutter arbeiten sollte. Mit diesem Plan hatte er wenig Erfolg gehabt, denn das Mädchen hatte eine ganze Reihe von Verehrern im Schlepptau gehabt. Kadlin war davon überzeugt, dass Edda über Männer und Frauen Bescheid wusste, daher hatte sie das Dienstmädchen einige Zeit zuvor nach Möglichkeiten der Verhütung gefragt, wenn eine Frau bei einem Mann lag. Selbst da war Kadlin in Gedanken nur bei Gunnar gewesen. Sie war sich so sicher gewesen, sein Herz würde ihr gehören, wenn es ihr nur gelänge, ihn zu verführen. Edda hatte ihr versichert, eine Jungfrau könne bei ihrem ersten Zusammensein mit einem Mann nicht schwanger werden. Dieser im Nachhinein trügerischen Erklärung schien zu jener Zeit eine tiefe Wahrheit innezuwohnen. Jetzt hingegen erschienen ihr die Worte Eddas fürchterlich dumm und verantwortungslos.
Nein, sie hätte nie auf Edda hören dürfen. Kadlin runzelte die Stirn, als sie sich in Erinnerung rief, was in jener Nacht geschehen war. Und sie wurde sich dessen bewusst, dass sie womöglich ungerecht war; vielleicht war es gar nicht Eddas Schuld. Sie hatte Gunnar an sich gezogen, damit er sie küsste, hatte ihn berührt und seine harte Männlichkeit gestreichelt. Es waren ihre eigenen sehnsüchtig geflüsterten Bitten gewesen, die ihn dazu gebracht hatten, sie nochmals zu lieben … und dann noch einmal. Vielleicht war es das zweite oder das dritte Mal gewesen und nicht das erste, was schließlich dazu geführt hatte, dass sie nun ein Kind erwartete.
Nicht, dass das überhaupt von Bedeutung war. Gunnar wäre es gleich. Er war nicht mehr hier, und er würde nie wieder hier sein. Sie war so sicher gewesen, dass er ihr seine Liebe gestehen würde, wenn sie erst einmal den Zärtlichkeiten freien Lauf ließen.
Sie presste sich die Handflächen an die Stirn, um die Tränen zu unterdrücken; eine Weile hielt sie die Augen fest geschlossen und versuchte, die schmerzvolle Erinnerung an den Ausgang jener Nacht aus ihren Gedanken zu löschen. Die Erinnerung ließ sich jedoch nicht ausblenden, sondern brachte eine neue Woge des Schmerzes mit sich, die alles von Neuem aufriss. Sie war noch im Halbschlaf gewesen, dann aufgewacht und hatte gesehen, wie er sich anzog – mit dem Rücken zu ihr, als er seine Hose zuknöpfte. Beseelt lächelnd, hatte sie noch in den Stunden der Begierde und der Zärtlichkeiten geschwelgt und Gunnar gebeten, er möge bei ihr bleiben.
Ich habe dir nie etwas versprochen. Diese Worte ließen sie immer noch zusammenzucken. Als er sich umgedreht hatte, waren seine Augen ausdruckslos und kalt gewesen, als sähe er eine Fremde an. Sie hatte geglaubt, Versprechungen seien nicht notwendig. Tief in ihr wusste sie, dass Gunnar für sie bestimmt war und dass sie seine Kinder zur Welt bringen sollte. Das war für sie eine so offenkundige Wahrheit wie der Klang ihres eigenen Namens. Zweifellos spürte auch er das, und daher hatte sie nicht damit gerechnet, dass er es leugnen würde.
„Wir sind füreinander bestimmt.“ Ihre Worte belustigten ihn nur. Er verzog den Mund zu einem unverschämten Lächeln.
„Ich bin nicht für dich bestimmt. Ich gehe, Kadlin, und ich komme nicht zurück. Führ dein Leben und heirate einen Mann, der dich will.“
Was danach geschah, blieb undeutlich, wie hinter Schleiern verborgen. Sie war der Meinung, dass sie widersprochen und ihm versucht hatte klarzumachen, dass er diese Worte nicht so meinte; doch nichts vermochte die Mauer niederzureißen, die er so rasch zwischen ihnen errichtet hatte. Es war nur eine Angelegenheit von wenigen Herzschlägen gewesen, und so war er genauso schnell aus ihrem Leben verschwunden, wie er zuvor in ihre Kammer getreten war.
Ihr Gesicht war von der Erinnerung erhitzt, und ein klägliches Stöhnen löste sich aus ihrer Brust. Sie war hier die Närrin. Sie hatte sich zu sehr darauf verlassen, dass seine Liebe zu ihr so aufrichtig war wie ihre Liebe zu ihm. Er hatte ihr keinen Anlass dafür gegeben, ihm vertrauen zu können, aber sie hatte es trotzdem getan. Und jetzt war er fort, und sie würde sein Kind zur Welt bringen. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie sie das Baby an ihre Brust drücken würde, während Gunnar ihr dabei mit einem Blick voller Liebe und Zärtlichkeit zusah. Sie hätte alles dafür gegeben, ihn jetzt bei sich zu haben. Seine Frau zu sein. Ihm freudige Neuigkeiten über ihr Kind mitzuteilen und ihn lächeln zu sehen, während er sie in die Arme schloss. Es gab niemand anderen, den sie als Ehemann und Vater ihres Kindes würde haben wollen. Niemanden. In ihrer Vorstellung war Gunnar immer der gewesen, der diese Rolle ausfüllte.
Bald würde sie es ihren Eltern mitteilen müssen. Sie wollte sich gedanklich nicht mit dem tadelnden Blick befassen, den ihr Vater ihr zuwerfen würde. Aber sie brauchte es ihm noch nicht sofort zu sagen, daher gelobte sie, einfach das Wissen darüber zu genießen, dass Gunnars Kind in ihrem Leib unter ihrem Herzen schlummerte. Später würde sie entscheiden, was sie tun würde.
Aber später kam eher als erwartet. Kadlin konnte die Schwangerschaft kaum drei Wochen genießen, als eine Entscheidung für sie gefällt wurde.
„Schhh, Kleines, Mutter kommt.“ Ihr kleines Brüderchen war ganz unruhig und nuckelte an seinem Fäustchen, während Kadlin ihn in einem Rhythmus in den Armen wiegte, der das Brüderchen beruhigen würde, bis ihre Mutter sich von den Kindern, die um sie herumrannten, frei machen konnte. Kadlin lächelte, als sie ihre vier kleinen Schwestern dabei beobachtete, wie sie ihre Mutter über das Feld jagten. Die Jüngste war erst drei Jahre alt. Ihre Schwestern waren wie Miniaturausgaben ihrer schönen Mutter, wie sie so hintereinanderher rannten. Was als Ausflug zum Beerenpflücken begonnen hatte, war rasch zu einem Katz-und-Maus-Spiel geworden. Noch im letzten Jahr hätten sich ihre beiden Brüder gern an dem Spaß beteiligt, jetzt aber betrachteten sie sich als zu alt für so einen Unsinn, obwohl sie von ihrem Platz aus, wo sie auf die Körbe aufpassten, das Geschehen aufmerksam im Blick behielten.
Kadlin saß im Schatten der Birke und lachte, während sie das Kleinkind eng an sich drückte und gedanklich bei ihrem eigenen Kind war. Obwohl sie immer noch zufrieden war, war sie einer Lösung noch nicht näher gekommen. Erst am Ende des Sommers würde ein Boot ablegen, sodass sie Gunnar erst dann benachrichtigen konnte. Während sie darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass ihr das verwehrt bliebe. Er hatte sie verlassen und ihr gesagt, dass er nicht zurückkehren würde. Ein Kind bedeutete ihm nichts, und sie war zu stolz, um noch ein weiteres Mal abgewiesen zu werden. Sosehr sie es auch versuchte, so konnte sie doch die abweisende Härte in seinen Augen in jener Nacht nicht vergessen.
„Du bist schön mit einem Kind in den Armen, Kadlin.“
Ungehalten drehte sie sich zu der Stimme um. Sie rang nach Luft. Ein Mann mit einer geraden Nase und lebhaften blauen Augen kam auf sie zu. Da viele der Männer auf See waren, hatte der Jarl es für klug befunden, einen Trupp Männer zu schicken, die die Ordnung auf seinen Ländereien gewährleisten sollten. Ihr Vater hatte Baldr dazu bestimmt, diese Männer anzuführen, und offenbar hatte er ihn recht großzügig entlohnt, damit er zu Hause blieb und nicht wie die anderen sein Glück auf großer Fahrt suchte. Baldr suchte Kadlin häufig auf, und sie fragte sich, ob ihr Vater nicht schon ihre Hand als Teil einer Vereinbarung in Aussicht gestellt hatte. Obwohl er ein gut aussehender Mann war, lag doch ein harter Zug um seinen Mund, und wann immer sie mit ihm sprach, kam sie nicht umhin, unwillkürlich den Atem anzuhalten.
„Ich grüße dich, Baldr. Ich wusste gar nicht, dass du zurückgekommen bist.“ Sie stand auf.
„Erst gestern Abend. Ich habe dich heute Morgen gesucht, fand dich aber nicht. Warst du krank?“
Kadlin musste schlucken und antwortete mit den Lügen, die ihr allzu leicht über die Lippen kamen. Jeder hatte ihre Abwesenheit während des Morgens bemerkt. „Ich war ein wenig unpässlich, aber wie du siehst, geht es mir viel besser.“
Er nickte, und sein Lächeln war etwas zu wissend. Als er seinen Blick über ihren Leib streifen ließ und auf ihre straffen Brüste richtete, drückte sie das kleine Brüderchen so eng an sich, dass es ihre vollen Rundungen verdeckte. „Ja, das sagte auch deine hübsche Magd.“
Ihre Stimmung sank. Edda war bis jetzt die Einzige, die den Verdacht hatte, dass Kadlin guter Hoffnung war. Kadlin hatte die Magd mehrere Male in den Wochen seit Beginn der morgendlichen Übelkeit dabei erwischt, wie sie sie verstohlen musterte. Niemand anders hatte jemals einen Gedanken daran verschwendet, ihre Keuschheit in Zweifel zu ziehen, aber die Magd hatte gute Gründe für ihren Verdacht. Genau an diesem Morgen war Edda später als sonst in Kadlins Kammer erschienen. Die Magd war ziemlich zerzaust gewesen, sodass Kadlin sich fragte, ob sie nicht geradewegs von dem Lager eines Liebhabers gekommen war.
Sie trat einen Schritt zurück, und ihr Blick blieb genauso hart wie ihre Worte: „Glaubst du, du bist anziehender für mich, Baldr, wenn du mit meiner Magd ins Bett gehst?“
Er lachte kurz auf und ging langsam auf sie zu. Dann blieb er unmittelbar vor ihr stehen und streckte seine Hand aus, um sie zu berühren; dabei fiel ihm eine dunkle, strähnige Haarlocke in die Stirn. „Die Männer gehen mit ihr ins Bett, weil sie an Schönheit nur dir nachsteht. Aber du musst wissen, dass sie es auch deswegen tun, weil sie hoffen, dass es fast so ist, als gingen sie mit dir ins Bett.“ Dabei strich er ihr langsam mit den Fingerspitzen über den Ärmel ihres Gewands.
Sie zuckte zusammen und wich zurück, und sein Grinsen wurde nur noch breiter. „Aber das stimmt jetzt nicht mehr, oder? Jemand hat dich im Bett gehabt, und sein Same geht jetzt auf.“
„Du bist ein verkommener Kerl!“, schalt sie ihn.
„Ich will dich zur Frau, Kadlin, selbst mit dem Balg da drin. Ich werde ihn als mein Kind anerkennen. Das ist mehr, als du von irgendjemand anderem erwarten kannst. Mehr als das, was du von dem Vater des Bastards bekommen hast.“
Diese Worte kamen der Wahrheit empfindlich nahe. „Geh mir aus den Augen!“, rief sie. Das Kind auf ihrem Arm schreckte bei ihren lauten Worten zusammen und fing an zu weinen. Kadlin drückte das Brüderchen noch fester an sich, löste aber den Blick nicht von dem Mann, der vor ihr stand. „Ich werde dich nie wollen, Baldr. Niemals!“
Er sah sich nach den anderen um, die mit Sicherheit den aufgeregten Wortwechsel zwischen ihnen mitbekommen hatten. „Es kommt nicht darauf an, was du willst, Kadlin. Wenn es der Wunsch des Jarls ist, dann wirst du hinnehmen müssen, dass ich in dein Leben trete.“ Er ließ seinen lüsternen Blick über ihren Körper schweifen, ehe er sie wieder direkt ansah. „Und in dein Bett steige.“ Mit diesem wenig verlockenden Versprechen machte er auf dem Fuße kehrt und ging davon.
Die Finger zitterten ihr aus einer Mischung von Wut und Angst, als sie das Baby einige Augenblicke später ihrer Mutter übergab. Ihr blieb keine Zeit mehr. Noch vor Anbruch der Nacht würde ihr Vater alles wissen, und sie hatte keine Ahnung, was sie machen sollte. Das Schlimmste war, dass Baldrs Worte der Wahrheit entsprachen. Gunnar würde ihr Kind nicht anerkennen; er wollte sie beide nicht.
Sie ignorierte die Fragen ihrer Mutter und rannte den ganzen Weg zurück zum Langhaus. Dort schloss sie sich in ihrer Kammer ein, wo sie ihrer Verzweiflung freien Lauf ließ. Mit bangem Herzen wartete sie auf die Vorladung, die mit Sicherheit von ihrem Vater ausgehen würde.
Der Augenblick, vor dem sie sich fürchtete, kam am späten Abend.
„Was hast du getan?“
Das war schon das zweite Mal, dass ihr Vater ihr diese Frage gestellt hatte, und sie hatte immer noch keine Antwort für ihn. Sie stand einfach im Türrahmen zu der Kammer ihrer Eltern. Die Tür wurde hinter ihr geschlossen, um das Gespräch so vertraulich zu halten, wie es in diesen engen Räumen möglich war. Das Einzige, was zu hören war, waren die Atemgeräusche des Babys, das friedlich im Bett schlief, sowie das leise Schluchzen ihrer Mutter auf dem Stuhl neben dem ihres Vaters. Als Kadlin die Tränen auf den Wangen ihrer Mutter sah, spürte sie eine schmerzvolle Enge in der Kehle, von all den ungeweinten Tränen.
„Welcher Mann hat dir das angetan?“
Sie wagte einen erneuten Blick in das Gesicht, das ihr so teuer war, doch sie blickte nicht in das freundliche Gesicht des Vaters, den sie liebte. Seine Wangen waren vor Zorn gerötet, und sein goldblondes, schon angegrautes Haar war zerzaust. Alle sagten, er sei zu nachsichtig mit ihr, er verwöhne sie. Und vielleicht hatten sie recht damit, denn Kadlin hatte ihn nie zuvor so wütend gesehen.
„Leif, beruhige dich. Siehst du nicht, dass sie Angst hat?“ Die sanfte Stimme ihrer Mutter linderte die Spannung, und sie streckte Kadlin die Hand entgegen. Aber Kadlin vermochte sich nicht von der Stelle zu rühren, um die Hand zu ergreifen.
Der Jarl fluchte leise und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Als er Kadlin wieder ansah, hatte sich seine Wut ein wenig gemäßigt und Sorge Platz gemacht. „Hat er dich gezwungen?“
Kadlin schüttelte den Kopf und fand ihre Fassung wieder. „Nein, Vater, er hat mich nicht gezwungen.“
„Also stimmt es.“ Er seufzte schwer. „Aber verführt?“
Wieder schüttelte sie den Kopf.
Die Wut setzte wieder ein. „Sag mir sofort seinen Namen!“
„Wozu? Er ist fort, er ist auf See mit allen anderen.“
„Oh Kadlin.“ Ihre Mutter hielt sich bei diesem Ausruf die Hand vor den Mund, ehe sie hinzufügte: „Warum? Wenn es jemanden gibt, den du gernhast, hättest du zu uns kommen können, und wir hätten vor seiner Abreise über eine Vermählung sprechen können.“
Kadlin brachte ihre Antwort ganz ruhig vor.
„Ihr hättet eine Vermählung nicht ohne Weiteres in die Wege leiten können. Außerdem war ich mir seiner selbst nicht sicher. Ich hatte ihn viele Jahre nicht gesehen.“
Der Jarl schüttelte den Kopf. „Ich habe dir zahllose Männer vorgestellt, und du hast sie alle abgelehnt. Alle! Selbst Eirik. Und nun fragst du mich, wozu ich seinen Namen erfahren möchte? Ich will diesen Ausbund an Männlichkeit kennenlernen, der dich um deinen gesunden Menschenverstand gebracht und deine Jungfräulichkeit gestohlen hat, während jeder von denen, die ich zu dir geführt habe, dir nicht einmal den Kopf verdrehen konnte. Ein Name, Kadlin!“
Sie richtete sich zu voller Größe auf und machte einen tiefen Atemzug. Es war ja nicht so, dass ihr Vater Gelegenheit hätte, Gunnar für seine Tat zu töten. Gunnar war fort und würde nie zurückkommen. Sie würde ihn nie wiedersehen, nie wieder berühren, nie wieder gemeinsam mit ihm lachen. Als sie dann sprach, drohte sie fast an ihren Worten zu ersticken. „Es war … Gunnar. Gunnar ist der Vater meines Kindes.“
Ihre Eltern saßen wie betäubt und sprachlos da. Das Schweigen wurde nur durch das wieder einsetzende Schluchzen ihrer Mutter unterbrochen. Ihr Vater war unnatürlich ruhig, ehe er schließlich sprach: „Du hast dich einem Bastard hingegeben?“
„Ihm wurde Anerkennung zuteil, Vater. Es ist nicht so, als ob er ohne Familie wäre. Außerdem kann man ihm nicht die Schuld an der Art und Weise seiner Zeugung geben. Ich will ihn heiraten.“ Nein, das stimmte nicht ganz. Nicht mehr. Wann würde sie endlich lernen, ihn nur als Teil ihrer Vergangenheit zu betrachten? „Ich wollte ihn heiraten. Ich weiß nicht, warum das eine solche Überraschung für euch ist. Als Kind habe ich oft davon gesprochen, ihn heiraten zu wollen. Aber obwohl ich ihn lange nicht gesehen hatte, war mir sofort klar, als ich ihn wiedersah, dass er der Richtige ist.“
Ihr Vater schüttelte abermals den Kopf. „Kadlin … er ist nicht für dich bestimmt. Es ist wahr, sein Vater hat ihn anerkannt und aufgezogen, aber Gunnar hat keine Zukunft. Keinen Landbesitz, keinen Platz in der Welt außer dort, wo er sein Schwert schwingen und seine Schätze zählen kann.“
„Ja, Vater, das stimmt. Er hortet die Schätze von seinen Fahrten. Er befehligt ein eigenes Schiff. Er hat die Mittel, um mich und eine Familie zu unterhalten. Warum wäre er dann eine so schlechte Wahl?“ Nicht dass das noch etwas geändert hätte, da er bereits schon lange in der Fremde weilte, aber sie vermochte die aufwallende Verärgerung nicht einzudämmen, die ihrer Vernunft zuwiderlief. Hätte ihr Vater ihre Wahl gebilligt, dann wäre sie vermutlich gar nicht in diese verzwickte Lage geraten. Vielleicht hätten sie vor Jahren heiraten können.
„Warum er so eine schlechte Wahl wäre? Sag du es mir, Tochter. Wo würdest du mit ihm leben? Hat er ein Zuhause? Ein Haus, um dich im Winter warm zu halten, einen Platz, an dem eure Kinder geschützt aufwachsen könnten? Ein solcher Mann ist er nicht, Kadlin. Er ist unstet. Er lebt nur davon, was sein Vater ihm zugedacht hat, und wenn das zu Ende geht, dann wird er die Winter in ärmlichen Hütten oder an irgendeinem Ort verbringen, den er durch Plünderungen an sich gerissen hat. Er wird in beständiger Angst leben, umgebracht zu werden. Und eines Tages wird es tatsächlich geschehen, und was, glaubst du, würde dann aus dir werden? Du würdest an den nächsten Mann in der Familie weitergereicht werden oder vielleicht von Gunnars Mörder im Augenblick des Sieges genommen. Und mit dem würdest du dann dein Leben teilen müssen, bis auch er umgebracht wird, und so weiter, bis du selbst auch nicht mehr lebst. Und was soll dann aus deinen Kindern werden? Ist das die Zukunft, die du dir vorstellst?“
„Nein, du irrst dich“, sagte Kadlin leise.
„Tue ich das? Dann wenden wir uns doch der wesentlichen Frage zu. Hat er dir die Heirat versprochen?“
Sie musste schlucken und brachte mit Mühe heraus: „Nein.“
„Es gelingt ihm, dich zu verführen, eine Gunst, die jeder Junggeselle sich wünscht, und braucht nicht einmal von Heirat zu sprechen, um dich zu überzeugen?“
„Hör auf, Vater!“ Damit hob sie die Hand, als wollte sie seine Worte abwehren. „All das ist jetzt unwichtig. Ich habe ihn geliebt, und er hat mich verlassen! Macht dich das glücklich? Es wird keine Heirat stattfinden. Ich habe mich ihm hingegeben, und er wollte mich nicht.“ Bei diesem letzten Satz wurde ihre Stimme brüchig, und Tränen liefen ihr über die Wangen, während sie die Arme um den Leib schlang, in einem schwachen Versuch, sich zusammenzunehmen. Doch der Schmerz drohte sie zu zerreißen. Ihre Mutter kam zu ihr, schloss sie in die Arme, und Kadlin schmiegte sich an sie, um etwas Trost in dem namenlosen Schmerz zu suchen.
„Du wirst Baldr heiraten“, beschied ihr Vater ihr.
„Nein.“
Ihr Vater schüttelte den Kopf. „Versuche nicht, mich umzustimmen, Kadlin. Er ist bereit, und wir haben keine andere Wahl. Dein Kind braucht einen Vater, einen ehrbaren Namen.“
„Bitte, Vater.“ Sie löste sich von ihrer Mutter, rannte auf den Vater zu, fiel vor ihm auf die Knie und führte seine Hand an ihre Wange. „Bitte nicht ihn. Ich mag ihn nicht.“
Er lächelte gequält und strich ihr mit den Fingern über ihre Wange, wobei der harte Ausdruck in seinen Augen einem weicheren gewichen war. „Du magst keinen von ihnen, Kadlin. Aber du musst hinnehmen, dass dein Kind einen Vater braucht. Willst du, dass es ein Bastard ist wie Gunnar? Du hast gesehen, wie schwer sein Leben ist. Willst du, dass dein Sohn dasselbe Leben führen muss? Immer im Nachteil wegen des Zufalls seiner Empfängnis?“
Sie schloss die Augen, um den Schmerz, den seine Worte in ihr weckten, zu verdrängen. Erneut liefen ihr die Tränen über die Wangen. „Du weißt, dass ich das nicht will.“
„Dann heirate Baldr. Er hat versprochen, für dich und das Kind zu sorgen.“
„Nein, Vater. Er ist ein grausamer Mann. Er macht mir Angst.“
Die Verärgerung schien nun vollständig bei ihrem Vater verflogen zu sein, aber sie wurde durch etwas Schlimmeres ersetzt. Durch Mitleid. Er umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich würde alles tun, um dir diesen Schmerz zu ersparen. Wenn Gunnar jetzt hier wäre, würde ich ihn mit eigenen Händen töten, weil er dich in dieser Lage allein gelassen hat. Es beweist nur, dass ich in Bezug auf ihn recht hatte.“ Er atmete tief ein und verkündete mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: „Du wirst jetzt verheiratet! Dir bleibt keine andere Wahl!“
Sie begann zu zittern, und ein tiefes peinigendes Schluchzen wollte sich ihrer Kehle entringen. Die Worte ihres Vaters enthielten eine Wahrheit, die sie so lange zu leugnen versucht hatte. Gunnar musste gewusst haben, dass sie womöglich ein Kind von ihm erwartete. Er musste gewusst haben, dass sie ihn liebte. Womöglich hatte er auch gewusst, dass sein Fortgehen sie am Boden zerstört zurücklassen würde. Aber jetzt musste sie für ihr Kind eine Entscheidung treffen. „Ich werde Dagan heiraten, aber nicht Baldr.“ Dagan war ein Freund aus Kindertagen, den sie fast so lange kannte wie Gunnar. Ein freundlicher und guter Mann, darüber hinaus ein ausgezeichneter Krieger, der vor Einbruch des Winters in die angelsächsischen Gebiete ziehen wollte. Der Gedanke, einen anderen als Gunnar zu heiraten, zerriss ihr fast das Herz, aber wenn sie schon einen anderen ehelichte, dann wäre es Dagan. Er würde verstehen, dass sie Zeit brauchte, ehe … ehe sie wirklich seine Frau sein könnte. Der bloße Gedanke daran ließ ihr weitere Tränen über die Wangen rinnen.
„Dagan?“ Ihr Vater blickte sie nachdenklich an und nickte dann. „Er kommt aus einer angesehenen Familie. Wird er dazu bereit sein?“
„Ja“, flüsterte sie. Dagan hatte den Gedanken an Heirat schon einmal erwähnt, und sie hatte freundlich abgelehnt.
Ihr Vater nickte. „Vor dem nächsten Mond wirst du verheiratet.“
Zwei Jahre später
Gunnar blinzelte mit zusammengekniffenen Augen in die noch graue Morgendämmerung und versuchte, die Gestalt zu erkennen, die er – und dessen war er sicher – am Bergkamm erblickt hatte. Der Schatten hatte sich ganz schnell bewegt, aber er war zu groß für ein kleineres Tier. Überall gab es Anzeichen des nahenden Frühlings: Der Frost, der die Erde fest im Griff gehabt hatte, begann zu weichen, und kleine weiße Blumen streckten ihre Köpfe durch das Laub auf dem Waldboden. Trotzdem war es noch zu früh im Jahr, als dass man größere Tiere hätte sehen können. Es musste daher ein Angelsachse gewesen sein. Der Geruch ihrer ungewaschenen Körper wehte über die Entfernung heran.
Es war Zeit für den Kampf. Unwillkürlich griff Gunnar mit den Fingern unter den dreiviertellangen Mantel, um über die Locke von silberblondem Haar zu streichen, die er an einem Lederriemen um den Hals trug. Dies war ihm vor einem Kampf zur Gewohnheit geworden, eine Gewohnheit, mit der er nicht brechen konnte, obwohl er sich entschlossen hatte, nicht mehr an Kadlin zu denken. Mehrmals hatte er sich dabei ertappt, wie er sehnsüchtig über das seidige Andenken strich, und sich vorgenommen, die Locke ins nächste Feuer zu werfen, aber er bislang hatte er es nicht übers Herz gebracht. So dürftig das Erinnerungsstück war, so war es doch die einzige Verbindung zu Kadlin – die einzige Verbindung, die er jemals haben würde. Wann immer er die Locke unter den Fingerspitzen spürte, musste er daran denken, wie gut es sich angefühlt hatte, in jener Nacht zu ihr gehört, Anspruch auf sie zu erhoben und sie besessen zu haben. Er musste daran denken, wie ihr Duft – der an sonnenverwöhnte Feldblumen erinnerte – noch Tage danach auf seiner Haut gewesen war; und wie ihn die Locke im Sommer, wenn die Nachmittagssonne nach dem Regen durch die Wolken brach, an ihren Duft erinnerte und ihn in Erregung versetzte.