Historical Exklusiv Band 96

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IN DEN ARMEN DES BARBAREN von MICHELLE STYLES
North Yorkshire, 876. Wie ein nordischer Gott betritt Wikinger Brand Bjornson das Anwesen Breckon, das bis zu diesem Moment Lady Ediths Zuhause war. Sein eisblauer Blick lässt sie furchtvoll erbeben, doch lieber würde sie sterben, als sich ihm widerspruchslos zu fügen! Stattdessen macht Edith ihm stolz ein Angebot: Sie ist zur Ehe mit ihm bereit, wenn Brand ihre Leute verschont. Aber der Eroberer hat andere Pläne mit ihr: Arrogant will er nur Gnade walten lassen, wenn Edith als Mätresse sein Lager teilt. Was für eine Erniedrigung! Die schöne Lady ahnt nicht, welche Lust sie in den Armen des Barbaren erwartet …

DIE SKLAVIN DES BLONDEN WIKINGERS von HARPER ST. GEORGE
„Du gehörst mir.“ Ein Schauer überläuft die schöne Merewyn bei den Worten des hochgewachsenen Wikingers. Die Nordmänner haben ihre Siedlung an der Küste von Northumbria überfallen, und Merewyns intrigante Schwägerin hat sie dem Anführer Eirik als Sklavin überlassen! Ihr Schicksal ist besiegelt. Wenn es stimmt, was man über die grausamen Wikinger sagt, dann sollte Merewyn alles daran setzen zu fliehen, bevor Eirik sie auf seinem Langschiff über das Meer entführt! Stattdessen ist sie gebannt von dem blauen Feuer in seinen Augen, das etwas ganz anderes als ewige Verdammnis zu versprechen scheint …


  • Erscheinungstag 05.07.2022
  • Bandnummer 96
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510967
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Styles, Harper St. George

HISTORICAL EXKLUSIV BAND 96

1. Kapitel

Northumbrien im März des Jahres 876

Dieses Land gehörte ihm. Ihm allein. Erobert mit der Macht seines Schwertes und als Lehen aus des Königs eigener Hand empfangen.

Brand Bjornson fiel auf die Knie und versenkte seine Hände in der dunklen Erde, spürte die Fruchtbarkeit seiner Ländereien ganz unmittelbar. Nach mehr als zehn Jahren Krieg und Zerstörung war das hier alles, wovon er geträumt hatte: ein Ort, an dem er endlich sesshaft werden und sich sein eigenes Paradies auf Erden schaffen konnte.

Endlich. Statt eines heimatlosen Söldners, dem das Schicksal nicht selten einen jähen, gewaltsamen Tod beschied, war er heute ein Jarl mit einem Besitz, der sich sehen lassen konnte. Halfdan, einst Anführer der großen Wikingerarmee, die Northumbrien erobert hatte, war heute sein König. Er hatte Wort gehalten und ihm als Lohn für seine Verdienste das Land ringsum Breckon Hall geschenkt, und zwar den schönsten Flecken Erde in der ganzen Grafschaft.

Er lächelte ironisch, während er die kostbare Erde von seinen Händen strich. Unter Nordmännern war es eher selten, dass ein gegebenes Versprechen auch wirklich eingelöst wurde. Vielmehr hingen Treue, Loyalität oder die Stabilität von Bündnissen oft von einer vorgehaltenen Schwertspitze oder dem Geklimper der Münzen in einem Beutel ab.

Brand stand auf und ließ seinen Blick über die Hügel wandern, die das Tal begrenzten. Das erste Frühlingsgras war durch die winterliche Erde gebrochen, und ein Flüsschen schlängelte sich durch den Wiesengrund, an den sich noch brach liegende Äcker anschlossen. All das gehörte jetzt ihm, so weit das Auge reichte. Immerhin hatte er hart genug darum gekämpft, von Konstantinopel bis hierher in den kühlen Norden Englands. Er hatte es verdient, und er würde ein guter Lehnsherr sein. Beschwingt begab er sich auf den Weg zurück zum Gutshof.

„Brennen wir die leeren Scheunen nieder, um ihnen eine Lektion zu erteilen?“ Hrearek, sein Waffenbruder und Eidsmann, wies mit einem Nicken auf die Gebäude nicht weit von ihnen. „Kein Vieh, keine Schafe, keine Pferde. Irgendwo halten sie die fette Beute vor uns versteckt. Immer das Gleiche mit diesen Northumbriern. Die gleichen Tricks, die gleichen Täuschungsversuche. Die glauben wirklich, wir sind dumm, weil wir nicht an ihren Gott glauben und andere Sitten und Gebräuche pflegen. Dabei kann ich jede Kornkammer und jedes Gramm Gold auf hundert Meter riechen. Irgendwo hier werden wir fündig, egal, was sie behaupten.“

„Wir sind gekommen, um uns niederzulassen, nicht, um zu plündern. Meine Kriegsjahre sind vorüber.“ Brand wischte sich die schmutzigen Hände an der Hose ab. Es lag mehr in der Luft, als es das leise Frühlingserwachen der frischen Märzbrise verriet. Er wollte in die Zukunft schauen und die blutgetränkte Vergangenheit hinter sich lassen. Mit frischen Kräften würde er dieses Land zu seinem machen. „Es ist an der Zeit, zu säen und zu ernten. Die Leute werden noch begreifen, dass es klüger ist, an der Seite ihres Gutsherrn zu stehen. Wenn sie mich erst einmal kennen, werden sie glücklich sein, mich ihren Jarl zu nennen.“

„Und du glaubst wirklich, dass sie so einfach aufgeben?“ Hrearek schnippte mit den Fingern. „In dieser Gegend befand sich das Zentrum ihres Widerstands. Wir müssen ihnen eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht vergessen.“

„Die Rebellen haben verloren. Mein Schwert hat ihren Anführer niedergestreckt und dein Leben gerettet.“ Brand zuckte mit den Schultern. Am Ende war es immer der Sieger, der alles besaß. So war der Lauf der Dinge, das wussten auch die Northumbrier. Verzweifelt hatten sie vor zehn Jahren gegen die Wikinger rebelliert, um ihr Land nicht zu verlieren. Vergeblich. Bei Jorvik wurden sie vernichtend geschlagen. „Halfdan ist nun ihr König. Jeder Aufständische wird hart bestraft und enteignet.“

„Und, wirst du heiraten? Heimwärts ziehen, um der schönen Lady Sigfrieda den Hof zu machen? Du hast so viel von ihr erzählt.“

Brand blickte hinauf in einen wolkenlosen blauen Himmel. Es hatte eine Zeit gegeben, da jeder Augenblick seines Lebens darauf ausgerichtet gewesen war, Sigfriedas Hand und Herz zu gewinnen. Heute jedoch musste er feststellen, dass er wochenlang nicht mehr an sie gedacht hatte. Viel zu sehr hatte ihn die Niederschlagung des erneuten Aufstands in Anspruch genommen. Krampfhaft versuchte er, sich an ihr Gesicht zu erinnern. Doch bis auf ihr glänzendes goldenes Haar und ihre ebenmäßigen Züge verschwammen seine Erinnerungen. Dennoch, Sigfrieda wäre ihm bestimmt eine gute Frau, und zusammen würden sie prächtige Söhne zeugen.

„So ist der Plan.“ Mit einem Finger strich er sich über die Narbe an seinem Hals. Sie erinnerte ihn daran, wie man ihm blutüberströmt und verletzt den Zugang zum Haus seines Vaters verwehrt hatte, als dieser im Sterben lag. Fortan galt er nur noch als Bastard und Sohn einer abgelegten Bettgespielin, der es gewagt hatte, offen seine Meinung zu sagen. „Sobald ich mich niedergelassen habe, werde ich ihren Vater informieren. Wenn das Schicksal es so will, wird die Dame hier sein, noch bevor die Herbststürme eine Überfahrt zu beschwerlich machen. Ich brauche Söhne, die mein Werk fortführen werden“, sagte er abschließend zu dem Thema.

Sein Gefolgsmann nickte zustimmend. Da Hrearek weniger ein Freund als ein Waffenbruder war, musste er keine Details wissen.

„Ich bin beeindruckt. Du lässt dich wirklich nicht vom Kurs abbringen. Ich kann nur hoffen, dass es das Schicksal mit mir auch einmal so gut meint. Ich hätte ebenfalls gern eine Frau, die für mich die Schenkel spreizt und mir Söhne gebiert.“

„Mein Traum hat mich auch an den dunkelsten Tagen am Leben erhalten. Jetzt ist es an der Zeit, diesen Traum zu leben.“ Brand wies in Richtung der befestigten Siedlung der Angelsachsen, die ihnen beinahe zu trotzen schien. Die Bewohner würden endlich erfahren, wer nun Herr über all dies war.

„Ich will mein Land in Besitz nehmen und sehen, wie arm dieser Lord Egbert of Breckon wirklich war.“

„Wikinger! Die Wikinger nahen! Bald sind sie hier!“

Der gellende Ruf eines Dieners, der hereingestürmt kam, erfüllte die ganze Halle. Edith erstarrte, die Spindel entglitt ihren Händen.

Wochenlang hatte sie diesen Ruf gefürchtet; eigentlich seit jenem Tag, an dem ihr Ehemann im Widerstand gegen den selbst ernannten König von Jorvik und Anführer der Wikinger gefallen war. Alle ihre Warnungen vor einer Rebellion hatte er zuvor in den Wind geschlagen.

Nun, da Egbert in der Schlacht sein Leben gelassen hatte, war sie es, die mit den Folgen seines Handelns zurechtkommen musste. Im Stillen dankte sie dem Allmächtigen, dass die meisten Vorräte sicher versteckt waren und die Felder und Äcker noch kahl und unbestellt waren. Es gab nichts, das den Wikingern etwas vom wahren Reichtum und der Fruchtbarkeit des Landes verriet.

„Was jetzt, Cousine? Die Wikinger sind hier! Es gibt niemanden mehr, der uns verteidigen kann. Wir sind verloren.“ Hilda sprang auf. Sämtliche Wollknäuel und Spinnwirtel fielen zu Boden. „Wir sind verloren!“

„Uns bleibt nur zu hoffen, dass die Wikinger genauso schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind, und das ohne viel Aufhebens.“ Vorsichtig legte Edith ihre Spindel in die hölzerne Truhe zurück. Dann stand sie auf und hob die Wollknäuel und Spinnwirtel auf, die ihre Cousine hatte fallen lassen. Hilda fiel es nicht ein, ihr zu helfen. Stattdessen stand sie einfach da, wild gestikulierend, und wiederholte, was sie zuvor schon gesagt hatte. Für Edith machte es keinen Sinn, selbst in Panik zu verfallen, wenn ihre entfernte Cousine genug für zwei produzierte.

„Werden sie wirklich wieder gehen?“, fragte Hilda bang.

„Das tun sie immer. Wikinger lassen sich nicht nieder. Sie nehmen, was sie kriegen können, und verschwinden wieder.“

Abgesehen von der Eroberung der Stadt Eoferwic, die die Wikinger heute Jorvik nannten, hatten sie sich niemals im Binnenland niedergelassen, das wusste Edith ganz genau. Stattdessen zogen sie plündernd durchs Land und raubten, was ihnen in die Hände fiel: Vieh, Kirchensilber – und Frauen. Kein Wunder, dass Egbert so viele Anhänger für seinen Widerstand gewonnen hatte.

Voller Abscheu rümpfte Edith die Nase. Die Wikinger waren Barbaren, die keinen Gedanken an jene verschwendeten, deren Leben sie zerstörten.

Entgegen dem ausdrücklichen Befehl ihres Ehemannes hatte sie dafür gesorgt, dass alle wesentlichen Vorräte sorgfältig versteckt worden waren. Das bedeutete auch, dass sie sämtliches Silber und den Schmuck ihrer Mutter zusammengetragen und in einem geheimen Hohlraum im Schlafzimmer des Lords verborgen hatte. Anders als Egbert war sie an dem Tag, an dem die Wikinger damals die Stadt überrannt hatten, selbst in Eoferwic gewesen, und sie wusste nur zu gut, was für ausgezeichnete Krieger diese Nordmänner waren. Ungeachtet seiner großen Worte, hatte sie die größten Zweifel gehegt, dass Egbert die Stadt mit seiner zusammengewürfelten Armee aus Freiwilligen hätte zurückerobern können, wo doch so viele vor ihm gescheitert waren. Damals, als sie frisch verheiratet waren, hatte Egbert mit seinem Schwert noch viele Kämpfe für sich entscheiden können, doch seitdem war er aus der Übung gekommen und hatte ordentlich Fett angesetzt.

Ihre Leute würden bis zum späten Frühling einigermaßen durchkommen, dank ihrer Vorkehrungen. Zum Sommeranfang gäbe es dann wieder reichlich zu essen. Sie würde es keinem Wikinger erlauben, einen von ihnen hungern zu lassen, nur damit er sich selbst seinen Wanst vollschlug.

„Was hast du vor? Sie müssen doch von Eg … Lord Egberts Rolle in diesem Kampf wissen. Wir werden noch alle dafür bestraft werden, genauso wie du es vorausgesagt hast!“

„Für mich ist es kein Vergnügen, in dieser Sache am Ende recht zu behalten, Cousine, das kannst du mir glauben.“

„Aber du weißt doch, was sie uns antun werden. Wikinger brandschatzen, plündern und vergewaltigen.“ Hilda zitterte vor Angst.

Edith presste die Lippen aufeinander. Wenn sie nicht bald etwas unternahm, würde ihre Cousine noch in Ohnmacht fallen – ein Problem mehr, das sie zu lösen hätte, bevor die Nordmänner einfielen. Edith konzentrierte sich und suchte verzweifelt nach Worten, die Hilda beruhigen könnten. Sie anzuschreien und zu erwarten, sie würde sich schon zusammenreißen, war einfach zu riskant.

Außerdem würde sie sich niemals dazu herablassen, Hilda anzuschreien. Sie wusste sehr genau, mit wem ihr Gatte das Bett geteilt hatte. Jeder wusste es. Der Klatsch hatte so lange die Runde gemacht, bis er auch in die Wohnhalle gelangt war und jeder sie mitleidig ansah. Edith hasste Mitleid. Natürlich hatte sie die Liebschaft zwischen ihrer Cousine und ihrem Ehemann nicht gebilligt. Doch sie kannte ihn und wusste, was sich hinter seinem vordergründig fröhlichen Wesen verbarg, das er besonders gern denen präsentierte, die ihn in seiner Sache unterstützten. Wenn Hilda sich seinem Werben nicht ergeben hätte, hätte er sie eben vergewaltigt. Solange Egbert lebte, war es ihr unmöglich gewesen, Hilda vom Hof zu jagen. Und nun, da die Wikinger vor der Tür standen, konnte sie sie erst recht nicht hinauswerfen.

„Ich werde den Lehnseid schwören, wenn es so weit ist“, verkündete Edith entschlossen. „Du wirst schon sehen, Hilda. Wenn ich das tue, wird alles gut werden.“

Erschrocken griff sich Hilda an die Kehle. „Aber wird dieser Wikingerhäuptling dein Wort akzeptieren?“

Edith ballte die Hände. Hilda sollte ihr endlich vertrauen. War nicht sie es, die sich um die Ländereien gekümmert und sichergestellt hatte, dass alles florierte, während Egbert sich seiner Leidenschaft fürs Jagen und Herumhuren hingegeben hatte? „Er muss es einfach akzeptieren. Dieses Land gehört seit Menschengedenken unserer Familie. Und ich werde nicht diejenige sein, die es aufgibt.“

„Du denkst wohl, dass er dich heiratet?“ Hilda stupste sich mit dem Finger an die Nase. „Nicht dumm. Ich wünschte, ich hätte eine solche Mitgift wie du, statt nur gut auszusehen. Du wirst edle Kleider und silbernes Geschmeide tragen und uns bald vergessen.“

„Ich denke gar nichts“, entgegnete Edith vorsichtig. Doch die Hochzeit mit einem der Wikinger war tatsächlich die einzig vernünftige Lösung, obwohl sie den Gedanken hasste, noch einmal heiraten zu müssen. Und ihre Chancen standen nicht schlecht. Eine junge Witwe mit guter Mitgift war eine zu wertvolle Beute, um sie einfach auszuschlagen. „Aber du irrst dich, wenn du glaubst, ich würde dieses Land und seine Menschen einfach vergessen. Es sind meine Leute. Jeder einzelne von ihnen.“

„Dein Ehemann würde sich im Grabe umdrehen, Cousine, wenn er wüsste, dass ausgerechnet du dem Wikingerkönig die Treue schwörst.“

„Mein Vater hat vor zehn Jahren in Eoferwic Halfdan den Lehnseid geschworen. Egbert hat diesen Eid gebrochen, nicht ich.“

Etwas skeptisch schüttelte Hilda den Kopf. „Ich weiß nicht. Immerhin warst du sieben Jahre lang mit Egbert verheiratet. Glaubst du wirklich, dass das dem König gleichgültig ist? In all den Jahren wirst du doch ein paar von Egberts Ansichten geteilt haben.“

Empört reckte Edith das Kinn. Wie konnte Hilda es wagen, ihr solche Fragen zu stellen? Sie bebte vor Zorn. Nichts hätte sie in diesem Moment mehr gewollt, als Hilda endlich mit ein paar Wahrheiten zu konfrontieren, doch stattdessen atmete sie tief ein und nahm sich zusammen.

„Wann waren Egbert und ich uns jemals einig?“, entgegnete sie so ungerührt es eben ging. „Lord Egbert ist nicht länger Herr über dieses Land. Diese Würde hat er mit seinem letzten Atemzug verloren. Außerdem haben das Anwesen und die Ländereien nie ihm allein gehört. Wir haben die Verantwortung immer geteilt. Ich kenne die Verträge, die mein Vater damals bezüglich unserer Ehe geschlossen hat. Breckon Hall sowie alle Ländereien sollten im Falle von Egberts Tod an mich zurückfallen. Und ich habe vor, meinen Besitz auch in Zukunft zu schützen.“

„Cousine, für Scherze dieser Art ist wohl kaum die richtige Zeit.“ Hilda riss die hellbauen Augen auf. „Von der Kunst der Kriegsführung verstehst du nicht viel. Egbert hat immer gesagt …“

„Es sind die Menschen, die hier leben, um die es nun geht.“ Mit festem Blick sah Edith der Cousine ins Gesicht. Das Letzte, was sie jetzt hören wollte, waren kritische Kommentare zu ihrer Person, wie ihr Ehemann sie zu Lebzeiten geäußert hatte. „Die Wikinger werden meinen Treueeid akzeptieren. Dann werden sie weiterziehen, ohne unsere Siedlung niederzubrennen und ohne eine Heirat zu erzwingen, das hoffe ich wenigstens. Komme, was wolle: Wir werden überleben, nur das ist wichtig.“

Edith war sich nicht sicher, wen sie eigentlich zu überzeugen versuchte – ihre Cousine oder sich selbst.

„Sie werden alles mitnehmen, was nicht niet- und nagelfest ist, ob du einen von ihnen heiratest oder nicht.“ Hilda wurde ganz bleich. „Du weißt, was man von den Wikingern sagt! Vor zwei Jahren, unten im Süden, bevor ich zu dir kam, da standen alle Höfe in Flammen – und die Frauen … Versprich mir, dass du nicht zulässt, dass mir das Gleiche widerfährt. Ich habe unbeschreibliche Dinge gesehen. Du musst mich beschützen. Lord Egbert würde das erwarten.“

„Ich habe Vorkehrungen getroffen. Meine Eltern haben mir gesagt, was zu tun ist. Die Wikinger sind schon seit Jahren eine Gefahr für uns.“ Edith blickte Hilda streng an. „Wir haben schon einmal überlebt. Vor Jahren hatten meine Eltern Halfdan sogar zu Gast.“

„Was kann ich nur tun?“ Nervös knetete Hilda ihre Hände. „Lord Egbert hat mir in gefährlichen Zeiten immer eine besondere Aufgabe übertragen. Wenn ich so darüber nachdenke, dann sollte ich vielleicht als Erste zu ihnen sprechen, ihre Herzen mit einem freundlichen Wort erweichen. Du kannst ganz schön ruppig sein, Edith. Erlaube mir, sie mit einem Lächeln für uns zu gewinnen.“

Fassungslos starrte Edith ihre Cousine an. War das wirklich ihr Ernst? Bei der Vorstellung, dass Hilda die Wikinger an ihrer Statt begrüßen sollte, sträubten sich ihr die Nackenhaare. Tatsächlich war sie selbst es gewesen, die dafür gesorgt hatte, dass Hilda die eine oder andere Aufgabe übertragen worden war, um sie aus Egberts Reichweite zu bringen und sie vor seinem zornigen Temperament zu bewahren.

Hilda begann, durch den Raum zu tänzeln und gebieterisch zu gestikulieren, als wäre sie diejenige, die auf Breckon Hall das Sagen hatte.

„Siehst du, Cousinchen, wie viel besser ich mich machen würde?“

„Hilda, geh hinunter zum Weiher, und sieh nach, ob auch alle Reusen geschlossen sind. Ich will keine Fische verlieren, nur weil einer der Männer nachlässig war“, befahl Edith und übernahm die Kontrolle über die Situation.

„Du meinst …“

„Ich werde die Wikinger empfangen, in einem schlichten Gewand, und ihnen von unserer ärmlichen Lage berichten. Uns ist es schon einmal gelungen, Raub und Brandschatzung abzuwenden, vielleicht gelingt es uns ein zweites Mal. Vertrau mir.“

„Heißt das, ich bekomme die Wikinger vielleicht gar nicht zu Gesicht? Keinen von ihnen?“

„Durchaus möglich.“ Edith streckte ihr die Hand entgegen. „Würdest du mir jetzt diesen kleinen Gefallen tun, Cousine. Es würde mich unendlich erleichtern, wenn ich wüsste, dass diese Aufgabe gewissenhaft erledigt wird.“

„Wie du wünschst, Cousine. Du bist hier die Herrin.“ Hilda machte einen derart knappen Knicks, dass es beinahe an Unhöflichkeit grenzte, und rauschte durch die Halle davon.

Edith seufzte. Es musste doch irgendwo einen anständigen Bauern geben, mit dem sie Hilda verheiraten konnte. Immerhin brachte sie eine Aussteuer mit, die kein Mann ablehnen konnte. Die Frage war nur, wer sich bereit erklären würde. Schließlich wusste beinahe jeder von ihrem Verhältnis mit Egbert. Aber all das musste warten, bis die Gefahr durch die Wikinger gebannt war. Sie musste sich jetzt um die Geschicke ihrer Leute kümmern und sicherstellen, dass sie an alles gedacht hatte. Jeder Fehler wäre unverzeihlich.

Nachdem Hilda gegangen war, rückte Edith ihre Bundhaube zurecht und warf einen prüfenden Blick durch die Halle.

Die meisten Silber- und Goldvorräte waren sicher in dem Hohlraum verstaut. Sie war die Einzige, die von diesem Versteck wusste.

Die gottlosen Wikinger achteten weder Kirchen noch Klöster. Nichts war ihnen heilig. Der Reichtum zog diese Plünderer magisch an. Als ihr Vater ihr damals den geheimen Hohlraum zeigte, hatte er ihr die Geschichte der Plünderung des Klosters Lindisfarne und von all den anderen Raubzügen erzählt. Er hatte geradezu von seinem Bündnis mit Halfdan geprahlt und ihr noch selbstbewusst prophezeit, dass sie das Versteck nie benutzen müsste.

Edith hatte einiges an wertlosem Flitterkram in der Halle verteilt, der den Wikingern ruhig in die Hände fallen konnte. Es war ungemein wichtig, sie glauben zu machen, dass sie es mit armen Leuten zu tun hätten, deren Höfe schlecht bewirtschaftet waren und nicht viel abwarfen; umso geringer würde die Pacht ausfallen, die sie an die Eroberer entrichten mussten. Ihr Vater hatte sie diesen Kniff gelehrt, noch bevor sie richtig sprechen konnte.

„Die Wikinger bleiben nie lange an einem Ort. Sie sind Jäger, keine Siedler. Beim Plündern gehen sie schnell vor und übersehen womöglich das, was gut versteckt ist.“ Während Edith diese Worte immer wieder für sich herunterbetete, überlegte sie krampfhaft, wo sie sich selbst positionieren würde, wenn die Wikinger kamen. Dann wägte sie sorgfältig ihre Haltung und Gesten ab und entschied sich am Ende doch gegen das andächtige Knien und die flehend emporgestreckten Hände. Ein geneigter Kopf reichte aus – so zollte sie den nötigen Respekt und war doch alles andere als unterwürfig.

Sie würde es schaffen. Sie musste einfach. Jeder Bewohner auf dem Gutshof und in den benachbarten Katen verließ sich auf sie und vertraute darauf, dass es ihr gelang, sie vor den Wikingern in Schutz zu nehmen. Es gab keine Krieger mehr, die für sie einstanden. Niemand außer einem Halbwüchsigen hatte den blutigen Aufstand überlebt. Und auch dieser war wenige Tage nach seiner Rückkehr am Wundfieber verstorben. Immerhin war es ihm noch gelungen, von der Heimtücke der Wikinger und Egberts letztem heldenhaften Widerstand zu berichten. Viel zu spät hatte Egbert zu seiner ihm früher eigenen Tapferkeit gefunden, doch sie war froh, dass es ihm am Ende offenbar noch gelungen war.

Tritte von schwerem Schuhwerk hallten von draußen herein. Edith presste ihre Hände auf ihren Bauch und betete, dass die Übelkeit vergehen möge, die sie jetzt überfiel.

Insgeheim verfluchte sie Egbert dafür, dass er jeden kriegstauglichen Mann für seine Sache geopfert hatte.

Mit knapper Geste gab sie einem der wenigen verbliebenen männlichen Diener ein Zeichen, die Tür zu öffnen. Der Alte schlurfte vorwärts.

Bevor er sie jedoch erreichte, hörte man das Splittern von Holz, und das Portal wurde mit einem lauten Krachen aufgestoßen. Im Rahmen erschien einer der größten Männer, die Edith jemals gesehen hatte. Glatt rasiert war er, doch sein dichtes dunkelblondes Haar fiel ungebändigt über seine Schultern. Er war der Inbegriff eines Wikingers: Er trug lederne Hosen und einen Umhang aus Fell. In seiner linken Hand hielt er den Griff einer Doppelaxt. Doch waren es vielmehr seine durchdringend blickenden blauen Augen, die ihre Aufmerksamkeit erregten, gefolgt von der roten Narbe an seinem Hals. Ein Barbar, wie er im Buche stand.

Edith befeuchtete ihre Lippen, um etwas zu sagen, doch entwich ihrer Kehle nur ein angstvolles Keuchen. Noch einmal versuchte sie, Worte der Begrüßung herauszubringen, aber ihre Stimme versagte kläglich. Eine Welle der Furcht durchflutete sie, und ihre Hände zitterten, als sie sie hob.

Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits die hölzerne Halle in Flammen stehen, ihre Bewohner qualvoll zugrunde gehen und sich selbst, die nichts gegen diese Barbarei tun konnte. Wäre sie doch als Mann geboren worden, wie ihre Eltern es sich erhofft hatten, nichts von alledem wäre jemals passiert. Alles, womit sie aufwarten konnte, waren ihr Verstand und ihre scharfe Zunge – beides schien sie jetzt im Stich zu lassen. Edith betete um ein Wunder.

Der Barbar bewegte sich langsam auf sie zu. Hinter ihm strömten seine Männer in die Halle.

Edith wich zurück. Mit einem Bein stieß sie rücklings gegen die hölzerne Truhe, woraufhin ihre Spindel zu Boden fiel, über den Boden rollte und verschwand. Es war ihre Lieblingsspindel. Einer wertlosen Spindel nachzutrauern, wo doch ihr Leben auf dem Spiel stand: wie typisch für sie! Edith musste plötzlich auflachen.

Abrupt hielt sie inne und straffte die Schultern. Ihr Verstand stand dem eines Mannes in nichts nach – das schloss auch diesen riesigen Wikinger mit ein, der sie mit seinen Blicken durchbohrte und dessen Finger unentwegt den Griff der Axt umspielten.

„Es ist nicht üblich, mit der Axt ins Haus zu fallen“, Die plötzliche Sicherheit in ihrer Stimme gab ihr Mut. Sie war diesem Hünen von einem Wikinger ebenbürtig, sie war nicht seine Sklavin.

„Aber es ist üblich für einen Untertanen, seinen neuen Herrn ohne Aufschub und in aller Höflichkeit und Ehrerbietigkeit vor dem Haus zu begrüßen.“ Die volle Stimme des Wikingers dröhnte durch den Raum. Es überraschte Edith, dass er ihre Sprache so gut beherrschte. Die Wikinger, denen sie in Eoferwic begegnet war, hatten einen derart starken Akzent, dass sie sie kaum verstehen konnte. Doch bei diesem Nordmann verhielt es sich anders. Nur sein Tonfall verriet, woher er kam.

„Niemand hier wusste etwas von Eurer bevorstehenden Ankunft.“ Tapfer hielt Edith seinem bohrenden Blick stand. „Eine anständige Begrüßung setzt voraus, dass man anständig über die Gegebenheiten informiert wird.“

„Das ändert aber nichts an den Tatsachen. Euer neuer Herr ist nun hier. Ich glaube, ich verdiene eine bessere Begrüßung, als die Türen zu meiner Halle verriegelt zu finden.“

Neuer Herr? Heftig rebellierte ihr Magen, als Edith begriff, was er da gerade gesagt hatte. Aber was genau meinte er damit? Hatte der Wikingerkönig etwa befohlen, sie ihm zur Frau zu geben? Eiskalt lief es ihr den Rücken hinunter. Einmal abgesehen von dem zuvor geführten Gespräch mit Hilda, hatte sie nun wirklich nicht vor, noch einmal zu heiraten – und mit Sicherheit keinen Mann, der sie problemlos mit einer Hand zerquetschen konnte. Nein, sie wünschte sich einen Mann, der kultiviert war – einen, der ihre Intelligenz zu schätzen wusste. Von Rohlingen hatte sie seit ihrer Ehe mit Egbert wahrlich genug. Doch sie verwarf diesen Gedanken gleich wieder. Ihre Gefühle waren jetzt nicht wichtig. Es ging um ihr Land, um ihre Leute.

„Ihr seid also der neue Herr?“

Leicht neigte er den Kopf, doch in seinen Augen schien ein Feuer zu lodern. „So will es der König.“

„Ich bin Lady Edith, Herrin über diesen Gutshof, so wie mein Vater es vor mir gewesen ist. Euer König Halfdan hat mir keinen Beschluss gesandt.“ Trotzig reckte sie ihr Kinn empor. Glücklicherweise hatte sich ihr Vater vor zehn Jahren in weiser Voraussicht dazu entschlossen, vor Halfdan zu knien und ihm den Treueeid zu schwören. „Mein Vater und Euer König waren Freunde. Er war sogar unser Gast in dieser Halle.“

Der Wikinger hob zweifelnd die Augenbraue. „Leugnest du etwa, dass dieses Gut dem Rebellen Egbert of Breckon gehörte?“

Edith kniff kurz die Lippen zusammen. „Mein verstorbener Ehemann.“

„Er starb im Kampf gegen unseren König nach einem Akt der Hinterhältigkeit, wie ich ihn selten erlebt habe.“

„Dieser Gutshof hat schon immer mir und meiner Familie gehört, eigentlich seit jeher. Mein Ehemann und ich haben uns die Verantwortung geteilt. Mit dem letzten Atemzug von Egbert of Breckon ist das Land wieder in meinen Besitz übergegangen, zumal ich keine Erben hervorgebracht habe.“

„Ist dem so?“

„Als ich Egbert of Breckon heiratete, versprach König Halfdan, diese Abmachung einzuhalten. Ich besitze ein Dokument, welches dies besiegelt.“

Sie musste unbedingt herausfinden, was Halfdan mit diesem Barbaren im Schilde führte und wie es um ihr Schicksal bestellt war. Egbert hatte sie überlebt; sie würde auch diesen Wikinger überleben. „Ist es der Wunsch des Königs, dass wir heiraten?“

Verblüfft riss der Wikinger die Augen auf und musterte ihre Gestalt. Edith ließ ihre Hände betont auf ihren Hüften ruhen, obgleich sie wusste, dass diese zu schmal waren und sie für eine Frau zu hochgewachsen war. Wieder einmal wünschte sie sich, eine so zierliche und weibliche Figur wie Hilda zu haben. Wie gern wäre sie eine dieser Frauen gewesen, die ein Mann vom Fleck weg heiratete, ohne dass es ihm dabei nur um mehr Land und um mehr Vermögen ging.

„Dein Ehemann hat seinen Lehnseid gebrochen. Warum sollte mein König nun sein Versprechen gegenüber deinem Vater halten?“, fragte er schließlich. „Halfdan hat mir das Land von Egbert of Breckon übertragen, als Dank für meine Dienste.“

War es womöglich dieser Hüne gewesen, der Egbert in der Schlacht getötet hatte? Der Junge hatte vom Bruch der Waffenruhe berichtet und einem Hinterhalt, in dem alle Northumbrier erschlagen worden waren. Ihr kamen Zweifel an dieser Darstellung. Doch sie schob diesen Gedanken beiseite und versuchte sich zu konzentrieren. Das hier lief schlechter, als sie es sich vorgestellt hatte.

„Mein Ehemann handelte gegen meinen ausdrücklichen Rat. Wir, die noch am Leben sind, haben nie einen Eid gebrochen. Für den Frieden und aus Freundschaft zu meinem Vater muss Halfdan doch eine Form von Ehe angeordnet haben.“ Edith streckte ihre Hand aus. „Zeigt mir die Urkunde, die bezeugt, dass der König Euch Breckon Hall zum Lehen gegeben hat.“

Mit seinen blauen Augen musterte er sie sehr genau. Er verstärkte noch ihr Gefühl, keine begehrenswerte Frau zu sein. Sie war viel zu dünn und kantig, und ihre Hände waren nicht eben lilienweiß. So sah keine Lady aus. Verzweifelt versuchte Edith, die aufsteigende Hitze zu bekämpfen, die ihr in die Wangen stieg. Schlimm genug, dass Egbert ihr stets unter die Nase gerieben hatte, wie wenig weibliche Attribute sie besaß. Dem bohrenden Blick dieses Wikingers ausgesetzt zu sein war noch weitaus beschämender.

„Das Lehen war an keine Bedingung geknüpft, Lady. Es umfasst diese Ländereien mit allen Bauten sowie dem Vieh. Mein Bedürfnis nach einer Ehefrau ist nicht übermäßig groß. Halfdan weiß, wie ich über die Ehe denke – und ebenso, welche Frau ich mir als Braut wünsche.“

„Ich habe mich geirrt“, flüsterte sie kleinlaut und zwang sich, höflich zu knicksen. Zorn stieg in ihr empor. Mit einem Blick hatte er sie als ungeeignet befunden, sie zu ehelichen, und aussortiert.

„In der Tat, ja. Ich gehe davon aus, dass diese Angelegenheit damit geklärt ist. Ich beanspruche die Herrschaft über dieses Land.“ Er tat einen Schritt vor und schlug die Klinge der Axt kraftvoll in die Bohlen des Bodens.

Edith dachte scharf nach. Ein neuer Herr? Irgendeinen Herrn gab es immer. Vielleicht war es so am besten, vielleicht war das das Wunder, auf das sie gehofft hatte. Viel zu schnell hatte sie vorausgesetzt, es würde hier um die Schließung einer Ehe gehen. „Gern werden wir Euch eine angemessene Pacht zahlen, doch zuerst beweist mir, dass ich Eurem Wort vertrauen kann. Vergebt mir, Herr, doch meine Erfahrung mit Wikingern ist sehr begrenzt, und mitunter war die Sprache bei Verhandlungen ein echtes Hindernis. Habt Ihr einen Vertrag, irgendetwas Schriftliches, in dem niedergeschrieben ist, wie hoch unsere Pacht sein wird?“

„Ihr scheint mich mutwillig falsch zu verstehen, Lady.“ Der Wikinger strich über den Griff der Axt. „Egbert of Breckon hat sich gegen den rechtmäßigen König aufgelehnt, auch Euer Anspruch ist damit verwirkt. Doch ich hege keinen Groll gegen Euch. Ihr könnt die Ländereien unversehrt verlassen, wenn Ihr sofort aufbrecht.“

Edith vernahm, wie ihre Diener, die sich hinter ihr aufgestellt hatten, angstvoll aufkeuchten. Tränen brannten in ihren Augen. Das hier war ihr Zuhause, es waren ihre Ländereien, es waren ihre Leute. Sie hatte Egbert nicht darum gebeten, eine Rebellion gegen Halfdan anzuzetteln, wo es ihnen doch eigentlich gut ergangen war. Das alles war so falsch.

Sie biss sich auf die Zunge. Jetzt war Taktgefühl gefragt, provozierende Worte des Protests waren unangebracht. Egbert hatte den Widerstand angeführt, und das bis zum bitteren Ende. Soweit sie wusste, war er einer der Letzten gewesen, die gefallen waren – ein ehrenvoller Tod, so jedenfalls hatte der Junge es berichtet.

„Ich war nicht diejenige, die eine Rebellion vom Zaun gebrochen hat. Dieses Land gehört so lange mir, bis der König mir ein Dokument zukommen lässt, in dem etwas anderes steht. Ich weiß, dass König Halfdan ein Mann von Ehre ist.“ Schnell verschränkte sie die Arme vor der Brust und dachte kurz nach. Sie musste auf Zeit spielen. „Nun, ich weiß nicht, wie man die Dinge dort zu regeln pflegt, wo Ihr herkommt, doch hier in Northumbrien braucht es in einer solch bedeutsamen Angelegenheit ein wenig mehr Beweise als eine Doppelaxt und eine eingetretene Tür.“

Trotzig starrte sie den Wikinger an, wobei sie sich alle Mühe gab, der Axt und der Art und Weise, wie er ihren Griff umspielte, keine weitere Beachtung zu schenken. Ein Schlag würde ausreichen, um ihren Kopf über den Boden rollen zu lassen. Man erzählte sich, so hätten die Wikinger schon viele Menschen zu Tode gebracht.

Urplötzlich erscholl lautes Gelächter hinter dem Wikinger und zerriss die drückende Stille.

„Die Lady hat Mut, das muss man ihr lassen“, rief einer seiner Leute. „Nicht viele würden es wagen, so vor Brand Bjornson zu stehen und sich mit ihm zu streiten.“

„Vielleicht sollten sie das aber“, gab Edith so tapfer wie nur möglich zurück, obwohl ihre Beine unter ihr nachzugeben drohten.

Das Glück hatte sie vollends verlassen. Es war ausgerechnet Brand Bjornson, der ihr Land beanspruchte – einer der gefürchtetsten Krieger unter den Wikingern. Allein sein Name verbreitete bei Jung und Alt Angst und Schrecken. Sie wartete ab, wagte es kaum, Luft zu holen. Wenn er erst die Axt hob, wäre ihr nächster Atemzug mit Sicherheit ihr letzter.

Der Wikinger musterte sie mit durchdringendem Blick, regungslos und doch fragend. Edith zwang sich, ihm in die Augen zu sehen.

Plötzlich nahm er die Hand von der Axt und schien eine beinahe entspannte Haltung einzunehmen. Edith atmete ruhig ein, dann wieder aus. Sie würde leben. Allein der Gedanke machte sie ganz schwindelig.

„Verzeiht, Mylady, aber da liegt Ihr falsch. Dieses Haus und dieses Land gehören allein mir.“ Er griff an seinen Gürtel und holte eine Pergamentrolle hervor. „Der König hat damit gerechnet, dass man mein Wort willentlich in Zweifel ziehen könnte. Alles hat seine Ordnung. Hier steht es geschrieben, mit Brief und Siegel. Ruft Euren Priester, um den Erlass zu verlesen, wenn Ihr wollt.“

„Das ist nicht nötig. Mein Vater hat mir das Lesen beigebracht.“ Als der Wikinger sie irritiert ansah, fügte sie hinzu: „Er hatte nicht viel für unseren Priester übrig.“

„Ein weiser Mann.“

Edith entrollte das Dokument und starrte fassungslos darauf. Die Worte schienen vor ihren Augen zu verschwimmen. Die Ländereien, die Gebäude, das Vieh – alles war Brand Bjornson übertragen worden. Der König hatte es nicht einmal für nötig befunden, sie namentlich zu erwähnen. Lady Edith of Breckon hatte für ihn keinerlei Bedeutung.

Sie schluckte bittere Tränen herunter. Alles war verloren. Einfach so. Wie gern hätte sie die Hände um Egberts fetten Hals gelegt und kräftig zugedrückt! Dass ihr Vater sie damals in eine Ehe mit ihm gezwungen hatte, war einer seiner größten Fehler gewesen, aber er hatte seinem entfernten Cousin vertraut und womöglich gedacht, dass sie einen starken Mann an ihrer Seite brauchte. Dabei hätte sie gut allein das Land verwalten und für ihre Leute sorgen können.

„Vielleicht gehört Euch das Land, aber gehören Euch auch die Herzen seiner Bewohner? Ich habe noch nie von einem Wikinger gehört, der lange an einem Ort geblieben wäre. Außerdem wird der König Euch brauchen“, rief Edith, ohne zuvor über ihre Worte nachzudenken. „Nachdem ich nun das Dokument gesehen habe, bin ich gern bereit, eine angemessene Pacht an Euch zu entrichten und alles in bester Ordnung zu halten. Ich kenne das Land und seine Leute.“

„Und ihre Herzen gehören Euch auch, jetzt, nachdem Lord Egbert alle waffenfähigen in den Tod geführt hat? Ihr könnt mir also versichern, dass keiner von ihnen je mehr gegen Halfdan oder seine rechtmäßigen Nachfolger aufstehen wird?“

„Ja, ich denke schon.“ Edith sah ihn mit festem Blick an. „Meine Familie war bereits zur Zeit der Römer hier ansässig. Unsere Leute sind ehrenhaft und loyal. Diejenigen, die meinem verstorbenen Ehemann gefolgt sind, haben ihre Rebellion mit dem Leben bezahlt.“

Er lächelte sarkastisch. „Meiner Meinung nach hat ein voller Magen schon immer für mehr Loyalität gesorgt als Blut oder Tradition.“

Einer der Wikinger rief spöttisch: „Welcher Mann gehorcht einer Frau?“

Edith presste die Kiefer aufeinander und bemühte sich, diesen Kommentar zu ignorieren, der sie sehr an die Haltung ihres verstorbenen Gatten erinnerte. Sie hatte ihm das Gegenteil bewiesen, und mit ein wenig Glück würde sie auch den unbekannten Wikinger eines Besseren belehren.

Wohin sollte sie auch gehen? In ein Kloster? Irgendwo wie ein Sklave schuften? Denn genau das wäre ihr Schicksal, wenn sie mittellos ihr Heim verlassen müsste. Allzu oft hatte Egbert ihr damit gedroht. Der Tod durch die Axt eines Wikingers war immer noch besser, als elendig zu verhungern. Sie machte einen letzten Versuch.

„Ihr müsst mir die Gelegenheit geben, Euch zu zeigen, wie ernst ich es meine. Ich könnte Euch sehr nützlich sein. Ihr seid ein Krieger. Wisst Ihr, wie man so große Ländereien bewirtschaftet? Ich weiß es. Stellt mich auf die Probe!“

2. Kapitel

Angespannt wartete Edith auf die Antwort des Wikingers. Ihr Leben, ihre Existenz standen auf dem Spiel.

„Es gibt keinen Grund, jemand anderen mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ich werde es selbst tun.“ Brand Bjornson brach in ein schallendes Gelächter aus, in das seine Krieger sofort mit einfielen.

Edith straffte die Schultern. „Ich meine es ernst, mein Angebot steht.“

„Für mich sind die Tage des Kampfes gezählt. Mein König hat mir eine neue Aufgabe übertragen. Es ist meine Aufgabe, diese Gegend zu befrieden, die viel zu lange von Aufständischen bevölkert war – wenn nötig, mit Gewalt, Lady. Ich erlaube Euch die sichere Reise zu einem der nächstgelegenen Klöster als Dank für die Treue, die Ihr und Euer Vater meinem König erwiesen habt.“

„Und Ihr wisst wirklich alles, was es über dieses Landgut und seine Höfe zu wissen gibt? Wie man sie gewinnbringend bewirtschaftet?“

Das Blau seiner Augen schien sich zu vertiefen. „Von dem, was ich gesehen habe, dürfte es nicht schwierig sein, es besser zu machen. Es sei denn, es gäbe Grund zu der Annahme, dass sich die Dinge anders verhalten, als es den Anschein hat.“

Edith schluckte schwer. Er hatte ihr Täuschungsmanöver durchschaut und gab ihr jetzt die Gelegenheit zu gestehen. Der Wikinger war scharfsinniger, als sie angenommen hatte.

„Mein Vater hat mich nach dem Tod meines Bruders in allem unterrichtet. Fortan arbeitete ich als sein Verwalter und später für meinen Mann.“

„Dann müssen beide Narren gewesen sein. Dieser Hof ist in einem erbärmlichen Zustand. Ein Kind hätte das Land besser verwaltet“, stellte Brand Bjornson fest. „Noch bin ich recht gut gelaunt, doch das kann sich schnell ändern.“

„Lady Edith hat recht, Herr!“, brach es aus einem der Diener heraus. „Lady Edith führt diesen Hof besser als irgendjemand sonst. Darum sind die Kornkammern dieses Jahr zum Bersten voll – und die Schafe …“

Edith warf ihm einen eisigen Blick zu, und der Diener verstummte. Verzweifelt biss sie sich auf die Lippe. Jetzt, da die Wikinger wussten, dass sie alles andere als arm waren, würden sie sich die Bäuche vollschlagen und alle anderen verhungern lassen.

„Dieser Hof ist also wohlhabender, als er aussieht? Zeigt es mir. Jetzt. So habt Ihr die Gelegenheit, Euren Täuschungsversuch wiedergutzumachen.“ Brand Bjornson trat dicht an sie heran.

Edith spürte die ungezähmte Kraft, die von ihm ausging. Diesen Mann durfte sie nicht unterschätzen. Sie musste ihn davon überzeugen, wie wichtig sie für das Wohl des Besitzes und der Leute war, damit sie bleiben konnte. Und bleiben wollte sie. Sie hatte genug Flüchtlinge gesehen, nachdem Eoferwic vor zehn Jahren erobert worden war, und sie wusste, wie schlecht es um ihre Überlebenschancen stand. Wer würde sie aufnehmen, ihr Schutz bieten, wie sie es einst für Hilda getan hatte? Jeder, der ihr hätte helfen können, war entweder tot, hatte sein Land verloren oder war in Richtung Süden geflohen. Sie ballte die Hände und kam zu einem Entschluss: Sie hatte keine andere Wahl, als dem Wikinger ein paar ihrer Geheimnisse offenzulegen.

Sie würde ihm die Bücher und die Vorratskammern zeigen und konnte nur hoffen, dass er verstand, welch riesige Aufgabe ihn hier erwartete, und begriff, wie unabdingbar ihre Anwesenheit auf dem Hof war.

Später würde sie einen Weg finden, ihn schnell wieder loszuwerden. Solange sie nur hierblieb, gab es immer noch die Hoffnung, dass der König ihr das Land eines Tages zurückübertrug.

Edith hob den Kopf, sodass sie direkt in seine funkelnden blauen Augen sehen konnte. „Ja, es ist wahr, Brand Bjornson. Ich wollte nicht mehr preisgeben als unbedingt notwendig. Aber könnt Ihr mir das wirklich verübeln, nach all der Verwüstung, die die Wikinger über dieses Land gebracht haben?“

„Zeigt mir alles!“, forderte Brand, während er Lady Edith von Kopf bis Fuß musterte. In stolzer Haltung stand sie vor ihm, und er musste sich eingestehen, dass es lange her war, seit ihn eine Frau derart gereizt hatte.

Das schlichte Kleid konnte ihre schlanke Figur nicht verbergen. Ihre Züge waren ebenmäßig. Doch es war vielmehr ihr anmutiger Hals und die Art, wie sie mit ihren schmalen Händen gestikulierte, die ihn faszinierten.

Ihr ganzes Wesen strotzte vor Arroganz. Doch er würde ihr eine wichtige Lektion in Sachen Bescheidenheit beibringen. Sie dachte wohl, dass er in Dankbarkeit auf die Knie fallen und ihr die Füße küssen würde, als sie ihm das Angebot einer Ehe unterbreitet hatte. Nein, er bestimmte, wo es langging. Er hatte seine eigenen Pläne.

„Ich zeige Euch gern unsere Speicher, doch Ihr müsst wissen, dass sich die Vorräte nach dem letzten Winter ziemlich erschöpft haben. Wenn Ihr Euch die Bücher anseht, werdet Ihr feststellen, dass sie von mir geführt wurden.“ Dreist fragte sie: „Könnt Ihr Latein lesen? Oder wollt Ihr Euren Schreiber holen lassen?“

„Lasst das meine Sorge sein.“ Brand hielt seinen wachsenden Zorn unter Kontrolle. „Ich würde mir gern alles ansehen, was zu meinen Ländereien gehört.“

Er glaubte keinen Augenblick lang, dass sie lesen oder schreiben konnte, und schon gar nicht Latein. Welche Frau konnte das schon? Sie hatte ihn lediglich vorführen wollen, um Zeit zu gewinnen, die eine oder andere Kostbarkeit zu verstecken, die nun ihm gehörte. Egbert of Breckon hatte einst seinen besten Freund Sven in einem Hinterhalt erschlagen. Noch bevor er selbst den heimtückischen Angelsachsen zur Rechenschaft hatte ziehen können, hatte Hrearek ihn getötet. Niemals würde er den Verrat vergessen, der ihm den Mann genommen hatte, der wie ein Bruder für ihn gewesen war.

„Natürlich. Ich fürchte die Wahrheit nicht.“

Er lehnte sich vor, sodass sein Atem sie streifte. „Wir beginnen mit den Büchern.“

Er sah, wie sich ihre Wangen rot färbten. Würde sie ihre unkleidsame Bundhaube ablegen, wäre sie eine schöne Frau, stellte Brand fest und spürte, wie sein Körper auf sie reagierte.

Warum gab sie sich so viel Mühe, ihre weiblichen Reize vor ihm zu verstecken? Was er wollte, war eine willige Frau, nicht eine, die man zu ihrem Glück zwingen musste. Als er nun aber bemerkte, dass sich ihre Atmung merklich beschleunigte, wusste er, dass auch er ihr nicht gleichgültig war. Und mit einem Mal eröffneten sich ganz andere, durchaus reizvolle Möglichkeiten.

Er hob eine Augenbraue, was das Rot in ihren Wangen noch vertiefte. Schnell senkte sie den Kopf und brach den Blickkontakt ab.

„Natürlich. Die Bücher.“ Sie begab sich zu einem ihrer Diener und besprach sich mit ihm. Der Mann verneigte sich kurz und eilte davon. „Die Angelegenheit könnte noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen, Lord Bjornson.“

„Ich habe Zeit.“

„Wollt Ihr Euch vielleicht setzen? Ihr und Eure Männer seid doch sicher durstig. Mein verstorbener Mann war immer durstig, wenn er nach Breckon Hall zurückkehrte.“ Mit einem kurzen Wink wies sie auf einen Stuhl, bevor sie den anderen Dienern auftrug, ausreichend Met zu besorgen. „Bitte gebt uns die Möglichkeit, Eure Lordschaft angemessen willkommen zu heißen, jetzt, da wir wissen, wer Ihr seid.“

Ihre ganze Haltung und ihre Worte erinnerten ihn sehr an die Frau seines Vaters. Die Art und Weise, wie sie dessen Haushalt vorgestanden hatte, hatte ihn immer wie ein Außenseiter dastehen lassen, der kein Recht besaß, an diesem Ort zu sein. Doch diesen Teil der Vergangenheit hatte er hinter sich gelassen. Er war Herr über dieses Land, er hatte das Sagen. Den Respekt, der ihm zustand, hatte er sich mit seinem Schwert erkämpft. Brand vertrieb die unliebsamen Erinnerungen mit einem Kopfschütteln.

„Ich stehe lieber, doch meine Männer könnten eine Stärkung gebrauchen. So eine lange Reise macht einen hungrig und durstig. Ein anständiges Stück Fleisch wäre nicht verkehrt.“

„Ein guter Anführer sorgt sich zuerst um seine Männer.“ Ihr Lächeln umspielte lediglich ihre Mundwinkel, in ihren grauen Augen dagegen stand keine Wärme. „Das Fleisch zuzubereiten wird eine Weile dauern. Wir leben ein sehr einfaches Leben hier, außerdem ist Fastenzeit. Seit dem Michaelistag ist nicht mehr geschlachtet worden.“

„Uns mangelt es nicht an Zeit.“ Brand hob den Kopf. „Sobald ich mir einen Überblick über die Vorräte verschafft habe, werde ich ein paar Tiere schlachten lassen. Die Männer sollen mein Glück mit einem Festmahl feiern.“

„Dass wir uns in der Fastenzeit befinden, bedeutet Euch also gar nichts?“

„Sollte es? Meine Männer teilen Eure Religion nicht.“

„Wie Ihr wünscht.“ Stolz durchschritt Edith den Raum und nahm auf einem Lederstuhl Platz. Eine Königin oder die Frau seines Vaters hätten diesem Vorgang nicht mehr Würde verleihen können. „Mein verstorbener Gatte zog es vor zu sitzen.“

„Ich bin nicht Euer verstorbener Gatte.“

Sie senkte den Blick, und zum ersten Mal bemerkte er so etwas wie Schatten unter ihren Augen. „Nein, das seid Ihr nicht. Ich nehme an, man sollte Euch dazu gratulieren.“

„Was soll das heißen?“ Brand versuchte sich zu erinnern, was er von diesem Mann wusste. Immerhin war es Lord Egbert gelungen, Männer dazu zu bewegen, an dem Aufstand teilzunehmen. Die, die zurückgeblieben waren, waren entweder zu alt oder zu jung für die Schlacht. Doch er wusste wenig über den Charakter dieses Mannes, noch etwas darüber, wie das Verhältnis zu seiner Ehefrau gewesen war. Eines stand jedoch fest: Er war derjenige gewesen, der den Waffenstillstand gebrochen hatte.

„Nun, mein Ehemann ist tot, und Ihr seid am Leben. Breckon Hall steht nun unter Eurer Herrschaft.“ Sie presste ihre Hände derart fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervorstanden. „Was glaubt Ihr, was ich sonst damit sagen wollte?“

„Ich danke Euch für die Erläuterung.“ Für den Moment würde er ihre Erklärung so stehen lassen. Doch eines war klar: Lady Edith war keine trauernde Witwe. Hatte sie, was ihre Haltung zur Rebellion anging, zuvor die Wahrheit gesagt? Neuerdings nutzte König Halfdan die Bande einer Ehe zwischen Wikingern und northumbrischen Frauen, um das Land zu befrieden. Lady Ediths Existenz hatte er ihm jedoch verschwiegen.

Womöglich erinnert sich Halfdan tatsächlich an meine Zukunftspläne oder daran, wie sehr ich gehofft habe, eines Tages Sigfrieda heiraten zu können? fragte sich Brand und kniff die Augen zusammen. Oder ging es hier um etwas ganz anderes? Gab es etwas, das Halfdan über diese Frau wusste, das er besser für sich behielt?

Lady Edith nahm eine Spindel auf. Sie erweckte den Eindruck, als sei sie eine Frau, die alle Zeit der Welt und nur wenig Sorgen hatte. Und doch, ein paar Schweißtropfen auf ihrer Stirn verrieten, wie angespannt sie wirklich war. Brand lächelte in sich hinein. Ihre Verstellungskünste konnten mit denen der Höflinge in Konstantinopel wirklich nicht mithalten.

„Sollen wir über die Veränderungen sprechen, die Eoferwic – ich meine Jorvik – widerfahren sind?“ Ärgerlich versetzte sie der Spindel einen heftigen Drall. „Wie ich hörte, hat König Halfdan die Stadt komplett wieder aufbauen lassen, nachdem die Wikinger sie niedergebrannt hatten.“

„Es waren die Northumbrier, die die Stadt niederbrannten, als sie versuchten, sie zurückzuerobern. Ich stand auf den Palisaden und habe es gesehen, Lady.“

Das wilde Funkeln in ihren Augen verriet ihren Ärger. „Es war unsere Stadt. Die Wikinger haben sie an Allerheiligen angegriffen, als wir in der Kirche waren. Ich bin mit meinem Vater und meiner Mutter dort gewesen. Kein zivilisierter Mensch greift an einem so heiligen Tag an.“

„Euer Gott ist nicht Halfdans Gott. Respektiert Ihr die Festtage zu Thors Ehren?“

„Das ist doch völlig unerheblich“, erwiderte sie scharf. Dieses Mal versetzte sie der Spindel einen derart heftigen Drall, dass der Faden riss und sie wild über den Boden hüpfte. Ein kurzer Aufschrei verließ ihre Lippen.

Brand bückte sich, hob die Spindel auf und hielt die gerade gesponnene Wolle in seinen Händen. Es war unüblich für eine Frau, dass sie sich ihm gegenüber derart kühn präsentierte, doch Lady Edith hatte etwas sehr Erfrischendes an sich. Die meisten Frauen sagten nicht mehr als Belanglosigkeiten zu ihm und fügten sich allzu schnell – Frauen ohne Rückgrat, und doch waren sie allesamt berechnend. Auf diesem Gebiet hatte er in Konstantinopel genügend Erfahrung gesammelt. Lady Edith jedenfalls hatte bereits bewiesen, dass sie Rückgrat besaß. Sie war aus dem Gleichen Holz geschnitzt wie die Frau seines Vaters, und das durfte er bei alldem niemals vergessen.

Lady Edith musste noch lernen, dass sie in Breckon Hall nicht mehr das Sagen hatte. Dass der Hof und seine Ländereien viel wohlhabender waren, als es zunächst den Anschein gemacht hatte, überraschte ihn wenig. Die Fruchtbarkeit des Bodens war offensichtlich und ließ erahnen, dass die Ernten reich sein würden.

Wie viel hatte diese Frau hier zu dem Reichtum beigetragen? Und wie viel würde sie noch unrechtmäßig für sich in Anspruch nehmen wollen?

Damals in Konstantinopel hatte er einige Frauen getroffen, die bis zu ihren hübschen Hälsen in Palastintrigen verstrickt waren. Doch bis heute hatte er noch von keiner northumbrischen Frau gehört, der man so etwas nachsagte. Soweit er wusste, verurteilten ihre Priester ein solches Verhalten aufs Schärfste. Lady Edith war ihm ein Rätsel, und er hasste Rätsel, ganz besonders, wenn es sich um intelligente Frauen handelte. Stets waren sie darauf bedacht, das zu bekommen, was sie wollten. Wenn er so darüber nachdachte, wie die Spindel zu Boden gefallen und der Faden gerissen war, bezweifelte er jedenfalls, dass Lady Edith viel Zeit mit dem Spinnen von Wolle zubrachte.

„Ich möchte nun alles über mein Land lernen“, sagte er. „Vielleicht sollten wir lieber darüber reden, während wir warten, statt uns mit der Vergangenheit zu beschäftigen, die keiner von uns mehr ändern kann.“

„Natürlich.“ Ediths blasse Lippen verzogen sich zu einem stolzen Lächeln. „Da kommt John mit den neuesten Verzeichnissen.“ Sie nahm sie entgegen und legte sie auf der Holztruhe ab. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie die Seiten durchblätterte und ihre Finger die akkurat notierten Zahlenreihen entlangliefen.

„Soll ich Euch erklären, was das alles bedeutet?“, fragte sie mit honigsüßer Stimme. „Oder verlangt Ihr einen Beweis, dass es sich um meine Schrift handelt?“

Brand wägte seine Antwort sorgfältig ab. Die arrogante Art, in der Lady Edith ihre Augenbraue hob, verriet, dass sie nicht davon ausging, dass er die lateinische Sprache lesen konnte. Doch die Zeit in Konstantinopel hatte ihn nicht nur den Wert von Bildung gelehrt, sondern auch den Nutzen, dieses Wissen für sich zu behalten.

„Beides.“

Sogleich stürzte sich Lady Edith in langatmige und doch simple Ausführungen zu diversen Notizen und Zahlen. Die Farbe ihrer Wangen glich mit einem Mal der eines frühlingshaften Sonnenuntergangs, und ihre grauen Augen begannen zu leuchten. Die Begeisterung verlieh ihr etwas Betörendes.

Sofort reagierte sein Körper, und er zwang sich, das aufsteigende Verlangen zu unterdrücken. Er wandte den Blick von ihr ab und dachte nach, wie er dieser stolzen Frau die passende Lektion erteilen könnte. Sie musste ihren neuen Status akzeptieren lernen, er wiederum musste alles über seinen neuen Besitz in Erfahrung bringen. Dieses Land würde für alle Zeiten seinen Nachfahren gehören, und das bedeutete, dass all seine Anstrengungen und Kämpfe der Mühe wert gewesen waren. Er würde es schaffen und endlich beweisen, wie falsch die Ehefrau seines Vaters mit ihren Prophezeiungen gelegen hatte. Er war nicht nutzlos und für mehr als nur für den Schweinestall gemacht.

„Dieses Land ist in der Tat sehr ertragreich“, bemerkte er, als Lady Edith mit ihrem Vortrag über all die Maßnahmen, die sie zu einer effizienteren Bewirtschaftung getroffen hatte, endlich zu einem Ende gekommen war. „Ihr scheint in diesen Angelegenheiten sehr versiert zu sein. Ein überraschender Zeitvertreib für eine Lady.“

„Versteht Ihr nun, welch großen Nutzen Ihr von mir als Eurem Verwalter hättet?“ Das leichte Vibrieren ihrer Nasenflügel verriet ihre hohe Anspannung. Sie wollte diesen Hof betreiben. Warum war ihr das so wichtig? Land zu bewirtschaften war eine undankbare Aufgabe. Was versprach sie sich davon? Was für ein Spiel spielte sie? Die Frau seines Vaters hatte immer ein falsches Spiel gespielt.

Plötzlich kam ihm ein altes Sprichwort in den Sinn: Halt dir deine Freunde nah, aber noch näher deine Feinde.

„Nicht als Verwalter.“ Er hielt inne. So langsam fing die Angelegenheit an, ihm Spaß zu machen. „Doch ich wünsche, dass Ihr auf diesem Hof bleibt. Ihr seid eine unerwartete Bereicherung meines Besitzes.“

„Als was? Ich werde nicht die Dienstmagd Eurer Frau sein. Auch ich habe meinen Stolz.“

Er wartete einen kurzen Augenblick. Sie wusste genau, worum es ging. Das Spiel endete genau hier. „Als meine Bettgespielin.“

Mit weit aufgerissenen Augen wich sie zurück, während auch der letzte Tropfen Blut aus ihren Wangen wich. „Eure … Eure Bettgespielin?“

„Ich brauche keine Ehefrau, aber da ist irgendetwas zwischen uns – das spürt Ihr ebenso gut wie ich.“ Er strich über ihre Lippen. Unter seiner Berührung erzitterte sie. „Ein Jahr wird ausreichen, um mein Verlangen zu stillen.“

„Und nach diesem Jahr?“

„Nach diesem Jahr garantiere ich Euch freies Geleit zu einem Ort Eurer Wahl. Die Zeit, die Ihr mir schenkt, soll Euch angemessen entlohnt werden. Ich bin als sehr großzügig bekannt. Keine meiner Frauen hatte je Grund zur Klage.“

Nur mühsam konnte Edith sich beherrschen. „Ihr erwartet tatsächlich, dass ich meine Ehre ablege und Eure Hure werde – und all das für eine Bezahlung, die mehr als unsicher ist?“ Sie schluckte schwer, doch sie hielt sich aufrecht, vielleicht etwas zu aufrecht.

Ihre Antwort überraschte ihn. Hatte er ihren Ausdruck zuvor missdeutet? Unmöglich. Doch als er sah, dass auch das letzte bisschen Farbe aus ihren Wangen wich, lenkte er ein und wies in Richtung Tür.

„Niemand hindert Euch daran, das nächstgelegene Kloster aufzusuchen, wenn Ihr mit meinen Bedingungen, auf diesem Hof zu bleiben, nicht einverstanden seid. Einige meiner Männer werden Euch zu Eurer Sicherheit begleiten. Doch wenn Ihr geht, dann sofort und nur mit dem, was ihr am Leibe tragt. Wenn Ihr es wünscht, werden meine Männer Euch sogar nach Wessex geleiten.“

Edith überlegte kurz, bevor sie forderte: „Mit Gepäck. Und mit denen, die mich begleiten wollen.“

„Mit allem, was zu dieser Stunde Euch gehört. Und das ist nichts.“

Er sah ihr an, mit welch heftigen Gefühlen sie zu kämpfen hatte. War die Liebe zu ihren Besitztümern größer als ihr Ehrgefühl?

Hastig blickte Edith über ihre Schulter und sah die angstvollen Mienen ihrer Dienerschaft. Sie schüttelte den Kopf und verzog ihren Mund zu einem falschen Lächeln. „Wenn Ihr mir schon so taktvoll ein derart würdevolles Angebot unterbreitet, wie könnte ich es ausschlagen, Eure Bettgenossin zu werden, Lord Bjornson?“ Sie spie das Wort förmlich aus.

„Das könnt Ihr nicht tun, Herrin!“, rief einer der Diener. „Wir werden Eure Ehre verteidigen. Wir werden für Euch einstehen!“

Aufruhr lag in der Luft. Doch als Brand seine Axt erneut heftig in die Bohlen schlug, brachte das auch den Letzten zum Schweigen.

„Ich kann und werde es tun!“, erwiderte Edith scharf. „Dieser Wikinger lässt mir keine andere Wahl. Wegen meiner Ehre wird es auf diesem Hof kein Blutvergießen geben. Das lasse ich nicht zu. Euer Leben ist zu wertvoll, um es derart zu vergeuden. Jeder von euch bedeutet mir unendlich viel.“

Es war totenstill in der Halle. Lady Edith stand da, stolz und allein. Ihre Miene verriet, wie verletzlich sie eigentlich war. Zitternd streckte sie Brand die Hände entgegen.

„Und was werdet Ihr tun, Lady Edith? Ich will es von Euch selbst hören“, forderte Brand. „Alle sollen es hören. Es soll später nicht heißen, ich hätte Euch zu irgendetwas gezwungen.“

„Ich will Euer Bett teilen, Brand Bjornson, und das auf Euer Geheiß … und aus freiem Willen.“

„Für ein ganzes Jahr?“

„Ich gehöre Euch für ein Jahr und keinen Tag länger.“ Ihre Stimme war kälter als der norwegische Winter. „Danach gehe ich an einen Ort meiner Wahl, mit den Dingen, die mir gehören und den Menschen, die mir folgen wollen.“

„Ihr habt gewählt, Lady“, erklärte Brand mit sanfter Stimme. Ihre Hände jedoch nahm er nicht. Es würde noch eine bessere Gelegenheit kommen, ihren Handel zu besiegeln – ohne Zuschauer.

Er weigerte sich, Mitleid für sie zu hegen. Was auch immer sie an diesem Ort hielt, bedeutete ihr weit mehr als ihr Körper oder ihre sogenannte Ehre. Die Suche nach einer passenden Frau konnte noch warten, bis er das Geschäft mit Lady Edith abgewickelt hatte. Es war ein kurzes, aber süßes und außerordentlich vergnügliches Geschäft, welches sie miteinander eingegangen waren. Doch derartige Spielereien waren selten von Dauer. Wenn die Leidenschaft erst einmal verflogen war, interessierten ihn die Frauen nicht mehr.

„Dann ist es abgemacht?“ In ihren Augen flackerte Besorgnis auf. „Besiegelt?“

„Abgemacht.“ Er neigte leicht den Kopf. „Ich werde Euch an Euer Wort erinnern. Was meins ist, das bleibt auch meins. Und Ihr gehört mir für die Dauer eines Jahres.“

Seine Hure. Für ein ganzes Jahr. Die Ungeheuerlichkeit ihres Handelns vor aller Augen fuhr gleich einem dröhnenden Schmerz durch sie hindurch. Edith lehnte gegen die Wand und versuchte verzweifelt, ihr Herzrasen zu zügeln.

Sie hatte eingewilligt, Brand Bjornsons Bett zu teilen. Nicht als seine Frau, sondern als seine Gespielin, seine Konkubine. Hilda hätte das vielleicht besser hinbekommen. Jetzt war sie an ihn gefesselt und nicht viel mehr wert als eine Bettsklavin!

Ein Blick in die angsterfüllten Gesichter ihrer Gefolgschaft hatte ihr die Entscheidung leicht gemacht. Sie konnte sie nicht einfach der Herrschaft der Wikinger überlassen, während sie in einem Kloster lebte.

Wer wusste schon, was Brand Bjornson den Leuten antun würde? Immerhin waren es Menschen, die loyal zu ihr standen und tagtäglich mit ihrer Arbeit dafür sorgten, dass sie und ihre Familie in Wohlstand lebten. Was war ihre Ehre wert, wenn sie die im Stich ließ, die bereit waren, unter Einsatz ihres Lebens für sie einzustehen?

Was vor ihr lag, war nicht die Zukunft, über die sie an diesem Morgen nachgedacht hatte, doch genau das musste sie jetzt tun: Sie musste Sorge dafür tragen, dass es ihren Leuten gut ging. In einem Jahr könnte sie nach Wessex gehen, wo es immer noch relativ sicher war. Und sie würde all die Menschen mitnehmen, die sie begleiten wollten. Sie gab sich alle Mühe, das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken.

Sie hatte zugestimmt, sein Bett zu teilen und ihn bei Laune zu halten – ein Versprechen, welches sie in der Vergangenheit nicht zur vollsten Befriedigung eingelöst hatte. Egberts unzählige Vorwürfe und Beschimpfungen klangen in ihren Erinnerungen nach: Sie besäße nicht eine weibliche Eigenschaft, wäre stets auf Streit aus, und das Einzige, was einen Mann überhaupt an ihr interessierte, sei ihre Mitgift.

Sie musste verrückt geworden sein. Dieses Arrangement würde in dem Augenblick enden, wenn Brand Bjornson sie zu sich ins Bett holte und feststellte, welch eine Versagerin sie war. Ihre ganze Welt lag in Scherben. Ihr wurde ganz schwindelig. Was um Himmels willen hatte sie getan?

„Cousine? Was ist geschehen?“, fragte Hilda besorgt und ergriff ihren Arm. „Ich hatte mich versteckt. Doch als ich keinen Kampflärm vernahm, bin ich zurückgekommen. Sind die Wikinger fort? Ist alles wieder so, wie es war? Dein Plan hat also funktioniert, habe ich recht?“

„Ich … Ich …“ Edith kämpfte um die richtigen Worte.

Bereitwillig ließ sie sich von Hilda zu einer Nische führen, wo sie beide Platz nahmen.

„Ruh dich jetzt aus. Du hast schon genug geleistet, indem du diese Wikinger losgeworden bist und alles vor ihnen versteckt hast.“

Hildas Anblick führte Edith ihr Dilemma noch deutlicher vor Augen. Jede Bewegung ihrer Cousine war darauf ausgerichtet, einen Mann zu verlocken und ihre Attraktivität hervorzuheben. In ihrer Gegenwart fühlte sie sich stets unbeholfen und plump.

Wenn Hilda eben dabei gewesen wäre, hätte dann Brand Bjornson mich wirklich als Bettgespielin gewollt? fragte sich Edith.

Sinnlos, darüber nachzudenken. Was geschehen war, war geschehen. Ihr blieb nur übrig, jedes Spiel dieses Wikingers bis zum bitteren Ende mitzuspielen.

„Sie sind noch hier.“ Edith glättete ihr Kleid, was ihr half, sich ein wenig zu beruhigen. „Aber mach dir keine Sorgen, Hilda. Ich habe einen Plan. Sie werden uns schon bald wieder verlassen, und alles wird wieder so, wie es einmal war. Daran müssen wir einfach glauben.“

„Oh nein!“ Erschrocken sah Hilda sie an. „Ein Plan? Wir können es uns nicht leisten zu warten, bis sie wieder gehen.“

„Aber eines Tages werden sie gehen.“ Edith war sich selbst nicht sicher, wen sie da gerade zu überzeugen versuchte. „Wikinger bleiben nie lang an einem Ort. Der Ruf des Krieges und des Meeres lockt sie stets von Neuem fort. Alles wird wieder so, wie es einmal war. Siehst du, ich habe noch immer alle Schlüssel.“ Sie griff an ihren Gürtel, wo der Bund, den sie als Herrin des Hauses seit dem Tod ihrer Mutter trug, hing. „Vertrau mir, ich sorge dafür, dass alles wieder gut wird. Wir müssen nur einen klaren Kopf bewahren.“

Hilda beruhigte sich ein wenig. „Wenn es sein muss. Wo werden sie wohnen? Werde ich etwa mit ihnen und ihren Barbareien in Berührung kommen?“

Wie viel barbarischer die Wikinger im Vergleich zu Egbert und seinen Kumpanen waren, vermochte Edith nicht zu beurteilen. Ein kalter Schauer überkam sie, als sie daran dachte, wie hilflos sie sich in den Wochen gefühlt hatte, bevor Egbert in den Kampf gezogen war. Sie hatte so sehr versucht, die vielen unschuldigen Kinder vor seinen Misshandlungen zu schützen, und hatte doch so wenig Erfolg gehabt. Ganz anders als Hilda hatte sie keine Träne um Egbert vergossen. Doch sie wünschte sich, er wäre gestorben, bevor er alles und jeden mit sich ins Verderben riss. Die unzähligen Leben, die vergeudet worden waren, all die Schläge, die sie und die anderen hatten ertragen müssen, nur weil Egbert sein Temperament nicht zügeln konnte. Immerhin hatte er ihr die angehäuften Reichtümer nicht nehmen können. Eines Tages würde sie ihre Schätze wieder hervorholen. Für den Moment jedoch waren sie im Schlafzimmer des Lords bestens versteckt – und das ausgerechnet vor der Nase des Wikingers. Der Gedanke gab ihr den nötigen Auftrieb.

„Du musst dich höflich verhalten, Hilda. Es macht keinen Sinn, sie gegen uns aufzubringen. Wir müssen die Sache nüchtern angehen“, erklärte sie.

„Wirst du den neuen Lord heiraten, wie du es vorausgesehen hast?“ Hilda musterte ihre Cousine gründlich. „Ist es das, was hier vor sich geht? Du kannst es mir ruhig sagen. Ich kann mir schon vorstellen, dass der Wikingerkönig so etwas anordnet, allein um das Land zu befrieden. Dass er dir die Zeit zu trauern nimmt, spielt für ihn keine Rolle.“

„Nein, mein Schicksal sieht etwas anderes vor.“ Edith hielt kurz inne und betrachtete Hilda. Ihr goldblondes Haar, die hellblauen Augen und ihre anmutige Gestalt sorgten dafür, dass ihr die Blicke der Männer folgten, wohin sie auch ging. „Ich habe eingewilligt, Brand Bjornsons Konkubine zu sein. Ich vermute, die Wikinger denken, es wäre eine Ehre. Und ja, ich weiß, wie die Leute reagieren und wie sie über mich reden werden, aber ich habe es für sie getan. Ich hoffe, so sein Herz für diese Menschen erweichen zu können.“

Es tat gut, diese Worte einmal laut auszusprechen.

Ein sinnlicher Schauer überlief sie. Vielleicht wäre es mit Brand Bjornson nicht so unerfreulich wie mit Egbert. Als sich ihre Hände zufällig berührt hatten, waren mit einem Mal all ihre Sinne erwacht. So etwas war ihr zuvor noch nie passiert. Sogleich verbannte sie diesen Gedanken und verbuchte ihn unter Wunschdenken. Sie hatte Egberts Berührungen und all die Narben ertragen, die er ihr zugefügt hatte. Mit diesem Wikinger würde sie schon zurechtkommen. Sie war eine Überlebenskünstlerin.

Hilda starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. „Ist das dein Ernst? Das ist also dein Plan?“

„Würde ich mir daraus einen Spaß machen?“ Edith schüttelte den Kopf. „Es ist nötig, dass ich hier vor Ort bleibe, damit mein Plan funktioniert. Wäre ich einfach gegangen, hätte ich alles verloren.“

Hilda schüttelte sich. „Lieber würde ich mich umbringen. Brand Bjornson ist ein Monster. Allein sein Name lässt gestandene Männer wie Espenlaub erzittern. Außerdem trägt er eine hässliche Narbe an seinem Hals. Die Leute sagen, dass seine eigene Mutter ihn umbringen wollte – nur ist es ihr leider nicht gelungen. Dieser Mann isst mit dem Teufel zu Abend.“

„Unglücklicherweise hatte ich keine Wahl“, gab Edith mit fester Stimme zurück. Immer dramatisierte Hilda alles. „Wenn nicht ich, wer wird dann für die Leute sprechen, die die Felder bestellen, die Schafe hüten und in den Küchen arbeiten? Und ich wage einmal zu vermuten, dass Brand Bjornson mit ebendem zu Abend isst, der an seinem Tisch Platz nimmt.“

„Versuche nicht, dich über mich lustig zu machen, Edith. Warum hast du zugestimmt? Wie konntest du nur?“ Hilda schüttelte heftig den Kopf. „Manchmal verstehe ich dich einfach nicht, Cousine. Du hättest ein Messer zücken sollen, deine Brust entblößen und zustechen sollen. Das hätte jede anständige northumbrische Frau getan.“

Edith kochte vor Wut. Ebenso gut könnte sie Hilda fragen, warum sie sich nicht geweigert hatte, mit Egbert das Lager zu teilen, anstatt sich ein Messer in die Brust zu stoßen. Doch selbst in diesem Moment weigerte sie sich, so tief zu sinken. Über manche Dinge schwieg man besser. Edith beschloss zu akzeptieren, dass Hilda wohl ihre Gründe gehabt hatte.

„Warum, Edith?“

„Ich musste doch an die anderen denken“, erklärte sie sich schließlich noch einmal. „Ich weigere mich, jeden hier um meiner Ehre willen im Stich zu lassen. So habe ich vielleicht die Chance, den Wikinger zu besänftigen und ihn daran zu hindern, alles zu zerstören, wofür wir so hart gearbeitet haben. Es könnte doch sein, dass er mir irgendwann vertraut und mich zu seinem Verwalter macht.“

„Wie du meinst, es ist dein Leben, liebe Cousine.“ Hilda stand auf und machte einen kurzen Knicks. „Ich wünsche dir alles Gute, und das meine ich so. Ich hoffe, du weißt, was du dir da vorgenommen hast. Diese Männer … Sie sind eigentlich gar keine Menschen. Du bist von hoher Geburt …“

„Ich weiß sehr wohl, welche Position ich nun innehabe.“

Hilda errötete. „Ich wollte dich nicht beleidigen, Cousine. Ich wollte lediglich sichergehen, dass du auch ganz genau weißt, was du da tust. Damals im Süden …“

„Danke, Hilda.“ Edith neigte den Kopf. Das Letzte, was sie jetzt hören wollte, waren Hildas Schreckensgeschichten über das, was einen Wikinger ausmachte. Schließlich durfte sie ihren Mut nicht verlieren. Im Moment war die einzige Möglichkeit zu überleben, nicht darüber nachzudenken, was die Nacht bringen würde. „Wir müssen ein Festmahl vorbereiten. Wir haben keine Zeit, uns die Köpfe zu zerbrechen.“

„Ein Festmahl? Wie kannst du in diesen Zeiten übers Essen nachdenken?“

„Die Wikinger erwarten es von uns“, gab Edith zurück. Mit einem schnellen Griff an ihr Schlüsselbund versicherte sie sich, dass sie noch immer die Kontrolle über den Haushalt besaß. Die Schlüsselgewalt hatte er ihr noch nicht genommen! „Wir werden ihnen wahre northumbrische Gastfreundschaft zeigen. Bis jetzt haben sie noch nicht geplündert oder Schlimmeres angestellt – das sollten wir feiern, oder?“

Hilda rollte die Augen. „Du bist so naiv, Edith.“

„Wohl eher realistisch“, zischte Edith zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch. Nein, sie würde nicht die Beherrschung verlieren. „Ich ziehe eine Wohnhalle vor, die vier Wände und ein Dach besitzt. Weiter ziehe ich es vor, einen Ort zu haben, wo ich hingehöre.“

„Und das war’s jetzt? Das ist also das Ende, soweit es dich betrifft? Du willst dich einfach kampflos ergeben? Du hättest mich mit ihnen sprechen lassen sollen. Ich wäre mit bloßer Faust auf sie losgegangen, bevor ich es ihnen gestattet hätte, unseren Hof einzunehmen. Ich hatte dich nie für einen Feigling gehalten.“

„Ich kann wohl schlecht in den Kampf ziehen. Egbert hat jeden kriegstüchtigen Mann mit sich genommen, und nicht einer ist zurückgekehrt. Wie viele Witwen hat sein Kampf um Ruhm und Ehre hervorgebracht?“

„Und du glaubst, du wirst deinen Wikingerkrieger zähmen können?“ Hilda musterte sie von oben bis unten. „Beherrschst du auch die weiblichen Verführungskünste, Cousine? Ich glaube, von Papier und Tinte verstehst du mehr. Und du fühlst dich doch viel wohler, wenn du ausreitest, um nach den Feldern zu sehen. Was weißt du schon von der Kunst der Verführung?“

„Du scheinst vergessen zu haben, mit wem du redest, Cousine.“ Edith schlug auf den Tisch. „Du bist hier zu Gast. Du hast mich um Schutz gebeten; Schutz, den ich dir gern gegeben habe. Immer. Dein Verhalten in Breckon Hall war deine Sache, und ich habe dich nie getadelt.“

Beschämt senkte Hilda den Blick. Ihre Wangen waren feuerrot. „Vergib mir, Edith, dass ich so offen gesprochen habe. Aber du darfst dich nicht an die Hoffnung klammern, du könntest dieses Landgut auf lange Sicht halten. Gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit – eine, die uns beide retten könnte?“

Unsicher krampfte Edith ihre Hände ineinander. Sie wollte nicht an die Nacht denken, geschweige denn an das, was passierte, wenn Brand ihre Unzulänglichkeiten auf dem Gebiet der Verführung entdeckte. Sie konnte nur hoffen, dass er noch etwas anderes im Sinn hatte, als er sie zu seiner Konkubine machte. Wenn Hilda dabei gewesen wäre, hätte er mit Sicherheit sie ausgewählt. „Ich stelle mich den Tatsachen, wenn es so weit ist. Diese Wikinger haben womöglich etwas andere Erwartungen.“

„Um unser aller Seelenheil hoffe ich, dass du recht hast.“ Sanft legte Hilda ihre Hand auf Ediths. „Das tue ich wirklich, Cousine. Ich hoffe nur, dass es dein Opfer wert ist. Das ist alles. Dieses eine Mal beneide ich dich wirklich nicht.“

„Danke. Es wird mein Opfer wert sein.“ Edith senkte den Kopf. Es musste einfach so sein. Über die Alternative brauchte sie gar nicht nachzudenken.

„Wo möchtest du, dass ich mich während des geplanten Festmahls aufhalte?“ Hilda strich sich über die Stirn. „Diese Wikinger machen mich ganz verrückt, weißt du? Ich verliere noch den Verstand, aber ich möchte natürlich meinen Beitrag leisten. Gib mir eine Aufgabe, und ich werde sie erfüllen; irgendetwas Unauffälliges. Nur für ein paar Tage, bis wir wissen, was sie vorhaben – und ich weiß, ob ich mir ein neues Zuhause suchen muss.“

„Bleib doch lieber in der Küche, wenn dich die Wikinger so sehr aufregen.“ Edith dachte rasch nach. In einem hatte Hilda recht. Sie in der Halle beim Servieren der Speisen einzusetzen war keine gute Idee. Schließlich wollte sie sich auf ihre neue Rolle konzentrieren und nicht ständig überlegen müssen, was Hilda als Nächstes vorhatte. „Der Koch kann noch eine Küchenmagd gebrauchen. Allerdings solltest du kein Problem damit haben, dir die Hände schmutzig zu machen. Ich werde mit ihm sprechen.“

Hilda errötete. „Danke, Cousine. Ich weiß deine Güte sehr zu schätzen. Und solltest du irgendeinen Rat brauchen … was die … du weißt schon … ich bin für dich da.“

„Nett von dir. Ich werde mich an dein Angebot erinnern, sollte es dazu kommen.“ Edith betete inständig, dass Hilda die letzte Person wäre, die sie um Nachhilfe in Sachen Verführungskünste bitten müsste. Diese Demütigung wäre kaum zu ertragen.

Anmutig eilte Hilda davon, wobei sich ihre Hüften geschmeidig hin- und herwiegten und ihr gerafftes Kleid einen Blick auf ihre weißen Knöchel zuließ. Die Art, wie sie sich bewegte, betonte ihre weibliche Sinnlichkeit und machte Edith ihre eigene Unbeholfenheit noch bewusster.

Trotzig hob sie die Faust. „Ich schaffe das. Ich werde mein Ziel erreichen oder auf dem Weg dorthin zugrunde gehen.“

3. Kapitel

Was grübelt Ihr, Lady Edith? Ihr scheint mir ganz in Gedanken versunken.“

Brands kräftige Stimme ließ Edith aufschrecken. Woher war er so plötzlich gekommen? Hatte er sie belauscht? Für einen so großen Mann bewegte er sich fast lautlos. Daran musste sie in Zukunft denken. Egbert hatte sein Erscheinen stets durch seinen schweren Gang und die übliche Salve an Beschwerden angekündigt.

„Ich habe mich nur etwas ausgeruht.“ Edith bemühte sich, ihre Hände ruhig zu halten. Hildas Geschichte über Brands Mutter, die versucht hatte, ihn umzubringen, musste der wilden Fantasie des Mädchens entsprungen sein. Wirklich niemand konnte so niederträchtig sein. „Dieser Tag war ein echter Albtraum. Mein ganzes Leben hat sich auf den Kopf gestellt, und es ist noch nicht einmal Mittagszeit. Es gibt tatsächlich einiges, über das ich nachdenken muss.“

„Ihr bereut Eure Entscheidung, jetzt, da Ihr Gelegenheit hattet, über Eure neue Stellung nachzudenken, richtig? Ihr würdet lieber ins Kloster gehen, findet aber nicht den Mut, es mir zu sagen.“

Im Halbdunkel der Halle konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Doch eines wusste sie genau: Er hätte sicher gern gesehen, wie sie aufgab und vor ihm ihre Niederlage eingestand. Das allerdings würde nicht passieren. Ein Rückzug war ausgeschlossen. Eine solche Niederlage beträfe schließlich nicht nur sie, sondern auch die Menschen, die ihr so viel bedeuteten. Ganz egal, was Hilda darüber denkt: Es wird mir gelingen, die Rolle einer Konkubine auszufüllen, auch für einen Mann wie Brand Bjornson, dachte Edith.

„Dem ist keineswegs so.“ Stolz hob Edith das Kinn und erwiderte seinen eindringlichen Blick. „Habt Ihr mich gesucht? Ist irgendetwas passiert?“

Sein dunkelblondes Haar fiel ungebändigt auf seine Schultern. Da er seinen Fellumhang abgelegt hatte, zeichneten sich die Konturen seiner breiten Brust unter dem Hemd deutlich ab. Stärker als zuvor war sie sich seiner Kraft bewusst. Er war ganz sicher kein Mann, den man so einfach überging.

„Nichts Unerwartetes“, erwiderte er gelassen.

Ein seltsam warmes und wohliges Gefühl erfüllte ihren Körper. Dies war der Mann, für den sie die Konkubine zu spielen hatte – wenn es ihr denn gelang. Mit einem Mal schwand all ihr Mut. Hilda hatte recht. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Das ungeheure Ausmaß dieser Aufgabe erschlug sie förmlich. Vielleicht hätte sie doch den einfachen Weg wählen und ihre eigene Haut retten sollen. Was, wenn es ihr nicht gelang, ihn zu befriedigen? Was würde dann mit allen geschehen?

„Gut zu wissen.“

Fragend neigte er den Kopf. „Dachtet Ihr, irgendetwas wäre nicht in Ordnung?“

„Nein, warum sollte ich?“ Schnell griff sie nach dem Schlüsselbund, das sie stets an ihrem Gürtel trug. Dieses kleine Ritual gab ihr Zuversicht. Die Schlüssel bei sich zu tragen fand sie irgendwie beruhigend. Solange sie die bei sich hatte, wusste sie, dass ganz bestimmte Sachen sicher versteckt waren.

„Ihr seid sehr schnell mit Euren Antworten.“ Brand musterte sie gründlich.

„Wie lange steht Ihr hier schon?“, fragte sie ihn beiläufig, doch es ärgerte sie, dass sie so atemlos geklungen hatte. Sie schluckte und versuchte es erneut. Dieses Mal klang ihre Stimme fester. „Gibt es etwas, das ich für Euch tun kann, Herr?“

„In Kürze.“

Erleichtert fuhr sich Edith mit der Hand über den Nacken. Offenbar hatte er das Gespräch mit Hilda nicht mit angehört. „Es war ein anstrengender Tag. Eure Männer sollen ihr Mahl bekommen. Ich werde der Dienerschaft die neue Situation erklären, damit es nicht zu unerwünschten Zwischenfällen kommt.“

„Eure Sorge in allen Ehren, doch meine Konkubine wird keinem auf diesem Gutshof irgendwelche Befehle erteilen. Ihre Aufgabe besteht einzig und allein darin, mich zufriedenzustellen.“

Edith presste ihre Lippen aufeinander – wie immer, wenn sie sich machtlos fühlte. „Ich dachte, ein Festmahl anzuordnen, wäre etwas, das Euch gefallen würde, Herr.“

Sie hasste es, wie der Klang ihrer Stimme ihre Unsicherheit offenbarte. Eine Sklavin in Ketten – mehr war sie nicht.

Er hob eine Augenbraue. „Schön, dass Ihr bereits wisst, dass ich der Herr bin. Ich habe mich schon gefragt, ob man Euch unsanft darauf stoßen müsste.“

„Ich war noch nie zuvor eine … Konkubine.“

Für einen Moment dachte sie, ein Lächeln über seine Lippen huschen zu sehen. „Ich hatte ja keine Ahnung, Lady Edith.“

„Spart Euch Hohn und Spott. Ich kann diesem Scherz nun wirklich nichts abgewinnen.“

„Wie käme ich dazu?“ Das Funkeln in seinen Augen wurde immer stärker. Das Blau seiner Augen schien mit einem Mal intensiver als das Blau des Himmels nach einem Sturm. „Nun ja, vielleicht habe ich einen Scherz gemacht. Aber ich mag es, meine Frauen zu necken. Was unsere Abmachung angeht, meine ich es allerdings sehr ernst. Ihr werdet mein Bett teilen, Edith of Breckon.“

Angestrengt versuchte Edith, sich auf ein Astloch in dem Holzbalken hinter seiner Schulter zu konzentrieren. Alles war besser, als ihm in die Augen zu blicken. Seine Frauen. Sie war eine von vielen. Wie viele? Sie konnte sich wohl vorstellen, um welche Sorte Frauen es sich handelte. Schließlich hatte sie zuvor Erfahrungen mit Egberts Bettgespielinnen machen dürfen. Sobald er ihrer überdrüssig geworden war, war sie es gewesen, die ihnen geholfen hatte, irgendwo eine neue Anstellung zu finden, manchmal sogar einen Ehemann, sodass sie kein würdeloses Dasein fristen mussten.

„Ihr solltet wissen, dass ich mich nicht sonderlich gut als dekoratives Beiwerk mache.“ Bewusst trotzig verzog sie die Lippen. „Ich habe nie recht verstanden, was das Getändel im Bett soll.“

„Dann werdet Ihr es lernen müssen.“

„Dazu bin ich viel zu praktisch veranlagt, fürchte ich. Ich mag es, wenn ich mit den Händen arbeiten kann und mein Verstand gefordert ist.“

„Vom Spinnen einmal abgesehen. Meine Männer haben in der Halle eine ganze Menge zerbrochener Spindeln entdeckt. Erfüllen sie einen bestimmten Zweck?“

„Spinnen gehört nicht zu meinen besonderen Fähigkeiten“, gab Edith achselzuckend zu. „Ich gebe mir wirklich Mühe, doch meine Gedanken wandern, und der Faden reißt. Ich ziehe das Schreiben und Lesen vor.“

„Im Gegensatz zu der Frau, die uns gerade in Richtung Küche verlassen hat.“

In seinen Augen entdeckte Edith einen Ausdruck von Geringschätzung. „Ich glaube nicht, dass sie sich als Küchenhilfe besonders gut macht. Ihr Kleid ist viel zu fein und ihre Sprache zu kultiviert.“

Edith stockte der Atem. Er hatte Hilda in ihrem bestickten Kleid gesehen und machte sich natürlich seine Gedanken. Wer würde das nicht? Allein, wie sie sich bewegte … Sie lockte Männer an wie Nektar die Bienen.

„Sie war die Gespielin meines verstorbenen Ehemanns“, gestand Edith und senkte den Kopf, während ihr Magen sich krampfhaft zusammenzog. Hatte sie damit versehentlich ihre Cousine einem anderen Mann feilgeboten? Sie fühlte sich elend. „Eure Männer machen ihr Angst. Im Sommer vor zwei Jahren hat sie Schreckliches erlebt und Dinge gesehen, die keine Frau je sehen sollte – besonders dann nicht, wenn sie von edler Herkunft ist. Ich hielt es für das Beste, sie in der Küche helfen zu lassen, bis ich etwas Besseres für sie gefunden habe.“

„Und Ihr gestattet der früheren Bettgenossin Eures Ehemanns, hier zu leben? Lasst Barmherzigkeit walten? Sieht so Eure Vergeltung aus?“ Abscheu schien seine Fragen zu begleiten.

„Wohin sollte sie sonst? Immerhin sind wir verwandt. Ich stehe ihr gegenüber in der Pflicht.“ Das Letzte, was sie ihm in diesem Moment erklären wollte, war, wie schlecht und machtlos sie sich gefühlt hatte, als Egbert ihre Cousine in sein Bett geholt hatte – so, als sei sie selbst schuld daran. Sie hatte Hilda bei ihrer Ankunft versprochen, dass sie hier sicher sei. Doch dann hatte Egbert Gefallen an ihr gefunden.

„Nicht viele Frauen wären so großzügig wie Ihr.“

„Hilda hatte keine Wahl. Egbert hatte ein Auge auf sie geworfen.“ Edith schauderte es. Sie hoffte, dass der Wikinger nicht ahnte, wie sehr die Vergangenheit sie schmerzte. Die Ehe mit Egbert war eine Vernunftehe gewesen. Sie hatte kein Recht gehabt, irgendetwas zu erwarten. Trotzdem hatte sie stets gehofft, dass sich wenigstens eine Form von Freundschaft entwickeln würde. Das war nie geschehen. Und sie war nicht kalt oder gefühllos, wie Egbert es behauptet hatte. Im Gegenteil, sie empfand so viel. „Ich wollte sie wegschicken, sobald sich die Angelegenheiten hier etwas beruhigt hätten, sie mit einem Bauern verheiraten – aber das liegt nun nicht mehr in meiner Hand.“

„In wessen Hand sonst?“

Edith deutete einen Knicks an, wobei ihre Schlüssel aneinanderschlugen. Das vertraute Klirren beruhigte sie. „In Eurer natürlich. Ihr seid der neue Lord.“

„Setzt Ihr Euch immer so für die Euch Anbefohlenen ein? Macht es Euch Spaß, deren Leben zu gestalten?“

„Jemand muss sich doch um ihr Wohlergehen kümmern. Außerdem ist Hilda eine Anverwandte und verdient besondere Aufmerksamkeit. Wir haben dieselbe Großmutter. Sie besitzt keine Mitgift, und jeder hier weiß von ihrer Beziehung zu meinem Ehemann. Das mindert ihre Aussichten.“

„Und was macht sie in der Küche, wenn sie eigentlich keine Küchenhilfe ist? Was tut sie gern?“

Edith biss sich auf die Lippe. Unzählige Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sie musste einen Weg finden, Hilda zu beschützen. Immerhin hatte sie ihr versprochen, dass sie heute nicht in die Halle gehen müsste. In ein paar Tagen sah sie die Dinge vielleicht anders, dann würde sie sie wieder zu sich holen. „Sie zieht es vor, in der Küche zu arbeiten“, antwortete Edith ausweichend.

„So sieht es also aus, wenn Ihr Rache übt?“, fragte er spöttisch.

Edith straffte die Schultern. Genug der Erklärungen. Brand Bjornson hatte sie für heute schon genug gedemütigt. „Es war Hildas Wunsch. Die Arbeit entspricht ihren Anforderungen.“

„Das glaube ich gern.“ Sein Blick wurde kalt. „Sorgt dafür, dass sie in der Halle auftaucht, und zwar in ihrem besten Gewand.“

„Ist das ein Befehl?“

Langsam ließ er eine Hand bis zur Hüfte wandern – fast so, als suchte er die Axt, die er zuvor getragen hatte, um endlich ihren Kopf in zwei Hälften zu schlagen. „Wenn Ihr es nicht freiwillig tut, ja, dann nehmt es als einen Befehl. Wenn Eure Leute erst sehen, dass sich zwei northumbrische Frauen unter Wikingern wohlfühlen, werden ihre Ängste vielleicht gemindert.“

„Schön, ich werde es ihr sagen.“ Edith fasste sich mit einer Hand an die schmerzende Stirn. Mit jedem Atemzug wurde ihr klarer, dass ihre schnelle Entscheidung, sein Angebot anzunehmen, einer Katastrophe gleichkam. Sie berührte den Schlüsselbund, was ihr Zuversicht verlieh. Wieder einmal sagte sie sich, dass er nicht für immer bleiben würde. Irgendwann hätte sie ihre Stellung als Herrin des Hauses zurück. „Kein Küchendienst mehr für meine Cousine.“

„Und in Zukunft überlasst Ihr Anordnungen bezüglich des Haushalts mir. Keine unliebsamen Aufgaben für Menschen, die Ihr nicht mögt.“ Er streckte seine Hand aus. „Auch gebt Ihr mir besser Eure Schlüssel. Ihr werdet sie ohnehin nicht brauchen. Die Vorräte stehen unter meiner Aufsicht.“

Edith rang nach Luft. Diese Schlüssel hatte sie seit dem Tod ihrer Mutter immer bei sich getragen. Ohne sie würde sie sich nackt fühlen. Ohne sie würde nichts mehr funktionieren. „Ich bin es nicht gewöhnt, untätig herumzusitzen. In praktischen Dingen bin ich wirklich gut. Ich weiß, wo alles ist, was erledigt werden muss und in welcher Reihenfolge.“

„Was zum Beispiel?“

„Die Buchhaltung prüfen. Ich kümmere mich jeden Abend darum. Macht Euch keine Sorgen. Ich bin keine Diebin.“ Edith biss sich auf die Lippe. Sie musste es endlich zugeben, bevor sie einen Schritt weiter gingen. Hilda heute zu sehen, die Art wie, sie sich bewegte, hatte es noch einmal deutlich gemacht: Sie war keine Konkubine und nicht für das Vergnügen eines Mannes geschaffen. Sie war eine Frau, die ein Mann heiratete, weil sie eine anständige Mitgift mitbrachte. „Ihr scheint den falschen Eindruck von mir zu haben. Ich bin als … als Konkubine völlig ungeeignet. Aber einen Haushalt, den kann ich führen.“

„Ich führe meinen Haushalt selbst.“ Sein Tonfall verbat jeden Widerspruch. „Die Schlüssel, Lady Edith. Oder muss ich sie Euch vom Gürtel reißen?“

Er würde nicht zögern. Der Barbar! Hildas Geschichten enthielten mehr als nur einen Funken Wahrheit. Es war nicht schwer sich vorzustellen, wie er auf dem Schlachtfeld wütete. Ohne ein Wort zu sagen, löste sie die Schlüssel von ihrem Gürtel und legte sie in seine Hände. Seltsamerweise fühlte sie sich leichter, doch gleichzeitig auch nackt und entblößt. Dieses Gefühl von Nacktheit symbolisierte perfekt ihre neue Position als seine Sklavin. Edith versuchte, Haltung zu bewahren. Sie würde jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Schließlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er die Schlüssel von ihr fordern würde.

Für einen Moment ließ er den Bund in seiner Hand ruhen, bevor er ihn in einen Beutel gleiten ließ, der am Gürtel befestigt war.

„Ein großer Haushalt ist etwas anderes als ein Kriegslager“, widersprach Edith. „Es braucht lange, sich mit der Führung auszukennen.“

„Ich habe Zeit.“

„Ich wollte nur helfen, falls …“

Er verzog die Lippen zu einem bitteren Lächeln. „Falls ich nur für die Schweineställe tauge?“

„Das habe ich nicht gesagt.“ Insgeheim betete sie, er würde Vernunft annehmen. So blind konnte er doch nicht sein. Er musste verstehen, dass sie in Liebesdingen völlig unbegabt war und dass es besser war, ihr allein die Verantwortung für den Haushalt zu überlassen. Männer sollten sich nicht mit solchen Dingen herumschlagen.

Seine Gesichtszüge verhärteten zusehends, wirkten nun, als wären sie in Stein gehauen. Es war leicht zu erahnen, warum sich die Gerüchte um seine Unbarmherzigkeit so hartnäckig in Northumbrien hielten.

„Ich weiß, was zu tun ist. Und seid versichert, dass ich bald herausfinde, welcher Schlüssel welche Tür öffnet. Ihr werdet sehen, ich lerne schnell.“

Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. Natürlich würde er herausfinden, wo sie alles versteckt hielt. Statt sich mit Hildas Problemen aufzuhalten, hätte sie besser die Schlüssel einbehalten, die sie dringend brauchte. Doch diese nachträgliche Einsicht kam zu spät.

„Und was schlagt Ihr vor, soll ich jetzt tun? Selbst mit dem Schweinehüten anfangen?“ Sie lachte bitter auf.

Eine eigenartige Hitze schien in seinem Blick aufzuglühen. „Es ist immer gut, eine neue Fähigkeit zu erlernen. Ihr werdet sehen, auch die Kunst der Verführung wird Euch immer leichterfallen. Ich habe übrigens nicht vor, Euch für die Schweinezucht zu begeistern.“ Mit seinen blauen Augen funkelte er sie an.

Ihre Kehle war staubtrocken. Hastig schluckte Edith und versuchte gleichzeitig, die warme Flut zu leugnen, die ihren Körper durchströmte. Kein Mann hatte das Recht, so gut auszusehen. „Die Kunst der Verführung? Und wer wird mein Lehrer sein? Ihr?“

„Hegt Ihr dabei etwa Hintergedanken, Lady? Ihr dürft mich immer noch anflehen, Euch ins Kloster gehen zu lassen – natürlich nur, wenn Ihr es wünscht.“ Lässig kreuzte er die Arme vor der Brust. „Vielleicht mag ich es ja, wenn man mich anfleht.“

„Ihr wisst gar nichts über mich.“ Trotzig blickte sie ihn an. „Ich habe mein Wort gegeben und werde es auch halten. Das habe ich immer getan.“

„Nun, wo liegt dann das Problem?“ Er strich mit dem Finger über ihre Wange, was einen köstlichen Schauer durch ihren Leib fahren ließ. Sie versuchte, das Gefühl zu unterdrücken, doch es wurde immer stärker.

„Ich wollte Euch nur auf mein Unvermögen hinweisen, was die Kunst der Verführung betrifft. Ich persönlich habe es immer vorgezogen, die Leute ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen.“

Aus seiner Kehle drang ein ungeduldiges Knurren, was sie auf der Stelle verstummen ließ.

„Ich nehme doch an, Ihr beherrscht Brettspiele, könnt singen und beherrscht die Kunst der Unterhaltung?“, fragte er in einem Tonfall, aus dem überdeutlich Ironie zu hören war. „Außerdem seid Ihr mit der Geschichte und Kultur Northumbriens vertraut?“

„Ja natürlich“, entgegnete Edith empört. Nahm dieser Wikinger, dieser Barbar, etwa an, sie sei eine unzivilisierte Wilde?

Er lehnte sich so weit vor, dass seine Stirn die ihre berührte. „Eure neue Rolle sollte Euch keine weiteren Probleme bereiten. Denkt einfach immer daran, dass Ihr mir Vergnügen bereitet, dann werden wir gut miteinander auskommen. Ich bin sehr großzügig zu denen, die mir Vergnügen bereiten.“

„Aber …“

Sein Atem streifte ihre Wange. „Ihr fürchtet vielleicht, wir passen nicht zueinander. Ihr fürchtet, dass ich nicht auf Eure Gefühle eingehen könnte, weil ich mein ganzes Leben als Krieger zugebracht und auf dem Boden statt auf einem weichen Lager geschlafen habe. Ihr fürchtet den Barbaren in mir.“

Edith schüttelte heftig den Kopf, vielleicht zu heftig. Gegen ihren Willen fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Seine Nähe ließ ihr Inneres erbeben. Verzweifelt versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen, doch sie konnte an nichts anderes denken als an seine blauen Augen, seine breiten, kräftigen Schultern und seine starken Arme. „Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie Ihr die Nächte zugebracht habt, und ich weiß wirklich nicht, was Eure Bedürfnisse sind.“

„Soll ich es Euch vielleicht zeigen? Meine Bedürfnisse sind sehr einfacher Natur.“ Schnell legte er die Hände auf ihre Schultern, sodass sie sich nicht rühren konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte. Eine wohlige Wärme schien von seinen Händen auszugehen, die sich ganz auf ihren Körper übertrug.

Vorsichtig hob Edith den Kopf und sah, dass er spöttisch lächelte. Er hatte also vor, ihr eine Lektion zu erteilen. Ein Zittern durchfuhr sie, als sie an die Lektion dachte, die Egbert ihr einst erteilt hatte. Die Striemen waren noch über Wochen zu sehen gewesen. Sie schluckte schwer, kniff die Augen zusammen und hoffte auf das Beste.

„Habt keine Angst vor mir“, flüsterte er. „Es wird nicht wehtun. Ich habe noch keiner Frau je Schmerzen zugefügt.“

Langsam senkte er den Kopf, und sein Mund berührte ihren, zärtlicher, als sie es je für möglich gehalten hätte, und doch fest genug, dass sie sich sicher sein konnte, nicht bloß zu träumen. Sein Kuss war forschend und suchend, nicht hart und fordernd.

Als sie es endlich wagte, ihre Augen zu öffnen, waren alle Spuren von Spott und Häme aus seinem Blick verschwunden.

Immer fester drängte sich ihr Körper an seinen, und sie spürte die Kraft seines gestählten Oberkörpers ganz unmittelbar. Etwas zögerlich ließ sie ihre Hand an ihm hinaufwandern und öffnete schließlich die Lippen, kostete die seinen. Sie schmeckten wundervoll, und als sie darüberstrich, wuchs das Verlangen in ihr. Leise, aber hörbar stöhnte sie auf.

Brand hob den Kopf, beendete den Kuss. Er ließ ihre Schultern los, trat einen Schritt zurück und musterte sie mit einem zynischen Lächeln.

„Ich denke, ich habe die richtige Person für diese Position gefunden, ungeachtet Eures Einwands.“

Wohl wusste Edith, dass sie zu schnell atmete, auch fühlten sich ihre Lippen leicht geschwollen an – Schande über sie! Sie hatte es wieder getan. Wieder hatte sie unangemessen reagiert.

„Was sollte mir das beweisen?“, fragte sie und zwang sich, eine Augenbraue zu heben. Wie sie es hasste, dass sie noch immer außer Atem war!

Er deutete ein Lächeln an. „Dass Ihr eine gute Konkubine seid … nun, sein werdet.“

„Ich weiß nicht, wovon Ihr da redet.“ Verlegen fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen, eine Geste, die ihm nicht entging.

„Wirklich nicht? Dann denkt gut darüber nach. Die Antwort wird Euch schon bald einfallen, da bin ich ganz sicher, Lady Edith.“

Brand versuchte, seiner Gefühle Herr zu werden, sein Verlangen zu unterdrücken. Nie war er einer Frau nachgelaufen. Immer kamen sie zu ihm. Lady Edith mochte vielleicht mit Riesenschritten vor ihm davongelaufen sein, als wäre er die Ausgeburt der Hölle, doch da war etwas in ihrem Kuss gewesen. Sie würde zurückkommen, würde mehr wollen. Vorsichtig fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, um zu schmecken, ob es der Geschmack ihres Mundes war, der seinem noch immer anhaftete, oder nur die Erinnerung an ihre honigsüßen Lippen.

Frauen waren etwas für den Moment. Besser, man ließ sie nicht in sein Herz. Er hatte schließlich erfahren, was geschah, wenn man sich verliebte und nichts als Narben davontrug, weil man es gewagt hatte, eine Frau zu lieben, die dem eigenen Halbbruder versprochen war. Gedankenverloren strich sich Brand über den Nacken. Seine Lektion hatte er sehr früh gelernt: Vertraue nie einer Frau – besonders der nicht, die dir in schweren Zeiten Liebe schwört.

„Du denkst, du gewinnst, Lady Edith. Doch ich kenne deine Sorte. Du magst die Schüchterne spielen, aber du bist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Frau meines Vaters“, murmelte er. Schnell griff er in den Beutel, wo er den Schlüsselbund aufbewahrte. Wie schwer es ihr gefallen war, sich davon zu trennen! Er würde herausfinden, welcher Schlüssel welche Tür öffnete und was sie vor ihm zu verstecken suchte. Immerhin hatte sie gelernt, dass man ihn nicht wie einen Idioten behandelte. „Du wirst schon lernen, wer hier der Herr im Hause ist. Und ich werde ganz genau herausfinden, was deiner Meinung nach nicht mir gehört! Ich werde all deine Geheimnisse lüften, Mylady!“

„Ah, da bist du ja, Brand“, rief Hrearek und steuerte zielsicher auf ihn zu. Ein breites Grinsen lag auf seinem wettergegerbten Gesicht. „Ich sollte dir Bescheid sagen, wenn wir etwas finden. Nun, wir haben einen verschlossenen Vorratsschuppen gefunden. Durch eine Ritze in den Brettern konnten wir sehen, dass er Wolle enthält.“

„Ich hatte also recht.“

„Die Götter lieben dich, Brand“, rief Hrearek begeistert. „Die Frau hat die Wahrheit gesagt. Dieser Hof erwirtschaftet anscheinend eine Menge, auch wenn man es vor uns verstecken wollte. Du bist wirklich ein Glückspilz. Wie machst du das nur? Immer und immer wieder?“

„Je härter ich für etwas gearbeitet habe, desto glücklicher wurde ich. Das ist auch schon mein einziges Geheimnis.“

Hrearek runzelte die Stirn. „Schön, wenn du nicht damit rausrücken willst, dann eben nicht. Mit deinem Erfolg hat es bestimmt noch etwas anderes auf sich. Du musst unter einem glücklichen Stern geboren worden sein.“

„Das kommt dir jetzt vielleicht so vor. Vor zehn Jahren hätte das noch niemand von mir behauptet. Nun, wo befindet sich der verschlossene Schuppen? Du hast dich hoffentlich an meine Order gehalten und die Türen nicht eingetreten.“

„Wie kommen wir dann hinein?“

„Ich besitze den Schlüssel. Lady Edith zeigte sich sehr entgegenkommend.“ Stolz holte Brand den Schlüsselbund hervor. Er hatte nicht die geringsten Zweifel, dass Lady Edith von dem Schuppen wusste und sie für den wirtschaftlichen Erfolg dieses Hofs verantwortlich war. Dass sie versuchte, diesen Umstand vor Plünderern zu verbergen, war eine Sache, eine andere war es jedoch, die versteckten Reichtümer für die Durchführung eines erneuten Aufstandes zu nutzen. „Auch dieser Vorratsschuppen gehört jetzt mir. Zeig ihn mir.“

„Mit Vergnügen.“

Autor

Michelle Styles
<p>Obwohl Michelle Styles in der Nähe von San Francisco geboren und aufgewachsen ist, lebt sie derzeit mit ihrem Ehemann, drei Kindern, zwei Hunden, zwei Katzen, Enten, Hühnern und Bienenvölkern unweit des römischen Hadrianswalls im Norden Englands. Als begeisterte Leserin war sie schon immer an Geschichte interessiert, darum kann sie sich...
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