Die Geliebte des italienischen Grafen

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"Das ist mein Vorfahr, seine Frau - und seine Geliebte." Ein erregender Schauer überläuft die hübsche Journalistin Carla. Direkt neben ihr steht Conte Cesare di Mondave und kommentiert süffisant das historische Gemälde, über das sie schreiben will. Sie weiß, dass der italienische Graf bald heiraten wird. Aber warum schaut er sie jetzt voller Verlangen an? Möchte er wie all seine Urahnen Ehefrau und Geliebte haben? Carla wäre mit der zweiten Stelle in Cesares Herzen nie zufrieden! Das glaubt sie jedenfalls, bis er sie in seinen Palazzo einlädt …


  • Erscheinungstag 17.07.2018
  • Bandnummer 2344
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710279
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Zum wiederholten Male schaute Carla auf ihre Armbanduhr und ließ dann den Blick durch das gut gefüllte Restaurant in Richtung Eingang schweifen. Wo war er? Angst stieg in ihr auf und noch ein anderes Gefühl – stärker als alles, was sie bisher erlebt hatte. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie es ausgerechnet für den Mann empfinden würde, auf den sie jetzt wartete.

Im Nachhinein war sie sich nicht sicher, ob sie sich ihre Gefühle nicht vielleicht nur eingebildet hatte. Genau deshalb wollte sie ihn unbedingt wiedersehen. Sie wollte sehen, wie er mit großen sicheren Schritten den Raum betrat, weil er unbewusst davon ausging, dass die Menschen ihm Platz machen würden. Er bewegte sich in dem Wissen, dass niemand ihm jemals etwas verweigern würde.

Auch sie hatte ihn nicht abgewiesen, hatte ihm nichts verweigert, sondern vielmehr alles gewährt. Alles, was er von ihr verlangt hatte. Seit dem ersten Moment, als sie seinen Blick aus den dunklen Augen auf sich gespürt hatte, war es um sie geschehen gewesen. Mit einem Mal war sie felsenfest davon überzeugt, dass er der einzige Mann auf der Welt war, der jemals eine solche Wirkung auf sie haben würde. Und dieser Moment brannte sich in ihre Seele ein … und in ihr Herz.

Erinnerungen an ihre erste Begegnung stiegen in ihr auf …

Die Schönen und Reichen Roms hatten sich in der Kunstgalerie zur Ausstellungseröffnung eingefunden. Kellner mit Champagner und Canapés wuselten zwischen ihnen umher. Carla grüßte mal links, mal rechts, während sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte.

Sie griff nach einem Glas Champagner und wusste, dass sie dazugehörte. Oh, nicht von Geburt an, aber als Stieftochter des Multimillionärs Guido Viscari durfte sie sich mit einer gewissen Berechtigung in diesen Kreisen bewegen.

Ihr Cocktailkleid aus schimmernder dunkelblauer Rohseide stammte von einem der momentan angesagten Modehäuser. Darin unterschied sie sich kaum von den anderen anwesenden Frauen in ihren Couture-Kleidern. Auch ihr Gesicht, das wusste sie, bestand jede Prüfung. Ihre Züge wirkten ein wenig extravagant, in ihren Augen loderte manchmal ein helles Feuer, und in ihren vollen Lippen konnte man einen leisen Hinweis auf ihre sinnliche Natur lesen.

Sie besaß ein hübsches Gesicht, das männliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Auch jetzt spürte sie die Blicke der Männer auf sich – vor allem, weil sie ohne Begleiter hier war. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gästen, die nur gekommen waren, um auf angenehme Weise ein oder zwei Stunden zu verbringen, bevor sie ihr Dinner einnahmen, hatte sie einen echten Grund, hier zu sein.

Aber sie hatte sich an die beständigen Blicke gewöhnt, mit denen italienische Männer Frauen bedachten. Vor zehn Jahren, als sie als Teenager aus England nach Italien gekommen war, hatte dieses Verhalten sie schockiert und verwirrt, doch mittlerweile war sie abgehärtet. Jetzt bemerkte die die Blicke, die ihr zugeworfen wurden, kaum noch.

Außer … Abrupt hielt sie in der Bewegung inne, das Champagnerglas halb an die Lippen gehoben. Jemand schaute sie an. Jemand, dessen Blick sie wie eine körperliche Berührung fühlen konnte. Unauffällig musterte sie die Umgebung. Da war jemand, der sie zum Zentrum seiner Aufmerksamkeit machte.

Und dann sah sie ihn. Er hatte die Galerie gerade erst betreten. Die hinter einer Theke sitzende Rezeptionistin sah immer noch lächelnd zu ihm auf. Doch er ignorierte sie und blickte sich stattdessen in der Galerie um. Carla spürte, wie ein Schauer sie durchlief, denn er hielt seinen Blick direkt auf sie gerichtet.

Ihr stockte der Atem. Hitze wallte in ihr auf. Der Neuankömmling, der sie gerade zum Mittelpunkt seiner Beobachtungen gemacht hatte, war der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte.

Er war groß, besaß einen muskulösen Körper mit breiten Schultern und markante Gesichtszüge. Seine Nase wirkte leicht gebogen, Haare und Augen schimmerten nachtschwarz. Und auf seinen Lippen lag ein Ausdruck, der seltsame Dinge mit ihr anstellte.

Unbekannte Dinge …

Dinge, die sie noch nie im Leben gespürt hatte.

Die Hitze in ihrem Körper breitete sich weiter aus. Auf einmal überkam sie das Gefühl, sich nicht mehr bewegen zu können.

Wie lange er sie so eindringlich anstarrte, vermochte sie nicht zu sagen, aber es kam ihr endlos vor.

Und dann, ganz plötzlich, war sie wieder frei. Ein anderer Mann begrüßte ihn überschwänglich, sodass er den Kopf abwandte.

Gierig holte sie Luft. Sie fühlte sich bis ins Mark erschüttert. Was war da gerade passiert?

Die Frage wirbelte in ihrem Kopf. Wie konnte ein einziger Blick eine solche Wirkung auslösen?

Hastig trank sie einen Schluck Champagner. Vielleicht half die kühle Flüssigkeit, die Hitze aus ihrem Körper zu vertreiben. Carla wandte sich ab und machte sich daran, endlich das zu erledigen, weshalb sie hergekommen war, und betrachtete die Porträts, die in der Galerie ausgestellt wurden.

Ihr Blick fiel auf das Bild unmittelbar vor ihr.

Abermals durchlief sie ein kleiner Schock, denn schon wieder schaute sie in zwei nachtschwarze Augen. Und zwar in dieselben Augen.

Nachtschwarz, nachdenklich, sinnlich …

Die Augen in dem Porträt schienen sie mit der gleichen Eindringlichkeit zu mustern, wie der Mann vorhin.

Sie zwang sich, den Blick von dem Gemälde abzuwenden. Stattdessen suchte sie die kleine Plakette unterhalb des Rahmens. Eigentlich brauchte sie die Beschreibung nicht zu lesen. Sie wusste, wer der Künstler war.

Andrea Luciezo, neben Tizian einer der ganz Großen der Hochzeit der Renaissance und bekannt für den unvergleichlichen Stil seiner Werke.

Ihr Blick wanderte vom Namen des Künstlers zu dem des Porträtierten. Ja, natürlich.

Erneut betrachtete sie den Mann auf dem Bild. Es schien, als würde er jeden Betrachter seinerseits aus dunklen Augen abschätzen. Sie betrachtete die markanten Gesichtszüge, das rabenschwarze Haar, das ihm bis zum Nacken reichte. Der Spitzbart, ganz der damaligen Mode entsprechend, konnte die Sinnlichkeit seiner Lippen nicht verbergen. Er trug ein Wams aus schwarzem Samt, dazu einen weißen, streng plissierten Kragen. Eine breite goldene Kette ruhte auf seiner breiten Brust.

Das Porträt zeigte einen Mann, der sich seines Wertes sehr genau bewusst war. Arroganz lag in seinen Augen, in der Haltung seines Kopfes, in der Präsentation seines Oberkörpers. Diesem Mann wurde jeder Wunsch erfüllt – ganz gleich, um was es sich handeln mochte …

Plötzlich erklang eine Stimme hinter ihr. Tief und samtig. Mit einem Timbre darin, das ein sanftes Prickeln über ihren Körper sandte.

„Also“, sagte er, während sie wie erstarrt vor dem Gemälde stand, „was denken Sie über meinen Vorfahren Conte Alessandro?“

Carla drehte sich um – und schaute in die lebende Version der dunklen Augen, die sie gerade noch in Öl gemalt gesehen hatte.

Cesare di Mondave, Conte di Mantegna.

Besitzer des unbezahlbaren Luciezo-Porträts seines Vorfahren und darüber hinaus unermesslich reich. Ein Mann, dessen Ruf ihm vorauseilte – der Ruf, auf dieselbe Weise zu leben wie seine berühmten Ahnen: als ob die ganze Welt ihm gehörte. Niemand verweigerte ihm etwas. Und jede Frau, die er mit Wohlwollen betrachtete, sagte nur ein einziges Wort.

Ja.

Und als Carla jetzt seinen Blick erwiderte und die Kraft, die darin lag, spürte, wusste sie mit einem Anflug von Fatalismus, dass dies auch das einzige Wort war, das sie erwidern wollte.

„Nun?“

Als sie wieder seine tiefe Stimme hörte, wurde ihr klar, dass sie antworten musste. Aber sie würde ihn ein bisschen zappeln lassen.

Bedächtig betrachtete sie noch einmal das Bild. „Ein Mann seiner Zeit“, sagte sie schließlich.

Im Gegensatz zu dir. Du bist nämlich kein Mann deiner Zeit.

Langsam formten sich diese Worte in ihrem Kopf. Nein, der momentane Conte di Mantegna war kein Mann des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Das konnte sie an jeder Linie seines strengen Gesichts sehen. In der unbewussten Hebung des Kinns, in dem Zusammenziehen der dunklen Augenbrauen, während er auf ihre Antwort wartete, wurde seine adelige Herkunft lebendig.

„Was meinen Sie damit?“

Wieder verlangte die Frage eine sofortige Beantwortung.

Doch Carla widmete sich erneut erst dem Porträt und ging die Worte noch einmal durch, die sie sich zurechtgelegt hatte. „Seine Hand ruht auf dem Knauf seines Schwertes“, erklärte sie. „Er wird jeden töten, der ihn beleidigt. Ganz gleich, wie groß Luciezos Genie auch sein mag, er hat die Prozedur des Modellsitzens nur auf sich genommen, um dieses glorreiche Bild zu besitzen. Aber Luciezo ist es gelungen, diese Arroganz mit jedem Pinselstrich einzufangen.“

Sie wandte sich wieder zu Cesare um. Ihre Antwort gefiel ihm nicht – genau wie sie vorausgesehen hatte.

Seine dunklen Augen blitzten auf. „Sie verwechseln Arroganz mit Stolz. Stolz nicht auf sich selbst, sondern auf seine Familie, seine Herkunft, seine Ehre. Eine Ehre, die er mit dem Schwert und seinem Leben zu verteidigen bereit war. Die er verteidigen musste, weil ihm keine andere Wahl blieb. Den Blicken des Künstlers hielt er stand, weil er wusste, was er seinem Haus und seinem Erbe schuldig war – nämlich es zu schützen und zu bewahren. Sein Porträt wird die Zeit überdauern, während er selbst längst zu Staub geworden ist.“

Er musterte die nachtschwarzen Augen des Mannes in dem Gemälde.

Als ob die beiden Männer miteinander kommunizieren, schoss es Carla durch den Kopf.

Sie zog die Augenbrauen zusammen. Eine seltsame Vorstellung, dass ein Mann der Gegenwart seinem eigenen Vorfahren in die Augen schauen konnte. Allein das unterschied il Conte von den meisten anderen Menschen: Wer konnte schon seinen Stammbaum durch die Jahrhunderte hindurch zurückverfolgen?

Carla unterdrückte ein freudloses Lachen. Sie selbst kannte nicht einmal ihre eigenen unmittelbaren Vorfahren. Ihr Vater war kaum mehr als ein Name für sie – ein Name, den sie nur erhalten hatte, weil er ihre Mutter heiraten musste, nachdem sie schwanger geworden war. Er starb bei einem Verkehrsunfall, als sie noch ein kleines Kind war. Ihre Schwiegereltern wollten mit der jungen Witwe nichts zu tun haben. Deshalb zog ihre Mutter sie alleine groß. Erst als sie schon ein Teenager war, heiratete ihre Mutter ein zweites Mal.

Ich weiß mehr über die Familie meines Stiefvaters als über die meines echten Vaters!

Für einen Mann wie il Conte musste es völlig unverständlich sein, nichts über seine Herkunft zu wissen. Aus diesem Grund überraschte sie seine Antwort auch nicht.

„Dann ist es allein Luciezos Meisterschaft zu verdanken, dass es ihm gelungen ist, all dies in seinem Porträt zu vermitteln“, erwiderte sie. „Ohne sein Genie bliebe von Ihrem Vorfahren nur Staub.“

In ihrer Stimme lag jetzt eine trotzige Note. Denn ganz gleich, über was für eine illustre Ahnenreihe der Conte di Mantegna auch verfügen mochte, niemand dufte sich mit dem unvergleichlichen Genius eines so großen Meisters wie Andrea Luciezo vergleichen!

Abermals blitzten die dunklen Augen ihres Gegenübers auf. „Werden wir nicht alle irgendwann zu Staub zerfallen?“, murmelte er. „Aber bis dahin …“

Irgendetwas an seinem Tonfall ließ sie aufhorchen.

Carpe diem … sagt man nicht so?“

„Nutze den Tag?“, hörte Carla sich selbst sagen. Doch in ihrem Kopf war sie nur damit beschäftigt, dem plötzlichen Timbrewechsel in seiner Stimme zu lauschen. Auch in seinen Augen konnte sie jetzt eine Veränderung erkennen. Er schaute sie an. Und ihm gefiel, was er sah.

Dieses Wissen sandte eine Hitzewelle durch ihren Körper.

„Oder … wir könnten den Abend nutzen?“, ergänzte er.

An der Botschaft in seinen Worten bestand kein Zweifel. Überhaupt keiner. In seinen dunklen Augen schimmerte eine uralte Botschaft.

Sie gefiel ihm. Zumindest ihr Äußeres, selbst wenn er ihre Worte nicht mochte. Doch ihre kleine Unterhaltung diente ohnehin nur der Kontaktaufnahme … es war nur das Vorgeplänkel zu seinem eigentlichen Ziel.

Ein Ziel, das er nun deutlich formulierte.

„Essen Sie heute Abend mit mir.“

So einfach war das. So direkt. Sie wusste, welche Antwort sie diesem beeindruckenden und verführerischen Mann geben sollte, der sich keinerlei Mühe machte, seine wahren Absichten zu verbergen.

In solchen Situationen hatte sie immer Nein gesagt. Die wenigen Beziehungen, die sie bislang eingegangen war, hatte sie nie mit Italienern geführt. Und niemals hatte sie zugelassen, dass sie sich emotional zu tief verstrickte. Freundschaft und ein paar Gemeinsamkeiten hatten ihr bisher gereicht. So war es sicherer. Sicherer, als einer körperlichen Anziehung nachzugeben, die zwar eine flammende Leidenschaft entfachen, aber nur schwer wieder zu löschen sein konnte.

Schließlich wusste niemand besser als sie, wohin das führen konnte. Ihre eigene Mutter hatte sich unsterblich in einen Mann verliebt, der nicht zu ihr stehen wollte, als sie unerwartet schwanger wurde.

Sein eigener Vater hatte ihn letztendlich zur Ehe gezwungen, doch ein glückliches Ende war ihren Eltern nicht beschieden gewesen. Ihr Vater hatte die Ehe nicht gewollt, die Rolle als Vater schon gar nicht, und hatte sich von ihrer Mutter getrennt, kurz bevor er ums Leben kam.

War es da verwunderlich, dass sie davor zurückschreckte, denselben Fehler zu begehen? Die Frage stellte Carla sich nicht zum ersten Mal.

Und genau aus all diesen Gründen gab es nur eine einzige vernünftige Antwort, die sie diesem arroganten Mann geben konnte. Und doch brachte sie es nicht über sich, die Worte laut auszusprechen. Stattdessen gelang es ihr nur, ein knappes Lächeln aufzusetzen und den Blick zu senken, damit er ihre wahren Gefühle nicht erkannte, und seiner Frage mit einer Gegenfrage auszuweichen.

„Also … haben Sie der Galerie auch andere Gemälde für die Ausstellung zur Verfügung gestellt?“

Ihre Stimme klang harsch und ein wenig atemlos, aber das war ihr egal. Es kostete sie viel Kraft, den Kopf zu heben und ihn unverwandt anzusehen – und noch viel mehr, weil in seinen Augen das Verstehen aufblitzte, weshalb sie seine Frage unbeantwortet gelassen hatte.

Aber zu ihrer Erleichterung folgte er ihrem Ablenkungsmanöver.

„In der Tat“, erwiderte er. In seinen Augen funkelte noch immer ein amüsierter Ausdruck. „Dieser Luciezo ist Teil eines Triptychons. Die anderen beiden Porträts werden gleich gegenüber ausgestellt.“ In seiner Stimme schwang eindeutig Verärgerung über die Entscheidung des Kurators mit, die beiden Gemälde in einer Nische am entfernten Ende der Galerie zu präsentieren. „Wollen wir?“

Und Carla folgte ihm.

Bei den Bildern angekommen, blieb er stehen und hob eine Hand. „Was halten Sie von ihnen?“

Mit geübtem Blick betrachtete Carla die Gemälde. Sofort erkannte sie die Kunstfertigkeit, mit der sie gemalt worden waren. Ihre Augen verengten sich ein wenig. Aber nicht von Luciezo.

„Caradino?“, schätzte sie.

In dem Blick, mit dem er sie bedachte, lagen Überraschung und Anerkennung. „Caradino“, bestätigte er und schwieg einen Moment. „Viele schreiben seine wenigen erhaltenen Werke Luciezo zu.“

Carla schüttelte den Kopf. „Nein. Zwischen den beiden gibt es deutliche Unterschiede.“

Erneut betrachtete sie die Werke, widmete sich der Pinselführung, dem Spiel mit Licht und Schatten. Anschließend schaute sie sich die beiden porträtierten Frauen genauer an.

Eine der Frauen war sehr schön und blass. Sie war verheiratet, was durch verschiedene Attribute veranschaulicht wurde. Sie trug Perlenohrringe, auf ihrem Schoß lag ein Myrtenzweig, eine Schüssel mit Quitten stand auf dem Tisch unmittelbar neben ihr. Und doch ging etwas von ihr aus, etwas fast Jungfräuliches, als ob sie mit anderer Kleidung und anderen Attributen hätte Modell für die Jungfrau Maria stehen können.

In ihren langen schmalen Fingern hielt sie ein silbernes Kruzifix. Carla musterte die Augen der Frau, aus denen Traurigkeit sprach. Als ob sie, genau wie die Jungfrau Maria, um die großen Schmerzen wusste, die sie in Zukunft würde erleiden müssen.

Carla wandte sich dem anderen Porträt zu. Es zeigte eine ebenfalls junge Frau. Ihr Kleid war von einem leuchtenden Rot, nicht von einem zurückhaltenden Himmelblau. Es war tief ausgeschnitten, sodass ihr üppiger Busen und ihre helle Haut betont wurden. In ihrer Hand hielt sie rote Rosen. Rubine schimmerten an einer Halskette und an mehreren Ringen. Ihre Hände ruhten auf ihrem Bauch, an dem sich eine ganz leichte, aber doch unverkennbare Rundung abzeichnete.

Ihr Gesicht war auf eine sinnliche Weise schön, eingerahmt von dunklen Locken, die Wangen gerötet, die Lippen voll und verführerisch.

„Wer sind die beiden?“

„Können Sie es nicht erraten?“, fragte er. Er ließ seinen Blick zurück zu seinem Vorfahren auf der anderen Seite der Galerie wandern, dann wieder zu Carla. „Seine Frau … und seine Geliebte. Er hat sie zur selben Zeit malen lassen, von demselben Künstler. Caradino hat in meinem castello gewohnt und beide porträtiert – eine nach der anderen.“

Carla erstarrte. „Wie nett für die beiden“, sagte sie trocken. „Anscheinend hat Ihr Vorfahre seine Geliebte immer … griffbereit gehalten.“

Doch der Conte ging nicht auf ihren spöttischen Kommentar ein. „Das war in der damaligen Zeit relativ normal. Nichts Außergewöhnliches. Beide Frauen kannten und verstanden ihre Situation.“

Carla presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. „Kennen und verstehen ist nicht dasselbe wie tolerieren und einverstanden sein“, entgegnete sie.

„Damals besaßen Frauen keine Rechte.“ Sein Blick umwölkte sich. „Und immerhin kümmerte sich mein Vorfahre ausgesprochen gut um seine Geliebte.“

„Sie ist schwanger von ihm“, versetzte Carla.

Sie spürte, wie ein Gefühl in ihr aufstieg, das sie nicht empfinden wollte, doch mit schierer Willenskraft ließ es sich nicht vertreiben.

„Ein hervorragender Weg, sich des Schutzes durch den Conte zu versichern“, stimmte Cesare ihr zu. „Ich glaube, sie bekamen im Lauf der Jahre mehrere Kinder. Er war ihr sehr treu. Ungewöhnlich für die damalige Zeit.“

Automatisch wanderte Carlas Blick nicht zu der Geliebten, sondern zur Ehefrau. An ihr war kein Zeichen einer Schwangerschaft zu entdecken … und in ihren Augen schimmerte nur unendliche Traurigkeit.

Wie hat sie sich wohl gefühlt? Wie ist sie damit zurechtgekommen? Mit dem Wissen, dass ihr Ehemann mit seiner Geliebten Kinder zeugt? Aber zumindest ein Kind muss auch sie bekommen haben, sonst wäre die Linie ausgestorben … Was ja offensichtlich nicht der Fall ist.

„Aber genug von meinen Vorfahren. Haben Sie die anderen Ausstellungsstücke schon gesehen?“

Seine Stimme holte sie zurück in die Gegenwart. Carla wandte sich zu ihm und sah ihn auf einmal in einem ganz anderen Licht. Ihr Blick wanderte an ihm vorbei zurück zu dem Porträt von Conte Alessandro, dem es keine Probleme bereitet hatte, seine Ehefrau und seine Geliebte gleichzeitig malen zu lassen.

Eine Welle weiblicher Entrüstung stieg in ihr auf, als sie wieder den aktuellen Conte musterte.

„Nicht alle, nein“, erwiderte sie. „Aber das sollte ich jetzt wirklich tun. Ich muss noch fünfzehnhundert Worte über die Ausstellung schreiben.“ Sie nannte das Kunstmagazin, für das sie schrieb, als könne sie, indem sie ihre beruflichen Absichten betonte, sein persönliches Interesse an ihr verringern. „Und deshalb werde ich mir alle Werke genau ansehen müssen.“ Sie hielt ihren Tonfall leicht, aber ernst, und lächelte. Es war ein knappes Lächeln, mit dem sie seine Frage von vorhin endgültig ignorierte. „Vielen herzlichen Dank, Signor il Conte, dass Sie mir diese faszinierenden Porträts gezeigt haben. Es ist immer gut, die Ursprünge eines Bildes zu kennen – erst mit diesem Wissen wird es wirklich zum Leben erweckt. Vor allem, weil ein Künstler wie Caradino so selten ausgestellt wird.“

Wieder lächelte sie. Diesmal war es ein Lächeln, mit dem gemeinhin ein Abschied eingeleitet wurde. Denn Abschied musste sie jetzt nehmen, alles andere wäre …

Innerlich zuckte sie zurück. Daran wollte sie jetzt gar nicht denken. Oder an das, was sie verpasste.

Stattdessen nickte sie nur und wandte sich um. Die Absätze ihrer High Heels klackerten laut auf dem Parkettboden, während sie ging. Sie war sich seines Blickes überaus bewusst, mit dem er ihr nachsah und die Rückseite ihrer wohlgeformten Figur bewunderte, die durch das enge Kleid zusätzlich betont wurde. Am liebsten wäre sie geflüchtet.

Während sie ging, nippte sie an ihrem Champagner. Sie brauchte dringend einen Schluck Alkohol. Sie wusste, dass ihre Wangen rot waren, weil sie ihr Herz sehr hektisch in ihrer Brust schlagen spürte.

Er begehrt mich – der Conte di Mantegna hat mich angesehen, und mein Anblick hat ihm gefallen …

In ihrem Kopf blitzte ein Bild auf. Die Frau von dem Porträt, die Brünette … vielleicht hatte sie im Laden ihres Vaters gearbeitet oder irgendwo die Fußböden gewischt oder vielleicht sogar auf den Feldern gearbeitet … Dann war il Conte vorbeigekommen, hatte sie gesehen, und ihre Schönheit hatte ihm gefallen. Mit einem lässigen Winken seiner aristokratischen Hand befreite er sie aus ihrer Armut, steckte sie in ein feines Seidenkleid, gab ihr Rosen in die Hände, schmückte ihren Hals mit Juwelen und nahm sie mit in sein Bett.

Sie spürte den Reiz, der von dieser Fantasie ausging. Und sie musste sich zwingen, nicht zu vergessen, was damit einherging und welchen Preis die Frau bezahlt hatte.

Ihr Platz war für immer der einer Geliebten geblieben, eine Ehefrau war sie nie geworden.

Und was den Conte anging … oh, er hatte alles bekommen, was er sich wünschte. Seine blasse unterwürfige Frau und seine fügsame willige Geliebte.

Carla schob die Gedanken beiseite und machte sich an ihre Arbeit. Sie betrachtete die anderen Gemälde, las die Beschreibungen im Katalog und interviewte den Kurator der Ausstellung. Anschließend sprach sie mit dem Direktor der Galerie, der sie sehr warmherzig begrüßte – einerseits wegen ihrer beruflichen Funktion, andererseits war sie die Stieftochter des kürzlich verstorbenen Hoteliers Guido Viscari, selbst ein großer Freund der schönen Künste.

So war es auch ihr Stiefvater gewesen, der ihr Interesse an Kunst bemerkte, als sie noch ein Teenager war. Dank ihm hatte sie Kunstgeschichte an den renommiertesten Universitäten in England und Italien studiert. Er hatte sie auch zu einer journalistischen Karriere ermutigt. Und ihr Beruf bereitete ihr große Freude. Carla wusste, dass sie sehr viel Glück auf ihrem Lebensweg gehabt hatte.

Mittlerweile hatte sie ihre Recherchen beendet. Den Abend würde sie damit verbringen, ihre Notizen durchzugehen und den ersten Entwurf ihres Artikels zu schreiben.

Noch während sie sich von einigen Besuchern verabschiedete, bemerkte sie, dass sie unbewusst nach jemandem Ausschau hielt. Sie wusste genau, nach wem sie sich umsah. Und sie wusste auch, weshalb sie es nicht tun sollte. Cesare di Mondave hatte eine ungute Wirkung auf ihren Seelenfrieden, deshalb sollte sie sich jeden Gedanken an ihn verbieten.

Außerdem konnte sie ihn nirgends entdecken, worüber sie dankbar war. Das zumindest redete sie sich ein, denn ihre Bekanntschaft mit Cesare zu vertiefen war ganz und gar keine gute Idee.

Unwillkürlich wanderte ihr Blick dennoch zu dem Porträt seines Vorfahren hinüber – zu Conte Alessandro in all seiner Pracht der Hochrenaissance, der Gesichtsausdruck hart, arrogant und überheblich. Vor ihrem geistigen Auge blitzten die Bilder der Ehefrau und der Geliebten auf. Zwei Frauen, die für immer Rivalinnen bleiben sollten und deren Schicksale untrennbar mit dem Mann verbunden waren, der ihre Porträts in Auftrag gegeben hatte. Hatten sie ihn beide geliebt? Oder nur eine oder sogar keine von ihnen?

Die Frage hallte in ihrem Kopf nach, doch die Antwort darauf war in den Jahrhunderten verloren gegangen. Eines aber vermochte Carla mit fast ironischer Sicherheit zu sagen: Keine Frau sollte etwas mit einem Mann zu tun haben, in dessen Adern das Blut von Conte Alessandro floss. Das war einfach nicht klug.

Und dabei spielte es keine Rolle, dass sein Nachfahre eine Wirkung auf sie ausgeübt hatte, wie noch niemand in ihrem Leben zuvor. Oder dass ein Blick aus seinen dunklen Augen ihren Puls binnen einer Sekunde beschleunigt hatte. Oder dass sie am liebsten im Anblick seines perfekten Gesichts mit den markanten Zügen versunken wäre, dass sie so gerne die Hand ausgestreckt und ihn berührt, die sonnengebräunte Haut an seinem Kinn gestreichelt hätte, mit den Fingerspitzen über die sinnlichen Lippen gestreift wäre … All das spielte überhaupt keine Rolle.

Denn sich auf den arroganten und ach so aristokratischen Conte di Mantegna einzulassen, wäre wirklich eine Dummheit.

Sie war nicht wie die üppige Schönheit in dem Caradino-Porträt. Sie war nicht abhängig von dem Begehren des Conte und immerzu gefangen in der Furcht, dass er eines Tages das Interesse an ihr verlieren könnte. Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Aber auch wie die Frau in dem anderen Bild würde sie niemals sein. Oh, sie bewegte sich durchaus in den Kreisen der High Society von Rom, aber die Viscaris waren Hoteliers. Sie waren reich, aber definitiv nicht adelig. Carla wusste, dass il Conte eine Ehefrau aus seinen eigenen Kreisen wählen würde, mit einem Stammbaum, der zu seinem passte.

Ich wäre für ihn höchstens ein kleines Intermezzo … mehr nicht.

Sie verließ die Galerie und atmete die warme Abendluft des römischen Spätsommers ein. Ein elegantes Cabrio parkte auf dem Bürgersteig unmittelbar vor ihr, der Fahrer hatte offenbar sämtliche Parkverbotsschilder ignoriert. Der Motor schnurrte wie ein Kätzchen, auf der roten Lackierung lag kein einziges Staubkorn, und das Emblem des steigenden Hengstes am Ende der Motorhaube glitzerte ebenso golden in der Sonne wie der Siegelring am Finger des Fahrers.

„Was hat dich aufgehalten?“, fragte Cesare di Mondave, Conte die Mantegna.

2. KAPITEL

Cesares Hand ruhte auf dem lederbezogenen Lenkrad. Er fühlte sich ungeduldig und ruhelos. Es gefiel ihm, dass Carla einen Job zu erledigen hatte – die Frau, von der sein Blick wie magisch angezogen worden war: von ihrer dramatischen Schönheit, ihrer sinnlichen Figur, ihren auffälligen veilchenblauen Augen … aber er konnte es überhaupt nicht leiden, wenn man ihn warten ließ!

Autor

Julia James
<p>Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills &amp; Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
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