Die Kings - 2. Staffel - 7teilige Serie

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DER MILLIARDÄR IN MEINEM BETT
Ja, es stimmt, fast nichts weiß Katie über Rafe Cole. Und doch bedauert sie keine Sekunde des sinnlichen Tanzes am Meer … der Leidenschaft, mit der sie sich zu einer Nacht voller Lust in den Armen dieses sexy gebauten Mannes hat hinreißen lassen. Aber als sie davon zu träumen beginnt, ihren Liebhaber nicht mehr aus ihrem Bett und schon gar nicht mehr aus ihrem Leben zu lassen, findet sie heraus, dass Rafe sie belogen hat. Er ist keineswegs ein einfacher Handwerker, der ihre Küche renoviert, sondern ein Erbe der Milliardärsfamilie King - und somit ihr ärgster Feind!

WIE VERNASCHT MAN EINEN MILLIONÄR?
"Bring mir alles bei!" Lucas‘ tiefe, sexy Stimme treibt Rose das Blut in die Wangen. Was gibt es, was dieser Traummann noch nicht kann? Ach ja - sie kann kochen, er nicht! Und nun soll sie ihm in seiner edlen Küche in der Villa am Pazifik die Geheimnisse von "Man nehme …" zeigen. Ein delikates Angebot - denn solange Rose ihn kennt, glüht in ihr die Leidenschaft. Die schöne Köchin ahnt nicht: Nur aus einem Grund bucht der Millionär aus ihren Träumen den Gourmet-Kurs bei ihr - aus Rache! Er hat mit ihrem Bruder eine Rechnung offen, die Rose bezahlen soll …

ZAUBER EINER KARIBIKNACHT
Es muss an den samtigen Nächten in der Karibik liegen: Das ist die einzige Erklärung für dieses aufregende Prickeln, das Melinda plötzlich spürt! Schließlich verbindet sie mit Sean King nur eine nüchterne Vernunftehe. Zwei Monate lang wird sie Mrs King sein, dann ist alles vorbei. Kein Sex, hatten sie ausgemacht - bis Sean sie in der Hochzeitsnacht heiß küsst. Dieser Kuss ist ein sinnliches Versprechen, eine erotische Verheißung und eine Warnung zugleich: Verlieb dich nie in den Mann, mit dem du nur auf Zeit verheiratet bist …

MIT SICHERHEIT LIEBE

Ein königlicher Palast, unermesslicher Luxus - das, wovon andere träumen, ist für Prinzessin Alexis nur eines: ein goldener Käfig. Um das Leben ohne Zwänge und ohne Leibwache kennenzulernen, reißt die quirlige Adelige aus nach Kalifornien. Dort genießt sie ungeahnte Freiheiten - und die Küsse des attraktiven Garrett King! Doch sie ahnt nicht, dass er ein Top-Sicherheitsexperte ist - engagiert von ihrem Vater, um sie während ihres Abenteuers zu beschützen …

ACHTUNG, HEIß UND SEXY!
Sitzt dieser Typ in einem Whirlpool oder ist er so heiß, dass das Wasser brodelt? Nicole kann keinen klaren Gedanken fassen, seit Griffin King sich Tag für Tag im Nachbarpool räkelt - in nichts als einer gefährlich knappen Shorts. Doch es heißt, dass Griffin von Singlemoms die Finger lässt. Zeit, ihren Bikini anzuziehen und Mr. Sexy in Versuchung zu führen …

SÜßE RACHE UNTER PALMEN
Eine Insel, grün wie ein Smaragd, das Meer, blau wie ein Saphir, und ein Hotel, exquisit wie ein seltener Diamant. Für Rico King ist dieser Ort sein Paradies! Bis Teresa plötzlich vor ihm steht - die Frau, die ihn vor fünf Jahren verraten hat …

VERFÜHRT IN DER VILLA DES MILLIONÄRS
"Ihr zieht in meine Villa am Pazifik!" Fassungslos schaut Dina den Millionär Connor King an. Glaubt dieser arrogante und leider umwerfend attraktive Mann wirklich, dass sie ihm gehorchen muss? Auf der anderen Seite: Vielleicht ist es die beste Lösung. Immerhin müssen sie sich plötzlich gemeinsam um die süßen Drillinge einer verstorbenen Freundin kümmern. Doch Dina ahnt, dass Connor mehr will als nur ihre Hilfe. Sein erster heißer Kuss hat es verraten. Er will sie in seinem Bett! Aber was, wenn sie sich in Connor, der nicht an die Liebe glaubt, verliebt?


  • Erscheinungstag 31.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734602
  • Seitenanzahl 1008
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Maureen Child

Die Kings - 2. Staffel - 7teilige Serie

Maureen Child

Der Milliardär in meinem Bett

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2011 by Maureen Child
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1722 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Peter Müller

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 07/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86494-625-7

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY, STURM DER LIEBE

 

CORA Leser- und Nachbestellservice
Haben Sie Fragen? Rufen Sie uns an! Sie erreichen den CORA Leserservice montags bis freitags von 8.00 bis 19.00 Uhr:
  CORA Leserservice Telefon 01805 / 63 63 65*
  Postfach 1455 Fax 07131 / 27 72 31
  74004 Heilbronn E-Mail Kundenservice@cora.de
  * 14 Cent/Min. aus dem Festnetz der Deutschen Telekom, abweichende Preise aus dem Mobilfunknetz

www.cora.de

1. KAPITEL

Wie viele Menschen war auch Rafe King einer gelegentlichen Wette nicht abgeneigt.

Nur verlieren – das tat er nicht gern.

Wenn er dann doch einmal verlor, war es für ihn jedoch Ehrensache, die Wettschuld auch einzulösen. Deshalb stand er jetzt hier in der Einfahrt, nippte am Kaffee aus einem Pappbecher und wartete darauf, dass die Arbeiter aufkreuzten. Als einer der Eigentümer der Baufirma King Construction hatte Rafe schon seit Jahren nicht mehr auf einer Baustelle gearbeitet. Normalerweise war er für die Organisation zuständig, bestellte Material und sorgte dafür, dass es auch rechtzeitig geliefert wurde. Er besaß die Übersicht über die zahlreichen Projekte der Firma und hatte stets ein Auge darauf, dass auch die angeheuerten Subunternehmer gute Arbeit leisteten.

Doch in den nächsten Wochen würde er selber kräftig mit anpacken müssen. Sich die Hände schmutzig machen. Und das alles wegen einer verlorenen Wette.

Ein Kleinlaster mit Anhänger hielt neben ihm. Rafe warf einen Blick auf den Fahrer. Joe Hanna. Angestellter. Freund. Und der Mann, der ihn zu der Wette überredet hatte, die für ihn so unangenehm ausgegangen war.

Joe stieg aus dem Laster und grinste breit. „Mann, Rafe. Hätte dich ohne deinen Fünftausend-Dollar-Anzug fast nicht erkannt.“

„Sehr witzig.“ In Wirklichkeit trug Rafe gar nicht gern teure Anzüge. So, wie er jetzt gekleidet war, fühlte er sich viel wohler – in verwaschenen Jeans, klobigen Arbeitsschuhen und dem schwarzen T-Shirt mit dem Aufdruck „King Construction“. „Du bist spät dran.“

„Bin ich nicht. Du bist zu früh.“ Joe hielt ihm eine Papiertüte entgegen. „Willst du ’nen Donut?“

„Klar.“ Rafe bediente sich aus der Tüte und verzehrte den Donut mit großem Appetit. „Wo bleiben denn die anderen?“

„Die Arbeit fängt um acht an. Sie haben noch eine halbe Stunde.“

„Wenn sie ein bisschen früher kommen würden, könnten sie schon alles vorbereiten und Punkt acht anfangen.“ Rafe blickte zu dem Bungalow hinüber, der für die nächste Zeit sein Arbeitsplatz sein würde. Vor dem Haus erstreckte sich ein gepflegter Rasen. Der Bungalow ist mindestens fünfzig Jahre alt, dachte er. Er wirkt ein bisschen, als hätte er schon immer hierher gehört, als wäre Long Beach um ihn herumgewachsen.

„Was sollen wir hier überhaupt machen?“

„Die Küche runderneuern“, antwortete Joe. „Fußboden, Spüle, das ganze Drumherum. Das gesamte Rohrleitungssystem muss überprüft werden. Alles veraltet. Und am Schluss kriegt das Ganze einen schönen neuen Anstrich.“

Rafe nickte. „Und die Kollegen haben keine Ahnung, wer ich bin?“

„Null“, bestätigte Joe grinsend. „Wie besprochen. Solange du hier arbeitest, heißt du Rafe Cole. Und bist gerade frisch eingestellt worden.“

Es ist besser so, dachte Rafe. Wenn die Handwerker wüssten, dass ich ihr Arbeitgeber bin, würden sie sich beobachtet fühlen und vor lauter Verunsicherung ihren Job nicht richtig machen. Außerdem kann ich so in Erfahrung bringen, was sie von ihrer Arbeit und der Firma King Construction halten. Es ist wie in dieser Fernsehsendung, wo Chefs undercover in ihrer eigenen Firma arbeiten. Das wird bestimmt interessant.

Trotzdem wurmte es ihn, dass er bei diesem Spiel mitmachen musste. Wichtige Arbeit in seinem richtigen Job blieb dafür liegen. Und das nur wegen einer verlorenen Wette. „Vielleicht hätte ich dich einfach feuern sollen“, sagte er zu Joe. Sicher, das meinte er nicht ernst, aber ein bisschen sauer war er schon.

„Und was hätte das gebracht?“, fragte Joe. „Die Wettschuld hättest du trotzdem einlösen müssen. Ich weiß ja, dass du ein ehrenwerter Kerl bist und nicht kneifst. Hättest dich eben gar nicht erst auf die Wette einlassen sollen. Ich habe dir gleich gesagt, dass die Karre von meiner Sherry das Rennen gewinnt.“

„Das kann ich nicht leugnen“, gab Rafe zu. Alles hatte vor einem Monat auf dem Betriebspicknick von King Construction angefangen. Zu dem Ereignis gehörte auch stets ein Seifenkistenrennen für die Kinder der Firmenangehörigen. Rafe hatte sich über das rosafarbene selbst gebaute Gefährt von Joes Tochter Sherry lustig gemacht und gewettet, dass sie bestimmt nicht gewinnen würde. Doch dann war sie mit weitem Abstand als Erste ins Ziel gekommen. Man sollte Frauen, egal welchen Alters, eben nie unterschätzen.

„Gut, dass du bei dem Picknick nicht weiter in Erscheinung getreten bist und deinen Brüdern das Reden überlassen hast“, merkte Joe an. „Sonst würden dich die Mitarbeiter vielleicht wiedererkennen.“

Rafe hielt sich sowieso lieber im Hintergrund. Öffentliche Auftritte und Public Relations überließ er seinen beiden Brüdern Sean und Lucas. Gemeinsam hatten die drei die Familienfirma King Construction zum größten Bauunternehmen der Westküste gemacht. Sean hatte die Firmenführung inne, Lucas kümmerte sich um Kunden und Belegschaft, und Rafe war für Materialbeschaffung und Versorgung zuständig.

„Ich bin schon ein Glückspilz“, murmelte er vor sich hin, während ein weiterer Laster eintraf. Zwei Männer stiegen aus und kamen auf die beiden zu.

Joe hob grüßend die Hand. „Hallo, Steve und Arturo. Der Typ hier ist Rafe Cole, euer neuer Kollege.“

Steve war hochgewachsen und mochte so um die fünfzig sein. Er trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer Rockband. Arturo war kleiner und älter; sein Hemd war voller Farbflecken. Nicht schwer zu erraten, wer von den beiden für die Malerarbeiten zuständig ist, dachte Rafe.

„Können wir loslegen?“, fragte Steve.

„Das will ich doch schwer hoffen“, gab Joe zurück.

Rafe war gespannt auf die Arbeit. Zwar war es schon ein paar Jahre her, dass er selbst auf dem Bau gearbeitet hatte, aber das hieß ja nicht, dass er alles verlernt hatte. Sein Vater Ben King war nicht gerade ein Mustervater gewesen, aber eins hatte er – aus heutiger Sicht – richtig gemacht: Als ihm die Baufirma des King-Familienimperiums unterstand, hatte er dafür gesorgt, dass jeder seiner acht Söhne in den Sommerferien auf dem Bau arbeitete. So hatte er sie gelehrt, dass auch einem King nicht alles in den Schoß fiel.

Damals hatte das den Jungen natürlich überhaupt nicht gepasst, sie hatten sich schikaniert gefühlt. Doch rückblickend musste Rafe eingestehen, dass sie dadurch fürs Leben gelernt hatten. Eins der wenigen guten Dinge, die ihr Vater für sie getan hatte.

„Die Küche ist bereits ausgeräumt“, sagte Joe. „Steve und Arturo, ihr könnt also gleich loslegen. Rafe, du musst den Herd anschließen, den wir für Miss Charles auf die Veranda ausgelagert haben.“

„Wozu das denn?“, fragte Rafe ungläubig. „Kann sie nicht in der Zeit, während wir hier arbeiten, einfach irgendwo essen gehen?“

„Könnte sie schon“, hörte er plötzlich eine weibliche Stimme hinter sich. „Aber leider muss sie auch während der Bauarbeiten backen. Daran führt kein Weg vorbei.“

Rafe wandte sich um und sah die Frau an. Ihr Anblick traf ihn wie ein Keulenschlag. Sie war hochgewachsen, hatte lockiges, schulterlanges rotes Haar und grüne Augen. Ihr Lächeln bezauberte ihn sofort.

Und genau das gefiel ihm gar nicht. Er brauchte keine Frau. Wollte keine Frau. Und schon gar kein spießiges, biederes Hausmütterchen, das gern backte.

Heim und Herd, darauf stand er nicht so.

Was nicht hieß, dass er ihren Anblick nicht doch genoss.

„Guten Morgen, Miss Charles“, sagte Joe. „Hier sind Ihre Leute. Arturo und Steve kennen Sie ja schon von der Vorbesprechung. Und das hier ist Rafe.“

„Schön, Sie kennenzulernen“, sagte sie und lächelte ihn an. Ihre Blicke trafen sich, und ihm wurde ganz heiß. „Eine Bitte an Sie alle: Nennen Sie mich doch Katie. Wir werden ja schließlich eine Menge Zeit miteinander verbringen.“

„Geht in Ordnung“, entgegnete Rafe. „Also – was hat es mit dieser Herd-Geschichte auf sich?“

„Ich backe Kekse“, erklärte sie ihm. „Das ist mein Beruf – mein kleines Unternehmen –, und ich muss meine Bestellungen erledigen, auch während die Küche renoviert wird. Joe hat mir versichert, dass das kein Problem ist.“

„Ja, das geht“, bestätigte Joe. „Nur tagsüber während unserer Arbeitszeit werden Sie nicht backen können. Wenn wir mit den Rohrleitungen beschäftigt sind, ist natürlich alles abgestellt. Abends schließen wir dann wieder alles an. Rafe kümmert sich darum. Nach Feierabend können Sie Kekse backen, bis die Röhre glüht.“

„Wunderbar. Na dann … frohes Schaffen.“

Als sie sich umwandte und ging, musterte Rafe bewundernd ihre Rückseite. Was für ein Po! Es beunruhigte ihn, dass ihm diese Frau so gut gefiel. Nein, er musste sie ganz schnell vergessen. Schließlich war er nur hier, um eine Wettschuld einzulösen.

Trotzdem … eine Nacht mit ihr, das wäre bestimmt nicht das Schlechteste!

Der Krach war kaum auszuhalten.

Das unablässige Hämmern und Dröhnen ging Katie entsetzlich auf die Nerven. Verzweifelt hielt sie sich die Hand an den schmerzenden Kopf.

Ein komisches Gefühl, Fremde im Haus zu haben. Als noch komischer empfand sie es, diese Fremden dafür zu bezahlen, die Küche zu zerstören, in der sie gewissermaßen aufgewachsen war. Aber am Ende würde es sich auszahlen, alles würde schick und modern sein. Wenn sie die nervigen Bauarbeiten überlebte.

Und die raubeinigen Handwerker.

Um sich etwas abzulenken, beschloss Katie, auf die Veranda zu gehen. Dort hatte sie schon alles für das abendliche Backen vorbereitet. Der Gartentisch war mit Folie abgedeckt, Backbleche standen bereit. Und der Herd? Nun ja, angeschlossen war er noch nicht. Aber einer der Handwerker – der gut aussehende, wie sie lächelnd feststellte – arbeitete daran.

„Na, wie läuft’s?“, erkundigte sie sich.

Der Mann schreckte auf, stieß sich am Herd den Kopf und fluchte leise vor sich hin. „Wie es eben so läuft, wenn man einen Steinzeit-Herd an die Gasleitung anschließt.“

„Übertreiben Sie nicht“, ermahnte Katie ihn lächelnd. „Sicher ist er alt, aber auch zuverlässig. Aber wenn es Sie beruhigt – ich kaufe mir einen neuen.“

„Eine gute Entscheidung“, gab Rafe zurück und machte sich wieder an die Arbeit. „Das Ding ist bestimmt schon dreißig Jahre alt.“

„Mindestens“, erwiderte sie und setzte sich auf einen Stuhl. „Meine Großmutter hat ihn bereits vor meiner Geburt gekauft. Und ich bin jetzt siebenundzwanzig.“

Als Rafe hochblickte, hielt sie den Atem an. Was für ein attraktiver Mann! Die reine Verschwendung, dass er als Handwerker arbeitete – er hätte als Model auf das Titelblatt eines Modemagazins gehört! Aber er schien zu wissen, was er tat, und es gab ihr ein gutes Gefühl, ihn in ihrer Nähe zu haben und nicht nur auf einer Zeitschrift bewundern zu müssen.

Schnell verscheuchte sie diesen Gedanken und begann eine belanglose Plauderei.

„Was alt ist, muss noch lange nicht nutzlos sein“, sagte sie lächelnd. „Sicher, der Herd hat schon seine Macken, aber weil ich sie kenne, kann ich damit umgehen.“

„Und trotzdem wollen Sie sich jetzt einen neuen kaufen.“

Bedauernd zuckte sie mit den Schultern. „Neue Küche, neuer Herd. Trotzdem werde ich den alten mit seinen Eigenheiten vermissen. Das machte das Backen irgendwie … interessanter.“

„Na ja, wenn Sie meinen …“ Er blickte drein, als ob ihn das nicht sonderlich interessierte. „Und Sie wollen heute Abend wirklich hier draußen backen?“

Von der Küche aus drang Hacken und Hämmern zu ihnen. Katie seufzte. Die schöne alte Küche, die jetzt zerstört wurde, tat ihr richtig leid. Aber wenn alles fertig war, würde sie endlich ihre moderne Traumküche haben. Versonnen lächelte sie.

„Gibt’s irgendwas Lustiges?“

„Was?“ Sie blickte auf den Mann, der gerade irgendetwas verschraubte. „Nein, nein. Ich habe mir nur gerade bildlich vorgestellt, wie die Küche aussehen wird, wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind.“

„Bis dahin gibt’s leider noch jede Menge Lärm und Dreck.“

„Das lässt sich ja nicht vermeiden“, gab sie zurück. „Sicher, ich kann mir etwas Schöneres vorstellen, als auf der Veranda backen zu müssen. Aber was sein muss, muss sein. Und ich gehe mal davon aus, dass Sie gute Arbeit leisten. Ich habe mehrere Firmen unter die Lupe genommen, bevor ich den Auftrag erteilt habe.“

„Und warum haben Sie sich für King Construction entschieden?“

„Das war eine schwere Entscheidung“, erwiderte sie. Schmerzliche Erinnerungen wurden wieder wach.

„Wieso das denn?“, fragte er und klang dabei fast beleidigt. „King Construction hat einen erstklassigen Ruf.“

Katie lächelte. „Schön, dass Sie so gut über Ihren Arbeitgeber reden.“

„Hm, na ja. Die Kings haben mich immer gut behandelt.“ Er blickte sie kurz stirnrunzelnd an und wandte sich dann wieder der Arbeit zu. „Wenn Ihnen die Entscheidung für King so schwergefallen ist – was tun wir dann hier?“

Katie seufzte. Ich darf nicht immer einfach so drauflos plappern, sagte sie sich. Ich hätte die Familie King gar nicht erwähnen sollen. Schließlich arbeiten dieser Rafe und die anderen für sie. Aber jetzt ist es passiert, und er hat mich gefragt – da hat er auch eine Antwort verdient. „Verstehen Sie mich nicht falsch, die Baufirma ist über jeden Zweifel erhaben, sie macht exzellente Arbeit. Ich hatte mich wie gesagt über mehrere Firmen erkundigt, und mit den Kings waren alle zufrieden.“

„Aber?“, hakte er lauernd nach.

Katie erhob sich, und er schätzte, dass sie ungefähr eins fünfundsiebzig sein musste. Damit überragte er sie immer noch um gute zehn Zentimeter.

Erwartungsvoll sah er sie an. Seine durchdringenden blauen Augen gefielen ihr. Und seine Figur war erstklassig. Breite Schultern, schmale Hüften. Ihr erschien es fast wie eine Erlösung, einen durchschnittlichen, hart arbeitenden Handwerker gut zu finden. Von reichen Typen hatte sie die Nase voll.

Ihr wurde klar, dass er noch immer auf eine Antwort wartete. Also lächelte sie ihn freundlich an und sagte: „Es ist – wie soll ich es ausdrücken – etwas Persönliches. Zwischen einem Mitglied der Familie King und mir.“

„Was meinen Sie damit?“, hakte er nach.

„Ach, ist doch egal.“ Sie schüttelte den Kopf und lachte. „Tut mir leid, dass ich überhaupt etwas gesagt habe. Ich habe nur gemeint, dass mir die Entscheidung für die Firma schwergefallen ist, weil ich so einiges über die Männer in der Familie King weiß.“

„Was Sie nicht sagen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und fragte: „Und was wissen Sie so?“

Sie konnte seinem durchdringenden Blick kaum standhalten. „Sie meinen außer der Tatsache, dass sie zu reich und zu versnobt sind?“

„Versnobt?“

„Ja.“ Katie seufzte. „Hören Sie, das ist mir etwas unangenehm. Ich weiß ja, dass Sie für die Kings arbeiten. Sagen wir einfach, dass ich mit keinem von ihnen mehr etwas persönlich zu tun haben möchte.“

„Das hört sich ja schlimm an.“

Sie musste lachen. Gleichzeitig machten die bösen Erinnerungen ihr zu schaffen. Cordell King hatte sicher keinen Gedanken mehr an sie verschwendet, seit er vor einem halben Jahr Knall auf Fall aus ihrem Leben verschwunden war. Nein, die Kings preschten rücksichtslos durch die Welt, und wer ihnen nicht rechtzeitig aus dem Weg ging, hatte selber schuld. Sie jedenfalls hatte ihre Lektion gelernt und würde ihnen nicht mehr zu nahe kommen.

„Wahrscheinlich bin ich denen völlig egal“, sagte Katie. „Die liegen bestimmt nicht nachts wach und grübeln darüber nach, warum Katie Charles sie nicht ausstehen kann.“

„Wer weiß?“, entgegnete er, wischte sich die Hände ab und sah sie durchdringend an. „Auf jeden Fall haben Sie meine Neugier geweckt. Ich gebe nicht eher Ruhe, bis ich weiß, warum Sie die Kings hassen.“

„Neugier ist nicht immer gut. Manchmal findet man etwas heraus, was man lieber gar nicht gewusst hätte.“

„Immer noch besser, als dumm zu sterben.“

„Das kann man so oder so sehen“, gab Katie zurück. Sie hatte sich wirklich elend gefühlt, als Cordell so plötzlich mit ihr Schluss gemacht hatte. Deshalb hatte sie ihn unbedingt nach dem Grund fragen müssen. Und sich anschließend noch schlechter gefühlt.

Rafe lächelte sie an und beschloss, vorerst nicht weiter nachzubohren. Vorerst. „Die provisorische Gasleitung ist jetzt angeschlossen“, sagte er geschäftsmäßig. „Aber denken Sie daran, tagsüber ist alles abgestellt. Wir geben Ihnen Bescheid, sobald Sie den Herd benutzen können.“

„Okay. Danke.“ Als er an ihr vorbeiging, berührten sich ihre Arme, und ihr war, als ob Funken sprühten. „Ach, übrigens, Rafe …“

„Ja?“

„Was ich über die Familie King gesagt habe, bleibt bitte unter uns, ja? Ich meine, ich hätte gar nicht erst davon anfangen dürfen. Die anderen brauchen es nicht zu wissen. Das gibt nur böses Blut.“

„Von mir erfährt keiner was“, versicherte er ihr. „Aber wie gesagt, Sie haben meine Neugier geweckt. Irgendwann höre ich garantiert noch den Rest von Ihrer Geschichte.“

Katie schüttelte den Kopf. „Das glaube ich kaum. Die Kings sind ein Teil meiner Vergangenheit. Und dabei soll es auch bleiben.“

Nach Ende des ersten Arbeitstages bereute Katie schon ihre Entscheidung, die Küche renovieren zu lassen. All die Fremden in ihrem Haus – und dann noch Lärm verursachende Fremde!

Kopfschüttelnd betrat sie die Küche, die wie ein Schlachtfeld aussah. Die Küche ihrer Großmutter, die noch vor Kurzem so viel Heimeligkeit und Gemütlichkeit ausgestrahlt hatte. Sie seufzte tief.

„Na, tut’s Ihnen schon leid?“

Erschrocken drehte sie sich um. „Ach, Sie sind’s, Rafe. Ich hatte gedacht, Sie wären mit den anderen gegangen.“

Lächelnd verschränkte er die Arme vor der Brust. „Ich wollte lieber sichergehen, dass der Gasanschluss auch wirklich funktioniert.“

„Und? Tut er’s?“

„Tadellos.“

„Danke. Ich weiß Ihren Einsatz sehr zu schätzen.“

Lässig lehnte er sich gegen den Türrahmen, als hätte er alle Zeit der Welt. „Das ist mein Job.“

„Ist mir schon klar, aber ich weiß es trotzdem zu schätzen.“

„Gern geschehen.“ Prüfend sah er sich in der verwüsteten Küche um. „Na, was halten Sie bisher von unserem Werk?“, fragte er lächelnd.

„Wollen Sie die Wahrheit wissen?“ Sie schüttelte sich. „Das ganze Chaos macht mir regelrecht Angst.“

Er musste lachen. „Manche Sachen muss man eben erst zerstören, bevor man sie umso schöner wieder aufbauen kann.“

„Das muss ich mir merken.“ Nachdenklich betrachtete sie die Wand mit den Resten der Rohre, wo vorher die Spüle gestanden hatte. „Schwer vorstellbar, dass aus diesen Ruinen eine neue Küche entstehen soll.“

„Ach, ich habe schon Schlimmeres gesehen.“

„Das beruhigt mich irgendwie trotzdem nicht.“

„Sollte es aber“, versicherte er ihr. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und kam einen Schritt näher. „Ich habe schon Renovierungen miterlebt, die Monate gedauert haben.“

„Sind Sie schon lange in diesem Geschäft?“

„Ziemlich“, antwortete er. „Obwohl dies hier das erste Mal seit drei oder vier Jahren ist, dass ich wieder aktiv mit anpacke. Mit den Händen arbeite.“

Im Haus war es still – angenehm still nach dem unablässigen Lärm des Tages. Ihre Stimmen hallten in der leer geräumten Küche wider, und draußen dämmerte es bereits. Ein merkwürdiges Gefühl der Gemeinsamkeit stellte sich zwischen den beiden ein.

Bewundernd betrachtete sie ihn. Er sah wirklich verflixt gut aus! Es war schon eine ganze Weile her, dass sie sich für einen Mann interessiert hatte. Nach der großen Enttäuschung hatte sie sich erst mal ganz in sich zurückgezogen.

„Wenn Sie so lange nicht mit den Händen gearbeitet haben, was haben Sie denn dann getan?“

„Ach, so dies und das. Aber es tut ganz gut, mal wieder richtig was anpacken zu können.“ Er zwinkerte ihr zu. „Selbst wenn es für die Kings ist.“

So dies und das? Das war eine sehr ausweichende Antwort, aber sie war sich nicht sicher, ob sie nachhaken sollte. Das würde ihm das Recht geben, sie auch nach ihrer Vergangenheit zu fragen. Und sie hatte keine Lust, ihm zu erzählen, wie Cordell King sie erst groß ausgeführt und dann irgendwann einfach hatte fallen lassen.

Trotzdem machte dieser Rafe Cole sie irgendwie neugierig. Als ob er irgendetwas zu verbergen hatte …

„Ich will dann mal los“, sagte er, als die Stille peinlich zu werden drohte. „Sie haben ja auch noch viel zu tun. Kekse backen, meine ich.“

„Stimmt.“ Als sie die Küche verlassen wollte, stieß sie mit ihm zusammen.

Es war erstaunlich. Die zufällige Berührung löste etwas in ihnen aus. Keiner sprach ein Wort – aber das war auch nicht nötig.

Sie spürten es beide. Hitze. Leidenschaft.

Katie war nicht auf der Suche nach einem romantischen Erlebnis gewesen – und schien es jetzt doch gefunden zu haben.

Rafe hob die Hand und war schon im Begriff, zärtlich ihre Wange zu berühren, als er plötzlich innehielt. Stattdessen lächelte er sanft und murmelte: „Das könnte … interessant werden.“

Das war die Untertreibung des Jahrhunderts.

2. KAPITEL

„Das Meeting ist vorbei“, stellte Lucas King fest. „Warum sitzen wir dann noch hier herum?“

„Weil ich euch noch was fragen muss“, antwortete Rafe. Wenn man ihn zusammen mit Sean und Lucas sah, seinen Partnern bei King Construction, erkannte man sofort, dass sie Brüder waren. Alle hatten schwarzes Haar und blaue Augen. Doch ihre unterschiedlichen Gesichtszüge wiesen darauf hin, dass sie alle drei verschiedene Mütter hatten.

Ihr Vater hatte keine der drei Frauen geheiratet. Trotz der verwirrenden Familienverhältnisse hielten die drei fest zusammen. Ben King hatte stets dafür gesorgt, dass all seine Söhne – und das waren insgesamt acht! – in den Sommerferien viel Zeit miteinander verbrachten.

Lucas, der älteste der drei Firmenchefs, sah angespannt auf die Uhr und blickte Rafe ungeduldig an. Sean hingegen war wie so oft damit beschäftigt, eine SMS in sein Handy zu tippen. Er hatte überhaupt nicht zugehört.

Die Brüder trafen sich einmal in der Woche, um übers Geschäft und auch über private Dinge zu reden, die die Familie betrafen. Die Meetings fanden im Wechsel jeweils bei einem der Brüder statt. Heute saßen sie in Lucas’ Haus in Long Beach direkt am Meer.

Das Gebäude war alt und sehr geräumig und besaß nach Lucas’ Meinung „Charakter“. Die anderen hingegen fanden es nur altmodisch und unpraktisch. Rafe lebte ganz anders – er hatte eine Penthousesuite in einem Hotel in Huntington Beach dauerhaft angemietet. So brauchte er sich nicht ums Saubermachen zu kümmern und konnte sich jederzeit etwas beim Zimmerservice bestellen. Sean wiederum lebte in Sunset Beach in einem umgebauten Wasserturm, der sogar einen Fahrstuhl besaß.

So unterschiedlich ihre Geschmäcker in Bezug aufs Wohnen auch waren – alle drei hatten sich für ein Zuhause mit Blick aufs Meer entschieden.

Rafe blickte aus dem Fenster und beobachtete nachdenklich die Surfer, die den Wellen trotzten. Dann fragte er: „Was wissen wir über Katie Charles?“

„Wen?“, fragte Sean.

„Katie Charles“, wiederholte Lucas verärgert. „Hörst du denn kein bisschen zu, Mensch?“

„Wem soll ich zuhören?“ Sean blickte nicht einmal auf. Wie gebannt starrte er auf sein Handy. Ständig mailte und simste er – an Kunden, an Frauen.

„Mir“, erklärte Rafe und entriss ihm das Handy.

„He!“ Fordernd streckte Sean die Hand aus. „Ich muss für nachher noch ein Meeting organisieren.“

„Konzentrier dich lieber erst mal auf das jetzige Meeting“, konterte Rafe.

„Schon gut, schon gut, ich höre ja zu. Aber gib mir mein Handy wieder.“

Rafe warf es ihm zu und wandte sich dann an Lucas. „Also, wie sieht’s aus? Weißt du irgendwas über Katie Charles?“

„Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Wer ist sie?“

„Eine Kundin“, antwortete Rafe und nahm einen Schluck von seinem Bier. „Wir machen gerade ihre Küche neu.“

„Das ist doch schön für uns.“ Forschend blickte Sean seinen Bruder an. „Und was ist mit ihr? Stört dich irgendwas an ihr?“

Eine gute Frage. Hätte es Rafe nicht egal sein können, was sie von der Familie King hielt? Spielte das eine Rolle? Aber seit er vorhin ihr Haus verlassen hatte, musste er ständig an sie denken. Sie war hübsch, klug und offenbar auch erfolgreich – und sie hasste die Kings. Was mochte nur dahinterstecken?

„Katie Charles“, murmelte Lucas vor sich hin. „Katie Charles … Küche … Kekse …“ Plötzlich begann er zu lächeln. „Ja, jetzt weiß ich’s, ‚Katies Kekse‘. Mit ihrem Gebäck hat sie sich ein Kleinunternehmen aufgebaut. Neulich stand sogar was über sie in der Zeitung – als erfolgreiche Existenzgründerin. Ihre hausgemachten Keksspezialitäten haben einen guten Ruf.“

„Einen guten Ruf bei wem?“, fragte Rafe stirnrunzelnd. „Also, ich hatte vorher noch nie von ihr gehört.“

„Kein Wunder“, gab Sean spöttisch zurück. „Du lebst ja auch wie ein Einsiedler. Um zu erfahren, was in der Welt so vorgeht, musst du auch mal mit ein paar Leuten reden. Außer uns, meine ich.“

„Ich lebe überhaupt nicht wie ein Einsiedler.“

„Du weißt, wie ungern ich Sean recht gebe“, warf Lucas ein. „Aber in diesem Fall muss ich ihm zustimmen. Du igelst dich ganz schön in deiner Penthousesuite ein. Mal ehrlich, mit wem hast du seit unserem letzten Treffen gesprochen? Wahrscheinlich nur mit dem Roomservice und den Kollegen, mit denen du seit heute zusammenarbeitest.“

Rafe blickte Lucas böse an, sagte aber nichts. Er hatte schlicht und einfach kein Gegenargument. So war er eben. Er hatte weder Zeit noch Lust, sich wie Sean ständig mit irgendwelchen Models zu treffen. Und wenn Lucas Gefallen daran fand, sich in der Geschäftswelt zu bewegen wie ein Fisch im Wasser – bitte, dann sollte er, aber für Rafe war das nichts. Also saß er gern bei sich zu Hause herum. Warum auch nicht?

„Ach, richtig“, griff Sean den Faden auf. „Du bist wegen deiner verlorenen Wette ja wieder unter die Handwerker gegangen. Wie gefällt’s dir denn so?“

„Gar nicht so übel“, gab Rafe zu. Tatsächlich hatte es ihm viel mehr Spaß gemacht, als er gedacht hatte. Es war schon irgendwie witzig, unter Handwerkern zu sein, die keine Ahnung hatten, dass er in Wirklichkeit ihr Chef war. Und die Frau, die er durch diesen Job kennengelernt hatte, war ja auch nicht von schlechten Eltern. Nur etwas wurmte ihn: dass sie die Kings verabscheute.

„Aber warum schaust du so grimmig drein, wenn es dir gefallen hat?“, fragte Sean.

„Ja, du wirkst noch genervter als sonst“, stimmte Lucas seinem Bruder zu. „Was ist los? Und was hat es mit Katie Charles zu tun?“

„Also … ihr kennt sie beide nicht persönlich?“

Sean und Lucas sahen sich an und zuckten gleichzeitig mit den Schultern. „Nein.“

„Aber irgendjemand muss sie kennen.“

„Natürlich wird es Leute geben, die sie kennen“, sagte Lucas.

„Nein, ich meine, irgendjemand aus der Familie King muss sie kennen.“

„Da gibt’s viele“, merkte Sean an.

„Stimmt.“ Sie hatten so viele Cousins, die King hießen, dass sie sie kaum noch zählen konnten.

Lucas trank einen Schluck Bier. „Jetzt mal raus mit der Sprache. Was soll das alles? Warum beschäftigt sie dich so?“

„Weil sie die Kings hasst.“

„Sie hasst uns?“, fragte Sean lachend. „Das kann nicht sein. Die Frauen lieben die Kings.“

„Stimmt genau“, bestätigte Lucas mit einem selbstzufriedenen Lächeln.

„Normalerweise schon“, kommentierte Rafe und dachte an seine Exfrau, die das möglicherweise etwas anders sah. „Aber diese Frau kann die Kings eindeutig nicht ausstehen.“

„Warum hat sie uns denn für ihren Küchenumbau angeheuert, wenn sie uns so sehr hasst?“

„Sie meinte, unsere Firma hätte den besten Ruf. Aber wirklich glücklich ist sie nicht mit ihrer Entscheidung.“

„Und du vermutest, dass irgendjemand aus unserer Familie sie enttäuscht oder schlecht behandelt hat?“, fragte Lucas.

„Was könnte sonst der Grund für ihre Abneigung sein?“

„Ich glaube, die wirklich wichtige Frage ist eine andere“, erklärte Sean. „Nämlich: Warum interessiert dich das so sehr?“

„Stimmt, das ist die Frage.“ Erwartungsvoll blickte Lucas Rafe an.

Rafe dachte nach. Ja, warum interessierte ihn das so sehr? Eigentlich sollte es ihm egal sein. Das wäre besser für ihn. Er hatte ja schon eine Ehe hinter sich. Und die hatte ihm gezeigt, dass er nicht wusste, wie man liebte. Oder wie seine Exfrau es ausgedrückt hatte: dass er unfähig war zu lieben.

Warum sollte man sich ernsthaft, mit festen Absichten, um eine Frau bemühen, wenn man doch wusste, dass die Beziehung zum Scheitern verurteilt war? Deshalb suchte er ja immer nur oberflächliche Kontakte. Ein paar Stunden gemeinschaftliches Vergnügen, Entspannungssex, und ja keine feste Bindung.

Solange beide Seiten wussten, worauf sie sich einließen, und ihren Spaß hatten, war doch alles in Ordnung.

Aber trotzdem, diese Katie …

Sie hatte etwas in ihm ausgelöst, das er vorher nicht gekannt hatte. Natürlich würde er das niemandem verraten. Er musste selbst erst mal damit klarkommen.

„Ja, das ist wirklich eine gute Frage“, meinte Rafe. „Zu dumm, dass ich keine Antwort darauf habe.“

Allmählich hatte Katie sich an den Krach, den Staub, die Fremden in ihrem Haus gewöhnt. Die Arbeiten dauerten jetzt schon mehrere Tage an, und sie wusste kaum noch, wie wohltuend Stille war. Wie schön es war, für sich allein in der Küche herumzuwerkeln.

Der einst so gemütliche Raum war jetzt nur noch eine leere Hülle – leer bis auf all den Staub und Dreck. Sie blickte aus dem Fenster. Dort lag auf einem großen Haufen alles, was die Küche früher so heimelig gemacht hatte: Teile des Linoleums, alte Rohre – und auch die schöne alte Spüle, fast schon ein antikes Stück. Panik stieg in ihr auf.

Ursprünglich hatte sie die Renovierung für eine gute Idee gehalten. Jetzt aber plagten sie heftigste Zweifel. Was, wenn die neue Küche nicht so gut war wie die alte? Wenn sie mit ihrem neuen Herd nicht zufrieden war? Wenn sie sich mit der neuen Spüle nicht anfreunden konnte? Und viel schlimmer: Was, wenn ihr kleines Keks-Unternehmen pleiteging? Schließlich hatte sie für die neue Küche nicht nur ihre Ersparnisse geopfert, sondern sogar noch einen Kredit aufgenommen.

„Oje, oje …“

„Für Panik ist es jetzt ein bisschen spät“, besänftigte sie die tiefe Stimme hinter ihr.

Sie wandte sich um, erblickte Rafe und zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist ja keine richtige Panik. Nur ein bisschen, äh, Beunruhigung. Besorgnis.“ Einen Moment lang hielt sie inne. „Ach, was mache ich mir vor? Es ist Panik.“

Er lachte. „Machen Sie sich nur keine Sorgen. Sicher sieht es jetzt schlimm aus. Aber wenn alles fertig ist, werden Sie begeistert sein.“

„Sie haben leicht reden.“

„Kommen Sie, ich mache so etwas ja nicht zum ersten Mal. Ich kenne das. Diesen verzweifelten Blick haben alle Kunden irgendwann.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber wenn alles vorbei ist, sind sie glücklich.“

„Weil es vorbei ist oder weil sie so zufrieden mit Ihrer Arbeit sind?“

„Vielleicht von beidem etwas“, gestand er ein. „Eigentlich bin ich gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass wir in der Wasserleitung eine undichte Stelle gefunden haben.“

„Eine undichte Stelle? Um Himmels willen!“ Katie sah sich schon im Haus herumschwimmen.

„Ist alles halb so wild“, beruhigte er sie. „Nichts Dramatisches. Es handelt sich nur um ein Verbindungsstück, das ausgetauscht werden muss. Ich muss es Ihnen aber zeigen, weil so etwas nicht Bestandteil des Vertrages ist. Sie müssen dafür einen Extraauftrag unterzeichnen.“

„Na, das beruhigt mich.“ Erleichtert atmete sie tief durch. „Gut, gehen wir hin.“

In der Küche ließ sie sich von Klempner Steve die undichte Stelle zeigen. Er begann ihr lang und breit zu erklären, was getan werden musste, aber sie verstand nur die Hälfte und erwiderte: „Machen Sie einfach. Ich vertraue Ihnen voll und ganz.“

„Sehr gut.“ Steve wandte sich an Rafe. „Zeig ihr doch gleich die neue Spüle, die du heute Morgen mitgebracht hast.“

„Was, Sie haben mir schon eine neue Spüle besorgt?“ Das interessierte sie mehr als alle undichten Rohrleitungen.

„Ja, natürlich unverbindlich für Sie, ich kann sie jederzeit zurückbringen, falls sie Ihnen nicht gefällt. Aber ich war heute Morgen bei einem unserer Lieferanten und hatte das Gefühl, die wäre genau richtig für Sie. Sie kann im Anhänger bleiben, bis es an der Zeit ist, sie anzuschließen.“ Rafe führte sie aus der Küche zum Rasen, wo der Anhänger stand. Er öffnete die Türen und wuchtete die große Spüle heraus.

„Geht es?“, fragte sie. „Ist sie nicht zu schwer?“

„Nein, sie ist aus Acryl und nicht aus Metall. Leicht, aber widerstandsfähig. Praktisch unverwüstlich. Da haben Sie lange Freude dran.“

Fast zärtlich strich sie mit den Fingern über das Material und seufzte verzückt. „Sie ist wunderbar. Ich hätte sie nicht besser aussuchen können. Vielen Dank.“

„Freut mich, dass sie Ihnen gefällt.“ Er verfrachtete sie wieder im Anhänger und bedeckte sie mit einer Schutzfolie.

„Aber das Besorgen der Spüle fällt doch eigentlich gar nicht in Ihren Aufgabenbereich …?“

Er vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Ich sollte für Joe sowieso einige Sachen besorgen. Da ist mir die Spüle ins Auge gefallen und …“

„Wie konnten Sie denn wissen, dass sie mir gefällt?“

„War so ein Gefühl.“

„Das Gefühl hat Sie nicht getrogen.“

Wie er so dastand, die Hände in den Hosentaschen, fast ein wenig verlegen wirkend, sah er einfach zum Anbeißen aus, fand Katie. In der vergangenen Nacht hatte sie sogar von ihm geträumt. Im Traum waren sie zusammen in der Küche gewesen – genau wie gestern in der Realität. Doch anders als im wirklichen Leben hatte Rafe sie leidenschaftlich geküsst. Nachdem sie erregt aus dem Traum aufgeschreckt war, hatte sie nicht wieder einschlafen können.

Man sagte ja immer, dass Träume etwas zu bedeuten hatten …

„Wie lange sind Sie denn nun eigentlich schon in dieser Branche, Rafe?“, wollte sie wissen.

Die Frage schien ihm unangenehm zu sein. „Ich bin durch meinen Vater da reingeraten“, erklärte er und vermied es, ihr in die Augen zu sehen. „Mir gefiel es ganz gut, und so bin ich dabeigeblieben.“

„Das kann ich verstehen“, erwiderte sie. „Meine Großmutter hat mir das Backen beigebracht, als ich noch ein Kind war – tja, und heute ist es mein Beruf.“

Er nickte. „Wie lange wohnen Sie schon hier?“

„Ich bin hier aufgewachsen“, erzählte sie. „Mein Vater ist bereits vor meiner Geburt verstorben, und so sind meine Mutter und ich zu meiner Großmutter gezogen.“ Versonnen betrachtete sie den alten Bungalow. Das Gebäude war nicht gerade in bestem Zustand, aber es war ihr Zuhause, gab ihr Sicherheit und Wohlgefühl. „Als ich aufs College kam, bin ich ausgezogen. Dann ist meine Mutter gestorben, und vor einem Jahr habe ich das Haus von Nana bekommen. Sie ist nämlich mit ihrer Schwester Grace in ein Seniorenwohnheim gezogen. Die beiden meinten, dass es dort viele attraktive ältere Herren gibt, die sich nach Liebe sehnen.“

Er lachte, und Katie fand, dass ihm diese Fröhlichkeit gut zu Gesicht stand. Er wirkt immer so ernst, dachte sie. Warum eigentlich? Die anderen Arbeiter lachen und scherzen dauernd. Nur er nicht.

Er wirkte so still, so verschlossen. Als ob er ein Geheimnis hütete.

Rafe saß seinem Bruder Sean im Schnellimbiss gegenüber und wartete auf seinen Hamburger. Sean war natürlich schon wieder damit beschäftigt, eine SMS zu schreiben, aber Rafe war das nur recht. So konnte er noch ein bisschen über Katie Charles nachdenken.

Irgendwie ließ sie ihn nicht los.

Noch nie hatte eine Frau ihn so fasziniert. Nicht einmal seine Exfrau Leslie. Schwer zu begreifen. Was hatte sie nur an sich, das sie so besonders machte?

Sicher, sie war sehr schön. Aber das traf auf viele Frauen zu. Sicher, er begehrte sie. Aber er hatte schon viele Frauen begehrt. Es gab etwas anderes an ihr – wahrscheinlich viele Dinge auf einmal –, das ihn geradezu verzauberte.

„He“, sagte Sean lachend. „Erde an Rafe.“

„Was?“ Rafe drehte sich herum und sah seinen jüngeren Bruder an.

„Seit fünf Minuten erzähle ich dir was, und du verstehst kein Wort. Bist völlig in Gedanken versunken. Was beschäftigt dich denn so?“

Rafe ärgerte sich, dass Sean ihn beim Tagträumen erwischt hatte. Diese Katie kostete ihn zu viel Zeit! „Du hast doch andauernd SMS in alle Welt verschickt. Kein Wunder, dass meine Gedanken da mal abschweifen.“

„Mit meiner letzten SMS war ich vor fünf Minuten fertig“, belehrte Sean ihn. „Lass mich raten: Du hast an diese Keks-Frau gedacht.“

Reife sah ihn verärgert an. „Sie heißt Katie.“

„Ja, ich weiß.“

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ganz schön nerven kannst?“

„Außer dir, meinst du?“, fragte Sean und lächelte verführerisch die Kellnerin an, die ihnen das Essen brachte. „Ja, das höre ich ständig.“

Rafe musste lächeln. Sean hatte eine Entspanntheit und Lässigkeit, die den anderen Kings abging. Die meisten von ihnen waren typische Alphamänner, ständig damit beschäftigt, sich an die Spitze zu kämpfen. Aber nicht Sean. Ihm schien alles zuzufliegen, ohne dass er sich darum bemühen musste.

Manchmal beneidete Rafe ihn um seine Gelassenheit. Fast nie verlor er die Beherrschung. Damit war er in der Familie King die ganz große Ausnahme.

Während die Brüder aßen, blickten sie hinaus auf die Straße und beobachteten die Touristenströme.

„Also“, sagte Sean, während er nach seinem Bierglas griff, „dann leg mal los.“

„Loslegen? Womit soll ich loslegen?“

„Mach mir nichts vor. Es geht doch um deine Keks-Lady. Hab ich recht?“

Rafe seufzte. Natürlich hatte Sean recht. War auch nicht schwer zu erraten. Schließlich hatte Rafe nie irgendeine Frau erwähnt, seit Leslie ihn verlassen hatte. An diesen Tag konnte er sich noch gut erinnern. Seine Exfrau hatte ihn traurig angesehen und ihm gesagt, dass er ihr leidtäte, weil er keine Ahnung hätte, wie man jemanden liebt. Dass er sie niemals hätte heiraten und zu einem leeren, kalten Leben verdammen dürfen.

Doch dann dachte er an Katie, und seine düsteren Gedanken verschwanden. Er fühlte sich neu belebt. „Sie ist so … so anders.“

„Na, das wird ja immer besser.“ Sean lehnte sich zurück und wartete.

„Jetzt deute da nicht mehr rein, als es ist. Ich finde sie nur … interessant.“

„Interessant, so, so.“ Sean nickte. „Die Käfersammlung im Naturkundemuseum ist auch interessant.“

„Wie bitte?“

„Komm, Rafe, mach dir doch nichts vor“, erwiderte Sean lachend. „Du empfindest doch mehr als Interesse für sie. Und es ist auch höchste Zeit, dass du dich mal umschaust. Nach Frauen, meine ich. Die Sache mit Leslie ist doch schon ewig lange her.“

„So lange nun auch wieder nicht“, gab Rafe zurück. Obwohl, wenn er so darüber nachdachte – Leslie und er waren tatsächlich schon seit über fünf Jahren geschieden. Sie war inzwischen mit seinem ehemals besten Freund verheiratet. Seit einiger Zeit hatten sie Zwillinge, und wie er gehört hatte, war vor Kurzem noch ein drittes Kind dazugekommen.

„Sie hat ein neues Leben angefangen. Und warum du nicht?“

Rafe funkelte Sean zornig an, doch der blieb ganz ruhig. „Wer sagt denn, dass ich kein neues Leben angefangen habe?“

„Ich. Lucas. Tanner. Mac. Grady …“ Sean hielt in der Aufzählung inne und fragte: „Soll ich dir jetzt wirklich die Namen all unserer Brüder runterrasseln, oder verstehst du auch so, was ich meine?“

„Ich verstehe es schon, aber du hast trotzdem unrecht.“ Rafe biss von seinem Hamburger ab und sagte: „Ich trauere Leslie nicht mehr nach, wenn du das meinst. Die Sache ist für mich abgeschlossen. Ganz davon abgesehen, dass sie neu verheiratet und mehrfache Mutter ist.“ Wenn er ehrlich war, hatte er sie nach der Scheidung nicht einmal wirklich richtig vermisst. Was sagte das über ihn aus?

„Und trotzdem wohnst du immer noch in einer Hotelsuite und begnügst dich damit, ab und zu mal mit einem hübschen Dummchen auszugehen.“

„Ich wohne gern im Hotel. Und sie sind nicht alle dumm.“

„Das überzeugt mich natürlich total.“

Rafe griff nach seinem Bier. „Katie ist eine wirklich nette Frau, aber für mich ist sie tabu.“

„Warum das denn?“

„Ich habe das Gefühl, dass sie zu brav und bieder ist“, erklärte Rafe. „Sie ist so der Typ zum Heiraten und Kinderkriegen. Und ich habe schon bewiesen, dass ich das nicht bin.“

Sean schüttelte den Kopf und seufzte. „Eigentlich hatte ich dich immer für halbwegs intelligent gehalten. Aber da muss ich mich wohl getäuscht haben.“

„Oh, vielen Dank. Du bist mir wirklich eine große Hilfe.“

„Na schön, wenn du meinen Rat willst: Hör auf, dich wie ein Idiot zu benehmen.“

„Ach, halt die Klappe. Diese Märchentour, dieses ‚und sie lebten glücklich bis an ihr Ende‘ – das habe ich durch. Hat nicht geklappt. War eine Katastrophe. Das brauche ich nicht noch mal.“

„Vielleicht hat es nur nicht geklappt, weil du die verkehrte Frau geheiratet hast. Hast du die Sache schon mal so gesehen?“

Darauf antwortete Rafe nicht einmal. Es hätte doch nichts gebracht.

Am Montagmorgen waren die Männer wieder bei der Arbeit, und Katie fühlte sich komplett urlaubsreif. Das Wochenende über hatte sie kaum geschlafen. Die Stille am Samstag und Sonntag war zwar wie ein Gottesgeschenk für sie gewesen, aber sie hatte derart viele Keksbestellungen ausführen müssen, dass sie die Ruhe kaum hatte genießen können.

Jetzt nippte sie an ihrem Kaffee und zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie das Kreischen der Bohrmaschine hörte.

„Der Lärm in den ersten Tagen ist am schlimmsten“, hörte sie plötzlich eine Stimme hinter sich. „Danach gewöhnt man sich daran.“

Sie wandte sich um und erblickte Joe Hanna. „Das sagen Sie doch nur, damit ich nicht schreiend davonlaufe.“

Er lächelte besänftigend. „Wenn wir erst mit den Rohren fertig sind, wird es ruhiger, das verspreche ich Ihnen.“

Plötzlich hörten sie einen Schrei aus der Küche. „Arturo! Das Wasser! Stell den Haupthahn ab, schnell!“

„Mist!“ Joe rannte in Richtung Küche, aus einer anderen Ecke kam Rafe herbeigeeilt, und beide wären fast mit Arturo zusammengestoßen, der auf dem Weg zum Haupthahn war.

Als auch Katie in die Küche kam, sah sie, wie Steve vergeblich versuchte, das Rohr zuzuhalten, aus dem in einer riesigen Fontäne Wasser spritzte.

Verzweifelt griffen die Männer nach Handtüchern. Dann erstarb die Fontäne; offenbar war es Arturo gelungen, den Haupthahn zu schließen. Doch der Schaden war bereits entstanden, die Küche stand unter Wasser.

„Verdammt, die neue Dichtung muss nicht richtig angebracht worden sein“, mutmaßte Steve.

„Ihr hättet sie erst bei niedrigem Wasserdruck antesten müssen“, stellte Joe fest. Gönnerhaft legte er Rafe die Hand auf die Schulter. „Ich nehme die Schuld auf mich. Ich hätte Rafe mehr auf die Finger schauen müssen. Schließlich war er eine ganze Zeit raus aus dem Job, da ist er vielleicht ein bisschen eingerostet. Aber er ist trotzdem kein schlechter Kerl.“

Katie bemerkte, dass Rafe verärgert dreinblickte. Und sie teilte seine Verärgerung.

„Aber eigentlich ist doch Steve der Klempner“, erwiderte sie.

„Schon“, gab Joe zurück, „aber Rafe hat die Dichtung angebracht.“

„Und zwar ordnungsgemäß“, sagte Rafe mit fester Stimme. „Daran kann es nicht gelegen haben.“

„Ist schon gut“, entgegnete Joe und wandte sich an Katie. „Wie gesagt, ich nehme den Zwischenfall auf meine Kappe. Hätte den Knaben eben besser beaufsichtigen müssen.“

Sie wunderte sich, dass Rafe sich nicht energischer verteidigte. Wahrscheinlich hat er Angst, seinen Job zu verlieren, dachte sie. Aber selbst wenn er nichts sagt, könnte Joe ihn feuern, wenn er der Meinung ist, dass er nicht sorgfältig genug arbeitet. Also sprang sie für ihn in die Bresche. „Das ist ungerecht. Rafe leistet hervorragende Arbeit. Wenn er mir nicht den Herd angeschlossen hätte, könnte ich meine Backaufträge nicht erledigen. Jeden Abend bleibt er länger, um aufzuräumen. Er ist sehr bemüht darum, dass ich so wenig wie möglich gestört werde. Ich bin sicher, dass der Wasserschaden nicht seine Schuld ist.“

„Stimmt“, mischte sich Steve plötzlich ein, der die ganze Zeit über die Rohrleitung inspiziert hatte. „Ich sehe gerade, es war ein anderes Verbindungsstück, das undicht war, nicht die Dichtung, die Rafe angebracht hat. Mein Fehler. Ich bringe das so schnell wie möglich in Ordnung.“

Triumphierend sah Katie Joe an. Ihr Blick sagte: Sehen Sie? Sie haben den Falschen beschuldigt. Sie lächelte Rafe kurz zu und ließ die Männer dann allein.

„Was war das denn?“, murmelte Joe. „Die hat ihn ja verteidigt wie eine Löwin ihr Junges.“

„Klare Sache“, merkte Steve an. „Die Lady steht auf Rafe. Der Glückspilz.“

„Ach, halt doch die Klappe, Steve“, schimpfte Rafe. Nachdenklich blickte er zur Tür, wo vor ein paar Sekunden noch Katie gestanden hatte.

Er hatte Joes Anschuldigung hingenommen, weil dieser – solange die Wette lief – sein Boss war und Handwerker sich nicht unbedingt ständig mit Samthandschuhen anfassten. Aber dass Katie ihn so verteidigt hatte, gab ihm zu denken. Er konnte sich nicht erinnern, dass sich jemals jemand so für ihn eingesetzt hatte. Nicht mal seine Brüder und Cousins.

Nein, jemanden wie diese Katie Charles hatte er wirklich noch nie getroffen. Ihr Verhalten war völlig selbstlos gewesen; für sie war er ja nur der einfache Handwerker Rafe Cole. Wenn sie ihm half, hatte sie keinen Vorteil davon.

Anders hätte es nur ausgesehen, wenn sie gewusst hätte, dass er ein Mitglied der reichen Familie King war.

3. KAPITEL

Rafe würde an diesem Morgen zu spät zur Arbeit kommen.

Zwar musste er weiter der Handwerkertätigkeit nachgehen, um seine Wettschuld einzulösen, aber nebenher musste er auch noch seine eigentliche Arbeit bewältigen. Und dazu gehörte es, Lieferanten auf die Füße zu treten, die ihre Terminzusagen nicht einhielten. Eine der Aufgaben, die er sogar gern erledigte.

„Hören Sie, Mike“, sagte er ins Telefon. „Sie hatten uns die Türen und Fenster für das Krankenhaus zu gestern Mittag fest zugesagt.“

„Kann ich etwas dafür, wenn die Sachen an der Ostküste hängen geblieben sind?“

„Wahrscheinlich nicht. Trotzdem laste ich es Ihnen an, wenn die Lieferung nicht innerhalb der nächsten …“ – er schaute auf die Uhr – „… fünf Stunden erfolgt.“

„Das ist unmöglich“, gab der ältere Mann am anderen Ende der Leitung zurück.

„Kommt immer darauf an, wie viel Mühe man sich gibt.“ Rafe wollte keine Entschuldigungen mehr hören. Es war das zweite Mal, dass Mike Prentice nicht rechtzeitig geliefert hatte. Und es würde das letzte Mal sein.

Wortbruch und Versagen ließ Rafe nicht durchgehen. Jedem konnte mal ein Fehler unterlaufen, das wusste er. Aber wenn ein Geschäftspartner sein eigenes Unternehmen nicht im Griff hatte, konnte man sich nicht auf ihn verlassen. Und die Kings konnten nur mit Menschen zusammenarbeiten, die ihre Arbeit ebenso ernst nahmen wie sie auch. „Also, ich erwarte das Material noch heute auf der Baustelle.“

„Und wenn nicht …?“

„Das möchten Sie lieber gar nicht wissen.“

„Es kann doch immer mal was schieflaufen, Rafe“, versuchte sich der Mann am anderen Ende zu verteidigen. „Ich kann doch nicht jedem meiner Lieferanten ständig im Nacken sitzen.“

„Warum nicht? Kann ich doch auch.“

„Ja, na schön. Aber ich wette, ab und zu legt auch mal jemand die Kings aufs Kreuz.“

„Stimmt, das kommt vor. Aber nicht sehr oft – und niemals zweimal. Mike, wir führen diese Art von Unterhaltung nicht zum ersten Mal. Letztes Mal habe ich Ihnen Ihre Erklärung abgekauft, aber dies ist jetzt Ihre zweite und letzte Chance. Ich garantiere Ihnen, noch einmal führe ich so eine Unterhaltung nicht mit Ihnen. Wenn Sie uns das Material nicht in fünf Stunden liefern, wird King Construction sich einen neuen Lieferanten suchen.“

„Halt, halt, nicht so hastig. Ich …“

„Bei King Construction bekommt jeder eine zweite Chance“, sagte Rafe mit harter Stimme. „Aber nur eine. Und das war jetzt Ihre letzte. Also, entweder Sie liefern innerhalb der gesetzten Frist, oder ich lasse jedes Bauunternehmen in Kalifornien wissen, dass Sie unzuverlässig sind. Was meinen Sie, wie viele Aufträge Sie dann noch an Land ziehen können?“

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Rafe konnte sich denken, was seinem Gesprächspartner jetzt durch den Kopf ging. Mit den Kings hatte er es sich schon verscherzt, aber es blieben ihm noch genug andere Baufirmen, mit denen er Geschäfte machen konnte. Wenn er nicht auch noch diese Frist versäumte.

„Die Sachen sind pünktlich da“, versicherte der Mann, aber er klang dabei ziemlich unglücklich. „Sie sind verdammt hart, Rafe.“

„Das hätte Ihnen von vornherein klar sein müssen, Mike.“

Rafe legte auf, lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und drehte ihn, bis er aus dem Fenster sehen konnte. Das Geschäftsgebäude von King Construction stand direkt am Pacific Coast Highway, und jeder der Brüder hatte ein großes Büro mit tollem Ausblick. Einer der Vorteile, wenn man Firmeninhaber war.

Ein anderer Vorteil: Man konnte Geschäftspartner, die einen enttäuscht hatten, zusammenstauchen.

Rafe stand auf und legte eine Hand aufs Fenster. Seine Haut nahm die Kühle der Glasscheibe auf. War er ein harter Mann? Ja, wahrscheinlich.

Seine Exfrau war auf jeden Fall sicher dieser Meinung.

Noch ein Grund, sich von Katie Charles fernzuhalten.

Eine Frau wie sie brauchte keinen harten Mann in ihrem Leben.

„Das nenne ich mal einen schönen Anblick.“

Katie verdrehte die Augen und lachte ihre Großmutter an. „Du bist wirklich unmöglich, Nana.“

Emily O’Hara lächelte, strich sich übers silbergraue Haar und zwinkerte ihrer Enkelin zu. „Schätzchen, wenn man am Anblick gut gebauter Männer keine Freude mehr hat, kann man sich gleich einsargen lassen.“

Sie standen im Garten und beobachteten die Handwerker bei der Arbeit. Die Männer bildeten ein perfekt eingespieltes Team. Natürlich war Nana sofort Rafe aufgefallen, aber konnte Katie ihr das verdenken? Er war nun einmal ein Musterbeispiel der Gattung Mann.

Verstohlen blickte auch Katie zu ihm hinüber. Seit dem Tag, an dem sie ihn vor Joe verteidigt hatte, ging er ihr aus dem Weg. Warum nur? Vielleicht hatte es etwas mit Mannesehre zu tun, vielleicht war es ihm peinlich, dass eine Frau für ihn in die Bresche gesprungen war. Bei dem Gedanken musste sie lächeln.

„Na, du riskierst auch ganz gerne einen Blick, was?“ Die Großmutter legte Katie einen Arm um die Schultern. „Er ist aber auch wirklich ein Sahneschnittchen.“

„Ein Sahneschnittchen?“, wiederholte Katie lachend.

„Aber sicher doch. Die Frage ist nur, was du jetzt machst.“

„Was soll ich schon machen?“

„Nein, wirklich“, merkte Nana kopfschüttelnd an, „die Jugend wird eindeutig an die Falschen verschwendet. Katie, wenn du ihn willst, dann leg los.“

„Er ist doch kein Keks, den ich mir nehmen und einpacken kann.“

„Wer hat denn von einpacken geredet? Ich hatte eher ans Auspacken gedacht. Schnapp ihn dir und beiß zu. Das Leben ist kurz, Schätzchen. Man muss es genießen, solange man kann.“

„Auch wenn es schwer zu glauben ist – leider bin ich nicht so unbekümmert und abenteuerlustig wie meine Großmutter.“

„Solltest du aber sein“, ermahnte Nana sie. „Ich habe deinen Großvater geliebt, Schätzchen, aber er ist nun schon lange tot, und ich bin noch gesund und munter. Und du sowieso. Aber du vergräbst dich schon viel zu lange in deiner Arbeit. Wie ein Maulwurf, der sich kaum ans Tageslicht traut.“

„Na, na, so schlimm bin ich nun auch wieder nicht.“

„Früher warst du es wenigstens nicht. Bis dieser Cordell dich so durcheinandergebracht hat.“

Katie runzelte die Stirn. Musste ihre Großmutter sie jetzt daran erinnern?

„Kindchen, die Welt da draußen ist voller Menschen, und die Hälfte von ihnen sind Männer“, erklärte Nana. „Nur weil einer von ihnen dich enttäuscht hat, kannst du doch nicht alle in Grund und Boden verdammen.“

Tue ich das denn? fragte Katie sich. Eigentlich doch nicht. Sicher, Cordell King hat mich verletzt, aber ich verstecke mich doch nicht vor der Welt. Ich arbeite eben viel. Baue mein Geschäft auf. Na schön, ich habe zwar seit einiger Zeit kein Date mehr gehabt … Seit einiger Zeit? Oje. Genauer gesagt, seit Cordell nicht mehr. Und das ist jetzt über ein halbes Jahr her. Was ist nur mit mir passiert? Früher war ich doch eine lustige Person. Ich habe meine Freunde angerufen und bin mit ihnen um die Häuser gezogen. Ich hatte Spaß. Ja, früher.

„Schau mal, der schnuckelige Typ macht sich auf den Weg zu uns“, flüsterte ihre Großmutter.

Ja, Rafe kam auf sie zu. Aber schnuckelig ist das falsche Wort für ihn, dachte Katie. Er ist dunkel und gefährlich und supersexy. Hundewelpen sind schnuckelig.

Rafe hingegen war die Versuchung pur.

„Was sagtest du, wie hieß er noch gleich?“

„Rafe. Rafe Cole.“

„Hmm …“

Überrascht sah Katie ihre Großmutter an. Sie merkte: Irgendetwas ging in ihrem Kopf vor. Aber bevor sie sie danach fragen konnte, war Rafe schon bei ihnen. Katie stellte die beiden einander vor.

„Ich wollte nur kurz Bescheid sagen, dass wir heute früher Schluss machen. Joe hat ein Meeting, und er möchte Arturo und Steve dabeihaben.“

„Und Sie nicht?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin im Betrieb ja nur ein kleines Licht, die können auf mich verzichten.“ Er lächelte Nana freundlich an. „War nett, Sie kennengelernt zu haben.“

„Hat mich auch gefreut, Rafe.“

Als er sich entfernte, blickte Katie ihm grübelnd nach. Wie kraftvoll er ging! Und der Anblick seines Hinterns in den verwaschenen Jeans war auch nicht zu verachten!

Dann wandte sie sich an ihre Großmutter, die verdächtig nachdenklich wirkte. „Also raus damit! Was geht dir durch den Kopf?“

„Ich, äh, habe nur überlegt, ob er vielleicht zufällig einen Großvater hat, der ebenso knackig ist wie er.“

Katie kniff die Augen zusammen. „Ach, komm, hör auf. Du verheimlichst mir doch irgendwas.“

„Ich?“, fragte die alte Dame gespielt unschuldig. „Das könnte ich doch gar nicht. Du kannst in mir lesen wie in einem offenen Buch.“

„Nana …“

Die Großmutter sah auf ihre Uhr. „Oh, ich muss dringend los. Grace und ich treffen uns nachher mit zwei heißen Witwern. Und vorher haben wir noch einen Maniküre-Termin.“

Katie umarmte sie. „Du bist mir schon so eine.“

„Und du hast auch noch Potenzial. Warum lädst du den Schnuckel-Mann nicht einfach zum Essen ein? Fang endlich wieder an zu leben, Katie. Du magst ihn doch, oder?“

„Ja“, gab Katie zu. „Ja, ich mag ihn. Ich meine, ich kenne ihn ja erst seit einer Woche, aber es kommt mir irgendwie schon viel länger vor. Er ist wirklich nett. Ein ganz normaler Typ und schwer in Ordnung. Ganz anders als Cordell King – und das ist schon mal gut. Von reichen Müßiggängern habe ich die Nase voll.“

„Nicht alle reichen Leute sind Müßiggänger“, stellte Emily fest. „Und sie sind auch nicht alle Idioten.“

„Mag sein“, räumte Katie ein, aber überzeugt war sie nicht. Zugegeben – so viel Erfahrung mit reichen Männern hatte sie nun auch wieder nicht. Cordell war der einzige Milliardär, den sie je kennengelernt hatte. Aber wenn er typisch für diese Art Mensch war, reichte ihr diese Erfahrung fürs ganze Leben. „Trotzdem interessiere ich mich ab sofort nur noch für ganz normale Typen. Typen, die hart arbeiten.“

„Du hast genauso einen Dickkopf wie deine selige Mutter. Aber gut, warum nicht? Dieser Rafe scheint wirklich nett zu sein. Und eine Augenweide ist er obendrein.“

„Das ist er wirklich.“ In jeder Nacht hatte Katie von ihm geträumt.

„Aber denk dran – man kennt einen Mann erst richtig, wenn man mit ihm Matratzensport gemacht hat.“

„Nana!“, sagte Katie und stöhnte auf. „In deinem Alter! Du solltest mir ein Vorbild sein.“

„Bin ich doch, und zwar das beste.“ Emily lachte. Ihr bereitete es ein diebisches Vergnügen, ihre Enkelin zu schockieren. „Ich wollte damit nur sagen, dass es bestimmt ganz spannend wäre, mit ihm eine kleine Testfahrt zu machen.“

Katie liebte ihre Großmutter, aber so locker wie Emily O’Hara konnte sie die Welt einfach nicht sehen. Andererseits war Nana auch nicht immer so gewesen. Erst nach dem Tod von Katies Mutter schien ihr plötzlich aufgegangen zu sein, wie kurz das Leben war. So hatte sie sich mitten hineingestürzt.

Obwohl Katie das verstand und ihre Großmutter insgeheim dafür bewunderte, konnte sie einfach nicht so sein. Nana hatte die große Liebe ihres Lebens gehabt und suchte jetzt einfach nur noch Spaß.

Katie hingegen war immer noch auf der Suche nach der echten Liebe.

Was Rafe anging, hatte Nana wahrscheinlich trotzdem recht. Katie fühlte sich mehr zu ihm hingezogen als je zuvor zu einem Mann, Cordell King eingeschlossen. Vielleicht sollte sie wirklich ihr Glück versuchen. Ausbrechen aus dem Kokon, in den sie sich zurückgezogen hatte.

„Nein, an einer ‚Testfahrt‘ bin ich nicht interessiert.“ Na ja, so ganz entsprach das nicht der Wahrheit. „Noch jedenfalls nicht. Aber ein gemeinsames Essen wäre wirklich nicht schlecht. Ich mag ihn, und er ist so ganz anders als Cordell King.“

„Hmm …“

„Was?“

„Ach, nichts. Gar nichts.“ Emily schloss sie in die Arme und sagte: „Ich muss jetzt los, ein bisschen Spaß haben. Und denk dran, das solltest du auch. Bis bald.“

Als Nana gegangen war, musterte Katie verstohlen Rafe, der sich lachend mit Arturo unterhielt.

Ein bisschen Spaß. Das war wirklich nicht die schlechteste Idee.

„Die anderen sind schon weg“, sagte Rafe.

Er war extra noch etwas länger geblieben, um ein paar Minuten mit Katie allein zu sein. Warum genau – das fragte er sich lieber nicht, aus Angst, die Antwort könnte ihm nicht gefallen. Aber er freute sich insgeheim auf die kurze Zeit nur mit ihr.

In der Nachbarschaft war es ruhig, nur von fern hörte man einen Hund bellen. Vom Ozean wehte eine kühle Brise herüber.

Katie hatte ihr lockiges rotes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ihre grünen Augen leuchteten. Rafe spürte ein heftiges Begehren in sich aufsteigen. Aber er wusste, es wäre ein Fehler, etwas mit ihr anzufangen. Nicht nur, dass sie eigentlich gar nicht sein Typ war – obendrein hasste sie die Familie King. Wenn sie beide Sex hatten und sie dann später herausfand, dass er ihr verheimlicht hatte, wer er wirklich war – das konnte nur böse enden.

Das sagte ihm jedenfalls die Vernunft. Aber Vernunft war auch nicht alles.

„Na, wie ist es heute so gelaufen?“ Sie machte sich auf den Weg zur Garage, und Rafe begleitete sie.

„Oh, wir sind gut vorangekommen. Die Klempnerarbeiten sind jetzt komplett erledigt.“

„Wirklich?“ Sie blieb stehen und lächelte. „Das hört man gerne.“

Ihr Lächeln genügte schon, um ihn zu verzaubern. Noch nie hatte er sich in so kurzer Zeit zu jemandem so hingezogen gefühlt. Nicht mal zu Leslie, seiner Exfrau aus der Hölle.

Er räusperte sich und sagte: „Ja, jetzt dürfte alles recht schnell gehen. Vorausgesetzt, Ihre bestellten Geräte kommen alle pünktlich.“

„Das hoffe ich doch sehr. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich es vermisse, eine richtige Küche zu haben.“

„Aber mit Ihrer Arbeit scheinen Sie trotzdem gut voranzukommen. Der Keksduft spricht Bände.“

Lachend öffnete sie die Garagentür und trat ins Halbdunkel. Rafe folgte ihr; er wollte einfach noch nicht gehen. Interessiert sah er sich in der Garage um. Sie war sauber und aufgeräumt. An einer Wandseite befanden sich Regale, an der anderen eine Waschmaschine und ein Wäschetrockner. Dazwischen stand ein roter Geländewagen, ein älteres Modell.

„Weil Sie mir netterweise den Herd angeschlossen haben, ist das Keksebacken noch die leichteste Übung“, erwiderte sie. „Aber ich vermisse meine große Arbeitsfläche, wenn es ans Dekorieren und Einpacken der Kekse geht. Ich habe auf der Veranda zwar Tische aufgestellt, aber …“

„Sie sehnen sich nach Normalität“, ergänzte er.

„Genau. Man nimmt immer alles als selbstverständlich hin – und erst wenn alles anders ist, merkt man, was einem fehlt.“

Vor den Regalen bückte sie sich, um einen Sack Holzkohle hervorzuziehen. Aus einem Reflex der Hilfsbereitschaft heraus bückte er sich ebenfalls – und ihre Gesichter waren sich ganz nahe.

Rafe kam es vor, als würde die Zeit stehen bleiben. Er konnte den Blick nicht von ihr lassen. Nur zu gern hätte er sie geküsst. Aber ihre Augen verrieten ihm, dass sie noch nicht so weit war. Und wenn Rafe King etwas konnte, dann war es Geduld zeigen. Also erhob er sich wieder und ergriff den Sack mit der Holzkohle.

„Ich mache das schon für Sie.“

„Danke.“

„Sie sind sicher froh, wenn wir weg sind und Ihr Leben wieder normal verläuft.“

„Och, na ja. Wie verläuft Ihr Leben eigentlich so?“

„Wohl so ungefähr wie bei jedem“, antwortete er nach kurzem Nachdenken. Er musste vorsichtig sein und so unpräzise wie möglich bleiben – schließlich durfte er ihr nichts von seinen Brüdern oder seiner wahren Arbeit bei King Construction erzählen. „Arbeiten, nach Hause fahren, den Feierabend genießen.“

„Und wie genießen Sie den am liebsten?“

„Ich tue alles, was mir Spaß macht“, antwortete er und sah ihr tief in die Augen. Sein Blick schien ihr zu verraten, wie sehr sie ihn erregte, denn sie wurde sichtlich nervös. Das gefiel ihm. Es zeigte ihm, dass auch er ihr nicht gleichgültig war. Aber er würde es ganz langsam angehen. Mit einer Frau wie Katie hatte er es schließlich nicht jeden Tag zu tun.

Die Frauen, mit denen er sonst gelegentlich seine Zeit verbrachte, waren wie er nur auf ein paar Stunden des Vergnügens aus. Keine weitergehenden Pläne, keine Gefühlsfallen, keine Erwartungen. Aber Katie war ganz anders. Eine neue Erfahrung für ihn. Eine verflixt spannende.

Er hob den Sack mit der Holzkohle hoch. „Sie wollen wohl heute Abend noch grillen?“

„Ja, ich wollte mir ein paar Hamburger machen. Gegrillt schmecken sie einfach besser als aus der Pfanne.“

„Ganz meine Meinung. Soll ich Ihnen den Grill aufstellen?“

„Nur wenn Sie zum Essen bleiben.“

Überrascht sah er sie an und lächelte. Wenn er zum Essen blieb, würde er auch zum Nachtisch bleiben. „Sehr gerne. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich vorher noch schnell nach Hause fahren, duschen und mich umziehen.“

„Klar, kein Problem.“

Wieder wirkte sie nervös, und das erregte ihn noch mehr. Jetzt gleich erst mal unter die Dusche. Eine extrakalte Dusche.

„Okay“, sagte er, „ich bin in einer Stunde zurück. Um den Grill kümmere ich mich dann. Ich bin sehr gut darin, ein Feuer zu entfachen.“

„Das“, murmelte sie, „glaube ich Ihnen unbesehen.“

4. KAPITEL

Es ist nichts Besonderes, sagte sich Katie, während sie Nudelsalat zubereitete. Nur ein bisschen was grillen, nur ein Abendessen. Zwischen zwei Menschen, die sich sympathisch finden. Mit Sex hat das rein gar nichts zu tun.

Haha, wer’s glaubt, dachte sie. Ich habe doch die Spannung zwischen uns bemerkt. Als wir beide nach der Holzkohle gegriffen haben, hatte ich einen Augenblick lang das Gefühl, er würde mich gleich küssen. Vielleicht hätte ich das gar nicht so schlecht gefunden. Und dann, als er gesagt hat, er wäre sehr gut darin, ein Feuer zu entfachen – da wusste er bestimmt, dass er es bei mir bereits getan hat.

Ihr gab es ein wenig innere Ruhe, dass sie sich jetzt um den Salat kümmerte. Kochen und Backen hatten ihr noch immer dabei geholfen, ihren Seelenfrieden zu finden. Schon als Kind hatte sie Nana in der Küche geholfen, viel dabei gelernt und allmählich begonnen, eigene Rezepte zu entwickeln. Und ihr war bewusst geworden: Egal, was in ihrem Leben geschah – die Küche würde immer ihr heiliger Rückzugsort sein.

Sorgfältig schnitt sie alles klein: Sellerie, Champignons, Karotten und Brokkoli. Zusammen mit dem selbst gemachten Pesto vermischte sie alles mit den Nudeln, stellte die Schüssel in den Kühlschrank und begann mit der Zubereitung des Nachtischs.

Hauptsache, sie war beschäftigt. Wenn sie Zeit zum Nachdenken bekam, wäre sie glatt noch imstande, das Essen wieder abzusagen.

Aber warum eigentlich? fragte sie sich. Es ist eine Einladung zum Essen, mehr nicht. Keine Rede von Sex.

Oder …?

Das Problem war: Sie wollte Rafe Cole wirklich. Mit jedem Tag war er ihr mehr ans Herz gewachsen. Er war so freundlich und hilfsbereit, und, ja, obendrein sah er wirklich unheimlich gut aus. Jede Nacht träumte sie von ihm.

Sicher, mit der Einladung zum Essen beschwor sie Komplikationen herauf. Aber vielleicht war es wirklich an der Zeit, dass ihr Leben mal ein bisschen komplizierter wurde. Immer war sie das liebe, brave Mädchen gewesen, immer hatte sie „das Richtige“ getan. Das, was sicher war.

Wie zum Beispiel in ihrer Beziehung zu Cordell King. Ein Vierteljahr lang waren sie zusammen ausgegangen, doch mit ihm geschlafen hatte sie nicht. Sie hatte es langsam angehen lassen wollen, weil sie sich nicht ganz sicher gewesen war, ob er wirklich der richtige Mann für sie war.

Dabei hatte sie anfangs sogar das Gefühl gehabt, dass das Schicksal sie zusammengeführt hätte. Schließlich lernte sie nicht jeden Tag einen Milliardär kennen. Er hatte bei ihr ein großes Sortiment ihrer besten selbst gebackenen Kekse bestellt – für seine Sekretärin, die in den Mutterschaftsurlaub ging. Und weil das Mädchen, das sonst für Katie die Bestellungen auslieferte, an diesem Tag keine Zeit hatte, hatte sie die Kekse selbst gebracht.

Die Sekretärin war von den Leckereien begeistert gewesen. Ja, so hatte Katie Cordell kennengelernt. Er hatte sich herzlich bei ihr für die gute Arbeit bedankt, sie dann zu ihrem Wagen gebracht – und sie spontan zum Essen eingeladen. Nach jenem Abend hatten sie sich so oft wie möglich getroffen – so oft eben, wie es sein und ihr Terminkalender zuließen.

Ihr hatte es sehr geschmeichelt, dass er sich so um sie bemühte. Dass ein derart wohlhabender und erfolgreicher Mann sie begehrte, hatte sie so verzaubert, dass sie an echte Liebe glaubte. Er sah so gut aus, war so aufmerksam und sexy.

Zu dieser Zeit hatte sie das Gefühl gehabt, in einem Märchen zu leben. In einem Märchen mit einem schönen Prinzen, der sie aus ihrer ärmlichen, aber gepflegten Hütte holte und mit auf sein Schloss nahm.

Wie naiv ich war, dachte sie. Zum Glück habe ich nicht mit ihm geschlafen. Dann würde ich mich jetzt noch mehr gedemütigt fühlen.

Denn irgendwann hatte sich herausgestellt, dass Cordell in Wirklichkeit nur einen Menschen liebte: sich selbst.

Aber das ist kalter Kaffee, das ist längst vorbei, mahnte sie sich. Denk nicht mehr daran. Sie füllte Schlagsahne in zwei Gläser, bedeckte sie mit Keksstückchen und fügte noch mehr Schlagsahne hinzu. Dann stellte sie das Dessert ebenfalls in den Kühlschrank. Kurz vor dem Essen würde sie noch Himbeersirup darübergießen.

Nervös blickte sie auf die Uhr. Rafe würde jede Minute kommen. Schnell rannte sie ins Badezimmer und überprüfte ihr Haar und ihr Make-up. Sie fühlte sich tatsächlich wie ein Teenager vor seinem allerersten Date.

Nachdenklich betrachtete sie sich im Spiegel. Du sollst heute einfach nur Spaß haben, sagte sie sich. Denk ausnahmsweise mal nicht an morgen, plane nicht voraus. Genieß den heutigen Abend und was daraus wird. Er ist ein netter Typ, und ihr seid beide Singles. Also entspann dich.

Das war allerdings leichter gesagt als getan.

Aber ein bisschen Spaß haben – das konnte doch nicht verkehrt sein.

Oder?

„Hast du irgendwas herausgefunden?“, fragte Rafe über die Freisprechanlage seinen Bruder, als er auf der Fahrt zu Katies Haus war.

„Nichts, absolut nichts“, ertönte Seans Stimme. „Ich habe Tanner gefragt, aber seit er Ivy geheiratet hat, ist er zu nichts mehr zu gebrauchen. Er spricht ständig nur noch über die neuesten Ultraschallbilder.“ Sean seufzte entnervt. „Als ob eine Schwangerschaft so was Besonderes wäre. Dabei werden täglich jede Menge Leute schwanger. Viel zu viele, wenn du mich fragst.“

Rafe kommentierte das nicht weiter. Er freute sich für seinen Bruder Tanner. Ivy war eine richtig nette Frau und tat ihm in jeder Hinsicht gut.

„Dann habe ich Cousin Jesse angerufen“, berichtete Sean weiter. „Aber alles, was er zum Thema Katie Charles zu sagen hatte, war, dass er ihre Macadamia-Kekse am liebsten mag. Seine Frau Bella findet ihr Erdnussbuttergebäck besser, und Söhnchen Joshua liebt ihre Schokoplätzchen über alles.“

Verärgert fuhr Rafe sich mit der Hand durchs Haar. „Was scheren mich die blöden Kekse.“

„Tut mir leid, mehr wussten sie nicht. Und langsam kriege ich auch mächtig Appetit auf Kekse.“

Rafe parkte vor Katies Haus ein. „Aber irgendjemand aus unserer Familie muss sie kennen. Und ich will wissen, wer.“

„Warum beschäftigt dich das so?“ Sean lachte auf. „Wie lange kennst du sie jetzt? Eine Woche? Kann dir doch egal sein, wenn sie die Kings hasst.“

„Es gefällt mir einfach nicht.“

„Eigentlich solltest du langsam daran gewöhnt sein. Es gibt eine Menge Leute, die die Kings hassen.“

„Aber keine Frauen.“

„Da hast du auch wieder recht“, erwiderte Sean. „Vielleicht ist das mit ein Grund, dass du sie so interessant findest?“

„Wer weiß. Kann sein.“ Es war ihm selbst nicht klar. Aber Katie Charles hatte unbestreitbar eine große Wirkung auf ihn. Dafür genügte schon ein Blick in ihre wunderschönen grünen Augen.

Umso mehr beunruhigte es ihn, dass sie nicht erfahren durfte, dass er ein King war. Denn dann würde sie ihm wahrscheinlich die Tür vor der Nase zuschlagen, und er würde sie nie wiedersehen.

„Na schön, ich höre mich weiter um“, versprach Sean seufzend. „Oh, mir fällt gerade was ein. Ich rufe Garrett an. Der wäre doch am liebsten Privatdetektiv geworden. Falls er nichts weiß, schnüffelt er dem Geheimnis sicher gerne hinterher.“

Ihr Cousin Garrett King führte eine Sicherheitsfirma und ging gern den Dingen auf den Grund. Wenn jemand herausfinden konnte, warum Katie die Kings hasste, dann er.

„Famose Idee. Vielen Dank im Voraus.“

„Hast du schon was vor? Ich will heute noch mit dem Jet nach Las Vegas fliegen, da könntest du mitkommen. Erst sehen wir uns eine Show an, und anschließend versuchen wir unser Glück an den Spieltischen.“

Rafe lächelte. Normalerweise wäre dieser Einladung genau das Richtige für ihn gewesen. Aber heute hatte er schon etwas Besseres vor. „Danke, aber mein Abend ist schon verplant.“

„Triffst du dich mit der King-Hasserin?“

„Sie heißt Katie. Aber du hast recht.“

„Und sie hat keine Ahnung, wer du wirklich bist, stimmt’s?“

„Stimmt.“ Das war ihm noch nie passiert – dass er sich als jemand anderer ausgeben musste, um mit einer Frau zusammen zu sein. Im Gegenteil, sonst öffnete ihm der Name King bei der Damenwelt alle Türen.

„Na toll. Sieh mal zu, dass du für mich ein paar Kekse an Land ziehst, bevor sie herausfindet, dass du ihr was vorlügst. Denn dann wird sie uns noch mehr hassen.“

Rafe beendete das Gespräch und dachte über die Worte seines Bruders nach. Doch zu viele Sorgen machte er sich nicht. Er würde schon aufpassen, dass sie nicht zu früh seinen wahren Namen erfuhr. Erst wenn er ihr den Hof gemacht und sie verführt hatte. Und ihr bewiesen hatte, was für ein liebenswerter Kerl er war.

Erst dann würde er ihr offenbaren, dass er ein King war. Und sie würde einsehen müssen, dass sie sich mit ihrem Pauschalurteil über die Familie geirrt hatte.

Jetzt würde er erst mal einen netten Abend mit ihr genießen. Mit der Frau, die mit ihm nur ein paar Hamburger brutzeln wollte.

Er stieg aus und ging zum Haus. Doch er war noch auf dem Weg, als sich bereits die Tür öffnete und Katie ihm entgegengerannt kam. Sie trug ein dunkelgrünes T-Shirt und weiße Shorts und sah wie immer umwerfend aus. „Rafe, ich bin so froh, dass Sie wieder da sind. Kommen Sie schnell!“

Sie rannte zum Haus ihrer Nachbarin, und Rafe folgte ihr beunruhigt. Etwas Furchtbares musste passiert sein. Lag jemand im Sterben? Sicherheitshalber zog er schon sein Handy heraus, um im Notfall schnell einen Krankenwagen rufen zu können.

„Was ist denn los, um Himmels willen?“, rief er.

„Nicole braucht Hilfe!“

In diesem Moment öffnete sich schon die Haustür. Eine sichtlich entnervte junge Frau mit kurzen blonden Haaren und einem Kleinkind auf dem Arm seufzte erleichtert.

„Gott sei Dank, dass ihr hier seid. Es ist überall.“

Katie wollte das Haus betreten, aber Rafe hielt sie zurück und ging als Erster hinein. Er hatte keine Ahnung, was da drinnen los war, aber auf keinen Fall wollte er Katie einer Gefahr aussetzen.

Als er eintrat, folgte sie ihm. Suchend blickte er sich um. Auf dem Fußboden lagen Spielzeugautos. Wo war denn nun die Gefahr?

Dann hörte er es, und sein Herzschlag beruhigte sich wieder. Es plätscherte. Also lag niemand im Sterben – wahrscheinlich war es nur ein Wasserrohrbruch oder so etwas.

Die Frau redete mit Katie, aber Rafe hörte nur mit halbem Ohr zu. „Der Hahn lässt sich nicht abdrehen. Überall ist bereits Wasser, und Connor hat die ganze Zeit geheult, und …“

„Beruhige dich, Nicole“, redete Katie auf sie ein. „Wir kriegen das schon hin.“

Rafe ließ die beiden Frauen stehen und ging zur Küche, von wo das Plätschern kam. So hatte er sich sein erstes Date mit Katie natürlich nicht vorgestellt, aber er war ja flexibel. Aus dem unteren Teil der Spüle schossen Wassermassen hervor. Das Wasser stand schon zentimeterhoch.

Fluchend watete Rafe durch die Küche. Vor der Spüle kniete er sich hin, tastete sich durch das kalte Wasser und fand schließlich den Haupthahn. Immer noch schoss ihm das Wasser entgegen, bis er den Hahn endlich gut im Griff hatte. Kein Wunder, dass Nicole ihn nicht zudrehen konnte, dachte er, er ist total verklemmt. Selbst er als kräftiger Mann hatte größte Mühe, ihn Stück für Stück weiter zuzudrehen. Langsam ließen die Fluten nach, bis es schließlich nur noch ein bisschen tröpfelte.

Stille trat ein, bis plötzlich der kleine Junge in den Armen seiner Mutter loslachte.

„Boot“, rief er und zeigte mit seinem Händchen auf ein Handy, das an ihnen vorbeischwamm.

„Na toll“, murmelte Nicole und bückte sich, um es aus den Fluten zu fischen. „Aber was soll’s, irgendwann wollte ich mir sowieso ein neues kaufen.“

„Oh, Nicole, du tust mir so leid“, sagte Katie und legte ihrer Nachbarin den Arm um die Schultern. Dann sah sie den völlig durchnässten Rafe mitleidig an. „Rafe, das ist Nicole Baxter. Nicole, dein Retter heißt Rafe Cole.“

Die Frau lächelte ihn dankbar an. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Sie freuen sich im Moment wahrscheinlich eher weniger.“

„Ach, halb so wild. Ab und zu erlebe ich ganz gern mal ein kleines Abenteuer.“ Er wischte sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und bemerkte, dass Katie ihn halb mitleidig, halb amüsiert anschaute. Trotz der ärgerlichen Situation lächelte er. „Ich habe den Haupthahn abstellen können, aber er ist völlig verklemmt. Muss unbedingt repariert werden. Oder am besten ausgetauscht.“

„Das hatte ich mir schon gedacht“, erwiderte Nicole seufzend. „Danke, dass Sie diese Sintflut beendet haben. Alleine hätte ich das nie geschafft.“

„Wahrscheinlich brauchen Sie nicht mal einen teuren Klempner. Ihr Mann sollte den Haupthahn problemlos austauschen können.“

„Mein Exmann vergnügt sich auf Hawaii mit seiner Sekretärin“, merkte Nicole süßsauer lächelnd an. „Er hat sich schon vor Connors Geburt aus dem Staub gemacht“, ergänzte sie und küsste ihren kleinen Sohn auf die Wange. „Aber wir kommen auch ohne ihn ganz gut klar. Stimmt’s, mein Süßer?“

Da bin ich ja mächtig ins Fettnäpfchen getreten, schoss es Rafe durch den Kopf. Ich habe sie an ihren Dreckskerl von Exmann erinnert, und jetzt fühlte sie sich bestimmt noch schlechter. Wut stieg in ihm auf. Was war das nur für ein Mensch, der eine werdende Mutter im Stich ließ? Er konnte es einfach nicht begreifen. Sicher, nicht jede Ehe funktionierte wirklich gut. Aber wie konnte jemand nur vor der Verantwortung für das eigene Baby davonlaufen? Hätte der Mann nicht versuchen müssen, die Familie zusammenzuhalten?

In diesem Moment wurde ihm bewusst, dass seine eigene Familiengeschichte den Zorn auf den ihm unbekannten Mann befeuerte. Sein Vater war nämlich auch nicht gerade ein Mustervater gewesen. Aber immerhin war Ben King für seine Kinder da gewesen, wenn sie ihn wirklich brauchten. Was man von Nicoles Ex nicht behaupten konnte.

Sein Vater war schlimm gewesen – und seine Mutter auch nicht viel besser. Sie hatte ihn zu einer Tante abgeschoben, kaum dass er ein Jahr alt war. Und sie kam immer nur dann zu Besuch, wenn sie wieder Geld brauchte. Ben King hatte sie nicht geheiratet, aber immerhin finanziell unterstützt, bis Rafe achtzehn wurde.

Als Rafe erwachsen war, wandte seine Mutter sich stattdessen an ihn und bat ihn um Geld, um ihren Lebensstil finanzieren zu können. Er zahlte gern. So hielt er sie sich vom Leibe.

Wenn er jetzt so Nicole und ihren Sohn betrachtete, wurde ihm wieder bewusst, wie schwer es die Tante gehabt haben musste, ihn großzuziehen. Sicher, sie hatte nicht in Armut gelebt, trotzdem war es nicht einfach gewesen, ganz allein einen Jungen aufzuziehen. So wie es jetzt Nicole tun musste. Wobei sie es nicht so gut hatte, einfach einen King um Geld bitten zu können.

Bisher jedenfalls. Jetzt war ja ein King in ihrer Nähe, ohne dass sie es wusste.

In Katies Augen sah er, dass sie sich um ihre Freundin sorgte. „Wir packen schnell ein bisschen mit an“, schlug er vor. „Vielleicht könnt ihr beiden die Hintertür aufmachen und so viel wie möglich von dem Wasser hinausfegen?“

„Gute Idee“, stimmte Katie zu. „Komm, Nicole, wir holen uns zwei Besen und …“

„Das ist wirklich nicht nötig“, wehrte Nicole bescheiden ab. „Ich kriege das schon alleine hin.“

„Sicher würden Sie das schaffen“, sagte Rafe, um ihr Selbstwertgefühl nicht zu verletzen. „Aber mit unserer Hilfe geht es schneller. Während ihr beiden euch um das Wasser kümmert, fahre ich schnell zum nächsten Sanitärgeschäft, besorge einen neuen Haupthahn und baue ihn blitzschnell ein. Das ist in null Komma nichts erledigt.“

Bewundernd strahlte Katie ihn an.

Und er fühlte sich, als hätte man ihm gerade einen Orden verliehen.

Ihre Blicke trafen sich, und einen Augenblick lang stand die Welt still. Es überwältigte ihn, wie gerührt sie über seine Hilfsbereitschaft war. Was für ein wunderbares Gefühl!

Am liebsten hätte er sie jetzt in die Arme gezogen und geküsst. Was er für sie empfand, war viel mehr als bloßes Begehren. So etwas hatte er noch nie erlebt.

„Nein, das kann ich wirklich nicht von Ihnen verlangen“, warf Nicole ein und zerstörte damit den magischen Moment.

Rafe war darüber fast erleichtert, weil ihm dieses Gefühl unheimlich vorkam. „Sie verlangen es ja auch nicht“, gab er zurück. „Ich habe es freiwillig angeboten, und ich mache es gerne. Außerdem wollen wir doch nicht, dass der kleine Connor ohne Wasser auskommen muss.“

Noch immer sah Katie ihn bewundernd an, als wäre er ein Superheld. Das ließ ihn nicht kalt, im Gegenteil. Lächelnd zog er den Autoschlüssel aus der Hosentasche. Es war besser, wenn er jetzt ging. „Ich bin in ein paar Minuten zurück und erledige dann den Rest.“

„Danke“, flüsterte Nicole. „Vielen, vielen Dank.“

Katie umarmte sie kurz, dann ging sie zu Rafe und ergriff seine Hand. „Ich bringe Sie noch zur Tür. Nicole kann inzwischen Besen und Mopp holen.“

Es fühlte sich so gut an, ihre Hand in seiner zu spüren! Als sie an der Tür waren, blickte Katie sich um, um sicherzugehen, dass Nicole außer Hörweite war. Dann flüsterte sie ihm zu: „Vielen Dank, dass Sie ihr helfen, Rafe. Nicole könnte sich nämlich keinen Klempner leisten. Sie sind wirklich ihr Retter in der Not.“

„Kein Problem.“

„Für Sie nicht“, gab sie lächelnd zurück. „Aber für eine alleinerziehende Mutter ist es eine Katastrophe. Oder sagen wir, es wäre eine Katastrophe gewesen – ohne Sie. Sie sind mein Held.“

Diese Worte taten ihm unendlich gut. Normalerweise zückte er einfach sein Scheckbuch, wenn er jemandem helfen wollte. So tat er ein gutes Werk und konnte trotzdem Distanz wahren. Bis jetzt war ihm nicht bewusst gewesen, wie erfüllend es sein konnte, als Helfer wirklich selbst anzupacken.

„Ich glaube, ein Held bin ich noch nie für jemanden gewesen.“

Wieder sah sie ihn an, und er verlor sich in ihren bezaubernden grünen Augen. „Jetzt sind Sie es“, erwiderte sie lächelnd. „Für mich.“

Ganz sanft strich er ihr übers Haar. „Bitte merken Sie sich das. Für später.“

„Garantiert“, sagte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss. Ganz kurz und flüchtig nur, aber es war ein Kuss. „Bitte kommen Sie schnell zurück.“

Die Berührung ihrer Lippen hatte ihn wie ein Blitz durchzuckt, und er war körperlich aufs Höchste erregt. Er konnte nur hoffen, dass sie seine Erektion nicht bemerkte, wenn er jetzt zum Wagen ging.

Ein schöner Held war er!

Nach getaner Arbeit hatte Katie die erschöpfte Nicole und ihr Söhnchen Connor zum geplanten Grillen mit eingeladen.

Aus reiner Freundlichkeit, sagte sie sich, weil ihre Nachbarin nach den Ereignissen wirklich ziemlich fertig war. Doch in Wirklichkeit hatte die kurze Szene an Nicoles Haustür sie so durcheinandergebracht, dass sie bei ihrem Essen mit Rafe lieber jemanden dabeihaben wollte. Nicht gerade einen Anstandswauwau, aber doch jemanden, der sie durch seine bloße Anwesenheit davon abhielt, sich Rafe sofort an den Hals zu werfen.

Das hätte sie nämlich am liebsten getan. Rafe hatte sich einfach großartig verhalten, edel und ritterlich. Wenn sie so an ihren Verflossenen Cordell King zurückdachte – der hätte sich in so einer Situation vornehm zurückgehalten. Selbst anpacken, sich völlig durchnässen lassen – das wäre nicht sein Ding gewesen. Er war eben der Anzugtyp. Total auf seine Geschäfte fixiert und an der wirklichen Welt nicht sonderlich interessiert.

Rafe war da wirklich ganz anders. Jetzt spielte er liebevoll mit dem kleinen Connor, warf ihm einen Plüschball zu. Dieser Mann war einfach …

„Erstaunlich“, raunte Nicole plötzlich Katie zu und beendete damit unwissentlich den gedachten Satz.

„Was?“

„Er“, flüsterte Nicole. „Er ist erstaunlich. So einen Traumtypen trifft man nicht oft, Katie.“

„Genau das habe ich auch gerade gedacht.“

„Ja?“ Nicole stellte ihren Teller beiseite. „Wenn du das auch so siehst – warum hast du dann Connor und mich zum Essen eingeladen? Wir machen dir doch nur dein Date kaputt.“

„Davon kann keine Rede sein“, beruhigte Katie sie. Sie waren jetzt seit einem Jahr Nachbarn und inzwischen gute Freundinnen geworden. Oft lästerten sie gemeinsam über die Männer, die sie enttäuscht hatten. Außerdem arbeiteten sie beide von zu Hause aus. Katie hatte ihre Keksfabrikation, und Nicole erledigte die Buchführung für mehrere kleine Unternehmen. „Schließlich bist du meine Freundin, Nicole, und bist mir immer herzlich willkommen. Das weißt du doch.“

„Sicher weiß ich das“, erwiderte Nicole und ergriff Katies Hand. „Eine bessere Freundin könnte ich mir nicht wünschen. Aber jetzt triffst du dich nach langer, langer Zeit endlich mal wieder mit einem Mann. Möchtest du da nicht lieber mit ihm allein sein?“

Katie blickte zu Rafe hinüber, der ausgelassen mit Connor herumtollte. „Einerseits ja, andererseits auch wieder nicht. Im Ernst, Nicole, im Moment weiß ich überhaupt nicht, was ich will.“

„Also wenn er mich so ansehen würde, wie er dich ansieht – dann wüsste ich ganz genau, was ich will.“

„Es ist … ein bisschen kompliziert.“

„Ich weiß. Cordell.“ Nicole lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. „Die Sache mit ihm hat ganz schön Spuren bei dir hinterlassen. Aber Rafe ist nicht Cordell.“

„Wem sagst du das?“

„Willst du es wirklich riskieren, einen tollen Typen zu verlieren, nur weil du noch immer auf einen Mistkerl sauer bist?“

„Du hörst dich schon genauso an wie meine Großmutter.“

Nicole lachte. „Wenn sie das auch so sieht, zeigt das doch, dass wir beide recht haben und du auf uns hören solltest. Versuch’s einfach, Katie. Was hast du schon zu verlieren?“

Noch ein Stück meines Herzens, dachte sie, sprach es aber nicht aus. Andererseits – wozu war das Herz schon gut, wenn sie nicht wagte, es zu benutzen? Dann würde sie als alte Jungfer sterben, mit Worten des Bedauerns auf den faltigen Lippen.

Wieder blickte sie zu Rafe hinüber. Er hob den kleinen Connor hoch, damit er sich eine Frucht vom Baum greifen konnte. Und er hatte sichtlich Spaß bei der Beschäftigung mit dem kleinen Jungen. Ja, so war er. Ein lockerer Typ, der gut mit ihren Freundinnen auskam. Cordell hätte in dieser Situation … Ach, Quatsch, diese Situation hätte es mit ihm gar nicht gegeben. Er dinierte lieber in Drei-Sterne-Restaurants, statt Hamburger zu brutzeln, und trug lieber teure Anzüge als Jeans.

Cordell hatte Katie so beeindruckt, weil sie jemanden wie ihn vorher noch nie kennengelernt hatte. Wäre es doch besser dabei geblieben!

Und Rafe war so ganz anders. Ihn hätte sie zuerst treffen sollen.

Und dann? fragte sie sich. Wenn ich ihn zuerst getroffen und nicht diese schlechte Erfahrung gemacht hätte – hätte ich dann auch so sehr gezögert wie jetzt? Nein, hätte ich nicht.

„Ich sehe es an deinem Blick“, sagte Nicole lachend. „Du hast dich gerade entschlossen, es zu wagen. Soll ich mit Connor ganz schnell nach Hause gehen, damit du freie Bahn hast?“

Katie schüttelte den Kopf. „Nein, nicht vor dem Nachtisch. Mal sehen, wie es sich dann entwickelt.“

Sie stand auf und ging zum Kühlschrank. Im Hintergrund hörte sie Connors kindliches Kichern und Rafes dunkles Lachen.

Vor angespannter Erwartung wurde ihr ganz heiß.

5. KAPITEL

„Waren das Ihre Kekse, die Sie im Nachtisch verarbeitet haben?“, fragte Rafe. „Falls ja, kann ich verstehen, dass die Leute so verrückt danach sind.“

„Ja, das waren meine Kekse. Vielen Dank für das Lob. Ich kann Ihnen nachher gerne welche davon mitgeben.“

Rafe musterte sie. Nicole und ihr Sohn waren bereits gegangen; jetzt waren sie beide ganz allein. Die Nacht war angenehm kühl, Sterne funkelten am Himmel. Die Kerzen flackerten im sanften Windhauch.

„Wollen Sie mich denn schon loswerden?“, fragte er leise.

„Nein, nein, so war das nicht gemeint. Ich … oje, oje. Um Himmels willen, man könnte glauben, ich hätte noch nie ein Date gehabt.“ Schnell verbesserte sie sich. „Nicht, dass das hier ein Date wäre …“

Rafe lächelte. Er fand es sympathisch, dass sie so nervös war. „Ach, ist es keins?“

„Ist es eins?“

„Normalerweise erledige ich bei einem Date keine Klempnerarbeiten“, erwiderte er lächelnd, „aber alles andere passt schon.“

Sie erwiderte sein Lächeln und beruhigte sich allmählich. „Auf jeden Fall hat es Spaß gemacht.“

„Ja. Und es ist noch nicht vorbei.“

„Nein …?“

„Nein.“

Er stand auf, ging zu ihr hinüber und zog sie hoch.

„Was machen Sie da?“, fragte sie verwirrt.

„Ich möchte mit Ihnen tanzen“, gab er zurück und zog sie näher an sich heran.

„Aber wir haben doch gar keine Musik.“

„Doch“, widersprach er, legte ihr den Arm um die Hüfte und ergriff mit seiner linken Hand ihre reichte. „Sie müssen nur genau hinhören.“

Verständnislos sah sie ihn an.

„Schließen Sie die Augen“, forderte er sie auf, und sie gehorchte. Bewundernd sah er sie an. Wie schön sie war!

„Jetzt hören Sie“, flüsterte er.

„Auf was soll ich denn hören?“

„Auf alles.“

Er begann mit den ersten Tanzschritten, eng an sie gepresst. Sofort war er aufs Höchste erregt. Falls sie es spürte, ließ sie es ihn auf jeden Fall nicht wissen.

Als sie sich so im Mondlicht bewegten, nahm Katie die Geräusche der Sommernacht mehr und mehr wahr. Grillen zirpten, in der Ferne rauschte das Meer, der Wind spielte in den Bäumen, sodass die Blätter raschelten. Es war, als ob die Natur ihnen eine perfekte Symphonie schenkte – nur für sie beide komponiert.

Noch immer hielt sie die Augen geschlossen und tanzte mit ihm, als ob sie ein eingespieltes Team wären. „Ja, jetzt höre ich es“, flüsterte sie. „Es klingt wunderschön.“

„Es ist die reine Harmonie“, flüsterte er und hielt in der Bewegung inne.

Sie öffnete die Augen, und ihre Blicke trafen sich. „Rafe …?“

Jetzt zog er sie so eng an sich, dass ihr seine Erregung nicht verborgen bleiben konnte. „Ich will Sie, Katie. Mehr, als ich je etwas gewollt habe.“

Sie seufzte leise. „Mir geht es genauso.“

„Sie glauben gar nicht, wie gern ich das höre.“

Jetzt küsste er sie. Kaum hatten sich ihre Lippen berührt, durchströmte Rafe ein schier unstillbares Verlangen. Er presste sie noch fester an sich und dachte nicht mehr ans Tanzen. Rhythmische Bewegungen ja – aber auf andere Weise. Er wollte sie, er brauchte sie wie noch nie jemanden in seinem Leben.

Voller Begierde strich er ihr über den Rücken, streichelte ihr den Po, und sie presste sich an ihn. Ihr leises Stöhnen verriet ihm alles, was er wissen musste. Er ließ seine Hand unter ihr T-Shirt gleiten und begann, ihre Brust zu streicheln. Noch war der dünne Stoff des BHs zwischen seiner Hand und ihrer Haut, aber auch so genoss er es, ihre perfekten Formen zu liebkosen.

Sein Hunger auf sie wuchs ins Unermessliche. Er küsste sie immer leidenschaftlicher, und sie erwiderte seinen Kuss mit ebenso großer Begierde. Ihre Zungen vollführten einen wilden Tanz. Fest presste er sie an sich, und sie stöhnte voller Lust auf.

Dieses Geräusch brachte Rafe vor Begehren fast um den Verstand. Er löste seinen Mund von ihrem, verschlang sie fast mit Blicken und presste zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Wenn wir damit nicht sofort aufhören, bin ich noch imstande, dich hier und jetzt auf dem Picknicktisch zu nehmen. Dann hätten deine Nachbarn ordentlich was zu gucken.“

Sie lachte atemlos. „Der Picknicktisch ist längst nicht so bequem wie mein Bett.“

„Darf ich das als Einladung verstehen?“

„Für mich hat es sich so angehört.“

„Mehr brauche ich nicht zu wissen“, murmelte Rafe und hob sie auf die Arme.

„Du brauchst mich nicht zu tragen“, sagte sie.

„So geht es schneller“, gab er zurück und rannte mit ihr zum Haus.

„Und für mich ist es wirklich angenehm“, ergänzte sie.

„Wo muss ich hin?“, fragte er, als er das Haus betrat.

„Den Flur entlang und dann links.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Kaum war er mit ihr im Schlafzimmer, steuerte er auf das Bett zu und legte sie darauf.

Sie lächelte ihn verführerisch an, und das war ihm Einladung genug. Schnell zog er sich aus, und sie tat es ihm nach. Sekunden später waren sie beide nackt. Nächtelang hatte Rafe von diesem Moment geträumt.

Ja, sie hatte ihn bis in seine Träume verfolgt, diese Frau, die die Familie King hasste. Sie hatte einen Einfluss auf ihn wie noch keine Frau zuvor, was er sich nur ungern eingestand – und was ihn richtiggehend verstörte. Allerdings nicht genug, dass es ihn davon abgehalten hätte, das zu genießen, was sie ihm anbot.

Sie griff nach ihm, schob die Finger in sein Haar und zog seinen Mund an ihren heran. Ihr Kuss schmeckte süß und einladend, und sein Begehren wuchs ins Unermessliche. Alles in ihm trieb ihn zur Eile an, befahl ihm, sie zu nehmen, sein Verlangen zu stillen.

Doch gleichzeitig spürte er den Drang zu genießen, die Situation allmählich bis zum Letzten auszukosten. Während sie sich weiter leidenschaftlich küssten, streichelte er sie. Ihre verführerischen Rundungen, ihre zarte, glatte Haut.

Langsam löste er seine Lippen von ihren, veränderte leicht seine Position und nahm eine ihrer prallen Brustspitzen zärtlich in den Mund. Katie stöhnte auf und presste sich an ihn, während er an ihr saugte und sie mit Zähnen und Zunge verwöhnte. Ihr leises Seufzen erregte ihn noch mehr.

Sie presste seinen Kopf an ihre Brust, als hätte sie Angst, er könnte mit seinen Liebkosungen aufhören. Aber er hatte gerade erst begonnen. Nun verwöhnte er ihre andere Brust und spürte, wie Katies Herz voller angespannter Erwartung immer schneller schlug. Lächelnd hob er den Kopf und sah ihr in die Augen, die pure Erregung ausstrahlten. „Ich wollte dich, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe.“

„Ich dich auch“, gestand sie ihm lächelnd.

Zärtlich streichelte er ihre Brust und konnte in ihrem Gesicht ablesen, wie sehr sie es genoss, wie sie sich ihren Empfindungen hingab. Doch in diesem Moment erkannte er auch, dass da noch mehr war als pure Begierde.

Etwas Gefährliches.

Dennoch hätte er nicht aufhören können, nicht einmal, wenn sein Leben davon abgehangen hätte.

Er verlor sich in ihren grünen Augen und fragte flüsternd: „Was machst du nur mit mir?“

Verschmitzt lächelnd fuhr sie ihm mit der Hand über die Wange. „Im Moment machst du etwas mit mir.“

Er beschloss, diese Gefahr, die er nur erahnte und nicht benennen konnte, aus seinem Kopf zu verbannen. Jetzt war nicht die Zeit für Grübeleien.

„Stimmt“, erwiderte er und küsste sie. Da fühlte er es wieder. Es gab mehr zwischen ihnen, mehr, als er je zuvor bei einer Frau empfunden hatte. Ein Teil seines Ichs sorgte sich, dass er sich auf etwas einlassen könnte, das tiefer ging, als er es sich wünschte. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr, er musste sie haben. Musste spüren, wie ihr Körper ihn willkommen hieß. Musste in sie dringen und das vollenden, was sich schon bei ihrem ersten Zusammentreffen angebahnt hatte.

Über die Konsequenzen würde er später nachdenken. Dann konnte er immer noch darüber nachgrübeln, ob er richtig gehandelt hatte. Im Moment musste er einfach tun, was all seine Sinne ihm befahlen.

Behutsam strich er mit der Hand über ihren Körper bis zu ihrem Schoß. Er begann sie zu streicheln, und begierig reckte sie sich ihm entgegen. Während der ganzen Zeit sahen sie sich tief in die Augen. In ihrem Blick erkannte er die Erregung, die stetig wuchs, während er sie intensiver streichelte. Ihr Atem kam stoßweise. Dann erzitterte ihr Körper in seinen Armen, und er spürte ihre Lust.

Rafe konnte nicht aufhören, ihr Gesicht zu betrachten. Es war so ehrlich, so offen, versteckte nichts. Noch nie war er mit einer Frau zusammen gewesen, die ihre Gefühle so offen preisgab. Alle anderen Frauen in seinem Leben waren immer kontrolliert gewesen, als ob sie eine Rolle spielten – die Rolle, von der sie glaubten, dass er sie von ihnen erwartete.

Sogar seine Exfrau Leslie hatte sich stets etwas zurückgehalten. Als ob sie ihm nicht genug traute, ihm auch ihre tiefsten Gefühle preiszugeben. Bei Katie spürte er diese Zurückhaltung nicht.

Sie gab rückhaltlos alles und zog ihn mit in den Bann der Leidenschaft.

„Küss mich“, flüsterte er. Sie schmeckte so süß wie ihre Kekse. „Lass dich gehen, Katie. Genieß und vergiss alles um dich herum.“

Sie hatte ihm einen Arm um die Schultern gelegt, während sie ihren Schoß gegen seine Hand presste. Behutsam drang er mit einem Finger in sie ein und liebkoste sie, und bald erbebte sie vor Lust. „Rafe …“, keuchte sie.

„Lass dich gehen, Katie. Ich will sehen, wie du dich gehen lässt.“

So sah sie ihm tief in die Augen, während die Wellen der Erregung ihren Körper durchströmten, bis sie schließlich auf dem Gipfel der Lust seinen Namen herausschrie. Alles konnte er in ihren Augen und ihren Gesichtszügen ablesen, alles, was er ihr tat, was er sie fühlen ließ. Ihn erregte es unermesslich, es genau zu sehen. Zufrieden lächelnd beobachtete er ihren Höhepunkt und konnte doch nur denken, dass es nicht genug war. Immer und immer wieder wollte er diesen wunderbaren Anblick genießen – ihr Gesicht, während sie den Gipfel der Lust erlebte.

Sie atmete immer noch heftig, als er aus dem Bett sprang, seine Jeans vom Boden hochnahm und in die Hosentasche griff.

„He, was hast du vor …?“ Sie lächelte, als sie sah, dass er ein Kondom aus der Tasche zog. Seufzend murmelte sie: „Du warst dir deiner Sache für heute Abend ziemlich sicher, was? Hast gleich alles Nötige mitgebracht …“

Er riss die Folienverpackung auf, streifte sich das Kondom über und wandte sich wieder ihr zu. „Sicher? Nein. Sagen wir … hoffnungsvoll.“

Katie schlang ihm die Arme um den Hals. „Rafe Cole, ich glaube, du bist dir deiner immer ziemlich sicher. Auch heute Abend.“

Damit hatte sie nicht ganz unrecht, aber in diesem Fall war es ihm wirklich nur darum gegangen, vorbereitet zu sein. Im Gegensatz zu seinem Vater lief er nicht durch die Gegend und hinterließ überall uneheliche Kinder. Eigentlich hatte er sowieso nicht vor, je Kinder zu haben. Und auf keinen Fall wollte er eins zeugen, weil er zu gedankenlos oder zu selbstsüchtig war, um ein Kondom zu benutzen.

Aber das alles brauchte Katie ja nicht zu wissen.

Er küsste sie und sah ihr dann in die Augen. „In deiner Gegenwart fühle ich mich gar nicht so selbstsicher, Katie. Eher verunsichert. Wirklich.“

Sie lächelte und strich ihm zärtlich übers Kinn. „Das höre ich gerne.“

„Das hatte ich mir gedacht. Ihre Frauen habt es ganz gern, wenn ihr einen Mann verstört. Um den Verstand bringt.“

Er setzte sich zwischen ihre Schenkel, betrachtete bewundernd ihre Weiblichkeit und begann sie erneut zu streicheln, bis sie sich vor Lust vor ihm zu winden begann.

Die Nacht war kühl und ruhig. Im Schlafzimmer waren nur heftiges Atmen und pochender Herzschlag zu vernehmen. Nur der Moment zählte. Die sexuelle Spannung zwischen ihnen war körperlich spürbar. Rafe wusste, er konnte keine Sekunde mehr warten. Er musste sie jetzt haben.

Rund eine Woche kannte er sie, hatte sie eingehend beobachtet, mit ihr gelacht und geplaudert. In dieser Woche hatte er mehr Zeit mit Katie Charles verbracht als mit seiner Exfrau in ihrem letzten Ehejahr. Und die schönere Zeit war es obendrein. Katie war schlau, witzig und so verdammt sexy. Ein Blick in ihre Augen genügte, um ihn zu verzaubern.

Sie öffnete die Schenkel für ihn noch weiter und seufzte wohlig auf, als er sie berührte. Dieser Seufzer traf Rafe tief in seinem Inneren, aber er versuchte zu ignorieren, wie tief es ging. Er war fest entschlossen, sein Herz in dieser Sache keine Rolle spielen zu lassen. Zwischen ihnen sollte es nur um das Körperliche gehen. Das würde vollauf genügen, redete er sich ein.

Wenn er sie erst einmal gehabt hatte, würde seine Gefühlslage sich schon wieder stabilisieren.

Begierig streckte sie ihm ihre Hüften entgegen, und langsam und vorsichtig drang er in sie ein. In ihr Geheimstes, in ihr Innerstes. Als sie ihn eng umschloss, hielt er die Luft an und kämpfte um seine Selbstbeherrschung.

Instinktiv erwiderte sie seine Bewegungen, umschlang seine Hüften mit ihren Beinen, um ihn noch tiefer in sich zu spüren. Er sah sie an, und sie umarmte ihn. Ohne in seinen rhythmische Bewegungen innezuhalten, küsste er sie. Sie fühlte sich so gut an, und ihm wurde bewusst, dass er es so schön noch nie erlebt hatte.

Zum ersten Mal in so einer Situation wünschte er sich, auf ein Kondom verzichten zu können. Er wollte sie voll und ganz spüren. Aber das wäre mehr als unvernünftig gewesen, also verwarf er den Gedanken und setzte seine Bewegungen fort.

Sie hob den Kopf an und küsste ihn, umfasste sein Gesicht mit beiden Händen, liebkoste seine Lippen mit ihrer Zunge – bis ihm klar wurde, dass er sich nicht mehr lange würde zurückhalten können. Ursprünglich hatte er vorgehabt, es ganz langsam angehen zu lassen, es in aller Ruhe auszukosten, weil er sich diesen Moment schon tagelang ersehnt hatte. Aber jetzt gab es kein Warten und kein Halten mehr. Kein verführerisches Herantasten.

Es gab nur noch die pure Begierde und das unbezwingbare Verlangen, es zu vollenden.

Behutsam drückte er sie aufs Bett und liebte sie mit wilden, kraftvollen Bewegungen.

„Ja …“, flüsterte sie und nahm seinen Rhythmus auf. Sie waren eins, ihr Hunger beflügelte seinen Hunger, und gemeinsam näherten sie sich dem, was sie beide so nötig brauchten.

Dann spürte er, wie der Höhepunkt sie durchpulste, und ließ sich ebenfalls gehen. Er schrie ihren Namen heraus, und gemeinsam erlebten sie das höchste der Gefühle.

„Mein Held“, stieß Katie hervor, als sie wieder in der Lage war zu sprechen.

„Meine Heldin“, gab er lächelnd zurück.

Glücklich lag sie da und blickte zur hellblau gestrichenen Decke. Noch immer ruhte er auf ihr, noch immer waren sie miteinander verbunden. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut und dachte: So fühlt sich die Vollkommenheit an. Die absolute Zufriedenheit.

Zärtlich strich sie ihm über den Rücken, lauschte seinem stoßweisen Atem und spürte seinen Herzschlag. Ich bin so lange mit keinem Mann mehr zusammen gewesen, dass ich das Ganze vielleicht ein wenig überbewerte, ging es ihr durch den Kopf.

Doch eine leise Stimme in ihrem Inneren flüsterte ihr zu: Nein, dies ist etwas ganz Besonderes gewesen. Was du mit Rafe geteilt hast, war mehr als nur Sex.

Doch gleich kamen ihr wieder Zweifel. Hatte sie damals nicht auch gedacht, dass das zwischen Cordell und ihr auch etwas ganz Besonderes war? Nein, dies hier war trotzdem anders. Es ging tiefer. So viel hatte sie für Cordell nie empfunden. Rafe berührte sie in ihrem Innersten, in ihrer Seele.

Aber trotzdem, das geht mir alles ein bisschen zu schnell, dachte sie. Es war wunderschön, aber es war etwas Körperliches, das ich nicht sofort mit romantischen Gefühlen überhöhen sollte. Nicht schon wieder. Ich bin doch nicht richtig verliebt, bewahre! Schließlich bin ich eine erwachsene, vernünftige Frau und weiß, dass man sich innerhalb einer Woche nicht wirklich unsterblich verliebt. Also – ich jedenfalls nicht.

Aber einen Platz in ihrem Herzen hatte sie für Rafe Cole schon, das musste sie sich eingestehen. Sie mochte ihn sehr, sonst hätte sie schließlich nicht mit ihm geschlafen. Ihre Gefühle für ihn waren noch gewachsen, als sie ihn heute zusammen mit Nicole und Connor erlebt hatte. Einen Mann, der so gut mit einem kleinen Kind umgehen konnte, der so nett zu einer hilfsbedürftigen alleinerziehenden Mutter war – den musste man doch einfach ins Herz schließen!

Ja, Rafe war der Mann, von dem sie immer geträumt hatte. Jemand, der hart arbeitete, der ehrlich und liebevoll – und nicht zu vergessen: wirklich sexy! – war.

„Du denkst über irgendwas nach“, sagte er.

„Stimmt.“

Er lächelte sie an. „Wie kommt es nur, dass guter Sex einer Frau einen Energieschub verpasst, Männer aber müde macht?“

„Ich könnte dir das Geheimnis verraten“, erwiderte sie, „aber dann müsste ich dich anschließend umbringen.“

Er lachte schallend, und sie spürte sein Lachen am ganzen Körper. Noch immer waren sie miteinander verbunden. Jede kleine Bewegung von Rafe löste ein neues Prickeln an ihrer empfindlichsten Stelle aus.

„Hmm“, flüsterte er, als ob er genau wusste, was sie dachte und fühlte. Langsam begann er sich wieder in ihr zu bewegen, was sie verzückt aufstöhnen ließ. „Schätze, wir sind noch nicht fertig.“

„Noch nicht annähernd“, stimmte sie zu und erwiderte seine Bewegungen. Sie passten sich einander perfekt an, als wären sie schon Hunderte Male zusammen gewesen, als kannten sie den Rhythmus des anderen schon im Schlaf. Es ist, als wären wir füreinander bestimmt, ging es Katie durch den Kopf, als wären unsere Körper zwei Hälften, die perfekt zusammenpassen. Ja, alles war genau so, wie es sein sollte, die Nacht wie vom Schicksal vorherbestimmt. Vielleicht hatte sie diese Chance mit Rafe bekommen, damit sie für den vergangenen Herzschmerz entschädigt wurde. Und – es funktionierte!

Schon Sekunden später liebten sie sich wieder leidenschaftlich. Jede seiner Berührungen verzauberte sie. Er wurde Teil ihres Körpers, und sie wünschte sich, es würde nie enden.

Sie verlor sich in seinen blauen Augen und war überglücklich, dass sie die Chance mit ihm ergriffen hatte. Dass sie bereit gewesen war, sich dem Neuen zu öffnen. Dass es so etwas wie einen Zauber gab, wenn der richtige Mann und die richtige Frau zusammentrafen.

Weiter konnte sie nicht denken, keinen klaren Gedanken mehr fassen, denn mit seinen leidenschaftlichen Bewegungen trieb er sie immer tiefer in die Lust. Ihr Herz schlug schneller, eine angespannte Erwartung ergriff von ihr Besitz – und das Gefühl, dass etwas wirklich Erstaunliches passieren würde. Katie nahm es an, voller Hunger, es wieder, es noch einmal zu spüren.

Er küsste sie, und bereitwillig öffnete sie den Mund für ihn, um seine Zunge willkommen zu heißen. Genussvoll schmeckte sie ihn und fühlte seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht. Während seine kräftigen Stöße ihren Körper erzittern ließen, umschlang sie ihn mit den Beinen, presste ihn an sich, bot sich seiner Lust dar.

Ihrer gemeinsamen Lust.

Als die ersten Wogen des neuen Höhepunkts sie durchströmten, löste sie ihren Mund von seinem, flüsterte stöhnend seinen Namen und umschlang ihn leidenschaftlich. Augenblicke später, während sie in seinen Armen erzitterte, gab auch er seine Selbstbeherrschung auf und erlebte aufs Neue gemeinsam mit ihr den Gipfel der Lust.

6. KAPITEL

„Jetzt bin ich aber wirklich richtig erschöpft“, flüsterte er.

„Ich fühle mich fantastisch“, gestand sie ihm, glücklich seufzend.

Er sah ihr in die Augen und schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich erstaunlich.“

„Wieso?“, fragte sie und strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn.

Einen Moment lang sah er sie nachdenklich an. „Die meisten Frauen würden in so einem Moment entweder bedauern, was gerade passiert ist …“

„Ich nicht.“

„… oder sie würden insgeheim schon Pläne schmieden, wie man aus der Sache etwas Festes macht.“

Katie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ich kann mich nur wiederholen: Ich nicht.“

„Ist mir schon klar“, erwiderte er und zog sie an sich, sodass ihr Kopf auf seiner Schulter ruhte.

Sie kuschelte sich an ihn und lauschte seinem gleichmäßigen Herzschlag und den Geräuschen ihres alten Hauses. Wind war aufgekommen, und das Ächzen und Stöhnen des in die Jahre gekommenen Gebäudes hörte sich für sie wie das Geflüster guter Freunde an.

Sie fühlte sich wunderbar. So gut wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Dennoch musste sie darüber nachdenken, was Rafe eben gesagt hatte, und ihr war klar, dass er wohl recht hatte. Die meisten Frauen würden jetzt wahrscheinlich Pläne schmieden, wie sie einen solchen Mann in ihrem Bett behielten. Und nicht nur in ihrem Bett, sondern auch in ihrem Leben. Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass auch ihr dieser Gedanken nicht völlig fremd war.

Aber sie wollte sich nichts vormachen. Sie wusste, dass diese Nacht nicht der Beginn einer „Beziehung“ war. Sie hatte Rafe Cole nur zufällig kennengelernt – wegen der Sache mit der Küche. Es war ja nicht so, dass ernste Absichten dahintersteckten. Er hatte ihr nichts versprochen, und sie hatte keine Versprechungen verlangt.

Sie setzte sich hoch. Besser, die Sache jetzt zur Sprache zu bringen als später. Unsicher lächelte sie ihn an.

„Oje“, seufzte er. „Ich hoffe, dieses Lächeln bedeutet nicht: ‚Das war so toll, dass wir es unbedingt sofort noch mal machen müssen.‘“

„Nein, nein“, beruhigte sie ihn und schob ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Es war wunderschön, Rafe. Wirklich. Aber …“

Misstrauisch runzelte er die Stirn. „Aber was?“

Sie seufzte. „Ich finde nur – wir sollten es dabei belassen. Es nicht noch mal tun. Das ist alles.“

„Du lässt mich einfach fallen?“

„Na ja, wir sind ja kein Paar, also kann ich dich auch nicht fallen lassen, aber andererseits … Ja, man könnte es wohl so sagen.“

„Ich glaub’s einfach nicht.“ Er klang erstaunt und verletzt zugleich. Wahrscheinlich ist er es nicht gewohnt, dass Frauen ihn zurückweisen, dachte Katie. Ein Mann, der so fantastisch aussieht, kann sich vor Verehrerinnen wahrscheinlich gar nicht retten. Die laufen ihm bestimmt sogar auf der Straße hinterher.

Als sie sich diese Szene bildlich vorstellte, musste sie kichern.

„Ach, du findest das lustig?“

„Nein, tut mir leid.“ Tröstend streichelte sie seinen Arm und bemerkte, wie muskulös er war. „Nein, das ist nicht lustig. Mir ist da nur gerade ein Bild durch den Kopf gegangen und …“

„Na toll“, empörte er sich. „Nicht nur, dass du mich fallen lässt – du kannst dich nicht einmal darauf konzentrieren …?“

„Warum bist du denn auf einmal so wütend?“

„Warum, verdammt noch mal, sollte ich wohl nicht wütend sein?“

Katie war verwirrt. „Vor ein paar Sekunden hast du es noch toll gefunden, dass ich aus der Sache nichts Festes machen will.“

„Ja, aber …“

„Und jetzt bist du aus genau dem Grund wütend auf mich?“

Prüfend sah er sie an. „Normalerweise reagieren Frauen nicht so auf mich. Also entschuldige bitte, wenn ich ein ganz klein wenig überrascht bin.“

„Überrascht kann ich verstehen. Aber wütend? Warum?“ Geduldig lächelte sie ihn an. „Du siehst das Ganze doch genauso wie ich, und das weißt du auch. Ich habe es nur zuerst ausgesprochen. Es dir sozusagen abgenommen. Ich dachte, du freust dich darüber.“

„Nein, tue ich nicht, wenn du’s genau wissen willst.“ Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Was hatte unsere gemeinsame Nacht denn dann zu bedeuten, Katie? Was war der Sinn?“

„Wir wollten es doch beide, Rafe“, antwortete sie und zog sich gedankenverloren die Bettdecke über die nackte Brust. „Und ich habe mir halt gedacht, warum sollten wir es uns nicht gönnen?“

„Und das ist alles?“

„Ja.“ Na ja, eigentlich natürlich nicht, dachte sie. Ich mag ihn schon ziemlich. Und wenn ich noch mehr Zeit mit ihm verbringe, mag ich ihn wahrscheinlich noch viel mehr. Und das wäre ein Riesenfehler. Sicher, Rafe ist wirklich ein Klassetyp, aber irgendwie bin ich nicht mehr imstande zu erkennen, wer ein wirklich guter Mann und wer ein Mistkerl ist.

Cordell King war ihr zuerst auch wie der Hauptgewinn vorgekommen. Und dann hatte er ihr per Kurier ein Diamantenarmband geschickt – als Abschiedsgeschenk. Mit einem Brief, in dem stand, sie seien einfach zu unterschiedlich, als dass eine längerfristige Beziehung funktionieren könnte. Oder, deutlicher ausgedrückt: „Ich bin reich, du bist arm. Leb wohl.“

Ja, sie hatte sich in Cordell mächtig getäuscht. Deshalb traute sie ihrer Menschenkenntnis nicht mehr. Und ein Risiko wollte sie nicht eingehen. Es war besser, sich ein, zwei Jahre auf die Arbeit zu konzentrieren und erst dann wieder nach einer Beziehung zu suchen. Sicher, diese Nacht mit Rafe bereute sie keine Sekunde, im Gegenteil. Aber sie wollte nicht ihre Zukunft darauf aufbauen. Immerhin wusste sie jetzt, dass sie in der Lage war, sich wieder einem Mann zu nähern. Eines Tages würde sie sich ernsthaft auf die Suche nach einem Mann wie Rafe machen. Jemandem, der stark, liebevoll und aufrichtig war.

„Ich glaube dir nicht“, erwiderte er grimmig. „Da steckt was anderes dahinter. Und ich will wissen was.“

„Wie bitte?“

„Du hast mich ganz genau verstanden, Katie. Du magst mich, das weiß ich. Also, warum gibst du mir einen Tritt, kaum dass wir zusammen Liebe gemacht haben?“

„Das … das spielt keine Rolle.“

Energisch griff er sie bei den Schultern und zog sie an sich. „Doch. Für mich schon.“

Ihr tat es gar nicht gut, ihm so nahe zu sein. Schließlich wollte sie doch sachlich und logisch argumentieren. Sie kämpfte den Impuls nieder, seine muskulöse breite Brust zu streicheln, und sagte: „Du verstehst das irgendwie nicht richtig, Rafe.“

„Was hast du denn von mir erwartet? Dass ich gleich aus dem Bett hüpfe, mich anziehe, mich für den angenehmen Sex bedanke und verschwinde?“

„Ehrlich gesagt … ja.“ Natürlich hatte sie genau das erwartet. Standen denn nicht alle Männer auf unverbindlichen Sex, ohne Fallstricke und Widerhaken?

„Ja, dann tut es mir leid, dass ich dich enttäuschen muss“, murmelte er und sah ihr tief in die Augen. „Ich will den wahren Grund wissen, warum du …“

„Rafe …“

„Er steckt dahinter, stimmt’s? Dieser geheimnisvolle Mann aus der ach so miesen Familie King.“

Verärgert entzog sich Katie seinem Griff. „Und wenn es so wäre? Dann ist es immer noch meine Sache.“

„Nein, du hast es jetzt auch zu meiner gemacht, Katie. Du versetzt mir einen Fußtritt – nur seinetwegen. Da könntest du mir wenigstens den Grund dafür verraten.“

„Weil ich ihm vertraut habe, okay?“, stieß sie hervor. „Ich hatte gedacht, ich wäre in ihn verliebt – und er in mich. Er war so nett, klug und humorvoll.“

„Und reich“, murmelte Rafe verbittert. „Vergiss es nicht: sehr reich.“

„Ja, natürlich, das war er auch. Aber das war nicht der Grund, dass ich mich in ihn verliebt habe. Im Gegenteil, sein Reichtum hat letzten Endes alles kaputt gemacht.“

„Was?“

Kopfschüttelnd stand sie auf und ging ins Badezimmer. Dort schlüpfte sie in ihren Bademantel und knotete ihn fest zu. So fühlte sie sich weniger verwundbar. Doch ihr war klar, dass Rafe nicht gehen würde, bevor er alles wusste.

„Na schön“, sagte sie, als sie ins Schlafzimmer zurückkam. „Du willst die Wahrheit wissen, die ganze traurige Wahrheit? Er hat mich fallen lassen, weil wir seiner Meinung nach zu unterschiedlich waren. Oder im Klartext: weil ich ihm nicht gut genug war. Er meinte, unsere Welten, unsere Lebensstile lägen zu weit auseinander. Unterm Strich: Der reiche Prinz wollte kein Aschenputtel.“ Sie kniff die Augen zusammen. „So, fühlst du dich jetzt besser? Bist du jetzt glücklich, weil ich dir gebeichtet habe, wie man mich gedemütigt hat?“

Ungläubig sah er sie an. „Nicht gut genug? Was bildet der sich ein? Wie kann er so etwas sagen?“

Katie tat es gut, dass Rafe sofort für sie Partei ergriff und sich über Cordells Verhalten dermaßen aufregte.

„Weil er ein King ist. Die Kings fühlen sich doch, als ob sie die Größten wären. Die Herrscher des Universums. Da kannst du jeden fragen. Nimm doch nur deine Arbeitskollegen. Die schimpfen und lästern doch bestimmt auch über die ach so tolle King-Familie.“

Er setzte eine finstere Miene auf. „Die Leute arbeiten gern für King Construction, wenn du’s genau wissen willst. Ich habe noch keine Klage gehört. Kein Wort.“

„Klar, weil sie ihren Job nicht verlieren wollen“, sagte sie. Obwohl – für die Kings zu arbeiten war wahrscheinlich doch noch etwas ganz anderes, als mit einem von ihnen eine Beziehung zu führen.

„Wer ist es?“, fragte Rafe wütend. „Welcher Mann aus der Familie King, meine ich. Sag mir, wer er ist, und ich verpasse ihm eine.“

Trotz der angespannten Situation musste sie lachen. „Du bist immer noch mein Held, was?“

„Wenn du einen brauchst …“

Seine Reaktion imponierte ihr gewaltig. Er machte sich nicht einfach so davon. Vielleicht wollte er doch mehr von ihr als ein flüchtiges Abenteuer …? Wenn sie doch nur in der Lage wäre zu vertrauen! Rafe zu vertrauen. Sie wollte es so gern, aber offenbar war sie noch nicht so weit.

Kopfschüttelnd erwiderte sie: „Sehr nett, aber nein danke. Ich glaube, erst muss ich selbst noch ein bisschen Heldenmut entwickeln.“

„Das heißt, du willst ihm selbst eine verpassen?“

Wieder lachte sie. „Habe ich sogar getan, vor einem halben Jahr ungefähr. Aber jetzt bin ich darüber hinweg. Über ihn hinweg.“

„Nein, bist du nicht.“

„Wie bitte?“

Er stand aus dem Bett auf und zog sich seine Jeans an. „Wenn du wirklich über ihn hinweg wärst, würden wir jetzt nicht dieses Gespräch führen. Dann wären wir immer noch im Bett und würden das tun, was wir offensichtlich so gut können.“

„Es geht dabei nicht um ihn, sondern um mich. Um uns, wenn man so will.“

Nachdem er sich Schuhe und Hemd angezogen hatte, ging er auf sie zu und schloss sie in die Arme. „Ach, um uns? Ich dachte, zwischen uns ist nichts. Jetzt leg dich mal langsam fest, Katie.“

„Lass mich los!“

Widerstrebend folgte er ihrer Aufforderung. Dann fuhr er sich nervös mit der Hand durchs Haar und meinte: „Was kümmert es dich überhaupt, was so ein King sagt? Sein Verhalten hat doch gezeigt, dass er ein mieser Typ war.“

„Verstehst du’s denn nicht? Ich hatte gedacht, er wäre mein Märchenprinz. Dabei war er nur ein hundsgemeiner glitschiger Frosch. Und ich habe nichts gemerkt.“ Theatralisch hob sie die Hände. „Das zeigt doch, dass auf meine Menschenkenntnis kein Verlass ist. Wie hätte ich mich sonst so täuschen können?“

„Du lässt es zu, dass er die Oberhand behält, Katie“, erklärte Rafe. „Du verlierst dich in Selbstzweifeln und gibst ihm damit eine Macht über dich, die er nicht verdient.“

„Vielleicht“, gestand sie ein. „Aber ich bin einfach noch nicht so weit. Wenn ich noch einen Fehler mache – das könnte ich nicht verkraften.“

„Wer sagt denn, dass ich ein Fehler bin?“

„Ich … ich bin mir einfach nicht sicher“, entgegnete sie ruhig. „Das ist das Problem.“

Zärtlich umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und sah ihr tief in die Augen. „Du wirst mich vermissen.“

„Ich weiß.“

„Und ich bin ja nicht wirklich verschwunden. Ich werde jeden Tag in deiner Küche werkeln.“

„Ja, das weiß ich auch.“

Spontan küsste er sie. Erst ganz sanft, dann immer heftiger. Als Katie es vor Erregung kaum noch aushielt, löste er sich von ihr und sah sie wieder an.

„Diese Nacht war nicht das Ende, Katie. Sie war erst der Anfang.“

Bevor sie etwas erwidern konnte, drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Als Rafe zu Hause angekommen war, ging er schnurstracks zum Telefon.

„Sean?“, fragte er, als sein Bruder abhob. „Hast du Garrett schon erreichen können?“

„Leider nicht. Er ist zurzeit in Irland und geht nicht an sein Handy.“

„Irland? Was hat er denn da zu suchen?“

„Das habe ich seinen Zwillingsbruder Griffin auch gefragt. Er meinte, dass Jefferson in seinem europäischen Unternehmen Probleme mit einem Dieb hat. Und Garrett will der Sache auf den Grund gehen.“

Ausgerechnet jetzt, dachte Rafe verärgert. Jefferson King, einer ihrer zahllosen Cousins, lebte mit seiner Frau, einer Irin, auf einer Schaffarm. Schwer vorstellbar, dass er, der Hollywood-Mogul, sich in der tiefsten Provinz wohlfühlte – und doch war es so. Und wenn Jeff ein Problem hatte, ließ sich beim besten Willen nicht vorhersagen, wann Garrett zurückkommen würde. Für die Kings kam die Familie immer zuerst. Garrett würde Irland nicht verlassen, bis der Fall geklärt war.

„Na großartig“, murmelte Rafe vor sich hin, während er erregt in seiner Hotelsuite auf und ab ging. Normalerweise lebte er gern im Hotel. Aber heute kam ihm die Suite trostlos, leer und verlassen vor.

Er musste an Katies altes Haus denken, an die abgewetzten Polstermöbel und die knarrenden Dielen. Sicher, schön war anders, aber das Gebäude strahlte etwas Heimeliges aus, Erinnerungen an Generationen, an Lachen und Tränen.

Dagegen wirkte seine Suite plötzlich unpersönlich und steril. Komisch, früher hatte er sich darüber nie Gedanken gemacht. Von sich selbst überrascht, trat er auf den Balkon.

„Also haben wir immer noch keinen Hinweis, wer aus der Familie Katie so gegen sich aufgebracht hat“, sagte er in den Hörer.

„Leider nicht“, gab Sean zurück. „Null. Es könnte jeder sein – wobei wir die verheirateten Kings wohl ausschließen können.“

„So schlau bin ich auch gerade noch.“ Rafe fuhr sich mit der Hand durchs Haar und steckte die Nase in die kühle Luft. Noch immer spürte er die wohlige Erschöpfung nach dem Zusammensein mit Katie, und er fragte sich, warum das alles so schnell schiefgegangen war.

Doch er fand keine Antwort.

„Ich kann mich ja weiter umhören“, bot Sean an.

„Ach, lass mal. Das mache ich selbst.“

„Wie du meinst. Ach, übrigens …“

„Ja?“

„Hast du daran gedacht, mir Kekse mitzubringen?“

Rafe gab keine Antwort, sondern beendete verärgert das Gespräch. Nachdenklich lehnte er sich an die Brüstung und blickte auf den Ozean hinaus. Er schwor sich, herauszufinden, wer Katie verletzt hatte.

Einige Tage später war Rafe immer noch keinen Schritt weitergekommen. Er fand es erstaunlich, wie viele Mitglieder der Familie King im Sommer Urlaub machten und nicht oder nur schwer erreichbar waren. Wo war nur die gute alte Arbeitsmoral hin? Noch immer wusste er nicht, welchem seiner Verwandten er einen Kinnhaken verpassen musste, aber nicht nur das wurmte ihn.

Auch die Sache mit Katie ließ ihm keine Ruhe. Vorher hatte es nur eine Frau gegeben, die ihn abgewiesen hatte – Leslie. Und die hatte ihn immerhin zunächst einmal geheiratet.

„Na, alles in Ordnung?“

Rafe stellte die Schleifmaschine ab und drehte sich zu Joe um, dem Mann, der angeblich sein Vorgesetzter war.

„Ja, alles klar“, antwortete er. Das Schleifen war eine monotone, langweilige Arbeit, so hatte er viel Zeit, seine Gedanken schweifen zu lassen. Leider schweiften sie ständig nur zu Katie.

Diese Frau machte ihn noch verrückt. So etwas war ihm noch nie passiert! Normalerweise gab er den Ton an, bestimmte über sein Leben. Er machte, was er wollte und wann er es wollte; übermäßig viel Rücksicht auf andere nahm er dabei nicht. Seit der Ehe mit Leslie spielten Frauen in seinem Leben keine große Rolle. Sie waren stets nur Gefährtinnen auf Zeit – auf sehr kurze Zeit. Man verbrachte ein paar vergnügliche Stunden miteinander, und dann waren sie wieder fort. Und obendrein sehr schnell vergessen.

„Bis jetzt“, murmelte er vor sich hin und nahm seine Schutzmaske ab.

Joe blickte sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie hörte. „Hör mal“, raunte er Rafe zu, „ich weiß ja nicht, was los ist. Aber ich habe gerade wegen der Küchenschränke mit Katie gesprochen, und sie ist irgendwie ganz schön durch den Wind. Wirkt total angespannt.“

„Ach, tatsächlich?“ Rafe verkniff sich ein Lächeln. Gut zu wissen, dass es nicht nur ihm so erging. In den vergangenen Tagen war sie ihm aus dem Weg gegangen, deshalb hatte er bis eben nicht gewusst, wie ihre Gefühlslage aussah. Für ihn war es eine Höllenqual gewesen, ihr so nahe zu sein und trotzdem nicht mit ihr zu sprechen. Sie zu berühren. Doch auch er hielt sich auf Distanz, weil er nicht derjenige sein wollte, der nachgab. Er wollte sie, und sie wusste es. Sollte sie doch kommen! Schließlich hatte sie ihn auch weggestoßen. „Hat sie irgendwas gesagt?“

„Brauchte sie gar nicht. Sie hat während des ganzen Gesprächs ständig zu dir rübergelinst.“

Das hörte man gern! Wieder verkniff Rafe sich das Lächeln.

„Sag mal, was läuft da? Was ist da los?“

Rafe kannte Joe seit Jahren. Vertraute ihm, betrachtete ihn sogar als Freund. Aber das hieß nicht, dass er seine Meinung hören wollte, was dieses Thema anging. „Ich schätze, das geht dich nichts an. Oder?“

Joe kratzte sich am Kopf. „Nein, wohl nicht. Aber ich arbeite für King Construction. Ich besitze einen guten Ruf – sowohl bei der Firma als auch bei unseren Kunden.“

„Kein Zweifel. Aber worauf willst du hinaus?“

„Wir kennen uns schon sehr lange, Rafe. Und ob es mich was angeht oder nicht – ich bin der Meinung, du musst dem Mädchen sagen, wer du wirklich bist.“

„Darauf kannst du lange warten.“

Sie hatte ihn ja schon verstoßen, obwohl er für sie Rafe Cole war. Was sie wohl erst mit ihm anstellen würde, wenn sie erfuhr, dass er zur Familie King gehörte?

Verstimmt sah Joe ihn an. „Hör mal, sie ist wirklich nett. Mir gefällt es einfach nicht, dass du ihr was vormachst. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie leid es mir tut, dass ich dir damals diese Wette vorgeschlagen habe.“

Die Angelegenheit war Joe wirklich unangenehm, das spürte Rafe. Aber er konnte Katie nicht die Wahrheit sagen. Noch nicht. Erst musste sie einsehen, wie sehr sie ihn mochte, wie sehr sie ihn brauchte. Dann würde er sie aufklären und ihr begreiflich machen, dass sie sich über die Familie King – und vor allem über ihn – getäuscht hatte. Und sie würde zugeben müssen, dass sie einem Irrtum aufgesessen war.

„Ist mir wirklich unangenehm, dass du da mit drinsteckst“, raunte er Joe zu. „Aber das Spiel ist schon zu weit fortgeschritten. Wir können die Regeln jetzt nicht mehr ändern.“

„Ach, ein Spiel, ja?“ Joe kniff die Augen zusammen. „Für dich ist es nur ein Spiel, was?“

„Mann, geh doch nicht gleich in die Luft. Ich wollte damit nicht sagen, dass ich mit Katie nur spiele.“

Joe beruhigte sich ein wenig.

Rafe schlug ihm mit der Hand auf die Schulter. „Du brauchst dich wirklich nicht so aufzuregen. Wir haben die Wette abgeschlossen, und ich halte mich an meinen Einsatz. Und Katie schenke ich reinen Wein ein, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.“

„Und wann wird das ungefähr sein?“

„Jetzt jedenfalls noch nicht. Und wehe, du erzählst ihr was.“

Joe kämpfte sichtlich mit sich. Doch schließlich sagte er: „Na schön, von mir erfährt sie nichts. Trotzdem bin ich der Meinung, dass du einen Fehler machst, Rafe. Einen, den du schon sehr bald bereuen wirst.“

„Möglich“, gab Rafe zu. Doch wenn er sich ihr jetzt offenbarte, würde er sie vielleicht endgültig verlieren, und das wollte er auf keinen Fall riskieren. Nicht nur, dass sie eine ganz besondere Frau war – sie hatte ihn begehrt, ohne zu wissen, dass er ein schwerreicher Unternehmer war. Hatte ihn um seiner selbst willen gewollt, ohne etwas davon zu erwarten. Das war eine völlig neue Erfahrung für ihn, und schon deswegen konnte er sie nicht loslassen.

Trotzdem schwor er sich, dass das Herz dabei keine Rolle spielen sollte. Liebe und Ehe – das hatte er beides versucht und war dabei kläglich gescheitert. Und ein King scheiterte nicht. Diesen Satz hatte sein Vater all seinen Söhnen von Kindheit an eingetrichtert. Er war wie ein Naturgesetz.

Die Scheidung von Leslie – ja, dieses eine Scheitern musste Rafe sich eingestehen. Aber es sollte das einzige bleiben. Noch so einen Fehler würde er nicht machen.

„Ob ich etwas bereuen werde oder nicht“, sagte er mahnend zu Joe, „geht dich nichts an. Kümmere du dich um deine Arbeit und überlass Katie Charles mir.“

„Schön, du bist der Boss. Aber glaub mir, du machst einen Fehler.“

Joe ging, um die weitere Arbeit mit Steve und Arturo zu besprechen. Die Gedanken rasten nur so durch Rafes Kopf.

Vielleicht hatte Joe wirklich nicht so unrecht – aus seiner Sicht. Doch Rafe schien es die sicherste Lösung zu sein, mit seinem ursprünglichen Plan fortzufahren. Obendrein wich er ohnehin nicht gern von einmal gefassten Entschlüssen ab. Denn das würde ja heißen, dass er sich selbst in Zweifel zog. Und wenn er damit erst einmal anfing, wo soll das enden? Nein, nein.

Schiefgehen konnte es so oder so. Und im Zweifelsfall badete er lieber seine eigene Fehlentscheidung aus, als dass er verlor, weil er auf den ungebetenen Rat eines anderen gehört hatte.

7. KAPITEL

Als es Abend wurde, wartete Emily O’Hara draußen vor Katies Haus auf Rafe. Wieder war er der letzte der Handwerker, der die Arbeitsstätte verließ. Er war sogar noch länger geblieben als üblich – weil er die Hoffnung gehabt hatte, Katie würde noch rechtzeitig vom Einkaufen zurückkommen. Er hätte gern noch mit ihr geredet. Und, wenn er ehrlich zu sich selbst war, nicht nur geredet.

Gerade weil Katie nicht zu Hause war, wunderte er sich, ihre Großmutter vorzufinden. Sie trug weiße Hosen und ein Shirt in grellem Pink; nicht sehr passend für eine Dame ihres Alters.

Schon an ihrem Lächeln hätte er ablesen können, dass Gefahr drohte. Aber er beruhigte sich mit der Erkenntnis, dass er gut mit Frauen umgehen konnte. Sicher, mit Frauen in Emilys Alter hatte er nicht so viel Erfahrung, aber was sollte schon schiefgehen, wenn er seinen Charme spielen ließ? Außerdem hatte er sie ja schon kennengelernt, und sie schien wirklich nett zu sein.

„Hallo, Mrs O’Hara“, begrüßte er sie freundlich lächelnd. „Katie ist nicht zu Hause.“

„Das weiß ich, Rafe. Es ist doch Dienstag. Da kauft meine Enkelin immer Lebensmittel ein. Sie hat ihre festen Gewohnheiten, und sie mag es so, wissen Sie.“ Forschend sah sie ihn an. „Warten Sie mal, vielleicht sollte ich Sie gar nicht mit Rafe anreden. Ich sollte wohl besser Mr King sagen.“

Rafe zuckte zusammen, ihm wurde ganz flau im Magen. Damit hatte er nicht gerechnet. Sie wusste, wer er war! Ob sie es Katie schon erzählt hatte? Nein, das hätte er bestimmt mitbekommen. Katie hätte ihn in Stücke gerissen! Was die Frage aufwarf: Warum hatte ihre Großmutter sein Geheimnis bewahrt?

„Äh, bleiben wir lieber bei Rafe“, erwiderte er verlegen und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Seit wann wissen Sie, wer ich bin?“

Sie lachte. „Von Anfang an. Seit Katie Sie mir als Rafe Cole vorgestellt hat.“ Kopfschüttelnd fuhr sie mit dem Finger über die Karosserie von Rafes Wagen und betrachtete dann prüfend den Staub auf ihrer Fingerkuppe.

„Wissen Sie, meine Katie ist ein gutes Kind, aber für meinen Geschmack schon ein bisschen zu zielstrebig. Sie klammert alles andere aus. Im Moment kümmert sie sich nur um ihr Geschäft und nimmt nichts anderes wahr. Sie nimmt sich ja nicht mal die Zeit, mal ein paar Klatschzeitschriften zu lesen. Sonst hätte sie Sie erkannt – genau wie ich. Obwohl ich sagen muss, dass Sie in Jeans ganz anders wirken als in einem teuren Anzug.“

Er stöhnte auf. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Im vergangenen Monat war ein Foto von ihm in einer dieser Zeitschriften gewesen. Er war in Begleitung einer Schauspielerin auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung aufgetaucht. Was nicht hieß, dass er und Selena ein Paar waren. Ein Date hatte ihm gereicht. Die junge Frau war zwar ausnehmend hübsch, plapperte aber ständig nur über Mode, Kosmetik und Frisuren.

Er zog die Hände aus den Taschen und verschränkte die Arme vor der Brust – eine typische Abwehrhaltung. Emily mochte wie eine nette, harmlose alte Dame wirken, aber ein Blick in ihre Augen sagte ihm, dass er vorsichtig sein musste. Angespannt wartete er auf ihren nächsten Schritt.

„Wenigstens leugnen Sie es nicht“, sagte sie.

„Was würde das bringen?“

„Nichts, da haben Sie recht.“

„Warum haben Sie es Katie nicht erzählt?“

„Eine gute Frage“, erwiderte Emily lächelnd. „Die habe ich mir auch schon gestellt. Aber ich wollte erst mal abwarten und sehen, was Sie vorhaben.“

„Und …?“

„Ich warte immer noch.“ Prüfend sah sie ihn an. „Warum machen Sie uns beiden nicht das Leben leichter und erzählen mir einfach, was los ist? Warum geben Sie sich als jemand anderern aus?“

Die ganze Situation war ihm unangenehm, aber insgeheim bewunderte er diese Frau. Sie würde Katie verteidigen wie eine Löwin ihr Junges. Andererseits verspürte er wenig Lust, ihr Rechenschaft abzulegen.

„Okay, hier die Kurzfassung“, erklärte er seufzend. „Ich habe eine dumme Wette verloren und muss in diesem Job arbeiten, um die Wettschuld einzulösen. Das geht natürlich leichter, wenn niemand weiß, dass ich einer der Chefs bin, und alle mich für einen Niemand halten.“

„Das erklärt, warum Sie Ihren Kollegen nichts gesagt haben“, meinte Emily. „Aber nicht, warum Sie Katie etwas vormachen.“

„Da haben Sie recht.“

Ungeduldig tippte sie mit dem Fuß. „Also …?“

Die alte Dame würde nicht lockerlassen. Zwar hatte er keine Lust, sich vor ihr zu rechtfertigen, aber ihm war klar, dass sie sich nur aus Liebe zu ihrer Enkelin so aufführte. Und das verlangte ihm Respekt ab.

Deshalb sagte er ihr in knappen Worten alles. „Ich mag sie. Aber sie hasst die Kings. Deshalb verrate ich ihr nicht, dass ich zu dieser Familie gehöre.“

„Soll das heißen: nie?“, fragte Emily verblüfft.

„Na ja, irgendwann muss ich es ihr natürlich sagen. Aber auf meine Art – und erst, wenn die Zeit gekommen ist.“

„Und wann wird das sein?“

Und diese knallharte Frau hatte er für eine nette ältere Lady gehalten! Er konnte sich nicht erinnern, dass ihn jemals jemand so ins Gebet genommen hatte. Schließlich war er ein King. Er rechtfertigte sich nicht, er entschuldigte sich nicht. Und schon mal gar nicht ließ er sich von einer Rentnerin in poppiger, greller Kleidung einschüchtern.

Na ja, irgendwie doch.

„Wann das sein wird? Wenn ich sie davon überzeugt habe, dass nicht alle Kings Mistkerle sind. Wenn sie genug Sympathien für mich entwickelt hat, sage ich ihr alles, beweise ihr, dass sie sich in uns getäuscht hat – und dann verschwinde ich aus ihrem Leben.“

Kopfschüttelnd sah Emily ihn an. „Das ist Ihr Plan?“

„Stimmt damit irgendwas nicht?“

„So einiges.“

Ihm war es egal, was sie von seinem Plan hielt, er war entschlossen, ihn durchzuziehen. Plötzlich fiel ihm etwas ein – etwas, das ihm viel Arbeit ersparen konnte. Er trat einen Schritt auf Emily zu und fragte: „Sie wissen, wer aus der Familie King Katie enttäuscht hat, nicht wahr?“

„Allerdings.“

„Dann verraten Sie’s mir. Sagen Sie mir, wer es ist. Ich habe ja selber schon nachgeforscht, aber bisher ohne Erfolg.“

„Warum wollen Sie das überhaupt wissen?“

„Weil …“ Rafe hielt inne und dachte einen Augenblick nach. „Ich will wissen, wer ihr wehgetan hat, damit ich dieser Person auch wehtun kann.“

„Sie wollen jemandem aus Ihrer eigenen Familie wehtun?“

Die alte Dame war überrascht – und er eigentlich auch. Über sich selbst. Denn die Kings hielten immer zusammen. Das war Ehrensache. Die Kings gegen den Rest der Welt – und wehe dem, der ihnen Böses wollte. Sicher, gelegentlich stritten sie auch untereinander, aber noch nie hatte sich ein King ernsthaft gegen einen anderen King gewandt.

„Ja“, versicherte er entschlossen. Familie hin oder her, Rafe wollte es dem Kerl zeigen, der schuld daran war, dass Katie so misstrauisch und verschlossen war. Egal, welcher Cousin – oder gar Bruder – es war, Rafe würde ihm sein mieses Verhalten heimzahlen.

„Warum schert Sie das? Warum setzen Sie sich so für Katie ein?“

Rafe kratzte sich am Kopf. Ja, warum eigentlich? Das war ihm selber nicht ganz klar, er wusste nur, dass es so war. Vielleicht ja, weil es ihm nicht passte, dass eine Frau wie Katie die Kings hasste. Irgendwie auch keine befriedigende Erklärung. „Sie stellen aber wirklich eine Menge Fragen“, sagte er zu Emily.

„Stimmt. Und wie wäre es mit einer Antwort? Aber eine ehrliche, wenn ich bitten darf.“

Rafe dachte einen Moment nach. „Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, warum mich das so beschäftigt. Es ist einfach so. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass jemand aus meiner Verwandtschaft ihr ein Leid zugefügt hat. Und es gefällt mir nicht, dass sie wegen dieses einen Typen die gesamte Familie hasst. Also verraten Sie mir seinen Namen, und ich kümmere mich um den Rest. Umso eher verschwinde ich aus Katies Leben.“

Man konnte förmlich sehen, wie es in ihrem Gehirn arbeitete. Schließlich schüttelte sie entschlossen den Kopf und sagte: „Wissen Sie was? Ich glaube, ich werde Ihnen den Namen nicht verraten.“

„Warum nicht?“

„Ich möchte lieber sehen, wie Sie Ihren Plan durchziehen. Meine Katie kommt schon klar. Natürlich hat dieser Mann sie verletzt – aber er hat sie nicht kaputtgemacht. Und wissen Sie auch warum nicht? Weil sie nur gedacht hat, sie würde ihn lieben, aber sie hat ihn nicht wirklich geliebt. Behalten Sie das immer im Hinterkopf, Rafe.“

Er verstand nicht, was sie ihm damit sagen wollte, trotzdem nickte er. „Na schön. Ich behalte es im Hinterkopf.“

„Gut. Und jetzt muss ich los. Ich habe noch ein Date, das interessant zu werden verspricht.“ Sie wandte sich zum Gehen, doch plötzlich drehte sie sich noch einmal zu ihm um. „Ach ja, eine Sache noch.“

„Ja bitte?“

Sie kniff die Augen zusammen und wurde ganz ernst. „Wenn Sie ihr das Herz brechen, zahle ich Ihnen das heim. Ich werde dafür sorgen, dass Sie es bereuen, jemals einen Fuß in ihr Haus gesetzt zu haben. Haben wir uns verstanden?“

Rafe nickte. Seine Bewunderung für die alte Dame wuchs noch mehr. Sie besaß einen beachtlichen Familiensinn, verteidigte ihr Fleisch und Blut bis zum Letzten. Er beneidete Katie dafür, dass sie jemanden hatte, der sie so sehr liebte.

Er selbst hatte so etwas nie erfahren dürfen. Natürlich hatte er immerhin seine Brüder und seine Cousins. Seine Mutter jedoch hatte ihn nie geliebt; sie hatte ihn nur als Druckmittel eingesetzt, um Geld aus Ben King herauszupressen. Und auch die alte Tante, die ihn großgezogen hatte, hatte ihn nicht wirklich geliebt. Sie hatte nur ihre Pflicht getan, was sie ihm auch offen gesagt hatte. Und sein Vater? Nun, vielleicht hatte er ihn ein wenig geliebt – in dem geringen Maße, wie Ben King überhaupt zur Liebe fähig war. Dennoch verspürte Rafe kein Selbstmitleid. Es war eben, wie es war. Und trotz allem hatte er etwas aus seinem Leben gemacht.

Dennoch – wie es wohl gewesen wäre, Liebe zu bekommen? Liebe, wie er sie in Emily O’Haras Augen sah?

„Ja“, versicherte er beflissen. „Wir haben uns verstanden.“

„Das freut mich.“ Nun lächelte sie wieder und fügte hinzu: „Die Fronten sind geklärt, und solange Sie sich an die Regeln halten, werden wir prächtig miteinander auskommen.“

Sie ging zu ihrem Auto – einem alten knallgelben VW-Käfer –, stieg ein, ließ den Motor aufheulen und raste davon.

Als sie verschwunden war, wandte Rafe sich um und betrachtete nachdenklich Katies Haus. Seine Kollegen waren fort, Katie war nicht da – das Gebäude war leer. So leer, wie er sich fühlte.

Das Gespräch mit Emily hatte ihn aufgewühlt. Die alte Dame hielt den Plan, an dem er so unerschütterlich festhielt, für dumm, und vielleicht hatte sie sogar recht. Sein Spiel, seine falsche Identität – das komplizierte nur alles.

Er hatte die Fassade des Rafe Cole aufrechterhalten, um Katies Respekt und ihre Zuneigung zu gewinnen. Aber selbst wenn ihm das gelang – was hatte er dann erreicht? Dann empfand sie Sympathie für eine Fantasiefigur, nicht für den richtigen Rafe King. Doch er traute sich auch nicht, die Maskerade zu beenden. Denn dann würde er vielleicht alles verlieren.

Er gestand es sich nur ungern ein, aber im Moment fühlte er sich so einsam wie noch nie in seinem Leben. Und er wusste nicht, was er dagegen tun sollte.

Früh am nächsten Morgen musste Katie Bestellungen ausliefern. Das war eine Tätigkeit, die ihr normalerweise viel Freude bereitete – die glücklichen Gesichter zu sehen, wenn sie die Leckereien brachte. Seit ihr Geschäft gut lief, fehlte ihr meist die Zeit, die Kekse selbst vorbeizubringen.

Für gewöhnlich erledigte das jetzt Donna, ein Teenager aus ihrer Straße. Das Mädchen verdiente damit mehr als etwa beim Babysitten, und Katie sparte Zeit. Beide profitierten davon.

Doch jetzt war Donna mit ihrer Familie im Urlaub. Also blieb Katie nichts anderes übrig, als die Waren selbst auszuliefern, obwohl sie sehr erschöpft war. Als sie die Schachteln im Kofferraum verstaut hatte, warf sie noch einmal einen liebevollen Blick darauf. Alles ihr Werk, und sie war stolz darauf.

Sie hatte ihr kleines Unternehmen aus dem Nichts aufgebaut, es lief gut, und sie hatte noch große Pläne.

Noch ein Grund mehr, sich von Rafe fernzuhalten, dachte sie.

Er war einfach zu … männlich. So verführerisch, dass er sie von ihren Zielen ablenkte. Das konnte sie sich nicht leisten. Also am besten gar nicht mehr an ihn denken – obwohl das leichter gesagt als getan war.

Nein, sie musste sich auf ihr florierendes Geschäft konzentrieren. Schließlich wollte sie es noch ausbauen, vielleicht ein Ladengeschäft eröffnen. Mehrere Backöfen kaufen, Hilfskräfte einstellen, den Kundenstamm erweitern. Ein Online-Shop wäre auch nicht schlecht. Ja, ihr schwebte noch so einiges vor, und nichts sollte sie davon abhalten.

Es duftete nach Vanille, Zimt und Schokolade. Katie lächelte zufrieden, obwohl sie nur knapp drei Stunden geschlafen hatte. Das lag nicht nur daran, dass sie die halbe Nacht gebacken hatte. Denn auch als sie sich anschließend ins Bett gelegt hatte, hatte sie nur unruhig geschlafen und immer wieder von Rafe geträumt. Von der Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten.

Nicht schon wieder! Jetzt dachte sie ja schon wieder an Rafe! Irgendwie auch kein Wunder, schließlich sah sie ihn jeden Tag, weil er immer noch bei ihr im Haus arbeitete. So kamen fast zwangsläufig immer wieder die Erinnerungen an das hoch, was sie in seinen Armen erlebt hatte.

„Na, soll ich dir helfen?“

Katie zuckte zusammen und fuhr herum. Vor ihr stand genau der Mann, an den sie die ganze Zeit gedacht hatte. „Himmel, hast du mich erschreckt!“

„Tut mir leid.“ Er lächelte. „Ich hatte dich angesprochen, aber du hast mich wohl nicht gehört.“

Nein, hatte sie nicht. Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen, zurückzudenken – an seine Hände auf ihrer Haut, an seinen Mund, an das Gefühl, als er in sie eingedrungen war. Oje, oje! Sie zwang sich zu einem Lächeln und murmelte: „Ich war wohl ganz in Gedanken.“

Neugierig warf er einen Blick in den Kofferraum. „Du bist ja ganz schön fleißig gewesen.“

„Das stimmt.“ Sie wollte sich nach dem letzten Karton mit Keksen bücken, aber er war schneller. „Lass mal, ich mach das schon.“

Auf sein Erscheinen war sie nicht gefasst gewesen, doch jetzt war sie froh, dass er da war. In den vergangenen Tagen war sie ihm absichtlich aus dem Weg gegangen, und jetzt tat es ihr gut, seine Nähe zu spüren. In seinen verwaschenen Jeans und dem T-Shirt mit dem Aufdruck King Construction sah er wie immer großartig aus. Am liebsten hätte sie ihn geküsst.

Aber das kam natürlich überhaupt nicht infrage! Sie riss sich zusammen. Wenn nur diese Müdigkeit nicht wäre! Und all die Kekspakete, die noch auszuliefern waren …

„Danke.“

Er verstaute die Schachtel im Kofferraum und musterte sie kritisch. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, ja. Bin nur ein bisschen erschöpft.“

„Jetzt sag nicht, du willst das alles noch selbst ausliefern.“

Entschlossen nickte sie. „Doch, das will ich. Das Mädchen, das das sonst für mich erledigt, ist mit seinen Eltern campen und …“

„Katie, du kannst doch kaum noch die Augen offen halten.“

„Ach, halb so wild. Das geht schon. In ein, zwei Stunden bin ich mit der Fahrerei durch. Und wenn ich zurück zu Hause bin, mache ich ein Nickerchen.“

Aus der Küche dröhnte plötzlich das Geräusch einer Motorsäge.

„Na ja, falls ich bei dem Lärm schlafen kann“, ergänzte sie lächelnd.

Er erwiderte ihr Lächeln nicht. Stattdessen verschränkte er die Arme vor der Brust und sagte streng: „Du setzt dich nicht hinters Steuer.“

„Wie bitte?“

„Katie, du schläfst doch schon im Stehen ein. Wenn du jetzt noch Auto fährst, könntest du einen Unfall bauen und dich oder andere verletzen.“

„Jetzt übertreib mal nicht“, erwiderte sie und schloss den Kofferraum. „Ich kann auf mich selbst aufpassen.“

„Sicher kannst du das“, stimmte er ihr zu. „Aber nur im Wachzustand.“

„Jetzt tu nicht so, als ob du für mich verantwortlich wärst, Rafe“, protestierte sie und unterdrückte ein Gähnen. Diese Situation war das beste Beispiel dafür, dass sie als Paar nicht miteinander klarkommen würden. Er war zu herrisch – und sie zu störrisch.

Himmel, war sie müde! Diesmal konnte sie das Gähnen nicht unterdrücken, und er lächelte triumphierend. Na prächtig, damit spielte sie ihm genau in die Hände. Um ihn gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen, sagte sie: „Es ist ja ganz reizend, dass du so um mich besorgt bist. Aber es geht mir gut. Und wir haben beide zu arbeiten. Dein Platz ist in der Küche. Also … handwerkermäßig, meine ich. Thema beendet.“

„Wohl kaum.“ Rafe zog den Autoschlüssel aus dem Kofferraumschloss und behielt ihn bei sich. „Katie, ich mache keine Witze. Ich lasse dich auf keinen Fall fahren.“

„Du lässt mich …?“, fragte sie ungläubig. „Du hast mir gar nichts zu sagen, Rafe. Das ist mein Auto, mein Unternehmen, und ich sage: Ich kann fahren.“

„Da befindest du dich im Irrtum.“ Er blickte kurz zum Haus hinüber. „Warte hier!“

In Katies Ohren klang das „Warte hier!“ wie „Sitz!“, wie ein Kommando, das man einem Hündchen gab. Aber natürlich würde sie warten. Wenn auch nicht aus freien Stücken. Er hatte ihre Autoschlüssel.

In ihre Müdigkeit mischte sich Verärgerung. Wahrscheinlich keine gute Kombination. Sicher, zugegeben, sie war tatsächlich übermüdet. Aber in ihren Augen hieß das noch lange nicht, dass sie eine Gefahr für den Straßenverkehr darstellte. Sie war doch nicht dumm. Würde sie sich nicht mehr fahrtüchtig fühlen, würde sie sich auch nicht hinters Steuer setzen.

Je länger er fortblieb, desto mehr ärgerte sie sich. Gereizt ging sie auf und ab. Eine Nacht mit diesem Mann, und schon stellte er Besitzansprüche. Ja, es war richtig gewesen, dass sie in den letzten Tagen Distanz gewahrt hatte. Wie er sich wohl erst aufführen würde, wenn sie wirklich eine Beziehung hätten!

Eine Beziehung mit ihm – irgendwie war das für sie kein Schreckgespenst, sondern eine durchaus angenehme Vorstellung. Wäre es nicht schön, wenn sich jemand um sie sorgte, um sie Sorgen machte? Natürlich war sie nicht irgend so ein Dummchen, das widerspruchslos die Befehle eines Mannes befolgte. Aber wenn jemand sie so mochte, dass er um ihre Sicherheit besorgt war – das war doch schön. Kein Grund zum Ärger, sondern zur Freude. Oder war das jetzt nur die Erschöpfung, die aus ihr sprach?

Endlich kam er zurück. Weil ihr Zorn noch längst nicht verraucht war, forderte sie knapp: „So, jetzt gibst du mir bitte die Schlüssel.“

„Kommt überhaupt nicht infrage.“ Mit festem Griff packte er sie am Arm, führte sie zur Beifahrerseite ihres Autos, öffnete die Tür und befahl: „Setz dich rein!“

Störrisch entwand sie sich seinem Griff und trat einen Schritt zurück. Fest blickte sie ihm in die Augen. „Rafe, das ist jetzt wirklich nicht mehr lustig.“

Standhaft erwiderte er ihren Blick. „Da gebe ich dir recht. Durch deinen Drang zur absoluten Selbstständigkeit gefährdest du dich selbst.“

„Was soll denn das nun schon wieder heißen?“

„Dass du so auf deine Unabhängigkeit bedacht bist, dass du nicht mal dann um Hilfe bitten magst, wenn du sie wirklich nötig hast.“ Er lächelte triumphierend, als müsste sie vor dieser unfehlbaren Logik einknicken.

Doch das tat sie nicht.

„Ich brauche keine Hilfe. Und wenn doch, würde ich mich ganz bestimmt nicht an dich wenden.“

„Ach nein? Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“

„Weil wir kein Paar sind. Und weil du dich darum kümmern solltest, dass meine verflixte Küche endlich fertig wird.“

„Wir könnten ja ein Paar sein, wenn du nicht so unvernünftig und störrisch wärst. Und mit der Küche mache ich weiter, sobald wir zurückkommen.“

„Sobald wir zurückkommen? Wir fahren nirgends zusammen hin.“ Vergeblich versuchte sie, ein Gähnen zu unterdrücken.

„Siehst du, du musst schon wieder gähnen.“

„Ich gähne, so viel ich will.“

„Verflixt noch mal, Katie“, sagte Rafe ruhig und beherrscht. „Selbst wenn du meine Hilfe nicht annehmen willst, könntest du wenigstens zugeben, dass du völlig übermüdet bist. Zu müde, einen klaren Gedanken zu fassen. Vom Autofahren ganz zu schweigen.“

Sein strenger Blick verriet ihr, dass er so schnell nicht aufgeben würde. Aber sie auch nicht. „Mach dich nicht lächerlich. Ich bin topfit. Na ja, fast jedenfalls.“

Wieder musste sie gähnen.

„Topfit? Das sieht man. So, jetzt steig ein. Ich fahre.“

„Du?“ Sie blickte zum Haus hinüber. „Aber – du musst doch arbeiten. Du kriegst bestimmt Ärger, wenn du einfach …“

„Ich habe gerade mit den Jungs gesprochen. Sie sollen Joe Bescheid sagen, dass ich dir bei etwas helfe und in ein paar Stunden zurück bin.“

„Das kannst du doch nicht einfach machen.“ So eine Eigenmächtigkeit kann ihn den Job kosten, dachte sie. Und ich will nicht schuld sein, dass er seine Arbeit verliert.

„Doch, das kann ich. Die Firma verspricht Rundumservice. Alles, was der Auftraggeber will – und der Auftraggeber bist du –, wird von uns erledigt.“

Katie hatte ihn nicht um Hilfe gebeten, er hatte sie aus freien Stücken angeboten. Und möglicherweise hatte er ja tatsächlich recht, vielleicht war sie wirklich zu erschöpft, quer durch die Stadt zu fahren, zu allen möglichen Adressen. Andererseits fand sie es nicht in Ordnung, dass er einfach so das Kommando übernahm.

Sie überlegte hin und her. Natürlich führte er sich wie ein Tyrann auf, aber er meinte es ja gut mit ihr. Obwohl er in der Küche arbeiten sollte, erklärte er sich bereit, mit ihr Kekse auszufahren.

Das würde auch bedeuten, dass sie ein, zwei Stunden oder länger gemeinsam im Auto unterwegs wären. Allein zusammen. Ein durchaus verlockender Gedanke – einerseits. Andererseits …

„Man sieht dir förmlich an, wie du mit dir kämpfst“, merkte er schmunzelnd an.

„Das ist einfacher, als mit dir zu kämpfen. Zu diskutieren, meine ich.“

„Da hast du recht. Und bevor du damit wieder anfängst, muss ich dir sagen: Ich gebe nicht nach. Niemals.“

„Ich aber auch nicht.“

Er zuckte mit den Schultern. „Deshalb ist dieser ständige Ärger zwischen uns ja programmiert. Also, steigst du jetzt freiwillig ein, oder muss ich nachhelfen?“

„Na schön“, sagte sie schließlich. „Vielleicht – aber nur vielleicht – bin ich doch ein bisschen zu müde zum Autofahren.“

Er lächelte, und Katie wurde ganz warm ums Herz. Eigentlich wollte ich mich ja von ihm fernhalten, dachte sie, aber was soll’s. Es kommt, wie es kommt.

„Schön, dass wir uns einig sind“, erklärte Rafe. „Wenn ich dich dann bitten dürfte einzusteigen …?“

Wie höflich er auf einmal sein konnte. Kein Kommandoton mehr, sondern eine überaus freundliche Aufforderung. Das gefiel ihr schon besser. „Danke“, sagte sie und setzte sich auf den Beifahrersitz.

„Kein Problem.“ Er schloss die Tür, ging ums Auto herum, setzte sich auf den Fahrersitz und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Dann sah er zu ihr hinüber und fragte: „Na, wie fühlt sich unser zweites Date an?“

„Kekse ausliefern ist ein Date?“

„Wenn wir beide es wollen, dann ist es ein Date.“ Er ließ den Motor an und schaute wieder zu ihr hinüber. „Also – ist es ein Date?“

Nachdenklich sah Katie ihn an. Sie dachte an ihre gemeinsame Nacht und an die vergangenen Tage, an denen sie ihm so nah und doch gleichzeitig so fern gewesen war. Und sie erinnerte sich daran, wie sie nachts von ihm geträumt und sich seine Berührungen ersehnt hatte.

Vielleicht bin ich wirklich dumm, wenn ich endlich mal wieder einen netten Kerl kennenlerne und ihn dann verscheuche, dachte sie. Gut, vielleicht benimmt er sich manchmal ein bisschen herrisch, aber damit kann ich umgehen. Vielleicht sollte ich es einfach riskieren. Ein bisschen Zeit mit ihm verbringen. Das, was ich für ihn empfinde, könnte noch wachsen. Und irgendwie schaffe ich das schon – mich ums Geschäft kümmern und gleichzeitig ein bisschen Spaß haben. Leben. Das ist doch genau das, was Nana und Nicole mir geraten haben.

Plötzlich kamen ihr die schlechten Erfahrungen mit Cordell wieder in den Sinn, aber sie verdrängte diese Gedanken sofort.

„Es ist kein Date, wenn du mir nicht wenigstens einen Kaffee ausgibst.“

Er lächelte triumphierend. „Den sollst du haben.“

8. KAPITEL

Anderthalb Stunden später fühlte Katie sich viel wacher, und Rafe war bester Laune. „Kein Wunder, dass dir das Spaß macht“, merkte er an, als er sich nach der letzten Lieferung wieder ans Steuer schwang. „Die Leute sind ja überglücklich, wenn man ihnen die Kekse bringt.“

Sie lächelte. „Wie sind die Smiley-Kekse angekommen? Die mit dem lächelnden Babygesicht aus Zuckerguss?“

Lachend wedelte er ihr mit einem Fünfdollarschein vor dem Gesicht herum. „Schau mal, ich habe ein fettes Trinkgeld bekommen.“

Er wirkte so zufrieden, dass auch Katie lachen musste. „Gratulation, jetzt bist du ein echter Lieferjunge.“

„Die Frau war so was von gerührt“, erzählte er strahlend und überreichte Katie den Geldschein. „Sie hat erst vor ein paar Tagen ihr Kind bekommen, und ihr Freund hatte die Kekse als Überraschung für sie bestellt. Sie hat richtig geweint vor Freude, kannst du dir das vorstellen?“ Er hielt einen Moment inne. „Das war schon fast beängstigend.“

Mitfühlend tätschelte sie ihm den Arm. „Als Handwerker ist man solche Reaktionen wohl nicht gewohnt?“

„Nein“, antwortete er einsilbig. Sie war so zufrieden mit ihm, fühlte sich so wohl, dass er sich plötzlich wie ein Schuft vorkam, weil er ihr immer noch die Wahrheit über sich verheimlichte.

Er musste an seine Unterhaltung mit Katies Großmutter denken. Wahrscheinlich hatte sie recht gehabt. Erst hatte er die Lügen, das Spiel mit der falschen Identität, nicht schlimm gefunden. Aber je länger er Katie kannte, desto schlechter fühlte er sich dabei. Er hätte ihr schon längst reinen Wein einschenken müssen.

Die Frage war nur, wie er aus dieser Falle herauskam. Wenn er Katie verriet, dass er ein King war, wäre es wahrscheinlich aus zwischen ihnen.

Und das wollte er nicht. Nicht mehr. Denn inzwischen war ihm klar geworden, dass er sich nicht nur ein aufregendes Intermezzo wünschte – er wollte sich auch weiterhin mit ihr treffen, wenn er seine Wettschuld eingelöst hatte und wieder der echte Rafe King war.

Aber dafür sahen die Chancen düster aus.

So gern er ihr jetzt sofort die Wahrheit gesagt hätte – es ging nicht. Ihre empörte Reaktion mochte er sich gar nicht ausmalen.

Nein, sie war noch nicht so weit, die Wahrheit zu erfahren.

Sie musste ihn erst in ihr Herz geschlossen haben, bevor er ihr alles beichtete. Was dann passieren würde – man würde sehen. Auf jeden Fall wollte er unbedingt jetzt mit ihr zusammen sein. Und das konnte er durch ein vorzeitiges Geständnis nur kaputt machen.

Also musste er vorerst bei seinem Plan bleiben, bei den Lügen, ob er nun wollte oder nicht.

„Wie fühlst du dich jetzt?“, fragte er, um das Thema zu wechseln.

„Auf jeden Fall wacher als vorhin. Der Kaffee hat meine Lebensgeister wieder geweckt.“

„Na, aber höchstens ein bisschen“, kommentierte er. Sie sah immer noch blass und erschöpft aus, und das bereitete ihm Sorgen. Ja, tatsächlich, er sorgte sich um sie. Und das wiederum gefiel ihm gar nicht, aber er konnte nichts dagegen tun. „Du wirkst ganz schön kraftlos.“

„So alt und ausgelaugt gefalle ich dir bestimmt nicht mehr“, erwiderte sie verschmitzt.

„Ach, Quatsch. Du bist wunderschön.“ Er stieß die Worte hervor, ohne darüber nachzudenken, und sie entfalteten eine magische Wirkung.

„Rafe …“

„Sag jetzt nichts“, bat er sie. Er wusste, sonst würde sie ihm einen Vortrag halten, dass sich nichts geändert hätte, dass sie immer noch kein Interesse hätte, mit ihm zusammen zu sein. Doch ihr Blick verriet ihm das Gegenteil.

Er beugte sich zu ihr hinüber, strich ihr zärtlich über die Wange und kam mit seinen Lippen den ihren immer näher. „Ich möchte dich nur …“

Leise seufzend ließ sie es zu, dass ihre Lippen sich berührten. Rafe fühlte sich unendlich erleichtert. Hätte sie sich abgewandt – er hätte es nicht ertragen können. Tagelang hatte er sich diesen Kuss ersehnt, davon geträumt. Die Erinnerungen an ihre gemeinsame Nacht loderten wieder in ihm auf.

Am liebsten hätte er sie ganz fest an sich gepresst. Wollte sie spüren, ihre Haut, ihre Zärtlichkeiten, wollte, dass sie sich ihm hingab.

Natürlich, jetzt ging das nicht, das war ihm klar. Doch je länger der Kuss dauerte, desto mehr wich seine Selbstbeherrschung. Also zog er sich von ihr zurück, solange er noch konnte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder völlig unter Kontrolle hatte. Befriedigt stellte er fest, dass der Kuss auch sie nicht kaltgelassen hatte, im Gegenteil. Es konnte also keine Rede davon sein, dass sie mit ihm nichts mehr zu tun haben wollte.

„Siehst du, ich habe dir doch gesagt, dass wir noch nicht miteinander fertig sind.“

Katie schüttelte den Kopf, lächelte aber dabei. „Du musst immer recht behalten, was? Immer das letzte Wort haben.“

„Wollen wir das jetzt ausdiskutieren?“, fragte er. „Ich muss dich warnen, langsam gewöhne ich mich an unsere Kabbeleien.“

„Später vielleicht“, gab sie zurück und strich ihm über die Wange.

„Später? Das heißt ja, dass wir uns wiedersehen.“

„Ja“, gab sie zu und sah ihm tief in die Augen. „Wir sehen uns wieder.“

„Heute Abend“, sagte Rafe und ergriff ihre Hand. „Ich möchte mich schon heute Abend wieder mit dir treffen.“

„Okay“, erwiderte sie leichthin. „Wollen wir wieder was grillen?“

„Ach nein, diesmal sollte lieber jemand anderer für uns kochen. Ich hole dich um sieben ab.“

„Und wo soll’s hingehen?“

„Das bleibt mein Geheimnis. Eine kleine Überraschung für dich.“ Er hatte da schon etwas im Sinn. Geschickt fädelte er sich wieder in den Straßenverkehr ein. „Zieh dir was Hübsches an, ruhig ein bisschen elegant. Ach ja, und leg dich vorher noch ein paar Stündchen schlafen. Ich möchte, dass du heute Abend frisch und erholt bist.“

„Hört sich ja spannend an.“

„Wie gesagt – lass dich überraschen.“

In seinen Gedanken nahm der Plan bereits Gestalt an. Und er lächelte zufrieden.

Seine gute Laune hielt an, bis er seine Hotelsuite betrat.

Dort bemerkte er sofort, dass jemand anwesend sein musste. Man brauchte kein Genie zu sein, um das zu erkennen. Auf seiner Couch lag eine Designerhandtasche, und unter dem Tisch standen schwarze High Heels.

Rafe dachte angestrengt nach. Er hatte doch für heute Abend kein Date abgemacht, oder? Blödsinn, das müsste er doch wissen. Seit Selena, der egozentrischen Schauspielerin, hatte er mit keiner Frau mehr näheren Kontakt gehabt. Wer also könnte …

„Rafe, bist du das?“

Die ihm nur allzu gut bekannte Frauenstimme löste in ihm schmerzliche Erinnerungen aus. Er zwang sich zu einem Lächeln, als die Besucherin vom Balkon ins Zimmer trat.

„Leslie, was machst du denn hier?“

Ironisch lächelte die elegante brünette Frau ihn an. „Ich freue mich auch, dich zu sehen, Rafe.“

Das fing ja gut an! Schon kritisierte sie ihn, dass er sie nicht vernünftig begrüßt hatte. Dabei war sie es doch gewesen, die unangekündigt aufgekreuzt war und sich obendrein einfach in seine Räumlichkeiten geschlichen hatte. Wortlos sah Rafe sie an. Und wartete. Auf eine Reaktion, eine Erklärung.

„Ich hätte wahrscheinlich anrufen sollen, statt einfach so hier aufzutauchen“, gestand Leslie ein.

„Das wäre nicht verkehrt gewesen.“

Wie immer war sie perfekt gekleidet, und die Sonnenstrahlen, die durch Balkontür und Fenster drangen, ließen sie im besten Licht erscheinen. Ja, sie hatte schon immer gewusst, wie man sich in Szene setzt. Sie war äußerst attraktiv, überaus selbstsicher – und die einzige Frau überhaupt, die ihm je gesagt hatte, er sei nicht gut genug für sie.

„Wie bist du überhaupt hier reingekommen?“

Sie zuckte nonchalant mit den Schultern. „Declan ist ja immer noch der Concierge hier. Er hat mich reingelassen, damit ich in Ruhe auf dich warten konnte.“

Na, mit Declan würde Rafe noch ein ernstes Wörtchen reden müssen. Aber das hatte Zeit bis später. „Und was willst du hier?“

Sie sah ihn an, als ob er sie enttäuscht hätte, als hätte er etwas falsch gemacht. Darin war sie immer gut gewesen: ihm Schuldgefühle einzureden. Er wusste überhaupt nicht mehr, warum er sie damals eigentlich geheiratet hatte.

„Du warst schon immer so direkt“, meinte sie. „So schmerzlich und kompromisslos direkt.“

„Das war ja eins der unzähligen Dinge, die du an mir nicht leiden konntest.“

Einen Augenblick lang blickte sie ernst drein, dann lächelte sie zaghaft. „Es geht schon wieder los. Unsere Scheidung liegt Jahre zurück, und trotzdem behandeln wir uns immer noch so feindselig.“

Er verzog die Mundwinkel. Sie hatte ja recht, das musste er zugeben, und eigentlich war das Unsinn. Schon lange war sie nicht mehr Bestandteil seines Lebens; vergangen, vergessen, vorbei. Warum all das jetzt wieder aufwärmen?

„Ich muss gestehen, dass dein plötzlicher Besuch mich überrascht. Warum …?“

„Ich kann’s ja selbst kaum glauben, dass ich hier bin. Aber ehrlich gesagt – ich habe nicht gewusst, an wen ich mich sonst wenden sollte.“

Sie seufzte schwer, und wie auf Kommando traten ihr Tränen in die Augen. O ja, dachte Rafe, das kann sie immer noch. Tränen auf Knopfdruck. Während eines Streits, um einen Streit zu verhindern oder um mir zu zeigen, was für ein selbstsüchtiger Mistkerl ich bin. Schleusen auf und ab die Post. Sie sieht immer so hilflos und verletzlich aus, wenn sie weint. Früher war ich immer froh, wenn ich den Tränenfluss stoppen konnte. Aber jetzt kenne ich alle Tricks. Damit kocht sie mich nicht mehr weich. Überhaupt – warum wendet sie sich an mich? Sie ist doch neu verheiratet. Soll sie doch ihrem jetzigen Mann die Ohren volljammern!

„Oh, Rafe“, flüsterte sie und hielt sich theatralisch die Hand an den Kopf. „Es hat mich so viel Überwindung gekostet hierherzukommen, aber ich hatte keine Wahl. Wirklich.“

„Sag mir doch einfach, was los ist.“

„Es geht um John“, sagte sie, und in diesem Moment war auch Rafe besorgt. Denn John Peters war sein bester Freund gewesen, bevor er Leslie geheiratet hatte.

„Geht es ihm nicht gut?“

„Gesundheitlich ist er in Ordnung. Aber er hat seinen Job verloren, Rafe. Und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll.“

Mitleid überkam ihn. Er und John hatten sich auf dem College kennengelernt, und bevor die Sache mit Leslie geschehen war, hatte nichts sie trennen können. Insgeheim musste er sich eingestehen, dass er Johns Freundschaft fast mehr vermisst hatte als das Zusammensein mit Leslie.

Was natürlich Bände über seine gescheiterte Ehe sprach.

„Ja, aber was hat das mit mir zu tun?“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wurde ihm klar, dass sie härter als beabsichtigt klangen.

„Sei doch nicht so gefühllos.“

Seufzend sah er auf seine Uhr. Er wollte schon längst unter der Dusche stehen, sich dann anziehen und Katie abholen. Leslie war für ihn Vergangenheit. Seine Zukunft sah viel rosiger aus, wenn alles glatt lief. Deshalb wollte er jetzt alles so schnell wie möglich hinter sich bringen. „Leslie, du bist meine Exfrau und mit meinem Exfreund verheiratet. Wie viel Mitgefühl willst du da erwarten?“

„Ich habe gleich gewusst, dass du es nicht verstehen würdest.“

„Du hast recht“, stimmte er ihr zu und ging zum Kühlschrank. Er hatte das Gefühl, dass er jetzt dringend ein Bier brauchte. „Ich verstehe es wirklich nicht.“

Als sie sah, wie er die Flasche öffnete, bat sie ihn um ein Glas Wein. Er erfüllte ihr den Wunsch. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, platzte sie heraus: „Ich brauche Geld.“

Rafe lächelte, und der Funken Mitgefühl, den er verspürt haben mochte, erlosch. War ja eigentlich klar gewesen. Wenn jemand etwas von den Kings wollte, war es Geld. Geld, Geld, Geld. Immer das Gleiche. „Weiß John, dass du hier bist?“

„Nein, um Himmels willen, natürlich nicht. Er würde sich gedemütigt fühlen.“

Das glaubte Rafe unbesehen. Der John, an den er sich erinnerte, wäre mehr als nur peinlich berührt, wenn er wüsste, dass Leslie hier war, um um Hilfe zu bitten. „Nur mal so aus Neugier: Nehmen wir an, ich würde dir Geld geben. Wie würdest du das John erklären?“

„Ach, da würde mir schon was einfallen. Irgendeine Geschichte. Ich kann ziemlich überzeugend sein.“

„O ja, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern.“ Leslie hatte immer bekommen, was sie wollte. Daran schien sich nichts geändert zu haben. Instinktiv verglich er im Geiste seine Exfrau mit Katie Charles.

Leslie war kühl und elegant. Was hieß kühl – im Grunde war sie kalt.

Katie dagegen war temperamentvoll, leidenschaftlich, warmherzig.

„Rafe, ich hätte mich nicht an dich gewandt, wenn ich eine andere Lösung gesehen hätte“, sagte Leslie. In ihrer Stimme lag eine Spur von Bedauern.

„Das ist mir schon klar.“ Wieder musste Rafe an Katie denken. Was sie wohl an Leslies Stelle getan hätte? Allein die Vorstellung, Katie in Schwierigkeiten zu sehen, schmerzte ihn. Und noch mehr schmerzte ihn die Erkenntnis, dass sie sich in einer Notlage wohl kaum an ihn gewandt hätte.

Mühevoll baute Katie sich ihr eigenes kleines Unternehmen auf, bewegte sich am Existenzminimum entlang und ließ trotzdem nicht von ihrem Traum ab, sich etwas aufzubauen, in dem ihr Herzblut steckte. Sie gab alles, um auf eigenen Beinen stehen zu können.

Und Leslie? Nun ja, in gewisser Weise gab sie auch alles. Sie musste wirklich verzweifelt sein, wenn sie sich an ihn wandte. Ja, die Verzweiflung war ihr wirklich anzusehen. Und so lag es in gewisser Weise an Katie, wenn Rafe jetzt doch Mitgefühl für Leslie empfand. Vor ein paar Wochen wäre ihm das noch undenkbar vorgekommen. Wie kam das nur?

Auch wenn ihre Ehe kein schönes Ende genommen hatte – es wurde Rafe bewusst, dass er Leslies Schrei nach Hilfe nicht ignorieren konnte. Vielleicht war das ein Zeichen dafür, dass er bereit war, mit der Vergangenheit – und den schlechten Erinnerungen – abzuschließen.

„Ruf morgen meine Sekretärin Janice an“, sagte er. „Ich gebe ihr Bescheid. Sie soll dir die Summe auszahlen, die du brauchst. Egal, wie viel es ist.“

Leslie atmete auf und lächelte ihn dankbar an. „Vielen, vielen Dank. Um ehrlich zu sein – ich hatte nicht damit gerechnet, dass du helfen würdest.“

„Aber gefragt hast du trotzdem.“

„Ich musste es tun“, gab sie ehrlich zu. „Ich kann es nicht mit ansehen, wenn John sich solche Sorgen macht. So voller Zukunftsängste steckt.“

„Du liebst ihn wirklich.“

„Ja, ich liebe ihn wirklich.“

Eigentlich sollte mir das jetzt einen Stich ins Herz versetzen, dachte er, aber es tut nicht weh, kein bisschen. Nicht mehr. Damals, als Leslie mich verlassen hat, war wohl eher mein Stolz verletzt – aber nicht mein Herz. Die große Frage ist: Was sagt das über mich aus? Hat Leslie damals doch recht gehabt, als sie mir vorgeworfen hat, dass ich zu wahrer Liebe nicht fähig bin?

Nachdenklich betrachtete er das Etikett auf seiner Bierflasche, während er nach den richtigen Worten suchte. „Leslie, ich muss dich mal was fragen, und ich bitte dich um eine ehrliche Antwort. Als wir verheiratet waren – hast du da dieselben Gefühle für mich gehabt wie jetzt für John? Hättest du mich auch beschützt, dich für mich eingesetzt, wenn ich Hilfe gebraucht hätte?“

„Das war etwas anderes, Rafe“, erwiderte sie leise. „Du hast mich nicht gebraucht. Du hast mich nie wirklich gebraucht.“

„Ich habe dich geliebt.“

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Hast du nicht.“

Ihre Antwort verärgerte ihn. „Hör mal, ich weiß doch wohl, was ich empfunden habe.“

„Jetzt reagier doch nicht gleich so beleidigt“, besänftigte sie ihn. „Du hast mich gemocht, sicher, aber du hast mich nicht geliebt, Rafe. Und irgendwann war ich es leid – diese ewigen Versuche, zu dir durchzudringen.“

Er stellte sein Bier ab und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du zu mir gesagt, dass ich zur Liebe nicht fähig wäre.“

Überrascht sah sie ihn an. „Das habe ich nicht gesagt.“

„Doch, hast du.“

„Um Himmels willen, Rafe, warum sollte ich so etwas sagen?“

„Komisch, das habe ich mich auch oft gefragt.“

„Das ist einer der Gründe, warum es mit uns nicht geklappt hat“, erklärte sie kopfschüttelnd. „Du hast mir nie richtig zugehört. Ich habe nie gesagt, dass du zur Liebe nicht fähig wärst. Ich habe nur gesagt, dass du nicht fähig wärst, mich zu lieben.“

Nachdenklich blickte er aus dem Fenster. Die untergehende Sonne tauchte den Ozean in ein rötliches Licht. Ein kühler Windhauch drang durch die geöffnete Balkontür. „So oder so – du hast recht gehabt.“

„Nein“, erwiderte Leslie. „Habe ich nicht.“

Besänftigend legte sie ihm die Hand auf den Arm. „Rafe, begreifst du denn nicht? Du hast mich nicht geliebt, und das hat mich verletzt. Deshalb wollte ich dich auch verletzen.“

Dabei hat sie mich damit gar nicht verletzt, dachte er. Sie hat nur etwas in Worte gefasst, was mir insgeheim schon vorher klar gewesen war. Dass man Liebe gelehrt bekommen muss, solange man noch jung ist. Und leider, leider hatte ich niemanden, der mir das beigebracht hat.

„Wer ist sie?“, fragte Leslie plötzlich.

„Was?“ Er zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt.

„Wow! Das hast du immer noch perfekt drauf.“

„Wovon redest du?“

„Dass du dich sofort komplett abschottest, wenn dir jemand nahekommt“, erklärte sie. „Mich hat das damals ganz verrückt gemacht. Sobald etwas dein Herz zu berühren drohte, bist du auf Abwehrposition gegangen.“

Diese klare Analyse behagte ihm nicht – aber er konnte nicht leugnen, dass mehr als nur ein Funken Wahrheit darin steckte.

„Mach es nicht noch einmal so, Rafe“, riet Leslie ihm mitfühlend. „Ich meine, behandle diese Frau, wer immer sie ist, nicht auch so. Lass sie in dein Herz. Du musst es einfach zulassen. Geschehen lassen.“

„Na klar, das habe ich bisher ja immer so gut hingekriegt.“

„Einmal ist immer das erste Mal. Du wirst sehen, es ist gar nicht so schwer, jemanden zu lieben. Es muss nur die richtige Person sein.“

„Wie John zum Beispiel?“

„Für mich – ja. Für mich ist es John.“ Sie ließ seinen Arm wieder los und fügte hinzu: „Weißt du, John vermisst eure Freundschaft. Du hättest sie ihm nicht aufkündigen müssen wegen dem, was zwischen uns passiert ist.“

Doch, dachte er, das musste ich. Schon weil ich sonst ständig das Gefühl gehabt hätte, dass ihm etwas gelungen ist, woran ich gescheitert bin. Er hat es geschafft, Leslie glücklich zu machen – und ich nicht. Und Kings verlieren nun mal nicht gern. Wir sind es nicht gewohnt; normalerweise kämpfen wir bis zum Sieg.

Doch beim Gespräch mit Leslie war Rafe klar geworden, dass seine Niederlage ihn jetzt nicht mehr reute. Leslie war neu verheiratet, sie war glücklich, sie hatte Kinder. Ja, sie hatte ihre Vergangenheit hinter sich gelassen – und vielleicht war es auch für ihn an der Zeit, dasselbe zu tun. Einmal war er gestürzt – aber warum sollte er nicht wieder aufstehen und weitermachen?

„Ich habe John auch vermisst“, gab er schließlich zu. Und weil ihm dieses Eingeständnis überraschend leicht über die Lippen kam, fragte er gleich weiter: „Wie geht es euren Kindern?“

Sein Interesse freute sie. Sie strahlte über das ganze Gesicht. „Oh, sie haben sich prächtig herausgemacht. Möchtest du ein paar Fotos sehen?“

„Klar.“

Sofort zog sie ein Mäppchen mit Bildern hervor. Die Kinder waren wirklich gut geraten; sie hatten Leslies Haarfarbe und Johns Augen. Als Rafe die Fotos betrachtete, verspürte er einen Anflug von Eifersucht.

„Sie sehen wirklich süß aus.“

„Ja, sie sind großartig“, sagte Leslie. „Und John ist ihnen ein wunderbarer Vater.“

„Das freut mich für dich“, merkte er an und meinte es wirklich ernst. Irgendwie komisch, dachte er. Wenn er sonst an Leslie gedacht hatte, dann immer mit einer gewissen Trauer, weil er das Gefühl hatte, versagt zu haben. Doch jetzt nicht mehr. Diese Gefühle waren wie weggeblasen. Stattdessen dachte er an Katie Charles, ihr Lächeln, ihre Fröhlichkeit.

Leslie war Vergangenheit.

War Katie die Zukunft?

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Was?“

Leslie musterte ihn verwirrt. „Du wirkst so geistesabwesend.“

„Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.“ Er dachte einen Moment nach, dann setzte er hinzu: „Ich bin froh, dass du heute vorbeigekommen bist, Leslie.“

„Wirklich?“ Sie lächelte erfreut. „Noch vor einem Jahr hättest du das bestimmt nicht gesagt.“

„Das stimmt“, gab er zu. „Aber jetzt kann ich es sagen. Aus vollem Herzen.“

„Deine neue Bekannte muss wirklich etwas ganz Besonderes sein.“

„Ja, das ist sie.“ Er spürte förmlich, wie der Ballast seiner gescheiterten Ehe von ihm abfiel.

„Dann mach es bloß nicht kaputt, Rafe“, ermahnte sie ihn. „Ich sage dir das, weil ich es gut mit dir meine. Du musst dich ihr öffnen.“

Ihm wurde bewusst, dass er das schon getan hatte. Ohne es gewollt zu haben, ohne es zu merken. Irgendwie war es Katie gelungen, zu ihm durchzudringen. Jetzt musste er sich nur noch darüber klar werden, was das für ihn bedeutete. Für sie beide bedeutete.

„Ich muss los“, sagte Leslie, zog sich ihre Schuhe wieder an und griff nach ihrer Handtasche. „Nochmals vielen Dank für deine Hilfe, Rafe. Ich zahle dir alles zurück, sobald ich kann.“

„Ja, das weiß ich“, gab er zurück. „Mach dir darum keine Sorgen. Ruf einfach morgen Janice an.“

„Mache ich. Ach so, und bitte sei nicht sauer auf Declan, weil er mich reingelassen hat. So ein Manöver mache ich nicht noch mal.“

Er nickte. „Ist schon in Ordnung.“

„Ach, eins noch“, sagte sie mit sanfter Stimme. „Tut mir leid, dass die Sache mit uns so ausgegangen ist.“

Er spürte, dass sie es ernst meinte. Zum ersten Mal konnte er sie ohne Gefühle der Reue und des Schmerzes ansehen. In Zukunft würde er weder ihr noch John aus dem Weg zu gehen brauchen; er war mit sich und ihnen wieder im Reinen. Die Vergangenheit zählte nicht mehr. Ja, er verspürte vollkommenen Seelenfrieden. Es war ein wunderbares Gefühl.

Plötzlich kam ihm eine Idee.

„Wir könnten bei King Construction noch einen guten Anwalt brauchen“, bot er an. „Sag doch John, er soll mich mal anrufen.“

Sie strahlte ihn an. „Er würde ganz bestimmt gerne wieder mit dir reden, Rafe. Sogar ohne das Jobangebot.“

„Ja … ich auch mit ihm.“

Als Leslie gegangen war, genoss Rafe seinen neu gewonnenen inneren Frieden. Jahrelang hatte er seine gescheiterte Ehe wie ein Schutzschild verwendet, um zu verhindern, dass eine Frau ihm wirklich nahekam. Hatte sie als Beweis genommen, dass er einfach nicht fürs Eheleben geschaffen war.

Jetzt wurde ihm bewusst, dass die Ehe mit Leslie von Anfang an chancenlos gewesen war. Weil er sie aus den falschen Gründen geheiratet hatte.

Sie waren damals beide noch zu jung gewesen, hatten noch nicht gewusst, was sie wirklich wollten. Nach einem Jahr des Zusammenseins war es ihnen wie der nächste logische Schritt vorgekommen, aber das war dumm gewesen. Er hatte sich auf die Ehe eingelassen, obwohl er gespürt hatte, dass er einen Fehler machte.

Was Katie anging, hatte er diese Gefühle nicht. Mit ihr zusammen zu sein – das fühlte sich hundertprozentig richtig an. Aber ob es immer noch so sein würde, wenn sie die Wahrheit über ihn erfuhr?

9. KAPITEL

Nach einem ausgedehnten Nickerchen fühlte Katie sich frisch und ausgeruht. Gleichzeitig war sie wegen der bevorstehenden Verabredung etwas nervös. Weil sie für den Abend noch ein Kleid kaufen wollte, nahm sie Nicole als Beraterin mit.

„Nein, nein, auf keinen Fall“, stieß Nicole gequält hervor, als Katie sich mit dem frisch anprobierten Kleid vor sie hinstellte. „Du bist doch keine fünfzig, Katie.“

Katie sah an sich herunter. „Also ich finde es ganz hübsch.“

„Nichts da“, gab Nicole zurück und reichte Connor sein Saftfläschchen. „Das ist bieder und altbacken. Geht gar nicht.“

Der kleine Junge strampelte in seinem Kinderwagen und rief: „Schick!“

„Siehst du, Connor gefällt es.“

„Warte, bis er in die Pubertät kommt. Dann gefällt’s ihm nicht mehr.“ Nicole sah sich suchend um und holte dann ein anderes Kleid vom Ständer. „Versuch mal dies hier. Müsste dir passen.“

„Aber, das ist ja schwarz.“

„Na und?“

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
Mehr erfahren