Die Newports - Dynastie der Leidenschaft - 6-teilige Serie

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EINE SINNLICHE NACHT MIT DEM BOSS

Er ist gut aussehend, sexy, reich - und ihr Boss. Daran muss Georgia sich immer wieder erinnern, denn sie will auf keinen Fall durch eine Affäre mit ihm ihre Karriere gefährden. Trotzdem geht ihr Carson Newport nicht aus dem Kopf. Als sie ihm dabei hilft, das Haus seiner verstorbenen Mutter auszuräumen, kommen sie sich näher - und erleben eine sinnliche Nacht voller Leidenschaft. Georgia verliebt sich Hals über Kopf. Bis Carson sie beschuldigt, ihn mit seinem Erzfeind betrogen zu haben …

IN DEN STARKEN ARMEN DES TYCOONS

Reid Chamberlain lädt sie zum Dinner in sein Luxus-Apartment ein? Überraschend - und aufregend! Früher war der freche Bad Boy Noras bester Freund, bis sie Chicago verließ. Doch jetzt ist sie zurückgekehrt. Und natürlich hat Reid, inzwischen steinreicher Tycoon mit besten Verbindungen, davon erfahren. Viel zu heftig klopft Noras Herz, als sie ihrem einstigen Traummann gegenübersteht! Seine Blicke geben keine Gefühle preis. Aber vielleicht hilft ihr das raffinierte Cocktailkleid dabei herauszufinden, was Reid von ihr will?

SO WEIT DIE LEIDENSCHAFT UNS TRÄGT

Lucy Wilde? Als Millionär Josh Calhoun ihr auf einer Krankenstation begegnet, muss er sich zusammenreißen, um sie nicht anzustarren. Aus dem süßen Mädchen von früher ist eine erfolgreiche Ärztin geworden! Und noch etwas hat sich verändert: Damals war sie die Freundin seines besten Freundes Gary und für Josh verboten - jetzt ist sie wieder Single. Und obwohl er bis zu diesem Moment überzeugt war, dass er mit der Liebe abgeschlossen hat, ist es für ihn zum zweiten Mal in seinem Leben Leidenschaft auf den ersten Blick …

AFFÄRE MIT DEM SEXY FEIND

Die geheime Affäre mit dem smarten Anwalt Graham Newport ist das Erotischste, was Eve Winchester jemals erlebt hat! Sinnliche Verlockungen, hemmungslose Liebesspiele - aber keine gemeinsame Zukunft, schließlich trennt ihre beiden Familien seit Jahren eine erbitterte Feindschaft, die ganz Chicago in Atem hält. Aber wenn Eve mit Graham im Bett ist, verschwinden alle Konflikte, dann zählt nur ihre heiße Leidenschaft. Bis etwas geschieht, das die zärtlichsten Gefühle der Welt auf den Plan ruft …

KÜSS MICH, VERRÄTER!

Ein unentschuldbarer Betrug! Grace Winchester wollte nie wieder ein Wort mit Roman Slater wechseln. Ihr Herz hat er gebrochen, und er hat versucht, ihre Familie zu ruinieren. Doch jetzt verlangt ihr Vater, dass Grace mit dem Verräter zusammenarbeitet … und ihre schlimmsten Befürchtungen werden wahr. Denn der umwerfend attraktive Privatdetektiv hat noch immer dieselbe Wirkung auf sie wie damals: Sie stellt sich vor, wie er sie liebt, wie er sie in erotische Welten entführt. Und sie könnte schwören, dass ihr unwiderstehlicher Feind dasselbe denkt …

HEIMLICH, SINNLICH ? UND VERBOTEN

Die sexy Brünette mit den Rehaugen geht Brooks Newport unter die Haut, und der One-Night-Stand mit ihr ist einfach unglaublich! Am nächsten Morgen fährt Brooks weiter zum Anwesen seines Vaters, den er endlich kennenlernen will. Auf der Ranch läuft er der Pferdetrainerin Ruby Lopez in die Arme. Was für eine Überraschung: seine leidenschaftliche Geliebte der letzten Nacht! Er will sie noch immer, aber Ruby gehört quasi zur Familie. Und eine Affäre hinter dem Rücken der anderen würde jedes Vertrauen im Keim ersticken …


  • Erscheinungstag 30.08.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737641
  • Seitenanzahl 864
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Andrea Laurence, Kat Cantrell, Sarah M. Anderson, Jules Bennett, Michelle Celmer, Charlene Sands

Die Newports - Dynastie der Leidenschaft - 6-teilige Serie

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2016 by Harlequin Books S.A.
Originaltitel: „Saying Yes to the Boss“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1991 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Victoria Werner

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733723873

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

„Ich hab es!“ Georgia Adams stand triumphierend in der Tür.

Carson Newport sah von den Papieren auf, mit denen er gerade beschäftigt gewesen war. „Was hast du?“

Georgia schluckte ihre Enttäuschung hinunter. Sie hatte sich diesen Moment anders vorgestellt. Carsons verständnisloser Blick war in ihrer Fantasie nicht vorgekommen. Er musste doch wissen, dass es um das Grundstück ging, nach dem sie seit zwei Monaten suchten! In ihrer Tasche befand sich bereits eine gekühlte Flasche Champagner, um das Ereignis zu feiern.

„Ich habe das ideale Grundstück für das Kinderkrankenhaus gefunden.“

Nun hatte sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Carson setzte sich in seinem Ledersessel auf. „Ist das dein Ernst?“

Georgia lächelte. Das traf es doch schon eher. „Ernster könnte es kaum sein.“

Er winkte sie herein. „Erzähl mir mehr.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das muss ich dir zeigen. Komm!“

Carson warf nicht einmal einen Blick auf seinen Terminkalender. Das Grundstück für ihr nächstes Bauprojekt zu finden, war unglaublich mühsam gewesen. Es gab in Chicago nicht viele Flächen, die dafür infrage kamen. Zumindest nicht zu einem Preis, der kaufmännisch noch halbwegs vertretbar war.

Carson knöpfte sich im Gehen die Anzugjacke zu. „Jetzt bin ich aber gespannt.“

„Wir nehmen deinen Wagen“, erklärte Georgia, während sie im Fahrstuhl den Knopf für die Tiefgarage drückte.

Carson verdrehte die Augen. „Weißt du, Georgia, du bist die Leiterin der PR-Abteilung eines der fünfhundert umsatzstärksten Unternehmen der USA. Ich glaube, bei deinem Gehalt könntest du dir wirklich einen Wagen leisten. Einen sehr schönen sogar.“

Georgia zuckte nur die Schultern. Sie brauchte kein Auto. Von ihrem Apartment zur nächsten Station der L, der innerstädtischen Hochbahn, musste sie nur bis zur nächsten Querstraße gehen. Chicagos öffentliche Verkehrsmittel waren zuverlässig und preiswert, das gefiel ihr. Für viele Menschen, die so aufgewachsen waren wie sie, wäre der eigene Wagen der krönende Beweis, dass sie es geschafft hatten. Sie sah in einem Auto jedoch nur einen überflüssigen Kostenfaktor. Man konnte nie wissen, wann man das Geld für etwas anderes benötigte.

„Ich glaube, ein Jaguar würde zu dir passen“, sinnierte Carson, während sie den Fahrstuhl verließen. „Elegant, attraktiv und ein bisschen wild.“

Georgia blieb neben Carsons weißem Range Rover stehen. Sie warf das platinblonde Haar zurück und stemmte eine Hand in die Seite. „Muss ich dich der Personalabteilung wegen unangemessenen Verhaltens melden?“ Ihr Lächeln zeigte, dass sie die Worte nicht ernst meinte.

Carson hielt ihr die Wagentür auf. „Das war ein Kompliment! Bitte zwing mich nicht, in die zweite Etage zu gehen. Unsere Personalleiterin erinnert mich an meine Grundschullehrerin. Sie war immer gemein zu mir.“

„Hast du dich vielleicht schlecht benommen?“

Carson grinste, wobei seine leuchtend grünen Augen blitzten. „Mag sein“, gab er zu, bevor er die Tür hinter ihr zuschlug.

Georgia atmete tief durch. Die Nähe von Carson Newport setzte ihr wie immer zu. Nicht, weil er ein schwieriger Boss gewesen wäre – im Gegenteil. Das war ja das Problem. Er sah gut aus, war charmant, smart und denkbar schlecht im Flirten. Das galt für alle drei Newport-Brüder, aber nur Carson brachte ihren Puls zum Rasen. Seine Komplimente waren harmlos, das wusste sie. Ein Jahr arbeitete sie nun schon in der Firma, und er hatte nicht ein einziges Mal versucht, ihr näher zu kommen.

Das hieß allerdings nicht, dass sie es sich nicht insgeheim wünschte. Es war eine wirklich dumme Fantasie, die sie nachts wachhielt, wenn sie sich vorstellte, wie seine Hände ihren nackten Körper berührten. Doch es musste eine Fantasie bleiben!

Georgia hatte hart dafür gearbeitet, ein gutes College zu besuchen und anschließend die Karriereleiter hinaufzusteigen. Mit dem Job bei der Newport Corporation war ein Traum wahr geworden. Sie hatte unter den Mitarbeitern so etwas wie eine Familie gefunden, und sie war gut in ihrem Beruf. Alles hatte sich genau so entwickelt, wie sie es sich erhofft hatte. Das würde sie nicht aufs Spiel setzen, nur weil sie heiß war auf ihren Boss.

Die Fahrt durch die Innenstadt zu dem Grundstück dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Carson stellte den Wagen neben der Straße auf einem Streifen aus Sand und Gras ab, und sie gingen ein paar Hundert Meter über ein freies Feld.

Hätte Georgia gewusst, dass sie heute hierherkommen würde, hätte sie sich für etwas Praktischeres als einen engen Rock und High Heels entschieden, aber sie hatte den Tipp erst auf dem Weg ins Büro bekommen. Glücklicherweise hatte es längere Zeit nicht geregnet, sodass der Boden fest und trocken war.

Das Grundstück war ideal. Der Boden war ziemlich eben, und für eine Bebauung müssten nur wenige Bäume gefällt werden. Die eine Seite grenzte an eine Bucht des Lake Michigan, die andere an einen Park.

„Was meinst du?“ Georgias Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Etwas Besseres als dieses Grundstück konnte es für ihren Zweck einfach nicht geben! Es war durch Erbstreitigkeiten jahrelang blockiert gewesen. Erst jetzt hatte die Familie beschlossen, es zu verkaufen, sonst wäre hier sicher längst ein Einkaufszentrum aus dem Boden gestampft worden oder Blocks mit Eigentumswohnungen. Falls es Carson nicht gefiel, hatte sie vergebens eine richtig teure Flasche Champagner gekauft.

Sie beobachtete, wie er den Blick umherschweifen ließ. Als er sich zu ihr herumdrehte, strahlte er über das ganze Gesicht.

„Es ist unglaublich. Einfach perfekt!“

Er ging weiter, die Hände tief in den Taschen vergraben. Carson hatte eine lässige Art, die darüber hinwegtäuschte, wie hart er in geschäftlichen Dingen sein konnte. Georgia hatte mehr als einmal erlebt, dass ein Geschäftspartner den jüngsten Newport unterschätzte und es bitter bereute.

„Wie hast du das hier gefunden?“

„Ich kenne da jemanden“, sagte sie lächelnd. Sie hatte ihre Fühler schon vor mehreren Wochen ausgestreckt, aber erst heute eine Antwort bekommen.

Ein Bekannter aus Collegezeiten hatte von dem Grundstück gehört. Es war nicht offiziell zum Verkauf ausgeschrieben – zumindest noch nicht.

Georgia hatte mit den Besitzern gesprochen. Im Moment sammelten sie Angebote, die, wie bei hochpreisigen Objekten üblich, blind abgegeben wurden. Georgia hatte den Eindruck, dass die Besitzer den Verkauf so schnell und geräuschlos wie möglich über die Bühne bringen wollten. Als zeitliches Limit hatten sie sich das Ende der kommenden Woche gesetzt. Erst falls ihnen bis zu dem Zeitpunkt kein akzeptables Angebot vorlag, wollten sie das Grundstück öffentlich zum Verkauf ausschreiben.

Wenn Newport schnell war, konnten sie dem zuvorkommen und so verhindern, dass Mitbewerber den Preis hochtrieben.

„Es ist ideal.“ Carson machte kein Hehl aus seiner Begeisterung.

„Wir müssten uns mit dem Angebot beeilen, sonst bekommt ein anderer den Zuschlag.“

„Wir werden keine Zeit verlieren. Graham und Brooks sind mit Sicherheit auch dafür.“

Lächelnd ließ Georgia ihre große Tasche von der Schulter gleiten. Darin hätte sie mühelos alles Nötige für einen Wochenendurlaub untergebracht, aber sie hatte diese Tasche stets bei sich. Sie enthielt alles, was sie möglicherweise gebrauchen konnte. Heute schloss das eine kleine Kühltasche mit ein.

„Ich finde, das ist ein Grund zu feiern.“ Sie zog die Flasche Champagner heraus.

„Was hast du sonst noch dabei?“ Carson lachte leise, während er sich vorbeugte, um einen Blick in die Tiefen ihrer Tasche zu werfen.

Georgia förderte zwei rote Plastikbecher zutage. „Nicht eben edles Kristall, aber ich glaube, sie genügen.“

„Ich habe bei den schönsten Gelegenheiten mit Plastikbechern angestoßen.“ Carson ließ den Korken knallen und schenkte die Becher reichlich voll.

„Auf das Cynthia-Newport-Krankenhaus für Kinder!“ Er hob sein Glas.

„Darauf, dass sich der Traum deiner Mutter nun erfüllt!“, setzte Georgia hinzu.

Sie bemerkte einen Anflug von Trauer in Carsons Blick. Es war erst zwei Monate her, seit seine Mutter ganz plötzlich an einem Aneurysma gestorben war. Es hatte keinerlei Vorwarnungen gegeben. In einem Moment war sie da, im nächsten nicht mehr. Die Mutter war alles, was die Newport-Brüder an Familie hatten. Sie nahmen den Verlust sehr schwer, besonders Carson. Er hatte beschlossen, ihr zu Ehren ein Kinderkrankenhaus zu bauen, da sie sich in den vergangenen Jahren sehr für kranke Kinder engagiert hatte.

„Ich kann gar nicht glauben, dass wir die Idee verwirklichen können.“ Carson stellte seinen Becher ab, nahm Georgia spontan in die Arme und wirbelte sie herum.

„Carson!“ Sie stieß einen Überraschungsschrei aus und schlang die Arme um seinen Nacken, was ihn nur dazu bewegte, sie noch schneller zu drehen.

Als er sie schließlich wieder absetzte, lachten sie beide. Der Champagner hatte auf nüchternen Magen eine durchschlagende Wirkung. Georgia war schwindelig zumute, und sie musste sich an Carsons Schultern festhalten, bis die Welt aufhörte, sich um sie zu drehen.

„Vielen Dank dafür, dass du das Grundstück für uns gefunden hast“, sagte er.

„Ich freue mich auch darüber. Ich weiß, wie wichtig dir das Projekt ist.“ Sie registrierte, dass seine Arme immer noch um ihre Taille lagen. Carson mochte schmaler wirken als seine Brüder, aber sein Griff verriet, dass sich unter dem teuren Anzug harte Muskeln verbargen.

Ihr Lachen verflog. Sie sahen einander in die Augen. Carsons volle Lippen waren nur Zentimeter von ihren entfernt. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut. Wie oft hatte sie davon geträumt, so mit ihm dazustehen – und jedes Mal hatte er sie in ihren Träumen geküsst.

Ehe sie noch wusste, wie ihr geschah, ließ Carson ihren Traum Wirklichkeit werden, indem er den Kopf senkte und seine Lippen auf ihre drückte. Die Wirkung des Champagners dämpfte die warnenden Stimmen in ihrem Kopf. Georgia gab sich dem Kuss ganz hin und zog Carson an sich.

Er schmeckte nach Champagner und Pfefferminz. Seine Berührung war sanft und gleichzeitig fest. Sie hätte ewig so stehen bleiben mögen, aber schließlich löste sich Carson von ihr.

Für einen Moment fühlte sich Georgia wie benommen. Sie wusste nicht, ob sein Kuss schuld war oder der Champagner, aber sie hatte das Gefühl, sie würde abheben, wenn sie ihn jetzt losließ. Dann sah sie zu ihm auf.

Seine grünen Augen spiegelten so etwas wie Panik wider. Seine Miene holte sie abrupt zurück in die Wirklichkeit. Sie hatte gerade ihren Boss geküsst. Ihren Boss! Und trotz der Tatsache, dass er selbst den Kuss initiiert hatte, schien er darüber ebenso entsetzt wie sie.

„Georgia, ich …“ Er musste neu ansetzen. „Es tut mir leid, ich wollte das nicht.“

Sie schüttelte rasch den Kopf und wich einen Schritt zurück. „Mach dir deswegen keine Gedanken“, sagte sie. „Bei Aufregung und unter Einfluss von Champagner tun die Menschen oft die dümmsten Dinge.“

Nur: Es hatte sich nicht dumm angefühlt. Im Gegenteil. Es war atemberaubend gewesen. Besser als alle Träume, die sie von Carson und sich gehabt hatte. Aber deswegen war es immer noch keine gute Idee.

„Ich hoffe, das verändert jetzt nichts zwischen uns. Ich möchte nicht, dass meine Gedankenlosigkeit unser gutes Arbeitsverhältnis zerstört.“

„Alles in Ordnung, Carson. Bitte. So etwas kann passieren, wenn man eng zusammenarbeitet. Und davon einmal abgesehen …“, räumte sie widerstrebend ein, „… ist es ja nicht so, als ob ich mich sonderlich gewehrt hätte.“

„Georgia?“

Sie war seinem Blick ausgewichen, aber sein bittender, rauer Ton ließ sie jetzt aufsehen. Seine Panik war verschwunden. Er sah sie durchdringend an. Es hatte den Anschein, als begehre er sie, aber das konnte nicht sein. Der Kuss war ein Fehler gewesen, und sie wussten es beide. Oder?

„Ja?“

„Ich …“

Was auch immer er hatte sagen wollen, blieb ungesagt. Georgia spürte ein Vibrieren an ihrer Brust, während aus Carsons Anzugtasche ein Vogelzwitschern zu hören war. Ihre Büro-Handys …

Georgia schluckte ihre Enttäuschung hinunter und drehte Carson den Rücken zu, während sie das Handy aus der Tasche ihrer Bluse zog. Sie hatte es stets auf lautlos gestellt, um nicht bei einer Geschäftsbesprechung gestört zu werden. Die Nachricht auf dem Display traf sie wie ein Schlag.

„Sutton Winchester plant, genau hier Luxuswohnungen zu bauen“, sagte Carson im selben Moment.

Georgia klickte auf den Link zu der Pressemitteilung, den Carsons Assistentin Rebecca ihnen geschickt hatte.

Georgia hatte bei Rebecca hinterlassen, dass sie mit Carson zu diesem Grundstück fuhr, für den Fall, dass Brooks oder Graham nach ihnen fragen sollten. Rebecca hatte offenbar Erkundigungen über das Grundstück eingeholt und war dabei auf ihren Mitbewerber gestoßen.

Die Mitteilung enthielt eine Skizze der Gebäude, die an genau der Stelle entstehen sollten, an der sie sich jetzt befanden. Es hieß, Suttons Angebot für das Grundstück sei noch nicht angenommen worden, aber er sei zuversichtlich. Neben der Zeichnung war ein Foto von Sutton Winchester zu sehen.

Georgia war sicher, dass Sutton in früheren Jahren mit seinem Charme jede Frau bekommen hätte. Sogar jetzt noch hatte er einen ziemlichen Ruf, was Frauen betraf, trotz seines Alters und seiner langjährigen Ehe mit Celeste Van Houten. Georgia verstand, wieso. Sein hellbraunes Haar war grau geworden und seine Haut faltig, aber seine grünen Augen leuchteten immer noch, und sein Lächeln verriet Selbstbewusstsein.

Georgia hielt sich bewusst von Männern wie Sutton Winchester fern. Im Geschäftsleben war er ein durchtriebener Fuchs, anders ließ es sich nicht beschreiben. Es gab keine Methode, für die er sich nicht zu schade gewesen wäre. Skrupellos setzte er jedes Mittel ein, um zu bekommen, was er wollte. Mehr als einmal hatte er damit Newport bei einem Deal aus dem Rennen geworfen. Andere Unternehmen hatte er gleich in die Pleite getrieben.

Georgia ließ ihr Handy wieder in der Tasche verschwinden. Der Kuss war vergessen, als sie sich auf die nächsten Schritte konzentrierte, die sie unternehmen mussten.

Carsons Blick verriet eiserne Entschlossenheit. „Wir müssen schnell handeln. Ich werde nicht zulassen, dass dieser Bastard uns bei dem Deal zuvorkommt.“

„Es kann nicht sein, dass Winchester gewinnt!“, empörte sich Graham.

Carson reichte seinem älteren Bruder die Schüssel mit dem heißen Popcorn. Er hoffte, dass sie nicht den ganzen Abend über dieses Thema reden mussten, aber es war klar, dass Graham es noch nicht abhaken konnte. „Glaubst du, das wüsste ich nicht?“

„Ist unser Angebot schon rausgegangen?“, fragte Brooks, Grahams Zwillingsbruder.

Die beiden sahen einander sehr ähnlich. Beide waren gut fünf Zentimeter größer als Carson, hatten blondes Haar und blaue Augen. Carson konnte sie leicht auseinanderhalten: Brooks Stirn war immer sorgenvoll gefurcht. Eben diesen Ausdruck zeigte er auch jetzt, als er mit drei Flaschen Bier aus der Küche kam.

Carson nickte und ging, um eine Tüte M&M’s zu holen sowie eine Schachtel Twizzlers, eine Art Lakritze, die sie alle drei gern aßen.

„Ich habe noch vom Grundstück aus angerufen und ein Angebot abgegeben. Der Anwalt der Verkäuferseite hat nichts über andere Angebote gesagt, auch nicht über das von Winchester. Wir haben keine Ahnung, ob unser Preis mit dem der anderen mithalten kann. Deswegen bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten und zu sehen, ob sie vielleicht mit einem Gegenangebot kommen, bevor sie sich entscheiden.“

Carson setzte sich zu seinen Brüdern auf die Couch. „Können wir dieses Thema damit jetzt fallen lassen und uns in Ruhe den Malteser Falken ansehen?“

„Na gut.“ Graham schob sich eine Handvoll Popcorn in den Mund.

Es war der erste Donnerstag des Monats, und das hieß, es war der Kinoabend der Newports. Schon als die Jungen noch klein gewesen waren, hatten sie sich mit ihrer Mutter und Gerty auf der Couch versammelt, um zusammen alte Schwarz-Weiß-Filme anzusehen.

Gerty war Witwe. Sie hatte zusammen mit der Mutter der Brüder in einem Café als Serviererin gearbeitet. Das war noch vor Carsons Geburt gewesen. Als Gerty aufhörte zu arbeiten, lud sie Cynthia und ihre Söhne ein, zu ihr zu ziehen. Das Apartment, das ihre Mutter sich damals leisten konnte, war winzig. Die drei Jungen brauchten dringend mehr Platz. Gerty dagegen mochte nicht allein in ihrem großen Haus sein und freute sich, die Familie bei sich zu haben. Somit war allen geholfen.

Gerty war keine Blutsverwandte gewesen, aber sie war die einzige Familie, die die Newport-Brüder sonst gehabt hatten. Aus Gründen, die nur ihre Mutter kannte und über die sie sich beharrlich ausschwieg, wurden der Vater der Jungen und der Rest ihrer Familie nicht erwähnt.

Als Carson und seine Brüder älter wurden und Cynthia bedrängten, sagte sie nur, ihr Vater sei grausam, und sie habe sich von ihm getrennt, um sie alle vor ihm zu schützen. Sie bestand darauf, dass sie besser dran waren ohne ihn, und sie nahm ihnen das Versprechen ab, nicht nach ihm zu suchen.

Die Jungen waren nicht glücklich darüber, fanden sich aber über lange Zeit damit ab. Sie wollten ihre Mutter nicht verletzen, indem sie nach einem Mann suchten, von dem sie offensichtlich nichts Gutes erwarten konnten. Sie hatten ihre temperamentvolle Pseudo-Tante Gerty und ihre Mutter – jemand anderes brauchten sie nicht.

Sie waren noch in der Highschool gewesen, als Gerty an Krebs starb. Sie hinterließ ihnen genügend Geld, damit sie das College besuchen und etwas aus sich machen konnten. Und genau das taten Carson und seine Brüder. Sie gründeten Newport Corporation und wurden reicher, als sie es je erwartet hatten, indem sie Grundstücke kauften und Bauprojekte entwickelten. Ohne das Geld von Gerty wäre es ihnen nicht möglich gewesen, also ehrten sie die Erinnerung an sie, indem sie sich einmal im Monat trafen, um gemeinsam Bier zu trinken und alte Filme anzusehen.

„Verdopple das Angebot“, drängte Graham, bevor er die Fernbedienung aufnahm und den Film startete.

„Das können wir uns nicht leisten.“

Brooks war wie immer die Stimme der Vernunft. Ohne ihn hätte Graham sich mit seinen meist hochfliegenden Ideen sicher schon das eine oder andere Problem eingehandelt.

„Irgendwo werden wir das Geld schon auftreiben.“ Graham drückte die Pausentaste, noch bevor der Film begonnen hatte.

Carson seufzte. Er wusste, dass Graham es nicht dabei bewenden lassen würde. Wenn er eine Idee im Kopf hatte, konnte er einfach nicht loslassen. Da war er wie eine Bulldogge, die ihren Knochen verteidigte. Das machte ihn zwar zu einem erfolgreichen Anwalt, aber ziemlich anstrengend als Bruder.

Graham war der Anwalt der Firma, verbrachte aber die meiste Zeit in seiner Kanzlei Mayer, Mayer und Newport. Brooks war offiziell der COO der Firma, der Chief Operations Officer, zuständig für das Kerngeschäft mit den Bauprojekten. Er arbeitete weitgehend von seiner Villa am Lake Michigan aus. Carson als Geschäftsführer leitete die Firma, die sie gemeinsam gegründet hatten. Das hielt seine Brüder aber nicht davon ab, jede seiner Entscheidungen kritisch unter die Lupe zu nehmen.

„Kein Problem“, bemerkte Carson trocken. „Wir könnten damit anfangen, dass wir unseren Firmenanwalt entlassen und seinen Firmenwagen einkassieren.“

„Hey!“ Graham stieß Carson empört seinen Ellbogen in die Rippen.

Carson gab ihm den Stoß zurück. Als Jüngster war er es gewohnt, von seinen älteren Brüdern unter Druck gesetzt zu werden, aber er hatte es schon vor langer Zeit gelernt, sich zur Wehr zu setzen. Jetzt waren sie in den Dreißigern, aber an ihrem Verhältnis zueinander hatte sich nichts geändert.

„Du hast gesagt, wir sollen das Geld auftreiben. Du hast nicht gesagt, wo. Gibst du jetzt endlich Ruhe, damit wir den Film sehen können?“

Graham seufzte. „Na gut.“

Brooks schnappte sich die Fernbedienung und drückte auf Play. Der Vorspann lief noch, als Graham einen Blick auf seine Flasche warf und sagte: „Gerty würde uns ausschimpfen, wenn sie wüsste, dass wir dieses Luxusbier trinken.“

Carson schnaubte zustimmend. Gerty hatte sich zum Film immer nur ein ganz normales Budweiser gegönnt. Sie hätte diesen neuen Lebensstil im Luxus nicht gutgeheißen.

„Ich vermisse Gerty“, sagte Brooks und stoppte den Film, gerade als die ersten Bilder von San Francisco erschienen.

„Ich vermisse Mom“, setzte Carson hinzu.

Die drei Brüder schwiegen eine Weile und dachten an die beiden Frauen, die sie verloren hatten.

Der Tod ihrer Mutter war so plötzlich gekommen, und ihr Leben war so hektisch, dass sie ihren Tod noch kaum bewusst verarbeitet hatten. Jetzt gab es nur noch sie drei. Es war ein trauriger Gedanke, den Carson zu vermeiden versuchte. Er deprimierte ihn zutiefst.

„Wann wollen wir ihr Haus räumen?“, fragte Graham.

Das hatten sie bisher noch vor sich hergeschoben. Sie hatten die Haushälterin ihrer Mutter gebeten, alles Verderbliche wegzuwerfen und das Haus zu verschließen, bis sie irgendwann in der Lage sein würden, sich darum zu kümmern. Nun waren acht Wochen vergangen, und keiner von ihnen hatte einen Fuß in Cynthias Haus gesetzt.

Brooks seufzte. „Irgendwann müssen wir es ja tun. Wir können das Haus nicht einfach so dastehen lassen wie ein Mausoleum.“

„Ich mache das“, erbot sich Carson. Es überraschte ihn selbst. „Aber zuerst möchte ich mich um diesen Grundstücksdeal kümmern. Ich habe das Gefühl, ich werde jetzt erst mal eine Weile mit Sutton Winchester beschäftigt sein.“

„Bist du sicher? Ich meine wegen des Hauses?“ Brooks runzelte die Stirn. „Du musst das nicht allein tun.“

Carson schüttelte den Kopf. „Ihr beide habt keine Zeit. Außerdem möchte ich es gern. Vielleicht hilft es mir, ihre Sachen zu ordnen. Vielleicht fühle ich mich dann weniger …“

„Allein?“

„Ja, vielleicht.“

„Glaubt ihr …“ Graham zögerte. „Glaubt ihr, wir könnten in ihren Sachen irgendeinen Hinweis auf unseren Vater finden?“

Diese Frage hatte Carson sich auch schon mehrfach gestellt, aber nicht gewagt, sie laut auszusprechen. „Mom würde nicht wollen, dass wir ihn suchen.“

„Unser Vater mag der Bastard sein, als den sie ihn uns immer hingestellt hat …“, warf Brooks ein, „… aber er ist nicht der Einzige, den wir finden könnten. Vielleicht haben wir noch Geschwister, Cousins und Cousinen, Großeltern … Es ist doch möglich, dass wir irgendwo eine ganze Familie haben. Wollt ihr nicht wissen, woher wir kommen? Dann könnten wir endlich unseren Familienstammbaum vervollständigen. Ich weiß, Mom hat versucht, uns davon abzuhalten, die Wahrheit herauszufinden, aber da sie nun nicht mehr da ist … Ich meine, sie kann nicht wollen, dass wir uns so isoliert fühlen.“

„Wir könnten es zumindest versuchen“, bemerkte Graham. „Vielleicht ist es dumm, und es tut uns später leid, aber zumindest wissen wir dann Bescheid, oder?“

Seine Brüder hatten recht. Carson wusste es. Sie hatten alle drei das Gefühl, irgendwie nicht dazuzugehören.

Herauszufinden, wo sie herkamen, auch wenn es dabei nicht zu der glücklichen Familienzusammenführung kommen sollte, die sie sich insgeheim erhofften, würde eine Lücke für sie schließen. Die Fragen würden immer bleiben, wenn sie nicht versuchten, die Wahrheit herauszufinden.

Da ihre Eltern nicht geheiratet hatten und der Name ihres Vaters auf den Geburtsurkunden fehlte, war das Haus ihrer Mutter vielleicht die letzte Chance, Licht in das Dunkel zu bringen. Danach würden alle möglichen Hinweise auf dem Müll landen.

„Ich halte die Augen offen, okay?“, versprach Carson. „Falls ich etwas finde, das uns weiterhilft, lasse ich es euch wissen.“

Seine Brüder nickten zustimmend, und Brooks drückte nun zum dritten Mal auf die Play-Taste.

2. KAPITEL

„Mr. Newport? Miss Adams für Sie, Sir.“

„Schicken Sie sie herein“, bat Carson seine Assistentin.

Georgia hatte sich das Haar an diesem Tag zu einem Knoten gebunden, sodass ihre hohen Wangenknochen gut zur Geltung kamen. Sie trug einen grauen Hosenanzug, dessen Farbe exakt zum Grau ihrer Augen passte.

Carson bemühte sich stets, Georgias Äußeres nicht zu sehr zu beachten, aber meist misslang es ihm. Sie war eine modebewusste Frau, die genau wusste, was sie tragen musste, um ihre perfekten Kurven zu betonen. Als ihr Boss sollte er nicht auf diese Dinge achten, und doch konnte er sich nicht davon abhalten.

Seit dem Kuss vor ein paar Tagen wusste er jetzt, wie sich dieser Körper unter seinen Händen anfühlte und dass ihr Lipgloss den Geschmack von Erdbeeren hatte. Sein Verlangen nach ihr war stärker denn je. Doch wenn es je eine Zeit gegeben hatte, in der er sich auf seine Arbeit konzentrieren sollte und nicht auf die Leiterin seiner PR-Abteilung, dann war es jetzt.

„Gibt es etwas Neues?“ Sie nahm auf dem Besucherstuhl Platz.

„Ich habe heute Morgen mit den Besitzern gesprochen“, sagte Carson. „Ihre Entscheidung ist immer noch nicht gefallen. Ich habe sie gebeten, uns eine Chance zu geben, unser Angebot nachzubessern, bevor sie sich für jemand anderen entscheiden. Das heißt natürlich nicht, dass Winchester nicht dasselbe tut und den Preis in eine Höhe treibt, bei der wir nicht mehr mitgehen können.“

„Ich hasse dieses Warten“, gestand Georgia.

Carson lehnte sich zurück. „Ich auch. Wie könnten wir die Zeit nutzen?“

„Na ja …“ Georgia holte ihren Tablet-PC hervor. „Ich finde, wir sollten versuchen, mit Sutton Winchester zu reden.“

„Ist das dein Ernst?“ Carson sah sie fassungslos an.

„Wieso nicht? Es muss doch möglich sein, den Mann irgendwie zu erreichen. Unser Projekt soll kranken Kindern helfen. Das kann er nicht verhindern wollen.“

Carson lachte leise. „Du hast den Mann ganz offensichtlich noch nicht persönlich kennengelernt. Weißt du, dass er sich selbst den König von Chicago nennt? Ein Mann mit einem solchen Ego schreckt vor nichts zurück. Und es interessiert ihn auch nicht, etwas Gutes zu tun. Ihm geht es nur ums Geschäft. Wenn wir den Kontakt zu ihm suchen, geben wir uns als Mitbewerber zu erkennen. Er wird den Preis in die Höhe treiben, nur um sich daran zu weiden, wie wir in die Knie gehen.“

„Wenn wir wissen, dass er bietet, dann bin ich sicher, dass er es auch von uns weiß. Was er vielleicht nicht weiß, ist, was wir mit dem Land vorhaben. Das könnte doch einen Unterschied machen und ihn dazu bewegen, sich zurückzuziehen.“

Carson lächelte schief. „Du bist eine unverbesserliche Optimistin.“

„Wahrscheinlich könnte man es so sehen.“ Nach einem Moment setzte Georgia etwas mysteriös hinzu: „Manchmal kann es nur besser werden.“

Carson wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Er wusste nur, dass sie recht hatte. Es konnte nicht schaden, Sutton Winchester anzurufen und von Mann zu Mann mit ihm zu reden. Winchester gehörte noch zur alten Schule. Möglicherweise schätzte er es, wenn Carson die Flucht nach vorn antrat. Es war möglich, dass es nichts brachte, aber zumindest musste er sich dann später nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben.

„Okay, du gewinnst“, sagte er. „Ich rufe ihn an, aber mach dir nicht zu große Hoffnungen.“

Er suchte die Nummer am Computer heraus und wählte. Georgia verfolgte es mit einer Mischung aus Aufregung und Anspannung. Carson war sicher, dass diese Gefühle bald der Enttäuschung weichen würden. Er wollte ihr nicht die Laune verderben, aber wenn es um Sutton Winchester ging, war das wohl unvermeidlich.

Eine Frauenstimme meldete sich. „Hier Elite Industries, das Büro von Mr. Winchester. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Hier ist Carson Newport. Ich würde gern mit Sutton sprechen.“

„Einen Moment bitte, Mr. Newport.“

Die irritierende Musik einer Warteschleife erklang. Gereizt trommelte Carson mit den Fingern auf seine Schreibtischplatte. Es dauerte fast zwei Minuten, bevor sich jemand meldete.

Zunächst war nur ein Husten zu hören. „Carson Newport!“, bellte dann eine tiefe Männerstimme. „Ich habe nicht erwartet, von Ihnen zu hören. Was kann der König von Chicago für Newport Corporation tun?“ Der Ton verriet eine unangenehme Überheblichkeit.

Carson verkniff sich die Bemerkung, die ihm spontan in den Sinn kam. „Guten Tag, Sutton“, sagte er stattdessen. „Ich rufe an wegen des Projekts am See, zu dem Sie vor einigen Tagen eine Pressemitteilung herausgegeben haben.“

„Nicht schlecht, oder? Unverbaubarer Blick aufs Wasser. Für die besten Lagen habe ich schon jetzt eine Liste potenzieller Käufer. Sind Sie an einer Wohnung interessiert, Carson? Ich reserviere gern die beste Ecklage für Sie. Deckenhohe Fenster mit Blick auf den Lake Michigan.“

Carson knirschte mit den Zähnen. „Ein nettes Angebot, Sutton, aber ich suche keine Wohnung, sondern ein Grundstück für ein Kinderkrankenhaus.“

Für einen Moment blieb es still in der Leitung.

„Nobel, nobel“, bemerkte Sutton dann trocken.

„Ich glaube, das Cynthia-Newport-Krankenhaus für Kinder wird der Stadt gut anstehen. Meine Mutter hat sich sehr für kranke Kinder engagiert.“

Das Schweigen am anderen Ende dehnte sich. Da Carson nicht wusste, was in Sutton vorging, fuhr er fort: „Das Problem ist, wir haben dafür genau das Grundstück im Auge, das Sie für Ihre Eigentumswohnungen im Visier haben. Wir haben unser Angebot offenbar kurz nach Ihnen gemacht.“

„Wie schade.“

Carson spürte Ärger in sich aufsteigen. Der andere Mann war offensichtlich nicht gewillt, es ihm leicht zu machen. Er wollte gebeten werden, sein Angebot zurückzuziehen.

„Ich möchte Sie überzeugen, uns das Grundstück für das Krankenhaus zu überlassen.“

„Ich fürchte, das kann ich nicht, Carson. Das Projekt ist zu lukrativ.“

„Sutton, ich …“

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, unterbrach Winchester ihn. „Wie wäre es morgen gegen drei? Sie schicken Ihre kleine PR-Dame herüber. Ich diskutiere die Sache mit ihr, und dann sehen wir, ob wir zu einem Arrangement kommen können.“

Carson spürte plötzlich, dass er seine Hand zur Faust geballt hatte, so als wolle er dem Mann durch die Leitung einen Schlag versetzen. Er zwang sich bewusst, die Finger auszustrecken und bemerkte dabei, dass Georgia ihn neugierig beobachtete.

„Was ist?“, fragte sie lautlos.

Er konnte nur den Kopf schütteln und sie mit einer Geste bitten, zu warten. „Was soll das, Sutton?“

„Sie ist morgen um drei hier, oder die Diskussion ist beendet“, fuhr Winchester ihn an. „Dann können Sie und Ihre kranken Kinder sich woanders erholen.“

Es knackte in der Leitung. Sutton Winchester hatte aufgelegt. Carson musste ein paar Mal tief durchatmen, bevor er die Sprache wiederfand.

„Was hat er gesagt?“ Georgia sah ihn gespannt an.

„Er hat abgelehnt.“ Carson hatte nicht die Absicht, sie über Winchesters Forderung zu informieren. Der Mann hatte einen eindeutigen Ruf, was junge, attraktive Frauen betraf. Niemals würde Carson irgendeine Frau, die er kannte, nahe an ihn heranlassen, schon gar nicht Georgia. Er fühlte sich irgendwie als ihr Beschützer, obwohl sie offiziell nicht mehr als Chef und Angestellte waren. „Ich wusste ja, er würde nicht nachgeben.“

„Was genau hat er gesagt?“

Carson lehnte sich zurück und fuhr sich mit den Fingern durch das blonde Haar. „Es spielt keine Rolle, Georgia. Der Punkt ist, dass er nicht nachgeben will.“

Sie beugte sich vor. „Verrat es mir, sonst sage ich deinem Bruder, Sutton hat dir eine Alternative geboten, aber du weigerst dich, sie anzunehmen.“

Er fuhr auf. „Das ist Erpressung!“

Sie schlug lässig die wohlgeformten Beine übereinander. Sie konnte nicht viel größer sein als eins siebzig, aber Carson hatte manchmal das Gefühl, dass mindestens zwei Drittel davon auf ihre Beine entfielen. Er hatte schon manches Mal daran gedacht, wie sich diese Beine wohl anfühlen mochten, wenn sie sie um seine Hüften schlang …

„Carson!“

Er kehrte jäh aus seinem Tagtraum zurück und zuckte resigniert die Schultern. „Okay. Er will sich mit dir treffen.“ Er spie die Worte voller Verachtung aus.

„Mit mir? Was soll das denn?“

„Wir reden hier von Sutton Winchester. Er hat speziell nach dir gefragt. Ich bin mir ziemlich sicher, er will nicht nur mit dir reden, Georgia.“

Sie sah ihn einen Moment verblüfft an. „Wow!“

„Ich kann dich nicht in die Höhle des Löwen schicken. Aller Wahrscheinlichkeit nach macht es letztlich ohnehin keinen Unterschied. Wir müssen einfach unser Angebot erhöhen und hoffen, dass es genug ist.“

„Nein.“

Carson runzelte die Stirn. „Was willst du damit sagen?“

„Ich gehe. Er hat nach mir gefragt, also bin ich vielleicht diejenige, die ihn noch umstimmen kann.“

„Das Risiko kann ich nicht eingehen, Georgia. Wenn dieser Kerl Hand an dich legte, würde ich es mir nie verzeihen.“

„Unterschätz mich nicht, Carson! Es hat eine Zeit gegeben, in der ich jeden Tag um alles kämpfen musste. Ich kann mich behaupten. Falls er aufdringlich wird, habe ich immer mein Pfefferspray dabei.“

Jetzt war es an Carson, schockiert zu sein. Im Geiste sah er vor sich, wie sich der König von Chicago schreiend auf dem Boden wälzte und sich die Augen rieb. Das hätte er nur zu gern gesehen.

Allerdings durfte er bei alledem etwas nicht vergessen: Er hatte seinen Brüdern versprochen, dieses Krankenhausprojekt umzusetzen. Ob es ihm nun gefiel oder nicht, er musste jede Gelegenheit nutzen, auch wenn es bedeutete, Georgia zu diesem Bastard zu schicken.

„Okay“, erklärte er schließlich. „Du kannst zu ihm gehen. Unter einer Bedingung: Du nimmst Big Ron mit.“

Der Chef der Security von Newport war ein ehemaliger Gewichtheber. Er hatte Carson einmal erzählt, dass er einem Mann eine Ohrfeige verpasst und ihm dabei versehentlich den Kiefer gebrochen hatte. Big Ron konnte mit Sutton fertigwerden, falls nötig.

Georgia überlegte einen Moment. „Okay. Aber er bleibt draußen bei der Sekretärin, es sei denn, ich rufe ihn herein.“

„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

„Nein, danke.“ Georgia saß vor dem großen Eichenschreibtisch von Sutton Winchester und zupfte nervös am Kragen ihrer Bluse. Nach Carsons Warnung trug sie an diesem Tag statt eines Rocks eine lange Hose und hatte die Bluse bis zum Hals zugeknöpft.

Es war lange her, dass sie sich derart hochgeschlossen gezeigt hatte. Wahrscheinlich das letzte Mal, als sie bei Mrs. Anderson gelebt hatte. Die Frau war fanatisch religiös gewesen und schwor Stein und Bein, dass jeder Zentimeter Haut, den Georgia der Welt präsentierte, einen guten Mann zur Sünde verführen würde. Als Georgia schließlich erwachsen war, hätte allerdings auch ein Rollkragen ihre Reize nicht mehr verbergen können.

Sie spürte, wie Suttons Blick über ihren Körper glitt. Die Julihitze in Chicago war absolut unerträglich, aber im Moment wünschte Georgia, einen dicken Mantel angezogen zu haben.

Sutton schenkte sich einen Drink ein und lehnte sich zurück. Er hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Foto, das sie in der Pressemitteilung gesehen hatte. Er war immer noch ein großer und ziemlich attraktiver Mann, aber seine grünen Augen wirkten irgendwie glanzlos. Trotz seines breiten Lächelns sah er zehn Jahre älter aus als auf dem Foto.

„Sie haben sich sicher gefragt, wieso ich Sie hierher gebeten habe.“

„Allerdings. Es gibt qualifiziertere Mitarbeiter bei Newport, um Ihnen das Krankenhausprojekt zu erklären. Aber ich werde mein Bestes versuchen. Das jetzige Kinderkrankenhaus ist viel zu klein und technisch nicht mehr auf dem neuesten Stand. Unsere Pläne …“

Sutton hob eine Hand, um sie zu unterbrechen. „Sie können aufhören, Miss Adams. Um ehrlich zu sein, wollte ich mit Ihnen nicht über den Grundstücksdeal sprechen.“

Georgia hob erstaunt die Augenbrauen. Also hatte Carson recht gehabt. Verstohlen schob sie eine Hand in ihre Tasche und umklammerte die Dose mit dem Pfefferspray. „Darf ich erfahren, wieso Sie mich herbestellt haben, Mr. Winchester?“

„Bitte nennen Sie mich Sutton.“ Sein Lächeln sollte sie einlullen, aber Georgia war hellwach. In ihren Jahren bei verschiedenen Pflegefamilien hatte sie notgedrungen eine gute Menschenkenntnis erworben. Sie hatte nur wenige Minuten gebraucht, um zu wissen, dass bei diesem Mann höchste Vorsicht geboten war.

„Ich habe Sie neulich in den Nachrichten gesehen, als es darum ging, dass Newport einen Wohltätigkeitslauf unterstützt. Ich war sehr beeindruckt von Ihnen. Beeindruckt genug, um meine Leute zu bitten, sich näher mit Ihnen zu befassen. Für jemanden in Ihrem Alter haben Sie eine bemerkenswerte Karriere hingelegt.“

Georgia bemühte sich, nicht das Gesicht zu verziehen. Sie war sehr stolz auf das, was sie erreicht hatte. Sie hatte alles dafür getan, nicht noch eine Nummer in der traurigen Statistik des Pflegesystems über hoffnungslose Fälle zu werden. Der Job bei Newport Corporation war bisher die Krönung ihrer Laufbahn. Aber es gefiel ihr nicht, dieses Lob von einem Mann wie Sutton Winchester zu hören. Vielleicht lag es daran, wie er sie dabei ansah.

„Mein Leiter der PR-Abteilung ist unlängst in den Ruhestand gegangen. Ich habe keinen einzigen Bewerber für die Stelle, der Ihnen das Wasser reichen könnte.“

Georgia rang sich ein Lächeln ab. „Zum Glück für die anderen habe ich bereits einen Job.“

Sutton rieb sich nachdenklich das Kinn. „Das ist richtig. Aber ich glaube, Sie könnten eine noch bessere Stelle bekommen.“

Ihr Puls raste, als Sutton sich erhob und um seinen Schreibtisch herum zu ihr kam. Er blieb vor ihr stehen und lehnte sich gegen den Tisch. Der Saum seiner Hose berührte ihr Fußgelenk. Sie zog ihre Beine rasch unter den Stuhl.

„Was wollen Sie damit sagen, Mr. Winchester?“

„Ich möchte Ihnen vorschlagen, fortan für mich zu arbeiten, Georgia.“

Dazu würde es nie kommen. Sie mochte seine Geschäftspraktiken nicht. „Und wieso sollte ich das tun wollen?“

Sutton lachte leise. „Zum einen wäre es die natürliche Fortsetzung Ihrer Karriere. Jeder möchte für das beste Unternehmen arbeiten, und Elite Industries ist das beste. Außerdem gibt es natürlich diverse Vorzüge. Wir bieten eine Kindertagesbetreuung im Haus, ein Fitness-Center und einen Monat Urlaub. Außerdem können Sie wenigstens einen Tag pro Woche von zu Hause aus arbeiten.“

Es klang nicht schlecht. Wenn sie denn eine neue Stelle gesucht hätte. Aber das war nicht der Fall.

„Dann wäre da noch das Antrittsgeld“, sagte Sutton.

Georgia beschloss, ihm auf den Zahn zu fühlen. Sie hatte sich umgehört, um zu sehen, ob ihr Gehalt dem entsprach, was andere Unternehmen zahlten. Falls Elite Industries tatsächlich eine Stufe höher anzusetzen war, wie er behauptete, dann sollte sich hinter diesem Angebot eine ansehnliche Zahl verbergen.

„Von was für einem Betrag reden wir?“

„Eine Million.“

Sie musste schlucken. Das hatte sie nicht erwartet. Ein Antrittsgeld von einer Million Dollar? Was für ein Gehalt stellte er sich denn vor, wenn schon das Antrittsgeld derart astronomisch war? „Das ist sehr g…großzügig“, stotterte sie. „Wo ist der Haken?“

Sutton lächelte breit. „Kluges Mädchen. Wie Sie sicher wissen, gibt es nichts auf der Welt umsonst. Wobei ich es nicht als Haken sehen möchte – mehr als ein Arrangement von beiderseitigem Vorteil. Ich möchte, dass Sie mehr als eine Angestellte für mich sind, Georgia.“

Er sagte es so beiläufig, als böte er ihr einen Drink an.

Georgia brauchte einen Moment, um zu begreifen: Er wollte, dass sie seine Geliebte wurde! Carson hatte sie gewarnt, dass Sutton Winchester hinter den Frauen her war, aber niemals hätte sie erwartet, ein solches Angebot von ihm zu erhalten. So, als sei es völlig normal, dass sie ihm auch sexuell zu Diensten stand. War seine Geliebte ebenfalls in den Ruhestand gegangen?

„Ich fühle mich geschmeichelt, Mr. Winchester, aber ich muss passen. In jeder Hinsicht“, setzte sie kühl hinzu.

Ein Ausdruck unverkennbarer Enttäuschung glitt über Suttons Züge und verschwand so schnell, wie er gekommen war. „Sie müssen sich nicht gleich entscheiden“, beharrte er. „Gehen Sie nach Hause, und denken Sie in Ruhe über mein Angebot nach. Stellen Sie sich vor, was Sie mit einer Million Dollar machen könnten. Wann auch immer Sie Ihre Meinung ändern, ich warte auf Sie.“

Georgia hatte nicht die Absicht, auf sein Angebot einzugehen. Nicht einmal für eine Million Dollar. Abgesehen davon, dass der Mann dem Alter nach ihr Vater hätte sein können, war er einfach nicht ihr Typ. Und auch wenn er dreißig Jahre jünger wäre, hätte sie trotz seines guten Aussehens seine Persönlichkeit so abgeschreckt, dass nie etwas aus ihnen geworden wäre. Kein Geld der Welt hätte daran etwas ändern können.

Selbst wenn Sutton der attraktivste Mann der Welt gewesen wäre, hätte sie nicht seine Angestellte sein wollen. Schlimm genug, dass sie sich einen Moment vergessen und Carson geküsst hatte.

Sie hatte eine unsichtbare Grenze überschritten und ihren Boss geküsst, und sie bedauerte es. Zumindest meistens. Der Kuss an sich war unglaublich gewesen. Sie wollte mehr von Carson und war doch entschlossen, es nie dazu kommen zu lassen. Mit dem Boss zu schlafen, wäre nicht klug. Zudem war es ein Klischee. Sie weigerte sich, klischeehaft zu sein. Und sie weigerte sich, ihren Job bei Newport aufs Spiel zu setzen.

Intime Beziehungen am Arbeitsplatz führten nur zu Problemen. Georgia wollte jeden Tag die beste Arbeit abliefern. Das konnte sie nicht, wenn Carson in der Nähe war und sie ständig an ihn denken musste. Es wurde alles nur kompliziert.

Der Grundstücksdeal war eine willkommene Ablenkung von dem, was zwischen ihr und Carson passiert war, aber sobald er abgeschlossen war, mussten sie sich beide mit dem befassen, was vorgefallen war.

„Ich werde darüber nachdenken, Mr. Winchester, aber an meiner Antwort wird sich nichts ändern. Was ist jetzt mit dem Kinderkrankenhaus?“

Sutton verschränkte die Arme vor der Brust. „An meiner Antwort hat sich auch nichts geändert. Wir werden uns beide mit dem Besitzer des Grundstücks auseinandersetzen. Möge der Bessere – oder der Reichere – gewinnen. Es sei denn, Sie überlegen sich Ihr Nein auf mein Angebot noch einmal … Wenn Sie Ihre Meinung ändern, könnte ich es eventuell auch tun.“

Das war noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. Nun versuchte er tatsächlich ganz offen, sie zu erpressen.

Wie weit war sie bereit, für kranke Kinder zu gehen? Sehr weit, aber so weit dann doch nicht. Sie war mit so gut wie nichts aufgewachsen, aber bisher war es ihr gelungen, an ihren Prinzipien festzuhalten.

Es gab nichts mehr zu sagen. Georgia erhob sich und warf sich die Tasche über die Schulter. „Ich nehme an, unser Gespräch ist hiermit beendet.“

Sutton ergriff ihre Hand. Er schüttelte sie kurz und hielt sie dann länger in seiner als nötig. Dabei ließ er seinen Daumen über ihren Handrücken gleiten. Es ekelte sie an.

„Überdenken Sie mein Angebot, Georgia. Es gibt viele Eltern mit kranken Kindern, die alles geben würden, um ihr Kind zu retten. Letztlich ist es doch ein kleines Opfer, wenn man so vielen helfen kann …“

Georgia entriss ihm ihre Hand und rieb sie am Stoff ihrer Hose, um das Gefühl seiner Berührung abzuwischen. „Auf Wiedersehen, Mr. Winchester.“

3. KAPITEL

„Er hat was?“ Carson verlor selten die Beherrschung im Büro, aber an Georgias erschreckter Reaktion erkannte er, dass er gerade so laut gebrüllt hatte, dass sogar die Buchhaltung am anderen Ende des Korridors ihn gut hören konnte.

„Es tut mir leid“, fuhr er in halbwegs normalem Ton fort. „Bitte sag mir, dass ich dich falsch verstanden habe.“

Er sah an ihrer Miene und ihrer Körperhaltung, dass dem nicht so war. Er hatte immer gewusst, dass Sutton Winchester ein Bastard war, aber diesmal war er eindeutig zu weit gegangen.

„Bring mich nicht dazu, es zu wiederholen, Carson“, sagte Georgia leise.

Am liebsten hätte er beschützend die Arme um sie gelegt, aber nach dem Tag, den sie hinter sich hatte, lag ihr wahrscheinlich wenig daran, von einem Mann berührt zu werden. Nicht einmal von ihm. So schnell, wie sie sich vor ein paar Tagen von ihrem Kuss distanziert hatte, lag ihr wahrscheinlich überhaupt nichts daran, je wieder von ihm berührt zu werden.

Sein Blick glitt durch das Büro. Vielleicht war ein Kulissenwechsel angesagt. „Darf ich dich auf einen Drink einladen?“

Georgia warf einen Blick auf die Uhr. „Ich kann mich im Moment sowieso nicht auf die Arbeit konzentrieren, wieso also nicht?“

Es war keine überschwängliche Reaktion, aber die erwartete er auch nicht, nachdem sie direkt aus Suttons Büro hierhergekommen war. Er steckte sich sein Handy ein und begleitete Georgia zum Fahrstuhl. Sie steuerten den Irish Pub an, in dem Carson und seine Brüder im Laufe der Jahre viel Zeit und Geld gelassen hatten.

Da der offizielle Bürotag noch nicht zu Ende war, war es in der Bar nicht so voll wie sonst. Sie suchten sich einen freien Tisch in einer ruhigen Ecke. Carson bestellte sich ein Guinness, während Georgia sich für einen Apfelsaft entschied.

Einen Moment saßen sie einfach nur da und schwiegen. Er wollte sie nicht drängen, aber er musste die ganze Geschichte erfahren. Brooks und Graham würden sich sehr dafür interessieren, wie tief Sutton Winchester an diesem Tag gesunken war.

Georgia seufzte. „Es läuft alles darauf hinaus, dass Sutton nicht auf das Grundstück verzichten wird. Es ist ihm einerlei, ob wir dort ein Kinderkrankenhaus bauen wollen oder Wohnungen für einbeinige Waisen. Nein, das stimmt nicht ganz“, schränkte sie ein. „Er sagte, er könnte seine Position noch einmal überdenken, falls ich bereit sei, auf sein großzügiges Angebot einzugehen.“

Carson hielt das Glas so fest umklammert, dass er schon fürchtete, es zu zerbrechen. „Wie sah dieses Angebot aus?“

„Zunächst hat er mir den Job der Leiterin seiner PR-Abteilung angeboten mit einem Antrittsgeld von einer Million Dollar.“

Das überraschte Carson nicht. Sutton war dafür bekannt, dass er seinen Mitbewerbern die besten Mitarbeiter ausspannte. Sie hatten schon etliche gute Leute an ihn verloren. Aber seit wann waren solche Antrittsgelder üblich?

„Ich wusste gar nicht, dass er so freigiebig ist“, bemerkte er verblüfft.

„So würde ich das nicht nennen.“ Georgia lachte leise. „Wie schon gesagt: Das Kleingedruckte hatte es in sich. Ich hätte auch seine Geliebte sein sollen. Dann wäre er bereit, auf den Grundstücksdeal zu verzichten.“

„Hat er dich irgendwie angefasst?“ Carson fragte nur ungern, aber falls Sutton die Grenzen überschritten hatte, konnte Georgia ihn verklagen. Sie war nicht seine Angestellte, aber zumindest könnten sie vor Gericht gehen und seinen Namen in den Schmutz ziehen.

„Nicht wirklich. Er hat meine Hand länger als nötig gehalten, aber es hätte wesentlich schlimmer kommen können.“

„Gott sei Dank.“ Carson hatte ohnehin Gewissensbisse, dass er sie überhaupt zu dem Mann hatte fahren lassen, aber wäre Sutton auch noch körperlich zudringlich geworden, hätte er es sich nie verziehen. „Es tut mir wirklich leid. Er ist ein noch größeres Schwein, als ich dachte. Wo war Ron in der ganzen Zeit? Er sollte dich doch begleiten.“

„Das hat er. Aber ich habe dir gleich gesagt, ich würde ihn im Vorzimmer warten lassen.“

„Du hast ihn nicht gerufen, als Sutton zudringlich wurde?“

„Nein. Er hat mich ja nicht angerührt. Er hat mir einfach nur ein Angebot gemacht, das ich ausgeschlagen habe.“ Georgia hob eine Hand, um seinem Protest zuvorzukommen. „Ich weiß, ich weiß. Aber ich hatte alles unter Kontrolle. Mein Finger lag die ganze Zeit auf dem Auslöser des Pfeffersprays. Sutton ist selbstsicher und arrogant, aber nicht dumm. Er würde es nicht riskieren, dass eine Frau schreiend aus seinem Büro rennt. Das wäre schlecht fürs Geschäft.“

Das war wohl wahr. Es gab nur eines, was Sutton Winchester noch mehr liebte als die Frauen, und das war Geld. Er würde nichts tun, was seinem Geschäft schaden könnte.

Das änderte nichts an Carsons Bedenken. Georgia war überzeugt, sich selbst schützen zu können, aber er hatte seine Zweifel.

Sie war eine zierliche Frau. Mit ihrem platinblonden Haar und diesem Wahnsinnskörper zog sie überall die Blicke der Männer auf sich. Ihm war es bei ihrem ersten Treffen nicht anders ergangen. Er hatte sogar erwogen, sie nicht einzustellen und sie stattdessen zum Essen einzuladen. Letztlich hatte dann doch der Verstand über seine Hormone gesiegt. Sie war clever, erfahren und einfach die perfekte Kandidatin für den Job.

„Ich muss mich bei dir entschuldigen, Georgia.“

„Das hast du schon getan. Es ist doch nicht deine Schuld, Carson. Du hast mich von Anfang an vor ihm gewarnt. Aber ich hätte mir nicht vorstellen können, dass er tatsächlich so unverfroren ist.“

Carson schüttelte den Kopf. „Mir tut leid, was heute passiert ist, aber nicht dafür habe ich mich entschuldigt. Ich meinte den Kuss am See.“

Georgias Miene verhärtete sich. Er spürte, dass ihr das Thema unangenehm war. „Carson, ich …“

„Nein, lass es mich sagen“, unterbrach er sie. „In dem Moment fühlte es sich einfach richtig an. Aber nach dem, was heute passiert ist, ist mir klar, wie sehr ich mich danebenbenommen habe. Wenn ich mich dafür nicht entschuldige, bin ich wie er.“

Georgia legte ihre Hand auf seine. „Du wirst niemals so sein können wie dieser Mann.“

Carson sah sie an und bemerkte zum ersten Mal den dunkelgrünen Schimmer in ihren grauen Augen. Es war eine ungewöhnliche Farbe. Ihr Blick schien ihn zu durchdringen. Es war, als könne sie bis in sein tiefstes Inneres sehen.

Er senkte den Blick und sah Georgias Hand auf seiner. Unwillkürlich verschränkte er seine Finger mit ihren.

Erst jetzt registrierte er, wie weich ihre Haut war. Sein Puls ging schneller. Er erinnerte sich daran, wie sie sich in seinen Armen angefühlt hatte. Erinnerte sich, wie lange es gedauert hatte, bis sein Körper sich von der Reaktion erholt hatte, die sie in ihm geweckt hatte.

Carson verstand es nicht. Georgia war eine schöne Frau, aber er hatte schon viele schöne Frauen gehabt. Sie war smart und witzig, und auch das hatte er schon in anderen Frauen erlebt. Aber noch nie hatte eine Frau solche Gefühle in ihm ausgelöst wie Georgia. In den letzten Tagen genügte schon ein Hauch ihres Parfums im Korridor, und seine Gedanken kreisten nur um sie.

Carson hasste Sutton dafür, dass er es auf Georgia abgesehen hatte, aber er konnte ihn auch verstehen. Sie hatte die Macht, einen Mann zu verzaubern, ohne es bewusst darauf anzulegen. Eine Million Dollar war für Sutton ein Griff in die Portokasse, aber es war dennoch ein bemerkenswertes Angebot. Carson fragte sich, was es ihm selbst wert wäre, sie bei sich zu haben.

Die Antwort war eindeutig: eine Million und mehr.

Als er aufsah, bemerkte er, dass Georgias Gesichtsausdruck sich verändert hatte. Sie wirkte besorgt. Er begriff, dass er sich an sie klammerte, als fürchte er, von der Erdscheibe geschleudert zu werden, falls er sie losließe.

Er löste sich sofort von ihr. „Es tut mir leid. Das hat es wahrscheinlich nur noch schlimmer gemacht. Ich … ich weiß auch nicht, wieso es mir so schwerfällt, bei dir die professionelle Distanz zu wahren. Das Problem habe ich bisher noch nie gehabt.“

Sie nickte knapp und leerte ihr Glas, ohne ihn dabei anzusehen. „Ich verstehe. Wir sind schließlich nur Menschen. Wir arbeiten viel zusammen, also ist die Versuchung da. Aber wir sind beide stark, wir können damit umgehen.“

Georgia sagte das zwar, aber er hatte den Eindruck, dass sie nicht so recht daran glaubte. Und plötzlich fiel ihm etwas auf: Sie hatte von wir gesprochen. So, als habe sie dasselbe Problem. Das würde die leicht geröteten Wangen erklären, wenn er sie im Korridor begrüßte, und ihre leidenschaftliche Reaktion auf seinen Kuss.

Es war schlimm genug, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, aber zu wissen, dass das Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte, würde es ihm noch schwerer machen.

Sie mussten sich auf die Arbeit konzentrieren! Darin waren sie gut, und das war die beste Ablenkung. Für sie beide.

„Wie gehen wir weiter vor?“, fragte er. „Wir müssen uns das Grundstück sichern, ganz einerlei, was Sutton will.“

Georgia überlegte einen Moment. Dann blitzte es in ihren grauen Augen. „Was hält uns davon ab, auch in die Trickkiste zu greifen?“

Lächle! Sieh in die Kameras! Konzentrier dich!

„Ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind.“ Georgia blendete die Blitzlichter der Kameras und die Mikrofone aus, die ihr hingehalten wurden. Da sie für die PR der Firma zuständig war, fielen Pressekonferenzen in ihr Ressort, aber sie war nach wie vor nervös dabei. Vor allem heute. Dies war ihre Chance, den Grundstücksdeal zu ihren Gunsten zu wenden, und sie durfte es nicht in den Sand setzen.

„Die Newport Corporation ist ein Familienunternehmen. Es wurde von den Brüdern Brooks, Graham und Carson Newport als kleine Immobilienfirma gegründet und ist inzwischen zu sehr viel mehr geworden. Der Geschäftsführer Carson Newport hat mir einmal erzählt, sie wussten, es würde ein Erfolg, als sie ihrer Mutter, Cynthia Newport, ein Haus kaufen konnten und sie nicht mehr arbeiten musste.“

Georgia atmete kurz durch. „Die Liebe dieser drei Männer zu ihrer Mutter ist der Grund, wieso ich Sie heute hierher eingeladen habe. Cynthia nutzte ihre neue Freiheit, indem sie sich im örtlichen Krankenhaus mit kranken Kindern beschäftigte. Sie hat ihnen vorgelesen, hat mit ihnen gespielt und den Kindern geholfen, ihre Schmerzen und ihre Ängste wenigstens für kurze Zeit zu vergessen.“

Georgia warf einen schnellen Blick auf ihre Notizen. „Alle Mitarbeiter der Newport Corporation waren zutiefst betroffen über den Tod von Cynthia Newport vor zwei Monaten. Sie erlag im Alter von nur fünfundfünfzig Jahren einem Hirn-Aneurysma. Cynthias Söhne haben entschieden, dass sie das Andenken ihrer Mutter am besten ehren können, indem sie sich dem Thema widmen, das ihr so am Herzen lag. Ladys und Gentlemen …“ Georgia zog das Deckblatt von dem Flipchart an ihrer Seite. „Hier sehen Sie den Entwurf für das Cynthia-Newport – Krankenhaus für Kinder.“

Sie wartete einen Moment, bis das Klacken der Kameras verebbte. „Es wird die bestausgestattete Klinik für Kinder in den USA sein. Die modernste Technik, kombiniert mit den fortschrittlichsten Behandlungsmethoden und dem besten Personal.“

Georgia entdeckte Carson hinter den Reportern. Sie waren zu der heutigen Pressekonferenz zahlreich erschienen und bildeten einen Halbkreis im Innenhof des Newport – Gebäudes. Carson war leicht auszumachen, besonders mit seinem Bruder Brooks an der Seite, der fast immer der größte Mann im Raum war, es sei denn, Graham war auch da. Die beiden wirkten wie nordische Götter in maßgeschneiderten Anzügen.

Auch Carson sah aus wie ein Halbgott, halb Mensch, halb Unsterblicher. Gerade real genug für sie, um das Gefühl zu bekommen, sie könne eine Chance bei ihm haben – und Traummann genug, um sich seinetwegen keinen Illusionen hinzugeben.

Georgia konzentrierte sich wieder auf ihren Vortrag. „Nach langem Suchen hat die Newport Corporation den idealen Platz für das Krankenhaus gefunden, direkt am Lake Michigan. Leider sind wir nicht die einzige Firma, die ein Auge auf dieses Grundstück geworfen hat. Unlängst hat Elite Industries vielleicht etwas voreilig verkündet, dort Luxuswohnungen bauen zu wollen.“

Sie legte eine kurze strategische Pause ein. „Wir hoffen, mit Unterstützung der Öffentlichkeit unsere Pläne für ein Krankenhaus verwirklichen zu können, ganz gleich, wie viel Geld unsere Mitbewerber bieten mögen“, fuhr sie dann fort. „Die Stadt braucht dieses Krankenhaus wesentlich dringender als weitere Wohnungen für die oberen Zehntausend.“

Sie schlug das nächste Blatt auf, das einen Überblick über die geplante Kampagne in den sozialen Netzwerken gab.

„Zeigen Sie uns Ihre Unterstützung, indem Sie dazu unter dem Hashtag #NewPortMemorial4Kids Ihre Meinung sagen. Zusammen können wir diesen Traum Wirklichkeit werden lassen. Nun dürfen Sie gern Fragen stellen.“

Nach zehn Fragen war die Pressekonferenz beendet. Georgia sammelte ihre Unterlagen ein und verließ das Podium.

„Wie war ich?“, fragte sie Carson und Brooks.

„Wunderbar.“ Carson schien höchst erfreut.

„Danach hat Winchesters Angebot keine Chance mehr bei den Verkäufern.“ Brooks hielt sein Handy hoch. „Zwei Sender haben die Pressekonferenz live gebracht, und wir haben schon über zweihundert Tweets unter unserem Hashtag. Wenn das Ganze in den Abendnachrichten wiederholt wird, sollte die Zahl der Tweets explodieren.“

Georgia atmete erleichtert auf. Sie hoffte, dass es funktionierte. Falls den Verkäufern des Grundstücks allerdings mehr am Geld gelegen war, dann hatte Sutton Winchester immer noch gute Karten.

Nachdem die Reporter gegangen waren, begaben sie sich in Carsons Büro.

„Möchtest du auch einen Drink, Georgia?“, fragte Brooks. „Du hast ihn wirklich verdient.“

„Ich glaube, ich verzichte“, sagte sie. Das Adrenalin der Pressekonferenz ebbte langsam ab, und sie sehnte sich nach einem Moment der Ruhe. „Falls ihr nichts dagegen habt, würde ich heute gern etwas eher nach Hause fahren und mir die Nachrichten im Fernsehen ansehen.“

Carson schien enttäuscht zu sein, versuchte aber offenbar, es sich nicht anmerken zu lassen.

„Verständlich“, sagte er. „Hab dein Handy in der Nähe. Falls der Verkäufer unser Angebot akzeptiert, sollst du die Erste sein, die es erfährt.“

Eine halbe Stunde später schloss Georgia erleichtert die Tür ihrer Wohnung hinter sich. Sie liebte ihr Loft. Sie hatte es sich gekauft, als sie den ersten gut bezahlten Job bei einer größeren Firma sicher hatte. Sie konnte sich den Kauf damals kaum leisten, aber sie hatte sich danach gesehnt, endlich ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben.

Ihre Kindheit war nicht leicht gewesen. Ihre Mutter war zum Zeitpunkt ihrer Geburt noch ein Teenager gewesen und von zu Hause fortgelaufen. Georgia erinnerte sich nicht an die ersten Jahre, aber ihre zuständige Sozialarbeiterin beim Jugendamt hatte ihr später erzählt, dass ihre Mutter drogenabhängig geworden war und sich prostituierte, um an ihre Suchtmittel zu kommen. Im Alter von drei Jahren hatte das Amt Georgia ihrer Mutter weggenommen und sie bei Pflegefamilien untergebracht.

Danach war sie von einer Familie zur nächsten gekommen. Nirgends war sie länger als ein Jahr geblieben, und nirgends hatte sie sich wirklich zu Hause gefühlt. Sie versuchte jetzt, nicht zu oft an ihre Kindheit in Detroit zu denken, aber es war so viel von dieser Zeit hängen geblieben, dass sie das, was sie jetzt hatte, wirklich zu schätzen wusste.

Dieses Loft mit den deckenhohen Fenstern und dem modernen Industrietouch war alles, was sie sich je erträumt hatte. Die Wände hatte sie in warmen, einladenden Farben gestrichen, und die gemütliche Couch war übersät mit Kissen. Obwohl sie nie kochte, hatte sie die Küche mit der neuesten Technik ausgestattet. In ihrer Wanne hätte sie schwimmen können, und ihre Dusche hätte einer ganzen Party Platz geboten. Einmal die Woche kam ein Reinigungsdienst, sodass immer alles makellos sauber war.

Es war wunderbar. Der perfekte Zufluchtsort vor der Welt. Nicht einmal der längste und härteste Tag im Büro konnte verhindern, dass sie lächelte, wenn sie abends zur Tür hereinkam.

Wie immer duschte sie rasch und schlüpfte dann in einen ihrer kuscheligen Pyjamas, bevor sie sich ein Glas Pinot Grigio gönnte und ihre Bestellung beim chinesischen Lieferdienst aufgab. Das Essen wurde wenige Minuten vor den Nachrichten gebracht. Der Bericht über Newport kam im zweiten Block, sodass sie ihr Kung Pao Chicken schon halb genossen hatte. Sie sah sich nicht gern auf dem Bildschirm, zwang sich aber dennoch, es anzuschauen. Das hatte ihre Sprecherzieherin allen ihren Studenten nahegelegt. Nur so konnte sie die nervösen Äh-Laute und andere sprachliche Mängel erkennen.

Alles in allem war es nicht schlecht gelaufen. Ihre Stimme klang rauchig wie beim Telefonsex, aber das ließ sich nicht ändern. Ihr waren nur zwei nervöse Ähs herausgerutscht, sonst klang alles sehr gut. Professor Kline wäre stolz auf sie.

Am Ende des Berichts wurde der Hashtag ihrer Kampagne gezeigt, unter dem die Zuschauer ihre Zustimmung demonstrieren konnten. Georgia griff nach ihrem Smartphone, um sich die Reaktionen anzusehen. Es gab Tausende von Kommentaren auf Twitter und auf anderen Kanälen. Das Echo war überwältigend.

Georgia biss sich nervös auf den Daumennagel, während sie durch die Beiträge scrollte. Es könnte funktionieren. Sie hoffte es sehr. Ihr drehte sich der Magen um, wenn sie sich vorstellte, dass Winchester das Grundstück bekam und dort Eigentumswohnungen baute. Aus Erfahrung wusste sie zwar, dass das Leben nicht immer fair oder gerecht war, aber sie hoffte zuversichtlich, dass sie diesmal als Siegerin vom Platz gehen würde.

Der Rest der Nachrichten zog sich hin. Georgia kaute lustlos an ihrer Mahlzeit und hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Sie wartete auf das Klingeln des Telefons. Es musste einfach kommen.

Sie war bei ihrem zweiten Glas Wein, als die Nachrichten zu Ende waren. Das Telefon schwieg immer noch. Nervös wanderte Georgia durch ihr Loft, trat schließlich ans Fenster und sah auf die Skyline der Stadt hinaus. Die Sonne ging gerade unter. Überall flammten Lichter auf.

Georgia war so vertieft in ihre Gedanken, dass sie fast einen halben Meter in die Luft sprang, als das Telefon klingelte. Hastig rannte sie in die Küche, wo sie ihr Smartphone liegen gelassen hatte.

„Ja?“ Sie hielt vor Spannung den Atem an.

„Unser Angebot ist akzeptiert worden!“, verkündete Carson triumphierend. „Der Anwalt sagte, es sei das höchste gewesen, und letztlich hätten sie wegen der Sendung beschlossen, keinen Bieterkampf auszulösen. Wir haben das Grundstück, Georgia! Das haben wir nur dir und deiner harten Arbeit zu verdanken.“

„Danke. Aber das Projekt war den Einsatz doch wirklich wert. Ich freue mich riesig, dass es nun vorangehen kann.“

„Sobald alle Verträge unterzeichnet sind, werden wir die Grundsteinlegung feiern. Dein Team soll alles vorbereiten. Aber zuerst einmal werden wir am kommenden Freitag zum Start des Projekts eine Cocktailparty für die Firma ansetzen. Rebecca ist schon dabei, alles zu arrangieren. Hol deine Tanzschuhe raus!“

4. KAPITEL

Der Kauf ging tatsächlich problemlos über die Bühne. Die Anwälte regelten die Details, und Georgia konnte sich um andere Dinge kümmern. Sobald das Grundstück Newport gehörte, wollte sie mit den Vorbereitungen der Grundsteinlegung beginnen. Anschließend waren Wohltätigkeitsveranstaltungen zu organisieren, um Spenden zu sammeln.

Aber an diesem Abend war Feiern angesagt.

Carsons Assistentin hatte ein schickes Bistro an der Magnificent Mile gemietet, der großen Einkaufs- und Flaniermeile der Stadt. Wein floss wie Wasser, in der Ecke spielte eine Jazzband, und die Stimmung der Gäste hätte nicht besser sein können. Alle Angestellten, vom Pförtner bis zu den Ebenen des oberen Managements, hatten Cynthia Newport geliebt. Sie wussten, wie wichtig dieses Projekt ihren Söhnen war, und freuten sich, dass es nun verwirklicht wurde.

Die Frauen hatten sich in ihre besten Cocktailkleider geworfen und glänzten und glitzerten in allen Farben des Regenbogens. Georgia hatte sich für ein Kleid von Tom Ford aus mattgoldenem Schlangenleder entschieden. Es war etwas extravagant, gefiel ihr aber, weil es mit dem hohen Kragen und den langen Ärmeln gleichzeitig zurückhaltend wirkte. Das Gold stand in apartem Kontrast zu ihrer Haut und brachte die dunkleren Schattierungen ihres platinblonden Haars zur Geltung. Das Kleid brauchte keinen zusätzlichen Schmuck, also hatte sie sich auf ein schlichtes Paar Diamantohrringe beschränkt.

Die Männer hatten sich wie üblich mit Anzügen begnügt, aber Georgia mochte den Anblick eines Mannes im Anzug, besonders bei den Newport-Brüdern, die für ihre breiten Schultern und schmalen Hüften maßgeschneiderte Exemplare trugen. Alle drei bewegten sich mit Drinks in der Hand durch den Raum. Es war ein ausgesprochen attraktives Trio, und die Blicke aller Frauen folgten den Junggesellen voller Interesse.

Nur Georgia machte eine Ausnahme und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sie wusste, sie sollte sich unter die Leute mischen, aber es gefiel ihr, alles zu beobachten.

Sie arbeitete gern bei Newport. Die Menschen hier bildeten die Familie, die sie nie gehabt hatte. Gleichzeitig fühlte sie sich auf der Party jedoch nicht wirklich wohl. Vielleicht war es ein Handicap, das noch aus ihrer Kindheit herrührte. Sie war zu oft umgezogen, um enge Freunde zu finden, und sie hatte nie eine Familie gehabt, auf die sie zählen konnte. Sie betrachtete das Treiben der Welt immer nur vom Rande aus.

„Guten Abend, Georgia.“

Der Klang der Männerstimme ließ sie jäh herumfahren. Schockiert sah sie Sutton Winchester so nahe bei sich stehen, dass sich ihre Schultern fast berührten.

Sie unterdrückte die Gefühle, die ihr erstes Treffen hervorgerufen hatte, und lächelte. „Guten Abend, Mr. Winchester.“ Schließlich hatte sie die Schlacht gewonnen. Sie hätte sich darüber freuen sollen, dass sie nun eine Chance hatte, vor ihm zu triumphieren.

Er hielt ihr ein Glas Weißwein hin. „Ich habe Ihnen Nachschub gebracht.“

Georgia bemerkte erst jetzt, dass ihr Glas fast leer war. „Wie nett von Ihnen.“

„Ich bin ja kein totaler Mistkerl“, bemerkte er mit einem ironischen Lächeln, während er sich umsah.

„Da ist das Urteil der Jury noch nicht gefallen.“

Suttons Lachen ging in einen trockenen Husten über. „Entschuldigen Sie.“ Er musste sich räuspern.

„Was bringt Sie denn zu dieser kleinen Feier, Mr. Winchester? Sie haben nicht irgendein Attentat vor, oder?“

„Durchaus nicht. Ich bin eingeladen“, betonte er. „Ich schätze, die Newports möchten mir ihren Sieg unter die Nase reiben. Das können sie gern tun, wenn ich solange ihren Wein trinken darf. Außerdem wollte ich mit Ihnen reden.“

„Mit mir?“ Georgia sah ihn verblüfft an.

„Ja. Ich habe Ihre Pressekonferenz neulich gesehen und wollte Ihnen sagen, wie gut Sie das gemacht haben. Ihre Arbeit mit der Presse und in den sozialen Netzwerken war hervorragend. Danach konnten die Leute das Grundstück ja nur noch an Newport verkaufen. Ich habe Ihr Talent unterschätzt, Georgia. Sie sind mehr als nur ein hübsches Gesicht. Deswegen möchte ich Sie jetzt mehr denn je in meinem Team haben. Ich erhöhe das Antrittsgeld auf eins Komma zwei Millionen Dollar.“

Georgia konnte nicht fassen, dass er den Nerv hatte, hierher zu kommen, um ihr dieses Angebot zu machen. „Das ist sehr großzügig von Ihnen, aber es tut mir leid, Mr. Winchester. Die Antwort ist immer noch Nein.“ Sie sah sich Hilfe suchend um, aber alle schienen in Gespräche vertieft zu sein.

Sutton Winchester nippte an seinem Drink. „Ich verstehe, dass Sie gegenüber den Newports loyal sind, aber wir müssen ja nicht unbedingt über das Gesamtpaket sprechen. Was ist mit der anderen Position, über die wir geredet haben?“

Die andere Position? Die seiner Geliebten? Georgia hatte das Gefühl, als verkrampfe sich ihr ganzer Körper. Sie spürte den gierigen Blick des Mannes wie eine unangenehme Berührung.

Wenn sie erwartet hätte, Sutton an diesem Abend zu treffen, hätte sie sich anders gekleidet. Nun bedeckte ihr Kleid zwar alles Notwendige, aber es lag sehr eng an. Und es war kurz. Der Rückenausschnitt reichte bis zum Po, als Kontrast zum hochgeschlossenen Vorderteil. Sie wünschte, stattdessen einen Kaftan zu tragen. Oder dass sie ihr Glas über den Mann ausschütten und ihn zur Hölle schicken könnte. Aber das wäre nicht professionell.

Sie würde die Fassung wahren und sehen, dass sie ihn so schnell wie möglich abschütteln konnte.

„Ich bin an keinem Ihrer Angebote interessiert“, erklärte sie mit Nachdruck. „Es ist völlig egal, um wie viel Geld es dabei geht.“

Sutton musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. Er war es erkennbar gewohnt, seinen Willen zu bekommen, und Georgia spielte nicht nach seinen Regeln.

„Darf ich fragen, wieso?“

Georgia suchte verzweifelt nach einem Grund, den er akzeptieren musste. Er war ein gerissener Geschäftsmann, der mit Sicherheit jedes Argument zerpflücken würde wie ein Anwalt im Kreuzverhör. Sie wollte ihm keinerlei Ansatz zur Hoffnung lassen.

„Georgia?“

„Also gut.“ Der Gedanke war ihr ganz plötzlich gekommen. Er mochte schräg sein, aber etwas Besseres fiel ihr im Moment nicht ein. „Ich werde nicht Ihre Geliebte werden, weil ich bereits einen Freund habe.“

Er war sichtlich schockiert. Georgia wusste nicht, ob seine Reaktion sie nicht kränken sollte. „Wer ist es?“, fragte Sutton.

„Carson Newport.“ Ihre Erklärung überraschte sie selbst.

Und nicht nur sie.

Erst jetzt sah Georgia, dass Carson nur gut einen Meter von ihr entfernt hinter Sutton stand. Offensichtlich hatte er den Mann bei ihr gesehen und war gekommen, um sie zu retten.

Er hatte ihre Worte gehört und stand wie erstarrt da, den Drink in der Hand.

„Carson Newport ist Ihr Freund?“, wiederholte Sutton ungläubig.

War es denn so unvorstellbar, dass sich ein Mann wie Carson für sie interessierte? Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Musste sie zugeben, dass sie gelogen hatte? Sie hatte nicht erwartet, dass Carson etwas von ihrem Gespräch hörte. Nun hing es von seiner Reaktion ab, ob sie mit ihrer Lüge durchkam oder nicht. Ehe sie etwas sagen konnte, kam Carson an ihre Seite und legte einen Arm um ihre Taille.

„Überrascht, Sutton?“, fragte er.

Der alte Mann zuckte die Schultern. „Offen gestanden hätte ich Ihnen das nicht zugetraut, Carson.“

Carson hauchte Georgia einen Kuss auf das Ohrläppchen. „Spiel mit“, raunte er.

Sie lehnte sich an ihn und schloss für einen Moment die Augen. Wenn sie ehrlich war, musste sie sich nicht anstrengen, um Interesse an ihm zu zeigen. Allein seine Berührung zu spüren, ließ ihre Nervenenden förmlich vibrieren.

Sie öffnete die Augen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Carson sich mit einem breiten Lächeln an Sutton wandte.

„Nicht Ihre beste Woche, was? Sie hatten es auf das Grundstück abgesehen und auf eine Frau, und ich habe Ihnen beides vor der Nase weggeschnappt. Werden Sie vielleicht alt?“

Sutton musterte sie beide verdrossen und leerte sein Glas in einem Zug.

„Ich gebe nicht so schnell auf, Carson. Genießen Sie Ihren Sieg, solange es geht“, riet er, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und durch die Menge dem Ausgang zustrebte.

Sobald er fort war, löste Georgia sich verlegen von Carson. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Er hat mich unter Druck gesetzt, und da fiel mir nichts Besseres ein.“

Carson legte ihr eine Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. „Mach dir keine Gedanken. Der Trick hat ja Wirkung gezeigt – für den Moment zumindest. Ich würde nicht darauf zählen, dass du ihn schon ganz los bist. Wie er selbst gesagt hat: Er ist nicht der Typ, der schnell aufgibt. Andererseits: Wer möchte schon gegen mich antreten müssen, wenn es um die Gunst einer Frau geht?“

Georgia kicherte, und ihre Anspannung verflog. Glücklicherweise hatte Carson nicht mehr in ihre Behauptung, er sei ihr Freund, hineingelesen. „Hoffentlich hat niemand die Unterhaltung mit angehört. Ich möchte nicht, dass irgendwelche Gerüchte über uns in Umlauf kommen.“

„Ach, ich würde sagen, der halbe Saal hat gehört, wie du meinen Namen genannt hast, aber mach dir keine Sorgen deswegen. Dein Boss weiß, dass die Gerüchte nicht wahr sind, und er ist der Einzige, der dich feuern kann.“

„Gut zu wissen. Unter gar keinen Umständen möchte ich meinen Job bei Newport gefährden.“

„Falls es darum geht: Soweit ich weiß, hat Sutton noch eine Stelle frei“, erklärte Carson lachend. „Komm. Du darfst dich nicht in der Ecke verstecken. Es ist doch auch deine Party. Lass uns feiern!“

Carson ging samstags nie ins Büro, wenn es sich vermeiden ließ. Er versuchte immer, ein Leben außerhalb der Arbeit zu haben – oder zumindest die Zeit dafür, falls sich ein solches Leben ergeben sollte.

Die Newport-Brüder gaben diese Philosophie auch an ihre Angestellten weiter. Deswegen war Carson so überrascht, Licht zu sehen, als er den Korridor hinunterging. Es kam aus Georgias Büro.

Neugierig blieb er in der Tür stehen, denn er wollte sie nicht erschrecken. Georgia arbeitete an ihrem Computer und erwartete sicher nicht, dass plötzlich jemand auftauchte.

Er nutzte den Moment, sie zu bewundern, ohne dass sie es merkte. Sie hatte etwas an sich, das ihm sehr gefiel. Natürlich war sie die blonde Sexbombe, von der die meisten Männer träumten, aber auch kleine Dinge zogen ihn zu ihr hin. Im Moment faszinierte ihn die kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen, als sie sich auf ihre Arbeit konzentrierte.

Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug ein enges T-Shirt und Jeans. Carson begriff, dass er sie noch nie so lässig gesehen hatte. Sie wirkte immer so professionell und kontrolliert, sogar freitags, wenn alle etwas legerer gekleidet zur Arbeit erschienen. Er mochte das an ihr, aber heute sah sie so viel jünger und entspannter aus als sonst.

„Es ist unhöflich, jemanden so anzustarren.“

Ertappt! Carson grinste breit und fing einen amüsierten Blick von Georgia auf.

„Ich habe hier heute niemanden erwartet. Am wenigsten dich in Jeans.“

Georgia sah peinlich betreten an sich herunter. „Ist das in Ordnung? Ich dachte nicht, dass mich jemand sieht. An den Wochenenden bin ich hier meist allein.“

„Natürlich ist es in Ordnung“, versicherte er ihr, obwohl der Rest ihrer Antwort ihn irritierte. „Du bist jedes Wochenende hier?“

„Ja, ich mag es, wenn es im Büro so ruhig ist. Dann kann ich vieles aufarbeiten, ohne ständig von Telefonaten oder Gesprächen abgelenkt zu werden. Ich weiß, dass die Firma viel Wert legt auf Zeit für die Familie, aber ich habe keine Familie.“

Carson versuchte, nicht die Stirn zu runzeln. Er wusste nicht viel über Georgia. Während der Arbeitszeit gab sie sich stets professionell und sachlich, daher hatte er sich kaum jemals privat mit ihr unterhalten. In ihrem Büro standen weder auf dem Schreibtisch noch in den Regalen Fotos von Familie oder Freunden. Nun wusste er, warum.

„Was ist mit dir?“, fragte sie. „Wieso bist du heute hier? Ich dachte, nach dem vielen Champagner gestern liegen heute alle mindestens bis Mittag im Bett.“

Er war mit leichten Kopfschmerzen aufgewacht, aber es war nichts, womit er nicht fertigwerden konnte. Was sein Auftauchen im Büro betraf – das war eine gute Frage. Er war ins Auto gestiegen, um zum Haus seiner Mutter zu fahren und anzufangen, es auszuräumen. Und ehe er es sich versah, war er hier gelandet.

„Ich dachte, ich sehe mir noch einiges an“, sagte er vage.

Georgia zog die Nase kraus. „Du läufst vor etwas davon“, erklärte sie.

Er lehnte sich gegen den Türrahmen. War er so durchschaubar?

„Mag sein“, räumte er ein.

„Ist es etwas, wobei ich dir helfen kann?“

„Nein, nein, du hast mit Sicherheit Besseres zu tun.“

„Sag doch, was es ist“, beharrte sie.

„Ich muss das Haus meiner Mutter ausräumen. Ich habe Brooks und Graham versprochen, mich darum zu kümmern, damit wir das Haus verkaufen können. Heute wollte ich anfangen, aber stattdessen bin ich hier. Ich weiß auch nicht, wieso.“

„Das ist sicher nicht leicht“, sagte sie. „Möchtest du, dass ich mitkomme? Ich helfe dir gern. Zumindest kann ich dich moralisch unterstützen.“

Es klang wunderbar, aber er war unsicher. „Meinst du wirklich? Ihr Haus ist ungefähr eine halbe Stunde von hier entfernt in Kenilworth.“

Georgia schloss den Laptop und stand auf. Sie hängte sich ihre riesige schwarze Tasche über die Schulter. „Es kann losgehen.“

Er würde nicht mit ihr streiten. Ohne dass er überhaupt in seinem Büro gewesen wäre, gingen sie zum Fahrstuhl.

Sie waren schon auf der Schnellstraße Richtung Norden, bevor sie wieder sprachen.

„Was steckt dahinter?“, fragte Georgia offensichtlich aus tiefen Gedanken heraus. „Ich meine, wenn ich das so fragen darf. Ich habe das Gefühl, es geht hier um mehr als darum, die Sachen deiner Mutter auszuräumen.“

Carson spürte, wie sich seine Finger automatisch um das Steuer verkrampften. „Willst du wirklich die gruseligen Details meiner Lebensgeschichte hören?“

Georgia schnaubte leise. „Ich glaube, da kann ich locker mithalten.“

„Dann erzähl mir von dir.“ Carson war wesentlich mehr daran interessiert, etwas über ihr Leben zu erfahren, als daran, von seinem eigenen zu erzählen.

Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, ich habe zuerst gefragt. Außerdem geht es heute um dich. Ich muss wissen, ob ich mich hier auf irgendein Minenfeld begebe.“

Seine Brüder wollten, dass er die Wahrheit über ihren Vater herausfand. Wenn Georgia ihm dabei helfen sollte, musste er es ihr sagen.

„Also gut. Meine Mutter ist die einzige Familie, die wir je hatten. Unsere Tante Gerty ist schon vor langer Zeit gestorben, und sie war auch nicht wirklich verwandt mit uns. Mit Mom haben wir jeden Bezug zu unseren Wurzeln verloren.“

„Hat eure Mutter je mit euch über ihre Familie oder euren Vater gesprochen?“

„Selten, und wenn wir sie bedrängt haben, kam nicht wirklich etwas dabei heraus. Sie sagte nur, unser Vater sei grausam, und sie habe sich mitten in der Nacht davongemacht, als wir noch klein waren. Sie hat uns nie gesagt, wo wir vorher gelebt haben. Sie hat auch seinen Namen nicht genannt oder sonst irgendetwas aus der Vergangenheit erzählt. Sie wollte nicht, dass wir nach ihm suchen.“

„Das muss sehr frustrierend für euch sein. Einerseits möchte man irgendwo dazugehören, und gleichzeitig hat man Angst, dass die Wahrheit schlimmer sein könnte, als allein zu sein.“

„Genau.“ Carson war überrascht. Er hätte nicht erwartet, dass Georgia die Situation so schnell erfassen würde. „Brooks und Graham möchten, dass ich im Haus nach Hinweisen suche. Sie sind überzeugt, dass die Antworten irgendwo dort liegen. Ich bin mir da nicht so sicher, aber ich habe ihnen versprochen, mich umzusehen. Es ist unsere letzte Chance, die Wahrheit herauszufinden. Ansonsten hätte uns nur Mom Antworten geben können.“

Carson hatte immer geglaubt, dass ihre Mutter ihnen irgendwann doch einmal die ganze Geschichte erzählen würde. Seine Brüder und er waren keine Kinder mehr. Und seine Mutter hätte nichts von ihrer Vergangenheit zu befürchten gehabt, weil ihre Söhne sie beschützen konnten. Wahrscheinlich hatte Cynthia gedacht, dass noch so viel Zeit sei, ihnen die Geschichte ihrer Vergangenheit zu erzählen, aber dann war sie unerwartet früh verstorben.

„Ich helfe dir, die Wahrheit zu finden“, versprach Georgia.

Während Carson nach Kenilworth abbog, verspürte er tiefe Dankbarkeit dafür, dass Georgia bei ihm war. Und dass sie ihn verstand.

„Danke.“ Mehr konnte er nicht sagen.

„Ich kenne meine Familie auch nicht“, gestand sie. „Ich bin bei verschiedenen Pflegefamilien in Detroit aufgewachsen, weil meine Mutter als Teenager von zu Hause weggelaufen ist. Sie wurde drogenabhängig und hatte auch sonst jede Menge Probleme. Die Behörden haben mich ihr weggenommen, als ich drei war. Ich habe keine Ahnung, wer mein Vater ist oder ob ich sonst noch Familie habe. In der Geburtsurkunde ist der Name meines Vaters nicht angegeben. Ich weiß nicht einmal, ob mein Familienname wirklich Adams ist. Es ist durchaus möglich, dass sich meine Mutter den Namen einfach ausgedacht hat. Wenn man nicht weiß, woher man kommt, fühlt man sich wie ein Blatt, das der Wind vor sich hertreibt.“

Ihr Bekenntnis überraschte Carson. Jetzt verstand er vieles an ihr besser. Vielleicht fühlte er sich auch deswegen so zu ihr hingezogen. Sie waren beide ohne Wurzeln.

„Hast du über die Jahre Kontakt zu deiner Mutter gehalten?“

„Nein. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit das Jugendamt mich abgeholt hat. Ich wüsste nicht einmal, wie sie aussieht, wenn Sheila, meine Betreuerin, mir nicht irgendwann ein altes Foto von ihr gezeigt hätte. Ich habe es immer bei mir.“ Georgia griff in ihre Tasche und zog das Foto heraus.

Sie hatten das Haus seiner Mutter erreicht, und Carson stoppte den Wagen. Georgia reichte ihm das Foto. Es zeigte eine blonde Frau mit einem blonden Kleinkind. Die Frau sah noch sehr jung aus, nicht älter als fünfzehn oder sechzehn. Das üppige Make-up konnte die tiefen Schatten unter den Augen ebenso wenig verbergen wie die ausgehöhlten Wangen. An ihrem Arm waren blaue Flecken zu erkennen.

„Ich glaube, sie sah mir sehr ähnlich, aber sie war schmächtiger“, sagte Georgia. „Härter. Zu dem Zeitpunkt wirken ihre Augen schon sehr leer. Offen gestanden habe ich keinerlei konkrete Erinnerungen an sie. Ich erinnere mich nur an die verschiedenen Pflegefamilien.“

In dem Moment war Carson seiner Mutter sehr dankbar für alles, was sie für ihn und seine Brüder getan hatte. Sie hatten nie viel besessen, aber seine Mom hatte alles getan, um für ihre Gesundheit und Sicherheit zu sorgen. Georgia hatte nicht so viel Glück gehabt.

Er gab ihr das Foto zurück. „Hast du die Familien oft gewechselt?“

Georgia lachte bitter, während sie das Foto einsteckte. „Das kann man so sagen. Es war Segen und Fluch zugleich. Wenn die Familie schrecklich war, hatte ich den Trost, dass ich nicht lange dort bleiben würde. War sie nett, weinte ich jede Nacht, weil ich wusste, dass ich irgendwann wieder gehen musste. Die einzige Konstante in meinem Leben war Sheila, die Sozialarbeiterin. Sie wurde gewissermaßen zu meiner Familie. Sie hat mir geholfen, ins College zu kommen, indem sie mich drängte, eine Million Bewerbungen um Stipendien zu schreiben. Sie wollte unbedingt, dass aus mir etwas wird.“

„Die Funktion hatte für uns Tante Gerty“, meinte Carson. „Sie nahm uns nach dem Tod ihres Mannes bei sich auf und hat uns zu ihrer Familie gemacht. Als sie starb, hinterließ sie so viel Geld, dass meine Brüder und ich das College besuchen konnten. Unsere Mutter wollte, dass wir das Beste aus uns machen. Ich weiß nicht, was aus uns geworden wäre, wenn wir diesen Anschub nicht gehabt hätten. Wir haben alles, was wir sind, meiner Mutter und Gerty zu verdanken.“

Georgia legte spontan die Hand auf seine. Die kleine Geste hatte etwas wohltuend Tröstliches. Einen Moment lang saßen sie einfach nur schweigend beieinander und verarbeiteten das, was sie miteinander geteilt hatten. Doch Carson dachte auch daran, was jetzt vor ihnen lag.

Im Haus seiner Mutter befanden sich die Erinnerungsstücke, Geheimnisse und Gefühle ihres Lebens. Hineinzugehen war irgendwie so, als störe man sie in ihrer Totenruhe.

„Bist du bereit?“ Georgia sah ihn fragend an.

„Nein, aber lass uns trotzdem reingehen.“

Minuten später betraten sie das Haus. Es war Carson früher immer warm und einladend erschienen, aber jetzt wirkte es kalt und abweisend. Seine Mutter hatte dem Haus Leben eingehaucht, und nun war sie nicht mehr da.

„Wo wollen wir anfangen?“

Carson deutete nach kurzem Überlegen nach oben. „Mit ihrem Schlafzimmer. Falls sie irgendetwas aufbewahrt hat, das sie vor uns verbergen wollte, wird sie es dort versteckt haben.“

„Okay.“ Georgia wollte die Treppe hinaufgehen, stoppte aber, als Carson ihr nicht folgte. Sie sah ihn fragend an.

Er war froh, dass sie da war. Ohne sie hätte er es nicht einmal so weit geschafft. Er musste es hinter sich bringen. Falls er nichts über ihre Familiengeschichte fand, dann war es auch gut. Dann konnten er und seine Brüder sich damit abfinden und ihr Leben weiterleben.

„Ich komme.“

Georgia reichte ihm die Hand. „Wir werden deine Familie finden, Carson. Ich spüre es.“

5. KAPITEL

Carson verlor allmählich den Mut. Sie waren fast alles durchgegangen, was sie im Schlafzimmer seiner Mutter gefunden hatten. Schublade für Schublade hatten sie geöffnet. Einiges konnte in die Altkleidersammlung gegeben werden, anderes kam auf den Müll, und der Schmuck sollte unter den Brüdern aufgeteilt werden.

Stunden waren vergangen, ohne dass Georgia und er irgendetwas entdeckt hätten, das von Interesse war. Keine Skelette unter dem Bett, keine dunklen Geheimnisse zwischen den Dessous. Sie hatten jede Jackentasche durchgesehen und nichts gefunden außer dem einen oder anderen Lippenstift und einigen verblichenen Quittungen.

Nun blieb nur noch ein Stapel Schuhkartons oben auf dem Schrank. Carson seufzte stumm. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden sie dort nichts weiter als Schuhe finden. Die meisten Kartons schienen neueren Datums zu sein aus der Zeit, als seine Brüder und er ihr Vermögen gemacht hatten – Stuart Weitzman, Jimmy Choo, Christian Louboutin …

Eine Schachtel sprang ihm jedoch bei genauerem Hinsehen ins Auge. Sie stand ganz hinten in der Ecke, war schon sehr mitgenommen und trug das verblichene Label Hush Puppies. Kein Zweifel, dieser Karton hatte sich schon sehr lange im Besitz seiner Mutter befunden …

„Der Karton ganz hinten sieht vielversprechend aus“, sagte Carson. Obwohl er sehr groß war und lange Arme hatte, konnte er ihn nicht erreichen. „Wie ist meine Mutter hier bloß ohne eine Trittleiter ausgekommen?“, stöhnte er. „Ich gehe schnell nach unten und hole einen Stuhl.“

„Nicht nötig“, widersprach Georgia. „Ich bin sicher, ich komme dran. Wir machen eine Räuberleiter.“

Carson sah sie verständnislos an.

„Du verschränkst die Hände so, dass ich mit einem Fuß hineintreten kann, und hievst mich hoch. Dann komme ich an den Karton.“

Es wäre ebenso leicht, einen Stuhl zu holen, aber er wollte nicht mit Georgia streiten. Er konnte es nicht erwarten, den Inhalt des Kartons zu sehen. Also beugte er sich vor und verschränkte die Finger.

„Eins, zwei, drei“, zählte sie, und er hob sie an.

„Erreichst du ihn?“, fragte er.

„Noch ein Stück höher. Moment. Warte … ich habe ihn … fast!“

Einen Moment später rutschte der Karton vom Schrank und polterte zusammen mit einigen anderen nach unten. Georgia verlor das Gleichgewicht und fiel gegen Carsons Brust.

„Hoppla!“ Er fing sie auf, bevor sie zu Boden gehen konnte. Instinktiv legte er die Arme um sie und drückte sie an sich. Der unerwartete Kontakt ließ seinen Puls schneller gehen. Er registrierte überdeutlich, wie sich ihre Brüste an seinen Körper pressten, und spannte sich an.

„Alles in Ordnung?“, fragte er rau.

Sie schien für einen Moment wie benommen. „J…ja. Ich habe nicht damit gerechnet, dass alles auf einmal herunterkommt.“

Sie schob ihn von sich, und er atmete tief durch, um seine Erregung in den Griff zu bekommen.

Georgia betrachtete das Durcheinander, das sie angerichtet hatten. Mehrere Schuhe lagen auf dem Boden verstreut. Auch die Schachtel mit dem Label Hush Puppies hatte sich geöffnet. Wie vermutet, enthielt sie keine dreißig Jahre alten Schuhe, sondern jede Menge Papiere, die sich jetzt im ganzen Zimmer verteilt hatten.

Sie gingen beide in die Hocke und begannen, Stapel zu bilden.

Carson fand ein paar Fotos, die von einer Schnur zusammengehalten wurden. Er löste sie und blätterte sie durch. Einige zeigten ihn und seine Brüder, als sie noch klein waren – unter dem Weihnachtsbaum und bei Aufführungen in der Schule. Eines war von ihrer Mutter in jungen Jahren. Einige Fotos zeigten seine Mutter mit anderen Menschen, die er nicht kannte. Er drehte sie um, aber die Bilder waren nicht beschriftet.

Carson legte den Stapel beiseite und nahm sich ein paar alte Zeitungsausschnitte vor. Die meisten betrafen ein vermisstes Mädchen namens Amy Jo Turner. Er überflog einen der Artikel und suchte nach einer Verbindung zu seiner Mutter, aber es ging nur um die Umstände des Verschwindens der jungen Frau und dass die Behörden das Schlimmste befürchteten. Ihr Boot hatte leer auf einem See getrieben. Eine Woche später hatte man einen Schuh und den Pullover, in dem sie zuletzt gesehen worden war, eine Meile entfernt von dem Boot gefunden.

Der Kopf der Seite verwies auf eine Zeitung aus Houston, Texas. Die Artikel stammten aus den frühen Achtzigern, noch vor der Geburt von Brooks und Graham. Ihre Mutter hatte Houston nie erwähnt, auch nicht, ob sie dort irgendwann einmal gelebt hatte.

Wer war Amy Jo Turner? Was hatte all das mit seiner Mutter zu tun? Es war ihr wichtig genug gewesen, um die Artikel dreißig Jahre lang aufzubewahren, aber er verstand nicht, wieso.

„Sieh dir mal das an, Carson.“

Er nahm Georgia einen verblichenen Umschlag ab und faltete das Papier auseinander, das sich darin befunden hatte. Es war ein Brief, adressiert an seine Mutter. Ungeduldig überflog er die Zeilen. Er war unterschrieben mit „Immer dein, S.“

Carson las noch einmal von Anfang an, immer auf der Suche nach einem Hinweis, der ihm beim flüchtigen Lesen entgangen sein mochte.

Liebste Cynthia,

du weißt nicht, wie schwer es mir geworden ist, von dir getrennt zu sein. Ich weiß, ich habe mich selbst in diese Lage gebracht, und ich kann mich nur immer wieder entschuldigen. Ich scheine alles zu zerstören, was ich liebe. Du und die Jungen – ihr seid wahrscheinlich besser dran ohne mich. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen, was ich dir angetan habe. Ganz gleich, wie viel Zeit vergehen wird, an meinen Gefühlen für dich wird sich niemals etwas ändern. Du wirst stets die große Liebe meines Lebens bleiben.

Immer dein, S.

Das half nicht wirklich weiter. Der Buchstabe S war nur ein vager Anhaltspunkt. Carson warf einen Blick auf den Poststempel. Das Datum ließ ihn aufmerken. Es lag ungefähr sieben Monate vor seiner Geburt. Das konnte nun tatsächlich etwas bedeuten.

Konnte dieser Geliebte, dieser S., vielleicht sein Vater sein? Wieso hatte der Mann nicht einfach seinen Namen ausgeschrieben und es ihnen allen leichter gemacht?

„Was meinst du?“, fragte Georgia nach einer Weile vorsichtig.

Carson überflog den Brief ein drittes Mal. „Der Mann, der das hier geschrieben hat, könnte tatsächlich mein Vater gewesen sein. Es ist die stärkste Spur, die wir je gehabt haben, und trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass es uns weiterbringen wird. Was besagt schon ein Buchstabe?“

„Es ist immerhin ein Anfang und mehr als du vorher hattest“, erklärte Georgia energisch.

„Hast du etwas Interessantes gefunden?“

Georgia blätterte ein paar Umschläge durch, die mit einem Gummiband zusammengehalten wurden. „Das sind alte Lohnzettel. Sonst habe ich nichts weiter gefunden, tut mir leid.“

Carson begann, alles zurück in den Karton zu legen. „Das ist schon in Ordnung. Wenigstens haben wir überhaupt etwas entdeckt, das einen Bezug zur Vergangenheit hat. Das sollte meine Brüder glücklich machen. Ich übergebe ihnen den Karton. Vielleicht fällt ihnen etwas dazu ein. Lass uns die restlichen Schuhe einpacken und dann Schluss machen.“

Als sie die Säcke mit den Kleidungsstücken und die Schachteln nach unten schleppten, fiel Carson auf, dass er Georgia wesentlich länger aufgehalten hatte als erwartet. „Himmel, es ist schon spät! Das tut mir leid. Ich habe dir den ganzen Samstag gestohlen.“

„Ich hätte ja ohnehin gearbeitet“, wiegelte sie ab. „Ich habe dir meine Hilfe angeboten, das war nicht an eine bestimmte Zeit gebunden.“

„Vielen Dank. Mit dir ist es wesentlich schneller gegangen, als wenn ich es allein gemacht hätte. Wahrscheinlich hätte ich längst aufgegeben, bevor ich diesen Karton gefunden hätte. Es muss noch mehr durchgesehen werden, aber ich glaube, das, was wir suchen, ist hier drin.“ Er hielt den alten Schuhkarton hoch. „Darf ich dich zum Dank zum Essen einladen?“

Georgia überlegte einen Moment. „Was hältst du davon, wenn wir uns etwas vom Chinesen holen?“

„Könntest du mir bitte den Reis geben?“

Georgia schob sich mit den Essstäbchen etwas Reis zum Sesamhühnchen und der Frühlingsrolle auf den Teller. Das Chinarestaurant in ihrer Straße war das beste der Stadt. Sie aß dort wenigstens dreimal die Woche. Carson war anfangs nicht sonderlich begeistert gewesen von ihrer Idee. Offenbar hätte er sie lieber in ein Edelrestaurant mit weißen Tischdecken geführt, aber sie hatte darauf bestanden.

Sie fuhren zu ihrer Wohnung und gingen dann zu Fuß zum Jade Palace, um eine große Tüte chinesischer Leckereien zu erstehen. Aus dem Laden an der Ecke nahmen sie noch sechs kleine Flaschen Apfelwein mit. Auch das war Georgias Idee. Hummer und teurer Wein waren schön und gut, aber es ging doch nichts über Essen vom Chinesen im eigenen Wohnzimmer.

„Wow!“, sagte Carson, nachdem er einen Bissen Fleisch mit Brokkoli gegessen hatte. „Das ist wirklich lecker.“

„Das habe ich dir doch gesagt. Der Chinese ist einfach nur gut. Aber du solltest dich beim Essen auf den Boden setzen, das macht es noch besser.“

Carson kam ihrem Vorschlag lachend nach. Sie hatte erwartet, dass er die Nase rümpfen würde über die Vorstellung, in ihrem Wohnzimmer auf dem Boden zu sitzen und vom niedrigen Couchtisch Mitgebrachtes vom Chinesen zu essen, aber er machte mit. Natürlich besaß sie auch einen Esstisch, aber den nutzte sie eigentlich so gut wie nie. Dort arbeitete sie an ihrem Laptop, dort wurde nicht gegessen.

„Ich habe eine Zeit lang bei einer Familie gelebt, die immer nur am Couchtisch gegessen hat“, erklärte sie. „Sie haben dabei nicht ferngesehen oder so. Wir waren zu sechst und haben jeden Abend dort gesessen, haben uns unterhalten und zusammen gelacht. Das hat mir wirklich gefallen.“

„Solche Momente sind die schönsten“, stimmte Carson zu. „An manchen Tagen würde ich alles dafür geben, wieder ein Kind sein zu können und mit Mom und Tante Gerty alte Filme zu sehen und Popcorn zu essen. Meine Brüder und ich, wir treffen uns alle paar Wochen, um das zu tun, aber es ist nicht dasselbe.“

Georgia beobachtete, wie sich wieder ein Schatten der Trauer über Carsons Züge legte, während er aß. Sie wusste, wie es war, Menschen zu vermissen, die nie wiederkommen würden. Sie selbst hatte sich immer mit der Vorstellung getröstet, dass die Zukunft vielleicht etwas noch Schöneres für sie bereithielt.

„Es wird wieder solche Momente geben“, sagte sie leise. „Und eines Tages wirst du deine eigene Familie haben, und deine Kinder werden das schätzen, was du mit ihnen zusammen unternimmst.“

„Ich habe das Gefühl, dass es noch Ewigkeiten dauern wird, bis es dazu kommt. Allein die Vorstellung, eine eigene Familie zu haben, ist völlig irreal. Ich arbeite so viel. Und sogar wenn ich die perfekte Frau fände, wie soll ich ein Vater sein, wenn ich nicht weiß, wie es ist, einen Vater zu haben?“

„Das wird sich ganz von allein ergeben. Fang einfach damit an, dass du da bist, und schon tust du mehr als unsere beiden Väter zusammen. Ich bin sicher, dass du ein guter Vater sein wirst.“

„Was ist mit dir? Du wirst nie eine eigene Familie haben, wenn du deine ganze Freizeit mit Arbeit verbringst.“

Georgia wusste das. Und sie akzeptierte es irgendwie. Was hatte es schon für einen Sinn, eine Beziehung anzufangen, wenn sie doch irgendwann wieder zu Ende ging? Alle verließen sie, das hatte das Leben ihr inzwischen gezeigt. Daher hielt sie ihre Beziehungen oberflächlich und mied so weitere Enttäuschungen. „Im Moment sind die Kollegen in der Firma meine Familie. Die einzige Familie, die ich je gehabt habe.“

„Du bist also in keiner Beziehung?“

Georgia musterte ihn fragend. Lag ihm wirklich etwas an dieser Information, oder war er einfach nur höflich? „Hast du es noch nicht gehört? Ich bin mit Carson Newport zusammen.“

Carson lachte leise. „Darf ich dich etwas fragen?“

„Wieso nicht?“ Sie hatten ihre schreckliche Kindheit schon abgehakt. Was sollte noch Schlimmeres kommen?

„Wieso hast du Sutton gestern Abend gesagt, ich sei dein Freund?“

Ach du großer Gott! Das Grauen war also doch noch steigerungsfähig. „Ich … äh …“ Georgia suchte nach Worten. „Es fiel mir einfach so ein.“ Sie erhob sich und trug die Teller in die Küche.

Carson ließ sie nicht entkommen. Er folgte ihr mit den Resten des Essens und stellte sie auf die Anrichte.

„Das ist alles?“ Er lehnte sich gegen den Schrank. Dabei war er ihr so nah, dass ihr der Duft seines Aftershaves in die Nase stieg und sie die Hitze seines Körpers spüren konnte.

Mit einem Seufzer drehte Georgia sich zu ihm herum. Sie war kein Teenager mehr, sie musste sich wie eine Erwachsene benehmen. Durch die Bewegung war sie ihm so nahe gekommen, dass ihre Körper sich fast berührten, aber es wäre ihr kindisch erschienen, einen Schritt zurückzuweichen.

„Reines Wunschdenken“, bemerkte sie ironisch und vermied es dabei, ihm in die Augen zu sehen.

Carson legte eine Hand auf ihre Taille. „Georgia?“

Sie hatte Mühe zu sprechen, wenn er sie berührte. Der Saum ihres T-Shirts reichte gerade bis zum Bund ihrer Jeans. Seine Finger berührten ihre nackte Haut. Es war nur ein leichter Kontakt, und dennoch machte ihr Herz einen Satz, und ihr Atem stockte. „Ja?“

Er hob ihr Kinn leicht an, sodass sie seinem Blick nicht mehr ausweichen konnte. Sie war rot geworden, teils vor Verlegenheit, teils vor Erregung.

Er musterte sie durchdringend. „Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.“

Georgia hatte Mühe, ihn zu verstehen, so laut rauschte das Blut in ihren Ohren. War ihr erster Kuss mehr gewesen als eine Folge der überschwänglichen Freude und des Champagners? „Wieso?“

Carson zog sie an sich. „Weil ich nachts im Bett liege und an unseren Kuss denken muss. Ich habe davon geträumt, dich wieder in meinen Armen zu halten. Ich weiß, das sollte ich nicht, weil du für mich arbeitest, aber ich kann nichts dagegen tun. Doch nachdem du nun vor der versammelten Mannschaft verkündet hast, dass ich dein Freund bin und die Welt nicht eingestürzt ist … Nun habe ich keinen Grund mehr, mich noch länger zurückzuhalten.“

Je länger er sprach, desto mehr stimmte sie ihm zu. Er hatte recht. Ihr Arbeitsverhältnis blieb unberührt, wenn sie wie Erwachsene mit ihrer Beziehung umgingen. Sie fühlten sich zueinander hingezogen. Es konnte doch nicht schaden, dieser Verlockung nachzugeben. Es würde sich nichts Ernstes daraus ergeben, und ihre Arbeit blieb außen vor. Es schien niemanden zu interessieren außer Sutton Winchester.

„Was hält dich dann davon ab?“ Sie sah ihn herausfordernd an.

Er nahm sie beim Wort. Zärtlich drückte er die Lippen auf ihre. Georgia stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Arme um seinen Nacken zu schlingen. Sie schmiegte sich an ihn. Als sie seine Zunge an ihrer spürte, kam sie ihm entgegen und presste sich noch enger an ihn.

Sie hatte geglaubt, der erste Kuss sei atemberaubend gewesen, aber es war nichts gewesen verglichen hiermit. Dieser Kuss war wie ein Blitz, der sie erschütterte. Während seine Hände über ihren Rücken glitten und seine Finger über ihre Haut streichelten, konnte sie nur daran denken, wie sehr sie sich nach Carson sehnte.

„Ich will dich“, flüsterte sie.

Carson zog eine Spur kleiner Küsse an ihrem Kinn hinunter zu ihrem Hals. „Du wirst mich bekommen“, hauchte er ihr dann ins Ohr.

Seine Lippen kehrten zu ihren zurück, verlangender denn je. Dies war nicht mehr nur ein Kuss, es war ein Vorspiel. Langsam schob Carson sie durch die Küche zu ihrem Esstisch, ohne den Kuss dabei zu unterbrechen. Ehe sie es sich versah, hatte er sie daraufgesetzt und stand zwischen ihren Beinen. Sie spürte seine Erregung an ihrem Körper, spürte, wie sie ein sinnlicher Schauer durchzuckte.

Carson schob eine Hand unter ihr T-Shirt und drückte sie noch fester an sich. Im nächsten Moment zog er ihr das Shirt über den Kopf und ließ es achtlos zu Boden fallen. Sein Blick glitt über sie, bevor er rasch sein eigenes Shirt abstreifte.

Genießerisch ließ er die Lippen von ihrem Hals hinunter zu ihren Brüsten wandern. Georgia löste den Verschluss ihres BHs und ließ die Träger über die Arme nach unten gleiten. Sie wollte nichts Trennendes zwischen ihnen und sehnte sich danach, ihn zu spüren. Jetzt.

Carson stöhnte bei ihrem Anblick auf. Mit beiden Händen umfasste er ihre Brüste. Sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen unter seiner Berührung verhärteten. Er ließ Lippen und Zunge jeden Zentimeter ihrer Brüste erkunden, bevor er eine Brustwarze mit der Zunge reizte.

„Carson!“ Georgia stieß einen kleinen Schrei aus. Eine Woge der Lust riss sie mit, und sie drückte den Rücken durch, wollte Carson noch mehr spüren.

„Ich kann nicht glauben, dass das wirklich passiert“, keuchte sie.

„Doch, glaub es“, murmelte er.

Georgia schloss die Augen und gab sich ganz den Gefühlen hin, die seine Zärtlichkeiten in ihr weckten. Gerade als sie glaubte, es nicht mehr länger ertragen zu können, spürte sie, wie er den Verschluss ihrer Jeans öffnete. Sie half ihm, damit er ihr Jeans und Höschen abstreifen konnte.

Voll Verlangen glitt sein Blick über ihren nackten Körper. Er holte ein Kondom aus der Hosentasche und legte es neben sie. Erneut küsste er sie und ließ seine Hand dabei über ihren Schenkel gleiten. Er schob seine Finger zwischen ihre Beine. Berührte sie an ihrer empfindlichsten Stelle.

Georgia erschauerte.

Er machte es noch einmal. Fester. Diesmal schrie Georgia auf.

„Gefällt dir das?“

„Oh, jaaa …“

Er fuhr fort, sie mit seinen sinnlichen Berührungen zu verwöhnen, bis sie sich vor Lust wand. Sie war so erregt, dass sie kaum mehr atmen konnte.

„Stop!“, keuchte sie und hielt seine Hand fest. „Noch nicht. Ich möchte dich in mir spüren.“

„Okay …“ Ohne den Blick von ihr zu wenden, öffnete er seine Hose und streifte sich das Kondom über. Georgia spürte, wie er sich gegen sie drückte.

„Ja …“, stöhnte sie, als er langsam in sie eindrang.

Carson zog sie an den Rand des Tisches. Wenn er sie jetzt losließ, würde sie fallen, also schlang sie ihm die Beine um die Hüften und zog ihn an sich, sodass er noch tiefer in sie eindrang. Seinem scharfen Einatmen nach zu urteilen, hatte er allerdings nicht die Absicht, sie loszulassen.

Er packte ihre Hüften und hielt sie fest, während er begann, sich in ihr zu bewegen. Jeder Stoß löste ein kleines Feuerwerk der Lust in ihr aus. Georgia drückte den Rücken durch und stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab, während ihre Bewegungen heftiger wurden.

Wie hatte es dazu kommen können? Am Morgen war sie ganz normal ins Büro gegangen ohne besondere Erwartungen an den Tag. Und am Abend setzte sie alle ihre erotischen Träume mit Carson um und stand am Rande eines phänomenalen Höhepunkts. Carson brachte sie so leicht zum Kommen, als wären sie schon lange miteinander vertraut.

„Gleich …“, stöhnte sie.

Carson schien genau zu wissen, was er tun musste, um sie über den Rand zu katapultieren. Er stieß heftiger in sie. Berührte mit jedem Stoß ihre empfindlichste Stelle. Georgia hob sich ihm entgegen.

Und dann kam sie. Es durchlief ihren Körper wie eine Flutwelle. Sie klammerte sich an Carsons Schultern, während die Wogen der Ekstase sie mitrissen, sie erbeben ließen.

„Georgia!“, stöhnte er – und dann kam er auch.

Sie zog ihn an ihre Brust, während er langsam aufhörte zu zittern. Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf, als die Ekstase abebbte. Sie begriff, dass sie soeben Sex mit ihrem Boss gehabt hatte. Auf ihrem eigenen Esstisch.

Bevor sie etwas sagen konnte, richtete Carson sich auf und zog sie mit sich.

„Schlafzimmer?“

„Oben.“

„Natürlich.“

Er trug sie die Treppe hoch und legte sie auf ihr Bett. Rasch streifte er seine restliche Kleidung ab, bevor er zu ihr auf die Matratze kam, dann zog er sie an sich.

Überrascht stellte Georgia fest, dass er erneut für sie bereit war. „Schon wieder?“

„Ja, und diesmal in einem richtigen Bett.“

Sie lachte leise. „Zumindest kann ich nun sagen, dass ich den Esstisch in diesem Jahr genutzt habe.“

6. KAPITEL

„Ihr werdet nicht glauben, was ich herausgefunden habe!“

Brooks und Carson saßen gerade bei einer Besprechung in Carsons Büro, als Graham sie mit seiner triumphierenden Erklärung überfiel. Carson hatte diesen Moment erwartet, seit er seinem älteren Bruder den Schuhkarton mit den Papieren seiner Mutter übergeben hatte. Es war fast eine Woche vergangen, seit Georgia und er ihn gefunden hatten. Eine Woche, seit er mit ihr zusammen war.

Er freute sich auf das Wochenende und die Möglichkeit, sich wieder außerhalb des Büros mit ihr zu treffen. Bei der Arbeit war sie zu angespannt. Ihm war es egal, ob jemand von ihnen wusste oder nicht, aber sie fühlte sich noch unwohl mit der Situation.

Über den Vertragsabschlüssen für das Krankenhausprojekt hatte Carson den Inhalt des Schuhkartons fast vergessen. Und nun stürmte Graham in sein Büro und brachte die Erinnerung jäh zurück.

Graham setzte sich zu seinen Brüdern an den Tisch. Seine blauen Augen leuchteten so, wie wenn er einen Durchbruch vor Gericht erzielte. Sie hatten ihm den Karton gegeben, weil es zu seinem Job als Anwalt gehörte, in Papieren zu wühlen und Spuren zu verfolgen. Carson wäre eingeschlafen, bevor er etwas Wichtiges entdeckt hätte.

„Und?“ Brooks sah seinen Zwillingsbruder erwartungsvoll an.

„Also“, begann Graham, nachdem er sich sicher sein konnte, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben. „Ich war überrascht, in den Papieren diverse Lohnzettel von Elite Industries zu finden. Offensichtlich hat Mom dort drei Monate vor unserer Geburt angefangen zu arbeiten und blieb dort bis sieben Monate vor deiner Geburt, Carson.“

Carson runzelte die Stirn. Das hatte seine Mutter in den ganzen Jahren kein einziges Mal erwähnt. Nicht einmal, wenn sie alle zusammen aßen und sie sich über Sutton Winchester beklagten. „Ich dachte, sie hätte zusammen mit Gerty in einem Café gearbeitet.“

„Das hat sie auch. Vorher – bis sie im sechsten Monat schwanger war mit Brooks und mir. Nach ihrer Zeit bei Elite ist sie ins Café zurückgekehrt. Ich weiß nicht, wieso das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Den Unterlagen nach hat sie eine sehr großzügige Abfindung erhalten und ein hervorragendes Empfehlungsschreiben. Und ratet mal, für wen sie bei Elite gearbeitet hat! Der Name beginnt mit einem S …“

Carsons Magen schien sich zu verkrampfen. Er wollte nicht wirklich hören, was jetzt kam.

„Sutton Winchester?“ Brooks Ton verriet dieselben Beklemmungen, die Carson verspürte.

„Genau.“ Graham nickte. „Sie war seine Assistentin.“

Carson erhob sich. „Ich brauche einen Drink. Sonst noch jemand?“

„Ich glaube, wir könnten alle einen gebrauchen“, bemerkte Brooks trocken.

Carson schenkte drei Scotch ein und brachte die Gläser zum Tisch, bevor er sich entnervt wieder in seinen Sessel sinken ließ. Ohne auf seine Brüder zu warten, trank er einen großen Schluck und genoss das Gefühl, wie sich der Alkohol den Weg in seinen leeren Magen brannte.

„Mom war also seine Assistentin? Von der Kellnerin zur Assistentin der Geschäftsleitung? Das ist ein großer Sprung.“ Brooks nippte an seinem Glas.

Wie hatte sie sich für den Job qualifizieren können? Nach allem, was Carson von Sutton wusste, lag die Antwort auf der Hand. Er mochte gar nicht darüber nachdenken. Konnte es wirklich sein, dass seine Mutter den Job bei diesem Menschen angenommen hatte, wenn er mit sexuellen Verpflichtungen verbunden gewesen war? Zumal, wenn sie schon im siebten Monat schwanger war mit den Zwillingen? Oder war sie schon lange vorher seine Geliebte gewesen?

„Carson?“ Graham sah ihn besorgt an. „Alles in Ordnung? Du bist etwas blass um die Nase.“

Kein Wunder, dachte Carson. Er sah das Bild ihrer Herkunft immer deutlicher vor sich. Er brauchte noch einen Scotch, um mit dem Schock fertigzuwerden. Darum hatte seine Mutter nicht gewollt, dass sie die Wahrheit erfuhren. Darum hatte sie gesagt, ihr Vater sei ein schrecklicher Mensch. Denn das war er. Dennoch konnte Carson kaum glauben, dass das alles wahr sein sollte. Es durfte nicht sein. Trotzdem …

„Er ist unser Vater“, entfuhr es ihm.

Brooks sah Carson verblüfft an. „Woher willst du das wissen?“

„Der Brief, den ich euch gezeigt habe. Es geht darum, dass er ihr etwas angetan hat, das ihm nun leidtut. Und darum, dass sie und die Jungen, also wir, besser dran sind ohne ihn. Er ist mit S unterzeichnet.“

„Das ist etwas weit hergeholt“, gab Brooks zu bedenken. „Es gibt viele Menschen, deren Namen mit einem S beginnt.“

„Richtig, aber hier reden wir von Sutton Winchester. Ich weiß nicht, ob ich es euch erzählt habe, aber als er darauf bestand, sich mit Georgia zu treffen, hat er ihr einen Job bei Elite Industries angeboten. Dazu gehörte ein Antrittsgeld von einer Million Dollar und die Rolle seiner Geliebten.“

Graham blieb der Mund offen stehen. „Ist das dein Ernst?“, fragte er fassungslos. „Dieses Schwein!“

Carson nickte. „Falls das Suttons Standardverfahren ist, Angestellte und Geliebte gleichzeitig zu rekrutieren, dann passt alles zusammen. Wäre doch möglich, dass er Mom im Café kennengelernt und eine Affäre mit ihr begonnen hat. Als sie schwanger wird, bietet er ihr den Job seiner Assistentin an, damit sie versichert ist und Mutterschutz hat. Es muss ziemlich hart für sie gewesen sein, in dem Stadium der Schwangerschaft noch im Café zu arbeiten. Ich kann verstehen, wieso sie sein Angebot angenommen hat.“

Brooks grübelte. „Wenn er sich diese Mühe gemacht hat, als sie das erste Mal schwanger war, wieso hat er sie dann entlassen, als sie das zweite Mal schwanger war? Das passt doch nicht.“

Carson schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich glaube, es geht alles auf den Brief zurück. Ich finde, es klingt so, als sei es nicht Suttons Entscheidung gewesen, dass sie ging.“

„Hm.“ Graham überlegte. „Er war zu dem Zeitpunkt verheiratet. Vielleicht hat seine Frau etwas von seiner Zweitfamilie erfahren und ihn gezwungen, die Sache zu beenden.“

Brooks lachte leise. „Hast du Celeste Van Houten schon einmal kennengelernt? Sie ist eiskalt. Ich würde ihr so etwas durchaus zutrauen.“

„Wir brauchen Beweise“, entschied Graham und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Die Wahrheit können wir nur über einen Vaterschaftstest herausfinden. Ich bezweifle, dass der Alte dabei mitmacht, zumal das bedeuten würde, dass uns bei seinem Tod ein großer Teil seines Vermögens zufällt. Ich kann keinen Vaterschaftstest beantragen nur auf der Basis, dass unsere Mutter zum Zeitpunkt von Carsons Empfängnis seine Angestellte war. Wir brauchen einen Beweis, dass sie wirklich eine Affäre hatten.“

„Wer außer ihnen beiden könnte davon wissen?“, fragte Brooks.

„Schwer zu sagen. Sutton hat die Sache mit Sicherheit unter dem Tisch gehalten, auch wenn sie uns offensichtlich erscheint.“

„Irgendjemand muss etwas gewusst haben“, beharrte Carson. „Vielleicht jemand, der zu der Zeit für Sutton gearbeitet hat – entweder im Büro oder in seinem Haus.“

„Das wäre doch ein Ansatzpunkt“, stimmte Graham zu. „Ich stelle mal ein paar Nachforschungen an und sehe, was ich herausfinden kann. Vielleicht haben wir Glück und finden jemanden, der sich so weit zurückerinnert. Es ist immerhin mehr als dreißig Jahre her.“

Carson wusste, Graham versuchte, es optimistisch zu sehen, aber es klang doch durch, dass er am Erfolg dieser Mission zweifelte. Die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu finden, der etwas über die Affäre ihrer Mutter wusste, war denkbar gering. Suttons Angestellte wurden sicher gut dafür bezahlt, den Mund zu halten. Aber falls jemand einen Zeugen aufstöbern konnte, dann Graham.

„Es ist immerhin mehr, als wir noch vor einer Woche wussten“, bemerkte Brooks.

„Das stimmt“, pflichtete Carson ihm bei. „Aber ich frage mich, was dabei herauskommen soll.“

„Wie meinst du das?“ Graham zog eine Augenbraue hoch.

„Nehmen wir an, wir machen den Test und stellen fest, dass Sutton unser Vater ist. Und dann? Ich weiß nicht, wie die ganze Sache ein gutes Ende nehmen soll.“

„Dazu wird es auch nicht kommen, zumindest nicht für Sutton“, erklärte Brooks. „Wir werden ihn für das, was er unserer Mutter und uns angetan hat, bluten lassen.“

„Wie?“, wollte Carson wissen. „Der Mann hat kein Gewissen.“

„Das ist richtig“, stimmte Brooks zu. „Aber er ist einige Milliarden Dollar schwer. Wir wären ebenso erbberechtigt wie Celeste und seine drei ehelichen Töchter. Wir verlangen also unseren Anteil als Wiedergutmachung. Mir ist einerlei, was wir damit anstellen, solange er es nur anerkennen muss.“

„Würde nicht der größte Teil seines Erbes an seine Frau fallen?“

Graham schüttelte den Kopf. „Celeste ist seit einigen Jahren von ihm geschieden. Ihre Anwälte haben ihre Ansprüche bereits durchgesetzt. Was jetzt noch da ist, fällt sicher weitestgehend an seine Töchter. Sutton kann jederzeit sein Testament ändern und uns als Erben mit einschließen. Wir müssen ihm nur ein wenig auf die Sprünge helfen.“

Carson wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Sutton hatte es nicht besser verdient. Dennoch gefiel ihm das Ganze nicht. „Okay“, sagte er schließlich. „Wir finden eine Möglichkeit, zu einem Vaterschaftstest zu kommen, und dann geht es um das Erbe. Es gibt nur einen Haken.“

„Welchen?“

„Falls wir recht haben, bedeutet das, dass Sutton Winchester unser Vater ist. Mom hat uns drei lang und breit vor unserem Vater gewarnt. Sie sagte, er sei grausam, und wir wären besser dran ohne ihn. Ich dachte immer, sie übertreibt vielleicht, und er würde sich als nicht so schlimm herausstellen. Aber falls es wirklich Sutton ist, dann fürchte ich, dass unsere schlimmsten Befürchtungen wahr werden.“

„Georgia?“

Sie sah von ihrem kaum angerührten Essen auf. Carson musterte sie besorgt. Er hatte sie dabei ertappt, dass sie nicht zuhörte.

Nachdem sie so lange davon geträumt hatte, Zeit mit Carson allein zu verbringen, konnte sie es jetzt nicht richtig genießen.

An diesem Abend hatte er darauf bestanden, sie in ein Restaurant einzuladen. Er trug den blauen Nadelstreifenanzug, den sie so liebte. Aus irgendeinem Grund kamen seine grünen Augen bei der Farbe noch besser zur Geltung. Er sah einfach atemberaubend aus, und doch konnte sie sich kaum auf ihn konzentrieren.

„Ja?“

„Ist alles in Ordnung? Du wirkst heute so … geistesabwesend. Wäre es dir doch lieber, nicht mit mir in der Öffentlichkeit gesehen zu werden?“

Georgia schüttelte den Kopf. Sie hatte vieles zu begrübeln, aber überraschenderweise gehörte ihre aufblühende Affäre mit Carson nicht zu den Problemen. „Nein, nein. Es tut mir leid. Ich war mit meinen Gedanken nur woanders …“

Carson nippte an seinem Wein. Sein Teller war leer, und jemand kam, um ihn abzuräumen. Georgia ließ den Kellner auch ihren Teller mitnehmen. Sie hatte keinen Appetit. Hatte keinen Appetit mehr gehabt seit jenem Telefonat. Die Welt schien seither stillzustehen, aber außer ihr schien es niemand zu bemerken.

„Möchtest du darüber reden? Ich bin ganz Ohr“, versicherte Carson ihr.

Fast hatte sie Angst, über das, was geschehen war, laut zu sprechen, aber gleichzeitig sehnte sie sich danach, sich jemandem anzuvertrauen. Carson war der einzige Mensch, dem sie von ihrer Vergangenheit erzählt hatte. Er konnte vielleicht verstehen, was gerade mit ihr geschah und wie wichtig es für sie war. Der einzige andere Mensch, mit dem sie darüber hätte sprechen können, war Sheila, ihre ehemalige Betreuerin vom Jugendamt. Georgia hatte es bisher vermieden, sie anzurufen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Sheila diese neueste Entwicklung nicht gutheißen würde.

„Okay.“ Georgia seufzte. „Gestern Abend habe ich einen Anruf bekommen. Von meiner Mutter.“

Carson fuhr auf. „Von deiner Mutter? Wirklich?“

Sie nickte. „Ich konnte es selbst kaum glauben. Sechsundzwanzig Jahre habe ich nichts von ihr gehört, und plötzlich ruft sie mich aus heiterem Himmel an. Sie sagt, sie hätte meine Pressekonferenz über das Krankenhaus in der vergangenen Woche gesehen und dann meine Nummer herausgefunden, um Kontakt zu mir aufzunehmen.“

„Das muss ja ein schöner Schock für dich gewesen sein.“

„Das kannst du mir glauben.“ Bis zum Ende des Telefonats hatte sie sich zusammengerissen, aber kaum hatte sie aufgelegt, hatte sie zwanzig Minuten geweint wie ein Baby. Es war so unwirklich, den Hörer abzunehmen und die Stimme einer Frau zu hören, die behauptete, ihre Mutter zu sein. Misty Lynn Adams.

„Was hat sie gesagt?“

„Na ja, es war kein langes Gespräch, aber sie sagte, sie sei dabei, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, und sie wollte wieder eine Verbindung zu mir aufnehmen. Ich habe das Gefühl, es ist Teil eines Reha-Programms, das ihr dazu verhelfen soll, clean zu bleiben. Sie möchte nach Chicago kommen und sich mit mir treffen.“

„Wow!“ Carson nahm spontan Georgias Hand. „Wie stehst du dazu?“

Das war der Unterschied dazu, wenn sie diese Geschichte jemandem erzählen würde, der mit zwei Eltern aufgewachsen war. Jeder andere hätte gefragt, ob sie aufgeregt und glücklich sei. Aber jemand wie Carson wusste, wie es war, aufzuwachsen, ohne die eigene Herkunft zu kennen. Vorsichtig wäre zutreffend, wenn sie beschreiben sollte, wie sie sich fühlte. Hoffnungsvoll – aber nicht zu sehr. Sie war schon zu oft verletzt worden, um gleich besinnungslos vor Freude zu sein.

„Ich habe gemischte Gefühle“, gestand sie. „Ich möchte sie sehen und ihr ein paar Fragen stellen, aber ich glaube nicht, dass wir beste Freundinnen werden oder so etwas. Das kann sich erst mit der Zeit entwickeln, wenn überhaupt. Meine Mutter hat einiges hinter sich. Ich weiß nicht, seit wann sie jetzt clean ist, aber falls sie rückfällig wird, möchte ich nichts damit zu tun haben.“

Carson nickte mitfühlend. „Ich verstehe. Einerseits möchtest du deine Familie gern kennenlernen und diese Beziehung pflegen, aber andererseits hat sie bisher in deinem Leben keine Rolle gespielt, und du fragst dich, ob es nicht vielleicht gut so ist.“

„Genau. Aber ich werde mich mit ihr treffen. Ich habe ihr Geld geschickt, damit sie den Bus von Detroit hierher nehmen kann, und sie wird ein paar Tage bei mir wohnen. Mal sehen, was passiert.“

Carson musterte sie einen Moment schweigend. „Ist das so eine gute Idee, ihr Geld zu geben?“, gab er zu bedenken. „Und sie dann gleich bei dir wohnen zu lassen? Sie ist doch mehr oder weniger eine Fremde für dich.“

Georgia entzog ihm ihre Hand. „Ich habe das alles bedacht. Es waren nur hundert Dollar für die Fahrkarte. Falls sie sich davon Drogen kauft und nicht hier auftaucht, war das ein relativ kleines Lehrgeld. Aber wenn das Ganze funktionieren soll, muss ich ihr auch ein wenig Vertrauen entgegenbringen.“

„Mag sein, aber ich glaube dennoch, dass es keine gute Idee ist, sie bei dir wohnen zu lassen.“

Das bisschen Begeisterung, das Georgia über die neue Entwicklung mit ihrer Mutter aufgebracht hatte, verflog in Anbetracht von Carsons Skepsis. Was erwartete er? Was sollte sie tun? Das gute Silber verstecken? So etwas besaß sie nicht. Das meiste Geld steckte im Loft, und das konnte ihre Mutter ihr nicht nehmen.

„Was bleibt mir übrig? Wenn sie sich kein Busticket leisten kann, reicht das Geld mit Sicherheit auch nicht für ein Hotel. Ich müsste also auch dafür bezahlen. Es sind ja nur ein paar Tage, Carson. Falls ich mich in irgendeiner Weise unwohl mit ihr fühle oder damit, sie in der Wohnung allein zu lassen, dann suche ich ihr ein Hotel, okay?“

Carson zuckte zusammen angesichts ihres harten Tonfalls. „Ich möchte einfach nicht, dass du verletzt wirst.“

„Das werde ich nicht“, beharrte sie. „Ich weiß, ich muss vorsichtig sein mit Misty. Aber ich fände es wirklich schön, wenn du mir beistehst, während ich versuche, einen Blick in meine Vergangenheit zu werfen.“

Carson kam zu ihrer Seite des Tisches herum. Er setzte sich neben sie und umarmte sie, bevor er ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange hauchte. „Ich stehe zu hundert Prozent hinter dir. Hab nie einen Zweifel daran. Ich mache mir nur Sorgen um dich, das ist alles.“

Georgia spürte förmlich, wie ihre Anspannung verflog. Wahrscheinlich hatte er recht mit seiner Vorsicht. Es war nicht sehr sinnvoll, Misty zu verteidigen, solange sie sie überhaupt nicht kannte. „Vielen Dank, aber ich bin es einfach nicht gewohnt, dass sich irgendjemand Gedanken um mich macht.“

„Dann solltest du dich jetzt daran gewöhnen. Aber ich muss zugeben, dass ich im Moment selbst auch ein wenig angespannt bin nach allem, was Graham herausgefunden hat. Meine Mom hat uns gewarnt, dass unser Vater ein grausamer Mensch ist, aber ich hätte mir nie vorstellen können, dass es Sutton Winchester sein könnte. Von allen Männern in Chicago …“

Georgia war fassungslos gewesen, als sie seine Geschichte gehört hatte. Aber irgendwie ergab das alles durchaus Sinn. Abgesehen davon hatte Carson Suttons grüne Augen geerbt, aber das wollte sie ihm jetzt nicht sagen. Im Moment hatte sie den Eindruck, dass er nichts gemein haben wollte mit Sutton Winchester, schon gar nicht irgendwelche Gene.

„Was wollt ihr jetzt machen?“, fragte sie.

„Graham will versuchen, jemanden zu finden, der sich vielleicht daran erinnert, unsere Mutter und Sutton damals zusammen gesehen zu haben. Falls uns das gelingt, wollen wir notfalls gerichtlich einen Vaterschaftstest erzwingen.“

„Was ist, wenn sich herausstellt, dass er wirklich euer Vater ist?“

„Ich weiß es nicht“, gestand Carson. „Ich bezweifle, dass er uns mit seinen anderen Kindern zum Weihnachtsessen einlädt. Falls wir eine Rolle in seinem Leben spielen wollen, werden wir darum kämpfen müssen. Ich glaube, Graham und Brooks sind eher bereit als ich, das zu tun. Ich muss nur immer an die Warnung unserer Mutter denken. Sie hatte ja mit Sicherheit ihre Gründe, ihn aus unserem Leben fernzuhalten.“

Georgia nickte. „Ich weiß. Ich gehe ein Risiko ein, wenn ich meine Mutter zu Besuch kommen lasse. Es kann gut gehen, aber sie könnte auch immer noch der Junkie sein, der mich damals im Stich gelassen hat. Ich bin gut ohne sie zurechtgekommen. Gleichzeitig will ich sie nicht aufgeben. Das Kind in einem sehnt sich immer nach der Liebe und Anerkennung, die man nie erhalten hast. Was bleibt, wenn man das aufgibt?“

„Dein ganzes restliches Leben“, fand Carson. „Deine Mutter war ein drogensüchtiger Teenager, der damit überfordert war, sich um ein Kind zu kümmern, aber Sutton ist der reichste Mann von Chicago. Was ist seine Entschuldigung? Sutton weiß, dass wir seine Söhne sind. Er hat uns in all den Jahren nicht ein einziges Mal besucht. Keine Karte zum Geburtstag, kein Kindesunterhalt, nicht einmal etwas Entgegenkommen geschäftlicher Art. Wieso sollte ich einen solchen Mann in meinem Leben haben wollen?“

„Du kannst dir in deinem Urteil nicht sicher sein, bis du ihn nicht besser kennengelernt hast.“

„Ich habe nie einen Vater gehabt, Georgia. Ich weiß nicht, was besser ist: einen schlechten Vater zu kennen, oder den Vater nicht zu kennen und sich immer zu fragen, wie er wohl sein könnte.“

„Ich verstehe. Mit der Wahrheit kommen Dinge ans Licht, die man vielleicht gar nicht wissen wollte. Ich gebe meiner Mutter diese Chance, aber wenn ich bedenke, dass mein Vater eine drogensüchtige junge Frau geschwängert hat, dann möchte ich ihn, glaube ich, nie kennenlernen. Auf die Weise kann ich mir wenigstens ein heiles Traumbild von ihm erhalten. Das wäre mir dann lieber als erfahren zu müssen, dass er ihr Kunde war oder ihr Dealer oder dass er vielleicht eine junge Frau vergewaltigt hat, die niemanden hatte, der ihr helfen konnte.“

Carson nippte gedankenverloren an seinem Wein und dachte über ihre Worte nach. „Letztlich muss nicht ich diese Entscheidung fällen, weil wir zu dritt sind. Meine Brüder wollen es durchziehen, ganz gleich, was dabei herauskommt. Ob es mir nun gefällt oder nicht: Ich werde erfahren, ob Sutton mein Vater ist. Und was danach kommt … Ich nehme an, das hängt alles von dem guten alten Dad ab.“

Georgia nickte. Sie hingen beide irgendwie in der Luft, was ihre Eltern betraf. Sie hasste dieses Gefühl. Vor Jahren, als sie von einer Pflegestelle zur nächsten wechselte, hatte sie gleichermaßen gehofft wie gefürchtet, ihre Mutter könne ihr Leben wieder in den Griff bekommen und sie nach Hause holen.

Sie hatte sich oft vorgestellt, ihre Mutter käme sie suchen. Es war wichtig, dass dieser erste Schritt von ihrer Mutter ausging.

Es hätte für Georgia nicht viel dazugehört, ihre Mutter ausfindig zu machen, aber das wollte sie nicht. Die Vorstellung, dass ihre Mutter sich um sie bemüht hatte, tat gut. Dennoch hatte sie jetzt Angst. Und nachdem sie mit Carson über Mistys Besuch gesprochen hatte, war es nicht besser geworden.

Georgia ahnte bereits, dass sie die ganze Nacht wach liegen und grübeln würde.

Ihre Mutter sollte am Freitag eintreffen, vor ihr lagen also noch mehrere Tage der Ungewissheit. Sie brauchte Ablenkung. Etwas, das sie auf andere Gedanken brachte. Arbeit genügte im Moment nicht, aber als sie sich jetzt so an Carsons Brust lehnte, ihren Kopf an seiner Schulter, da hatte sie eine gute Idee, wie diese Ablenkung aussehen könnte.

„Wollen wir gehen?“, fragte sie.

„Ich dachte, du möchtest noch ein Dessert.“

Georgia drehte den Kopf und küsste ihn. Sie sog seine Wärme in sich auf und ließ ihre Zunge seine umspielen. Sofort verschwanden alle Gedanken an Misty und Sutton.

Eine Nacht der Leidenschaft mit Carson war genau das Richtige für sie. Für sie beide.

„Ich möchte ein ganz besonderes Dessert“, flüsterte sie und sah ihm tief in die Augen.

„Dann lass uns gehen.“

7. KAPITEL

„Rebecca, was ist das für ein Termin heute um drei Uhr?“ Ungeduldig wartete Carson auf die Antwort seiner Assistentin. Er hatte diesen Termin nicht gemacht, und er hatte keine Ahnung, wer die Frau war, mit der er und seine Brüder sich in wenigen Minuten treffen sollten.

Rebecca erschien in der Tür. „Ich bin mir nicht sicher, Sir. Graham hat heute Morgen angerufen und mich gebeten, den Termin einzutragen. Hat er nicht mit Ihnen darüber gesprochen?“

Nein, das hatte er nicht. Aber Carson wollte Rebecca nicht beunruhigen. „Vielleicht hat er es getan, und ich habe es einfach nur vergessen. Vielen Dank.“

Rebecca verschwand wieder ins Vorzimmer und überließ Carson seinen Grübeleien. Er musste nicht lange warten. Nach wenigen Minuten erschien Brooks.

„Was ist das denn für ein Termin um drei?“

Carson zuckte die Schultern. „Der kommt von Graham. Er hat dir also auch nichts gesagt?“

„Wieso sollte er auch?“ Brooks ließ sich in Carsons Besuchersessel fallen. „Wer ist Tammy Ross? Ich habe noch nie von ihr gehört.“

„Sie hat einmal als Haushälterin für Sutton Winchester gearbeitet.“ Graham trat mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht zu seinen Brüdern.

Das war nun das Letzte, was Carson erwartet hätte. Wieso sollten sie sich mit Suttons früherer Haushälterin treffen, wenn sie nicht … „Weiß sie etwas über Suttons Verhältnis zu unserer Mutter?“

Graham spazierte aufreizend langsam über den marokkanischen Teppich und setzte sich. „So ist es.“

„Wieso erzählst du uns nicht einfach, was sie zu sagen hat? Wieso hast du sie hierher geholt?“

„Weil sie mit uns allen persönlich sprechen wollte. Offensichtlich hat sie Gewissensbisse wegen dem, was damals passiert ist. Sie ist eine sentimentale ältere Lady, die unsere Mutter kannte und mochte. Tut ihr den Gefallen!“

„Mr. Newport“, ließ sich in diesem Moment die Stimme von Carsons Assistentin durch die Gegensprechanlage vernehmen. „Hier ist Mrs. Ross für Sie.“

„Pünktlich auf die Minute.“ Graham lächelte. Er ging hinaus, um gleich darauf mit einer zierlichen älteren Frau mit kurzem grauen Haar und einem freundlichen Lächeln zurückzukommen.

Carson und Brooks erhoben sich, um ihren Gast zu begrüßen.

„Bitte, setzen Sie sich“, bat Carson.

„Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich haben. Als ich begriff, dass Graham einer der Zwillinge ist … Nun schon ganz erwachsen …“ Die dunklen Augen der Frau wurden ein wenig feucht. „Also da wusste ich, dass ich Ihnen alles erzählen muss, was ich weiß. Meine Loyalität zu den Winchesters endete mit dem letzten Gehalt.“

„Ich habe Kontakt mit der Agentur aufgenommen, durch die Sutton sein Personal für den Haushalt sucht“, erklärte Graham. „Sie haben meine Nummer an Mrs. Ross weitergegeben.“

„Ich habe in der Zeitung vom Tod Ihrer Mutter gelesen“, erklärte Tammy Ross. „Es fiel mir schwer zu glauben, dass diese lebhafte junge Frau, die ich gekannt habe, nicht mehr da ist. Oder dass die Babys, an die ich mich erinnere, nun erwachsene Männer sind.“

„Woher kannten Sie unsere Mutter?“, fragte Brooks.

„Zuerst lernte ich Cynthia als Mr. Winchesters Sekretärin kennen. Sie rief gelegentlich im Haus an, wenn er irgendeinen Wunsch für das Abendessen hatte oder um mir zu sagen, welches Hemd er für den nächsten Tag gestärkt haben wollte. Sie war sehr nett, und wir haben gelegentlich länger miteinander gesprochen. Sie war aufgeregt wegen ihrer Schwangerschaft, und da ich selbst zwei Kinder habe, konnte ich ihr manchen Rat geben. Nachdem die Zwillinge – also Sie beide – geboren waren, habe ich gelegentlich Babysitter gespielt, während sie ausging. Ich wusste damals nicht, mit wem Cynthia ausging oder wessen Babys ich da betreute.“

„Unsere Mutter hat sich also heimlich mit Sutton Winchester getroffen?“

„Ja. Soweit ich weiß, kannten sie sich schon lange, bevor sie bei Elite Industries anfing. Es war nicht wirklich überraschend. Ihre Mutter war eine ausgesprochen hübsche junge Frau, genau die Art, die Sutton gefiel. Ich glaube, seine Ehe mit Celeste Van Houten war eher Geschäft als Liebe, deswegen war er immer auf der Suche nach … außerehelichen Vergnügungen.“

Carsons Herz schmerzte, wenn er sich vorstellte, dass seine Mutter nur eine von vielen in Sutton Winchesters Schlafzimmer gewesen war. Sie hatte etwas Besseres verdient. Eine wahre Liebe mit einem Mann, der sie heiraten und ihr das ganze Glück der Welt schenken wollte. Stattdessen hatte sie ihre drei Söhne allein vom Gehalt einer Kellnerin durchbringen müssen. Carson wusste nicht, was ihre Mutter ohne die Hilfe von Gerty gemacht hätte.

„Es war ein Schock, von Ihnen zu erfahren.“ Mrs. Ross sah Carson an. „Ihre Mutter muss die Firma so kurz nach Beginn ihrer zweiten Schwangerschaft verlassen haben, dass ich nicht einmal wusste, dass sie wieder schwanger war. Ich nehme an, das war Mr. Winchesters Plan. Seine Frau war ohnehin schon aufgebracht wegen seines Verhältnisses mit Ihrer Mutter. Ich glaube aber nicht, dass sie von den Zwillingen wusste, und ich bin sicher, Mr. Winchester wollte auch nicht, dass irgendjemand von Ihnen erfuhr.“

„Wenn ihm so daran gelegen war, es geheim zu halten, woher wussten Sie dann davon?“

Die ältere Frau lächelte. „Die Winchesters betrachteten ihr Personal als Wesen niederer Art. Meist tat Mrs. Winchester so, als sei ich gar nicht da. Es hat mich geärgert, aber manchmal war es auch ganz nützlich. Ich erinnere mich, wie Mr. und Mrs. Winchester sich an einem Abend gestritten haben. Sie war zu der Zeit schwanger mit Nora. Sie verzogen sich ins Schlafzimmer, aber man konnte den Streit im ganzen Haus hören. Ich fegte die Scherben der Vase auf, die sie nach ihm geworfen hatte, als ich hörte, wie Cynthias Name fiel.“

Tammy Ross sah sie der Reihe nach an. „Mrs. Winchester schrie ihren Mann an, sie habe nicht vor, mit anzusehen, wie er mit seiner Sekretärin herummachte, während sie eine weitere schwere Schwangerschaft durchstehen musste. Sie drohte mit Scheidung und damit, ihn finanziell zu ruinieren. Sie sagte, er würde Eve oder das neue Baby nie mehr zu Gesicht bekommen. Ich bin sicher, sie hätte die Drohung wahr gemacht. Ihr Bruder war einer der härtesten Scheidungsanwälte in Illinois. Sie sagte, wenn er die Sache mit seiner Sekretärin nicht beendete, dann würde sie ihn fertigmachen.“

Tammy Ross wandte sich jetzt Graham und Brooks zu. „Ich begriff, dass die Zwillinge von ihm sein mussten. Ich glaube nicht, dass Mr. Winchester sich so um eine Frau gekümmert hätte, wenn sie von einem anderen schwanger gewesen wäre. Eine Woche später rief eine Frau bei mir im Haus an, die behauptete, die Sekretärin von Mr. Winchester zu sein. Als ich sie fragte, was denn mit Cynthia sei, erfuhr ich, dass sie nicht mehr für Elite arbeitete. Das war das letzte Mal, dass ich von ihr gehört habe. Sie war einfach verschwunden.“

„Aber Sie können nicht sicher sein, dass Sutton mein Vater ist“, warf Carson ein. „Sie kann von einem anderen Mann schwanger geworden sein, nachdem sie Elite verlassen hat.“

Die ältere Frau sah ihn lächelnd an. „Sie sind der Sohn von Sutton Winchester, glauben Sie mir. Ihre Brüder schlagen mehr nach Cynthia, aber Sie sind Ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Er sah in jungen Jahren exakt genauso aus wie Sie.“

Carson schluckte. Er hatte immer gewusst, dass er anders aussah als seine Brüder, und dass sie wahrscheinlich mehr nach der Mutter kamen, während er seinem Vater ähnelte, aber er hasste es, dass dieser Vater ausgerechnet Sutton Winchester sein sollte.

„Mrs. Ross, wären Sie bereit, das, was Sie uns heute erzählt haben, vor einem Richter zu wiederholen?“, fragte Graham. „Vielleicht müssen wir den Vaterschaftstest nicht per Gericht erzwingen, aber es könnte sein, dass der Richter mit Ihnen sprechen möchte.“

„Kein Problem. Ich glaube, ich habe lange genug geschwiegen. Mr. Winchester muss seine Söhne anerkennen. Dazu ist es nie zu spät.“

„Vielen Dank, dass Sie heute hierher gekommen sind und uns das alles erzählt haben.“ Carson schüttelte der Frau die Hand.

„Ich habe es gern getan. Ich habe mich jahrelang gefragt, was wohl aus Cynthias Babys geworden ist. Nun weiß ich es. Sie war sehr stolz auf Sie drei, da bin ich mir ganz sicher.“

Graham begleitete die Frau zum Fahrstuhl und kam dann zurück. „Nun? Was meint ihr?“

„Es ist unglaublich, wie du das geschafft hast“, sagte Brooks. „Ich habe keine Ahnung, wie du diese Frau gefunden hast.“

„Das ist das Gute bei der Ausbildung zum Juristen: Man lernt, an Informationen zu kommen. Ich habe jede verdammte Arbeitsvermittlung der Stadt angerufen, bis ich endlich die richtige hatte. Hätte das nicht funktioniert, hätte ich mich bei jemandem aus seiner Personalabteilung eingeschleimt, um an die Unterlagen ehemaliger Angestellter zu kommen. Aber glücklicherweise haben wir unser Ziel ja auch so erreicht.“

„Und nun?“ Carson sah seine Brüder fragend an.

„Ich habe schon alles vorbereitet“, erklärte Graham. „Sobald der Richter den Antrag auf den Vaterschaftstest abgesegnet hat, lassen wir ihn Sutton zustellen. Wenn wir sicher sind, dass er unser Vater ist, fordern wir, dass er uns in sein Testament aufnimmt. Und anschließend lehnen wir uns entspannt zurück und erfreuen uns an dem Feuerwerk, das dann losgeht.“

„Ich wusste, dass Sie zurückkommen.“

Georgia ignorierte Sutton Winchesters selbstgefälliges Lächeln. Es fiel ihr schwer, ihm jetzt in die Augen zu sehen, seit sie wusste, dass sie Carsons so ähnlich waren. Es fiel ihr schwer zu akzeptieren, dass dieser Mann Carsons Vater sein sollte, zumal nun sein Blick mit so unverhohlener Gier über ihren Körper glitt.

„Weiß Newport, dass Sie hier sind?“

„Nein.“ Georgia hatte es Carson nicht gesagt, weil sie wusste, dass er gegen ihren Plan gewesen wäre. Sie wollte die Tür zu Sutton noch nicht zuschlagen. Nicht, weil sie an dem Job interessiert war, sondern weil sie Informationen wollte. Falls Carson und seine Brüder mit Sutton vor Gericht gingen, konnte alles hilfreich sein, was sie hier herausfand. Und falls es ihr gelang, von ihm eine Spende für das Krankenhaus zu bekommen, umso besser.

„Sind Sie zur Vernunft gekommen und wollen mein Angebot annehmen? Ist Ihnen klar geworden, dass Newport doch nicht der richtige Mann für Sie ist?“

Sie versuchte, nicht die Augen zu verdrehen. Sie musste mitspielen, zumindest noch eine kleine Weile, wenn sie das erreichen wollte, was sie sich vorgenommen hatte. Georgia wusste, es war gefährlich, einfach so in die Höhle des Löwen zu tanzen, aber es war die einzige Möglichkeit, die Information zu erhalten, die sie haben wollte.

„Eine Frau sollte sich alle Optionen offenhalten.“

Suttons leises Lachen wurde von einem langen Hustenanfall unterbrochen. Er hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Während Georgia ihn anschaute, fiel ihr auf, dass er nicht gut aussah. Der Anzug hing lose an ihm herab. Seine Wangen wirkten eingefallen, sodass die Wangenknochen stärker hervortraten ebenso wie die dunklen Schatten unter seinen Augen. Er schien in der Woche, seit sie ihn auf der Party gesehen hatte, stark abgebaut zu haben.

Als der Anfall vorbei war und er das Taschentuch fortzog, bemerkte Georgia ein paar Tropfen Blut auf dem Stoff. Sutton Winchester war ernsthaft krank. Er brauchte keine Geliebte, er brauchte einen Arzt.

„Ich glaube, ich könnte einen Drink vertragen.“ Sutton räusperte sich und ging zu der kleinen Minibar in der Ecke. „Kann ich Ihnen auch etwas anbieten?“

„Gern.“ Sie folgte Sutton und sah zu, wie er Eiswürfel in zwei Gläser tat. Er machte einen Scotch für sich und einen Wodka Gimlet für sie. Es war ihr Lieblingsdrink, und sie hatte keine Ahnung, woher er das wusste.

Er reichte ihr das Glas. „Worauf wollen wir trinken?“

Georgia überlegte einen Moment. „Auf offene Optionen“, entschied sie dann lächelnd.

„Auf offene Optionen.“ Er stieß mit ihr an und trank einen Schluck. „Was kann ich heute für Sie tun, Georgia?“, fragte er, nachdem er sein Glas abgestellt hatte. „Sind Sie bereit, mein großzügiges Angebot anzunehmen?“

„Noch nicht.“

„Das ist ja immerhin besser als das Nein von letzter Woche. Ich mache Fortschritte.“

„Es ist das Vorrecht einer Frau, ihre Meinung zu ändern.“

„Wohl wahr.“ Sutton trat näher. „Was könnte Sie überzeugen, mein Angebot anzunehmen, Georgia? Nennen Sie mir Ihre Bedingungen. Noch mehr Geld? Schmuck? Ein hübsches Penthouse? Ich kann Ihnen geben, was auch immer Sie wollen, wenn Sie sich mir jetzt hingeben.“

Er legte seine Hand an ihre Taille und sah ihr dabei in die Augen. Sie hatte das Gefühl, es war sein Ernst. Aber sie würde unter gar keinen Umständen zustimmen.

„Ich muss darüber nachdenken.“ Sie schob seine Hand beiseite. „Aber Sie könnten etwas tun, das meine Entscheidung vielleicht beeinflusst.“

„Hart im Verhandeln, was? Meinetwegen.“ Er nahm sein Glas wieder auf, blieb aber nach wie vor so dicht bei Georgia stehen, dass sie einander fast berührten. „Was ist es denn?“

„Ich möchte, dass Elite Industries eine Spende für das Newport-Kinderkrankenhaus gibt.“

Er kniff die Augen zusammen, während er an seinem Drink nippte. „Wieso sollte ich das tun?“

„Ich weiß zufällig, dass Sie im Moment niemanden haben, der die Öffentlichkeitsarbeit für Sie macht. Sollte ich Ihre PR-Abteilung übernehmen, würde ich Ihnen genau diesen Schritt empfehlen. Die Öffentlichkeit weiß, dass Sie an dem Grundstück interessiert waren, auf dem das Krankenhaus jetzt entsteht. Einige könnten der Ansicht sein, Elite hätte sein Angebot zurückziehen sollen, um dem Projekt nicht im Wege zu stehen. Ich glaube, eine Spende für das Krankenhaus wäre ein sinnvoller Weg der Schadensbegrenzung.“

„Ich brauche keine Schadensbegrenzung. Ich habe die Stadt in der Tasche.“

„Mag sein“, räumte sie ein. „Aber Sie möchten doch sicher nicht als schlechter Verlierer dastehen, oder? Ich weiß, Sie sind es nicht gewohnt zu verlieren, daher wissen Sie vielleicht nicht, wie man mit einer solchen Situation umgeht.“

„Verlieren …“, knurrte Sutton. „Hätte ich das Grundstück wirklich gewollt, hätte ich es auch bekommen.“

Das konnte er sich einreden, aber er hatte Carson nicht nur die grünen Augen vermacht, sondern auch seine Hartnäckigkeit.

„Natürlich hätten Sie das“, stimmte Georgia zu. „Aber nachdem Sie das Projekt nun schon ermöglicht haben, wäre es doch eine nette Geste, es mit einer Spende zu unterstützen. Kommen Sie, Sutton. Der Scheck tut Ihnen nicht weh.“

Sutton kam ihr noch näher, sodass Georgia gezwungen war, sich so weit wie möglich zurückzulehnen. Leider hatte er sie vor dem Konferenztisch in die Enge getrieben.

„Und was bringt mir der Scheck, abgesehen von der guten PR?“

Georgia stemmte eine Hand gegen Suttons Brust, um ihn davon abzuhalten, sie zu berühren. „Das hängt von der Größe des Schecks ab.“

Ein breites Grinsen glitt über die Züge des Mannes und erinnerte sie plötzlich so sehr an Carson, dass es schon fast wehtat.

„Sie sind doch wirklich ein gerissenes Luder. Das mag ich. Sie gewinnen. Sie nennen die Summe, und ich schreibe den Scheck aus.“

„Setzen Sie die Summe ein, die ich Ihnen wert bin.“

„Mr. Winchester? Georgia?“ Eine scharfe, hörbar überraschte Stimme kam vom anderen Ende des Büros her.

Georgia fuhr herum. Graham stand in der Tür. Seine Miene zeigte eine Mischung aus Überraschung und Zorn. Hinter ihm erschien Eve, die älteste von Suttons drei Töchtern und seine designierte Nachfolgerin. Beide waren spürbar fassungslos zu sehen, wie Sutton Georgia scheinbar bedrängte.

„Es tut mir leid, Daddy“, sagte Eve. „Ich konnte ihn nicht aufhalten.“

Georgia verstärkte den Druck gegen Suttons Brust, und er wich endlich zurück.

Mit einem tiefen Seufzer winkte er ab. „Kein Problem. Heute wimmelt es hier offenbar von Leuten von Newport. Kommen Sie herein, kommen Sie herein.“

Sutton ging zu seinem Schreibtisch hinüber.

Georgia versuchte, sich zu fassen. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, aber Grahams Miene gefiel ihr nicht. Er glaubte offenbar, sie bei etwas überrascht zu haben. Georgia mied seinen Blick und blieb am Konferenztisch stehen.

„Was kann ich für Sie tun, Graham? Oder sind Sie Brooks? Verdammt, ich kann Sie beide nicht auseinanderhalten.“

Grahams Züge verhärteten sich. Er starrte Sutton durchdringend an. „Man sollte meinen, ein Vater könnte seine Söhne auseinanderhalten.“

Sutton zeigte kaum eine Reaktion. Er lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück. „Ein Vater könnte das sicherlich, aber ich bin mir nicht sicher, was Sie mit Ihrer Bemerkung unterstellen wollen, Mr. Newport.“

Georgia hielt den Atem an, als sie die beiden Männer beobachtete. Die Spannung im Raum war fast mit Händen zu greifen. Ihr Blick wanderte zu Eve. Sie war Graham ins Büro gefolgt und schien als Einzige im Raum wie vor den Kopf gestoßen von Grahams Anschuldigung. Und falls Georgia ihre Miene richtig deutete, spielte auch eine Spur Enttäuschung mit. Wahrscheinlich wäre es jeder heißblütigen Frau in Chicago ähnlich ergangen, wenn sie herausfand, dass die attraktiven und reichen Newport-Männer ihre Halbbrüder waren.

„Ich bin nicht Ihr Vater“, erklärte Sutton scharf.

„Wollen Sie leugnen, ein Verhältnis mit meiner Mutter gehabt zu haben?“

Sutton kniff die Augen zusammen und überlegte einen Moment. „Ich hatte ein Verhältnis mit Cynthia. Sie war eine ausgesprochen hübsche Frau. Sie schlagen ihr nach, das muss ich zugeben. Aber ich bin nicht Ihr Vater. Ihre Mutter war bereits schwanger, als wir uns kennengelernt haben.“

Graham legte Sutton einen Umschlag auf den Tisch. „Das werden wir ja sehen.“

Sutton öffnete den Umschlag. „Eine Klage auf einen Vaterschaftstest? Nicht schlecht.“ Er legte die Papiere beiseite. „Ich komme der Aufforderung des Gerichts selbstverständlich nach. Aber bilden Sie sich bloß nicht ein, Sie hätten hier irgendeine Schlacht gewonnen, Graham. Letztlich wird das Ergebnis Ihnen nicht gefallen, denn ich sage es noch einmal: Ich bin nicht Ihr Vater.“

Graham wich seinem durchdringenden Blick nicht aus. „Von einem Mann wie Ihnen hätte ich keine andere Reaktion erwartet.“

Er sah zu Georgia hinüber. „Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit zurück ins Büro?“

Sein Ton war scharf, aber das überraschte sie nicht. „Allerdings.“ Sie hatte für heute bei Sutton erreicht, was möglich war. Jetzt noch zu bleiben, hätte die Situation für alle Beteiligten unerträglich gemacht.

Rasch warf sie sich ihre große schwarze Tasche über die Schulter. Um ihren Erfolg bei Sutton nicht wieder zunichtezumachen, schenkte sie ihm noch ein Lächeln.

„Können Sie den Scheck für das Krankenhaus per Kurier in unser Büro schicken?“, fragte sie ihn, bevor sie Graham aus dem Büro folgte.

Der Ärger verschwand aus Suttons Gesicht. „Ich kümmere mich darum.“

Als sie sich umdrehte, sah sie, wie Graham und Eve einen Blick wechselten. Interessant. Sie schob sich an der Frau vorbei. Sie waren schon auf halbem Weg zu seinem Wagen, bevor Graham die Sprache wiederfand.

„Was hatte das denn zu bedeuten?“, fragte er schroff.

Es gefiel ihr nicht, dass er sie behandelte, als hätte er sie mit Sutton im Bett erwischt. „Ich habe eine bessere Frage“, konterte sie. „Was war das gerade zwischen dir und Eve Winchester?“

Graham sah sie nicht an. „Das war nichts.“

Georgia lachte. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er log. „Das kannst du jemand anderem erzählen. Eve hat dich ja förmlich mit Blicken verschlungen. Zumindest bis du anfingst, ihren Vater ‚Dad‘ zu nennen.“

Graham atmete tief durch und zog die Wagenschlüssel aus der Tasche. „Falls Sutton unser Vater ist, spielt es keine Rolle, was du glaubst, gesehen zu haben. Dies ist kein schnulziger Liebesroman. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Eve meine Halbschwester, also Ende der Geschichte.“

„Sutton ist dabei geblieben, nicht euer Vater zu sein“, bemerkte Georgia, als Graham sich in den laufenden Verkehr einfädelte.

„Was sonst hast du erwartet?“

Georgia zögerte einen Moment. Irgendetwas stimmte hier nicht. Es war nicht Suttons Stil. Er konnte lügen, indem er nicht die ganze Wahrheit sagte, aber die Art, wie er darauf bestanden hatte, nicht Grahams Vater zu sein … Sie glaubte ihm. Zu ihr war er immer sehr direkt gewesen.

„Ich weiß nicht. In diesem Fall glaube ich nicht, dass er lügt.“

„So gut kennst du ihn? Wie viel Zeit hast du hier hinter Carsons Rücken mit ihm verbracht? Er hat mir von dem schmutzigen Angebot erzählt, das der Mann dir gemacht hat. Hast du deine Meinung geändert? Willst du annehmen?“

„Nein, bestimmt nicht. Wir haben uns über Geschäftliches unterhalten.“ Sie war Graham keine Rechenschaft schuldig.

„Wer’s glaubt!“ Er gab Gas. „Ich will dir einen guten Rat geben. Carson lässt sich nicht oft auf eine Frau ein. Seine letzte Beziehung endete damit, dass die Frau ihn für einen Reicheren verlassen hat.“

Das war neu für Georgia. Über diesen Aspekt ihrer Vergangenheit hatten sie sich noch nicht weiter unterhalten. „Wirklich?“

„Ja. Er und Candy waren sogar schon verlobt, als sie beschloss, mit irgendeinem smarten Milliardär durchzubrennen. Es war sehr hart für ihn.“

„Carson und ich sind nur …“

„Es ist mir völlig egal, was ihr seid oder nicht“, unterbrach Graham sie schroff. „Ich möchte nur, dass du es weißt. Überleg es dir also gut, ob du Carson einer solchen Situation aussetzen willst.“

Georgia biss sich auf die Zunge. Sie hatte nicht die Absicht, Carson zu verlassen – für niemanden. Nicht für Sutton, nicht einmal für Prinz Harry. Es erübrigte sich jede Diskussion mit Graham. Sie wollte Carson erzählen, was sie vorhatte, aber sie glaubte nicht, dass sie Graham trauen konnte.

Falls einer von ihnen mit dem Feind schlief, dann war es nicht sie, sondern Graham.

8. KAPITEL

„Können wir reden?“ Carson fing Georgia auf dem Korridor ab, als sie an seinem Büro vorbeiging.

„Ich muss nur noch schnell etwas aus dem Drucker nehmen“, sagte sie. „Dann komme ich zu dir.“

Carson ging zurück in sein Büro. Er war zu nervös, um sich zu setzen. Stattdessen sah er aus dem Fenster auf die Stadt hinunter. Normalerweise liebte er den Ausblick, aber im Moment konnte auch der ihn nicht beruhigen. Seit Graham bei ihm im Büro gewesen war, fühlte er sich angespannt.

Grahams Bericht über sein Treffen mit Sutton und die unerwartete Anwesenheit von Georgia hatte eine Reihe von Fragen aufgeworfen. Und er war sich nicht sicher, ob ihm die Antworten gefallen würden.

Diese Sorgen kamen ihm nur allzu vertraut vor. Er wollte nicht glauben, was Graham über Georgia mutmaßte, und er wollte auch kein vorschnelles Urteil fällen. Andererseits hatte er sich ähnlich gefühlt, als er die Gerüchte über seine Ex-Verlobte Candy gehört hatte, die angeblich mit einem anderen gesehen worden war.

Er hatte es anfangs nicht glauben wollen, aber die nagenden Zweifel hatten sich bestätigt.

Die Verlobung zu lösen, hatte ihm nicht wirklich etwas ausgemacht. Wenn Carson ehrlich war, musste er zugeben, dass er Candy Stratton nicht geliebt hatte. Sie war verfügbar gewesen und hatte auf ihn wie eine gute Ehefrau gewirkt. Er hatte nicht ewig Zeit, sich nach einer Frau umzusehen, also hatte er eben beschlossen, sie zu heiraten.

Was ihm allerdings zugesetzt hatte, war der Grund, weshalb sie ihn verlassen hatte.

Er hatte viel erreicht. Er und seine Brüder hatten bei null angefangen und gehörten inzwischen zu den wohlhabendsten und erfolgreichsten Geschäftsleuten in Chicago. Carson war jedoch bewusst, dass er nicht aus einer guten Familie kam. Dass er ein Bastard war, ohne Vater. Er rang täglich um sein Selbstwertgefühl und seine Selbstachtung.

Was er also überhaupt nicht brauchte, war eine Frau, die ihn für einen Mann verließ, der all das hatte, was ihm fehlte. Eine Weile hatte er sich gefragt, ob er je einer Frau genügen würde. Er besaß einen Haufen Geld – aber nicht genug für Candy. Er war erfolgreich – aber nicht erfolgreich genug für seinen Vater, um stolz auf ihn zu sein und ihn als seinen Sohn anzuerkennen. Ganz gleich, wie hart er arbeitete, es schien nie genug zu sein.

Carson hatte gehofft, dass mit Georgia alles anders sein würde. Vieles hatte sich geändert seit seiner Verlobung – er war heute älter, erfahrener und noch erfolgreicher. Und doch war dieses Gefühl, nicht zu genügen, geblieben. Würde es noch stärker werden, falls Georgia ihn für seinen eigenen Vater fallen ließ?

„Du wolltest mich sprechen?“

Carson drehte sich um. Georgia stand in der Tür.

„Ja. Bitte komm herein. Schließ die Tür und nimm Platz.“

„Geht es um gestern?“

Carson seufzte. „Vielleicht. Ich hatte heute Morgen eine Diskussion mit Graham, die nicht sehr erfreulich war, aber ich möchte zuerst einmal deine Version der Dinge hören.“

„Es ist keine Version irgendwelcher Dinge. Graham hat keine Ahnung von der Situation, in die er hineingeplatzt ist.“

„Und? Was war das für eine Situation?“ Nach allem, was er von seinem Bruder gehört hatte, war er sich nicht sicher, ob er es überhaupt wissen wollte. Die Vorstellung, Georgia könnte etwas mit Sutton Winchester haben, löste Wut in ihm aus. Wut und Frust.

„Nur eine kleine Werkspionage.“

Carson sah sie verblüfft an. „Wie bitte?“

„So wie es momentan zwischen Newport Corporation und Elite Industries läuft, hielt ich es für sinnvoll, einen Gesprächskanal zu erhalten. Ich dachte, wenn Sutton den Eindruck hat, ich zöge sein Angebot noch in Erwägung, dann könnte ich vielleicht ein paar Informationen bekommen, die dir helfen. Das war alles.“

Carson atmete erleichtert auf. Erst jetzt spürte er, wie angespannt er wirklich gewesen war.

Georgia kam um den Tisch herum und setzte sich auf seinen Schoß. „Möchtest du wissen, was ich herausgefunden habe?“

Sie hatte schon Informationen? Das war ja unglaublich. Der Druck ihres warmen weichen Körpers ließ seine Gedanken in eine andere Richtung wandern, die mit Sutton nur wenig zu tun hatte. „Natürlich möchte ich es wissen.“

„Zuerst einmal habe ich ihn dazu gebracht, eine Spende für unser Krankenhaus lockerzumachen. Sutton wird den Scheck im Laufe der Woche per Kurier hierher schicken.“

Carson zog Georgia fest an sich. Sie war eine ungewöhnliche Frau, und aus irgendeinem Grund wollte sie bei ihm sein. „Wirklich?“

„Wirklich. Und ich glaube, sein Stolz wird ihn davon abhalten, weniger als eine siebenstellige Summe zu spenden, damit er die Liste der Sponsoren anführt. Ich habe außerdem eine interessante persönliche Information über Sutton, die ihr drei kennen solltet.“

„Und das wäre?“ Er sah sie gespannt an.

„Graham war nicht lange genug da, als dass es ihm hätte auffallen können, aber ich habe es gesehen. Ich glaube, Sutton ist krank.“

„Krank? Der alte Knochen ist zu durchtrieben, um krank zu sein. Die Bazillen machen mit Sicherheit einen Bogen um ihn.“

Georgia konnte darüber nicht lachen. „Es ist mir ernst, Carson. Ich rede nicht von einer Erkältung oder einer Grippe oder so etwas. Er spuckt Blut. Er hat Gewicht verloren, und er sieht einfach schrecklich aus. Er versucht, es zu verbergen, aber ich glaube, er hat ein ernsthaftes Problem.“

Falls das stimmte, war es bisher noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Gesundheitliche Probleme des Königs von Chicago würden sicher wie ein Lauffeuer herumgehen. Wer würde die Leitung von Elite Industries übernehmen? Wer profitierte von seinem Erbe? Wie viele seiner Geliebten würden bei der Beerdigung auftauchen?

Im Idealfall kamen die Ergebnisse des Vaterschaftstests in Kürze. Ihnen lief die Zeit davon, falls Graham und Brooks bei ihrer Absicht blieben, sich ein Stück vom Winchester-Kuchen zu sichern – je eher, desto besser.

Falls Sutton wirklich ihr Vater war, würde es in der Öffentlichkeit nicht gut aussehen, wenn sie ihre Ansprüche quasi auf seinem Totenbett durchsetzten. Grundsätzlich war es Carson einerlei, was die Leute von ihm dachten, aber unter gar keinen Umständen sollten sie ihn für ebenso skrupellos halten wie Sutton.

Wenn das nicht wieder einmal typisch für sein Glück war! Über dreißig Jahre lang fragte er sich, wer sein Vater sein könnte. Nun hatte er einen einigermaßen sicheren Kandidaten gefunden, und der Mann verabschiedete sich prompt ins Jenseits. Falls Georgia recht hatte, und es sich um eine ernsthafte Krankheit handelte, wie lange blieb ihm dann noch?

Wohl nicht lange genug. Carson bezweifelte allerdings, dass sich zwischen ihnen je so etwas wie ein enges Vater-Sohn-Verhältnis entwickeln würde, auch wenn Sutton noch zehn Jahre zu leben hätte.

„Carson? Ist alles in Ordnung?“ Georgia musterte ihn besorgt.

Er begriff, dass er noch gar nichts zu ihren Informationen gesagt hatte. „Ich habe nur darüber nachgedacht, was das alles für uns bedeutet. Glaubst du wirklich, er ist ernsthaft krank?“

„Ich bin kein Arzt, aber für mich sah es ziemlich schlimm aus.“

„Der Mann hat den Ruf, sehr intensiv zu leben. Vielleicht holt ihn das jetzt ein.“

Autor

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