Die Valentino Brüder - Vier Halbgötter in Weiß auf der Suche nach der Extradosis Liebe (4-teilige Serie)

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GREENCARD - SCHEINEHE MIT HINDERNISSEN
Eine Scheinehe mit dem amerikanischen Notfallmediziner Santiago ist die Lösung für die hübsche Irin Saoirse, um die heiß ersehnte Greencard zu ergattern. Dumm nur, dass Santiago so atemberaubend sexy ist! Prompt spürt sie eine unvernünftige sinnliche Sehnsucht …

DR. VALENTINOS DUNKLES GEHEIMNIS
Sie kennt sein dunkles Geheimnis! Dr. Alejandro Valentino ist entsetzt, als er die neue Ärztin trifft: Kiri ist Teil einer Vergangenheit, die er vergessen will. Warum muss er mit ihr arbeiten? Mit der Frau, die seine Karriere beenden könnte. Und der er vor Jahren verfallen ist …

IN DEN STARKEN ARMEN DES PLAYBOY-DOCS
Frauen sind nur Ablenkung! Für Romantik hat Dr. Rafael Valentino keinen Platz in seinem Leben - auch die süße Cassie ist nur ein One-Night-Stand. Dass er bald mit ihr zusammenarbeiten muss, ahnt er nicht. Und auch nicht, dass er ihre heißen Blicke nicht vergessen kann …

EIN DOC MIT GEWISSEN VORZÜGEN
Dr. Dante Valentino hat zwar der Liebe abgeschworen, trotzdem gehört eine eigene Familie für ihn zum Leben dazu. Da kommt ihm Schwester Lises Kinderwunsch gerade recht. Kaum hat er sie jedoch zu einer Scheinehe inklusive heißem Sex überredet, erwachen ungeahnte Gefühle …


  • Erscheinungstag 17.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719838
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Annie O'neil, Amy Ruttan, Tina Beckett, Amalie Berlin

Die Valentino Brüder - Vier Halbgötter in Weiß auf der Suche nach der Extradosis Liebe (4-teilige Serie)

IMPRESSUM

Greencard – Scheinehe mit Hindernissen erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© 2017 by Annie O’Neil
Originaltitel: „Santiago’s Convenient Fiancée“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN
Band 112 - 2018 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Michaela Rabe

Umschlagsmotive: veronicagomezpola/ Depositphotos

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733719937

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Santi ballte die Fäuste, bis es wehtat. Gut.

Das bedeutete, dass er noch Gefühl darin hatte. Er spreizte die Finger, schüttelte kräftig das Handgelenk aus. Die Bewegung drehte die Zeit zurück, überschüttete ihn mit Erinnerungen, die er längst hinter sich gelassen glaubte. An Afghanistan. Syrien. Afrika. Erkennungsmarken blieben Erkennungsmarken. Wiederbelebung funktionierte oder auch nicht.

Nichts davon spielte jetzt eine Rolle, er durfte sich nicht ablenken lassen. Im Moment war der Brustkorb vor ihm das einzig Wichtige. Die nächste Runde lebensrettender Kompressionen. Dass er hundemüde war, zählte nicht. Das Leben des Mannes, der hier am Boden lag, schon.

„Wo zum Teufel bleibt der Krankenwagen?“, brüllte er.

Niemand antwortete. Nur das Echo seiner eigenen Stimme war zu hören, zurückgeworfen von den Betonpfeilern der Unterführung. Heiser. Frustriert.

Santi verschränkte wieder die Finger ineinander und drückte die Hände kraftvoll auf die Brust des Mannes. Er ignorierte die abgetragene Kleidung, den Geruch eines Menschen, der auf der Straße lebte, und die Tatsache, dass er seit zwanzig Minuten versuchte, ihn wiederzubeleben. So lange war es her, dass er die Notrufzentrale angewählt hatte.

„Komm schon, Miami“, murmelte er, bevor er die Herzdruckmassage für zwei Atemspenden stoppte, die den armen Kerl vielleicht ins Leben zurückholten. „Gib ihm eine Chance!“

Wieder sah er auf die Erkennungsmarke. Diego Gonzalez.

„Was hast du erlebt, amigo?“ Santi streifte seine Motorradjacke ab, ließ sie fallen und machte weiter. So wie Diego aussah, schien die Welt ihn aufgegeben zu haben. Was ich, verdammt, nicht tun werde! Santi hatte es wieder und wieder erlebt, seit er die Armee verlassen hatte: Veteranen, die nach ihrem Einsatz in Übersee im zivilen Leben nicht mehr Fuß fassten. Er mochte den Flecktarnanzug erst vor wenigen Monaten an den Nagel gehängt haben, würde aber niemals die Männer vergessen, die als Soldaten alles gegeben hatten, nur um festzustellen, dass das Leben ihnen wenig zu bieten hatte, wenn sie wieder zu Hause waren.

Zu Hause.

Ein Gedanke, nicht unbelastet und so gefährlich wie die Kugel eines Heckenschützen. Santi schüttelte den Kopf, drückte dabei weiter auf den Brustkorb des Mannes.

Neunundzwanzig, dreißig.

Als er sich hinabbeugte, um wieder zwei Atemstöße zu geben, hörte er in der Ferne eine Sirene heulen.

„Endlich.“ Eins, zwei, drei, vier …

„Wir kommen!“ Saoirse schaltete Blaulicht und Sirene ein. Sie liebte das laute Jaulen, das ihnen im dichten Pendlerverkehr von Miami eine Gasse bahnte.

„Du verrücktes irisches Weib! Du sitzt hier nicht in deinem Rennwagen!“

„Heißt das, du willst am Wochenende eine Runde mitfahren, Joe?“

„Nein, herzlichen Dank. Ich bin froh, wenn ich diesen Einsatz heil überstehe. Und danach bringst du mich bitte auf direktem Weg zur Cantina. Unversehrt“, betonte er, als sie mit hoher Geschwindigkeit die nächste Kurve nahm. „Möge der Himmel deinem nächsten Partner beistehen. Der wird Nerven aus Stahl brauchen.“

Saoirse lachte auf, während sie geschickt jede Lücke im steten Strom der Autos nutzte. Geschwindigkeit lag ihr im Blut, und Floridas tropische Hitze war genau das, was sie brauchte.

Zum Glück war im letzten Jahr nicht alles schiefgegangen!

Das Leben hatte ihr einen dicken Knüppel zwischen die Beine geworfen, ihr aber auch ein Visum für die USA verschafft. Sie hätte als Verlobte einreisen sollen, doch ein Studentenvisum erfüllte denselben Zweck. Natürlich schmerzte es immer noch, dass sie gezwungenermaßen die Richtung gewechselt hatte. Deshalb wollte sie auch nicht darüber nachdenken!

„Was für einen Kuchen hast du dir diesmal ausgesucht, Joe?“, neckte sie ihren Partner. „Hoffentlich nicht diese schreckliche Regenbogentorte wie bei deinem Geburtstag?“

„Hey, kleiner Frechdachs – es ist mein Abschied aus dem Dienst und meine Party. Nicht dein zwölfter Geburtstag!“

„Ich liebe Kokosnuss“, schwärmte sie, den Blick fest auf die Straße gerichtet. „So etwas bekommen wir in Irland nicht alle Tage. Soll ich anrufen und ihnen den Tipp geben, dass es auch dein Lieblingsgeschmack ist?“

Joe suchte mit beiden Händen Halt am Armaturenbrett, als Saoirse abrupt auf die Bremse stieg und sofort wieder Gas gab, nachdem ein sehr teuer aussehendes Cabrio laut hupend an ihnen vorbeigeschossen war.

„Was hatte der denn?“

„Er hat nicht erwartet, dass man mit einem Krankenwagen Jagd auf ihn macht, Saoirse!“, polterte Joe los. „Mädchen, ich will noch was von meiner Rente haben. Du verpasst mir noch einen Herzinfarkt, bevor wir beim Patienten ankommen!“

„Joe! Wie stehen die Chancen, dass du meinen Namen ein einziges Mal richtig aussprichst, bevor unser letzter gemeinsamer Dienst endet? Sier-schah.“ Sie dehnte den vokalträchtigen Namen, den ihre Eltern ihr gegeben hatten. Vielleicht sollte sie den auch ändern. Schon sich die langen Haare abzuschneiden, hatte etwas Befreiendes gehabt.

Joe stolperte über seine Zunge, während er versuchte, ihr nachzusprechen.

Saoirse lachte. „Ich hab’s dir schon oft angeboten: Sag einfach Murphy. Und wenn das zu schwer ist, Murph tut es auch.“

„Sorry, Darlin“, stieß Joe zwischen den Zähnen hervor, als sie wieder eine rote Ampel ignorierte. „Ich gehöre einer Generation an, die eine Lady nicht mit dem Nachnamen anredet.“

„Bin ich das für dich?“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Eine Lady?“

„Na ja“, murmelte der Mann, der seit zwei Monaten ihr Einsatzpartner war. „Mehr oder weniger.“

Sie lachte schallend. „Keine Sorge, Joe. Ich bringe dich heil und sicher zu deiner Abschiedsparty. Der einzige Herzinfarkt, mit dem wir es heute zu tun bekommen, betrifft wen auch immer …“ Sie stieg in die Eisen, und der Krankenwagen hielt an einer Überführung neben einem verwaisten Motorrad. „… unter dieser Brücke. Bereit für einen Geländetrip?“

„Hier unten!“, brüllte Santi, sobald die Sirene verstummte und er hörte, wie Türen zugeschlagen wurden. Weiterzählen, Kompressionen fortsetzen und gleichzeitig wahrzunehmen, was in seiner Umgebung passierte, das war ihm zur zweiten Natur geworden. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass der Sanitäter in Gestalt einer Stuntfrau auf der Bildfläche erschien!

Wie sie die Böschung mit dem tragbaren EKG in der Hand hinuntersauste, erinnerte eher an einen waghalsigen Snowboarder als an einen vorsichtigen Rettungshelfer, der sich vorschriftsmäßig an die Regeln hielt.

Zuerst kamen, in einer Wolke aus Staub und Kies, die Stiefel in Sicht, dann zwei sehr weibliche Beine … eine schmale Taille und … Holla! Der praktische Sanitäter-Overall saß wie angegossen an einem hinreißenden Frauenkörper.

„Wie lange sind Sie schon dabei?“

Die melodische Stimme und die feminine Figur passten nicht zu ihrer abweisenden Miene. Wehe, du lässt was Unprofessionelles vom Stapel, Cowboy, schien sie zu warnen. Mir nur recht, dachte er. Er war nicht hier, um sich ein Date zu angeln.

„Vierundzwanzig Minuten. Warum haben Sie so lange gebraucht?“

„Sie scheinen zu wissen, was zu tun ist“, schoss sie zurück, während sie die Elektroden des Zwölf-Kanal-EKGs herauszog. „Warum haben Sie ihn noch nicht zurückgeholt?“ Ihre blauen Augen blitzten angriffslustig. „Das ist ganz schön lange für eine Wiederbelebung.“

„Was für eine weise Bemerkung von einer Rettungshelferin.“

„Sanitäterin“, korrigierte sie scharf, ließ ihre Notfalltasche von der Schulter gleiten und prüfte mit behandschuhten Fingern Diegos Karotispuls. Alles, während sie Santi unverwandt in die Augen blickte.

Sollte das ein Wettkampf im Anstarren werden? Santi hätte nichts dagegen gehabt, sich mit ihr zu messen, aber sie mussten ein Leben retten.

„Sind Sie sicher, dass es vierundzwanzig Minuten waren, oder haben Sie nur geschätzt?“

„Ja zu Frage eins. Nein zu zwei.“ Er sah sie an, als wollte er sagen: Sie geben aber schnell auf.

Dafür erntete er einen strafenden Blick, und dann riss sie, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Mann das Hemd auf.

Santi konzentrierte sich wieder auf seine Hände. „Er war Soldat.“

„Sie auch?“

„Bei den Marines.“ Mehr Informationen gab er grundsätzlich nicht preis. Santi deutete mit dem Kopf auf den Patienten. „Diego Gonzalez. Steht jedenfalls auf seiner Marke. Dreißig!“ Er gab die notwendigen zwei Atemspenden, während sie die Elektroden auf die stark tätowierte Brust klebte.

„Joe! Kommst du mit dem Defi?“, rief sie über die Schulter, und ihr kurzes weißblondes Haar schimmerte bei der Bewegung. Im nächsten Moment bombardierte sie Santi mit Fragen. „Haben Sie Nitro gesprüht, Epinephrin injiziert oder dergleichen?“

„Klar. Hatte ich alles in meiner unsichtbaren Trickkiste dabei.“

„Ruhig, Brauner. Ich habe nur gefragt.“

Santi achtete auf seinen Tonfall, als er antwortete. Sie machte lediglich ihren Job. Er hatte seinen zu machen. „Ich sah ihn am Straßenrand entlangtaumeln, als ich vorbeifuhr. Dann fiel er die Böschung hinunter. Ich bin Arzt außer … Sanitäter außer Dienst“, berichtigte er sich rasch. Nach Miami war er gekommen, um nach vorn zu blicken und nicht auf das, was hinter ihm lag. „Bin mit dem Motorrad unterwegs und hatte keine Notfalltasche dabei. Deshalb habe ich euch geholt. Diego hat ein paar Schrammen und Schnittwunden, die versorgt werden sollten, und sicher kann er auch eine Infusion vertragen.“ Er deutete auf Diegos trockene Haut. „Dehydriert. Und zwar richtig.“

„Stimmt. Dann mal ran.“ Sie wühlte in ihrer Tasche, während ihr Partner in einer Zeitlupenversion ihres Auftritts den Abhang hinunterrutschte.

Santi fragte sich, wer sie war. Als er sich in der Einsatzzentrale seinen Dienstplan abholte, war er ihr nicht begegnet. Sein Blick glitt zu dem Namensschild auf ihrem Overall.

Murphy.

Er lächelte zufrieden in sich hinein. Irin. Hatte er sich doch gedacht, als er ihren Akzent hörte. Hoffentlich hatte sie auch etwas von dem fabelhaften irischen Glück mitgebracht.

„Und jetzt schön den Mund aufmachen, Diego.“ Mit bewundernswerter Geschwindigkeit intubierte sie den Patienten und verband den Beatmungsbeutel mit der Sauerstoffflasche. Die Frau hatte es nicht zum ersten Mal mit einem Herzinfarkt zu tun, so viel war sicher.

„Joe! Hast du den Defi startklar oder nicht? Und was ist mit ein bisschen Epinephrin für den armen Kerl hier?“

„Ein alter Mann ist kein D-Zug, Mädchen“, brummte ihr Partner und reichte ihr die Elektroden, nachdem er den Defibrillator eingeschaltet hatte. „Epinephrin kommt sofort.“

„Danke, Joe. Du bist der beste Ausbilder, den man sich wünschen kann.“ Sie sah zu Santi hinüber, als das Gerät sich mit dem typischen Jaulen auflud. „Kein Kontakt zum Patienten! Wir wollen Ihnen ja keinen Schock verpassen, oder?“

Er nahm die Hände von Diegos Brust und hob die Arme. Wieder trafen sich ihre Blicke. Santi hatte keine Ahnung, was sie in seinen Augen las, doch der triumphierende Ausdruck in ihren gab ihm weniger das Gefühl, eine Sicherheitsmaßnahme zu ergreifen, sondern sich vielmehr mit erhobenen Händen zu ergeben!

„Abstand!“

Ein Lächeln spielte in ihren Mundwinkeln, als Santi kaum merklich zusammenzuckte. Sie hatte absichtlich lauter gesprochen. Ihm war klar, dass sie nicht mit ihm flirtete, aber er konnte nicht sagen, warum er den Eindruck hatte, dass sie ihn provozieren wollte. Es war ein tropisch heißer Tag. Die Frau schwitzte nicht, aber – ¡valgame Dios! – sie besaß ein glühendes Temperament.

Er folgte ihrem Blick zum Herzmonitor. Es tat sich nichts.

„Joe?“

Wortlos reichte ihr der Kollege eine Spritze mit einer Milligramm-Dosis Epinephrin. Santi setzte inzwischen die Herzdruckmassage fort.

„Soll ich ein Rettungsbrett holen?“ Ohne große Begeisterung sah Joe den steilen Hang hinauf.

Der Ärmste wirkte, als hätte er einen eiskalten Kaffee irgendwo im Schatten bitter nötig. Für Januar war es ungewöhnlich warm.

„Keine Sorge, in dieser Phase brauchen wir keins. Solange wir versuchen, ihn wiederzubeleben, wäre es auf dem Brett für ihn unangenehm.“ Santi beschloss, dem Mann die Arbeit zu erleichtern. „Wollen Sie hier die nächste Runde übernehmen, wenn ich fertig bin? Dann hole ich das Brett und …“

„Nichts da!“, grätschte Murphy dazwischen. „Sie bleiben, wo Sie sind. In unserem Krankenwagen haben Sie nichts zu suchen. Wir kennen Sie nicht.“

„Er hat gesagt, dass er Sanitäter ist“, wandte Joe ein, wohl in der Hoffnung, die Böschung nicht wieder hinaufklettern zu müssen. „Mit wem haben Sie Dienst?“

„Heute mit niemandem. Sagen wir, ich hatte einen Job, und der neue steht an.“ Die weißblonde Amazone bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick, aber Santi dachte nicht daran, ihr zu erklären, dass er quasi bereits gestiefelt und gespornt für seinen ersten Tag im Seaside Hospital war. „Neunundzwanzig, dreißig.“

Er hob die Arme, um jeden Kontakt mit Diegos Brustkorb zu vermeiden, und sah Murphy in die Augen, während sie den Power-Knopf des Defis drückte. Den schrillen Ton im Ohr, spürte Santi, wie ihn eine andere Art Stromstoß mitten in den Solarplexus traf. Diese unerklärliche Anziehungskraft, wie sie ein Mann erlebt, dessen Blick mitten in einem Raum voller Menschen auf eine betörend schöne Fremde fällt. So stark, dass er gar nicht anders kann, als zu ihr zu gehen, um diese Anziehung zu ergründen. Schon lange nicht mehr hatte er erlebt, wie unerwartet ein Funke übersprang. Erst recht nicht, dass es am Straßenrand passierte, während er einen Kriegsveteranen wiederzubeleben versuchte.

Santi biss sich auf die Unterlippe, den Blick immer noch unverwandt auf die Frau vor ihm gerichtet … Ihm wurde warm, und die heiße Sonne über Miami war nicht der einzige Grund.

Da … blinzelte sie. Ein rascher Wimpernschlag nur, aber er verriet ihm, dass die Sache nicht einseitig war. Sie spürte es also auch.

Und dann stieß sie einen ungläubigen Laut aus, leise, ohne den Mund zu öffnen, und presste die Lippen zusammen, als müsste sie die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, hinunterschlucken.

Santi gab sich seinerseits die größte Mühe, ein Pokerface aufzusetzen, obwohl er am liebsten breit gegrinst hätte.

Er hatte ihrer keltischen Rüstung die erste Kerbe verpasst!

Nicht dass er zu den Männern gehörte, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit flirteten, aber die knisternde Spannung zwischen ihnen war schwer zu ignorieren. Die Automatenstimme des Defibrillators brach den Bann. Sanitäterin Murphy sah zum Monitor.

Der zeigte eine schmale flache Linie.

Ihre Finger schossen zu Diegos Halsschlagader, und als hätte ein Engel ihn heilend berührt … biep, biep …, formte sich aus der geraden Linie eine Berglandschaft mit Gipfeln und Tälern. Das Herz schlug wieder. Zwar nicht sehr kräftig, aber mit ein bisschen Glück und nach einem Abstecher ins Krankenhaus sollte das bald der Fall sein.

Blaue Augen blitzten triumphierend auf. „Von mir aus können Sie den Hügel hinaufkraxeln und das Rettungsbrett holen.“ Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf Joe. „Mein Partner hat heute seinen letzten Arbeitstag. Wir wollen ja nicht, dass der alte Mann sich einen Bandscheibenvorfall holt, oder?“

„Pass auf, was du sagst, Kleine. Mir bleibt immer noch genug Zeit, mich über dich zu beschweren und dich postwendend dahinzuschicken, wo du hergekommen bist.“ Steif richtete sich Joe auf. Sie hatte seinen Zustand also richtig eingeschätzt.

Nichtsdestotrotz verrutschten ihr bei seinen Worten flüchtig die Gesichtszüge, doch sofort setzte sie ein strahlendes Lächeln auf. Aha, dachte Santi. Es gibt also eine Geschichte.

„Sehr gut, Joe, hack du ruhig auf einem armen Mädchen herum, das gerade erst mit dem Schiff aus Irland gekommen ist. Und jetzt hör auf zu trödeln und mach mir noch eine Epi fertig, ja?“

Amüsiert verfolgte Santi den Schlagabtausch. Bei einer Größe von kaum mehr als 1,60 m hätte sie bei einem Open-Air-Konzert inmitten der stehenden Menge keine Chance. Dass sie sich als Persönlichkeit weit von der Masse abhob, daran hatte Santi jedoch nicht den geringsten Zweifel!

„Hey“, meinte er, während er aufstand. „Wie heißen Sie eigentlich?“

Ohne ihm ein Lächeln zu gönnen, tippte sie mit dem Zeigefinger zweimal auf ihr Namensschild.

Murphy.

Mehr würde sie ihm nicht verraten.

Unwillkürlich musste er lächeln, während er mit wenigen langen Schritten den steilen Hang bewältigte. Ein paar Minuten noch, bis sie Diego auf das Brett geschnallt hatten, dann würde sie wieder verschwinden …

Eine kurze Begegnung mit einer faszinierend anziehenden Frau, die für sein Leben keine Folgen haben würde. Dennoch spürte er, wie sich der Moment in die Abteilung für glückliche Erinnerungen drängte. Nicht dass diese Abteilung besonders groß war, aber das befriedigende Gefühl, noch immer ein heißblütiger Mann zu sein, erinnerte ihn an einiges, was das Leben lebenswert machte.

„Bitte sehr, mija.“

Saoirse streckte beide Hände nach dem eisig beschlagenen Glas aus, das bis zum salzbekrusteten Rand mit einer frisch gemixten Margarita gefüllt war. Ein Cocktail, genau richtig, um nach einem vollen Arbeitstag den Feierabend einzuläuten.

„Deine Eltern haben dir den passenden Namen gegeben, Ángel!“ Dankbar lächelte sie den Barkeeper an. Es war wirklich ein langer Tag gewesen …

„Murph!“

Sie blickte auf, suchte in der wachsenden Menge und entdeckte schließlich ihre Freundin Amanda, die sie zu sich winkte. Saoirse trank einen großen Schluck von ihrer Margarita – natürlich nur, damit sie auf dem Weg nichts verschüttete – und zwängte sich zwischen den dicht gedrängt stehenden Gästen in Mad Ron’s Cantina hindurch bis zu der blau gefliesten Terrasse mit den Picknicktischen. Auch dort war es proppenvoll und zwar mit all denen, die Joe zum Abschied alles Gute wünschen wollten.

Nach wie vor war sie sehr froh, dass sie ihn als Ausbilder bekommen hatte. Der Mann kannte sich aus wie kein Zweiter. Davon abgesehen besaß er nach vierzig Jahren im Rettungsdienst einen riesigen Freundeskreis.

„Hey, Mädchen! Warum hast du so lange gebraucht?“ Amanda begrüßte sie mit einer Umarmung, die für Amerikaner so typisch war und Saoirse gut gefiel. Ihre irischen Landsleute waren da distanzierter. Außerdem tat es gut, eine Freundin zu haben.

„Ich war noch im Krankenhaus, nach einem Patienten sehen.“

„Ach ja? Ein heißer Typ?“

„Nicht wirklich“, winkte sie ab, um zu verbergen, dass sie tatsächlich nach dem gut aussehenden Sanitäter Ausschau gehalten hatte. „Aber er war lange weggetreten – Herzinfarkt –, und ich wollte wissen, ob er sich erholt hat. Reine Neugier. Ich habe noch nie erlebt, dass einer es nach zwanzig Minuten Herzdruckmassage noch geschafft hat.“

„Du hast ihn wiederbelebt? Zwanzig Minuten lang?“ Amanda war beeindruckt.

„Wo denkst du hin?“ Saoirse schlug ihrer Fantasie auf die Finger, die ihr ein Bild von Mr. Mysteriosos muskulösen Unterarmen vorgaukelte. Sie hatte eine Schwäche für kraftvolle Männerarme, und diese hatten es vorhin auf Platz eins der Wochenliste für heiße Unterarme geschafft! Nicht dass sie tatsächlich eine Liste führte … oder sonst wie interessiert war.

Sie verscheuchte das Bild und konzentrierte sich wieder auf Amanda. „Ich hätte mich nicht mit Kompressionen aufgehalten, sondern sofort meine magischen Elektroschocker bei ihm eingesetzt.“

„Was bist du doch für eine fleißige kleine Sanitäterin!“ Amanda versetzte ihr einen leichten Stoß in die Rippen.

Saoirse knuffte die Freundin ihrerseits in die Seite. „Nicht so überheblich, Bohnenstange!“

Lachend stießen sie miteinander an. Amanda war mindestens einen Kopf größer als Saoirse und ließ keine Gelegenheit aus, sie damit zu necken.

Saoirse verspürte einen feinen Stich, als sie an ihren hochgewachsenen Verlobten – Ex! Ex! Exverlobter! – dachte, in dessen Armen sie sich geborgen und sicher gefühlt hatte. Was für ein Irrtum … Rasch vertrieb sie die niederdrückenden Gedanken. Amanda hatte schon wieder diesen prüfenden Blick! Der Frau entging aber auch gar nichts.

„Heraus mit der Sprache, Murph. Warum warst du wirklich im Krankenhaus?“

Statt zu antworten, trank Saoirse einen großen Schluck von ihrer Margarita und erschauerte, als der Tequila ihr eisig die Kehle hinunterrann.

„Oh, Wahnsinn! Sieh dir den an …“ Amanda hatte anscheinend jemanden entdeckt, der ihre volle Aufmerksamkeit erforderte.

Erleichtert ließ Saoirse die Schultern sinken. Puh, noch mal davongekommen! Gerettet von einer männlichen Augenweide.

„Auf drei Uhr“, murmelte ihre Freundin. „Groß, dunkelhaarig und höllisch sexy. Mehr als sexy. Murph, was ist besser als sexy?“

Mr. Mysterioso tauchte vor ihrem inneren Auge auf. „Lecker? Appetitlich? Köstlich? Zum Anbeißen?“

Hmm … hatte alles mit Essen zu tun. Und bestimmt nichts damit, dass sie an gewisse Männerarme dachte?

„Zum Anbeißen“, wiederholte Amanda schwach.

Hat sie vergessen, dass sie glücklich verheiratet ist? „Drei Uhr, sagtest du?“ Saoirse wollte wenigstens einen Blick auf Superman werfen. Was konnte es schon schaden, solange sie Gefühle aus dem Spiel ließ? Niemand sollte ihr ein zweites Mal das Herz brechen.

Sie sah sich die Gesichter an, fand aber keins, bei dessen Anblick sie weiche Knie bekam. „Ich sehe ihn nicht!“

„Stell dich auf die Bank.“ Amanda ignorierte ihren Protest und zerrte sie halb auf die Bank. „Dahinten, am Eingang! Der Typ könnte ganz allein einen Kalender füllen. Stell dir vor, Mr. Ja-Ma’am-uar, auf dem ersten Blatt … Ganz zu Ihren Diensten …

„Mensch, Amanda, hör auf, an mir zu ziehen. Ich kann allein auf die Bank steigen und … Oh!“

Hieß es nicht, der Blitz schlage nicht zweimal an derselben Stelle ein? Nun, das war hiermit widerlegt!

„Verstehst du, was ich meine?“

In dem Moment trafen sich ihre Blicke, er hatte Saoirse entdeckt. Hastig sprang sie von der Bank.

„Er ist okay, hab schon Besseres gesehen“, erklärte sie lässig und kippte die Hälfte der Margarita hinunter. Sie brauchte dringend Abkühlung!

„Hast du Tomaten auf den Augen?“ Amanda starrte sie ungläubig an. „Der Mann ist ja so was von heiß!“

„Findest du?“ Saoirse hoffte, dass niemand ihr anmerkte, wie heiß ihr war! In ihrem Magen tanzte die Margarita Tango, ihr Herz legte einen Schlag zu – oder auch siebzehn! –, und über ihren Rücken zitterten kribbelnde Schauer.

„Hä?“ Amanda legte ihr prüfend die Hand auf die Stirn. „Bist du sicher, dass du noch alle beisammen hast? Wie sollen wir jemals einen scharfen Kerl finden, der dich in den nächsten zwei Monaten heiratet, wenn du so einen miesen Geschmack hast, dass du nicht einmal dieses Prachtexemplar von Mann …“ Temperamentvoll streckte sie den Arm aus, und ihr Zeigefinger landete … an einer Brust. Einer breiten Männerbrust, die Saoirse bereits Stunden zuvor bewundern durfte.

„So sieht man sich wieder, Miss Murphy.“

Du kennst ihn?!

Amanda sah sie mit großen Augen an und sprach die Frage zur Sicherheit noch einmal laut aus.

„Quatsch“, wehrte Saoirse ab. „Nein!“

Sie blickte von ihrer Freundin zu Mr. Mysterioso und wieder zurück. Konnte sich nicht einmal die Erde auftun und sie aufnehmen? Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für Mutter Natur, sich gnädig zu zeigen, nachdem sie nichts unternommen hatte, als Saoirses Verlobter sich am Altar aus dem Staub machte. Wie eine Idiotin in Sahnebaiser stand sie da in ihrem Rüschen-Brautkleid. Los, Mummy Nature, jetzt hast du die Chance, das wiedergutzumachen!

„Santiago.“

Saoirse ignorierte seine ausgestreckte Hand, sodass er sich Amanda zuwandte, um ihr die Hand zu schütteln. Die musste natürlich gleich checken, ob er einen Ring trug.

„Oder nur Santi … falls Sie den Mund nicht ganz so voll nehmen wollen“, fügte er hinzu.

Die Bemerkung war eindeutig an sie gerichtet und heizte Saoirses Fantasie mit Bildern an, die eine Nonne in Höllenglut gestürzt hätten!

Saoirse leerte ihr Glas in einem Zug. Nicht sehr damenhaft und, wie sie feststellte, ein eisiger Schock für ihr Gehirn, der sämtliche Neurotransmitter einfror, die ihr zu einer schlagfertigen Antwort hätten verhelfen können … Okay, Mr. Knackiger-Kalenderkerl ließ sie nicht kalt. Dabei hatte sie sich die Schutzmauern um ihr Herz hart erarbeitet, von ihrem … goldenen Dreieck ganz zu schweigen. Oder wie man das heutzutage auch immer nannte! Saoirse wand sich innerlich. Das war ein bisschen zu viel Feuerwerk in ihren lange vernachlässigten weiblichen Regionen!

„Und Sie sind …?“, hörte sie Santiago fragen.

Santiago. Natürlich hatte er auch einen atemberaubenden Namen …

Warum brachte sie kein Wort heraus?

„Ich bin Amanda, und Miss Stockfisch hier heißt ‚Sier-schah‘“, sprang ihre Freundin in die Bresche und imitierte einen von Saoirses unzähligen Versuchen, anderen die richtige Aussprache ihres irischen Vornamens beizubringen.

Santiago schenkte Saoirse ein charmantes Lächeln, nicht ohne ihr Unbehagen sichtlich zu genießen. „Haben Sie sich von dem nachmittäglichen Workout erholt?“

„Ich wage zu behaupten, dass Joe froh ist, heute die Flinte ins Korn werfen zu dürfen.“

„Sie hatten Ihre fest im Griff.“

Schmeichler.

„Wohl kaum. Wenn Sie nicht gewesen wären, hätten wir nichts mehr ausrichten können.“ Auch wenn sie ihn nicht mögen wollte, in dem Punkt gebührten die Lorbeeren allein ihm. Diego würde in der Leichenkammer liegen, wäre Santiago nicht zu seiner Rettung geeilt. Nicht jeder sprang von seinem Motorrad, um einem Mann zu helfen, den der Rest der Welt vergessen hatte.

In der athletischen Brust unter dem schlichten schwarzen T-Shirt schlug also ein großes Herz. Saoirse versuchte, sich ihn in einem weißen T-Shirt vorzustellen … Oh ja! Das würde auch nett aussehen. Zu der karamellbraunen Haut würde jedes eng anliegende Shirt, egal in welcher Farbe, atemberaubend aussehen!

„Er hat es geschafft, das zählt.“ Santiago blickte sie immer noch unverwandt an.

Saoirse nahm seine markanten Züge, die volle Unterlippe wahr. Hör auf, ihn anzustarren, ermahnte sie sich. Küsse sind für dich tabu!

Statt einer Antwort verdrehte sie die Augen, als wollte sie sagen: „Was auch immer …“, und löste den Blick von seinem Mund. Da zwinkerte er ihr zu, und ihr wurde wieder heiß. Der verdammte Mann wusste genau, was los war!

„Saoirse bedeutet ‚Freiheit‘“, warf Amanda ein, die anscheinend nicht länger fünftes Rad am Wagen sein wollte.

„Und Gerechtigkeit für alle?“ Santiago sah Amanda kurz an und richtete seinen Blick wieder auf Saoirse.

Waren da goldene Flecken in seinen kaffeebraunen Augen? Unsinn, das musste eine optische Täuschung sein, hervorgerufen von den Lichterketten, die an den Palmen im Innenhof glitzerten. Keiner hatte Goldflecken in den Augen. Außer Tigern, vielleicht. Oder Löwen.

„Ich sagte Ihnen schon, der Name ist Murphy. Murph, falls Sie nicht bis zum Ende durchhalten.“

Santiago bedachte sie mit einem amüsierten, fragenden Lächeln.

Warum musste alles, was sie zueinander sagten, wie sexy Bettgeflüster klingen? Saoirse wandte sich abrupt ihrer Freundin zu. „Ich brauche einen Drink. Soll ich dir etwas mitbringen?“

„Das Gleiche noch mal.“ Amanda hob ihr fast leeres Margarita-Glas, sichtlich erfreut über die Aussicht auf ein paar ungestörte Minuten mit Mr. Leckerbissen. Saoirse zögerte einen Moment. Da Amanda glücklich verheiratet war, verkuppelte sie für ihr Leben gern andere Paare. Vor allem angesichts des … winzig kleinen Visaproblems, das wie ein Damoklesschwert über Saoirse hing.

Sie mochte nicht einmal daran denken, aber die Zeit drängte. Ihre Aufenthaltsgenehmigung für die Dauer ihrer Umschulung von Kinderintensivschwester zur Notfallsanitäterin lief bald ab. Allein bei der Vorstellung, wieder nach Irland zurückzumüssen, bekam Saoirse schweißfeuchte Hände!

Trotzdem … sie warf Santiago einen Seitenblick zu. Der Mann war zu bedauern. Er hatte keine Ahnung, was auf ihn zukam. Gebt Amanda fünf Minuten allein mit einem Mann, und ehe er sich’s versieht, hat sie den Rest seines Lebens für ihn durchgeplant.

Mr. Leckerbissen zwinkerte ihr zu.

Oh, oh, schon wieder.

Konnte er ihre Gedanken lesen?

„Warten Sie, ich helfe Ihnen. Hier herrscht ganz schöner Trubel.“

„Danke, nicht nötig.“ Sie mochte nicht besonders groß sein, aber sie war kein hilfloses Weibchen, das einen großen starken Mann brauchte, um zwei Getränke zu tragen. Andererseits wusste sie nicht, was Amanda ausheckte, wenn sie sie mit ihm allein ließ. „Machen Sie, was Sie wollen.“

„Wisst ihr was, wir gehen alle drei!“ Amanda hakte sich bei ihnen unter wie Mary Poppins, um sie zu einem großartigen Abenteuer zu entführen, bei dem sie viel Wertvolles über sich selbst lernten.

Für Saoirse war das einzig Verlockende am Ende dieses speziellen Regenbogens eine frische Margarita!

„Hoffen wir, dass sie das lange Warten wert sind.“ Santi nahm das beschlagene Glas entgegen. „Gemixt vom Meister persönlich.“

„Ángel?“ Saoirse lächelte zum ersten Mal, seit sich ihre Freundin unter einem lahmen Vorwand entschuldigt hatte.

Santi hatte den Braten gleich gerochen. Die Freundin ließ sie nicht ohne Hintergedanken allein. Nicht dass es ihn störte. Im Gegenteil, Saoirse hatte etwas, von dem er bisher nicht gewusst hatte, dass er dafür zu haben war. Sie ließ sich nicht so leicht beeindrucken, hatte Humor, war intelligent, eine zierliche sexy Elfe. Santi hätte nie gedacht, dass er einen bestimmten Typ Frau bevorzugte … Für die Dauer einer Margarita würde er die Zeit mit ihr genießen und danach wieder seiner Wege gehen. Wie immer.

„Mad Ron“, berichtigte er ernst und blockierte zwei Typen, die an die Bar drängten, mit seinem Körper, damit er Saoirse ihren Drink reichen konnte.

Sie nahm das Cocktailglas und nickte ihm zu.

Eine Mad-Ron-Margarita. Hatte er seit Jahren nicht mehr getrunken. Er würde sie bis zum letzten Tropfen genießen!

Saoirse trank langsam einen Schluck, schloss die Augen. Ihre Zungenspitze kam zwischen den rosigen Lippen hervor, leckte die Salzkristalle ab, die daran hafteten. Rhythmische Salsa-Musik dröhnte durch die Bar, aber Santi hätte schwören können, dass Saoirse wohlig aufseufzte. Zu spät merkte er, dass er sich auch die Lippen leckte. Santi hakte einen Daumen hinter die Gürtelschnalle seiner Jeans und räusperte sich. Ojos de ángel.

„Da hatte jemand wohl einen Drink nötig“, meinte er.

„Ich ertränke meinen Kummer nicht in Alkohol.“ Der scharfe Unterton war nicht zu überhören. „Aber ich verliere heute einen großartigen Partner.“

„Joe?“ Was offensichtlich war, doch im Augenblick war sein Gehirn nicht zu Geistesblitzen fähig.

„Genau der.“ Sie hob ihr Glas wie zu einem Toast. „Ich nehme an, dass Sie deswegen hier sind.“

Er nickte. „Joe erwähnte die Party, als wir Diego einluden.“ Saoirse gegenüber, um ehrlich zu sein, aber er hatte kein Geheimnis daraus gemacht, oder?

Sie brauchte nicht zu wissen, dass er sich wappnete, um lange überfällige Brücken zu bauen. Das Mad Ron’s lag nur einen Steinwurf von der Familien-Bodega entfernt. Dieses Mal wollte er lange genug in seiner Heimatstadt bleiben, um seine Fehler wiedergutzumachen. Höchste Zeit, nicht nur vorbeizufahren, sondern an die Tür zu klopfen.

„Wie ist Ihre Geschichte?“, fragte er, um sich abzulenken. „Sie sind weit weg von zu Hause.“

„Stimmt.“ Sie blickte sich um, doch der Anflug von Besorgnis in ihren leuchtend blauen Augen entging ihm nicht. Das Mädchen rückte nicht gern Informationen heraus. Nein, nicht Mädchen, sondern Frau. Eine Frau mit sinnlichen Kurven, von denen er gern jede einzelne erforscht hätte. Aber sie schien ihm nicht der Typ für die schnelle Nummer in einer dunklen Seitengasse zu sein. Und er wäre der letzte Mensch auf Erden, der sich für eine feste Beziehung anbieten würde.

Alles gute Gründe, die Finger von ihr zu lassen!

„Sie passen nach Miami.“

Das trug ihm einen spöttischen Blick ein. Und eisiges Schweigen.

Was hatte ihn geritten, das zu sagen? Nach einem Rettungseinsatz am Straßenrand und einer Margarita war ihm völlig klar, dass sie nichts mit den pata sucia gemein hatte, mit denen er aufgewachsen war … aufgebrezelte, unersättliche Nachtschwärmer, die bis zum Morgengrauen durch die Clubs tanzten. Kein Lippenstift, kein Lipgloss könnte den Rosenknospenmund dieser Frau verschönern. Eine natürliche Schönheit, die kein Make-up nötig hatte.

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte sie schließlich. „Halten Sie mich für eins der betagten Nordlichter, die ihre müden Knochen unter Floridas Sonne aufwärmen?“

„Wohl kaum.“ Santi lachte. „Ich habe bestimmt nicht an Rentner gedacht. Wie lange Sie auch immer in Miami sind, es hat auf Sie abgefärbt. Im guten Sinn“, betonte er und lächelte, als sie sich wieder suchend umsah. Wahrscheinlich nach ihrer Freundin.

Santi nutzte die Gelegenheit, sie von Kopf bis Fuß ausgiebig zu betrachten. Kurzes weißblondes Haar, sonnengeküsste Schultern, ein paar Sommersprossen. Über dem locker fallenden Tanktop trug sie ein Denim-Latzhosenkleid, etwas, das keine Frau auf der Suche nach einem Partner anziehen würde. Allerdings enthüllte der kurze Rock sonnengebräunte lange Beine. Flipflops, keine High Heels. Was Santi nicht überraschte. In Miami waren sie ein Muss. Saoirses Zehennägel waren pechschwarz lackiert. Interessant. Sie war eher der Typ für Pastelltöne. Der unförmige Overall, der dunkle Nagellack … Er fragte sich, ob sie ihre Weiblichkeit bewusst herunterspielte.

„Hören Sie schon auf zu glotzen“, murmelte sie. „Ich bin nicht gut darin, all diese amerikanischen Komplimente anzunehmen.“

Santi lachte schallend. „War das ein amerikanisches Kompliment? Was hätte ein Ire gesagt?“

„Tja …“ Gedankenverloren strich sie mit dem Zeigefinger über ihre volle Unterlippe, und mit Santi ging die Fantasie durch. Er stellte sich vor, sie zu berühren, erst mit dem Finger, dann mit dem Mund und einen Hauch von Salz und Limette auf den weichen Lippen zu schmecken … Nur mit Mühe vertrieb er die erotischen Bilder.

„Wahrscheinlich würden sie gar nichts Nettes sagen“, meinte sie schließlich mit einem breiten Lächeln. „Höchstens irgendetwas Entmutigendes über das Wetter. ‚Hat der Regen dir noch nicht die Stiefel ruiniert?‘ So in der Art. Oder ‚Was auf Gottes grüner Erde hast du getan, dass du nach Irland zurückkommen musst, wenn du in Amerika sein könntest, wo den ganzen Tag die Sonne scheint, wo du Erdnussbutter haben kannst und der Himmel weiß was noch alles, während wir hier zu viele Gedichte über den Regen haben und nicht einen einzigen Topf Gold am Ende des Regenbogens, möge Gott ihn segnen …‘“

Ihre Blicke trafen sich, und wieder passierte es, dieses Gefühl, nicht loslassen zu können, versinken zu wollen in den Augen des anderen. Saoirse brach den Blickkontakt so schnell, dass Santi sich fragte, ob sie es auch gespürt hatte.

„Wissen Sie, was man hier sagt?“, unterbrach er das angespannte Schweigen, um sie und sich abzulenken – und nebenbei ein bisschen mehr über sie zu erfahren. „Richtig dazugehört nur, wer einen Hurrikan überlebt hat. Sind Sie schon lange genug hier, dass Sie eine Saison mitgemacht haben?“

„Bei meiner Ankunft tobte einer in der Gegend“, entgegnete sie fast stolz. „Fast hätten sie den Flieger umgeleitet.“

„Anscheinend haben Sie den Sturm überstanden.“

„So ungefähr.“

Ene, mene, mu … und raus bist du! Ihr Tonfall unterstrich, was ihre Augen ihm bereits verraten hatten. Die Unterhaltung war beendet.

Sie hob ihr Glas in einer Danke-für-den-Drink-Geste und verschwand in der Menge.

Santi blickte auf seine Margarita und war versucht, sie in einem Zug hinunterzustürzen. Er ließ es bleiben. Er wollte nicht mit einer Fahne auftauchen, wenn er zum ersten Mal seit Ewigkeiten seine Brüder wiedersah. Unwillkürlich sah er auf seine Uhr, als könnte sie ihm die Jahre zusammenzählen, die seit der letzten Begegnung vergangen waren. Sein Kopf war anscheinend noch nicht wieder klar, nachdem er die irische Rose von Miami Beach getroffen hatte …

Okay. Santi stellte sein halbvolles Glas an der Bar ab. Zeit zu handeln.

Er verließ die Cantina und setzte seinen Halbschalenhelm auf – der den Wind hereinließ und den Salzgeruch des Ozeans, wenn Santi die Dammstraße zu den Florida Keys entlangbrauste. Es war seine vertraute Strecke, wenn er nachdenken musste, und er war schon oft hier entlanggefahren, seit seiner Rückkehr in die USA vor vier Monaten! Gebucht hatte er einen Flug nach Boston … wahrscheinlich, um das unvermeidliche Treffen hinauszuzögern. Aber wenn er die Sache anging, wollte er alles richtig machen. Fünfzehn Jahre komplizierte Familiengeschichte ließ sich nicht über Nacht richten.

Santi blickte zum Abendhimmel hinauf, als könnten ihm die blitzenden Sterne eine Antwort funken. Was machte es so schwierig, sich mit seiner Familie auszusöhnen?

Er schwang sich auf sein Motorrad, trat kraftvoll auf den Anlasser, und die starke Maschine erwachte dröhnend zum Leben. Zuverlässig hatte sie ihn die Küste entlang in den Süden getragen. Unterwegs übernahm er immer mal wieder einen Job als Sanitäter. Er hätte in jede Notaufnahme marschieren und sofort anfangen können. Als Arzt in Krisengebieten und an vorderster Front kam er mit jedem Notfall klar. Aber er bereute die Entscheidung, sich zum Sanitäter zu „degradieren“, nicht. Im Gegenteil. Er wollte als einer der Ersten vor Ort sein, helfen, bevor es zu spät war.

Eine Wiedergutmachung für alles, was er versäumt hatte?

Welcher Mann wandte sich von seinem jüngeren Bruder ab, wenn der ihn am meisten brauchte? Und ließ seine älteren Brüder im Stich, die sich die größte Mühe gaben, mit der schwierigen Situation fertigzuwerden?

War er zu jung gewesen für zu viel Verantwortung? Oder einfach ein Feigling?

Mal sehen, ob anderthalb Jahrzehnte bei den Marines einen richtigen Mann aus ihm gemacht hatten!

Santi schaltete rasch in den höchsten Gang und nahm Kurs auf Little Heliconia, die Gegend, in der er geboren und aufgewachsen war. Hier lauerten mehr Gespenster der Vergangenheit als irgendwo sonst in der Welt. Und er hatte nicht wenige Höllenlöcher gesehen …

Santi erreichte die vertraute Abzweigung, hielt an, die Lederstiefel auf dem Asphalt, während er mit sich rang: Abbiegen oder nicht? Hinter ihm ertönte eine Hupe, und er war versucht, sein Bike aufzubocken und dem Fahrer eine kleine Lektion in Sachen Höflichkeit zu erteilen. Zwei Sekunden zu warten, brachte niemanden um. Sein Herz machte einen Doppelschlag.

Jedenfalls nicht in dieser Situation.

Er atmete tief durch, setzte den Blinker und fuhr um die Kurve.

Im Haus am Ende der Gasse brannte Licht, aber zu sehen war niemand. Santi hielt im Schatten der Dunkelheit knapp zwanzig Meter davor an, schaltete den Motor aus und nahm den Helm ab. Die Geräusche der Nacht hüllten ihn ein, das Schnarren der Laubfrösche, das unablässige Zirpen der Grillen, untermalt vom sanften Rauschen der Wellen, die ans Ufer schlugen. Sein pochendes Herz jedoch übertönte alles. An die zwanzigmal war er hier bestimmt schon vorbeigefahren.

Heute hatte er zum ersten Mal angehalten.

„He, Dante! Vergiss nicht wieder, Orangenlimo auf die Einkaufsliste zu schreiben! Wir haben keine mehr.“

Santi erstarrte, als er die Stimme seines älteren Bruders hörte. Der raue, grimmige Klang katapultierte ihn augenblicklich in der Zeit zurück zu jenem Moment, der alles für immer verändert hatte. Santi konnte sich nicht einmal erinnern, warum sie alle zusammen im Geschäft gewesen waren. Alltäglich eben. Der Befehl, sich auf den Boden zu werfen, war jedoch alles andere als das. Weniger als eine Minute später erlosch das Familienglück wie eine Kerze im Wind.

„Nicht mein Fehler. La fea ist schuld.“

Santi unterdrückte ein Lachen. Sie nannten sich untereinander immer noch „der Hässliche“?

„Hört auf, Jungens, und geht wieder an die Arbeit. Ich will nicht den ganzen Abend hier verbringen.“

„Keine Sorge, Carmelita. Wir bringen dich pünktlich zu deiner Telenovela nach Hause.“

No seas tonto!“, tadelte Carmelita über die Schulter gewandt, während sie an der Hintertür auftauchte. „Ich weiß, wie man Filme aufnimmt, ich kenne mich mit moderner Technik genauso gut aus wie ihr.“ Sie schlug einen kleinen Flickenteppich aus. Eine Staubwolke verteilte sich im Licht der Straßenlampe und hatte kaum Zeit, sich zu setzen, bevor Carmelita mit dem nächsten Läufer auftauchte. Ihre energische Tatkraft hatte die Brüder durch die dunkelsten Tage ihres Lebens gerettet. Sie mochte nicht mit ihnen blutsverwandt sein, aber sie war die einzige Familie, die sie nach jenem Tag noch hatten.

„Carmelita, gib sie mir. Ich mache das schon.“

Ihm zog sich der Magen zusammen, als Santi sah, wie sein jüngerer Bruder neben ihre Adoptivtante trat. Er lehnte sich auf seinem Motorrad zurück, ließ sich noch weiter von der Dunkelheit verschlucken.

Wie einem dreijährigen Kleinkind tätschelte Carmelita mit ihrer pummeligen Hand Alejandros bartstoppelige Wange. „Du bist ein guter Junge, Alejandro, aber ich bin noch keine alte Frau. Du arbeitest hart genug in deinem Krankenhaus. Wie deine Brüder.“

Wortlos nahm Alejandro den nächsten Teppich und schlug ihn aus.

Santi schnürte sich die Kehle zu, und er musste gegen einen emotionalen Brecher ankämpfen, der über ihm zusammenzuschlagen drohte.

Alejandro hatte sich verändert. Was nicht verwunderlich war, hatte er seinen kleinen Bruder doch zuletzt als Teenager gesehen. Schon damals ein gut aussehender Junge, war aus ihm ein attraktiver, selbstbewusster Mann geworden, der mit gut 1,85 ungefähr genauso groß war wie er. Nichts davon hatte er Santi zu verdanken. Er hatte ihn im Stich gelassen, als der Kleine ihn am meisten brauchte.

Santi fluchte unterdrückt vor sich hin … und fluchte noch einmal, als Alejandro sich bei dem Laut umdrehte.

Nein. Nicht heute Abend. Es ist noch zu früh.

Er drehte den Schlüssel um, trat den Kickstarter herunter, und der Motor heulte auf. Das satte Brummen, die schnellen Schaltungen in den höchsten Gang und das Kreischen der Reifen auf dem Asphalt konnten die Gedanken nicht ausblenden, als er aus der Gasse jagte, in der Kurve das Knie fast am Boden. Ohne zu zögern, raste er zu den Brücken des Overseas Highways, um zu den Keys zu gelangen und wieder klar denken zu können.

2. KAPITEL

„Hör auf, den Tisch zu treten! Was hat er dir getan?“

Amanda lächelte ihre Freundin an, und Saoirse zog ihren Stiefel zurück, ohne dem Empfangstresen der Notaufnahme einen zweiten Tritt zu verpassen.

„Ich bin’s leid zu warten. Wo bleibt der Kerl?“

„Aha!“ Amandas Augen blitzten hoffnungsvoll, und sie beugte sich mit verschwörerischer Miene über den Tresen. „Dein neuer Partner ist also ein Mann. Weißt du, ob er Single ist? Ich fasse es immer noch nicht, dass du bei dem Typen auf Joes Abschiedsparty nicht mit der Sprache herausgerückt bist. Muy guapo. So einen heißen Kerl und dazu noch alleinstehend, findest du nicht alle Tage, Murph. Du hättest zuschlagen sollen.“ Sie imitierte eine Katze, die sich mit ausgestreckten Krallen die Beute holte, und sah dabei hinreißend aus.

„Schluss jetzt!“, wies Saoirse sie trotzdem in die Schranken. „Vielen Dank, aber ich werde mein kleines Problem außerhalb der Arbeitszeit lösen.“

„Ich sag ja nur, Bittsteller können nicht wählerisch sein. Gestern Abend hattest du eine tolle Chance, bis du …“ Amanda machte eine Kunstpause. „… gekniffen hast!“

„Blödsinn! Und ich bin keine Bittstellerin“, fügte sie trotzig hinzu.

„Klar. Erzähl das der Abschiebepolizei.“ Amanda zog ihr Handy aus der Kitteltasche, scrollte durch das Menü, fand, was sie suchte, und hielt Saoirse das Display unter die Nase.

Ein Kalenderblatt. Als bräuchte sie eine visuelle Erinnerung daran, dass ihre Tage hier gezählt waren!

„Drei Monate, Murph. Drei Monate, um einen Helden zu finden, der bereit ist, dir einen Ring an den Finger zu stecken.“

„Wie oft soll ich dir das noch sagen? Ich will nicht heiraten. Ich will auch keine Beziehung, sondern eine Greencard. Nicht mehr und nicht weniger!“

„Ach, komm.“ Ihre Freundin knuffte sie in den Arm. „Warum schlägst du nicht ein paar Fliegen mit einer Klappe, angelst dir einen attraktiven Typen und erledigst dein Aufenthaltsproblem gleich mit?“

„Es reicht. Ich habe genug um die Ohren, als dass ich Zeit hätte, mir jemanden zu suchen, der eine arme Immigrantin heiratet, deren Ex sich dafür zu schade war.“

„Und was ist das? Was hast du um die Ohren, das wichtiger sein könnte als genau das – in Anbetracht deiner Lage?“

„Also … zum Beispiel, dass mein Partner endlich auftaucht, damit wir Einsätze fahren können!“

„Amanda?“ Eine Männerstimme unterbrach ihre Diskussion. „Wissen Sie etwas über die Kopfverletzung in Kabine drei?“

„Ja, Dr. Valentino. Die Patientin wurde gerade gebracht …“

Saoirse bekam nicht mehr mit, was sie noch sagte, weil der Arzt neben ihr die volle Aufmerksamkeit beanspruchte. Ein Latinotyp, von der heißen Sorte. Hochgewachsen, dunkles Haar. Nicht rabenschwarz wie Santis und kürzer, akkurat geschnitten, wie ein erfolgreicher Geschäftsmann es tragen würde. Wer war das? Ein Chefarzt? Auf jeden Fall anspruchsvoll, ein Alphamann, wie er im Buche stand.

Nicht ihr Fall, allerdings. Keiner dieser verwegenen Männer, auf die sie stand. Santi kam ihr in den Sinn, groß, schlank, lässig, durchtrainiert. Das schwarze Haar etwas länger, am Nacken leicht gewellt.

Saoirse verdrängte die Erinnerung. Sie hatte nicht vor, sich alle Einzelheiten von gestern Abend einzuprägen. Verstohlen warf sie dem elegant gekleideten Mann einen Seitenblick zu. Was sein Aussehen betraf, war er eher Gentleman als Gaucho. Er hatte jedoch die gleiche breitschultrige, athletische Statur wie ihr Typ. Nun ja, nicht „ihr Typ“ im üblichen Sinn, aber … Du weißt schon, was ich meine. Dunkelbraune Augen, eine Stimme wie warme Schokolade.

Ihr Blick glitt zu den Doppeltüren, als sie automatisch aufschwangen und praktisch eine Kopie des Mannes neben ihr hereinmarschierte. Je näher er kam, umso deutlicher wurden die Unterschiede, aber auch, dass die beiden verwandt sein mussten. Mit jemandem, den sie erst gestern Abend ausgiebig betrachten durfte. Die gleiche karamellbraune Haut, hohe Wangenknochen, espressobraune Augen … Saoirse war versucht, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und nach goldenen Flecken zu suchen.

„Amanda, was für ein Gesindel lässt du heutzutage in deine Notaufnahme?“, rief er, während er dem Arzt am Tresen mit einer typisch männlichen Kinnbewegung bedeutete, ihm zu folgen. „Komm her, Rafe! Ich brauche deinen Verstand!“, schallte seine tiefe Stimme quer durch den Wartebereich.

„Zwei Valentinos sind besser als einer!“ Amanda reichte ihm eine Krankenakte und zwinkerte Saoirse dabei zu, wie um sie darauf aufmerksam zu machen, dass beide Männer keinen Ehering am Finger trugen.

Oh, himmlische Güte! Saoirse betrachtete heimlich die beiden atemberaubenden Klone, die über die Patientendaten gebeugt in ein Gespräch vertieft waren. Amanda hingegen tat wie die personifizierte Unschuld. Zweifellos hatte sie ihre Mission gefunden: Wir suchen für Saoirse einen Mann, damit sie in Miami bleiben kann!

Natürlich gab es andere Möglichkeiten, aber eine Ehe war die einfachste von allen. Nicht zu vergleichen mit den bürokratischen Hürden, die einen schon mal in die Knie zwingen konnten.

Dennoch musste sie ihrer Freundin zugestehen, dass sie wenigstens etwas unternahm, was man von ihr selbst nicht behaupten konnte. Saoirse wunderte sich, dass Amandas Telefon noch nicht qualmte, nach all den SMS, die sie verschickt hatte, um diese männlichen Prachtexemplare am Empfang zu versammeln.

Allerdings schenkten sie ihr nicht die geringste Beachtung.

Was ihr einen kleinen Stich versetzte.

Okay, mehr als einen kleinen …

Sie sahen toll aus, hatten Klasse, waren Ärzte! Klug und gebildet, der Leichtigkeit nach zu urteilen, mit der sie sich komplizierte Fachausdrücke zuwarfen. Männer wie diese waren wie geschaffen dafür, Familien zu gründen. Mit Babys, die das umwerfende Aussehen, die Kraft und die Intelligenz ihrer Väter erben würden.

Babys …

Das Wort schlug ihr auf den Magen wie eine verdorbene Enchilada-Füllung.

Sie konnte keine Kinder bekommen. Ihr Verlobter hatte sie deshalb am Altar stehen lassen. Wie sollte sie da erwarten, dass sich einer dieser atemberaubenden Männer überhaupt für sie interessierte?

Saoirse zupfte am Kragen ihrer Uniform, weil er ihr plötzlich zu eng vorkam. Verrückt! Als wäre die Begegnung mit Mr. Leckerbissen gestern nicht gemein genug gewesen, servierte das Schicksal ihr auch noch zwei Varianten des Mannes, der sie die halbe Nacht wach gehalten hatte, weil sie nicht aufhören konnte, an ihn zu denken. Dabei hätte sie sich ausruhen, gut schlafen müssen, bevor sie heute ihren neuen Einsatzpartner kennenlernte. Der Ärmste hatte es nicht verdient, mit einer übernächtigten Kollegin klarkommen zu …

Sie traute ihren Augen nicht, als die Türen zur Notaufnahme aufglitten und die Hauptperson ihrer nächtlichen Überlegungen auf der Bildfläche erschien. Santi sah sich in dem weitläufigen Wartebereich um, entdeckte Saoirse und lächelte. Dann glitt sein Blick zu den beiden Ärzten in ihrer Nähe. Das Lächeln verschwand, er machte abrupt kehrt und marschierte wieder nach draußen zu den Krankenwagen.

Saoirse sauste los, um ihn einzuholen, hörte nur mit halbem Ohr Amanda etwas von Papieren rufen.

„Hey!“, rief sie, als sie an ihrem Rettungswagen vorbeilief, hinter Santi her. „Was ist Ihr Problem?“

„Das könnte ich Sie auch fragen.“ Er wirbelte herum, die Hände in die Seiten gestemmt, der durchtrainierte Körper angespannt, als erwarte er einen Faustkampf.

„Wovon reden Sie?“

„Warum waren die bei Ihnen?“

„Was? Wer? Meinen Sie die beiden Spiegelbilder?“ Sie warf einen Blick über die Schulter, als würden sie wie von Zauberhand plötzlich neben ihr auftauchen.

„Sie kennen sie nicht?“

Santi musterte sie so intensiv, dass sie sich unbehaglich fühlte. Sie starrte zurück … und auf einmal ging ihr eine Stalllaterne auf.

Der Mann trug eine Uniform. Die gleiche wie sie.

„Sind Sie hier, um in Ambulanz 23 zu arbeiten?“

„Ja. Woher wissen Sie das?“

„Das ist nicht Ihr Ernst, oder?“

„Keine Ahnung, was Sie meinen.“

„Klar, natürlich nicht.“ Oh, Amanda würde demnächst eine ziemlich wütende SMS bekommen. Saoirse tippte auf ihr Namensschild. „Klingelt da nichts?“

Jetzt fiel auch bei ihm der Groschen. „Einen Namen haben sie mir nicht genannt. Nur die Nummer des Krankenwagens.“ Er wippte auf den Fersen, die herrlich muskulösen Arme vor der Brust verschränkt. „Sie sind mein neuer Partner?“

„Geben Sie sich keine Mühe, erfreut zu wirken!“, fuhr sie ihn an. Dabei war sie eher auf Amanda sauer als auf den scharfen Typen, mit dem sie ihren Dienst verbringen würde. Die hatte die ganze Sache eingefädelt, ganz bestimmt! Aber diese Kuppelei ging ihr zu weit. Amanda wusste genau, was im letzten Jahr passiert war. Und auch, dass es immer noch wehtat.

Saoirse seufzte schwer. Na gut, bringen wir es hinter uns. Was blieb ihr auch anderes übrig?

Sie holte die Schlüssel aus der Tasche und klingelte kurz damit. Als Santi danach griff, zog sie rasch den Arm weg. „Ich fahre!“

„Ich dachte, ich leite die Einsätze.“

„Nicht bei dieser Kiste.“

Santi lachte. „Sieh an, sieh an, da redet jemand tough.“

„Ich bin tough.“ Sie warf ihm einen warnenden Blick zu. „Sie können mir gern Ratschläge erteilen, wenn es nötig ist. Und im Moment ist es das nicht!“

Er nickte nur.

„Lassen Sie uns anfangen, okay? Sie sind spät dran, und ich muss Sie erst in alles einweisen, bevor wir starten können.“

„Ja, Ma’am.“ Santi salutierte, aber seine Augen blitzten amüsiert.

„Ich mache keine Spielchen.“ Saoirse presste die Lippen zusammen, um die Flut unerwünschter Bilder einzudämmen, die seine gespielte Unterwürfigkeit erzeugte. Eine Reitgerte war dabei und ein unvorschriftsmäßiges Krankenschwestern-Outfit. Nicht dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hatte … aber das hatten sie und … dieser vor Männlichkeit strotzende Kerl, der sie gerade spöttisch betrachtete, auch nicht.

„Genau wie ich.“ Ein Blick in seine Augen, und sie begriff, dass er es ernst meinte. „Geht es Ihnen darum, wer von uns beiden wichtiger ist, oder können wir anfangen zu arbeiten?“

Wortlos wandte sie sich ab und kletterte in die Fahrerkabine. Saoirse schloss die Tür lauter als notwendig.

Verdammt, warum ließ sie sich von dem Mann provozieren?

„Sie sind nicht gerade ein Fan von Tempolimits, oder?“, brach Santi das Schweigen, nachdem sie eine geschlagene Viertelstunde stumm nebeneinander im Wagen gesessen hatten.

„Ich glaube, Sie wollten sagen: ‚Bewundernswert, Murphy, wie Sie den Wagen durch den dichten Verkehr lenken. Tut mir leid, dass ich zu spät gekommen bin und Sie die Zeit aufholen müssen, damit wir pünktlich zu unserem Einsatzgebiet kommen!‘“

„Absolut. Genau das wollte ich sagen.“ Er grinste, musste sich aber im nächsten Moment mit einer Hand am Armaturenbrett abstützen, weil sie wieder ohne auf die Bremse zu treten in die Kurve ging. „Üben Sie für die Rennstrecke?“, stieß er hervor, wahrscheinlich um die Stimmung aufzulockern.

„Sie sagen es“, antwortete sie mit unverändert grimmiger Miene. „Ich habe drei Rennen am Samstag und lasse mich von jemandem wie Ihnen nicht davon abbringen, unter die ersten drei zu kommen!“

„Ernsthaft?“ Er stützte sich mit beiden Händen ab und wandte sich ihr zu. Nicht dass sie ihn angesehen hätte. Ihre Augen blieben fest auf die Straße gerichtet.

„Darüber mache ich keine Witze.“

Täuschte er sich, oder klang ihre Stimme milder?

„Was für Rennen?“

„Pony-Cars“, nannte sie die Sportcoupés, die auf den Ford Mustang zurückgingen und über starke 8-Zylinder-Motoren verfügten. „Sie sind kleiner als Muscle-Cars, aber sie verlangen dem Fahrer mehr ab, wenn es um Geschicklichkeit am Steuer geht!“ Sie hatte einen Fernsehreporter nachgeahmt, fügte ein paar Soundeffekte hinzu und lächelte zum ersten Mal an diesem Tag.

„Respekt.“ Santi stieß leise einen anerkennenden Pfiff aus. Sie war also ein Geschwindigkeitsjunkie. Das war echt sexy! Er stellte sich Saoirse im Rennfahrer-Overall vor. Der Ausdruck feuerfeste Unterwäsche bekam plötzlich eine völlig neue Bedeutung! Santi verdrängte die erotischen Fantasien und sah auf ihre Hände. Sie hielt das Lenkrad mit beiden fest. Sichere Bewegungen, kein lässiges Lenken mit zwei Fingern.

„Sie möchte ich in Aktion sehen!“

Sie sah ihn schräg von der Seite an. „Was meinen Sie damit?“

„Autorennen. Was dachten Sie denn?“

„Nichts“, entgegnete sie etwas zu hastig. Zarte Röte breitete sich auf ihren Wangen aus. „Überhaupt nichts.“

Santi blickte aus dem Seitenfenster, um sein Lächeln zu verbergen. Palmen und Fast-Food-Buden flogen vorbei, flüchtige Bilder im Rausch der Geschwindigkeit. Aus dem Augenwinkel nahm er eine andere Bewegung wahr, blonde Strähnen, die hin und her schwangen. Saoirse hatte kurz den Kopf geschüttelt, schien mental einen Strich unter unwillkommene Gedanken zu machen.

Gut so. Genau das würde er auch tun. Santi hatte das Gefühl, dass die Arbeit mit Sanitäterin Murph ein willkommener Gegenpol zu den persönlichen Problemen war, mit denen er sich gerade herumschlug.

„Die beiden Typen …“, begann Saoirse zögernd. „Also die in der Notaufnahme vorhin … sind Sie mit denen verwandt?“

Santi fuhr es kalt den Rücken hinunter, und wieder veränderte sich die Atmosphäre in der Fahrerkabine. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, die familiären Bande zu leugnen, bis er alles in Ordnung gebracht hatte. Aber er konnte nur mehr Schaden anrichten, wenn seine kleine Notlüge den Weg aus diesem Fahrzeug nach draußen fand und seinen Brüdern zu Ohren kam.

„Wie kommen Sie darauf?“

Sie schnaubte undamenhaft, bevor sie mit perfekt modulierter Miami-Partygirl-Stimme antwortete: „Ich habe diese Dinger im Kopf, die man Augen nennt, und ich habe sie benutzt und eins und eins zusammengezählt. Für mich sieht es so aus, als hätten Ihre Eltern mehr als ein Kind in die Welt gesetzt. Was ist los? Die beiden scheinen feine Chirurgen zu sein, und Sie wissen auch mehr als ein Notfallsanitäter. Warum die Herabsetzung?“

„Das müssen Sie gerade fragen! Sie sind doch keine gewöhnliche Sanitäterin.“

„Ich war Säuglingsintensivschwester“, gab sie widerstrebend zu.

„Betrachten Sie sich als deklassierte Fachkrankenschwester?“

Der Punkt ging an ihn. „Überhaupt nicht.“ Es hatte einfach zu sehr wehgetan, auf der Station zu bleiben. All die süßen kleinen Babys … Sie umklammerte das Lenkrad fester. „Als ich hierherzog, dachte ich nur, ich könnte mich besonders nützlich machen, indem ich einen Rettungswagen fahre.“

„Dito.“

„Aber das erklärt noch nicht, warum Sie nicht Hi gesagt haben. Ich meine, das sind doch Ihre Brüder, oder?“

„Qué?“

„Sie haben mich verstanden. Ich habe Ihren Blick gesehen, Sie konnten nicht schnell genug von der Bildfläche verschwinden. Was haben Sie getan? Ihnen ihr Lunchgeld geklaut oder einen von ihnen auf den Kopf fallen lassen, als er noch ein Baby war?“

Santi hieb die geballte Faust gegen die Tür. No está el horno para bollos! Jetzt war nicht der Moment für Witze! „Mit Ihnen möchte ich niemals Dart spielen, chica.“

„Immer mit der Ruhe, Tiger … Wollte nur wissen, mit wem ich es im Dienst zu tun habe.“

Das klang nach einer lässigen Entschuldigung, doch er las in ihren Augen, wie erschrocken sie war. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie mit quietschenden Reifen gewendet und auf schnellstem Weg ins Krankenhaus zurückgefahren wäre, um einen neuen Partner zu verlangen. Vor Wut auf etwas einzuschlagen, war nicht sein Stil, aber sie hatte nun einmal gezielt, ausgeholt und mitten ins Schwarze getroffen! Hatte er doch seinen Brüdern das Leben schwerer gemacht, als es nach dem Mord an den Eltern ohnehin schon war. Seit fünfzehn Jahren trug er diese Schuld mit sich herum, und langsam drohte sie ihn zu ersticken.

„Sensibles Thema.“

„Was Sie nicht sagen“, murmelte sie, drosselte die Geschwindigkeit und schwenkte auf einen Strandparkplatz ein. Sie brachte den Rettungswagen zum Stehen, löste den Sicherheitsgurt und drehte sich im Sitz ihm zu, sah ihm direkt in die Augen. „Okay, dies ist meine Ambulanz …“

„Nein, nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin der Seniorpartner. Mir wurde gesagt, dass Sie noch in der Ausbildung sind.“

„Reine Formalität.“ Das klang angriffslustig.

„Nicht, wo ich herkomme.“

„Und wo ich herkomme“, betonte sie, „bedeutet es nichts Gutes, wenn der sogenannte Seniorpartner verrücktspielt. Wenn wir also nicht Richtung Desastertown fahren wollen, habe ich das Sagen. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber ich brauche diesen Job. Ohne würde ich durchdrehen, und Sie helfen mir nicht gerade, Ruhe zu bewahren. Also, heraus mit der Sprache.“

„Was?“ Nicht die geistreichste Antwort, aber sie kaufte ihm ein paar Sekunden Zeit.

„Tun Sie nicht so. Da gibt’s einiges zu erzählen, und wie sagt Ihr Amerikaner so schön? Besser draußen als drinnen? Also, spucken Sie’s aus, damit wir Ihren Bullshit aus diesem Wagen bekommen und uns auf unseren Job konzentrieren können.“

„Sie wollen meinen Bullshit?“

Mit großen Augen starrte sie ihn an und brach in helles Gelächter aus. „Sicher doch.“ Sie grinste spitzbübisch. „Fragen Sie mich nicht, warum, aber geben Sie ihn mir. Ich bin der Bullshitmaster.“

Santi schüttelte den Kopf. Die Frau hatte eine Meise. Aber ihr verrückter Humor gefiel ihm. Er lehnte sich gegen die Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und wog Pro und Kontra ab: Mitspielen oder nicht?

„Und? Machen Sie’s im Vegas-Style?“

Sie rümpfte die Nase. „Wahrscheinlich meinen Sie damit nicht, in Champagner zu baden und sich zwischen Satinlaken zu aalen?“

Daran hatte er zwar nicht gedacht, aber jetzt, wo sie’s sagte …

„Wonach immer Ihnen auch ist, chica.“

Santiagos lässige Antwort und wie er ihr dabei zuzwinkerte … Saoirse wurde warm, und ihre Haut kribbelte, als hätte er sie berührt. Sie hatte Schwierigkeiten, sich nichts anmerken zu lassen, während sie ihm einen spöttischen „Träum weiter“-Blick zuwarf.

Erst dann begriff sie.

Sie war die Einzige gewesen, die beim Stichwort Vegas in Gedanken lustvolles Bettgeflüster heraufbeschworen hatte. Vegas-Style bedeutete, dass man sich die einzelnen Komponenten eines Drinks getrennt servieren ließ, damit der Barkeeper bei der Alkoholmenge nicht schummeln konnte. Das eine vom anderen zu trennen – danach hatte ihr heißer Partner gefragt. Nicht mehr und nicht weniger!

„Sie meinen, was in diesem Wagen gesagt wird, bleibt in diesem Wagen?“

„Exakt.“ Santi verzog die vollen Lippen zu einem selbstzufriedenen Lächeln.

Saoirse tippte mit den Fingern ungeduldig aufs Lenkrad. „Könnten Sie sich ein bisschen beeilen und mir endlich erzählen, was Sie so empfindlich und mädchenhaft …“

„Hey!“ Protestierend hob er beide Hände. „Eins wollen wir mal klarstellen. In diesem Wagen ist nur Platz für eine princesita, und das bin nicht …“

Sie sah ihn finster an und zog die Finger über die Lippen, als wollte sie einen Reißverschluss schließen. Ihre Prinzesschen-Zeit war vorbei, hatte sie ihr doch nichts als Liebeskummer und Einsamkeit beschert. Unwillkürlich fasste sie sich an den Nacken, spürte die kurzen Haare unter den Fingerspitzen. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte ihr das dichte lange Haar bis zur Taille gereicht. Saoirse sah auf, direkt in Santis Augen. Dem belustigten Ausdruck darin nach zu urteilen, genoss er ihr Unbehagen in vollen Zügen!

Typisch männliche Überheblichkeit! Gebaut wie ein griechischer Gott, strotzte der Kerl nur so vor Selbstbewusstsein. Dagegen immun zu sein, fiel ihr nicht leicht. Allein, wenn er sie mit seinen dunklen Augen ansah, wurde ihr heiß, und ihre Fantasie gaukelte ihr alle möglichen erotischen Bilder vor.

Aber das brauchte er nicht zu wissen! „Es reicht“, sagte sie entschieden. „Heraus mit der Sprache.“

„Wissen Sie was, Murphy? Sie wären richtig gut als Erpresserin. Oder in einem gnadenlosen Verhör. Haben Sie jemals überlegt, umzusatteln und …“

Sie tat sein Ablenkungsmanöver mit einer energischen Handbewegung ab.

„Okay, Sie haben mich erwischt. Das sind meine Brüder.“

Triumphierend reckte Saoirse die Faust in die Luft und traf auf ein unbarmherziges Wagendach. „Au! Ich wusste es.“ Sie schüttelte die Hand aus und inspizierte ihre Fingerknöchel. „Ich wusste es“, wiederholte sie, nur um klarzumachen, dass sie hier die Sache in der Hand hatte. „Und was sind Ihre Eltern? Ärzte oder Models?“

„Tot.“

Entsetzt über sich selbst wurde Saoirse knallrot. Das hatte sie nun von ihrem losen Mundwerk! Ihre Eltern waren der einzige Grund gewesen, warum sie sich nicht von der nächsten Klippe gestürzt hatte, als ihr Hochzeitstag in einer unerträglichen Demütigung endete.

„Das tut mir so leid. Ich hatte ja keine Ahnung, Santi.“

„Schon okay. Woher sollten Sie es auch wissen?“ Seine Stimme klang wie die eines Roboters. Saoirse verstand ihn sehr gut. Sie konnte den Namen ihres Exverlobten kaum aussprechen, ohne in Tränen auszubrechen. Und der Mann lebte und erfreute sich bester Gesundheit.

Santis warnender Blick jedoch verriet, dass er kein Mitleid wollte. Also schluckte sie die mitfühlenden Worte hinunter und fragte: „Erst kürzlich verstorben?“ Wenn sein letztes Jahr auch schrecklich gewesen war, dann hätten sie endlich etwas gemeinsam.

„Nein. Sie wurden vor zwanzig Jahren in unserer … Familien-Bodega getötet. Ein Raubüberfall, der schiefging, wie er nur schiefgehen kann, wenn Waffen im Spiel sind.“

Saoirse sagte nichts, ließ ihn reden. Aber die Kälte in seiner Stimme jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken.

„Mein jüngerer Bruder Alejandro bekam auch eine Kugel ab. Ich habe mich um ihn gekümmert, während unsere älteren Zwillingsbrüder – die Sie vorhin kennengelernt haben – Medizin studierten. Sobald ich achtzehn war, bin ich zu den Marines gegangen. Habe fünf Einsätze hinter mir. Jetzt bin ich wieder da. So, da haben Sie Ihre Geschichte. Zufrieden?“

Er bestimmt nicht, seiner Miene nach zu urteilen!

„Also, ich will ja nicht pingelig sein, aber irgendwie haben Sie ausgelassen, warum Sie vorhin Fersengeld gegeben haben.“

„Wir haben uns eine Weile nicht gesehen.“

So wie er die Lippen zusammenpresste, war „eine Weile“ stark untertrieben. Saoirse winkte ihm mit dem Zeigefinger ein „Heraus damit!“ zu, insgeheim überrascht, wie viele Informationen sie ihm bereits entlockt hatte. Zu dumm, dass sie ihrem Verlobten nicht stärker auf den Zahn gefühlt hatte, als sie ihm erzählte, dass sie keine Kinder bekommen könnte, und er daraufhin sagte, es mache ihm nichts aus. Wie blöd war sie gewesen, ihm das zu glauben?

„Ich war sehr lange im Ausland stationiert. Nach fünfzehn Jahren kommt man nicht einfach auf ein ‚Hallo!‘ vorbei.“ Santi ballte die Faust und schlug sie in die ausgestreckte Handfläche der anderen Hand. „¡Vámonos! Ich weiß nicht, ob Sie’s schon gehört haben, aber mein ‚Boss‘ ist ein kleiner Sklaventreiber. Sie sind dran!“

Mehr würde sie aus ihm nicht herausholen. Allerdings war es mehr, als sie erwartet hatte. Ein irischer Mann hätte auf der Stelle Reißaus genommen und wäre in den grünen Hügeln verschwunden, wenn sie ihn zwingen wollte, über sich zu reden. Was eine Erklärung dafür sein mochte, dass ihr Verlobter den entscheidenden Moment vor dem Altar gewählt hatte, um „Nein, ich kann nicht“ statt „Ja, ich will“ zu sagen. Dabei wusste er genauso lange wie sie, dass sie unfruchtbar war, und hatte in all den vier Wochen nicht ein einziges Mal angedeutet, dass er die Hochzeit absagen könnte.

„Erde an Sär-schie!“

Warum konnte niemand ihren Namen richtig aussprechen? Sier-schah, Sier-schah, Sier-schah – was ist daran so schwer?

Saoirse warf Santi einen entnervten Blick zu und griff nach dem Funkgerät, das gerade zu plärren anfing.

„Es heißt Murphy“, zischte sie, bevor sie ranging. „Ambulanz 23, bitte kommen.“

„Wagen 23, wir haben einen drei Monate alten Säugling mit Fieber und Atemproblemen.“ Es folgte die Adresse.

„Verstanden.“ Sie unterbrach die Verbindung, nickte ihrem ernsten Partner flüchtig zu und startete den Motor. Santi schaltete Sirene und Blaulicht ein.

Für Lebensbeichten war jetzt keine Zeit.

3. KAPITEL

„Da ist sie.“ Santi deutete auf das Ende der Häuserreihe, wo eine Frau mit einem Baby im Arm über den Rasen des Vorgartens rannte.

Sekunden später hielt Saoirse neben der panischen Mutter.

„Checken Sie ihn durch, ich mache die Ausrüstung startklar“, befahl sie, bevor sie aus dem Wagen sprang und die Hecktüren aufriss.

„Ich dachte, Sie sind noch in der Ausbildung. Je mehr Erfahrung, umso besser.“

„Eben.“ Da schwang nicht der professionell energische Unterton mit, den er von gestern an ihr kannte, sondern ein anderer, ungewohnt gefühlvoller. Interessant. Aber der Geschichte, die sich dahinter verbarg, musste er ein andermal auf den Grund gehen. Santi riss sich das Stethoskop vom Hals und sprang aus dem Wagen.

„Mein Baby atmet nicht! Bitte helfen Sie meinem kleinen Jungen!“ Mit ausgestreckten Armen hielt sie ihm das Kind hin.

Obwohl es sehr blass war, hatte es noch leicht Farbe in den Wangen, ein Hinweis darauf, dass der Körper Sauerstoff aufnahm. Santi horchte die Brust ab und hörte deutlich ein Rasseln während der hastigen, gequälten Atemzüge des Kleinen.

„Wie heißt er?“

„Carlos, wie sein papi. Ich bin Maria-Rose.“

„Das ist ein guter, starker Name für einen Jungen.“ Santiago nahm ihn auf die Arme. In Fällen wie diesen war es viel wert, wenn man die Eltern beruhigen konnte. „War Carlos erkältet, Maria-Rose?“ Er wickelte das Kind aus der Decke und hoffte, keinen Ausschlag an dem schmalen Körper zu finden. Die Wangen des Jungen glühten jetzt, und er gab keinen Laut von sich.

Seine Mutter schüttelte den Kopf. „Nein, aber er war lethargisch, hat die ganze Nacht mehr gewimmert als geschrien. Und seine Zunge ist bläulich, sehen Sie?“

Sanft öffnete Santi den kleinen Mund und entdeckte bläuliche Verfärbungen nicht nur an der Zunge, sondern auch auf der Innenseite der Lippen. „Wir versorgen Ihren Sohn mit Sauerstoff.“ Rasch stellte er Fragen zur medizinischen Vorgeschichte, zu Impfungen, eventuellen Problemen bei der Geburt und nach weiteren Symptomen in den letzten Tagen.

„Dass er so ruhig ist, hat ungefähr gestern angefangen.“ Nervös knetete sie ihre Hände.

Bei kleinen Kindern spielte der Zeitfaktor eine große Rolle. Es war klug gewesen, sofort den Notdienst zu verständigen.

„Also nicht mehr als vierundzwanzig Stunden? Okay. Haben Sie nach seiner Geburt irgendwelche Reisen unternommen?“ Wieder presste er das Stethoskop auf die kleine Brust. Santi vermutete eine Lungenentzündung.

Die Mutter verneinte stumm.

„Gut. Und Sie? Waren Sie während der Schwangerschaft verreist?“ Nach allem, was er gehört hatte, hatten sich viele Frauen unwissentlich mit dem Zika-Virus angesteckt. Santiago betastete den Kopf des Säuglings, doch der fühlte sich normal an.

„Machen Sie Witze?“ Temperamentvoll hob sie die Arme. „Wir sparen jeden Cent, den wir übrig haben, für Carlos und seine Ausbildung.“

Wie seine Eltern. Hatten auf so vieles verzichtet, damit ihre Kinder alles haben konnten …

„Okay. Gab es Probleme mit der Nahrungsaufnahme?“

„Santi?“ Saoirse winkte ihn zum Wagen. „Was brauchen Sie?“

Sein Gehirn wechselte vom Infosammel- in den Aktionsmodus. „Highflow-Sauerstoffbeatmung, Amoxicillin …“

„Haben Sie ihn auf Allergien gecheckt?“, unterbrach sie ihn scharf, aber nicht vorwurfsvoll.

„Ja. Allergien sind der Mutter nicht bekannt.“ Er nahm den Sauerstoffschlauch, den sie ihm reichte, und klebte ihn behutsam auf dem kleinen Gesicht fest. „Injizieren Sie das Antibiotikum bitte in die Infusionslösung? Bis wir im Krankenhaus Kulturen angelegt haben, wissen wir natürlich nichts Genaues, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es eine Lungenentzündung ist.“

„Sehen Sie das hier?“, sagte sie mit gesenkter Stimme.

Santi blickte genauer hin und nickte schließlich. Ausschlag. „Haben Sie Objektträger dabei? Es muss nichts heißen, doch wir könnten es mit einer invasiven Pneumokokken-Infektion zu tun haben.“

„Sepsis?“ Sie gab ihm eins der länglichen Glasplättchen.

„Vielleicht.“ Er presste die klare Seite auf die Haut des Jungen. „Sie wird weiß. Ein gutes Zeichen.“

„Schließt eine Sepsis jedoch nicht aus“, flüsterte sie, wohl weil die Mutter sich den Hals reckte, um zu hören, was sie sagten.

„Stimmt. Legen wir einen intravenösen Zugang, und dann ab die Post!“

„Jipp. Ich will nur noch die Fontanelle checken, dann können wir starten.“

Während Santi den Zugang legte, um das kranke Kind mit Flüssigkeit zu versorgen, musste er sich eingestehen, dass sein Respekt vor Saoirse gewachsen war. Mit ihrer Erfahrung als Intensivschwester in der Säuglingspflege war sie weitaus kompetenter als ein gewöhnlicher Sanitäter in der Ausbildung.

Er hätte gern gewusst, welche Geschichte dahintersteckte …

„Was meinen Sie?“, fragte Santi, nachdem sie den Kopf des Babys untersucht hatte.

„Keine Spannung, keine Schwellung. Also hoffentlich keine Meningitis.“ Saoirse hoffte, dass ihre Miene professionell war und nicht verriet, wie es in ihr aussah. „Okay, Maria-Rose. Möchten Sie reinspringen, und wir bringen Ihren kleinen Mann für ein paar Tests ins Seaside Hospital?“

Als sie die Türen zuschlug, fiel ihr Blick auf Santi. Ein Bild von Mann, umwerfend attraktiv. So würden ihn die meisten sehen. Aber sie spürte, dass sich hinter dem atemberaubenden Äußeren mehr verbarg: ein erfahrener Sanitäter, aufmerksam, konzentriert und wild entschlossen, sein Bestes für das winzige Kind auf der Liege zu tun.

Er sorgt sich.

Santi war voll dabei. Kein Angeber, der eine Show abzog, sondern jemand, auf den sie sich verlassen konnte. Saoirse schwang sich hinters Steuer und schaltete lächelnd die Sirene ein. Vielleicht war ihr neuer Partner doch nicht so schlecht …

„Bitte sehr, Murph. Hier ist dein ‚Ich habe eine Woche mit Santi überlebt‘-Café Cubano.“

Skeptisch betrachtete Saoirse die kleine Tasse. „Der wird mich doch nicht die ganze Nacht wach halten?“ Sie schnupperte kurz daran. „Was genau ist das?“

„Nach einem harten Arbeitstag – und den hattest du, mija – gibt es kaum etwas Himmlischeres als einen Café Cubano!“ Er schnipste lässig mit den Fingern und lächelte triumphierend.

Saoirse neigte den Kopf, als nehme sie in einem Stadion voller begeisterter Fans jubelnden Applaus entgegen. „Teamwork, Valentino. Teamwork ist das A und O.“

Sie meinte es ernst. Seit einer Woche fuhren sie zusammen Rettungseinsätze und arbeiteten Hand in Hand, als würden sie sich ein Leben lang kennen. Längst duzten sie sich, und tatsächlich machte ihr die Arbeit mit ihm großen Spaß. Dass er umwerfend aussah, tupfte noch ein Sahnehäubchen auf den Kuchen!

„Hier.“ Er reichte ihr eine geöffnete Flasche Wasser. „Nimm einen Schluck, um den Gaumen zu reinigen, und trink dann den Cafecito.“

„Mann, Mann, hier macht aber einer auf Mr. Exotico.“

„Sagt ausgerechnet die irische Elfe von Miami Beach!“

„Was auch immer.“ Saoirse lehnte sich auf der Holzbank zurück und musterte ihn. Sein Aussehen mochte exotisch sein, aber wenn er Englisch sprach, klang es akzentfrei wie jeder waschechte Amerikaner. Und wenn er mit spanischsprachigen Patienten redete, hatte er dabei auch diesen weichen Latin-Lover-Unterton? Saoirse konnte einfach nicht ignorieren, wie toll der Mann aussah. Dieser sinnliche Mund, das tintenschwarze Haar und ein Körper zum Dahinschmelzen …

Gut, dass sie nur Kollegen waren.

Sie sah zu ihm hinüber und gleich wieder weg. „Wo kamen deine Eltern her?“, wagte sie sich vorsichtig erneut in die trüben Gewässer seiner Familiengeschichte.

„Aus Heliconia. Einem kleinen Inselstaat dort draußen …“ Santi deutete auf das Meer, das sich hinter dem Krankenhaus erstreckte.

„Und du warst noch klein, als sie hier ankamen?“

„Das war vor unserer Geburt.“ Seine Augen wurden ausdruckslos.

„Deiner und der deiner Brüder?“, stellte sie fest, was längst gesagt worden war.

Santi nickte knapp, ohne sie anzusehen, und stürzte seinen Kaffee hinunter. Eine Woche lang hatte er kein Wort über seine Brüder verloren, und es schien, als wollte er es dabei belassen.

„Richtig!“ Der kleine Pappbecher segelte in den Abfallkorb. Die Lässigkeit, mit der Santi traf, verriet, dass er nicht zum ersten Mal am Café-Cubano-Becher-Weitwurf teilnahm! „Ich finde, wir haben genug über mich gehört. Warum gehen wir nicht wieder rein und fragen nach, ob wir einen Krankentransport oder so übernehmen können? Vielleicht nach Buena Vista. Die Privatkliniken haben bessere Kantinen.“

„Hört sich gut an.“ Saoirse wusste, wann Schluss war. Sie hatte selbst einen Schrank voller Geheimnisse, der aus den Fugen zu geraten drohte. Wozu noch bei anderen Leuten nachbohren? Sie leerte ihren Kaffeebecher so, wie sie es bei Santi gesehen hatte, und keuchte auf, als der starke dunkle Kaffee ihr Nervensystem attackierte. „Janey Mac! Was hast du mit mir vor?“ Finster starrte sie ihn an. „Sollen mir Haare auf der Brust wachsen oder was?“

Santi warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Wie immer beim Klang seines tiefen, warmen Lachens musste sie lächeln. Da streckte er unerwartet die Hand aus, strich mit dem Zeigefinger über ihr Kinn und hob es an, bis sich ihre Blicke trafen.

„Eins musst du mir glauben, dulzura …“ Trotz des hellen Mittagssonnenscheins beschwor seine seidige, verführerische Stimme Bilder von heißen tropischen Nächten herauf, und prickelnde Schauer rannen Saoirse über den Rücken, als sie Santi in die Augen sah. „Es gibt absolut nichts, was ich an dir ändern möchte.“

Seine Worte tanzten über ihre Haut, als würde er sie mit sanften Fingerspitzen streicheln. Ein erregendes Glücksgefühl breitete sich tief in ihr aus. Saoirse konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt sie sich so weiblich und begehrenswert gefühlt hatte. Ganz bestimmt nicht, als ihr Verlobter sie vorm Traualtar stehen ließ!

Da zwinkerte Santi ihr zu, ein anerkennendes Blitzen in den glutvollen dunklen Augen, und wieder durchrieselte es sie heiß. Es gefiel ihr, dass sie ihn zum Lachen gebracht hatte, nachdem er gerade eben noch verschlossen vor sich hin gestarrt hatte. Aber wenn sie nicht aufpasste …

Saoirse dachte den Gedanken nicht zu Ende, brach den Blickkontakt und fuhr sich durch das kurze blonde Haar. „Na, komm, Schnarchnase. Holen wir uns den Transfer.“

„High five!“

„Warum?“ Saoirse zog ein frisches Laken auf die Rollliege, bevor die Kollegen der nächsten Schicht den Wagen übernahmen.

„In einer spektakulären Aktion einen Nachtschwärmer gerettet …“ Santi zählte an den Fingern ab. „Obwohl du in den Abflussgraben steigen musstest und jetzt zum Himmel stinkst.“ Theatralisch hielt er sich kurz die Nase zu und setzte seine Auflistung fort: „Zwei Einsätze am Strand, eine Armfraktur, fachmännisch geschient von mir selbst, natürlich, und eine Kopfverletzung, die du bewundernswert fein genäht hast. Das nenne ich einen guten Tag mit ALSA.“

Schwungvoll sprühte Santi ein Desinfektionsmittel auf die Innenseiten der Türen und wischte mit einem blauen Papiertuch sorgfältig nach, bevor er zurücktrat, um das gemeinsame Werk zu bewundern.

„Wer ist Alsa?“ Saoirse verließ den Wagen, nachdem sie die Vorräte aufgefüllt hatte, und stellte sich neben Santi, die Arme vor der Brust verschränkt, leicht breitbeinig, die Hüften vorgeschoben – und genauso angetan wie er.

„Nummer 23, klingeling! Was hast du bei deinem weisen Ausbilder eigentlich gelernt? Advanced Life Support Ambulance.“ Er drückte ihr sanft den Ellbogen in die Rippen. „So werden die Wagen genannt, kleine Miss Irland.“

„Joe war einer von der alten Schule und hat nicht ständig in Abkürzungen gesprochen. Nicht ALSA hier oder EMT dort“, versuchte sie die Tatsache zu überspielen, dass sie seit zweieinhalb Monaten Krankenwagen durch die Gegend kutschierte, ohne das Kürzel zu kennen. „Ihr Amis gebraucht ständig irgendwelche Abkürzungen, die werde ich nie alle lernen. Nicht dass ich …“ Sie unterbrach sich, als wollte sie vermeiden, etwas Persönliches zu sagen.

„Nicht dass du sie in Irland nicht genauso nennen würdest?“, neckte er sie.

„Keine Ahnung.“ Verblüfft sah sie ihn an. „Ich habe einfach Rettungswagen gesagt. Zu Hau… in Irland habe ich nicht dringesessen.“

Aha.

„Ich vermute mal, dass du nicht über Nacht so eine Spitzenklasse-Sanitäterin geworden bist.“ Ein Kompliment konnte nicht schaden, wenn man jemandem Informationen entlocken wollte. „Sagtest du nicht, du wärst in der Pädiatrie gewesen?“

Natürlich wusste er verdammt gut, dass sie das nicht gesagt hatte. Aber sie hatte seine Story gehört, da war es nur fair, dass die irische Rose auch mal von sich erzählte.

„Säuglingsintensivpflege“, stieß sie hervor, schnappte sich die Papierrolle, die er noch in der Hand hielt, und marschierte zum Umkleideraum.

Santi blickte ihr nach, hörte, wie sie Schranktüren aufriss und wieder zuknallte und dabei irgendetwas vor sich hin murmelte.

Anscheinend war er nicht der Einzige, dem das Leben wunde Punkte verpasst hatte. Andererseits gab es wohl kaum jemanden jenseits der dreißig, der nicht ein Päckchen mit sich herumschleppte. Wie alt sie war, hatte er heute Morgen zufällig erfahren, als sie sich darüber beschwerte, jedes Mal ihren Personalausweis zeigen zu müssen, wenn sie sich einen Drink bestellte. Nach dreißig sah sie wirklich nicht aus, während man seinem Gesicht die dreiunddreißig Jahre durchaus ansah, wie er fand.

Er stieß einen dumpfen Seufzer aus. Die Erfahrungen der letzten Zeit hatten sich zusätzlich zu dem, was er im Alter von dreizehn Jahren erleben musste, tief in ihn eingegraben. Die Eltern zu verlieren und fast auch noch einen seiner Brüder, das hatte ihn geprägt in einer Phase seines Lebens, in der Gleichaltrige sich höchstens wegen ihrer Akne und Schulnoten Sorgen machten.

Der Einsatz in Krisengebieten hatte ihn zudem gelehrt, dass überall und jederzeit etwas Schlimmes passieren konnte. Inzwischen wusste er, dass seine Familie nicht erklärtes Ziel gewesen war. Man hatte sie nicht ausgesucht, weil sie zu viel besaßen, zu glücklich waren oder den amerikanischen Traum lebten. Nein, sie waren Opfer eines Versehens geworden, einer Mutprobe von Gangmitgliedern, die für eine andere Bodega gedacht war. Auch wenn sie damals eine Welt zerstört hatten, die bis heute nicht richtig gekittet war – es hätte jedem passieren können.

Und was Saoirse betraf, erahnte er hinter dem hitzigen, kämpferischen Auftreten eine Traurigkeit, die ihm nicht gefiel.

„Hey!“, rief er ihr zu, als sie aus dem Umkleideraum auftauchte. „Lust auf eine Margarita bei Mad Ron?“

Sie betrachtete ihn, wie um herauszufinden, ob seine Einladung einen Haken haben könnte. Dabei spitzte sie die Lippen, bewegte sie nachdenklich hin und her. Bestimmt hatte sie nicht vor, ihn anzutörnen, aber der Anblick ließ ihn nicht kalt. Vielleicht war es doch keine gute Idee, mit ihr einen trinken zu gehen.

„Klar, warum nicht?“, antwortete sie, als er gerade einen Rückzieher machen wollte. „Ich muss nur noch mal kurz zu Amanda.“ Sie hielt ihren Rucksack so vorsichtig in den Händen, als wäre er aus Glas.

„Okay.“ Er folgte ihr, während sie loslief. „Ich komme mit, und wir starten von dort. Wie wär’s mit einem Ritt auf meiner Maschine? Einen zweiten Helm habe ich dabei.“

Ihre Augen leuchteten auf. „Nur wenn du versprichst, die längere Strecke zu nehmen.“

Er spürte, wie ein glückliches Lächeln ihm die Mundwinkel hochzog. In Miami gab es nicht viele Frauen, die sich hinter ihm auf sein Motorrad schwingen würden – aus Angst um ihre Frisur.

„Für dich, mija? Schon versprochen.“ Santi streckte die Handfläche zu einem High five aus, und als Saoirse einschlug, schloss er die Finger um ihre. Für Außenstehende musste es aussehen, als hielte ein normales Paar Händchen. Was gäbe er nicht für ein bisschen Normalität? Anstelle des Gefühls zu ersticken … an einem Ort, der ihm vertraut sein sollte wie kein anderer auf der Welt.

Er blickte nach rechts. Vielleicht war es dies, was er gebraucht hatte, als er beschloss, seinen Militärdienst zu quittieren und sich seiner Vergangenheit zu stellen. Auch wenn es nur wenige Sekunden waren, in denen er Saoirses Hand hielt, so fühlte er sich … frei. Unbelastet von allem, was die Heimkehr nach Hause so schmerzlich machte. Ein Mount Everest an Problemen lag vor ihm.

Vielleicht war Saoirses Anwesenheit in seinem Leben wie ein überlebensnotwendiger Sauerstofftank, um diese Bergtour in Angriff zu nehmen? Das Atmen würde ihm endlich leichter fallen.

Saoirse entzog ihm ihre Hand und hoffte, dass er nicht merkte, wie nahe sie einer Panikattacke war!

Solange sie über Medizin, über Motorräder oder ihre anstehenden Rennen redeten, was alles in Ordnung. Aber wenn Santiago sie berührte und ihr Herz anfing zu zittern, das machte ihr Angst.

Kumpel, Kollegen … alles gut.

Herzklopfen, Kribbeln im Bauch … schlecht.

Muy schlecht, wie Santi sagen würde.

Vielleicht sollte sie einfach akzeptieren, dass ihr Visum bald ablief. Es war zwar nicht gerade das, was sie sich erträumte, doch zu Hause in Irland musste sie kein Doppelleben führen. Das gesamte Dorf, in dem sie aufgewachsen war, wusste, dass Tom sie abserviert hatte und dass sie keine Kinder bekommen konnte. Natürlich würden sie gelegentlich hinter vorgehaltener Hand tuscheln und ihr mitleidige Blicke zuwerfen, während sie das Dasein einer alten Jungfer fristete.

Keine berauschende Vorstellung!

Was dann? Ins Kloster gehen? In ganz Irland rissen sich die Klöster um Krankenschwestern, die bereit waren, die alternden Mitglieder ihrer Ordensgemeinschaft zu pflegen. Saoirse kniff kurz die Augen zusammen, um ein Bild von sich in Nonnentracht heraufzubeschwören.

„Was ist los?“ Santi betrachtete sie fragend.

Oh, oh. Dem Mann entgeht aber auch nichts.

„Bin ganz deiner Meinung … was den Tag angeht. War wirklich nicht schlecht.“ Saoirse schoss buchstäblich ins Gebäude, froh über die kühle Luft aus der Klimaanlage, die ihre erhitzten Wangen streifte. „Du kannst ruhig hier warten, ich sehe mal nach, wo Amanda …“

„Hey, da bist du ja!“ Amanda tauchte neben ihr auf und griff nach dem Rucksack. Sie trug ein Strandkleid und darunter offensichtlich einen Bikini, wie die dünnen, geknoteten Bänder am Nacken verrieten. „Es ist heiß heute. Kommst du mit schwimmen, bevor James sich das hier mal ansieht?“

„Also, ich …“ Weiter kam Saoirse nicht.

„Ups, tut mir leid, geht doch nicht. James hat gesagt, dass er heute ein Schwimmen à deux möchte. Freuden der Ehe!“ Sie schwenkte die Hand mit dem Ehering vor den beiden und tippte dann mit dem Zeigefinger auf Saoirses Rucksack. „Alles drin?“

„Ja.“ Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihr ganzes Leben in diesem grünen Rucksack steckte und Santiago Zeuge der Übergabe wurde. Unwillkürlich packte sie das Gepäckstück fester.

Santi lachte auf. „Du meine Güte, Murphy! Du machst ein Gesicht, als wolltest du Staatsgeheimnisse übergeben.“

Saoirse suchte in ihrem gelähmten Gehirn verzweifelt nach einer lässigen Antwort, als Amanda einsprang.

„Nicht ganz, Santiago!“, meinte sie lächelnd. „Die Wahrheit ist, dass wir jemanden brauchen, der unsere irische Rose heiratet, weil sie sonst in wenigen Monaten in ihre Heimat zurückverfrachtet wird. Wie du sicher weißt, ist sie mit einem Ausbildungsvisum hier, und sobald der Kurs beendet ist … ab nach Irland! Mein Mann ist Fachanwalt für Einwanderungsrecht. Er will sich ihre Papiere einmal ansehen. Vielleicht findet er einen Weg, ihr Visum zu verlängern. Aber wie auch immer, die Uhr tickt. Da sie einfach nicht nach Irland zurückkann, müssen wir ihr eine Greencard ermöglichen. Und zwar fix. Am besten über …“ Amanda legte eine bedeutsame Pause ein. „… eine Blitzheirat.“

„Hast du sie nicht mehr alle?“ Saoirse war das Blut aus dem Gesicht gewichen.

„Meinst du wirklich Murphy?“ Santi zeigte auf Saoirse, sah jedoch Amanda an. „Was hat sie angestellt, dass sie nicht wieder nach Hause kann? Ein Kapitalverbrechen begangen?“

„Nein, aber was ihr Exverlobter verbrochen hat, kommt dem ziemlich nahe.“

Fassungslos sah Saoirse von einem zum anderen. Die beiden plauderten über die dunkelsten Stunden ihres Lebens, als redeten sie über die neueste Folge einer Daily Soap!

„Was hat er gemacht?“ Santi tätschelte kurz ihre Schulter. So wie er ein Kind trösten würde, dem gerade das Eis auf den heißen Bürgersteig gefallen war, nachdem es nur einmal daran geleckt hatte.

Saoirse warf ihm einen warnenden Blick zu. „Ich glaube nicht, dass dich das irgendetwas angeht.“

Keiner schien daran interessiert, dass sie sich an der Unterhaltung beteiligte!

„Er hat die wunderschöne, errötende Braut am Traualtar stehen lassen“, verkündete Amanda in aller Dramatik, zu der sie fähig war. „Und wenn du mich fragst, sollte er dafür in den Knast!“

„Ich wiederhole mich: Bist du völlig verrückt geworden?“ Saoirses Wangen glühten vor Scham. Das hier war mindestens ebenso demütigend wie der Moment, in dem ihr Ex sein Jawort geben sollte, die Hochzeitsgesellschaft ansah, den Priester und schließlich sie … und schnurstracks aus der Kirche marschierte, als hätte sie die Pest.

Es war ja nicht so, dass ihr Warzen und ein Bart gewachsen waren. Sie konnte ihm nur keine Kinder schenken.

Saoirse schluckte. Nein, sie würde nicht weinen … unter keinen Umständen, niemals … und vor allem nicht vor Santi!

„Wie lange hast du noch?“ Santiago blickte ihr in die Augen.

„Warum? Was hat das mit dir tun?“

„Nun ja, ich wollte anbieten …“ Achselzuckend wandte er sich an Amanda. „Aber da Murphy die Idee anscheinend so abstoßend findet …“

Was?

„Ich hätte allerdings nichts dagegen.“

Moment mal! Hatte sie richtig gehört? Ihr Gehirn schien mit der Verarbeitung nicht hinterherzukommen.

„Nein, nein, nein“, wimmerte sie leise, bevor sie es verhindern konnte. Sicher wollte sie mehr als alles andere hier in Miami bleiben, aber doch nicht mit … mit … Mr. Perfect!

„Ach, hör nicht auf Murphy. Wir sind einverstanden“, flötete Amanda charmant. „Sie ist zurzeit ein bisschen …“ Sie hakte sich bei Santi auf der einen und auf der anderen Seite bei Saoirse unter und zog die beiden mit sich in die laue Abendluft hinaus. „… schüchtern, was Beziehungen betrifft.“

„Ist mir nur recht.“ Santi ignorierte, dass Saoirse ihn wütend anstarrte. „Ich hatte nicht vor, jemals zu heiraten. Da kann ich mir doch ein paar Pluspunkte beim besten Partner verdienen, den ich je im Rettungswagen hatte.“

„Könnte sein, dass ich dein letzter Partner bin!“, drohte sie. Wie konnte er nur so … arrogant sein?

„Nur zum Mitschreiben“, meldete sich Amanda wieder zu Wort. „Damit meiner lieben Freundin Soor-scheh …

„Murphy reicht!“

„Wie ich sagen wollte, bevor ich so grob unterbrochen wurde … damit meiner lieben Freundin Sier-schah nicht wieder das Herz in Stücke gerissen wird, muss alles streng geschäftlich bleiben. Deshalb, Santiago, hier die große Preisfrage: Warum ist eine Blitzheirat ohne emotionale Bindungen etwas für dich?“

Nahezu erleichtert beobachtete Saoirse, wie ihm das Lächeln verging. Endlich! Die Wirklichkeit hatte ihn eingeholt. Klar, sie brauchte eine Aufenthaltsgenehmigung, aber doch nicht mit Hilfe eines Mannes, in den sie sich so leicht verlieben könnte!

„Na ja …“, begann Santi gedankenvoll, lächelte dann jedoch nonchalant. „Wie ich schon sagte, kann es nie schaden, sich bei der Chefin einzuschmeicheln.“

Das kannte sie bei ihm schon. Erst ernst und nachdenklich, und dann – zack! – von einer Minute zur anderen Santi, den Clown spielen!

Hatte sie diese Maske nicht oft genug selbst aufgesetzt, sich und anderen etwas vorgemacht, bis alle es glaubten? Um sich nicht anmerken zu lassen, wie es in ihr aussah?

„Okay.“ Sie stieß ihm den Zeigefinger gegen die breite Brust. „Du. Ich. Mad Ron’s. Sofort!“

„Unsere kleine Lady hat gesprochen!“ Begeistert, als würde sie sie in die Flitterwochen verabschieden, scheuchte Amanda sie von dannen.

„Wo ist dein Motorrad?“

„Da drüben, bei den Rettungswagen.“

„Gut. Können wir …“ Saoirse unterdrückte eine Welle der Übelkeit, die ihren Magen überschwemmte. „… unterwegs einfach die Klappe halten?“

„Hier, zieh die an.“ Santi streifte seine Lederjacke ab und hielt sie Saoirse hin.

„Behalt sie, ich brauche deine Hilfe nicht. Weder in Leder noch sonst wie!“

„Dir ist kalt, das sehe ich doch. Komm schon.“ Er bedeutete ihr, sich umzudrehen, damit er ihr hineinhelfen konnte. Wie ein fürsorglicher Ehemann …

Dios.

„Ich bin kein hilfloses Weibchen!“ Sie entriss ihm die Lederjacke und schob die Arme in die Ärmel.

„Du wiederholst dich.“

Saoirses wütende Reaktion auf seinen Vorschlag, sie zu heiraten, löste tief in ihm etwas aus. Etwas, das nicht zu dem Bild passte, das er von sich hatte.

Das eines Mannes, auf den man nicht zählen konnte. Einer, der abtauchte, wenn man ihn brauchte.

Aber je länger er darüber nachdachte, umso fester stand sein Entschluss. Er wollte dies, unbedingt!

Warum? Weil es eine Chance wäre, sich und anderen zu beweisen, dass er nicht irgendwann das Weite suchte? Dass er blieb, weil es wichtig war?

Er sah Saoirse an, die in der Lederjacke fast verschwand, und plötzlich tat es gut, sie zu umsorgen, auf sie zu achten. ¡Vale! Ja, es wäre zur Abwechslung mal ein gutes Gefühl, verlässlich zu sein, jemand, an den man sich anlehnen konnte.

Feldärzte standen permanent unter hohem Druck, und je mehr Männer er verlor, umso schwerer fiel es, Abstand zu halten und unbeirrt seinen Job zu machen. Das passierte jedem, der tagtäglich in der Hölle lebte.

Deshalb war er zurückgekommen. Er hatte zu viele Särge nach Hause schicken müssen. Wollte nicht riskieren, dass er selbst im Grab landete, bevor er seinen Brüdern gestehen konnte, welchen Mühlstein er mit sich durch die Weltgeschichte geschleppt hatte. Schwere Schuldgefühle, von denen er lange nicht wahrhaben wollte, dass sie Löcher in seine Seele nagten.

Wenn er Saoirse heiratete, konnte er nicht so schnell wieder die Flucht ergreifen. Er würde lange genug bleiben, um sich mit seinen Brüdern auszusöhnen – und bei der Gelegenheit vielleicht etwas mehr Sonnenschein in die Augen einer gewissen irischen Elfe zaubern!

Er griff nach dem Reißverschluss, um die Jacke zu schließen, doch der temperamentvolle Blondschopf schlug ihm die Hand weg. „Das kann ich allein!“

„Gut.“ Santi nahm den zweiten Helm und setzte ihn ihr auf, stoppte dabei mit den Ellbogen ihren Versuch, ihn selbst zuzumachen. „Den Verschluss checke ich“, betonte er. Er sah ihr intensiv in die Augen, während er die Schließe einrasten ließ, und zog zur Sicherheit noch einmal an den Bändern, um zu überprüfen, ob sie richtig saßen.

Während sie ihn unverwandt wütend anstarrte, konnte er ein Lächeln kaum unterdrücken.

„Sind wir fertig?“ Ungeduldig tappte sie mit dem Fuß.

„Noch nicht.“ Santi ließ sich Zeit, sie zu betrachten.

Tropisch blaue Augen, blitzend vor Unmut. Der zierliche Körper in der viel zu großen Lederjacke angespannt. Fedrige blonde Haarsträhnen, die unter dem schwarzen Helm hervorlugten. Santi konnte nicht anders, er umfasste ihr Kinn und küsste sie kurz auf die rosigen Lippen.

„Jetzt sind wir fertig“, sagte und küsste sie gleich noch einmal.

Ohne ihre Reaktion abzuwarten, schwang er sich auf seine Maschine und startete den Motor. Das satte Grollen übertönte, was auch immer Saoirse ihm an den Kopf warf …

Keiner sagte ein Wort, aber Saoirses Körpersprache dröhnte lauter als jede Stimme. Santi musste grinsen, als er merkte, wie seine Sozia sich an seinem Gürtel festhielt, um nicht die Arme um ihn schlingen zu müssen. Absichtlich ging Santi an der nächsten Kurve etwas mehr in Schräglage, in der Hoffnung, dass sie sich dann an ihn klammern würde.

Keine Chance.

Sie griff hinter sich und hielt sich mit beiden Händen am Gepäckträger fest.

Schade.

Santi widerstand dem Impuls, ihr beruhigend den Oberschenkel zu tätscheln, und schaltete stattdessen einen Gang höher. Hatte sie nicht gesagt, dass sie schnelle Dinge liebte?

Oder liebte sie es schnell? Was immer auch gerade hier passierte, es überwand mit atemberaubender Geschwindigkeit die Mauern, die Santi um seine Gefühlswelt errichtet hatte. Santi hatte nicht vor, der Frau ein Leben in süßen Ehefreuden zu schenken, es sollte mehr eine gute Tat sein, aber …

Er fluchte unterdrückt. Es war eine Chance, oder? Die Chance zu beweisen, dass man sich auf ihn verlassen konnte.

Wie vorhin versprochen, fuhr er die längere Strecke zu Rons Cantina. Obwohl er ziemlich sicher war, dass Saoirse angesichts der jüngsten Entwicklung lieber ohne Umweg zu ihrer Margarita wollte!

Während er den Wind im Gesicht spürte und die letzten Strahlen der Sonne auf den Armen, ein Lächeln auf den Lippen, gefiel ihm die Aussicht, Saoirse zu heiraten, immer besser. Keine einsamen Abende mehr. Es wäre nett, jemanden zu haben, mit dem zusammen er essen und plaudern könnte, vor allem, wenn es ihnen gelang, den unbefangenen, humorvollen Umgang miteinander wiederzubeleben, der ihre Arbeitszeiten prägte.

Saoirse rammte mit dem Kinn seinen Rücken, als er an einem Stoppschild etwas zu scharf abbremste. Sofort stieß sie ihm auch noch den Zeigefinger in die Seite.

Santi lächelte zufrieden.

Zumindest das eheliche Gezänk beherrschten sie schon recht gut!

4. KAPITEL

„Auch wenn ich mich wiederhole … Du bist ein Engel!“

„Sí, mija“, entgegnete der Mittvierziger hinter dem Tresen trocken. „So heiße ich.“

„Nein, du bist wirklich ein Schutzengel“, fügte sie hinzu, während sie unter der Barklappe hindurchschlüpfte, um auf Ángels Seite zu gelangen. „Für Frauen wie mich, die sich hinter der Bar verstecken müssen, bis sich eine Gelegenheit bietet, um unauffällig durch den Hinterausgang zu verschwinden.“ Saoirse klimperte mit den Wimpern und sah ihn bittend an.

„Wer will hier verschwinden?“ Santi beugte sich über den Tresen und genoss es sichtlich, seine „Verlobte“ auf der Flucht zu erwischen. „Komm her, Frau“, fügte er im besten Caveman-Ton hinzu. „Wir haben eine Hochzeit zu planen!“

Durfte sie es sexy finden, wenn ein durchtrainierter heißer Typ ihr befahl, zu ihm zu kommen?

Nein! Tausendmal nein, nein und nochmals nein!

Trotzdem … Nachdenklich schürzte sie die Lippen, als sie Santi von ihrem Zufluchtsort hinter der Bar aus ansah. Wie schnell würde es gehen, sich ein Cavewoman-Outfit zu besorgen?

„Ihr wollt heiraten?“ Ungläubig blickte Ángel von einem zum anderen und musterte Santi, als hätte er gerade die mieseste Entscheidung des Jahrhunderts getroffen.

„Hey, was ist so verwunderlich daran, dass mich jemand heiraten möchte?“, begehrte Saoirse auf.

„Aha! Dann willst du mich also heiraten.“ Santi grinste zufrieden.

„Ihr seid beide verrückt.“ Ángel schüttelte den Kopf und murmelte etwas auf Spanisch vor sich hin. „Muy loco. Hier!“ Rasch füllte er zwei Schnapsgläser mit Tequila und schob sie über den Tresen. „Nehmt die mit in den Garten und redet über Babys und Hypotheken und Windeln und Telefonanrufe, wenn du gerade mit deinen Kumpeln unterwegs bist, und über die Scheidung, mit der du nie gerechnet hast, und darüber, dass du deine Kids nur sehen darfst, wenn mami findet, dass du brav genug bist – und dann sagt mir, ob ihr euch immer noch in Ketten legen wollt!“ Mit einem enttäuschten Lächeln scheuchte er Saoirse hinter der Bar hervor und tippte sich bedeutungsvoll an die Stirn. „Loco. Totalmente!“

Schweigend gingen sie nach draußen. Santi trug die beiden Tequilas, und Saoirse hielt mit beiden Händen ihr randvolles Margarita-Glas, während sie überlegte, ob sie nicht schon mal einen Schluck nehmen sollte. In ihrem Kopf schwappte ein ganz eigener Cocktail aus Angst, Panik und – nach Ángels Worten – Traurigkeit. Santi hatte mit seinen albernen Fake-Hochzeitsplänen noch nicht einmal richtig angefangen, da schüttete ein verbitterter Ex-Ehemann schon seine Häme darüber aus. Falls Santi sie nicht zum Schein heiratete, wer würde sie dann ernsthaft zur Frau nehmen wollen?

Als sie sich an einen der Tische gesetzt hatten, stießen sie kurz an und leerten die Gläser in einem Zug. Scharf rann ihr der würzige Tequila die Kehle hinunter.

Santi sah sie ernst an. So ernst wie noch nie. „Den als Trauzeugen können wir wohl vergessen.“

Der lakonische Kommentar löste augenblicklich die Spannung. Wie Sektbläschen perlte ein Kichern tief in ihrem Bauch, stieg höher, wurde zum Prusten und entlud sich in schallendem Gelächter. Saoirse lachte, bis ihr die Tränen über die Wangen liefen.

Schließlich wischte sie sich über die Augen und blickte Santi an, der sie intensiv betrachtete.

„Okay, Murph, jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit.“ Santi trank einen großen Schluck eisgekühltes Wasser, als wäre es ein Stärkungstonikum. Als ob Mr. Muskelmann das nötig hätte … „Machen wir’s oder nicht?“

„Willst du …“ Saoirse malte Muster mit den Wasserringen, die ihr Margaritaglas auf dem Tisch hinterlassen hatte, um Santi nicht ansehen zu müssen. „Willst du nicht wissen, welche Geschichte dahintersteckt?“

Er zuckte nur mit den breiten Schultern. „Ich vertraue dir, aber wenn du dich besser fühlst …“

„Ha, du gerissener Hund! Sehr schlau. So tun, als interessiert es dich nicht, damit ich dann doch damit herausrücke!“

Autor

Amy Ruttan
Amy Ruttan ist am Stadtrand von Toronto in Kanada aufgewachsen. Sich in einen Jungen vom Land zu verlieben, war für sie aber Grund genug, der großen Stadt den Rücken zu kehren. Sie heiratete ihn und gemeinsam gründeten die beiden eine Familie, inzwischen haben sie drei wundervolle Kinder. Trotzdem hat Amy...
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