Die Zeitengängerin

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"Komm zu mir …" Mit pochendem Herzen erwacht Alexandra aus einem Traum. Der tiefe Wald, in dem sie sich befand, der Mann, der sie gerufen hat - das war erschreckend real! Ihr ist, als müsse sie seinem Ruf folgen. Und dann hat sie dieses schlangenhafte S gesehen, wie ein magisches Zeichen einer vergangenen Gottheit. Was hat das zu bedeuten? Das erfährt Alex, als sie auf die Militärbasis in Tulsa zu einem geheimen Auftrag bestellt wird: Sie soll in der Zeit zurückreisen, nach Briton, 60 Jahre vor Christi Geburt. Wo sie das Amulett der Kriegskönigin Boudica finden muss. Und wo der keltische Druidenkrieger Caradoc auf eine Frau wartet, die ihm bestimmt ist - auf Alexandra.


  • Erscheinungstag 01.03.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783956494086
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

P. C. Cast

Die Zeitengängerin

Roman

Aus dem Amerikanischen von Michaela Grünberg

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Time Raiders: The Avenger

Copyright © 2009 by P.C. Cast, Lindsay McKenna, Merline Lovelace

Erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Daniela Peter

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-408-6

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. KAPITEL

Die tote Frau seufzte. Ihre Stimme war von einer unbestimmten Sehnsucht erfüllt und klang mehr als nur ein wenig sentimental. Es ist wunderschön hier, nicht wahr? Dieses offene, weite Land hat so etwas Friedliches.

„Du bist tot, Andred. Ist es für dich nicht überall friedlich?“, erwiderte Alex und sah die halb durchscheinende Gestalt, die neben ihr an einen niedrigen Holzzaun lehnte, mit einer erhobenen Augenbraue an.

Nimm doch nicht alles so wörtlich. Ich bin mir sicher, du weißt sehr gut: Nur weil jemand tot ist, bedeutet das nicht automatisch, dass er seinen Frieden gefunden hat. Der Geist machte eine Pause und warf Alex einen wissenden Seitenblick zu. Deine Furcht davor, diesen Ort zu verlassen, ist irrational, das ist dir doch bewusst.

Alex runzelte die Stirn. Als sie im Alter von sechs Jahren angefangen hatte, Geister zu sehen, waren ihr nur zwei Dinge seltsamer vorgekommen als dieser Umstand an sich: die unglaubliche Neugier der Toten, mit der sie ihre Nasen in alles steckten, was sie nichts anging, und ihre unglaubliche Großzügigkeit, wenn es darum ging, gute Ratschläge zu verteilen. Als hätte das Sterben bei vielen Menschen nicht nur den Tod, sondern auch die Verwandlung in tratschsüchtige Talkshow-Gastgeber zur Folge.

„Hör zu, ich fürchte mich nicht davor, von hier wegzugehen. Ich will es bloß nicht. Du hast selbst gesagt, wie friedlich es ist, und du hast recht. Ich liebe Oklahoma und die Prärie, und außerdem habe ich einen sehr guten Job hier, also warum sollte ich irgendwo anders hinwollen?“

Es ist ein großer Unterschied, ob jemand an einem Ort leben möchte, weil er ihm gefällt, oder man nur dort bleibt, weil der Rest der Welt da draußen einem Angst macht.

„Bist du eigentlich taub? Ich dachte, ich hätte gerade gesagt, dass es nichts mit Angst zu tun. Bin ich etwa nicht in Flagstaff gewesen, und zwar für ganze drei Tage?“

Ja, und du hast jede Sekunde dieses kleinen Ausflugs gehasst. „Quatsch. Ich habe mich gefreut, Tessa wiederzusehen.“

Und jetzt mache ich mir erst recht höllische Sorgen um sie. Alex schloss für einen Moment die Augen und sah wieder den dichten Rauch vor sich. Sie konnte förmlich den beißenden Gestank riechen, als Computer und Monitore in der enormen Hitze des Feuers einfach geschmolzen und nichts als verkohlte Klumpen aus Metall und Plastik übrig geblieben waren. Professor Carswell hatte ihr versichert, dass Tessa bestimmt nichts geschehen sei, aber angesichts des schrecklichen Unfalls, den Alex schließlich selbst miterlebt hatte, fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, wie ihre Freundin das Inferno überlebt haben sollte. Aber nichts von alldem hat diesen neugierigen Geist zu interessieren, es ist allein meine Sache.

Seit deiner Rückkehr bist du kein einziges Mal in die Stadt gefahren. Stattdessen drückst du Sam deine Einkaufsliste in die Hand, nur damit du um Himmels willen keinen Schritt über die Grenze zur Zivilisation machen musst. Alexandra, wenn jemand so weit geht, sich von einem Ranchangestellten Tampons besorgen zu lassen, dann ist er auf dem besten Weg, zum Einsiedler zu werden.

„Aha, und was ist mit dir? Wieso geisterst du immer noch hier in der Gegend rum? Ausgerechnet du fühlst dich berufen, mir zu erzählen, ich würde mich hier verkriechen. Da nennt ja wohl ein Esel den anderen Langohr.“ Alex musterte demonstrativ die altertümliche Kleidung von Andred, der kaum mehr als eine bunte Leinentunika und ein Paar Ledersandalen trug. „Was ist das eigentlich für ein Name? Andred? Wann genau bist du noch mal gestorben?“

Der Name Andred ist sehr alt, woran sich unschwer erkennen lässt, dass ich bereits seit geraumer Zeit hier bin.

„Wer hätte das gedacht. Irgendwas sagt mir, dass du bereits seit geraumer Zeit weitergezogen sein solltest.“

Der Geist der jungen Frau zuckte mit den Schultern. Oh, das werde ich. Wenn mir der Sinn danach steht. Ich hab’s nicht eilig.

„Siehst du, da sind wir schon zwei“, sagte Alex schnippisch.

Andred wandte ihr das Gesicht zu. Ihr Blick war traurig. Bis auf einen kleinen Unterschied, Alex. Ich gehöre nicht mehr zu den Lebenden, wie du sehr wohl weißt. Die Welt dort draußen hat mir nichts zu bieten. Du dagegen bist lebendig, für dich sind die Dinge um dich herum real, doch du weigerst dich zu leben, und deshalb versteckst du dich in der Weite der Prärie, wo du allein sein kannst.

Alex bekam ein beklommenes Gefühl in der Magengegend. „Du weißt nicht, wie das ist. Ihr Geister, ihr erdrückt mich. In Flagstaff wimmelte es nur so von euch … Hunderte, an jeder Ecke. Ich konnte nicht schlafen, nicht denken. Hier ist es nicht so schlimm.“

Andred schüttelte den Kopf. Es hat nichts damit zu tun, wo du bist, Alex. Das Problem liegt bei dir.

„So ein Schwachsinn!“

Ja? Du warst früher anders, oder? Hast am Leben teilgenommen, bist unter Leute gegangen, Geister hin oder her. Was ist passiert?

„Ich nehme immer noch am Leben teil. Ich lebe und arbeite jetzt eben in der wunderschönen Hochgrasprärie von Oklahoma. Ich habe meinen Abschluss in Botanik, leite Wanderungen mit Touristen und bringe ihnen die Natur näher. Da bin ich ja wohl unter Leuten. Lebendigen Leuten. Und mein Bedarf an Gesprächen mit Toten ist für heute gedeckt, vielen Dank.“

Alex stieg über den Zaun und stapfte ohne eine weiteres Wort auf das Gebäude zu, in dem sich die Privaträume der Parkangestellten befanden, ging geradewegs in das kleine Zimmer, das sie ihr Zuhause nannte, und musste sich sehr beherrschen, um nicht die Tür hinter sich zuzuknallen.

„Geister! Diese verdammten Besserwisser. Aufdringliches Pack“, brummelte sie, während sie den schicken Weinkühlschrank ansteuerte, in dem stets mehrere Flaschen ihrer Lieblingssorten lagerten. Sie überlegte einen Moment, entschied sich dann für den Rotwein, den sie zurzeit besonders gern mochte, Kerkertropfen, und ignorierte bewusst die Ironie des Namens. „Ich lebe!“, sagte sie, vielleicht eine Spur zu nachdrücklich, entkorkte die Flasche und schnupperte genüsslich daran. „Ich habe nur beschlossen, mich an einem Ort aufzuhalten, wo ich nicht langsam, aber sicher von gewissen ‚Personen‘ in den Wahnsinn getrieben werde.“ Während sie den Wein atmen ließ, zog sie Jeans und Sweatshirt aus und schlüpfte stattdessen in ihre bequeme gestreifte Seidenpyjamahose und das passende Oberteil. Dabei sah sie sich selbst flüchtig im Spiegel, der an der Außenseite ihrer Kleiderschranktür angebracht war, und hielt inne, um ihre widerspenstigen Haare glatt zu streichen. Manchmal konnte man glauben, ihre Stimmung würde sich direkt auf ihre Haarwurzeln übertragen, was dann dazu führte, dass die dicke rotblonde Pracht sich aufplusterte und wie eine Löwenmähne aussah.

„Du solltest dieses Gestrüpp wirklich mal schneiden“, ermahnte Alex ihr Spiegelbild, doch es war nur so dahingesagt. Irgendwann in ferner Zukunft wäre eine ordentliche Frisur vielleicht einen Versuch wert, um etwas jünger zu erscheinen oder so, aber nicht mit knapp fünfunddreißig. Ach was, wahrscheinlich würde sie ihre Haare noch mit hundert wachsen lassen! Die alte verrückte Schachtel mit den langen Zotteln, die ihr bis zum Hintern reichen. Das wäre doch lustig. Zumindest hätten die Geister dann ein vergleichsweise harmloses Thema, über das sie sich die Mäuler zerreißen konnten. „Schenk dir einfach ein schönes Glas Wein ein und halte dich von Scheren und anderen scharfen Gegenständen fern“, sagte sie zu sich selbst.

Alex hatte sich gerade gemütlich ins Bett gekuschelt – mit dem Weinglas in der Hand und einem dicken Exemplar von Diana Gabaldons Feuer und Stein auf dem Schoß, das sie zum dritten Mal in zehn Jahren las –, da klingelte ihr Handy. Verärgert über die Störung schaute sie auf das Display, überzeugt, es könnte nur ihre Mutter sein, die ihren monatlichen Höflichkeitsanruf hinter sich bringen wollte, den Alex jetzt unhöflicherweise nicht entgegennehmen würde. Doch sobald sie die Nummer des Anrufers sah, setzte sie sich hastig auf und nahm das Gespräch an.

„Tessa, bist du’s? Geht’s dir gut?“

„Ja, Alex. Wie schön, deine Stimme zu hören! Ich habe dir so viel zu erzählen, du wirst nicht glauben, was alles passiert ist. Mann, das nenne ich einen abgefahrenen Trip.“

„Geht’s dir gut?“, wiederholte Alex ungeduldig. „Kurz nachdem du weg warst, ist dieses Feuer ausgebrochen und …“

„Hey, nicht über eine ungesicherte Leitung“, erinnerte Tessa sie schnell. „Aber mach dir keine Sorgen, ich bin okay.“ Alex glaubte für einen Moment, im Hintergrund eine tiefe männliche Stimme zu hören, gefolgt von Tessas Kichern. „Na ja, eigentlich sogar mehr als nur okay.“ Dann wurde sie wieder ernst. „Oh, du solltest wissen, dass wir nicht …“

„Tessa, wir müssen reden.“ Jetzt war es an Alex, ihre Freundin zu unterbrechen. „Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt. Ich dachte, du bist mausetot. Und der idiotische Professor hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als mir irgendwas zu erzählen, ganz zu schweigen von General ‚Stock im Arsch‘. Gott, bin ich froh, mich nicht mehr mit dieser Militärmentalität rumschlagen zu müssen“, stieß sie hervor. „Scheinheiligkeit hoch zehn. Wie auch immer, wann können wir uns treffen? Ich will Details hören.“

„Es wird uns eine Freude sein, Sie über sämtliche Einzelheiten in Kenntnis zu setzen, Sergeant. Morgen geht ein direkter Flug von Tulsa nach Phoenix. Ich schicke gern einen Wagen zum Flughafen, der Sie dort abholt.“

Für einen Augenblick herrschte völlige Stille in der Leitung, während Alex innerlich bis zehn zählte und versuchte, sich davon abzuhalten, einen Wutausbruch zu bekommen.

„Ähm, das wollte ich dir vorhin sagen, als du mir ins Wort gefallen bist, Alex. Wir haben eine Konferenzschaltung mit General Ashton“, entschuldigte sich Tessa.

„Reizend“, gab Alex trocken zurück. „Guten Abend, General.“

„Sergeant Patton“, erwiderte der General die Begrüßung.

„Nein. Sie wissen sehr genau, dass ich schon seit beinahe fünf Jahren kein Sergeant mehr bin. Und ich habe auch nicht vor, jemals wieder diesen Rang zu bekleiden. Also nennen Sie mich einfach Alex.“

„Wie Sie wünschen, Alex. Falls es Ihnen morgen nicht passt, Ihr Flugticket ist unbegrenzt gültig. Es wurde am Flughafen Tulsa International für Sie hinterlegt, und Sie können es jederzeit abholen.“

„Es passt mir weder morgen noch übermorgen oder sonst irgendwann. Ich habe keinerlei Interesse daran, Ihrem …“ Alex zögerte. Fast hätte sie das „Projekt Anasazi“ als einen Haufen besessener Fachidioten und Computerchaoten bezeichnet. Doch Tessa hörte mit, und die war trotz dieser hinterhältigen Nummer mit der Konferenzschaltung ihre Freundin – obwohl sie eindeutig eine von diesem Projekt besessene Frau mit übersinnlichen Fähigkeiten war. Alex holte tief Luft und beendete den Satz mit: „… Team beizutreten.“

„Wir brauchen dich aber.“ Dieses Mal war es Tessa, die gegen eine Wand redete. „Es ist wichtig.“

„Genau wie der Grund, aus dem ich nichts damit zu tun haben will. Besser gesagt: die zahlreichen Gründe, und du kennst sie alle, Tessa. Hör mal, ich bin wirklich froh über deinen Anruf und dass du gesund und munter bist. Aber ich bin nicht die Richtige für den Job. Ich habe dieses Leben vor langer Zeit hinter mir gelassen und gehe nicht wieder zurück. Wenn du Lust hast, mich hier zu besuchen, bist du jederzeit herzlich willkommen, Tessa.“ Sie betonte den Namen ihrer Freundin, um unmissverständlich klarzustellen, an wen sich die Einladung richtete. „Aber Flagstaff ist keine Option mehr für mich, genauso wenig wie die Army. Mach’s gut.“ Alex legte auf und warf das Handy ans Fußende des Bettes.

2. KAPITEL

Der Anruf hatte Alex so in Rage gebracht, dass sie sich nicht einmal auf Feuer und Stein konzentrieren konnte, und diese Tatsache machte sie sogar noch wütender. Kurz, ihre Stimmung war im Keller. Verfluchter Mist! Sie hatte sich doch nun wirklich klar ausgedrückt, nachdem Tessa in der Vergangenheit verschwunden und im nächsten Moment das verdammte Labor in Rauch aufgegangen war, oder etwa nicht? Nein, zur Hölle, sie verspürte nicht das geringste Bedürfnis, sich freiwillig für eine Zeitreisemission zu melden – selbst wenn das der einzige Weg war, eine Invasion feindlicher Außerirdischer oder was auch immer zu verhindern.

Denn in ihrem Leben gehörten Dinge, die der Großteil anderer Menschen als ziemlich außerirdisch empfinden würde, zum ganz normalen Alltag. Also, wo lag bitte das Problem, wenn sich zur Abwechslung mal der Rest der Welt mit total ausgeflippter Scheiße auseinandersetzen müsste? Alex’ Gedanken schweiften ab, zurück in ihre Kindheit, als sie sechs war und der Junge von nebenan, Brian Campos, eines Tages vermisst wurde. Die Polizei hatte die gesamte Straße abgeklappert und alle Nachbarn befragt. Als sie bei ihrem Haus ankamen, hatte Alex den beiden Männern im Brustton der Überzeugung eröffnet, sie wüsste, wo der Junge sei, und dann einen von ihnen an die Hand genommen und ihn zum Entsetzen ihrer Eltern schnurstracks an die Stelle geführt, wo Brians Leiche lag. Die Leute waren völlig hysterisch geworden, und es hatte nicht lange gedauert, bis man sie schief ansah und über sie tuschelte. Wie sollte ein sechsjähriges Kind sich darüber im Klaren sein, dass es nicht besonders klug war, aus seiner Fähigkeit, Geister zu sehen, kein großes Geheimnis zu machen? Jetzt, mit über dreißig, hatte Alex in dieser Hinsicht viel dazugelernt.

Die Typen vom „Projekt Anasazi“, auch bekannt als Time Raiders, waren ganz scharf auf sie und ihr Talent. Zuerst hatte Alex gedacht, Tessas Hartnäckigkeit, mit der sie versucht hatte, ihr einen Besuch in Flagstaff schmackhaft zu machen, kam einfach daher, dass sie sich in ihrem neuen Zuhause einsam fühlte und eine Freundin brauchte, die sie verstand. Immerhin war Tessa ebenfalls mit einer ausgeprägten übersinnlichen Begabung gesegnet und konnte genauso wenig offen mit jedem x-beliebigen Menschen darüber reden. Doch wie sich herausstellte, hatte Tessa ihre Freundin zwar tatsächlich vermisst, hauptsächlich allerdings steckten die Leiter des Projekts hinter der ganzen Sache. Sie wollten Alex unbedingt an Bord holen – um sie auf eine Zeitreisemission zu schicken.

Sie hatte abgelehnt, und zwar schon bevor sie Zeugin von Tessas beinahe tödlichem Zeitsprung und des Feuers geworden war und die hochschlagenden Flammen im Labor ihr ein klares „Lass die Finger davon“-Gefühl vermittelt hatten. Der offizielle Grund für ihre Entscheidung – dass sie schlicht absolut kein Interesse daran hatte, in irgendeiner Form je wieder für die Army zu arbeiten – entsprach durchaus der Wahrheit. Ebenso wie der zweite, nämlich ihr Job als leitende Botanikerin, Touristenführerin und Dozentin in ihrem geliebten Nationalpark in Oklahoma.

Der eigentliche Grund, warum sie auf gar keinen Fall am „Projekt Anasazi“ mitwirken konnte, lag allerdings in ihrem Widerwillen, die Prärie zu verlassen. Alles in ihr sträubte sich dagegen. Es war der einzige Ort, an dem sie zumindest annähernd so etwas wie Ruhe fand. Wo sie nicht rund um die Uhr von Geistern belästigt wurde, die anderswo ständig an ihr klebten wie die Schmeißfliegen.

Leider stimmte es nicht, dass Geister an einem bestimmten Platz verweilten, weil sie jemanden suchten, der ihnen half, noch irgendetwas zu erledigen oder ins Lot zu bringen, und verschwanden, sobald das geschehen war. Na ja, bei einigen vielleicht. Aber die meisten hingen aus demselben Grund in einer Gegend herum wie jeder andere auch, lebendig oder tot. Nämlich weil sie es wollten. Manchmal langweilten sie sich. Manchmal waren sie gut gelaunt und lustig. Manchmal traurig. Und manchmal hatte Alex nicht die leiseste Ahnung, was zum Teufel mit ihnen los war, bis auf die Tatsache, dass es sich bei ihnen ausnahmslos um extrem neugierige und redselige Individuen handelte. Die eben einfach existierten – ohne einen tieferen, geheimnisvollen Sinn dahinter. Früher, als sie jünger gewesen war, ging es noch einigermaßen. Und die Air Force hatte Alex für eine Weile sogar geholfen, besser mit ihrer Andersartigkeit zurechtzukommen. Dort gehörte sie wenigstens dazu und wurde von ihrer Umgebung akzeptiert. Nun ja, bis ihr spezielles Talent, immer genau zu „wissen“, wann welche Informationen an wen übermittelt werden sollten, dazu führte, dass auch ihre Kollegen des Kommunikationshauptquartiers der Outfutt Air-Force-Basis in Nebraska langsam anfingen, sie mehr und mehr aus der Herde auszuschließen. Ihre Fähigkeit, die sie dem Geschwätz der Geister verdankte, dem sie zu diesem Zeitpunkt bereits unzählige Stunden ihres Lebens hatte lauschen müssen, machte schließlich Chief Master Sergeant John Domonick auf sie aufmerksam.

Eins führte zum anderen, und letztlich waren sie beide zusammen im Bett gelandet, mit dem Ergebnis, dass er wenig später ihr Geheimnis kannte. Oh, und außerdem war sie auch noch in einer Spezialeinheit gelandet, genannt DA oder „Datenflussanalysen“, was im Grunde nur eine militärisch klingende Bezeichnung für Alex’ neue Aufgabe war – Geistergetratsche zusammentragen, alles eventuell Nützliche herausfiltern und an John weitergeben, der es dann seinerseits dem Colonel berichtete, dem er unterstand.

Während dieser Zeit hatte Alex schon in den ersten Monaten damit begonnen, an jeder Botanikvorlesung der örtlichen Universität teilzunehmen, die sie irgendwie in ihren Terminkalender quetschen konnte. Und als schließlich ihre nächste Dienstverlängerung anstand, war Alex, anstatt sich für weitere vier Jahre zu verpflichten, aus der Army ausgetreten, hatte John Domonick und der Air Force Auf Wiedersehen gesagt und Hallo zu ihrem Abschluss in Botanik – und einem Praxisjahr in Oklahomas herrlichem und größtenteils unberührtem Nationalpark, wo die Geister sie aus irgendeinem Grund weitestgehend in Ruhe ließen. Also hatte sie beschlossen, zu bleiben. Bis ans Ende ihrer Tage, wenn es denn so sein sollte.

Jedenfalls würde sie unter keinen Umständen zurück zum Militär gehen, auch nicht für alles Geld der Welt.

Noch immer stinksauer wegen des Telefonanrufs, trank Alex den Rest Wein in ihrem Glas aus und bemerkte erst, als sie aufstand, um sich das Gesicht zu waschen – aber stattdessen direkt ins Bett torkelte –, dass besagtes Glas das letzte gewesen war und die Weinflasche sich auf mysteriöse Weise geleert hatte.

So viel war klar: Alex konnte sich auf einen gehörigen Kater gefasst machen. Na prima. Dabei musste sie am nächsten Morgen mit einer Gruppe Großstädter, die ihren Urlaub als Ranchaushilfen verbrachten, bei Sonnenaufgang zu einer Vogelbeobachtungstour am Buffalo Ridge aufbrechen, gut drei Meilen entfernt.

„Tja, schöne Scheiße“, grummelte sie und zog sich die Decke über den Kopf. „Muss ich wohl morgen viel Wasser trinken, damit ich nicht unterwegs aus den Latschen kippe …“

Die Umgebung in Alex’ Traum war atemberaubend schön. Eine üppige Landschaft, so grün, dass es einen beinahe blendete. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie viele Variationen dieser Farbe es gab. Und erst die Bäume! Mächtig und unglaublich hoch, als reichten sie bis in den Himmel hinauf. Natürlich hatte Alex’ Unterbewusstsein diese Wälder erschaffen, aber das hier überstieg fast ihre eigene Vorstellungskraft. Es war, als hätte sie ihre eigene Version eines Herr-der-Ringe-Sets kreiert und sich selbst nach Rivendell in Mittelerde versetzt. Sie konnte Kastanien und Eichen ausmachen und sogar etwas, das einer ihrer Professoren volkstümlich „Hexenbuche“ nennen würde. Sie alle waren kräftig gewachsen und machten einen starken, gesunden Eindruck – als käme hier kein Bauunternehmer der Welt jemals auf die Idee, sie zu fällen, um Platz für einen neuen Highway zu schaffen oder, schlimmer noch, eine dieser typischen Doppelverdiener-Vorstadt-Siedlungen, in denen die einheitlichen Häuser einander glichen wie ein Ei dem anderen.

Ja, sie hatte sich tatsächlich ihr persönliches Rivendell zusammengeträumt. Alles, was jetzt noch fehlte, war Aragorn, und die Sache wäre geritzt. Während sie also auf sein Erscheinen wartete, streifte sie weiter gemächlich durch den Wald und bewunderte seine Vielfalt.

Es musste früh am Morgen sein, kurz nach Sonnenaufgang. Das weiche, junge Tageslicht streichelte die satten Grüntöne und verlieh allem einen Hauch von Magie. Alex folgte einem schmalen, verschlungenen Pfad. Dessen Ränder wurden zu beiden Seiten von einem dicken großflächigen Moosteppich bedeckt, der so weich und einladend aussah, dass Alex unwillkürlich begann, sich auszumalen, wie sie ihrer unpünktlichen Traumversion von Aragorn einen kleinen unauffälligen Schubs gab, sodass sie beide das Gleichgewicht verloren und sich im nächsten Augenblick wild im Moos herumwälzten. Na ja, sie könnte sich durchaus dazu hinreißen lassen – wenn er denn endlich auftauchte.

Plötzlich glaubte sie, eine fremde Stimme gehört zu haben. Es war nur ein leises, weit entferntes Geräusch gewesen, das irgendwo aus der Richtung gekommen zu sein schien, in die Alex ging. Sie blieb stehen und lauschte angestrengt, und, tatsächlich, da war es wieder. Dieses Mal eindeutig als menschliche Stimme zu erkennen. Tief. Männlich.

Alex’ Herz hüpfte förmlich in freudiger Erwartung, und sie lief wieder los, in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. In der realen Welt mochte sie vielleicht in ein paar Stunden mit fiesen Kopfschmerzen aufwachen, aber hier, in ihrer wunderbaren Traumwelt, würde sie für einen unverschämt gut aussehenden Aragorn die Arwen spielen. Und in dieser Welt bliebe es garantiert nicht bei heimlichen, zarten Küssen zwischen ihnen.

„Komm zurück …“

Mehr als diese beiden Worte konnte Alex nicht verstehen, dazu war sie noch zu weit entfernt.

„Zurückkommen?“, wiederholte sie mehr an sich gerichtet als an den verführerischen, leider unsichtbaren Aragorn. „Ich weiß ja nicht mal, wo du bist.“ Sie folgte weiter den Rufen des Fremden.

„Komm zurück zu mir …“

Wieder zog die geheimnisvolle Stimme sie ein Stück näher.

„Ich bin nie weggegangen!“, rief sie, frustriert über ihr ratloses Traum-Ich. Und ihre Frustration wurde sogar noch größer, als plötzlich aus den Tiefen des Waldes Nebel aufstieg, sich langsam über den moosbedeckten Boden ausbreitete und schließlich wie substanzlose Finger den Pfad zu ihren Füßen entlangkroch.

Eigentlich mochte Alex Nebel. Er hatte etwas Romantisches und zugleich Mystisches an sich, das ihr gefiel. Außerdem war es ja nicht so, dass sie sich vor dem sprichwörtlichen schwarzen Mann fürchtete, der womöglich in den Schwaden auf sie lauerte. Dazu waren Geistererscheinungen ihr viel zu vertraut.

Dieser Nebel jedoch erschien ihr irgendwie eigenartig, unheimlich. Er bewegte sich so seltsam, wand sich mit seinen weißgrauen Tentakeln, die ihre Haut betasteten, um ihren Körper. Es fühlte sich beinahe an, als wären die Dunstschleier flüssig, als hätten sie eine Gestalt.

„Komm zurück zu mir! Ich brauche dich!“

Es klang, als würde der Mann, der da sprach, direkt vor ihr stehen, doch inzwischen war der Nebel so dicht geworden, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte.

„Wo bist du?“, rief sie.

„Ich warte auf dich! Komm zurück zu mir …“

„Wohin zurück? Wo bist d…“ Alex stolperte, taumelte zur Seite und fiel mit dem Gesicht voran auf den moosbedeckten Waldboden.

„Was zum Geier …!“ Keuchend versuchte Alex, sich aufzusetzen, doch sie hatte sich völlig in ihren Laken verheddert. Für einen Moment war sie noch immer in ihrem Traum verhaftet und ruderte wild mit den Armen, weil sie dachte, es sei das Moos, das sie umschlingen und festhalten würde. Und wo war er überhaupt? Ihr Aragorn mit der außergewöhnlich markanten Stimme, der wieder und wieder nach ihr rief?

Plötzlich durchzuckte ein kurzer stechender Schmerz ihre Schläfe, und sie bemerkte, wie trocken ihr Mund war. Der Kopfschmerz in Verbindung mit dem ekelhaften Geschmack auf der Zunge war ein sicheres Zeichen dafür, dass sie unter einem grauenhaften Kater litt.

Sie befand sich nicht in einem wunderschönen dunstigen Traumwald. Stattdessen lag sie in ihrem Zimmer im Bett und hatte es irgendwie geschafft, sich selbst mit der Decke zu fesseln. Sie befreite die Arme und dann den Rest ihres Körpers, rieb sich die Augen und schaute auf die verschwommene Anzeige des Digitalweckers. Er zeigte 05:10 Uhr an, exakt fünf Minuten vor der eingestellten Weckzeit. Alex seufzte und erhob sich. Dabei entwich ihr ein Stöhnen, das klang, als wäre sie fünfundachtzig und nicht erst knapp fünfunddreißig. Schwerfällig schlurfte sie ins Badezimmer und ging in Gedanken ihre To-do-Liste durch. Sie würde duschen. Ein großes Glas Wasser trinken. Ein Aspirin nehmen. Frühstücken – nur ein leichtes Frühstück, das ihr später nicht wie ein Stein im Magen läge. Das Stadtvolk nach Buffalo Ridge führen. Sich nichts von ihrem lausigen Befinden anmerken lassen. Und diesen komischen Traum vergessen.

Später an diesem Tag sollte Alex versuchen, sich selbst davon zu überzeugen, dass sechs erreichte von sieben gesetzten Zielen gar kein so schlechter Schnitt war.

3. KAPITEL

Alex wusste, sie sollte dankbar dafür sein, dass es nicht August mit stickigen fünfunddreißig Grad im Schatten war und somit perfektes Wetter für blutdurstige Schwärme Tausender Moskitos. Okay, dachte sie, als sie sich mit dem Rücken an den bequemen Erdhügel lehnte, der praktischerweise an ihrem Rastplatz aus dem Boden ragte, dieser Ausflug heute ist zum Glück einer der gemütlichen, bei denen man sich nicht kaputtmachen muss. Sie und ihre Wandergruppe hatten im Haupthaus gefrühstückt und waren danach in aller Ruhe nach Buffalo Ridge aufgebrochen. Alex hätte die Strecke in weniger als einer Stunde geschafft, aber die Städter hatten es nicht eilig, unterhielten sich unterwegs und trödelten fröhlich vor sich hin. Also passte Alex ihr Tempo dem der Gruppe an und schaltete ebenfalls einen Gang herunter, was sie nicht wirklich ärgerte, denn sie kämpfte noch immer mit den Folgen ihrer Weinorgie vom Vorabend und war hundemüde. Nach einem zweistündigen gemächlichen Spaziergang hatten sie schließlich ihr Ziel erreicht, und ihre Schützlinge packten ihre mitgebrachten Pinsel, Wasserfarben und anderen Malutensilien aus. Wenn es ihr recht sei, hatten sie vorgeschlagen, würden sie gern hierbleiben und den Rest des Vormittags damit verbringen, die wundervolle Landschaft auf ihren Leinwänden zu verewigen, anstatt bis zum ursprünglich vorgesehenen Platz weiterzuwandern.

„Null Problemo“, hatte Alex ihnen versichert.

Da sie für diese Leute verantwortlich war – die auf keinen Fall allein zurück zur Parkverwaltung finden würden, schon gar nicht, nachdem sie gut ein halbes Dutzend Flaschen Sekt aus ihrem Proviant vernichtet hatten –, entschied Alex, sollten sie ruhig malen, solange sie wollten. Das verschaffte ihr selbst eine willkommene Gelegenheit, es sich gemütlich zu machen und ein kleines bisschen zu dösen.

Der Traum begann exakt wie der vorherige. Alex stand mitten in einem dichten, urwüchsigen Wald, umgeben von Abstufungen aller erdenklichen Grüntöne, die sie normalerweise sofort in ihren Bann gezogen hätten – wäre ihr nicht vom ersten Moment an irgendetwas an der Szenerie merkwürdig vorgekommen. Dieses Mal war sie nicht als Gast hier, der entspannt die Gegend erkundete. Sie fühlte eine innere Anspannung und war auf alles vorbereitet, mit dem ihr offenbar ziemlich gestresster Geist sie im nächsten Augenblick konfrontieren könnte.

Sie ging denselben Pfad entlang wie zuvor, schenkte der Natur um sich herum jedoch kaum Beachtung. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Tatsache, dass sie keinen einzigen Vogel hörte.

Okay, eine geringfügige Abweichung von der Normalität, die den meisten Menschen vermutlich nicht einmal aufgefallen wäre, insbesondere träumenden Menschen. Alex aber verbrachte sehr viel Zeit im Freien, unter anderem auf langen Wanderungen, und war daran gewöhnt, dabei stets von Vogelgezwitscher begleitet zu werden. In ihrer Traumwelt hingegen fehlte es. Genau genommen gab es gar keine Geräusche, sie hörte nicht einmal den Wind in den Kronen der uralten Bäume rascheln, die über ihrem Kopf ein verwachsenes Dach aus Ästen und Blättern formten.

„Der gleiche Ort, nur als hätte jemand den Ton abgestellt“, bemerkte Alex erstaunt. „Na ja, wenigstens brummt mir hier nicht der Schädel, als würde von innen einer mit dem Hammer dagegenschlagen.“ Sie hatte gerade versucht, sich einzureden, der seltsame Ausgang ihres vorherigen Traumes wäre wohl das Ergebnis vorübergehenden alkoholbedingten Irrsinns gewesen, als der nicht vorhandene Wind eine bekannte Stimme zu ihr herübertrug.

„Komm zurück zu mir …“

Hätte Alex sich einen Plan zurechtgelegt, was sie bei ihrem nächsten Besuch in dieser Traumwelt tun würde, wäre sie wohl logisch an die Sache herangegangen. Sie hätte den Mann aufgefordert, sich gefälligst zu zeigen, und ihn, wenn er es nicht täte, einfach ignoriert und weitergeträumt, in der Hoffnung, ihr Unterbewusstsein arrangierte doch noch das erhoffte Rendezvous mit Aragorn.

Aber ihr Traum hielt sich nicht an die Regeln der Logik. Die Stimme dieses Unbekannten ließ Alex auf einer emotionalen Ebene reagieren, ob sie wollte oder nicht.

„Ich bin hier! Ich bin zurückgekommen! Wo bist du?“

„Komm zu mir … Ich brauche dich!“

„Das ist einfach lächerlich!“ Trotzdem begann sie, schneller zu laufen. Seine Stimme kam von irgendwo am Ende des Pfades. Dieses Mal würde sie nicht eher aufwachen, bevor sie wusste, was zur Hölle hier vor sich ging.

Der Nebel fing an, sich über den sandigen Boden des schmalen Weges auszubreiten.

„Verdammt, nein! Das hatten wir schon, aber ich spiele da nicht mit, kapiert? Hallo? Wo steckst du? Hallo!“ Inzwischen lief Alex nicht mehr nur, sie rannte, ließ ihren Blick suchend umherschweifen und kniff die Augen zusammen, um in den dunstigen Schleiern etwas zu erkennen.

Sie wurde von ihnen eingehüllt, doch dies war nicht der romantische, zarte Nebel, der sich an kühlen Herbsttagen frühmorgens in der Prärie bildete und sanft über die Landschaft strich. Dieser Nebel bewegte sich, als hätte er ein Bewusstsein, griff nach ihr, berührte sie mit eisigen Fingern, die durch ihre Kleidung drangen und ihre Wirbelsäule hinunterwanderten, ihren Körper und ihre Seele umschlossen, bis sie keuchend stehen blieb.

„Wo bist du, und was passiert hier mit mir?“, flüsterte sie, nach Luft ringend. Es fiel ihr schwer, die Fassung zu bewahren, obwohl sie sonst nichts so leicht erschrecken konnte.

„Ich brauche deine Hilfe. Du musst den Mut haben, zu mir zurückzukommen.“

„Gut, sag mir, wer du bist und wo du bist, und ich tue es!“, rief Alex, langsam wirklich frustriert von diesem verrückten Katz-und-Maus-Spiel.

Die Nebelwand vor ihr lichtete sich für einen kurzen Moment, und etwas begann, sich zwischen den Schwaden zu materialisieren. Es war ein Zeichen, das wie ein geschwungenes S aussah, beide Enden schneckenförmig nach innen gedreht. Es leuchtete in einem tiefen Saphirblau, und Alex wusste, hinter diesem Symbol verbargen sich die Antworten, nach denen sie suchte – das S hatte irgendwie mit ihm zu tun.

Automatisch griff sie danach und wollte das schimmernde Gebilde berühren. Ob es vielleicht Teil eines Geistes sein könnte? Bisher war noch nie einer in ihre Träume vorgedrungen, aber nach beinahe drei Jahrzehnten, die sie es jetzt schon mit ihnen zu tun hatte, würde sie selbst das nicht mehr wirklich überraschen.

Plötzlich schnellte etwas aus dem Nebel hervor und packte Alex’ Hand. Sie schrie erschrocken: „Heilige Scheiße“, und versuchte, sich aus dem Griff dessen zu befreien, was auch immer sie da festhielt, doch es war zu stark.

„Bitte, weise mich nicht ab. Du musst zu mir zurückkehren.“

Und dann wurde Alex’ Hand sanft nach oben gezogen, und sie hätte schwören können, für einen Sekundenbruchteil zu spüren, wie Lippen – warme, sinnliche Lippen – ihre Haut streiften. Die Berührung beruhigte Alex auf seltsame Weise, sie fühlte sich sicher, und ihre Zweifel und die Verwirrung fielen einfach von ihr ab. Sie war genau dort, wo sie sein sollte. Alles würde gut. Das hier war kein Geist – die konnten Lebende nicht anfassen. Nein, sie hatte einen Mann vor sich – einen sexy Traummann, das Produkt ihrer Fantasie, der perfekte Partner für einen prickelnden Flirt. Und mehr. Sein fester Griff drückte Verlangen nach ihr aus.

Alex lächelte.

Natürlich wollte er sie. Natürlich rief er nach ihr. Sie hatte ihn schließlich geschaffen. Alles, was sie jetzt tun müsste, war, sich zu entspannen und die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Zweifellos würde der Nebel jeden Augenblick verschwinden und den Blick auf ihren Auserwählten freigeben – wahrscheinlich zur Titelmelodie der unübertroffenen alten Lerner-und Loewe-Fassung von „Camelot“. Ohh! Vielleicht war er es, den sie sich da kreiert hatte – König Arthur! Jepp. Eindeutig König Arthur. Diese Traumwelt war die originalgetreue Nachbildung eines romantischen Plätzchens irgendwo im alten England. Kein Wunder, dass er die ganze Zeit im Verborgenen geblieben war, während sie erwartete, Aragorn zu begegnen – ihr Fehler. Sie erlebte eine historisch angehauchte Liebesgeschichte, keine schmalzige Fantasy-Romanze.

„Nun gut“, säuselte sie verführerisch und drückte die Hand, die noch immer ihre hielt. „Ich bin bereit. Hier bin ich, zurückgekehrt zu dir.“ Ein erwartungsvolles Lächeln auf den Lippen, wappnete sie sich für das, was als Nächstes geschehen würde, überzeugt davon, sie habe sich im Traum so etwas wie ihre persönliche Version eines gordischen Knotens ausgedacht und alle Ungereimtheiten lösten sich bestimmt gleich in Wohlgefallen auf.

„So leicht wird es dir nicht gemacht werden, Tochter der Menschen!“

Die unbekannte Stimme traf Alex wie ein Keulenschlag. Wer immer ihre Hand gehalten hatte, ließ sie abrupt los, und sie geriet durch das gewaltige Beben der donnernden Stimme aus dem Gleichgewicht. Sie stolperte rückwärts. Doch hinter ihr war nichts. Nur schwarze Leere. Verzweifelt ruderte sie mit den Armen, aber es gab nichts, woran sie sich hätte klammern können. Und dann fiel sie … und fiel … und fiel …

„Hallo, Ms Patton? Sie sind jetzt wach, es ist alles in Ordnung.“

Alex schreckte hoch und wich reflexartig vor dem alten Mann zurück, der eine seiner großen, derben Hände auf ihre Schulter gelegt hatte und sie nun ebenso reflexartig wegzog.

„Tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken. Sie haben bloß ziemlich komische Geräusche gemacht, und da dachte ich, das muss ja ein Albtraum erster Güte sein, da wecke ich Sie lieber auf.“

Alex blinzelte und sah zu dem Mann hinauf – lichtes graues Haar, silberne buschige Augenbrauen, eine Menge drahtiger Nasenhaare –, und ihr überlasteter Verstand war wieder halbwegs in der Realität angekommen.

„Oh, Mr Thomson, Sie sind es.“

„Haben Sie schlecht geträumt, Liebes?“ Mrs Thompson, eine füllige ältere Frau, die dem Klischee der typischen Großmutter in jeder Hinsicht gerecht wurde, schaute Alex über die Schulter ihres Mannes hinweg mitfühlend an.

„Ich … ich glaube, ja. Ich weiß gar nicht mehr genau, worum es in dem Traum ging.“ Sie stand auf und klopfte nicht vorhandenen Staub und Grashalme von ihrer Cargohose. „Nicht zu fassen, dass ich einfach eingeschlafen bin“, murmelte sie und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie verwirrt und desorientiert sie noch immer war – ganz besonders, als ihr bewusst wurde, dass sie inzwischen die ungeteilte Aufmerksamkeit der gesamten Wandergruppe genoss.

„Schätzchen, Sie sind praktisch ins Koma gefallen, und das beinahe zwei Stunden lang“, polterte Mr Meyers, ein ehemaliger Schlachter aus Tulsa, in seiner liebenswürdig direkten Art.

„Ach Frank, lass das arme Ding doch in Ruhe. Mir ist schon vorhin, als wir unterwegs waren, aufgefallen, wie furchtbar übermüdet sie aussah.“ Mrs Meyers, die gleich zu Anfang darauf beharrt hatte, Alex solle sie Trixi nennen, klopfte ihr beruhigend auf die Schulter. „Keine Sorge, ist ja nichts passiert. Wir brauchen alle unseren Schönheitsschlaf.“

„Ähm, also gut dann, sind alle so weit fertig, dass wir uns auf den Rückweg machen können?“, fragte Alex in die Runde, obwohl sie insgeheim am liebsten im Erdboden versunken wäre.

„Aber klar! Und ich wette, jetzt legen Sie einen etwas flotteren Schritt vor als auf dem Hinweg, wo Sie Ihr kleines Mittagsschläfchen gehalten haben, was?“ Mr Meyers lachte und schlug ihr kumpelhaft auf den Rücken.

Glücklicherweise blieb keiner der Touristen über Nacht, also war Alex’ Arbeit für diesen Tag getan, nachdem sie die Gruppe wieder heil und vollständig im zum Park gehörigen Souvenirladen abgeliefert hatte. Nach Teil zwei ihres seltsamen Fortsetzungstraumes noch immer ziemlich neben der Spur, beschloss sie, sich einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen hinzugeben – alte BBC-Filmklassiker-Specials auf ihrem Breitbild-iMac anzuschauen. Dazu eine ordentliche Portion frisch gemachtes Popcorn mit extra viel Butter und ein großes Glas Eistee – Wein stand nicht zur Debatte. Sie stellte alles auf den Tisch, öffnete den „Netflix“-Umschlag und wollte gerade die erste Disc von „The House of Eliott“ ins DVD-Laufwerk einlegen, als ein Piepsen ertönte, das sie darüber informierte, wenn ein neue E-Mail in ihr Postfach flatterte. Ohne großartig darüber nachzudenken, klickte Alex das blinkende Symbol auf dem Bildschirm an und sah, wer ihr da freundlicherweise geschrieben hatte: ACarswell@flagstaff.net.

„Oh, bitte, das soll wohl ein Witz sein“, grummelte sie, öffnete die Mail jedoch trotzdem, wenn auch widerwillig.

Sie bestand aus nur einer Zeile: Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, wir erwarten Sie in Flagstaff. Unterzeichnet mit A. C.

Alex ließ den Blick erneut zur Adressleiste hochwandern und sah, dass es einen Anhang gab. Beinahe hätte sie auch den geöffnet, doch sie zögerte. Was könnte Carswell ihr schon Außergewöhnliches schicken, um sie zu ködern? Letztlich aber siegte ihre Neugier. Das Zeichen, das plötzlich auf dem Bildschirm erschien, ließ Alex unwillkürlich die Luft anhalten.

Es war das saphirblaue Symbol aus ihrem Traum.

4. KAPITEL

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, ihr Adressbuch nach der verdammten Nummer des Hauptquartiers vom „Projekt Anasazi“ zu durchwühlen, die Tessa ihr Monate zuvor gegeben hatte. Dies war Tessas erster Versuch gewesen, sie zu überreden, den Time Raiders beizutreten. Alex war nicht im Geringsten überrascht, dass sie Carswell schon nach dem zweiten Klingeln persönlich am Telefon hatte.

„Woher haben Sie dieses Symbol?“, platzte Alex heraus, ohne sich unnötig mit Begrüßungsfloskeln aufzuhalten.

„Alex, wie schön, dass Sie anrufen“, sagte Carswell gelassen.

„Woher haben Sie es?“, wiederholte Alex starrsinnig.

„Wie ich Ihnen bereits in meiner E-Mail mitgeteilt habe, werden Sie sich nach Flagstaff bemühen müssen, wenn Sie an weiteren Informationen interessiert sind.“

„Das ist Erpressung!“

„Nennen Sie es, wie Sie möchten, aber das ist der Deal. Entweder … oder.“

Alex atmete tief durch und sprach erst wieder, als sie sich sicher sein konnte, nicht ausfallend zu werden. Dann antwortete sie – in kurzen, klaren Sätzen: „Ich weiß nicht, warum Sie das tun. Ich werde bei dem Projekt nicht mitwirken. Meine Entscheidung steht fest, ob ich nun hier bin oder dort.“

„Ich tue es, weil wir Sie brauchen. Die Welt braucht Sie, Alex.“

„Die Welt? Schwachsinn! Ich kann nicht die ganze Welt retten. Suchen Sie sich jemand anderen für den Job. Jemanden, der mehr wie Tessa ist.“

„Für diesen speziellen Auftrag brauchen wir Sie.“ Als von Alex’ Seite keine Reaktion kam, sprach Professor Carswell in sanftem Tonfall weiter. „Dieses Symbol hat eine besondere Bedeutung für Sie und Ihr Leben, so viel kann ich Ihnen verraten.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

Am Klang der Stimme ihrer Gesprächspartnerin konnte Alex hören, dass Professor Carswell lächelte. „Sie sind auf diesem Planeten nicht die Einzige mit besonderen Fähigkeiten.“

Alex stieß einen frustrierten Laut aus.

„Kommen Sie nach Flagstaff. Es wird Ihr Leben verändern, glauben Sie mir“, beharrte die Professorin.

„Und wenn ich gar keine Veränderung will?“

„Nicht?“

Es folgte ein langer Moment der Stille, und dann hörte Alex sich selbst auf einmal fragen: „Liegt das Ticket noch am Flughafen? Tulsa International?“

„Was ist Isatis-Tinktur?“, erkundigte sich Alex. Sie saß Professor Carswell in deren Büro gegenüber und bewunderte eine erstklassige Zeichnung des S-Symbols, die Carswell eingescannt und ihr per E-Mail geschickt hatte. Das Original allerdings war auf die Umrisse eines menschlichen Gesichts gemalt worden. Ein offenbar männliches Gesicht, der Form nach zu urteilen, doch es gab keine Details wie Augenbrauen oder Ähnliches, es diente nur als Rahmen für das geschwungene Symbol, das von der Stirn über die Wangenknochen bis hinunter zum Hals und an den Rand des Oberkörpers reichte.

Nie zuvor hatte Alex etwas so Exotisches, Schönes oder Reizvolles gesehen. Diesen Gedanken behielt sie aber lieber für sich.

„Isatis-Tinktur ist der Farbstoff, den die alten Kelten benutzten, um ihre Körper mit solchen Tätowierungen zu versehen.“

„Dieses Zeichen ist also eine antike Tätowierung?“ Alex starrte weiterhin fasziniert das Bild an, als würde sie versuchen, das Gesicht des Mannes hinter dem Symbol zu erkennen.

„Na ja, unter den Experten herrscht Uneinigkeit darüber, ob diese Muster wirklich eintätowiert oder nur auf den Körper gemalt wurden. Eine ziemlich sinnlose und langweilige Debatte, wenn Sie mich fragen. Sicher ist aber, dass dieses spezielle Symbol, die Doppelspirale, einst von einem keltischen Druiden und Krieger getragen wurde, der im Jahr sechzig vor Christus in Britannien lebte.“

„Ich verstehe nicht ganz“, warf Alex ein. „Woher wissen Sie das alles, und was hat das Ganze mit mir zu tun?“

„Was es mit Ihnen zu tun hat?“, mischte sich General Ashton ein, die in diesem Moment durch die Tür zu Carswells Büro gekommen war.

„Sagen Sie es mir. Ich dachte, deshalb bin ich den ganzen Weg hergekommen.“

„Warum haben Sie gerade bei diesem Wurm am Haken angebissen und sind in den Flieger gestiegen? Trotz Ihrer Abneigung gegen das Projekt?“

„Alex, ich weiß, dass das Symbol eine Bedeutung für Sie hat“, erklärte Professor Carswell besänftigend.

Alex ignorierte den General und wandte sich Carswell zu. „Ich habe es in meinen Träumen gesehen. Ich glaube, der Mann, zu dem es gehört, versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen.“

„Bittet er Sie darum, zu ihm zu kommen?“ Professor Carswell beugte sich vor, so weit, bis sie fast buchstäblich vom Stuhl fiel, und erwartete gespannt Alex’ Antwort.

„Ja“, bestätigte sie zögerlich.

Carswell nickte langsam. „Dann sind Sie es, die auf diese Mission gehen muss. Alex, ich habe das nächste Medaillon lokalisiert. Es befindet sich im alten Britannien, sechzig vor Christus, und es existiert eine Verbindung zur keltischen Kriegerkönigin Boudica. Ansonsten kann ich mit Sicherheit nur noch sagen, dass der Ort, an dem es versteckt ist, vom Tod beherrscht wird. Es ist fast, als hätten die Toten mit der Zeit einen Trampelpfad geschaffen, der direkt dorthin führt. Sie wissen, wo dieses Stück des Puzzles verborgen liegt. Ich nicht.“

„Sie sehen also, Alex, wir brauchen jemanden, der mit den Verstorbenen sprechen kann“, beendete der General Carswells Erklärungsversuch.

„Oh, nein!“ Alex schüttelte energisch den Kopf. „Hören Sie, ich bin noch nicht mal einen Tag in Flagstaff und schon völlig gestresst. In der Prärie ist es anders, aber hier schwirren überall Geister rum, egal, wo ich hinsehe.“ Es verschaffte ihr ein – zugegeben – gemeines Gefühl der Genugtuung, als sie die Reaktion von Carswell und General Ashton beobachtete, die sich beide nervös im Raum umblickten. „Keine Sorge, Sie können sie sowieso nicht sehen. Aber das macht nichts, die Geister scheinen dieses Gebäude zu meiden, es ist nicht ein einziger hier. Egal, Zeit, dass wir mal Klartext reden. Tessa hat Ihnen von meiner ‚Fähigkeit‘ erzählt, und ich kann verstehen, warum sie dachte, das Richtige zu tun. Tessa ist ein Teamplayer mit Leib und Seele. Ich aber nicht. Ich bin raus aus der Air Force. Das Ganze …“ Sie gestikulierte hilflos mit den Armen. „… dieses ganze Zeugs ist einfach zu viel für mich. Klar hat mich interessiert, wer der Mann ist, von dem ich geträumt hatte, aber jetzt sagen Sie mir, er lebte vor einer Trillion Jahren irgendwo in Britannien, also wo soll es da bitte eine Verbindung zu mir und meinem Leben heute geben? Ich will einfach bloß wieder zurück – zu meinem ruhigen Job. In eine Welt, wo ich frei atmen kann und mich das ständige Gebrabbel der Toten nicht um den Verstand bringt, okay? Und außerdem, falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist, ich funktioniere nicht mehr nach dem Militärprinzip ‚Halt die Klappe und mach, was man dir sagt!‘. Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit verschwendet habe. Und meine.“ Alex schickte sich an, aufzustehen.

„Setzen Sie sich, Sergeant.“ General Ashton hob nicht einmal die Stimme, doch ihr autoritärer Tonfall ließ Alex zurück auf den Stuhl sinken, bevor ihr überhaupt bewusst wurde, dass sie gehorcht hatte.

„Sie sind eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Also gut, dann reden wir mal Klartext. Hier geht es nicht um irgendeinen Traummann. Oder um Sie und Ihr Bedürfnis nach Abgeschiedenheit. Es geht darum, die zwölf Medaillons zu finden und sie wieder zusammenzuführen, um eine fremde feindliche Rasse aufzuhalten, die seit Tausenden von Jahren Frauen versklavt. Wir stehen als Einzige zwischen denen und unserer völligen Vernichtung. Diese Kreaturen werden zur Erhaltung ihrer Vormachtstellung im Universum alles tun, und wenn sie jeden weiblichen Menschen von diesem Planeten fegen müssen. Das Leben der Töchter unserer Töchter steht auf dem Spiel, geht das in Ihren Kopf rein? Also stecken Sie sich Ihren Egoismus sonst wohin und hören Sie auf zu jammern. Sie können so viel Ruhe haben, wie Sie wollen, wenn Sie tot sind.“

Alex begegnete dem scharfen Blick des Generals. Ashton war ganz offensichtlich mehr als angepisst, aber das machte Alex nichts aus. Früher hatte sie sogar Spaß daran gehabt, Vorgesetzten den Tag zu vermiesen, was während ihrer aktiven Dienstzeit häufig geschah. Doch dies hier war anders. Sie respektierte Ashton dafür, dass diese ihr endlich einen kräftigen Tritt in den Hintern gegeben und aufgehört hatte, um den heißen Brei herumzureden. „Diese fremden Wesen, würden die wirklich so weit gehen, wie Sie sagen?“

„Worauf Sie Gift nehmen können.“

„Ich bin keine Superheldin, General. Ich bin nur eine Frau, die mit Toten sprechen kann. Und wenn zu viele von denen gleichzeitig auf mich einreden, macht mich das so fertig, dass ich kaum noch geradeaus denken kann.“

„Wie viel Denkarbeit, glauben Sie, ist denn dabei nötig, ein paar Geister aus dem Altertum zu bitten, Sie zu etwas wie dem hier zu führen?“ Ashton zog ein Bild hervor, auf dem die Oberseite eines bronzenen Medaillons zu sehen war. Es hatte eine längliche Form und ungefähr die Größe von zwei nebeneinandergelegten Vierteldollarstücken. Auf der Oberfläche konnte man ein interessantes Muster erkennen, das beim Original wahrscheinlich funkelte. Es erinnerte Alex vage an Sternenkonstellationen.

Sie zuckte mit den Schultern. „Kommt darauf an, wie lange ich ohne Schlaf auskommen muss.“

„Alex“, mischte Professor Carswell sich eilig ein, „können Sie sich erklären, warum die Prärie so eine beruhigende Wirkung auf Sie hat?“

„Nein, abgesehen davon, dass die Toten mich dort sehr viel seltener belästigen als anderswo. Es ist, als wären sie irgendwie erdverbundener oder so was. Ich habe den Grund dafür nie hinterfragt. Ich war einfach nur froh, als Tessa und ich damals zusammen quer durchs Land gereist sind und auf dem Weg einen Zwischenstopp in der Hochgrasprärie eingelegt haben. Denn plötzlich war da diese Ruhe, die ich vorher gar nicht kannte.“

Carswell nickte. „Erdverbunden … das ist ein passender Ausdruck. Wussten Sie, dass die alten Kelten auch eine starke Verbindung zur Erde hatten? Ich kann es nicht hundertprozentig versprechen, aber ich bin mir doch sehr sicher, dass Sie in dieser antiken Welt weitaus weniger Probleme mit den Geistern hätten als in unserer heutigen modernen und rastlosen Zeit.“

„Aber ob das nun stimmt oder nicht, wir brauchen Sie für diese Mission“, beharrte General Ashton.

Alex sah sie an. „Ich will mit Tessa sprechen.“

Ashton warf Carswell einen Blick zu, die sich daraufhin räusperte und meinte: „Alex, Tessa befindet sich zurzeit nicht auf der Erde.“

„Wie bitte?“

Carswell nickte bestätigend. „Sie haben richtig gehört. Ihre Freundin war nur kurz hier, um Sie anzurufen. Und für eine Vorsorgeuntersuchung. Sie ist schwanger.“

„Schwanger?“

General Ashtons Lächeln verriet eine Spur Schadenfreude. „Tessa wollte es Ihnen eigentlich selbst erzählen, aber Sie haben ja einfach aufgelegt.“

Missbilligend runzelte Carswell die Stirn. „Sie hätte ihr wohl kaum am Telefon erzählt, dass sie das Kind eines Außerirdischen erwartet, das später in der Heimatwelt seines Vaters zu einem Sternennavigator ausgebildet werden soll.“

„Sie ist schwanger von einem … Außerirdischen?“ Alex fühlte, wie ihr ein kleines bisschen schwummerig wurde.

„Er ist zur Hälfte ein Mensch“, berichtigte Carswell.

„Also war ihre Mission ein voller Erfolg“, murmelte Alex mehr zu sich selbst.

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