Digital Star ''Romance'' - Michelle Reid

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UNSERE VILLA AM BLAUEN MEER

Der Architekt Ethan Hayes freut sich auf seinen Urlaub auf der herrlichen kleinen Karibikinsel. Und dann das! Ausgerechnet Eve, die verwöhnte Enkelin seines Hauptauftraggebers, macht auch Ferien in der Strandvilla direkt nebenan. Obwohl Ethan zugeben muss, dass er sie begehrt, will er nichts mit ihr zu tun haben. Sie scheint nur ein Ziel zu haben: Alle Männer sollen ihr zu Füßen liegen! Als er sie einesNachts um Hilfe rufen hört, zögert er jedoch keine Sekunde, zu ihr zu laufen. Ein Verehrer ist zudringlich geworden - Eve ist völlig verstört. Liebevoll nimmt Ethan sie in die Arme und trägt sie in seine Villa. Erschöpft schläft Eve in seinem Bett ein. Auch Ethan fallen die Augen zu. Am nächsten Morgen jedoch wird er äußerst unsanft geweckt: Eves Großvater steht vor ihnen ...

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  • Erscheinungstag 22.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774820
  • Seitenanzahl 390
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Michelle Reid

Digital Star ''Romance'' - Michelle Reid

IMPRESSUM

Unsere Villa am blauen Meer erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© by Michelle Reid
Originaltitel: „Ethan’s Temptress Bride“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA
Band 1503 - 2003 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Übersetzung: Fanny Gabor

Umschlagsmotive: BeautyStockPhoto /shutterstock, Tomas Marek /123RF

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733773526

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Konnte es etwas Schöneres geben, als kurz vor Sonnenuntergang im Schatten zu sitzen und einen kühlen Drink zu genießen, während sich wenige Meter entfernt die Wellen des Atlantiks am Strand einer karibischen Insel brachen?

Eigentlich nicht, dachte Ethan Hayes und ließ den Blick durch die Strandbar gleiten, die von den betörenden Klängen kreolischer Musik erfüllt war.

Es hatte allerdings mehr als eine Woche gedauert, bis sich die Urlaubsstimmung eingestellt und er sich so weit entspannt hatte, dass er weder sein Handy noch den schwarzen Anzug vermisste, den er gewöhnlich trug. Inzwischen konnte er es sogar genießen, barfuß und in Shorts und T-Shirt auf einem Barhocker zu sitzen und nichts zu tun.

„Haben Sie noch einen Wunsch, Mr Hayes?“, fragte in diesem Moment die junge Frau, die hinter dem Tresen stand. Der melodische Klang ihres Dialekts war kaum weniger erotisch als der Blick, dem sie ihrem Gast schenkte.

„Ich nehme noch einen Rum“, erwiderte Ethan und reichte ihr sein Glas. Dabei vermied er es jedoch, ihr in die Augen zu sehen, denn an dem, was sie ihm über den Drink hinaus anbot, hatte er derzeit kein Interesse.

Zu Recht galt die kleine Insel, auf der er seinen ersten Urlaub seit vielen Jahren verbrachte, als ein Paradies auf Erden. Die Ähnlichkeit mit dem biblischen Vorbild beschränkte sich jedoch nicht auf die Schönheit der Landschaft, denn auch hier lauerte die Schlange darauf, die Menschen in Versuchung zu bringen.

Nur war die Versuchung in diesem Fall kein Apfel, sondern das andere Geschlecht, und je höher die Temperaturen stiegen, desto geringer wurden die Hemmungen, dessen Lockungen zu erliegen.

Doch dafür hatte Ethan die weite Reise nicht gemacht, und die leichte Schwellung am Kinn ließ es ratsam erscheinen, das unzweideutige Angebot der Bedienung zu ignorieren.

Auch wenn die blauen Flecken mittlerweile abgeheilt waren, saß der Stachel der Kränkung noch tief. Um nicht Gefahr zu laufen, seine Wut an Unschuldigen auszulassen, hatte er sich vorgenommen, jeder Versuchung zu widerstehen.

Diesem Vorsatz treu zu bleiben verlangte jedoch schier übermenschliche Selbstbeherrschung, wenn gleichzeitig und nur wenige Meter entfernt eine junge Frau die Tanzfläche zu ihrer ganz privaten Bühne erklärte und Bewegungen vollführte, die jeder Schlange zu Ehren gereichten.

Sie war groß, schlank und trug ein extrem kurzes rosa Stretchkleid, das erhebliche Teile ihres sonnengebräunten Körpers unbedeckt ließ. Das rotblonde Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden, in dem eine leuchtende Hibiskusblüte steckte.

Doch auch wenn sich der Vergleich mit der Schlange aufdrängte, war ein anderer weitaus passender. Denn der Name der betörenden Frau lautete Eve, und wie das biblische Vorbild trieb sie die Männer förmlich dazu, für sie jede erdenkliche Sünde zu begehen.

So überraschte es Ethan nicht, dass außer ihm alle Männer auf die Tanzfläche geeilt waren, um mit ihr zu tanzen und dabei ihren ebenso rassigen wie anmutigen Körper berühren zu dürfen und einen Blick ihrer großen grünen Augen zu erhaschen. Wenn sie dann lächelte, glaubte sich der eine oder andere bereits am Ziel seiner Träume, musste dann jedoch erleben, dass sie sich unvermittelt von ihm löste und mit dem nächsten Verehrer tanzte.

Ethan bezweifelte nicht, dass Eve erst dann zufrieden wäre, wenn sie auch dem Letzten den Kopf verdreht hatte. Was ihr besonders leicht fiel, weil sie nicht nur mit Schönheit, sondern auch mit allen anderen irdischen Gütern gesegnet war. Ihr Großvater Theron Herakleides war ein vermögender Mann und sie seine einzige Erbin.

Geld wirkte auf Männer ebenso anziehend wie weibliche Schönheit. Deshalb nahm Ethan an, dass sich kaum weniger Verehrer um Eve geschart hätten, wenn sie unansehnlich oder gar hässlich gewesen wäre.

Da sie jedoch zu den wenigen Auserwählten gehörte, die über beide Reize, und dies auch noch im Übermaß, verfügten, schien es sie regelrecht zu empören, dass ein einziger Mann ungerührt auf seinem Barhocker saß und das Treiben eher mit Befremden beobachtete.

Das jedenfalls verriet der Blick, mit dem sie Ethan ansah. Du traust dich doch bloß nicht! schien sie ihm mit einem provozierenden Augenaufschlag sagen zu wollen, und wir wissen beide genau, warum.

Sie kannten sich nur flüchtig, doch gut genug, um sich gegenseitig zutiefst unsympathisch zu finden. Ethan missfiel vor allem, dass Eve zu erwarten schien, dass jeder Mann vor ihr auf die Knie fiel. Eve hingegen ertrug es offensichtlich nicht, dass Ethan sich standhaft weigerte, genau das zu tun.

Im Lauf des vergangenen Jahres hatten sie wiederholt Gelegenheit gehabt, sich der beiderseitigen Abneigung zu vergewissern. Ethan war mehrfach nach Athen gereist, um geschäftliche Dinge mit Eves Großvater zu besprechen. Dabei war er zwangsläufig auch dessen Enkelin begegnet, und eine der Begegnungen war so denkwürdig verlaufen, dass keiner von beiden sie je vergessen würde.

Nicht zuletzt deshalb war es eine unglückliche Fügung, dass sie zur selben Zeit am selben Ort Urlaub machten. Zu allem Überfluss war die Insel so klein, dass man sich unmöglich aus dem Weg gehen konnte.

Die einzige Möglichkeit, die Feindseligkeit nicht offen zutage treten zu lassen, bestand darin, den anderen geflissentlich zu übersehen. Genau das tat Ethan, indem er Eve den Rücken zudrehte und sich wieder seinem Drink widmete. Doch weil er auch dann noch ihr Gesicht vor Augen hatte, beschloss er, ein wenig mit der jungen Frau zu flirten, die hinter dem Tresen stand.

Was bildet sich dieser Kerl nur ein? dachte Eve, als Ethan sich gleichgültig abwandte und unverhohlen mit der Bedienung flirtete, die ihm schon eine Weile unzweideutige Blicke zuwarf.

Doch Eve konnte ihrer Geschlechtsgenossin keinen Vorwurf machen, denn Ethan Hayes war in der Tat eine Sünde wert. Er sah himmelschreiend gut aus, und weder sein athletischer Körper noch das unerschütterliche Selbstbewusstsein deutete darauf hin, dass er als Architekt die meiste Zeit des Tages am Schreibtisch verbrachte.

In dieser Eigenschaft hatte er mehrere Male ihren Großvater in Athen aufgesucht. Bei dieser Gelegenheit hatte Eve ihn kennen- und verabscheuen gelernt, weil er sie auch ohne Worte wissen ließ, dass er sie für eine verwöhnte und eingebildete Gans hielt, die ihren Lebensinhalt darin sah, das Geld ihres Großvaters mit beiden Händen zum Fenster hinauszuwerfen.

Zu ihrem Kummer wollte es Eve jedoch nicht gelingen, Ethan mit Verachtung zu strafen. Dafür verunsicherte sie die Gleichgültigkeit viel zu sehr, mit der er sie strafte.

Das Schlimmste war jedoch, dass er so tat, als wäre er für ihre körperlichen Reize völlig unempfänglich – was Eve vor allem deshalb kränkte, weil sie dasselbe umgekehrt nicht behaupten konnte.

An Verehrern mangelte es ihr wahrlich nicht. Doch keiner von ihnen konnte im Entferntesten mit jenem Mann mithalten, der in Shorts und T-Shirt am Tresen saß und sie wie Luft behandelte.

Das war vor allem deshalb eine bodenlose Frechheit, weil es nicht immer so gewesen war. Oder sollte Ethan jenen unglückseligen Abend im Haus ihres Großvaters vergessen haben, an dem Eve, ohne anzuklopfen, in sein Zimmer gekommen war?

Die Erinnerung an den Vorfall rief Gefühle in ihr wach, denen sie lieber nicht auf den Grund ging. Dafür hatte sie zu deutlich zu erkennen gegeben, dass sie nicht nur empört und beschämt, sondern vor allem fasziniert gewesen war, als Ethan splitterfasernackt vor ihr gestanden hatte.

Zu ihm gegangen war sie, weil er sie wenige Stunden zuvor mit Aidan Galloway im Garten beobachtet hatte. Nach allem, was sie von Ethan wusste, musste sie annehmen, dass er völlig falsche Schlussfolgerungen daraus ziehen würde.

In ihrer Wut hatte sie die Tür zu seinem Schlafzimmer aufgerissen und war wie erstarrt stehen geblieben, als sie ihn sah: Er war direkt aus der Dusche gekommen, und das einzige Stück Stoff weit und breit war das Handtuch, mit dem er sich die Haare abtrocknete.

Er selbst war nicht weniger überrascht als sie, und so dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis er reagierte und sich das Handtuch um die Hüften legte. Doch da hatte sie sich schon längst einen nachhaltigen Eindruck davon verschaffen können, wie gut er gebaut war.

Zu ihrem Leidwesen hatte Ethan als Erster die Sprache wiedergefunden, und seine Worte trieben ihr noch heute die Zornesröte ins Gesicht. „Hat sich Mr Galloway daran erinnert, dass er verlobt ist?“, hatte er abfällig gefragt. „Oder was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“

„Wo bist du mit deinen Gedanken?“ Raouls Frage brachte Eve in die Gegenwart zurück. Für einen Moment hatte sie tatsächlich vergessen, dass sie sich auf der Tanzfläche einer Strandbar in der Karibik befand. Umso deutlicher erinnerte sie sich daran, dass sie aus dem Zimmer gestürmt war, ohne Ethan eine passende Antwort auf seine Unverschämtheit zu geben.

Dabei war es bis zum heutigen Tag geblieben, und mittlerweile lag ihr nichts ferner, als sich Ethan gegenüber zu rechtfertigen. Darauf konnte er warten, bis er alt und grau war. Ebenso lange, so war zu befürchten, würde Eve damit leben müssen, dass er ein gänzlich falsches Bild von ihr hatte – und zu ihrem Entsetzen machte ihr das mehr aus, als sie sich eingestehen mochte.

„Wie wär’s, wenn wir heute Abend essen gehen?“, fragte Raoul, ohne zu bemerken, dass Eve ihm noch eine Antwort schuldete. Dafür war er zu sehr damit beschäftigt, sich die Fortsetzung des Abends auszumalen.

„Nur du und ich“, gewährte er Eve Einblick in seine Gedanken, die er unterstrich, indem er eine Hand tiefer gleiten ließ. „Ich wüsste ein romantisches Plätzchen, wo wir garantiert ungestört wären.“

„Du kennst meine Antwort“, erwiderte Eve, und ihr Tonfall ließ es Raoul ratsam erscheinen, die Hand von ihrem Po zu nehmen. „Als ich gesagt habe, dass ich mich heute Abend amüsieren will, meinte ich nicht das, woran du denkst.“

„Vielleicht überlegst du es dir ja noch anders.“

„Ausgeschlossen“, widersprach Eve bestimmt. Als sie die Enttäuschung auf seinem Gesicht sah, hatte sie fast ein wenig Mitleid mit ihm. Raoul Delacroix, ein Amerikaner französischer Abstammung, war ein attraktiver junger Mann, der um die Wirkung, die er auf Frauen ausübte, durchaus wusste. Doch an Eve biss er sich die Zähne aus.

Was ihr mitunter nicht weniger Kummer machte als ihm. Denn er war ein ausgesprochen netter Kerl und im selben Alter wie sie – Vorzüge, die Ethan Hayes eindeutig nicht aufwies.

Obwohl er nur vier Jahre älter war als Eve, tat er, als gehörte er einer anderen Generation an. Hinzu kam, dass die sprichwörtliche britische Zurückhaltung bei ihm wie Überheblichkeit wirkte, die Eve so einschüchterte, dass sie sich in seiner Nähe manchmal tatsächlich wie ein Teenager fühlte.

„Nimm es nicht persönlich“, sagte sie zu Raoul, der richtiggehend eingeschnappt wirkte. „Ich möchte meinen Geburtstag mit all meinen Freunden und so unbeschwert wie möglich verbringen.“

„Du hast doch erst morgen Geburtstag“, wandte er ein. „Es spricht also nichts dagegen …“

„Und ob“, fiel sie ihm ins Wort. „Wie du weißt, kommt morgen mein Großvater, und an eine Party ist dann nicht zu denken. Deshalb haben wir beschlossen, meinen Geburtstag vorzuverlegen und heute Abend ein rauschendes Fest zu feiern. Also hör endlich auf zu schmollen. Sonst verdirbst du mir noch alles.“

Die Bitte war zugleich als Warnung gedacht, denn in letzter Zeit schien es Raoul nicht mehr zu reichen, mit Eve nicht enger befreundet zu sein als all die anderen, die sich jedes Jahr auf der kleinen Insel trafen.

Raoul war der Halbbruder von André Visconte, dem das einzige Hotel auf der Insel gehörte. Alle anderen aus ihrem Freundeskreis verbrachten den Sommerurlaub in den umliegenden Villen, die ihre Familien zum Teil schon seit Generationen besaßen.

So kannten sich die meisten von ihnen seit Kindertagen und waren im Lauf der Jahre zu einer festen Clique geworden. Damit sich daran nichts änderte, galt das ungeschriebene Gesetz, dass die Beziehungen untereinander rein freundschaftlich blieben.

Raoul kannte die Regeln, die sie sich selbst gegeben hatten, ganz genau, und dass er entschlossen schien, sie zu übertreten, konnte und wollte Eve ihm nicht durchgehen lassen.

„Wenn du ein romantisches Essen zu zweit vorziehst, solltest du dich am Strand umsehen“, riet sie ihm sarkastisch. „Unter den Touristinnen wird sich schon jemand finden, der dir den Abend versüßt.“

„Mit der einen oder anderen hatte ich bereits das Vergnügen“, erwiderte Raoul selbstbewusst. „Ich habe mich natürlich nur darauf eingelassen, um nicht aus der Übung zu kommen“, fügte er hinzu. „Schließlich will ich auf alles vorbereitet sein, falls mich die Frau, die ich liebe, doch noch erhört.“

Sollte er mich damit gemeint haben? Eve verdrängte den Gedanken, indem sie Raouls Bekenntnis als Scherz abtat und laut zu lachen begann.

Zunächst schien Raoul irritiert, doch dann hellte sich seine Miene auf, bis er schließlich selbst lachen musste. Trotzdem war Eve erleichtert, als kurz darauf ein anderer Mann sie zum Tanzen aufforderte.

Auch wenn Ethan der Tanzfläche den Rücken zudrehte, hatte er im Spiegel an der rückwärtigen Wand das Gespräch zwischen Eve und Raoul beobachten können. Zu gern hätte er gewusst, was die beiden zu besprechen gehabt hatten, doch um auch nur ein Wort zu verstehen, war die Musik zu laut.

Aus Raouls Gesichtsausdruck ließ sich jedoch schließen, worum es gegangen war. Denn auch wenn er sich bemühte, unbekümmert zu wirken, war ihm deutlich anzusehen, dass er sich maßlos ärgerte.

Den Grund konnte sich Ethan lebhaft vorstellen. Schließlich musste Eve wissen, welche Gefahr sie heraufbeschwor, wenn sie einem Mann den Kopf verdrehte und ihm im letzten Moment die kalte Schulter zeigte.

Zu Ethans Leidwesen ließ es ihn jedoch keineswegs kalt, dass sie mit dem Feuer spielte. Einzig über die Frage, ob Unbedarftheit oder Schamlosigkeit sie dazu brachte, war er sich noch nicht im Klaren.

Wie aufs Stichwort betrat Aidan Galloway die Bar und ging zielstrebig auf Eve zu. Ethan hatte ihn zuletzt vor einem Monat in Athen gesehen, deshalb erkannte er ihn sofort wieder. Damals hatte er auch Aidans Verlobte kennengelernt. Deshalb wusste Ethan, dass der rothaarige Mann in festen Händen war – was ihn jedoch nicht daran hinderte, den möglicherweise letzten Urlaub als Single dazu zu nutzen, unverhohlen mit Eve zu flirten.

„Guten Tag, Mr Hayes.“ Eine freundliche Begrüßung riss ihn aus seinen Gedanken. Als er aufsah, erkannte er Jack Banning, den Geschäftsführer des Hotels.

Ethan forderte ihn auf, Platz zu nehmen, und genoss die Gelegenheit, an etwas anderes zu denken als an das ausschweifende Liebesleben einer gewissen Eve Herakleides.

„Ich fahre morgen früh zum Fischen raus“, teilte Jack ihm mit. „Haben Sie nicht Lust mitzukommen? Ich will allerdings schon bei Sonnenaufgang los.“

Ethan kam nicht dazu, etwas zu erwidern, weil das Mädchen einen Rum für seinen Chef brachte. Jack unterhielt sich eine ganze Weile mit ihr, doch anstatt ihn anzusehen, wandte sie den Blick nicht von Ethan.

„Sie können mich auch ein andermal begleiten“, sagte Jack lächelnd, nachdem das Mädchen wieder gegangen war. „Ich nehme kaum an, dass Sie viel Schlaf bekommen werden.“

„Nichts gegen Ihre Mitarbeiterin“, erwiderte Ethan, „aber ich garantiere Ihnen, dass ich heute Nacht allein in meinem Bett liegen werde.“

„Wenn ich richtig informiert bin, trifft das seit Ihrer Ankunft auf jede Nacht zu“, sagte Jack mit erschreckender Offenheit. „Dabei dürfte es einem Mann, der so blendend aussieht wie Sie, an eindeutigen Angeboten kaum mangeln.“

So befremdlich Jacks Neugier war, kam sie keinesfalls überraschend. Den Ruf, besonders freizügig zu sein, trug die Insel zu Recht, und jeder, der sich an dem munteren Wechselspiel nicht beteiligte, machte sich zwangsläufig verdächtig.

Doch Ethan hatte an einem harmlosen Flirt ebenso wenig Interesse wie an dessen weniger harmlosen Fortsetzung. Zumindest redete er sich das jedes Mal ein, wenn ihm die durchaus attraktiven Urlauberinnen am Strand auffordernde Blicke zuwarfen.

Deutlich mehr machte ihm jedoch eine andere Frau zu schaffen, und die Versuchung, die von ihr ausging, war fast zu groß, um ihr zu widerstehen. Das hatte bereits der Vorfall im Haus ihres Großvaters bewiesen, an den er zurückdenken musste, wenn er Eve auch nur aus der Ferne sah.

Er war gerade aus der Dusche gekommen, als unvermittelt die Tür aufgerissen wurde und Eve im Zimmer stand. Im ersten Moment war er viel zu überrascht gewesen, und als er sich endlich das Handtuch um die Hüften gelegt hatte, war es fast schon zu spät. Ihr konnte gar nicht entgangen sein, wie heftig er auf ihre Gegenwart reagiert hatte.

Unwillkürlich sah er in den Spiegel, in dem er heimlich beobachten konnte, was sich auf der Tanzfläche zutrug. Was er sah, konnte ihm gar nicht gefallen, denn Eve tanzte mit Aidan. Nicht einmal einem Blinden hätte entgehen können, wie sehr es zwischen ihnen knisterte. Ein harmloser Flirt war es jedenfalls längst nicht mehr.

Zu demselben Eindruck war Ethan schon damals gekommen, als er die beiden im Garten überrascht hatte. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass sie ihn gar nicht hatten kommen hören – und dass Aidans Verlobte den innigen Kuss ebenfalls beobachtet hatte und beinahe ohnmächtig geworden war, wussten sie bis heute nicht.

Was eher für Aidan als für Eve ein Problem war. Ihr war es völlig egal, ob der Mann, den sie umgarnte, Single, verlobt oder gar verheiratet war. Hauptsache, er verfing sich in dem Netz, das sie auslegte.

Normalerweise gelang ihr das mit spielender Leichtigkeit, und wenn Ethan nicht aufpasste, lief er Gefahr, der Nächste zu sein.

„Wie halten Sie es denn, wenn Ihre weiblichen Gäste Ihnen schöne Augen machen?“, erkundigte er sich bei Jack.

„Dann drehe ich mich um und ignoriere es“, erwiderte er lächelnd. „Mein Chef würde mich achtkantig rauswerfen, wenn ich mich mit einem Gast einließe. Außerdem komme ich auch so auf meine Kosten. Meine Freundin wohnt zwar auf der Nachbarinsel, aber ich fahre mehrmals in der Woche zu ihr.“

Sollte ich mich so in ihm getäuscht haben? fragte sich Ethan unwillkürlich. In den wenigen Tagen, die er auf der Insel war, hatte er Jack als verantwortungsbewussten und zuverlässigen Mann kennengelernt.

Insgeheim hatte er sogar schon mit dem Gedanken gespielt, ihn abzuwerben und mit der Leitung der luxuriösen Ferienanlage zu betrauen, die nach Ethans Entwürfen zurzeit in San Estéban entstand, einem ehemaligen Fischerdorf in Südspanien.

Dass Jack sich eine Geliebte hielt, die er nur gelegentlich sah, ohne irgendeine Verpflichtung einzugehen, wollte nicht zu dem Bild passen, das Ethan sich von ihm gemacht hatte.

„Sie zieht ihren Sohn allein auf, weil ihr Ehemann vor einigen Jahren auf See geblieben ist“, sagte Jack in diesem Moment.

Ethan hatte ihn also richtig eingeschätzt – was jedoch auch bedeutete, dass er sich die Idee, ihn als Geschäftsführer zu gewinnen, aus dem Kopf schlagen musste. Jack liebte diese Frau, und sich von ihr zu trennen würde ihm nicht in den Sinn kommen.

„Und welchen Grund haben Sie, im Paradies wie ein Mönch zu leben?“, kam Jack auf die Frage zurück, auf die Ethan ihm noch eine Antwort schuldete.

Den gleichen wie du, hätte Ethan am liebsten geantwortet. Ich liebe eine verheiratete Frau. Der einzige Unterschied ist, dass ihr Mann sich bester Gesundheit erfreut.

„Keinen bestimmten“, sagte er schließlich ausweichend. „Was nicht ist, kann ja noch werden.“

Doch Jack schien auch ohne Worte verstanden zu haben, was in Ethan vorging. Was nicht allzu schwer war, weil der blaue Fleck an seinem Kinn erst vor wenigen Tagen abgeheilt war. Bis dahin hatte er zu allerlei Spekulationen Anlass gegeben, die durch Ethans Weigerung, auch nur ein Wort über dessen Herkunft zu verlieren, nicht weniger geworden waren.

Schließlich sah Jack ein, dass es keinen Sinn machte, auf eine vernünftige Antwort zu warten. Mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter verabschiedete er sich, um einige andere Gäste zu begrüßen.

Ethan nahm sein Glas und trank es in einem Zug leer. Doch das Bild der jungen Frau mit dem rotblonden Haar stand ihm zu deutlich vor Augen, um es wieder vertreiben zu können.

Im Grunde war sie in jeder Hinsicht perfekt – mit der einzigen Ausnahme, dass sie den falschen Mann liebte. Sie selbst dachte allerdings völlig anders darüber, wie die Tatsache bewies, dass sie nach einem Jahr der Trennung zu ihrem Ehemann zurückgekehrt war – zunächst zwar nicht ganz freiwillig, aber schließlich aus tiefster Überzeugung.

Vielleicht ist Hassan doch der richtige Mann für Leona, dachte Ethan bitter. Diese Einsicht machte es jedoch nicht leichter, ein Mittel zu finden, mit dem sich eine unerwiderte Liebe kurieren ließ.

„Sie sollten Ihr mönchisches Leben so schnell wie möglich aufgeben“, sagte Jack und bewies erneut seine Fähigkeit, Gedanken zu lesen. „Der Spatz in der Hand ist immer noch besser als die Taube auf dem Dach“, fügte er hinzu.

„Denken Sie bei dem Sprichwort an mich oder an sich selbst?“ Diese Frage konnte und wollte Ethan ihm nicht ersparen.

„Der Sohn meiner Freundin sagt ‚Daddy‘ zu mir“, erwiderte Jack. „Damit dürfte sich Ihre Frage erübrigt haben. Übrigens gilt die Einladung zum Fischen nach wie vor“, fügte er hinzu, ehe er sich endgültig verabschiedete.

Doch schon nach wenigen Schritten stellte sich Eve ihm in den Weg. Unwillkürlich sah Ethan sich nach Aidan um, der noch vor wenigen Augenblicken eng umschlungen mit ihr getanzt hatte. Nun stand er an der Bar und bestellte sich einen Drink.

Willkommen im Klub, dachte Ethan, weil Aidans Gesichtsausdruck deutlich verriet, dass er ebenso abgeblitzt war wie vor ihm Raoul und all die anderen Männer, die nun tatenlos mit ansehen musste, dass Eve Jack die Arme um den Nacken legte und zu ihm aufsah, als bettelte sie förmlich um einen Kuss.

Schließlich ließ Jack sich dazu erweichen, ihr diesen Gefallen zu tun. Daraufhin zerrte Eve ihn auf die Tanzfläche und schmiegte sich so dicht an ihn, dass ihm keine andere Wahl blieb, als sie zu umarmen und ihr die Hände auf den Rücken zu legen.

Damit gab Eve sich jedoch nicht zufrieden. Sie hob den Kopf und lächelte Jack aufmunternd zu, während sie gleichzeitig mit einer geschickten Bewegung dafür sorgte, dass seine Hände auf ihre Taille glitten.

Ethan wusste, was er zu tun hatte. Er zog einige Münzen aus der Hosentasche, legte sie auf den Tresen und ging zum Ausgang, ohne sich von dem Mädchen zu verabschieden, das ihm traurig nachsah.

Kurz bevor er die Tür erreichte, meinte er zu erkennen, dass Eve zu ihm herübersah. Täuschte er sich, oder schmiegte sie sich noch enger an Jack?

Den Gedanken, dass sie ihn damit provozieren wollte, verwarf Ethan, noch bevor er die Bar verlassen hatte. Eve Herakleides war ein durchtriebenes Luder, das in jedem Mann ein potenzielles Opfer sah. Wenn sie überhaupt etwas gemeinsam hatten, dann war es die Abscheu, die sie füreinander empfanden.

Als Ethan den Strand betrat, um zu seinem Bungalow zu gehen, dämmerte es bereits. Weil der Himmel jedoch verhangen war, blieb es ihm versagt, das grandiose Naturschauspiel zu beobachten, wie die Sonne langsam im Meer versank. Die dunklen Wolken und die drückende Schwüle ließen vielmehr befürchten, dass ein nächtlicher Sturm bevorstand.

Aus der Bar drang das helle Lachen einer Frauenstimme. Ohne sich lange zu besinnen, beschloss Ethan, den Heimweg nicht zu Fuß, sondern schwimmend zurückzulegen. Eine Abkühlung konnte ihm in jeder Hinsicht nur gut tun.

„Schlagen Sie sich das aus dem Kopf“, mahnte Jack im selben Moment, in dem Ethan in die Fluten des Atlantiks tauchte. „Um sich mit einem Mann wie ihm einzulassen, sind Sie viel zu jung und unerfahren.“

Eve wartete mit einer Antwort, bis Ethan aufgetaucht war. „Ihre Warnung ist völlig überflüssig“, erwiderte sie schließlich, ohne den Schwimmer aus den Augen zu lassen, der mit kräftigen Zügen die Bucht durchquerte. „Ich habe nichts dergleichen im Sinn.“

„Das will ich hoffen“, wandte Jack skeptisch ein, weil Eves Gesichtsausdruck etwas gänzlich anderes sagte. „Ethan Hayes kann sich vor Verehrerinnen kaum retten, und was für Sie ein unvergessliches Erlebnis wäre, hätte er am nächsten Abend schon wieder vergessen.“

„Woher wollen Sie das so genau wissen?“, fragte Eve ihn neugierig und schmiegte sich so aufreizend eng an Jack, dass es ihm höchste Zeit schien, sie, aber auch sich selbst zur Besinnung zu bringen.

„Wenn Ihr Großvater Sie sehen könnte, würde er Sie in Ihrem Zimmer einschließen“, warnte er sie davor, das Spiel mit dem Feuer zu weit zu treiben.

„Das glaube ich kaum“, erwiderte Eve mit einem provozierenden Lächeln. „Um mir so etwas anzutun, liebt er mich viel zu sehr.“

„Gerade weil er sie liebt, würde er alles tun, um Sie vor sich selbst zu schützen.“

2. KAPITEL

Der Bungalow, den Ethan bewohnte, stand direkt am Strand und gehörte Leandros Petronades, einem Geschäftspartner.

Nach fünf Jahren ununterbrochener Arbeit hatte Ethan eingesehen, dass er dringend eine schöpferische Pause benötigte. Deshalb hatte er Leandros’ Angebot, sich für einige Wochen in die Karibik zurückzuziehen, mit Freuden angenommen.

Das gab ihm zugleich Gelegenheit, seinem Kompagnon Victor Frayne aus dem Weg zu gehen, mit dem er ein Architekturbüro betrieb, das auf die Planung und Errichtung von Ferienanlagen spezialisiert war. In fachlicher Hinsicht gab es nicht die geringsten Differenzen zwischen ihnen, doch etwas anderes hatte dazu geführt, dass ihre langjährige Freundschaft auf eine harte Probe gestellt wurde.

Victors Tochter Leona war seit sechs Jahren mit Scheich Hassan Al-Qadim verheiratet, dem künftigen Herrscher eines kleinen Emirats am Persischen Golf. Vor einem Jahr hatte sie sich jedoch von ihrem Mann getrennt und war nach London zurückgekehrt.

Um seine Frau zurückzuerobern, war Hassan auf den wahnwitzigen Gedanken verfallen, sie zu entführen. Victor hatte ihn bei seinem Vorhaben nach Kräften unterstützt – und Ethan dabei als Lockvogel benutzt.

Das schmerzende Kinn erinnerte ihn noch heute an den Faustschlag, der ihn besinnungslos gemacht hatte, bevor er an Bord von Hassans Luxusjacht gebracht worden war.

Mehr als die körperliche Gewalt empörte ihn jedoch Victors Vertrauensbruch. Als Leonas Vater wäre es seine Pflicht gewesen, sie vor ihrem Ehemann zu schützen, anstatt sie ihm ans Messer zu liefern und sich dafür seines Partners zu bedienen.

Das Schlimmste jedoch war, dass Leona eine Ehe fortsetzen wollte, die sie längst für beendet erklärt hatte. Was sie dazu bewog, zu ihrem Mann zurückzukehren, war Ethan völlig unklar. Doch offenbar musste er sich damit abfinden.

Als Ethan den Strand vor seinem Bungalow erreichte, verfluchte er sich dafür, dass er sich auf das Gespräch mit Jack eingelassen hatte. Die Erinnerungen, die er eine Woche lang mühsam verdrängt hatte, waren erneut aufgewühlt worden.

Entsprechend schwer fiel es ihm, den fantastischen Anblick zu genießen, der sich ihm bot. Hinter seinem Bungalow erhob sich ein sanfter, üppig bewachsener Hang, der von zahlreichen Flachbauten gesäumt war, die sich harmonisch in die Landschaft fügten.

Den Mittelpunkt der Bebauung wie des gesellschaftlichen Lebens der Insel bildete das Hotel, dessen Manager Jack war. Zu beiden Seiten des Komplexes standen mehrere prachtvolle Luxusvillen. Wer hier eine Immobilie besaß, dem waren Geldsorgen fremd.

Zu den wenigen Auserwählten gehörte André Visconte, dem nicht nur das Hotel gehörte, sondern auch ein beeindruckendes privates Anwesen. Die Galloways hatten sich in die Nachbarbucht zurückgezogen und gleich mehrere Häuser errichtet, um alle Familienmitglieder angemessen unterzubringen.

Doch wenn die Größe eines Grundstücks etwas über den Wohlstand des Besitzers aussagte, dann waren im Vergleich zu Theron Herakleides alle anderen arme Schlucker.

Der Grieche war der Erste, der hier gebaut hatte, und entsprechend alt war der Baumbestand, der das riesige Haupthaus umgab und vor unerwünschten Einblicken schützte. An die weitläufige Veranda schloss sich ein tropischer Garten an, der sich terrassenförmig bis hinunter zum Strand zog. Ein Pool gehörte ebenso zur Ausstattung wie ein Tennisplatz.

Hinter dem Haupthaus standen mehrere kleinere Gebäude, in denen das Personal untergebracht war, und auf halber Höhe schmiegte sich ein großzügiges Gästehaus an den Hang. Den Abschluss des Anwesens bildete ein Bungalow direkt am Strand, in dem Eve wohnte, wenn sie auf der Insel war.

Ethan wusste das nur, weil sich das Grundstück von Leandros direkt neben dem Anwesen von Theron Herakleides befand und die beiden Bungalows nur durch einen schmalen Weg getrennt waren, der zwischen den Begrenzungsmauern hindurchführte.

Von der Nachbarschaft zu Eve abgesehen, war Ethan mit seiner Unterkunft vollauf zufrieden. Der Bungalow war zwar relativ klein, jedoch mit allem ausgestattet, was er brauchte. Zudem war die Aufteilung der Räume – ein großes Wohnzimmer mit offenem Kamin und integrierter Küche, ein Schlafzimmer und ein Bad – nicht nur praktisch, sondern hatte auch einen gewissen Charme, der nicht nur den Fachmann in ihm überzeugte.

Als Ethan die Süßwasserdusche erreichte, die dort stand, wo der kleine Weg in den Strand mündete, zog er das T-Shirt aus und legte es achtlos auf der Mauer ab, hinter der sich sein Bungalow befand. Dann drehte er das Wasser auf, um sich das Salz abzuwaschen.

Im selben Augenblick erreichte Eve die Mauer. Als sie sah, wie Ethan das Wasser aufdrehte und sich mit bloßem Oberkörper unter die Dusche stellte, blieb sie wie angewurzelt stehen und beobachtete ihn mit derselben Faszination wie damals, als sie in sein Zimmer gestürzt war.

Der einzige Unterschied war, dass er dieses Mal nicht nackt war – was Eve Gelegenheit gab, sich auf jene Körperteile zu konzentrieren, die beim letzten Mal zu kurz gekommen waren.

Im fahlen Licht der untergehenden Sonne schien Ethans sonnengebräunte Haut förmlich zu leuchten, und gebannt beobachtete sie, wie ihm das klare Wasser über das Gesicht und die athletischen Schultern lief.

Erst als sie den Lauf des Wassers mit den Blicken verfolgte, fielen ihr seine dunkel behaarte Brust auf und der muskulöse, flache Bauch, der einem Bodybuilder zu Ehren gereicht hätte.

Doch trotz der unbändigen Kraft, die Ethan ausstrahlte, war er gertenschlank, und sein perfekter Körper rief in Eve den sehnlichen Wunsch wach …

„Tun Sie sich keinen Zwang an“, riss eine sonore Stimme sie aus ihren Gedanken. „Wenn Sie auf Ihr Grundstück wollen, brauchen Sie nicht zu warten, bis ich zu Ende geduscht habe.“

Am liebsten hätte Eve Ethan direkt ins Gesicht gesagt, wie sehr sie ihn verabscheute. Doch dafür war es ihr viel zu peinlich, dass er sie bereits zum zweiten Mal dabei ertappt hatte, wie sie ihn beobachtete.

„Ich habe es nicht eilig“, erwiderte sie, entschlossen, sich von Ethan nicht einschüchtern zu lassen, „und da mir Ihr kleiner Strip ganz gut gefallen hat, sehe ich Ihnen gern noch eine Weile zu.“

Ethans Antwort bestand darin, dass er Eve einfach ignorierte. Denn anstatt etwas zu erwidern, blieb er unter der Dusche stehen, als wäre er mutterseelenallein auf der weiten Welt.

Mit einer solchen Reaktion hätte Eve rechnen können, denn dass er ein arroganter und eingebildeter Flegel war, wusste sie nur zu gut. Umso mehr verunsicherte es sie, dass es ihr nicht gelingen wollte, den Blick von diesem unvergleichlich gut gebauten Mann zu lassen.

Zumindest vermutete sie, dass sein Körper nahezu perfekt war, denn um es mit Sicherheit sagen zu können, fehlte ihr schlicht und ergreifend der Vergleich. Ethan war der einzige Mann, den sie bislang im Adamskostüm gesehen hatte. Dass die Natur ein zweites Mal so verschwenderisch gewesen sein könnte, hielt Eve jedoch für ausgeschlossen.

Das ist noch lange kein Grund, dich wie ein Teenager aufzuführen, ermahnte sie sich selbst, als Ethan das Wasser abstellte und ihr einen fast mitleidigen Blick zuwarf. Dann drehte er sich wortlos um und ging auf die Pforte zu, die zu seinem Bungalow führte.

„Sie haben etwas vergessen!“, rief Eve ihm nach, ohne recht zu wissen, was sie damit bezweckte. Vielleicht trieb sie nur die vage Hoffnung, ihm die unerträgliche Arroganz heimzahlen zu können.

Immerhin war es ihr gelungen, dass Ethan stehen blieb und sie verwundert ansah – was Eve so sehr genoss, dass sie eine ganze Weile wartete, ehe sie auf sein T-Shirt zeigte, das noch immer auf der Mauer lag.

Es dauerte mehrere Sekunden, bis Ethan begriff, und sein fragender Gesichtsausdruck verleitete Eve dazu, ihn aus der Reserve zu locken. „Jack hat mich eindringlich davor gewarnt, mich mit Ihnen einzulassen“, teilte sie ihm mit, während er langsam zurückkam. „Seiner Meinung nach bin ich für Sie viel zu jung und unerfahren.“

„Wenn Sie klug sind, nehmen Sie sich seinen Rat zu Herzen“, erwiderte Ethan, während er das T-Shirt von der Mauer nahm.

„Ich habe ihm geantwortet, dass ich nichts dergleichen im Sinn hätte“, ignorierte sie seine Bemerkung. „Außerdem halte ich seine Warnung ohnehin für übertrieben. Ein britischer Gentleman würde die Unerfahrenheit einer jungen Frau niemals ausnutzen, nicht wahr?“

Die offene Provokation verfehlte ihre Wirkung nicht, denn einen Moment schien Ethan versucht, das Bild, das Eve von ihm hatte, zu widerlegen.

„Sie haben keinen Grund, sich über einen Engländer lustig zu machen“, erwiderte er schließlich. „Wenn ich mich nicht irre, fließt in Ihren Adern zumindest zur Hälfte englisches Blut.“

„Das stimmt“, bestätigte Eve und fügte sarkastisch hinzu: „Trotzdem fühle ich mich als hundertprozentige Griechin. Wahrscheinlich graut mir deshalb vor dem Gedanken, dass ich mich in einen unterkühlten Briten verlieben könnte.“

„Dann sollten Sie einen großen Bogen um mich und um meine Landsleute machen“, riet Ethan ihr widerwillig, denn Eves Worte ließen ihn ebenso wenig kalt wie ihr Äußeres.

Das kurze Stretchkleid betonte ihre schmalen Hüften und gab den Blick auf ihre schlanken Beine frei. Ihre kleinen, festen Brüste waren mehr als nur zu erahnen, und die Hibiskusblüte, die sie in ihrem Haar trug, verlieh ihr eine eigentümliche Unschuld, die verbotene Wünsche in ihm wachrief.

„Wollten Sie nicht mit Ihren Freunden ein rauschendes Fest feiern?“, fragte er sie, um sie dazu zu bewegen, endlich zu gehen.

Eve dachte jedoch nicht daran, ihm den Gefallen zu tun. Vielmehr schien sie die Frage als Beleidigung aufgefasst zu haben. „Sagen Sie doch gleich ‚Orgie‘“, erwiderte sie empört. „Oder schätzen Sie mich etwa nicht so ein, dass ich es nicht so genau nehme?“

Ethan sah ein, dass es höchste Zeit wurde, das Weite zu suchen. Deshalb öffnete er die Gartenpforte, ohne etwas zu erwidern.

„Sie sind natürlich über jeden Zweifel erhaben“, rief Eve ihm nach. „Wenn Sie dem Mädchen hinter dem Tresen schöne Augen machen, dann nur, um sie zu einer Partie Schach zu überreden.“

Als sie sah, dass Ethan stehen blieb und sich zu ihr umdrehte, erschrak sie fast über ihre Kühnheit.

Mitunter erinnerte er sie an ein Raubtier, das scheinbar friedlich vor sich hindöste, doch in Wahrheit jederzeit bereit war, sich auf das Opfer zu stürzen, das es sich auserkoren hatte. Auch jetzt fiel ihr dieser Vergleich ein, doch anstatt Angst vor Ethans Angriff zu haben, sehnte sie ihn förmlich herbei.

„Wie alt sind Sie eigentlich?“

Die Frage kam mehr als überraschend. Erstens wusste Ethan genau, wie alt sie war, und zweitens verstand sie beim besten Willen nicht, worauf er hinauswollte.

„Dreiundzwanzig“, erwiderte sie, „und ab Mitternacht vierundzwanzig.“

„Das erklärt einiges“, lautete die niederschmetternde Antwort. Offenbar nahm Ethan sie nicht für voll.

„Und was?“, fragte Eve gekränkt.

„Zum Beispiel das geradezu kindliche Vergnügen, das es Ihnen bereitet, andere zu provozieren.“

Eve hätte nicht sagen können, was sie mehr erschütterte: dass Ethan sie beleidigt oder dass er sie durchschaut hatte. Offenbar wusste er besser als sie, dass sie mit dem Versuch, ihn aus der Reserve zu locken, nur die Unsicherheit überspielen wollte, die sie jedes Mal befiel, wenn sie in seine Nähe kam.

Vor lauter Beschämung stiegen ihr Tränen in die Augen, und damit Ethan nicht sah, wie sie sich fühlte, drehte sie sich um und ging wortlos auf ihr Grundstück.

Wer benimmt sich denn wie ein Halbwüchsiger? fragte sich Ethan unwillkürlich, als er sah, wie nah Eve den Tränen war. Sie wirkte noch verletzlicher als ohnehin, und plötzlich schämte er sich regelrecht dafür, dass er so grob mit ihr umgegangen war.

Schließlich hatte sie ihm nichts getan, und dass sie ihn in seinem Zimmer überrascht hatte, konnte er ihr genauso wenig zum Vorwurf machen wie die Tatsache, dass er auf die Situation keinen Deut gelassener reagiert hatte als sie.

Vielmehr machte ihm auch diese zweite unerwartete Begegnung mit ihr mehr zu schaffen, als ihm lieb sein konnte. Doch den Gedanken, der sich aufdrängte, hatte er sich aus dem Kopf geschlagen, noch ehe er seinen Bungalow erreicht hatte.

Eve Herakleides konnte ihm nur dann gefährlich werden, wenn er es zuließ. Deshalb sollte er tunlichst vermeiden, sich ihren unbestreitbaren Reizen öfter als unbedingt nötig auszusetzen.

Eve ging nur deshalb zu der Party, weil sie selbst dazu eingeladen hatte. Doch die Lust darauf, in ihren Geburtstag hineinzufeiern, war ihr durch die Begegnung mit Ethan Hayes gründlich vergangen.

Um die Stimmung nicht zu verderben, gab sie sich alle Mühe, unbeschwert zu wirken und ihren Freunden, die sich in Aidans Bungalow eingefunden hatten, nicht den Spaß zu verdrießen.

Doch ausgerechnet der Gastgeber schien sich gegen sie verschworen zu haben. Aidan hatte schon am Nachmittag zu trinken begonnen und schien entschlossen, nicht eher damit aufzuhören, bis sämtliche Flaschen geleert waren, die sich in der reich bestückten Bar befanden.

Außer Eve störte sich jedoch offenbar niemand daran, dass er einen Drink nach dem anderen mixte, in denen der Anteil des Alkohols stetig zunahm. Anstatt ihn daran zu hindern, sich vorsätzlich zu betrinken, fanden seine farbenprächtigen Cocktails reißenden Absatz.

Angewidert zog sich Eve auf die Veranda zurück, um frische Luft zu schnappen. Zu ihrem Leidwesen war auch sie nicht mehr ganz nüchtern. Deshalb nahm sie in einem der Liegestühle Platz, die sich auf der weitläufigen Veranda befanden, lehnte sich zurück und blickte in den nächtlichen Himmel.

Noch vor wenigen Stunden hatte sich ein Sturm zusammengebraut. Inzwischen hatten sich die dunklen Wolken jedoch verzogen, und das fahle Licht des Mondes schien auf die Bucht, in der sich die Wellen sanft am Strand brachen.

Der Friede war jedoch trügerisch, denn der Lärm, der aus dem Haus drang, ließ erahnen, dass die meisten Gäste deutlich mehr getrunken hatten, als sie vertrugen.

Eve tröstete sich mit dem Gedanken, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Party für beendet erklärt werden musste. Dann könnte sie noch vor Mitternacht auf der Terrasse ihres Bungalows sitzen und mit sich und ihren Sorgen allein sein.

Davon hatte sie wahrlich genug, und die herablassende Art, mit der Ethan Hayes sie behandelte, war nur eines der Probleme, die sie bedrückten. Das andere war ihr Großvater, der mit zunehmendem Alter immer starrsinniger wurde und sich in einer Weise in ihr Leben einzumischen versuchte, die Eve weder akzeptieren konnte noch wollte.

Jeder Versuch, ihm das begreiflich zu machen, war bisher kläglich gescheitert. Der letzte lag noch gar nicht lange zurück, denn vor ihrem Abflug hatte Eve ihn von ihrem Londoner Apartment aus angerufen und ihn händeringend gebeten, sie nicht weiter zu bedrängen.

„Ich bin doch erst dreiundzwanzig“, hatte sie ihn erinnert, „und wenn ich eines Tages einen Ehemann brauche, suche ich ihn mir lieber selbst aus.“

„Was hast du bloß gegen Spiridon?“, fragte Theron Herakleides beleidigt, weil seine Enkelin den Heiratskandidaten nicht akzeptieren wollte, den er für sie ausgesucht hatte.

„Er ist doppelt so alt wie ich, mindestens drei Mal so schwer und sieht aus wie …“

„Er ist neununddreißig und hat kein Gramm Übergewicht“, fiel ihr Großvater ihr ins Wort. „Sonst hätte er nicht so viele Verehrerinnen. Wenn du dich nicht bald entschließt …“

„Ich werde Spiridon nicht heiraten“, unterbrach sie nun ihn. „Und wenn dir wirklich so viel an meinem Wohl liegt, solltest du endlich aufhören, mich zu verkuppeln.“

„Niemand will dich verkuppeln, mein Kind“, beteuerte Theron, „aber ich möchte nicht sterben, ohne meinen Urenkel in den Armen gehalten zu haben.“

Wie immer, wenn er nicht weiterwusste, drohte Theron mit dem Schlimmsten. Doch Eve kannte diese Taktik zu gut, um sich davon beeindrucken zu lassen. „Dann kann ich mir mit der Hochzeit ja noch viele Jahre Zeit lassen“, erwiderte sie ungerührt. „Trotzdem gebe ich dir einen dringenden Rat. Du weißt, wie sehr ich dich liebe, aber wenn du nicht endlich Ruhe gibst, rede ich in Zukunft kein Wort mehr mit dir. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“

„Ne“, bestätigte Theron missmutig in seiner Muttersprache. „Ich frage mich allerdings, warum du einem alten und einsamen Mann nicht einen letzten Wunsch …“

„Wir sehen uns an meinem Geburtstag“, schnitt Eve ihm das Wort ab, ehe sie die Verbindung trennte.

In wenigen Stunden würde Theron Herakleides eintreffen, und trotz allem freute sich Eve darauf, den alten Dickkopf wiederzusehen. Ihr Großvater liebte sie geradezu abgöttisch und hatte sich nach Kräften bemüht, ihr über den Verlust der Eltern hinwegzuhelfen, die vor vielen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.

Das gab ihm jedoch nicht das Recht, ihr vorzuschreiben, wen sie zu heiraten hatte. Das würde sie selbst entscheiden, wenn es so weit war.

Bis dahin konnte noch viel Zeit vergehen, denn Eve hatte es nicht eilig, sich zu binden. Umso mehr irritierte es sie, dass ihr unvermittelt das Gesicht von Ethan Hayes vor Augen stand. Doch das hatte sicherlich nichts zu bedeuten …

„Möchtest du auch einen Drink?“ Eve hatte nicht bemerkt, dass Raoul ihr gefolgt war. Als sie aufsah, hielt er ihr einen rosafarbenen Cocktail hin, der in etwa so abschreckend roch, wie er aussah.

„Was soll das sein?“, fragte Eve angeekelt.

„Aidan hat ihn ‚Karibische Nächte‘ getauft“, erklärte Raoul lächelnd. „Ich nehme kaum an, dass er sich noch an die Zutaten erinnern kann, aber ich konnte mich davon überzeugen, dass der Inhalt nicht giftig ist“, fügte er hinzu und hielt ein zweites Glas hoch. „Lass uns anstoßen“, forderte er Eve auf. „Vielleicht hellt sich dann deine Stimmung ein bisschen auf. Du wirkst den ganzen Abend schon so nachdenklich.“

Eve nahm den Cocktail entgegen, ohne etwas zu erwidern. Offenbar war es ihr doch nicht gelungen, vor ihren Freunden zu verbergen, dass sie etwas bedrückte. Oder besser jemand, denn dass vor allem Ethan Hayes sie beschäftigte, war ihr schmerzlich bewusst.

„Auf dein Wohl“, sagte Raoul und nahm am Fußende ihrer Liege Platz.

„Prost“, erwiderte Eve und stieß mit ihm an. Der Drink schmeckte nicht so schlecht wie befürchtet, und die wohlige Wirkung des Alkohols verleitete sie dazu, dem ersten Schluck einen zweiten und sehr bald einen dritten folgen zu lassen.

An das, was dann geschah, konnte sie sich später nur bruchstückhaft erinnern. Irgendjemand musste ihr das Glas abgenommen haben, ehe es ihr aus der Hand gleiten konnte. Dem Spott, dass sie ihren Geburtstag verschlafen würde, folgte die Überlegung, was man mit der Betrunkenen machen sollte. Aidan schlug vor, sie in eines der Gästezimmer zu verfrachten. Doch Raoul wandte ein, dass am nächsten Morgen ihr Großvater eintreffen sollte und es deshalb das Beste wäre, wenn sie in ihrem eigenen Bett aufwachte.

Diesem Argument konnte sich niemand verschließen, und da Raoul als Einziger nüchtern genug war, bot er sich an, Eve nach Hause zu fahren.

Als sie davonfuhren, sahen die anderen dem Wagen in der Gewissheit nach, dass Eve bei Raoul bestens aufgehoben war. Er würde sie in ihren Bungalow bringen, dafür sorgen, dass sie in ihr Bett kam, und anschließend selbst nach Hause fahren.

Der Gedanke, er könnte die Situation ausnutzen, verbot sich von selbst. Sie alle waren seit Jahren miteinander befreundet, und dass man sich gegenseitig half, war eine Selbstverständlichkeit.

3. KAPITEL

Mitten in der Nacht schreckte Ethan aus dem Schlaf auf. Hatte er geträumt, oder rief ganz in der Nähe wirklich jemand um Hilfe?

Als Sekunden später erneut eine helle Frauenstimme zu hören war, hatte er Gewissheit. In Windeseile verließ er das Bett, zog sich die Shorts über und lief hinaus vor die Tür, um herauszufinden, aus welcher Richtung die Schreie gekommen waren.

Instinktiv sah er auf die Bucht hinaus, weil er vermutete, dass jemand ein nächtliches Bad im Atlantik genommen hatte und zu ertrinken drohte. Doch im fahlen Licht des Mondes konnte er nichts entdecken, was seine Annahme bestätigte. Außerdem war die Entfernung zu groß …

Als ein weiterer Hilferuf die Stille zerriss, wusste er, woher die Schreie kamen. Kaum hatte er sich umgedreht, sah er einen Schatten, der aus Eves Bungalow kam und über die Terrasse lief, ehe er im Garten verschwand.

„Stehen bleiben!“, rief er ihm nach, während er durch die Pforte in der Mauer eilte, die die beiden Grundstücke voneinander trennte. Zu seiner Überraschung blieb der Schatten tatsächlich stehen und sah zu ihm herüber, ehe er seine Flucht fortsetzte. Um genau zu erkennen, um, wen es sich handelte, war es zu dunkel, doch Ethan glaubte zu wissen, wer Eve dazu gebracht hatte, laut um Hilfe zu rufen.

Als er die Treppe zur Veranda erreichte, sah er nur noch die Rücklichter des Autos, das sich in rasender Fahrt entfernte. Aidan Galloway muss ein verdammt schlechtes Gewissen haben, dass er Hals über Kopf Reißaus nimmt, dachte Ethan. Doch was mochte er Eve angetan haben?

Plötzlich befiel ihn ein schrecklicher Verdacht, der zur Gewissheit wurde, als er die Verandatür geöffnet vorfand. „Eve! Wo sind Sie?“, rief er und betrat den unbeleuchteten Raum.

Er war noch nie zuvor hier gewesen, und so bereitete es ihm einige Mühe, sich in der Finsternis zu orientieren. Mehrfach stolperte er oder stieß gegen Möbelstücke, bis er endlich einen Lichtschalter fand.

„Eve!“, rief er erneut, doch auch dieses Mal erhielt er keine Antwort. Immerhin wusste er jetzt, dass die Raumaufteilung in Eves Bungalow dieselbe wie in seinem war. Er befand sich im Wohnzimmer, und die beiden Türen neben der offenen Küche mussten ins Bad und ins Schlafzimmer führen.

Die eine der beiden stand einen Spaltbreit offen, und als er sie aufstieß, fiel genügend Licht in das abgedunkelte Zimmer, um erkennen zu können, welches Drama sich hier zugetragen hatte.

Es herrschte ein heilloses Chaos, und Eve war die Angst, die sie ausgestanden hatte, mehr als deutlich anzusehen. Mit gesenktem Kopf kauerte sie auf dem Fußboden, und das Haar hing ihr wirr über die Schultern. Die Arme hatte sie Schutz suchend vor der Brust verschränkt, und die Hände krallten sich förmlich in die Schultern. Bis auf einen Slip war sie nackt, und das Kleid, das neben ihr lag, war zerfetzt.

Was sich hier abgespielt hatte, war überdeutlich. Doch so entsetzlich es war, empfand Ethan große Erleichterung darüber, dass Eve das Schlimmste offenbar erspart geblieben war. Der BH, der am Fußende des Bettes lag, war offensichtlich mit Gewalt geöffnet worden. Doch Ethan hielt es für ausgeschlossen, dass sie sich in ihrem Zustand den Slip wieder angezogen hatte.

„Sind Sie okay, Eve?“, erkundigte er sich leise, um sie nicht zu erschrecken.

Als sie wortlos zu ihm aufsah, erschrak er bis ins Mark. Die Verzweiflung stand ihr überdeutlich im Gesicht geschrieben.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, fragte Ethan und hockte sich neben sie, um ihr tröstend durchs Haar zu streichen.

Doch die leichte Berührung schien kaum überstandene Ängste in ihr wachzurufen. „Raus hier!“, rief sie panisch und richtete sich unvermittelt auf. Kaum hatte sie Ethan den Rücken zugedreht, begann sie am ganzen Körper zu beben.

Als er sah, wie sich die angestaute Angst Bahn brach, wusste Ethan zunächst nicht, was er tun sollte. Vor wenigen Minuten hatte ein anderer Mann versucht, ihr Gewalt anzutun, und dass sie nun vor ihm, Ethan, zurückschreckte, war nur allzu verständlich.

„Ich hasse Sie!“ Die Heftigkeit, mit der Eve seine Annahme bestätigte, überraschte ihn gleichwohl. „Niemand hat Sie gebeten herzukommen!“

Ethan konnte sich unschwer vorstellen, wie beschämend es für sie war, dass er sie in einem solchen Zustand sah. „Ich habe Ihre Hilfeschreie gehört“, erklärte er, um sie zu besänftigen, „und wollte Ihnen …“

„Verschwinden Sie endlich!“, fiel Eve ihm ins Wort. Doch dass sie am Ende ihrer Kraft war, bewies die Tatsache, dass sie leicht taumelte und es mit Müh und Not schaffte, sich aufs Bett zu setzen. Jetzt erst bemerkte Ethan die Spuren des Kampfes, der sich dort zugetragen hatte.

Deshalb sah er sich gezwungen, ihren Wunsch zu ignorieren. Eve brauchte Hilfe, und da niemand anders in der Nähe war, musste sie ertragen, dass er sich um sie kümmerte.

Kurz entschlossen nahm er das zerknitterte Laken vom Bett und deckte Eve damit zu. „Wollen Sie mir nicht sagen, was passiert ist?“, fragte er und hockte sich vor sie.

„Das wissen Sie doch selbst am besten“, erwiderte sie unversöhnlich und schlang sich das Laken um den bebenden Körper. „Schließlich habe ich in Ihren Augen nichts anderes verdient.“

„So etwas dürfen Sie nicht einmal denken“, widersprach Ethan bestimmt. „Nichts gibt einem Mann das Recht, einer Frau etwas Derartiges anzutun.“

Zu seiner Erleichterung schienen seine Worte sie tatsächlich zu beruhigen, denn unvermittelt hörte sie auf zu weinen und sah ihn fast flehend an.

„Ich weiß nicht einmal, wie ich hierhergekommen bin“, sagte sie ratlos. „Er muss mir etwas in den Cocktail gemischt haben.“

„Genau so wird es gewesen sein“, stimmte Ethan ihr zu, um sie nicht weiter zu beunruhigen. Aus dem gleichen Grund verzichtete er auch darauf, sie nach dem Namen desjenigen zu fragen, dem sie eine solche Ungeheuerlichkeit zutraute. Auch so glaubte er sehr genau zu wissen, wer ihr das angetan hatte.

Seine unbändige Wut auf Aidan drohte in Hass umzuschlagen, als Eve die Arme hob und das Haar in den Nacken strich. Die Würgemale an ihrem Hals ließen ihn erahnen, welche Angst sie ausgestanden haben musste.

„Sollen wir nicht lieber einen Arzt rufen?“, erkundigte er sich vorsichtig.

Eves Reaktion traf ihn völlig unvorbereitet. „Bitte nicht!“, flehte sie und warf sich ihm geradezu in die Arme, sodass er Mühe hatte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Niemand darf etwas davon erfahren. Außerdem ist ja nichts passiert.“

„Wie bitte?“, fragte Ethan entgeistert. „Sie sind fast vergewaltigt worden. Wir sollten umgehend die Polizei …“

„Auf keinen Fall!“, schnitt sie ihm das Wort ab und legte ihm die Arme um den Nacken, als wollte sie ihn mit Gewalt daran hindern, den Worten Taten folgen zu lassen.

Dabei glitt ihr das Laken von den Schultern, sodass Ethan ihre kleinen, festen Brüste an seinem bloßen Oberkörper spürte.

Auch wenn sie einem Häufchen Elend glich und jedes Mitleid verdient hatte, war und blieb Eve eine unendlich attraktive und begehrenswerte Frau. So konnte Ethan nicht verhindern, dass ihn die intime Nähe mehr erregte, als die Situation es eigentlich erlaubte.

Auch Eve schien sich der Zweideutigkeit der Umarmung bewusst geworden zu sein, denn unvermittelt zog sie ihre Hände zurück, ehe sie wortlos aufstand und sich wieder in das Laken hüllte.

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte sie schließlich verlegen. Plötzlich war ihr völlig unverständlich, dass sie ausgerechnet bei Ethan Hayes Trost gesucht hatte, der sie ebenso verabscheute wie sie ihn. Dass sie ihm fast unbekleidet um den Hals gefallen war, musste alle Vorurteile bestätigen, die er gegen sie hatte. Sicherlich bereute er schon, dass er überhaupt gekommen war, um einer Nachbarin in einer Situation beizustehen, die sie durch ihren Leichtsinn selbst heraufbeschworen hatte.

„Es gibt nichts, wofür Sie sich entschuldigen müssten“, erwiderte Ethan zu ihrem Erstaunen. Und um ihre Verwunderung perfekt zu machen, fügte er hinzu: „Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir schon sagen, was passiert ist.“

So unerwartet das Verständnis kam, das Ethan ihr entgegenbrachte, so quälend rief ihr seine Aufforderung in Erinnerung, wie bruchstückhaft das Bild war, das sie vor Augen hatte.

„Ich weiß es doch selbst nicht“, gestand sie verzweifelt. „Wir waren bei Aidan, um in meinen Geburtstag hineinzufeiern. Die Stimmung war ziemlich ausgelassen, und ganz nüchtern war wohl keiner mehr. Trotzdem hat Aidan unablässig seine gefürchteten Cocktails gemischt …“

In der Hoffnung, sich besser erinnern zu können, schloss Eve die Augen und dachte an jene Minuten zurück, in denen sie allein auf der Veranda gesessen hatte, bis Raoul sich zu ihr gesetzt und mit ihr angestoßen hatte.

Über allem, was danach geschehen war, lag ein undurchdringlicher Nebel, der sich erst mit jenem entsetzlichen Moment lichtete, in dem Raoul sie in ihr Schlafzimmer gebracht und ihr die Kleidung vom Leib …

„Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Eve.“ Ethan war nicht verborgen geblieben, wie sehr die Erinnerung sie bedrückte. Und da er sich in seinem Verdacht bestätigt sah, hielt er es für das Beste, sie mit weiteren Fragen zu verschonen. „Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Jetzt sollten Sie ins Bett gehen und versuchen zu schlafen.“

Doch mit seinem Bemühen, Eve zu trösten, hatte er das genaue Gegenteil erreicht. Die Vorstellung, die Nacht in jenem Bett verbringen zu müssen, in das Raoul sie vor wenigen Minuten mit Gewalt gezerrt hatte, löste eine solche Panik in ihr aus, dass sie Ethan erneut um den Hals fiel.

Als er daraufhin die Arme um sie legte, empfand sie eine solche Erleichterung, dass sie augenblicklich vergaß, wie sehr sie ihn im Grunde verabscheute. In diesem Moment war er der einzige Mensch auf der Welt, der ihr Trost spenden konnte.

Eves Hilflosigkeit stürzte Ethan in einen tiefen Gewissenskonflikt. Er hielt es für dringend geboten, augenblicklich die Polizei zu alarmieren, um Aidan Galloway daran zu hindern, über ein weiteres unschuldiges Opfer herzufallen. Lieber noch hätte er sich ihn allerdings selbst vorgeknöpft und ihm mit den Fäusten jede Lust daran genommen, sich jemals wieder an einer Frau zu vergreifen.

Andererseits war nur allzu verständlich, dass Eve vor der Polizei kaum weniger Angst hatte als vor ihrem Peiniger. Den Skandal, der ihr drohte, musste sie fast so fürchten wie das, was Aidan ihr angetan hatte.

Zudem ließ ihre Verfassung nicht den geringsten Zweifel daran, wie sehr sie ihn, Ethan, in diesem Moment brauchte. Aus Gründen, die er sich nicht recht erklären konnte, sah sie in ihm nicht länger einen Feind, vor dem sie sich schützen musste, sondern jemand, dem sie vorbehaltlos vertrauen konnte.

Die Deutlichkeit, in der sie ihn das wissen ließ, bewegte Ethan mehr, als er sich eingestehen mochte. Denn die Selbstverständlichkeit, mit der sich Eve an ihn schmiegte, hatte längst Wünsche in ihm wachgerufen, die sich nach allem, was sie erst vor wenigen Minuten durchgemacht hatte, von selbst verboten.

Deshalb kam er in arge Gewissensnot, als sie unvermittelt den Kopf hob und zu ihm aufsah. Der Wunsch, sich hinunterzubeugen und sie zu küssen, drohte bereits unwiderstehlich zu werden, als Eve ihm die Entscheidung kurzerhand abnahm.

Ehe er begriff, wie ihm geschah, hatte sie sich aufgerichtet und presste den Mund auf seine Lippen. Ethan war viel zu überrascht, um dem Angriff auf seine Sinne etwas entgegenzusetzen. Erst als er bemerkte, dass ihr das Laken erneut von den Schultern zu gleiten drohte, kam er zur Besinnung und löste sich von Eve.

„Ich schlage vor, dass Sie die Nacht im Haupthaus verbringen“, sagte er betreten und wich vorsichtshalber ihrem Blick aus, in dem er außer Angst nun auch noch Enttäuschung zu erkennen glaubte. „Dort kann sich das Personal um sie kümmern, falls …“ Im letzten Moment besann er sich und ließ die Befürchtung unausgesprochen, dass Aidan es wagen könnte, zurückzukommen.

Doch dazu hätte Eve ihm ohnehin keine Gelegenheit gegeben. „Auf keinen Fall!“, widersprach sie ihm mit einer Vehemenz, die er ihr kaum zugetraut hätte. „Wenn mein Großvater erfährt, was sich heute Nacht hier zugetragen hat, wird er seines Lebens nicht mehr froh. Sollte mich auch nur einer der Angestellten sehen, weiß es morgen …“

Auch ohne dass sie den Satz beendete, begriff Ethan, wie abwegig sein Vorschlag war. Doch da Eve auch nicht allein bleiben konnte, sah er sich vor das unlösbare Problem gestellt …

„Kann ich nicht bei Ihnen übernachten?“ Eve schien eine Lösung gefunden zu haben, und ihr fast flehender Blick machte Ethan klar, dass sie nicht den geringsten Hintergedanken hatte. „Ich werde Ihnen auch garantiert keine Scherereien mehr machen“, bestätigte sie seine Annahme.

Ethan musste einsehen, dass es nicht den geringsten Sinn hatte, nach einer Alternative zu suchen. Es gab einfach keine. „Also schön“, willigte er deshalb ein, auch wenn er sich ein wenig überrumpelt fühlte. „Vorher sollten Sie sich aber etwas überziehen“, fügte er sicherheitshalber hinzu.

Die Erleichterung stand Eve deutlich im Gesicht geschrieben, und es sah so aus, als wollte sie Ethan vor Freude erneut in die Arme nehmen. Zu seiner Erleichterung unterließ sie es jedoch und ging stattdessen zu ihrem Kleiderschrank.

Doch kaum hatte sie die Tür geöffnet, wurde Ethan klar, dass er einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Auf der Innenseite der Tür befand sich ein Spiegel, in den Eve ungläubig blickte. Vor allem die Würgemale auf ihrem Hals schienen ihr die Todesangst, die sie ausgestanden hatte, schlagartig ins Gedächtnis zurückzurufen.

„Ich werde Ihnen morgen früh etwas zum Anziehen holen“, sagte er rasch und schloss den Schrank. „Die wenigen Meter sollten wir auch so schaffen.“

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, reichte er Eve die Hand. Der Anblick ihres Spiegelbildes hatte sie jedoch so schockiert, dass sie bereits nach wenigen Schritten ins Stolpern geriet.

Ethan fing sie auf, bevor sie fallen konnte. Da er sie schon in Armen hielt, beschloss er, sie die kurze Strecke bis in seinen Bungalow zu tragen.

Eve machte nicht einmal den Versuch, sich dagegen zu wehren. Dafür genoss sie das Gefühl der Sicherheit viel zu sehr, das ihr die Nähe dieses athletischen und selbstbewussten Mannes vermittelte, der sie mit spielerischer Leichtigkeit auf die Veranda trug.

Je länger sie zu ihm aufsehen und sein Gesicht betrachten konnte, desto weniger überraschte es sie, dass sie ihn spontan geküsst hatte. Doch auch wenn sie nicht den geringsten Grund sah, sich für ihre Unbeherrschtheit zu schämen, musste sie fürchten, dass Ethan anders darüber dachte.

„Der Kuss eben …“, begann sie unsicher eine Erklärung, als sie den Garten erreicht hatten.

„Welcher Kuss?“, fragte er, ohne Eve ausreden zu lassen. Er wollte nicht, dass sie sich noch mehr Vorwürfe machte als ohnehin. Genauso wenig wollte er sich eingestehen, wie sehr er das Gefühl genoss, diese unvergleichlich attraktive Frau, die zudem so gut wie unbekleidet war, in den Armen zu halten. Er brauchte sie doch nur anzusehen, um sich darüber klar zu werden, dass er längst mehr unter ihrem Bann stand, als ihm lieb sein konnte.

Umso dringender sollte er sich in Erinnerung rufen, dass ihr Kuss nicht wirklich ihm gegolten hatte, sondern einzig Ausdruck ihrer Verzweiflung gewesen war. Jeder andere Gedanke verbot sich. Außerdem war sein Leben bereits kompliziert genug, auch ohne dass er sich der Versuchung aussetzte, die von Eve Herakleides ausging.

Und warum bringst du sie dann in dein Schlafzimmer? fragte er sich unwillkürlich, als er die Gartenpforte öffnete. Im selben Moment sah Eve zu ihm auf, und als sich ihre Blicke begegneten, beschloss Ethan, die Suche nach einer Antwort zu verschieben.

Noch konnte keiner von ihnen wissen, welches Verhängnis sie damit heraufbeschworen, dass sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, um den Schatten zu bemerken, der sie aufmerksam beobachtete.

4. KAPITEL

„Sie kennen sich hier sicherlich besser aus als ich“, sagte Ethan, nachdem er das Licht eingeschaltet und die Tür hinter sich geschlossen hatte.

Eve war schon als Kind im Anwesen der Petronades ein und aus gegangen, und so kannte sie Ethans Bungalow tatsächlich so gut wie ihren eigenen. Weshalb sich ihr die Frage aufdrängte, wo hier zwei erwachsene Menschen schlafen sollten. Es gab nur ein Schlafzimmer und dort nur ein Bett.

Plötzlich war ihr unerklärlich, wie sie Ethan hatte bitten können, bei ihm übernachten zu dürfen. Fest entschlossen, ihren Fehler wiedergutzumachen, schlang sie sich das Laken fest um den Körper. „Ich sollte lieber wieder nach Hause gehen“, erklärte sie und machte einige unsichere Schritte auf die Tür zu. „Es war ein Fehler, dass ich …“

„Hier geblieben“, fiel Ethan ihr ins Wort und hielt sie zurück. „Ich brühe uns jetzt einen Tee auf, und anschließend legen Sie sich ins Bett. Ich schlafe auf dem Sofa.“

Widerstandslos ließ sich Eve von ihm zu der Sitzgruppe führen, wo sie sich erschöpft in einen Sessel fallen ließ. Offenbar hatte sie Ethan unterschätzt, denn für das Problem, vor das sie sich gestellt sah, war ihm eine Lösung eingefallen, ehe sie es geäußert hatte.

Dass sich ein Mann, der allen Grund hatte, sie zu verabscheuen, so rücksichtsvoll und aufmerksam um sie kümmerte, rührte Eve zutiefst. Das Gefühl der Sicherheit war so überwältigend, dass sie endlich auch die Angst nicht länger unterdrücken musste, die sie noch immer quälte.

„Am liebsten würde ich mich unter die heiße Dusche stellen“, gab sie unumwunden zu. „Die Erinnerung lässt sich zwar nicht abwaschen, aber vielleicht das Gefühl seiner Hände, die mich packten und meinen Körper …“

Schmerzlich musste Eve einsehen, dass sie nicht in der Lage war, das Entsetzliche auszusprechen.

Als Ethan sah, wie sehr sie unter dem Erlebten litt, kam ihm plötzlich der Verdacht, dass Aidan sein teuflisches Werk möglicherweise vollendet hatte.

„Hat sich dieser Mistkerl etwa doch an Ihnen …?“

Eve schüttelte heftig den Kopf, um ihm zu signalisieren, dass seine Sorge unbegründet war.

Zu ihrer Erleichterung gab sich Ethan mit der wortlosen Antwort zufrieden. „Sie wissen ja, wo das Bad ist“, sagte er, ehe er in sein Schlafzimmer ging. Sekunden später kam er mit frischen Handtüchern und einem T-Shirt wieder.

„Es ist Ihnen sicherlich mehrere Nummern zu groß“, kam er ihrem Einwand zuvor und bemühte sich zu lächeln.

Dankbar und erleichtert nahm Eve zur Kenntnis, dass Ethan alles tat, um sie aufzuheitern. „Weiß steht mir zwar nicht“, erwiderte sie deshalb, „aber ausnahmsweise werde ich es nicht so genau nehmen.“

Selbst der Versuch eines Scherzes reichte, um die angespannte Atmosphäre in ihr Gegenteil zu verwandeln. Ethan konnte jedenfalls nicht länger ausschließen, dass sich das erotische Knistern, das plötzlich in der Luft lag, jeden Moment entladen und Eve sich ihm erneut in die Arme werfen würde.

„Schließen Sie die Tür lieber nicht ab“, forderte er sie indirekt auf, ins Bad zu gehen, weil er nicht dafür garantieren konnte, wie er auf einen erneuten Angriff auf seine Selbstbeherrschung reagieren würde. „Wenn Sie Hilfe benötigen, brauchen Sie mich nur zu rufen.“

Widerwillig sah Eve ein, dass Ethan recht hatte. Die Versuchung, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, war allzu verlockend. Doch um ihr zu erliegen, wusste sie zu genau, wie energisch er jeden Annäherungsversuch zurückweisen würde. Deshalb verwarf sie auch den Gedanken, von seinem Angebot Gebrauch zu machen und ihn zu rufen, als sie endlich unter der Dusche stand.

Während Eve im Bad war, ging Ethan ins Schlafzimmer, um das Bett frisch zu beziehen. Erst als er in die Küche gehen wollte, fiel ihm auf, dass er immer noch nicht mehr als die Shorts trug. Um nichts zu provozieren, was er nicht verantworten konnte, nahm er ein T-Shirt aus dem Schrank und zog es sich an.

Das Teewasser kochte gerade, als die Badezimmertür aufging und Eve auf die Schwelle trat. Ethans erster Gedanke war, dass sie unmöglich wissen konnte, wie anziehend und begehrenswert die Farbe Weiß sie machte.

Doch vielleicht rührte die Faszination auch daher, dass ihr das T-Shirt zwar bis fast zu den Knien reichte, dafür aber von den Schultern zu rutschen drohte.

„Ich konnte im Bad keine Haarbürste finden“, riss Eve ihn aus seinen Gedanken. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie sich ein Handtuch um den Kopf gewickelt hatte.

„Sie liegt noch im Schlafzimmer“, erwiderte er rasch. „Während ich sie hole, können Sie schon Platz nehmen.“

Als er Augenblicke später wieder ins Wohnzimmer kam, saß Eve auf dem Sofa, auf dem er die Nacht verbringen würde. Er reichte ihr die Bürste und ging direkt weiter in die Küche, um den Tee und zwei Tassen zu holen.

Nachdem er ihnen eingeschenkt hatte, setzte er sich wohlweislich nicht neben Eve, sondern in einen der beiden Sessel, die durch einen flachen Tisch vom Sofa getrennt waren. Von dort aus beobachtete er, wie sie sich das Haar bürstete.

Doch mehr als ihre anmutigen und grazilen Bewegungen faszinierte ihn die Selbstverständlichkeit, mit der sie seine Anwesenheit akzeptierte. Denn auch wenn keiner von ihnen ein Wort sprach, hätte ein unbeteiligter Beobachter den Eindruck gewinnen können, dass hier ein Ehepaar zusammensaß und den Tag bei einer Tasse Tee ausklingen ließ, ehe es sich ins Bett begab.

„Ich habe Ihnen wahrlich genug Scherereien gemacht“, sagte Eve unvermittelt, als hätte sie Ethans Gedanken erraten. „Deshalb werde ich auf dem Sofa schlafen und Sie …“

„Das kommt gar nicht infrage“, fiel er ihr ins Wort. „Ich schlafe auf der Couch, und Sie schlafen in meinem Bett.“

„Aber …“

„Kein aber“, unterband Ethan ihren Einwand und stand auf. „Sie legen sich jetzt sofort hin“, ordnete er mit einer Bestimmtheit an, die Eve einsehen ließ, dass jeder Widerspruch zwecklos war.

Ethan drängte aus mehreren Gründen darauf, dass Eve umgehend ins Bett ging. Zum einen war sie sichtlich erschöpft und brauchte dringend Schlaf. Zum anderen schien es ihm ratsam, sich nicht länger ihrer ebenso betörenden wie verstörenden Nähe auszusetzen, die seine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellte.

Deshalb reichte er Eve die Hand und führte sie in sein Schlafzimmer. Während sie unsicher vor dem Bett stand, schaltete er die Nachttischlampe ein und schlug die Bettdecke zurück.

„Versuchen Sie, nicht mehr daran zu denken“, sagte er tröstend, als er Eves ängstliches Zögern bemerkte. Doch die Worte galten in gewisser Weise auch ihm selbst, denn die Gedanken, die der Anblick in ihm auslöste, waren keineswegs so arglos, wie es die Situation verlangte.

Eves Reaktion bewies ihm jedoch, dass sie ihm vorbehaltlos vertraute. „Bitte lassen Sie mich nicht allein“, bat sie ihn inständig, ohne zu ahnen, in welche Gewissenskonflikte sie ihn damit stürzte.

„Ich bleibe im Zimmer, bis Sie eingeschlafen sind“, erwiderte er schließlich und forderte sie mit einer Handbewegung auf, sich hinzulegen.

Eve zögerte keinen Moment, der Aufforderung nachzukommen. Dafür genoss sie die Sicherheit und Geborgenheit viel zu sehr, die Ethan ihr vermittelte.

‚Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus‘, hatte er vorhin gesagt. Er hatte zwar etwas anderes damit gemeint, doch Eve war sich schmerzlich bewusst, dass mit dem nächsten Tag die Schwierigkeiten erst richtig beginnen würden.

Denn länger als für eine Nacht würde sie weder den abgrundtiefen Hass auf Raoul Delacroix verdrängen noch sich darüber hinwegtäuschen können, dass sich Ethan nur aus Mitleid so rührend um sie kümmerte.

Doch daran wollte sie in diesem Augenblick ebenso wenig denken wie an die Frage, wie sie ihrem Großvater ins Gesicht sehen sollte, ohne sich zu verraten. Deshalb verdrängte sie diese Gedanken und kuschelte sich unter die Decke, die Ethan über sie ausgebreitet hatte.

„Gute Nacht“, sagte sie leise und schloss die Augen, weil Ethan sich hinunterbeugte, um die Nachttischlampe auszuknipsen.

„Gute Nacht“, erwiderte er und konnte der Versuchung nicht widerstehen, Eves Gesicht zu betrachten. Ihre Züge wirkten fast entspannt, doch die Ringe unter den Augen verrieten deutlich, was sie durchgemacht hatte.

Um von seinen Gefühlen nicht überwältigt zu werden, trat er einige Schritte zurück. Es konnte nicht lange dauern, bis Eve eingeschlafen war. An sein Versprechen, sie nicht eher allein zu lassen, würde er sich halten, auch wenn er vor Müdigkeit fast umfiel.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Eves gleichmäßiger Atem verriet, dass sie eingeschlafen war. Ethan beschloss, noch einen Moment zu warten, ehe er sie beruhigt allein lassen und sich endlich hinlegen konnte. Die Aussicht, die Nacht auf dem Sofa verbringen zu müssen, war zwar wenig erfreulich, doch was tat man nicht alles …

Zum wiederholten Mal musste er laut gähnen, und um Eve nicht zu wecken, legte er sich rasch die Hand vor den Mund. Doch als er das Zimmer schon verlassen wollte, hörte er, dass Eve sich plötzlich unruhig hin und her wälzte.

Kaum hatte er sich zu ihr umgedreht, begann sie sogar, im Schlaf zu sprechen. „Nein!“, rief sie mehrfach, und selbst in der Dunkelheit konnte Ethan erkennen, dass sie regelrecht zusammenzuckte, als plagten sie entsetzliche Albträume.

Auch wenn ihn das nicht überraschte, missfiel ihm gleichwohl die Aussicht, sich auf eine schlaflose Nacht einstellen zu müssen. Doch da er nicht riskieren wollte, dass Eve allein und in einer fremden Umgebung aufwachte, schien alles darauf hinauszulaufen.

Das Geräusch einer Tür, die krachend zufiel, riss Eve aus tiefstem Schlaf.

Zunächst war sie viel zu benommen, um mit Sicherheit sagen zu können, ob das Bild, das sie vor Augen hatte, die Nachwirkung eines Traumes oder bittere Wirklichkeit war.

Autor

Michelle Reid
Michelle Reid ist eine populäre britische Autorin, seit 1988 hat sie etwa 40 Liebesromane veröffentlicht. Mit ihren vier Geschwistern wuchs Michelle Reid in Manchester in England auf. Als Kind freute sie sich, wenn ihre Mutter Bücher mit nach Hause brachte, die sie in der Leihbücherei für Michelle und ihre Geschwister...
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