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Lizas Enttäuschung war grenzenlos als Sam Rivers sie vor Jahren ohne ein Wort verließ. Nun steht er plötzlich als erfolgreicher Unternehmer wieder vor ihr und bittet sie um eine zweite Chance. Eigentlich sollte sie ihn dafür hassen! Aber sie liebt ihn noch immer …


  • Erscheinungstag 12.03.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776756
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Liza Courtland lächelte über den zerbrechlichen Engel aus Elfenbein und Gold, den sie auf der flachen Hand liegen hatte. Sam hatte ihr diesen Engel heute Morgen gegeben, als sie an der Baustelle vorbeikam, wo er arbeitete. Es war das erste, das einzige Geschenk, das sie von ihm bekommen hatte, und sie liebte es fast genauso sehr, wie sie Sam liebte.

Sie lehnte sich in der altmodischen Schaukel zurück und blickte versonnen von der Veranda des kleinen Sommerhauses ihrer Eltern hinaus auf den Cranesee. Doch was sie sah, war Sam Rivers und nicht das Wasser. Sam war hochgewachsen und schlank und tief gebräunt von der Außenarbeit am Bau. Oh, wie sie es liebte, mit den Händen über die harten Armmuskeln und breite Brust zu streichen, um dann mit den Fingern durch sein schwarzes Haar zu fahren, während sie beobachtete, wie seine fantastisch blauen Augen sich vor Verlangen verdunkelten. Vor Verlangen nach ihr.

Liza bewegte sich und streckte die langen Beine von sich, als ihr Körper auf diese Betrachtungen reagierte. So war es seit dem ersten Moment ihrer Begegnung mit Sam Rivers gewesen. Und sie wusste, dass es ihm ebenso ergangen war. Als ob sie füreinander bestimmt wären. Obgleich es eine Weile gedauert hatte, bis Sam seine Zurückhaltung aufgegeben hatte. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen und war ihr deshalb bei weitem nicht ebenbürtig. Jedenfalls meinte er das. Als ob das eine Rolle spielen würde, dachte Liza.

Doch sie musste zugeben, dass es für ihren Vater eine Rolle spielen würde.

Will Courtland besaß so gut wie alles, was sich in Port Henry, einer Kleinstadt in Ohio an der Sandusky Bay gelegen, zu besitzen lohnte. Aber der Besitz ging nicht auf ihn zurück. Es war der Familienbesitz ihrer Mutter. Will hatte zwar Intelligenz und Ehrgeiz gehabt, aber nur wenig Bargeld, als er in Elizabeths vermögende Sippe eingeheiratet hatte. Er hatte innerhalb einer kurzen Zeit deren großes Vermögen geschickt verdreifacht. Ein armer Junge, der es nach oben geschafft hatte.

Wenn Sams Vater, Joe Rivers, nur nicht der Stadtsäufer wäre, ein Mann, der mit seiner Familie in einer Kate am Waldrand hauste. Joe Rivers, der laut und ungehobelt war, wurde nachgesagt, dass er seine Frau schlug. Liza hätte Sam ihrer Familie schon früher vorgestellt, wenn es nicht den abstoßenden Ruf seines Vaters gäbe. So hatte sie gewartet, hatte bis zu diesem Wochenende, das dem Labor Day vorausging, ausgeharrt. Ihre Eltern würden wie all die Jahre zuvor zum Ende des Sommers das letzte große Picknick in ihrem Haus am See für ihre Familie und Freunde veranstalten. Ganz sicher würde ihr Vater in dieser hübschen Landschaft, umgeben von all den vertrauten Gesichtern, Sam als den sehen, der er war, und ihn nicht nach den Fehlern seines Vaters beurteilen.

Bei dem gedämpften Quietschen der Schaukel betete Liza, dass die Dinge gut enden würden. Nächste Woche musste sie wieder zum College zurück, um das dritte Semester zu beginnen, obgleich sie nichts so sehr wollte, wie hierbleiben und mit Sam zusammen sein. Er war fünf Jahre älter als sie, arbeitete ganztägig und besuchte Abendkurse, weil er es sich nicht leisten konnte, außerhalb des Ortes ein College zu besuchen. Er hätte das College beendet, das wusste Liza, weil es ihm sehr darum ging, sich zu beweisen und über das schändliche Vermächtnis seines Vaters hinwegzukommen.

Liza drückte den Engel an ihre Brust. Ihr Herz wurde weit vor Liebe. Alles würde gut werden. Es musste! Dad würde Sams Zielstrebigkeit erkennen, würde ihm vielleicht sogar einen Job bei dem Courtland-Unternehmen anbieten. Mom würde sich durch Sams raues Äußeres nicht beirren lassen, sondern schnell herausfinden, was für ein empfindsamer Mann er tatsächlich war, der Mann, den Liza für sich entdeckt hatte. Und dann würden sie irgendwann heiraten, und das Leben würde wunderbar sein.

Ein entferntes Grollen weckte ihre Aufmerksamkeit. Sie blickte auf den See hinaus, wo genau in diesem Moment ein Blitz über den Abendhimmel zuckte. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und stellte fest, dass es bereits nach acht war. Was hielt Sam auf?

Das Sommerhaus war ihr bevorzugter Treffpunkt, wo sie bei jeder Möglichkeit, die sich ihnen bot, zusammenkamen. Die Familienfestlichkeiten würden nicht vor Samstag starten. Also hatten sie verabredet, die Nacht vor dem Wochenende hier zusammen zu verbringen. Am Morgen, als Liza bei seiner Arbeitsstelle vorbeikam, um sich zu vergewissern, dass es bei heute Abend blieb, war Sam ihr abgelenkt erschienen. Aber er hatte ihr den Engel geschenkt, sie leidenschaftlich geküsst und ihr versprochen, gegen sieben Uhr im Sommerhaus zu sein. Es passte nicht zu Sam, sich zu verspäten.

Als die ersten Regentropfen fielen, wurde Liza unruhig. Sam würde doch wohl nicht kalte Füße bekommen haben bei dem Gedanken, am kommenden Wochenende ihrer Familie vorgestellt zu werden, und sich entschlossen haben, fernzubleiben? Nein, er würde der Sache gewachsen sein. Und sollte es tatsächlich Probleme geben, würde er es ihr offen sagen. Liza zuckte bei dem Donnergrollen heftig zusammen. Ganz sicher hatte Sam keinen Unfall gehabt. Nein, Sam war ein vorsichtiger Fahrer.

Die Sommerhitze verwehte. Es wurde kühler auf der Veranda, die nur von einer Lampe im Haus ein wenig erhellt wurde. Das Telefon blieb stumm. Alles ist in Ordnung, hielt Liza sich vor. Sie neigte nur dazu, sich allzu schnell Sorgen zu machen.

Sie unterdrückte ein Gähnen, setzte den Engel auf den dreifüßigen Tisch neben der Schaukel und rollte sich unter der leichten Afghandecke zusammen. Sie wollte nur für eine kleine Weile die Augen schließen, und als Nächstes wäre Sam hier und würde sie in seine starken Arme schließen und sie wachküssen. Bei diesem prickelnden Gedanken entspannte sie sich.

Sam ist auf dem Wege hierher, redete Liza sich ein, während ihre Glieder schwer wurden. Für seine Verspätung hätte er eine durchaus vernünftige Erklärung. Er wusste, dass sie auf ihn wartete, und er hatte sie noch nie enttäuscht.

Der Regen wurde allmählich heftiger, und der Wind kam auf. Liza war sich nicht sicher, ob das feuchte Sprühen in ihr Gesicht oder das Geräusch von etwas Berstendem sie aus dem Schlaf herausgerissen hatte. Sie schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen, und setzte sich blinzelnd auf. Während sie geschlafen hatte, war der Sturm umgesprungen und fegte jetzt über den See. Er wütete und heulte und ließ seinen ganzen Zorn an dem Sommerhaus aus. Liza fühlte sich noch benommen von dem kurzen Schlaf. Sie befreite sich aus der Decke und schwang die Beine über die Seite der Schaukel.

Es war in diesem Augenblick, dass sie den Engel auf dem Holzboden der Veranda entdeckte. Offensichtlich hatte der Wind ihn vom Tisch gefegt. Sie hob die zwei perfekten Hälften auf, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie hatte sie nur so unachtsam mit dem wunderschönen Geschenk umgehen können? Was würde Sam davon halten?

Sam! Sie blickte auf ihre Uhr und erschrak. Es war bereits nach zehn. Sam hätte schon lange hier sein müssen oder zumindest sie anrufen können. Was hatte ihn aufgehalten? Schauer der Angst überrieselten sie. Irgendetwas Schreckliches musste passiert sein.

Wo war Sam?

1. KAPITEL

Daheim. Ein unanständiges Wort, wenn es nach Sam Rivers ginge. Jedenfalls hatte er jahrelang so für sein Elternhaus gefühlt, bis zurück zu der Zeit, als er wusste, wie man seine Fäuste gebrauchte, und das nur aus dem einzigen Grund, weil er Joe Rivers’ Sohn war. Und auch später, als er dieselben Fäuste gegen seinen Vater gebraucht hatte, wenn er den Vater dabei erwischte, wie er die Mutter schlug. So aufzuwachsen war schon ziemlich die Hölle.

Sam setzte den Blinker und nahm die Ausfahrt vom Ohio Turnpike bei Sandusky. Er hatte sich entschieden, gemächlich an der Bucht entlangzufahren, statt auf dem Highway zu rasen. Es drängte ihn nicht, nach Port Henry zurückzukehren, der Stadt, in der er geboren worden war.

Es war morgens. Die helle Aprilsonne schien durch die Windschutzscheibe und ließ das Wasser des Sees tiefblau erscheinen. Sam fragte sich, wie viel sich verändert haben mochte, während er weg gewesen war … wirklich verändert. Acht Jahre waren eine lange Zeit. Und die meiste Zeit dieser Jahre war er entschlossen gewesen, niemals wieder in die Stadt zurückzukehren, die ihn abgestempelt hatte, noch bevor er eingeschult worden war. Es waren gemeine, unbarmherzige, erniedrigende Bezeichnungen gewesen wie minderwertiges Pack, faule Versager und Schlimmeres. Dann die endgültige Beschuldigung: Mordverdacht.

Er war viel zu lange der Vergangenheit ausgewichen. Aber ein Mann musste fähig sein, in den Spiegel zu schauen und mit dem, was er dort sah, sich wohlzufühlen. Er brauchte es. So war er zum Entschluss gekommen, dass es an der Zeit sei, den guten Menschen von Port Henry gegenüberzutreten und sich von dem Verdacht reinzuwaschen. Er hatte kein Verbrechen begangen, und doch hatte er sich wie ein Mann auf der Flucht vor dem Gesetz verhalten. Jetzt wo er einen Ford Explorer fuhr und eine Menge Geld in seiner Brieftasche und noch viel mehr auf seinem Bankkonto hatte, sah die Situation anders aus.

Sam ließ das Seitenfenster herunter und fühlte die warme Brise auf seinem Gesicht. Ein ganz schöner Gegensatz zu dem regnerischen Septemberabend, als er die Stadt in einem zerbeulten Pick-up mit weniger als fünfzig Dollar in der Tasche verlassen hatte.

Die langen, einsamen Jahre hatten ihn reifer werden lassen, und die harte Arbeit hatte sich ausgezahlt. Nach heutigen Maßstäben war er ein erfolgreicher Selfmademan, der zufrieden sein sollte, dass er in seinem Leben vorangekommen war, statt auch nur einen Gedanken an Port Henry und seine unerfreuliche Vergangenheit zu verschwenden. Er musste sich nicht mehr beweisen. Und doch konnte er das quälende Drängen nicht loswerden, zurückzukehren und die Wahrheit herauszufinden.

Seine Mutter. Sam fuhr sich mit der starken Arbeitshand über das Kinn. Ann Rivers würde sich daran gewöhnen müssen, einen ausgewachsenen Sohn um sich zu haben. Er war innerlich stärker geworden, selbstbewusster und mit seinen zweiunddreißig Jahren weniger einzuschüchtern, als er es mit vierundzwanzig gewesen war.

Der Lebenskampf hatte ihn hart gemacht, aber der Erfolg hatte ihn irgendwie milder gestimmt. Seine Mutter hatte ihn in den letzten Jahren angefleht, doch nach Hause zu kommen, aber er hatte es nicht getan. Nicht bis er das Gefühl gehabt hatte, dass die Zeit dafür richtig sei.

Über den Grund seiner Rückkehr würde seine Mutter allerdings nicht glücklich sein, weil sie es vorzog, das Unbequeme nicht sehen zu wollen. Ihr ganzes Leben lang war sie vor der Wirklichkeit geflohen. Sie war der Meinung gewesen, die Probleme lösten sich von selbst auf, wenn man sich mit den Gegebenheiten nicht auseinandersetzte. Er hatte sie davon überzeugen wollen, dass man die dunklen Wolken, unter denen sie alle gelebt hatten, nur vertreiben könnte, wenn man die Wahrheit nicht verschleierte. Er hatte es wirklich versucht, vor allem ihrem jüngeren Sohn, Jim, zuliebe.

Er verlangsamte das Tempo auf der Straße, die entlang der Bucht des Eriesees führte, und warf einen Seitenblick auf ein Segelboot, das seewärts fuhr, während er an seinen Bruder dachte. Jim war elf gewesen, als Sam die Stadt verließ … ein mageres Bürschchen, das sich vor seinem eigenen Schatten gefürchtet hatte. Zweifellos eine Folge von den Misshandlungen ihres Vaters, der im Alkoholrausch seine Wutanfälle an dem Jungen ausgelassen hatte. Jim besuchte jetzt das Ohio State College und machte in der letzten Zeit seiner Mutter Probleme. Sie hatte sich in den letzten Briefen darüber beklagt, auch wenn sie nicht auf Einzelheiten eingegangen war.

Das war ein zusätzlicher Grund für Sam gewesen, zurückzukommen. Er hatte sich bis jetzt Jim gegenüber nicht gerade als großer Bruder gezeigt, und er fragte sich, ob er überhaupt den richtigen Ton finden würde.

Die Umgebung von Port Henry hatte sich nicht viel verändert, fand Sam, als er von der Hauptverkehrsstraße entlang der Bucht abbog und in den Ort fuhr. Das Gebäude, in dem sich die Hanley-Apotheke befand und in dem er seinen ersten Job gehabt hatte, schien ein wenig verwittert, aber die Highschool sah aus, als ob sie erst kürzlich sandgestrahlt worden wäre. Ein neuer Supermarkt stand auf dem früher unbebauten Grundstück, wo die Kids aus der Nachbarschaft Baseball gespielt hatten.

Nicht dass Sam jemals die Zeit gehabt hätte, sich daran zu beteiligen, auch wenn er gefragt worden wäre. Schon solange er sich erinnern konnte, hatte er nach der Schule gearbeitet, hatte Tageszeitungen ausgetragen, in Lebensmittelgeschäften die Regale gefüllt, Rasen gemäht. Er hatte jeden Job angenommen, um das Geld zu ersetzen, das Joe Rivers mit billigem Whisky durch die Kehle jagte. Erst in der Highschool hatte er Zeit gefunden, Sport zu treiben, während er eine gute Durchschnittsnote halten konnte und an den Abenden und den meisten Wochenenden gearbeitet hatte.

Zur Rechten lag eine Wohnsiedlung für Familien mit mittlerem Einkommen, an der er mitgearbeitet hatte, als er nach dem Highschoolabschluss beim Westbrook-Bau beschäftigt gewesen war. Es waren hübsche moderne Häuser, bei deren Bau er unter den wachsamen Augen des Vorarbeiters, Mac Forrest, das Handwerk von der Pike auf gelernt hatte. Er war heute noch stolz darauf, daran beteiligt gewesen zu sein. Sam hatte großen Wert auf Macs Meinung gelegt, der ihn in seiner schroffen Art unter seine Fittiche genommen hatte. Vielleicht hatte es deshalb so wehgetan, als Mac ihn genau an dem Tag gefeuert hatte, wo die Unannehmlichkeiten begannen.

Jener Tag verfolgte Sam noch immer. Er war den Vorfall oft genug durchgegangen, um sich an jedes winzige Detail genau zu erinnern. Der erste Hinweis auf die kommenden Schwierigkeiten hatten sich Donnerstagnacht abgezeichnet, genau zwei Tage vor dem langen Labor-Day-Wochenende. Seine Mutter hatte ihn um Mitternacht herum geweckt, um ihm zu sagen, dass Joe nicht nach Hause gekommen sei, etwas, was nur selten geschah, trotz der Trunkenheit seines Vaters. Sam war also aufgestanden und hatte die üblichen Plätze abgeklappert, an denen sein Vater sich gewöhnlich herumtrieb. Gefunden hatte er ihn nirgendwo. In der Überzeugung, dass sein Vater irgendwo hingegangen sei, wo er seinen Rausch ausschlafen konnte, hatte er seine Mutter dazu überredet, noch eine Weile zu warten, ehe sie Joe als vermisst meldete.

Sobald Sam am nächsten Morgen das Haus verlassen hatte, vernahm er die Gerüchte. Joe Rivers war an jenem Freitag nicht zur Arbeit erschienen, und er hatte noch nie zuvor den Zahltag versäumt. Zeugen hatten ausgesagt, dass Joe die Nacht zuvor in einer Bar bei einer Rauferei beteiligt gewesen sei und die Bar betrunken und fluchend verlassen habe. Der Stellvertreter des Sheriffs, Deputy Ed Hayes, habe die Ermittlungen aufgenommen. Sam hatte sich bemüht, keine Notiz von den Blicken und Fragen zu nehmen. Er hatte es sogar fertiggebracht, zu lächeln, als Liza Courtland vorbeigekommen war, um sicher zu sein, dass sie sich am Abend treffen würden. Es hatte der Anfang eines wunderbaren Wochenendes werden sollen.

Stattdessen war es zum Albtraum geworden.

Es war schon komisch, wie die Heimkehr umgehend die alten Gefühle zurückbrachte … Gefühle der Angst, der Schande, der Hilflosigkeit. In der ganzen Stadt war es von Mund zu Mund gegangen, und die Nachricht war niederschmetternd gewesen. Sam Rivers soll wegen des Verschwindens seines Vaters, Joe Rivers, vernommen werden. Jene Worte hatten Sams Leben für immer verändert.

Er war jung gewesen und erschreckt und der Verzweiflung nahe. Also hatte er sich an Mac gewandt. Aber der Vorarbeiter hatte bereits Besuch von Deputy Hayes gehabt, der ihm gesagt hatte, Sam stehe unter Verdacht und er solle ihn lieber entlassen. Erstaunlicherweise hatte Mac sich gefügt, obwohl Sam darauf beharrt hatte, dass er nichts getan habe. Obwohl, der Himmel allein wusste, wie oft ihm der Gedanke gekommen war, seinen betrunkenen Vater für immer loszuwerden.

Sam war in Panik geraten und hatte sich aus der Stadt gestohlen, bevor Hayes ihn festnehmen konnte. Er war sich im Klaren gewesen, dass sein plötzliches Verschwinden von vielen als Eingeständnis seiner Schuld aufgenommen werden würde. Die halbe Stadt hatte ja davon gewusst, dass er seinem Vater gedroht hatte, ihn zu töten, wenn er noch einmal seine Frau oder Jim schlagen sollte. Das war wenige Wochen vor Joe Rivers’ Verschwinden gewesen, als Sam ihn eines Nachts in seiner Lieblingsbar aufgetrieben hatte. Nach diesem Vorfall hatte Joe sich wirklich vorsichtig verhalten. Also hatte Sam keinen Grund gehabt, seine Drohung auszuführen. Aber wer hätte ihm schon glauben sollen, wenn nicht einmal Mac, sein Ratgeber, es getan hatte?

Und jetzt war er hier, wieder zu Hause, um einige Antworten zu finden und seinen Namen reinzuwaschen.

Am obersten Ende der Kurve erreichte Sam die Straße, die zu dem Courtland-Unternehmen führte. Er hielt an, als er den Pfeil aus Messing entdeckte, der den Weg wies. In einem neueren dreistöckigen Gebäude aus Ziegelsteinen war die Zentrale der Firma untergebracht. Das Gebäude saß auf einem Hügel und war zweifellos noch von Will Courtland gebaut worden, der es genossen haben musste, auf sein ausgedehntes Königreich hinunterzublicken.

Doch offensichtlich hatten sogar Industriemagnate ihre Probleme, wie er aus den Briefen seiner Mutter erfuhr. Der alte Will hatte, kurz nachdem Sam aus der Stadt geflohen war, einen Schlaganfall erlitten, der ihn außer Gefecht setzte. Zwei Jahre darauf war er gestorben. Die Leitung des riesigen Courtland-Imperiums, das Immobilien, eine Kautschukraffinerie in Akron und mehrere kleine Fernsehsender umschloss, hatte Liza Courtland übernommen. Sam hatte seit Jahren den Kurs der Courtland-Aktien verfolgt.

Er blickte zur Edgewater Road hinüber, obwohl er die Courtland-Villa von hier aus nicht sehen konnte. Aber er erinnerte sich noch genau an sie. Groß, weiß und protzig. Das war sein erster Eindruck von ihr vor langer Zeit gewesen. Riesige Säulen an der Vorderseite, im Stil der Herrenhäuser vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, ähnlich einer Plantage aus dem tiefen Süden. Die Frage kam in Sam auf, ob Liza noch immer in dem Haus lebte.

Liza. Nun hatte er dieses Thema am Wickel … der wirkliche Grund, warum er gezögert hatte, in seine Heimatstadt zurückzukehren. Liza Courtland, das Mädchen, das er mehr geliebt hatte als die Luft, die er einatmete. Und so unglaublich es war, obwohl Liza aus reichem Hause stammte, hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn auch liebte.

Aber er hatte die Stadt verlassen, hatte sich bei Dunkelheit hinausgestohlen, obwohl er gewusst hatte, dass Liza im Sommerhaus am See auf ihn wartete. Er war sicher gewesen, dass ihre wohlhabende Familie niemals einen Mann akzeptieren würde, der verdächtigt wurde, am Verschwinden seines eigenen Vaters schuldig zu sein. Er hätte bleiben sollen, hätte es ausstehen sollen. Auch als er das schließlich erkannt hatte, hatte sein Stolz es nicht zugelassen, zurückzukehren, nicht bevor er es mit erhobenem Haupt und Geld in seiner Tasche tun konnte.

Er hatte ein Jahr damit verbracht, von Staat zu Staat zu ziehen und Gelegenheitsarbeiten zu verrichten, in schäbigen Unterkünften zu leben, keine Freundschaften zu schließen und sich endlos zu fragen, wo um alles in der Welt Joe Rivers abgeblieben war. Er hatte zu Hause angerufen und seiner Mutter Geld geschickt, sobald es ihm möglich war, und er hatte sich erkundigt, wie die Dinge standen. Angsterfüllt hatte sie ihm erzählt, dass der Sheriff ihn noch immer zur Vernehmung haben wollte. So war Sam weitergewandert, hatte tagein, tagaus lange Stunden gearbeitet, nachts wach gelegen und sich an jeden Moment erinnert, den er mit Liza verbracht hatte, hatte von ihr geträumt und nach ihr verlangt.

Doch das war einstmals gewesen, und jetzt war jetzt.

Er startete wieder seine Limousine und gab Gas. Wenn alles sich zum Guten wendete, würde Liza ihm vielleicht eines Tages vergeben und seine Gründe verstehen. Diese Hoffnung konnte er nicht aufgeben. Für den Moment würde er es jedenfalls nicht zulassen, darüber nachzudenken, was hätte sein können. Er musste sich darauf konzentrieren, nach Antworten zu forschen, um das mysteriöse Verschwinden aufzuklären und den Verdacht zu tilgen, der ja der eigentliche Grund gewesen war, warum er von hier verschwand. Der Hauptzweck seiner Rückkehr war, denen hier allen zu zeigen, dass der Junge aus ärmlichen Verhältnissen etwas aus sich gemacht hatte, und nicht um eine alte Liebesaffäre zu erneuern. Natürlich erwartete er es auch nicht, dass Liza bereitwillig mit ihm sprechen wollte, so wie er sich bei Nacht und Nebel verdrückt hatte.

Leider würde sie viel mehr als nur mit ihm sprechen müssen, da sie wahrscheinlich zusammenarbeiten würden. Ganz sicher hatte Liza keine Ahnung, dass Sam mit eingeschlossen war, als sie als Leiterin des Courtland-Unternehmens das Angebot des McDonald-Bauunternehmens von Akron rechtskräftig machte. Das Bauland von Oakview sollte für eine Wohnsiedlung für den gehobeneren Mittelstand erschlossen werden.

Es war ein längst überfälliger Glückstreffer gewesen, Ray McDonald zu begegnen, nachdem Sam über ein Jahr lang ein Nomadenleben geführt hatte. Ray hatte etwas in Sam gesehen, das Sam an sich selbst damals nicht gesehen hatte. Er hatte für Ray geschuftet, weil der kinderlose alte Mann an ihn geglaubt hatte und in ihm mehr einen Sohn sah, als sein eigener Vater es jemals getan hatte. Drei Jahre später hatte Ray sich zur Ruhe gesetzt, und Sam hatte die Gelegenheit ergriffen, Ray das blühende Geschäft abzukaufen.

Mit einem Bankdarlehen, für das Ray gebürgt hatte, war Sam der alleinige Gesellschafter geworden, wenn auch ein verschuldeter. Er hatte sofort Dirk Jones, seinen einzigen Freund, zu seinem Stellvertreter befördert, und zusammen hatten sie das McDonald-Bauunternehmen zu dem Betrieb aufgebaut, der er heute war. Genau vor einem Jahr war Rays Frau gestorben, und Ray war ihr innerhalb von zwei Monaten gefolgt. Niemand war mehr geschockt als Sam, als er vernahm, dass Ray ihm alles, was er besaß, hinterlassen hatte. Ray hatte es ihm so ermöglicht, einen dicken Strich unter die ganz schön hohe Hypothek zu machen.

Sam hatte Rays Namen für das Unternehmen beibehalten, um den Mann zu ehren, der so gut zu ihm gewesen war. Das war auch der Grund, warum Sam sicher sein konnte, dass Liza das Angebot, das Dirk ihr vor kurzem unterbreitet hatte, nicht seinetwegen ablehnen würde. Sie hatten die Ausschreibung für die Wohnsiedlung gewonnen.

Anfangs hatte Sam gedacht, dass Dirk am besten die Aufsicht über das Projekt am Ort übernehmen sollte, während er in ihrem Büro in Akron bleiben würde. Aber später, nachdem er sich die Dinge reiflich überlegt hatte, vor allem, nachdem er wieder einen besorgten Brief von seiner Mutter erhalten hatte, fand er, dass es Zeit sei, zurückzukehren.

Allerdings musste er sich eingestehen, dass der Gedanke, Liza gegenüberzutreten, ihn ein wenig nervös machte. Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war noch zu früh für das Treffen mit den zuständigen Courtland-Leuten. Wenn er sich erst einmal ein wenig umsah, würde er vielleicht bereit sein, der Vergangenheit die Stirn zu bieten.

„Achtundneunzig … neunundneunzig … einhundert!“ Liza ließ die Gewichte von der Armrolle los, beugte sich vor, und mit den Händen auf die Knie gestützt schnappte sie nach Luft. „Für heute ist es genug.“

„Das meine ich aber auch“, bemerkte Sue Stewart, die sich von der Matte hochrappelte, wo sie Streckübungen getan hatte. „Du bist heute Morgen jede Maschine, die es hier nur gibt, durchgegangen. Leidest du unter Todessehnsucht oder so was?“

Liza richtete sich auf und ließ die Schultern rollen. „Nein. Ich versuche nur, mein Gewicht zu halten. Erinnerst du dich an diesen köstlichen Schokoladenkuchen, den Mom zu Beths Geburtstagsparty am vergangenen Wochenende gebacken hat? Eintausend Kalorien bei nur einem Biss, und ich habe ein riesiges Stück verdrückt.“

„Ich habe zwei Stück gehabt, aber warum daran denken?“ Sues neidvoller Blick galt Lizas schlanken Formen und ihren langen, langen Beinen. Sie seufzte. „Deine Probleme möchte ich haben.“ Sie tätschelte ihren Bauch. „Andy ist sechs Wochen alt, und ich habe immer noch nicht diese fette Rundung wegtrimmen können.“

Liza schnappte sich das Handtuch, das sie über ein Trimmrad nahebei gelegt hatte, und wischte sich das verschwitzte Gesicht. „Ah, aber er ist es wert. Was für ein allerliebstes Baby.“

Ihre Freundin strahlte. „Das ist Andy, nicht wahr?“ Sue folgte ihr zu den Duschkabinen. Sie wichen einer kleinen Gruppe aus, die sich gerade für die Aerobic-Übungen aufstellte. Frannies Fitnesscenter, ganz in der Nähe der Hauptstraße von Port Henry, war ein populärer Ort für junge Mütter und berufstätige Singles ebenso gut wie für die Einwohner mittleren Alters. Sie alle kamen regelmäßig hierher, um den nie endenden Kampf mit den überflüssigen Pfunden aufzunehmen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich nach Sherrys Geburt so viel Schwierigkeiten hatte, an Gewicht zu verlieren.“

„Da warst du auch jünger, hm?“ Liza und Sue hatten dieselbe Highschool besucht, wurden aber erst Freundinnen, als sie sich wieder im Palmer Park trafen mit ihren kleinen Töchtern, die damals noch im Krabbelalter waren. Jetzt waren ihre Mädchen in derselben Klasse, und Sue war zum zweiten Mal Mutter geworden. Liza beneidete Sues unbeschwertes Leben und mochte aufrichtig ihren Mann Lyle, einen unkomplizierten Rechtsanwalt, der seine Frau und Kinder innig liebte.

„Daran musst du mich gerade erinnern. Die große Drei-und-eine-Null-dazu rückt bedrohlich näher.“ Sue öffnete ihren Spind. „Hättest du genügend Zeit für einen Salat im Roundhouse, ehe du in das Werk zurückfährst?“ Obwohl sie ihre Freundin um die großartige Figur und das viele Geld beneidete, hatte Sue keine Sehnsucht, mit Liza zu tauschen. Liza war eine alleinstehende Mutter mit einem höchst verantwortlichen Job.

Liza warf einen Blick auf die Wanduhr im Spindraum und stellte fest, dass sie sich wirklich keine Zeit für einen Imbiss nehmen konnte. „Leider nein. Ich habe in etwa vierzig Minuten eine Besprechung. Aber für einen Gesundheitscocktail an der Früchtebar würde es noch reichen.“

Sue verzog das Gesicht. „O Mann, warum muss alles, was gut ist, für den Menschen nur so … so fade schmecken?“

Liza lachte und trat in die erste Duschkabine. „Wir treffen uns dort in zehn Minuten.“

Sie schaffte es in acht, obwohl sie ihr langes blondes Haar geföhnt hatte. Sie setzte ihre Segeltuchtasche auf den Boden, nahm auf dem Barhocker Platz und bestellte einen Orangensaftmix. Frannie bediente an diesem Vormittag die Früchtebar.

„Mein bevorzugter Drink“, sagte Frannie und füllte den Mixbecher. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau, die freimütig ihre dreißig zugab, weil sie wusste, dass sie mit zehn Jahre jünger davonkommen konnte. Frannie war eine wandernde Werbung für ihr Fitnesscenter. „So … ich nehme an, ihr habt die große Neuigkeit vernommen, oder?“, plauderte sie, während sie die Früchte in den Mixer tat.

Liza suchte in ihrer Handtasche nach einer Sandblattfeile, um ihren angebrochenen Nagel zu schmirgeln. „Welche große Neuigkeit?“ Als ob es jemals in Port Henry eine Neuigkeit gäbe, die als groß bezeichnet werden könnte.

„Sam Rivers ist wieder zurück.“

Lizas Hände wurden reglos, während sie Frannie anstarrte. „Wer hat Ihnen das gesagt?“

„Das war nicht nötig. Hab ihn vor nicht mal einer halben Stunde selbst gesehen. Fuhr in seiner hellbraunen Limousine an der Bucht entlang.“ Mit schlauen Augen beobachtete sie Lizas Reaktion. „Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie und er etwas miteinander.“ Frannies Eltern besaßen eine Pizzeria in der Nähe des Cranesees, wo Frannie an den Wochenenden und während der Sommermonate ausgeholfen hatte. An der Ecke gab es eine Bude, wo Liza und Sam sich oft getroffen hatten. Frannie hatte damals den Eindruck gehabt, dass die beiden mehr als Freunde waren. Und das Einzige, was Frannie noch lieber als arbeiten mochte, war zu tratschen. Und sie konnte sehen, dass ihre Neuigkeit Liza einen Schock versetzt hatte.

Liza schluckte schwer. „So würde ich das nicht sagen. Wir kannten einander, doch das liegt lange zurück.“ Aber nicht lange genug, dachte sie, als sie das hohe Glas mit dem schäumenden Drink entgegennahm. Nicht, wenn ihre Hände allein bei der Erwähnung von Sams Namen zu zittern anfingen.

Frannie wischte eifrig mit einem Tuch über die Theke. „Ich würde nur gern wissen, was ihn nach all diesen Jahren wieder zurückbringt.“

Liza beugte den Kopf, um durch den Strohhalm in großen Schlucken den Saft zu trinken. Das hätte sie auch gern gewusst. Vielleicht irrte Frannie sich. Acht Jahre waren eine lange Zeit, und Gesichter änderten sich, wurden reifer.

Sue kam und schwang sich auf den Barhocker neben Liza und bestellte einen Bananendrink. „Tut mir leid, dass du warten musstest, aber ich wurde von Sandy Roberts aufgehalten. Rate mal, wen sie auf dem Wege hierher bei Rotlicht an der Main Street hat halten sehen?“

Vom Kühlschrank her gab Frannie, ohne sich umzudrehen, die Antwort. „Sam Rivers, stimmt’s?“

Sue nickte überrascht. „Woher wissen Sie das?“

„Ich habe ihn auch gesehen. Ist schon komisch, dass er so plötzlich wieder auftaucht.“

„Ja, seltsam“, fügte Sue hinzu. „Lyle stand in Verbindung mit ihm, aber er hat mir von Sams Vorhaben, nach Port Henry zurückzukehren, kein Wort gesagt.“

„Seine Mutter, Ann Rivers, hat für mich das eine oder andere genäht, aber sobald ich Sams Namen aufbringe, wechselt sie das Thema. Nicht, dass ich ihr das vorhalte. Es muss schwer sein, den eigenen Sohn im Verdacht zu haben, am Verschwinden deines Mannes schuldig zu sein.“ Frannie hatte die Zutaten für den Bananendrink im Mixgerät und stellte es an.

Die Art, wie Frannie das alles erzählte, irritierte Sue. Sie blickte Liza an und bemerkte, dass sie merkwürdig blass war und verstört wirkte. „Geht es dir gut?“

Autor

Pat Warren
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