Ein Earl unterm Mistelzweig

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Diese Frau muss ein Weihnachtsengel sein! Davon ist der Earl of Burnham überzeugt, als er die schöne Wirtin Emilia kennenlernt - und spontan um ihre Hand anhält. Doch warum weist Emilia ihn weinend ab?


  • Erscheinungstag 26.12.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504966
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

18. Dezember 1814, Chiltern Hills, Hertfordshire

Du musst schon zugeben, Ajax, es wäre von unerquicklicher Ironie, fünf Jahre lang den Kugelhagel, das Kanonenfeuer und die Hungersnöte auf der Iberischen Halbinsel überlebt zu haben, um jetzt in einem friedlichen Tal in Hertfordshire zu erfrieren.“

Der große Grauschimmel wackelte mit einem Ohr und trottete unverdrossen weiter durch den strömenden Regen. Ein intelligentes Tier, dachte Hugo. Vermutlich ist es der Ansicht, dass man einen solchen Tod keineswegs als ironisch bezeichnen kann, sondern vielmehr als töricht.

„Rodgersons Wegbeschreibung war im Grunde genommen unmissverständlich“, fuhr er laut fort, während er das Tal in der Hoffnung, irgendwo einen Lichtschein zu entdecken, mit den Augen absuchte. Allmählich fing er an zu frieren und wurde schläfrig. Beides war unangenehm, aber auch kein Wunder, da er bereits seit Tagesanbruch unterwegs war. Trotz seines warm gefütterten Ölmantels, der ihn einst sogar bei der Überquerung der Pyrenäen gegen die bittere Winterkälte geschützt hatte, war er bis auf die Haut nass. „Diese Abkürzung hätte uns den Weg über Aylesbury erspart und wir hätten Stunden früher die Straße nach Northampton erreicht.“

Indes war eine Brücke geschlossen gewesen und eine Straße überflutet, weshalb er sich, nachdem er seinen Taschenkompass und eine durchnässte, zerfledderte Straßenkarte zurate gezogen hatte, in der einsetzenden Dämmerung Richtung Norden gewandt hatte. Wie es schien, hatte ihn die eingeschlagene Querfeldein-Route genau zwischen Berkhamsted und Hemel Hempstead hindurchgeführt. Beide Dörfer verfügten über einen gemütlichen Gasthof, in dem er über Nacht hätte logieren können. Sein Instinkt sagte ihm, dass er nun in Richtung Nordwesten ritt, was richtig sein sollte. Überprüfen konnte er es allerdings nicht, denn inzwischen herrschte pechschwarze Dunkelheit, seine Zündholzschachtel war feucht und die dichte Wolkendecke verbarg die Sterne. So weit das Auge reichte, war niemand zu sehen. Sämtliche Bauern im Umkreis hatten sich in ihre Unterkünfte verkrochen – wo immer diese auch versteckt lagen. Er konnte es ihnen nicht verdenken: Jeder noch so flohverseuchte Unterschlupf wäre ihm jetzt willkommen gewesen.

„Unter dem ersten Dach, das sich uns bietet, suchen wir Schutz.“ Ajax konnte sich dieses Mal nicht einmal mehr zu einem Ohrenwackeln aufraffen. Das Pferd war groß und zäh, aber wie sein Reiter war es eine solche Kälte und Nässe nicht mehr gewohnt.

„Das soll mich lehren, ein Gelände niemals zu unterschätzen“, murmelte Hugo. Und es lehrte ihn auch, wozu es führen konnte, wenn man sich ungesellig gab und Einladungen ausschlug. In dieser Minute könnte er mit aufgesetzt heiterer Miene inmitten einer fröhlichen Familie sitzen, die sich auf das bevorstehende Weihnachtsfest freute.

Er zog die Schultern hoch, wodurch erneut ein Rinnsal eiskalten Wassers von seiner Hutkrempe seinen Nacken hinunterrann, und spähte mit zusammengekniffenen Augen durch den dichten Regenschleier. Scharen von Kindern, reizbare Großtanten, kichernde junge Damen, zu viel fettes Essen, Scharadespiele … möglicherweise war der Tod durch Erfrieren doch vorzuziehen.

Das Tal, das Hugo nun durchquerte, war von sanft abfallenden Hügeln eingerahmt. Zu seiner Rechten entdeckte er einen Fluss, den vermutlich auch Auen umgaben, wenn sie sich nicht gerade, so wie jetzt, in einen See verwandelt hatten. Zu seiner Linken zog sich raues Weideland zwischen einigen vereinzelten Bäumen und Sträuchern die Hügel hinauf. Irgendwer musste doch hier leben! Oder würden sich die Bäume zu einem Wald verdichten, der ihm mehr Schutz bot?

Da! Endlich.

Zu seiner Linken flackerte etwas Helles auf, so strahlend wie ein Stern. Andererseits war das Flackern zu tief und zu gelblich, um tatsächlich einer sein zu können. Also konnte es sich nur um ein von Menschenhand gemachtes Licht handeln. Zielstrebig lenkte er Ajax in die Richtung, aus der es erstrahlte. Fast unmittelbar danach verwandelte sich das schmatzende Geräusch, das die Hufe des Pferdes auf schlammiger Erde verursachten, in das laute Klappern, das entstand, wenn sie auf das Pflaster eines holperigen Weges trafen.

Kurze Zeit später konnte er die Umrisse von Hütten erkennen, die sich dicht aneinander drängten. Weiter oben schmiegten sich kleine Cottages an den Hügel. Sie schienen im Dunkeln zu liegen, doch aus einem größeren Haus nahe der Straße drang Licht, das ihn, einem Leuchtturm gleich, leitete. Vor dem dunklen Himmel konnte er undeutlich eine Stange über der Tür erkennen, an deren Ende ein ramponiertes Holzschild im Wind hin und her peitschte. „Eine Bierschenke, Ajax. Zumindest kann ich hier meinen Durst stillen.“

Er glitt aus dem Sattel und kam dabei mit solcher Wucht auf dem Boden auf, dass er mit seinen müden, schmerzenden Beinen einknickte. Rasch suchte er mit einer Hand am Sattelknauf Halt, während er die andere zur Faust ballte und an die Holztür klopfte.

Keine Antwort. Verflucht – notfalls würde er sich gewaltsam Zugang verschaffen und den Schaden später bezahlen …

Unvermittelt aber schwang die Tür doch auf. Helligkeit und Wärme strömten in den Regen hinaus. Geblendet senkte Hugo den Kopf und blickte in die besorgte Miene einer Frau. Er sprach den ersten Gedanken aus, der ihm durch den Sinn schoss. „Sie sind ja ebenso nass wie ich.“

Himmel, sie wird mich für einen Verrückten halten. Dennoch entsprachen seine Worte der Wahrheit. Große haselnussbraune Augen lächelten ihn aus einem von Sommersprossen übersäten, rosig glänzenden Gesicht an. Die braunen Locken der Frau hafteten feucht an ihrer Stirn und ihren Wangen. Sie hatte die Ärmel aufgerollt und von ihren Händen und Armen tropfte Wasser. Auch ihre große, weiße Schürze war triefend nass und schien mit ihren Röcken verschmolzen zu sein.

„Aber ich wette, mir ist nicht so kalt wie Ihnen“, sagte sie mit einem Lachen in der Stimme. Dann wandte sie sich um und rief über die Schulter: „Jungs! Kommt schnell her.“ An ihn gewandt, fügte sie hinzu: „Sie kommen besser herein, ehe Sie mir noch ertrinken. Heute Nacht werden Sie gewiss nicht weiterreisen.“

„Mein Pferd, Madam. Kann ich es irgendwo unterstellen?“ Ajax streckte das feuchte Maul vor, als wolle er die Wichtigkeit von Hugos Frage betonen. Im selben Augenblick kamen zwei Jungen in den Flur gerannt.

„Ja, Mama?“ Abrupt blieben sie stehen. Als sie ihn neugierig musterten, stellte er fest, dass es Zwillinge waren, die sich so ähnlich sahen, dass man sie kaum auseinanderhalten konnte.

„Nathan, Joseph, wo sind eure Manieren? Helft diesem Gentleman sein Pferd unterzustellen und dann bringt ihn herein. Bitte entschuldigen Sie mich.“ Sie schenkte ihm ein hinreißendes Lächeln, das ihn verdutzt blinzeln und zugleich sein Blut in einer heißen Woge aufwallen ließ, die seinen fröstelnden Körper wärmte. „Ich bin beim Anschwänzen der Maische und das darf man nicht unterbrechen. Ich bin gleich zurück.“

„Anschwänzen? Ah ja, natürlich.“ Sie hatte diese heitere Rede in demselben Ton – und Akzent – geäußert wie eine Dame der Gesellschaft, die einem Hausgast erklärt, warum sie ihn kurz allein lassen muss. Was für eine Art Wirtschaft ist das hier? Nachdenklich, die Augen auf ihren Rücken geheftet, blickte Hugo ihr nach. Ihr Haar hatte sich teilweise aus den Nadeln gelöst und die entblößte Haut ihres Nackens sah weiß und zart aus. Verführerisch wiegten sich ihre Hüften, als sie den Gang entlang schritt: weich, wohlgerundet, köstlich …

„Guten Abend, Sir.“

Rasch richtete Hugo seinen Blick auf die beiden Knaben.

„Gehen Sie bitte zu dieser Tür dort drüben. Wir kommen durch den Zugang im Haus nach und bringen eine Laterne mit.“ Der Junge, dessen Gesicht weniger Sommersprossen aufwies, deutete zu einer Stalltür.

Das ist wohl Nathan, dachte Hugo in Erinnerung an die schnellen Blicke, die beide ihrer Mutter zugeworfen hatten, als sie ihre Namen nannte. Josephs Ohren standen weiter ab als die seines Bruders. Außerdem waren seine braunen Augen eine Spur dunkler. Erleichtert, endlich dem strömenden Regen entfliehen zu können, betrat Hugo den warmen Stall.

Eine Box stand leer. Joseph war bereits dabei, Stroh auf dem Steinboden zu verteilen. Gleich darauf erschien Nathans Kopf in der angrenzenden Box. Er zog ein Netz voller Heu hinter sich her, das bei jedem Schritt über den Boden hüpfte. „Das hab ich ‚Sorrowful‘ stibitzt“, erklärte er. „Aber ich hab ihm genug dagelassen, also wird es ihm nichts ausmachen.“

„Bist du sicher?“ Hugo betrachtete den winzigen, trübselig blickenden Esel, der ihn unentwegt anstarrte.

„Er schaut immer so, Sir.“ Nathan kletterte auf einen Eimer und hängte das Netz auf. „Das ist ein großes Pferd. Sind Sie in der Armee?“

Wie alt waren die Jungen? Sechs, sieben? Er war den Umgang mit Kindern nicht gewöhnt, die jünger waren als seine Unteroffiziere. Und selbst diese Grünschnäbel reichten schon aus, um ihm den Beruf zur Hölle zu machen. Aber diese beiden schienen helle Köpfchen zu sein. „Ja, das war ich. In der Kavallerie. Inzwischen bin ich ausgetreten.“

Er hob den Sattel und die Satteltaschen von Ajax’ Rücken und legte sie über die Stallwand. Mit großen Augen blickten die Jungen auf seinen Säbel und die Pistolentaschen. „Die Waffen dürft ihr unter gar keinen Umständen anfassen“, sagte er, während er das Zaumzeug abnahm. Wie redete man mit Kindern in diesem Alter? Er beschloss, dass er denselben Ton anschlagen würde wie bei seinen Untergebenen.

„Ja, Sir.“ Gleichzeitig traten sie einen Schritt zurück.

„Sind Sie ein General, Sir?“, fragte der Junge, der weniger Sommersprossen hatte.

„Major, Nathan. Kannst du mir diesen Eimer mit Wasser füllen, bitte?“

Voller Ehrfurcht blickte der Knabe Hugo an, sichtlich verwundert, dass er seinen Namen kannte. „Ja, Major.“ Mit dem Eimer in der Hand lief er davon. Dabei stieß er mit seinem Bruder zusammen, der einen Kübel schleppte, dessen Inhalt wie klumpiges braun-weißes Porridge aussah.

„Malzkeime und der ausgelaugte Treber, Major. Das wird ihm guttun.“

„Sein Name ist Ajax. Danke.“ Er nahm Joseph den Kübel ab und schüttete den Inhalt in den Futtertrog. Dem Geruch nach zu schließen war die Futtermischung wohl beim Bierbrauen entstanden. Er hoffte nur, dass er am Ende nicht mit einem betrunkenen Pferd dastehen würde. Ajax streckte den Kopf in den Trog und begann zu fressen. Von der anderen Seite hob eine braune Kuh ihren Kopf über die Trennwand.

„Das ist Eugenia“, vertraute Joseph ihm an. Er machte es Hugo nach, der eine Handvoll Stroh zu einem Knäuel geballt hatte und Ajax damit abrieb. Der Bursche tauchte furchtlos unter dem Bauch des Hengstes durch und rieb seine schlammverspritzten Beine ab. Eine Schar Hennen flog auf den Trog und begann, darin zu picken.

„Das ist ja hier wie Noahs Arche. Welche Tiere habt ihr sonst noch?“

Ein klapperndes Geräusch verkündete, dass Nathan mit dem Wasser zurückkam. Nur ein Drittel des Inhalts war verschüttet worden. „Vier Kaninchen, ein Dutzend Hühner, ‚Sorrowful‘ und ‚Eugenia‘. ‚Maud‘ und ihre Ferkel sind im Schweinestall. Wir haben kein Pferd. Mama hat Papas Pferd verkauft. Das musste sie, damit wir uns die anderen Tiere leisten konnten, die wir benötigen.“ Der Junge sprach schnell und energisch, doch seine Stimme klang traurig.

Ajax fühlte sich inzwischen wieder warm an. Nun brauchte er nur noch eine Decke für ihn, dann war das Pferd gut versorgt. „Ist euer Vater verstorben?“ Er vernahm ein ersticktes „Ja“ in Kniehöhe, wo beide Jungen eifrig arbeiteten.

Hugo runzelte die Stirn. Vielleicht hätte er nicht so unverblümt danach fragen sollen. Die Erkenntnis, dass der Herr des Hauses nicht jeden Augenblick hereinkommen würde, machte die Situation unangenehm. Normalerweise hätte er sich keine Gedanken darüber gemacht, die Nacht unter dem Dach einer temperamentvollen, munteren Wirtin auf dem Land zu verbringen, aber bei dieser herzlichen, fröhlichen Dame sah die Sache unerklärlicherweise anders aus.

„Habt ihr eine alte Decke für Ajax?“

„Säcke“, bot Nathan an. „Davon haben wir haufenweise.“ Er verschwand in einer staubigen Ecke und kam mit mehreren Säcken zurück. Mit großen Augen betrachteten beide Jungen das Messer, das Hugo aus seinem Stiefel zog.

„Und auch das fasst ihr nicht an“, sagte er.

„Nein, Major“, antworteten sie einstimmig, während Hugo die Säcke aufschnitt und damit Ajax’ Rücken bedeckte. Anschließend folgte er den beiden Knaben mit seinem Bündel zu einer Innentür, die ins Haus führte, und stellte fest, dass er sich in der Schankstube des Wirtshauses befand.

Bänke und Tische reihten sich entlang der Wände und im hinteren Teil des Raumes lagerten neben einem Regal mit Krügen mehrere Fässer auf Böcken. In einem großen Kamin flackerte ein Feuer. Die Zwillinge warfen mehrere Holzscheite hinein, während Hugo den Säbel und die Pistolentaschen auf den hohen Kaminsims außer Reichweite der Jungen legte.

„Ist Ihr Pferd versorgt, Sir?“ Die Wirtin erschien am oberen Absatz einer Treppe, die ganz offensichtlich in den Keller führte. Ihr Gesicht war getrocknet, die Ärmel heruntergerollt und ihr Haar in ein weißes Tuch gehüllt, das ihr, zusammen mit der riesigen, frischen weißen Schürze, ein seltsam nonnenhaftes Aussehen verlieh.

Als sie ins Zimmer trat, schenkte sie ihm ein Lächeln, das jegliche Gedanken an Nonnen vertrieb. Ebenso wie Kälte, Hunger und das unangenehme Gefühl von nasser Kleidung auf seinem Leib. „Ausgezeichnet. Danke, Madam.“ Sie war keine klassische Schönheit, doch wenn sie lächelte, hatte er das Gefühl, dass die Sonne aufging. Erneut durchströmte ihn eine Hitzewelle, die ganz gewiss nicht von dem Gedanken an die Sonne herrührte. „Ihre Söhne waren sehr hilfsbereit.“

„Der Gentleman ist ein Major, Mama“, berichtete Joseph.

„Tatsächlich? Und hat der Major trockene Kleidung zum Wechseln?“

Hugo legte die Satteltaschen auf den Tisch und schaute nach. „Ein leicht feuchtes Hemd.“ Darin eingewickelt fand sich auch eine trockene Unterhose, die so vor dem Regen geschützt geblieben war. „Und trockene … äh … Unterwäsche.“ Hugo drapierte seinen tropfenden Mantel über einen Stuhl, unter dem sich sofort eine Pfütze auf dem ordentlich geschrubbten Boden bildete. Er trug immer noch seine Uniform, die ob der Nässe förmlich an seinem Körper klebte.

„Himmel, sind Sie nass!“ Sie musterte ihn ebenso unverhohlen und unbefangen, als wäre er einer ihrer Söhne. Sein Körper reagierte darauf in vorhersehbarer Weise. „Und groß. Die Kleidung meines verstorbenen Gatten dürfte Ihnen zu kurz sein, aber zum Glück hat Peter Bavin, unsere Aushilfe, ein paar Kleidungsstücke hiergelassen, für den Fall, dass er bei der Arbeit nass wird. Die sollten passen, denke ich, falls es Ihnen nichts ausmacht, grob gewebte Wollsachen zu tragen?“

„Nein, Madam, das macht mir nichts aus. Danke.“ Alles war besser, als in ihrer Gegenwart wie die alten Römer lediglich mit einem Tuch bekleidet herumlaufen zu müssen. Aufmerksam betrachtete er sie. Einige ihrer braunen Locken hatten sich bereits wieder aus dem Kopftuch gestohlen und die Sommersprossen, die sich auf ihrer leicht himmelwärts geschwungenen Nase tummelten, schienen zu tanzen. Ihr schmales, sanft gerundetes Kinn verlieh ihr eine entschlossene Ausstrahlung und in ihren großen haselnussbraunen Augen schienen sich jeder Gedanke und jegliches ihrer Gefühle zu spiegeln. Er fragte sich, wie alt sie sein könne. Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig? Sie erschien ihm viel zu jung, um die Mutter der beiden Knaben zu sein.

„Im Kupferkessel unten ist noch heißes Wasser. Auch ein Badezuber befindet sich dort, Major. Ich habe Seife und Handtücher für Sie bereitgelegt. Das Abendessen wird bald fertig sein, wenn Sie sich umgezogen haben. Wir können Ihnen hier vor dem Kamin ein Bett herrichten.“

„Ich bereite Ihnen unzumutbar viele Umstände, Madam. Ich kann mich auch im Stall trocknen und dort essen. Und auch die Nacht dort verbringen.“ Diese kleine Familie machte einen solch warmherzigen Eindruck und es war offenkundig, dass sie sich sehr nahestanden. Eine solche Nähe war ihm fremd. In seinem eigenen Heim hatte er nie einen solch liebevollen Umgang erfahren, weshalb er sich nun wie ein Eindringling vorkam. Und das verunsicherte ihn.

„Ja, Sie könnten tatsächlich im Stall nächtigen“, stimmte sie fröhlich zu. „Vermutlich werden Sie sich dort aber eine Lungenentzündung holen und mir unter den Händen wegsterben. Das wäre in der Tat eine Zumutung.“ Als er den Mund öffnete, um ihr mitzuteilen, dass er keineswegs die Absicht hegte, Derartiges zu tun, lachte sie. „Ich will Sie doch nur necken, Major. Wir würden uns über Ihre Gesellschaft freuen, nicht wahr, Jungs?“

Nie zuvor hatte es eine Frau gewagt, Major Hugo Travers, Earl of Burnham, zu necken. Bewundernde Blicke und Tändeleien indes gab es des Öfteren, doch solche Avancen konnte er taktvoll zurückweisen, wenn er nicht in Anspruch nehmen wollte, was die kühnen Anspielungen verhießen. Die Wirtin war sich jedoch ganz offensichtlich nicht bewusst, wie man seine Anwesenheit in ihrem Haus deuten könnte, daher war es seine Pflicht, sie darauf hinzuweisen. Keine allzu leichte Aufgabe, dachte er, da er sich mit jeder Faser seines allmählich auftauenden Körpers danach sehnte, ihre üppigen Lippen zu kosten und herauszufinden, wie er dem Strahlen in ihren funkelnden, haselnussbraunen Augen noch mehr Glanz verleihen könnte.

„Madam, ich vermute, Sie leben allein mit Ihren Söhnen hier. Unter diesen Umständen …“ Er tat sich schwer, sein Anliegen in Worte zu fassen, solange die beiden Burschen derart aufmerksam lauschten.

„Fürchten Sie, dass diese beiden Wildfänge Ihre Ruhe stören könnten?“ Die Sorge in ihrer Stimme schien nicht recht zu dem fragenden Lächeln auf ihren Lippen zu passen. Sie verstand offensichtlich genau, welche Bedenken er hegte, und hatte beschlossen, diese zu ignorieren. Ihr offener Blick forderte ihn geradezu zu einem Widerspruch heraus. „Ich kann abschließen, falls Sie das beruhigt.“

„Natürlich, danke.“ Er konnte darüber keinesfalls mit ihr diskutieren, solange die beiden Jungen mit großen Augen zuhörten. „Mein Name ist Hugo Travers. Major.“ Es bestand kein Anlass, ihr seinen Titel zu nennen.

„Emilia Weston. Mrs“, sagte sie, ebenso förmlich und verwandelte sich einen Wimpernschlag später wieder in die praktische Hausfrau zurück. „Nun, das Wasser wird nicht wärmer. Lassen Sie mir das feuchte Hemd hier“, sagte sie, als Hugo die trockene Unterwäsche in der Satteltasche verstaute, um sie mit in den Keller zu nehmen. Als er zur Treppe ging, hatte er das Gefühl, das kleine Wortgefecht haushoch verloren zu haben. Was kein Wunder war: gewöhnlich begegnete er Frauen, abgesehen von Dienstmädchen, nicht in häuslicher Umgebung und verfügte daher über keinerlei Erfahrung in solchen Situationen.

Autor

Louise Allen
<p>Louise Allen lebt mit ihrem Mann – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.</p>
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