Ein gefährlich erotisches Versprechen

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Heath braucht sie nur anzusehen, schon spürt Julianne heißes Begehren in sich aufsteigen - und tiefe Verzweiflung! Sie will ihn nicht verlieren, aber sie darf Heath auch nicht zu nahe kommen. Denn dann müsste sie ihr Geheimnis preisgeben. Und das ist unmöglich, oder?


  • Erscheinungstag 06.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734428
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Die Herzattacke Ihres Vaters war dieses Mal ernst.“

Die Worte des Arztes über den Gesundheitszustand seines Pflegevaters wirkten auf Heath Langston nicht unbedingt beruhigend. Sie standen vor Ken Edens Krankenhauszimmer. Heath fühlte sich hilflos, was völlig untypisch für ihn war. Er mochte der jüngste der Eden-Jungs sein, aber er besaß eine eigene Werbefirma an der Madison Avenue und hatte im letzten Jahr eine der erfolgreichsten Werbekampagnen entwickelt. Und alle, von der Sekretärin bis zu seinem Geschäftspartner, verließen sich darauf, dass er die richtigen Entscheidungen traf.

Aber hier ging es um Leben und Tod. Julianne − das war Ken und Molly Edens einziges leibliches Kind − weinte, seit sie angekommen war. Selbst Heath fiel in dieser Situation nicht ein, wie er sie aufheitern könnte.

Die fünf Kinder der Edens waren sofort, als sie von Kens Herzattacke erfahren hatten, zur Farm der Familie in Cornwall, Connecticut, geeilt. Heath war mit dem Auto von New York City hierhergerast, ohne zu wissen, ob er seinen Pflegevater noch lebend antreffen würde. Seine leiblichen Eltern waren bei einem Autounfall gestorben, als er gerade neun Jahre alt war. Auch jetzt, erwachsen und Chef einer eigenen Firma, konnte er nicht mit der Vorstellung umgehen, seinen Pflegevater zu verlieren.

„Er ist jetzt stabil, aber wir hatten großes Glück“, fuhr der Arzt fort. „Das Aspirin, das Molly ihm gegeben hat, war seine Rettung.“

Die zierliche Julianne stand vor Heath. Trotz der ernsten Worte des Arztes konnte Heath den Blick nicht von ihr wenden. Sie kam nach Molly, war zierlich, aber eine Powerfrau. Heute, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf, wirkte sie noch kleiner als sonst. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem lockeren Haarknoten gedreht. Sie erschauderte bei den Worten des Arztes und kuschelte sich tiefer in ihren grünen Kaschmirpullover.

Heath legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. Er mochte es gar nicht, seine quirlige, selbstbewusste Künstlerin so traurig zu sehen. Obwohl sie in demselben Haus aufgewachsen waren, hatte er sie nie als Schwester gesehen. Sie war seine beste Freundin gewesen, seine Komplizin und, für eine kurze Zeit, die Liebe seines Lebens.

Das Bewusstsein, dass sie einander in diesem schweren Moment hatten, gab ihm Kraft. Heute Abend, so hoffte er, könnten sie mit ihrer turbulenten Vergangenheit abschließen und sich auf wichtigere Dinge konzentrieren. Dass Julianne nicht zurückwich, zeigte ihm, dass sie genauso empfand. Normalerweise würde sie ihm einen spielerischen Schubs geben und dem Körperkontakt geschickt ausweichen, aber nicht heute.

Stattdessen lehnte sie sich Halt suchend an ihn, ihr Rücken drückte gegen seinen Bauch. Er legte seine Wange an ihr goldenes Haar und atmete tief den Duft ein, der sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingeprägt hatte. Sie seufzte, und ein Prickeln schoss durch seinen Körper. Die Stimme des Arztes nahm er nur noch wie aus weiter Ferne wahr. Für einen Moment gab es nur sie und ihn. Es mochte nicht der beste Zeitpunkt sein, aber er genoss den Körperkontakt.

Julianne zu berühren, war ein seltenes und kostbares Erlebnis. Anders als Molly, die jeden umarmte, den sie traf, ging Julianne nicht gern auf Tuchfühlung. Und bei Heath war sie besonders auf Distanz bedacht. Egal, was zwischen ihnen vor langer Zeit passiert war und wen die Schuld traf, in einem Moment wie diesem bedauerte er den Verlust seiner besten Freundin besonders.

„Wir müssen ihn am offenen Herzen operieren. Danach bleibt er ein paar Tage auf der Intensivstation.“

„Wie lange wird es dauern, bis er wieder nach Hause kann?“, fragte Julianne. Sofort hatte Heath ein schlechtes Gewissen wegen seiner abschweifenden Gedanken.

„Dazu kann und möchte ich mich noch nicht äußern, aber wie ich den anderen schon sagte, wird er mindestens eine Woche bei uns bleiben. Anschließend ist eine stationäre Reha nötig. Eventuell wäre auch eine ambulante möglich, wenn er zu Hause ein Bett im Erdgeschoss hat und eine Krankenschwester, die sich um ihn kümmert. Er wird sich einige Monate schonen müssen. Nicht schwer heben, keine Treppen laufen. Eins ist klar, in diesem Jahr wird er keine Weihnachtsbäume fällen können.“

Damit stand Heaths Entschluss fest. Bei allem, was sonst noch los war, hatte er sowieso daran gedacht, ein paar Monate Urlaub zu nehmen, um auf die Weihnachtsbaumfarm seiner Pflegeeltern zurückzukehren. Er wollte sich dort um die aktuellen Geschehnisse kümmern: Eine Leiche war auf dem früheren Grundbesitz der Familie entdeckt worden, die vor Kurzem als Tommy Wilder identifiziert wurde − ein Pflegekind, das kurz auf der Farm gelebt hatte. Tommy war seit fast siebzehn Jahren tot, aber die Ermittlungen der Polizei liefen jetzt auf Hochtouren.

Heath war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, jeden Bericht über Tommy im Fernsehen zu verfolgen, und dem Wunsch, einfach so tun zu können, als hätte es den Mistkerl nie gegeben. Leider wusste er nur zu gut, dass Probleme nicht verschwanden, indem man sie einfach ignorierte.

So ungern er es zugab, es war Zeit, dass er nach Hause zurückkehrte und sich für das, was er getan hatte, verantwortete. Es lebten jetzt nur noch Ken und Molly auf der Farm, und obwohl sie die Wahrheit über Tommys Verschwinden nicht kannten, mussten sie die Ermittlungen der Polizei ertragen. Laut Xander, seinem einzigen leiblichen Bruder, war der Grund für Kens Herzattacke Sheriff Dukes Androhung, Ken zu verhaften.

Heath könnte es nicht ertragen, wenn nun noch jemand starb wegen eines Fehlers, den er, Heath, vor so langer Zeit gemacht hatte. Vor allem nicht jemand, der so unschuldig war wie Ken.

Der Arzt entfernte sich, und Julianne und er gingen in den Wartebereich, wo sich der Rest der Familie – seine drei Brüder und deren Verlobte – versammelt hatte. Einige lasen, die anderen beschäftigten sich mit ihren Smartphones. Alle wirkten müde und angespannt. „Ich werde auf der Farm bleiben, bis es Dad besser geht“, verkündete Heath. „Ich kümmere mich um alles.“

„Ich weiß, dass erst Oktober ist, aber Weihnachten kommt immer schneller, als man denkt“, sagte sein ältester Pflegebruder Wade. „Das letzte Quartal eines Jahres ist immer ein Albtraum. Das schaffst du nicht allein.“

„Haben wir eine Wahl? Ihr seid alle beschäftigt. Nolan, mein Geschäftspartner, kommt ein paar Monate ohne mich zurecht. Und ich habe noch Owen“, fügte Heath hinzu. Owen war der älteste und vertrauenswürdigste Angestellte auf der Weihnachtsbaumfarm Garden of Eden. „Er kann mich einweisen. Und zur Weihnachtszeit engagiere ich ein paar Jungs von der Highschool und vom College, die beim Schlagen und Abtransport der Weihnachtsbäume helfen.“

„Ich komme auch nach Hause“, verkündete Julianne.

Die ganze Familie drehte sich zu ihr. Seit ihrer Ankunft von den Hamptons war sie ziemlich still gewesen, doch nur Heath schien die Bedeutsamkeit ihrer Entscheidung zu realisieren. Sie bot an, nach Hause zu kommen, obwohl sie wusste, dass Heath da sein würde. Dass sie freiwillig einige Monate mit ihm verbringen wollte, passte überhaupt nicht zu ihr. Es musste an ihrer Verfassung liegen.

Doch egal, wie klein und zerbrechlich sie wirkte, in ihren Augen lag eine wilde Entschlossenheit. Leider kannte Heath den Ausdruck nur zu gut. Er wusste, dass sie sich ihre Entscheidung nicht ausreden lassen würde. Wenn Julianne einmal eine Entscheidung getroffen hatte, dann blieb sie dabei.

Selbst wenn Heath nicht hier wäre, wäre ihre Rückkehr auf die Farm eine große Sache. Julianne war Töpferin. Ihr Atelier und ihre Galerie-Boutique befanden sich in den Hamptons. Es war kein Job, bei dem man einfach den fünfhundert Kilo schweren Brennofen nehmen und woanders arbeiten konnte.

„Was ist mit deiner großen Ausstellung im nächsten Jahr?“, fragte Heath. „Du kannst dir eine Auszeit von zwei oder drei Monaten nicht leisten.“

„Ich will sowieso ein neues Atelier einrichten.“

Heath runzelte die Stirn. Julianne hatte ein Studio in ihrem Haus. In dem Haus, das sie seit anderthalb Jahren mit ihrem Freund Danny teilte. Für Julianne ein Rekord, und jeder dachte, dass Danny der Richtige sein könnte. Dass sie jetzt nach einem neuen Atelier suchte, bedeutete wohl auch, dass sie nach einem neuen Zuhause suchte. Und vermutlich nach einer neuen Beziehung.

„Ist irgendetwas zwischen dir und Danny passiert?“, fragte ihr Bruder Brody.

Julianne sah ihre Ziehbrüder finster an. „Danny und ich sind nicht mehr ‚Danny und ich‘. Danny ist vor etwa einem Monat ausgezogen. Und ich brauchte einen Tapetenwechsel, deshalb habe ich das Haus verkauft und bin auf der Suche nach etwas Neuem. Es gibt keinen Grund, weshalb ich nicht ein paar Monate hierbleiben sollte, während Dad sich erholt. Ich kann auf der Farm helfen und an meinen Kunstobjekten arbeiten, wenn ich Zeit habe. Sobald es Dad besser geht, sehe ich mich nach einem neuen Haus um.“

Heath und die anderen Jungs sahen sie skeptisch an, was dazu führte, dass ihr die Zornesröte in das blasse, herzförmige Gesicht stieg. „Was?“

„Warum hast du nichts von eurer Trennung gesagt? Und dass du das Haus verkauft hast? Ihr wart doch ziemlich lange zusammen“, bemerkte Xander.

„Weil sich drei von euch gerade verlobt haben“, erklärte Julianne. „Es ist schlimm genug, dass ich allein zu den bevorstehenden Hochzeiten gehen muss. Offensichtlich bin ich dazu verurteilt, eine alte Jungfer zu werden.“

„Wohl kaum, Jules“, sagte Heath trocken.

Juliannes kalter Blick begegnete seinem. „Der Punkt ist“, fuhr sie fort und ignorierte bewusst seine Worte, „ich kann problemlos nach Hause kommen und helfen, und ich werde es tun.“

Heath erkannte an ihrem Tonfall, dass damit die Diskussion für sie beendet war. Zumindest für den Moment. Er wandte sich an seine Brüder. „Die Besuchszeit ist fast vorüber. Wir sollten uns verabschieden und zur Farm fahren. Es war ein langer, anstrengender Tag.“

Alle zusammen schlichen sie in Kens Zimmer. Die friedliche Stille in dem dunklen Raum wurde nur von dem Piepsen des Herzmonitors und den leisen Stimmen im Fernseher gestört. Molly saß auf einem Stuhl neben seinem Bett.

Kens Blick wanderte von seiner Lieblingsfernsehshow zu seinen Kindern, die sich um sein Bett versammelten. Heath war sich bewusst, dass sie ein lächerliches Bild abgaben. Fünf wohlhabende, erfolgreiche, einflussreiche Menschen, die mit hängenden Köpfen am Bett ihres Vaters standen, unfähig zu helfen. Mit all ihrem Geld konnten sie Ken kein neues Herz kaufen. Zumindest nicht legal.

„Heute Abend passiert hier nicht mehr viel“, sagte Ken. Er versuchte zu verheimlichen, dass ihm das Sprechen schwerfiel, doch er musste die Hand an die Brust legen und tief Luft holen, bevor er weitersprechen konnte. „Fahrt nach Hause und ruht euch aus. Ich bleibe hier. Ich gehe nirgendwohin, jedenfalls nicht so schnell.“

Julianne trat an seine Seite und nahm seine Hand. Sie streichelte sie leicht, vorsichtig darauf bedacht, die Kanüle nicht zu berühren. Dann beugte sie sich vor und küsste ihn auf die Wange. „Gute Nacht, Daddy. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch, Kleines.“

Dann drehte sich Julianne auf dem Absatz um und trat zurück, damit die anderen sich verabschieden konnten. Nur mit Mühe hielt sie ihre Tränen zurück.

Einer nach dem anderen wünschte eine gute Nacht, dann machten sie sich auf den Weg zu der Farm ihrer Eltern.

Wade und Tori bogen zu ihrem eigenen Haus in der Nähe der Farm ab, der Rest der Familie setzte den Weg fort. Die Männer parkten ihre Autos vor dem Blockhaus. Es war eine beeindruckende Zurschaustellung von Luxusautos. Heath kam als Letzter. Er parkte seinen Porsche 911 Carrera zwischen Xanders Lexus SUV und Brodys Mercedes.

Vor fünfundzwanzig Jahren war eine Scheune in ein Blockhaus umgewandelt worden. Dort wurden die Pflegekinder untergebracht, die auf die Weihnachtsbaumfarm Garden of Eden kamen. Oben gab es zwei große Schlafzimmer und zwei Bäder, unten einen Gemeinschaftsraum und eine kleine Kochnische. Das Haus war mit alten, aber massiven Möbeln ausgestattet und bot alles, was Teenager brauchten. Heath war der jüngste der vier Jungs, die zur Farm gekommen und dort geblieben waren, bis sie erwachsen waren. Heute lebten sie in luxuriösen Villen und Apartments, aber diese Farm war ihr Zuhause, und wenn sie zu Besuch kamen, schliefen sie wie früher in dem Blockhaus.

Heath beobachtete Julianne, die ihren roten Camaro-Sportwagen in der Nähe des Haupthauses parkte. Das alte Haus im Federal Style war wunderschön und denkmalgeschützt, aber es bot nicht genug Platz für eine große Kinderschar. Ken und Molly hatten ein Schlafzimmer, ihre Tochter Julianne hatte ein Zimmer, und es gab ein Gästezimmer.

Sie stand auf der Veranda, fummelte mit ihrem Schlüssel herum und wirkte verloren. Heath gefiel das überhaupt nicht. Normalerweise war Julianne eine Frau, die genau wusste, was sie vom Leben wollte und wie sie es bekam. Aber heute Abend war sie alles andere als souverän. Ihren Vater fast zu verlieren, nachdem sie gerade die Trennung von Danny hinter sich hatte, musste mehr sein, als sie ertragen konnte.

Heath nahm seine Tasche aus dem Kofferraum und folgte der Gruppe in das Blockhaus. Er stellte die Tasche auf den alten Esstisch und sah sich um. Der Gemeinschaftsraum hatte sich seit damals nicht wesentlich verändert. Abgesehen von dem neuen Flachbildfernseher, den Xander bei seinem letzten Aufenthalt hier gekauft hatte.

Es war irgendwie tröstlich, wieder mit seiner Familie hier zu sein. Für Julianne war es vermutlich nicht so, da sie in ein leeres Haus zurückkehrte. Heath war ganz bestimmt nicht der Mensch, mit dem sie diesen Abend gern verbringen wollte, aber er würde nicht mit sich reden lassen. Er wollte sie keinesfalls allein lassen.

„Jungs“, sagte er zu der versammelten Mannschaft. „Ich glaube, ich schlafe heute Abend im Haupthaus. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass Jules dort allein ist. Nicht nach diesem Tag.“

Xander nickte und schlug ihm auf die Schulter. „Das ist eine gute Idee. Wir sehen uns morgen früh.“

Heath nahm seine Tasche, verließ das Blockhaus und joggte über Rasen und Kies zur Hintertür.

Eigentlich sollte sie zu Bett gehen, doch Julianne war nicht müde, obwohl es ein langer Tag mit unerwarteten Wendungen gewesen war. Sie war mit sorgenvollen Gedanken an ihre Arbeit und ihre gescheiterte Beziehung aufgewacht. Dann hatte das Telefon geklingelt, und ihre Welt wurde auf den Kopf gestellt. Sie hatte alles stehen und liegen lassen, ein paar Sachen eingepackt und war losgefahren.

Selbst jetzt, Stunden später, war sie noch voll nervöser Energie. Sie verspürte diese Rastlosigkeit, die sie drängte, in ihr Studio zu gehen und zu töpfern. Meistens half ihr die Arbeit, den Kopf frei zu bekommen und Probleme zu lösen.

Sie setzte sich mit einer Tasse Kamillentee an den Küchentisch und nippte gerade an dem heißen Tee, als sie ein leises Klopfen hörte. Fast im selben Moment ging die Tür auf, und noch ehe sie aufstehen konnte, stand Heath schon in der Küche.

„Was ist?“ Julianne sprang auf. „Hat das Krankenhaus angerufen? Ist etwas passiert?“

Heath schüttelte den Kopf, wobei ihm eine Strähne seines hellbraunen Haars in die Augen fiel. Er hob die Hände, und sie bemerkte die Tasche, die er über seiner Schulter trug. „Nein, nein, Dad geht es gut. Ich wollte nur nicht, dass du heute Abend allein hier im Haus bist.“

Gott sei Dank, Dad war okay. Doch der Schreck war ihr so in die Knochen gefahren, dass ihr Herz noch raste, als sie sich wieder setzte. Sie nahm ihre Tasse und trank einen großen Schluck.

„Ich komme allein zurecht“, sagte sie.

Heath stellte seine Tasche auf den Boden und setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. „Nein, tust du nicht.“

Julianne seufzte. Sie spürte die nahenden Kopfschmerzen, und die konnte sie jetzt gar nicht gebrauchen. Sicher, sie könnte eine ihrer Migränepillen nehmen, dann würde sie garantiert schlafen. Doch was, wenn irgendetwas mit Dad passierte?

Sie blickte zu ihrem Gast auf und merkte, dass sie sich in der Tiefe seiner hellbraunen Augen verlor. Heath war immer fröhlich, hatte immer einen Scherz parat oder ein Lächeln. Aber heute Abend wirkte er müde. Er machte sich Sorgen. Nicht nur um Ken, sondern auch um sie.

Wie immer.

Julianne würde seine Fürsorge für sie nicht herunterspielen. Er hatte alles nur Erdenkliche getan, um sie zu schützen. Sie wusste, dass sie ihn jederzeit, Tag und Nacht, anrufen konnte, und er wäre für sie da. Nicht nur, weil sie eine Familie waren und er sie mochte. Es steckte noch viel mehr dahinter, doch damit wollte sie sich heute Abend nicht beschäftigen.

„Danke“, sagte sie schließlich. Sie würde nicht streiten und ihn zwingen, zurück in das Blockhaus zu gehen. Dazu fehlte ihr die nötige Energie, und eigentlich wäre es auch ganz nett, jemanden in dem alten, knarrenden Haus bei sich zu haben. Egal, was im Laufe der Jahre zwischen ihnen passiert war, sie wusste, dass sie darauf zählen konnte, dass er ihre Regeln respektierte.

„Es ist komisch, ohne Mom und Dad in dem Haus zu sein.“ Er blickte sich in der großen leeren Küche um. „Mom müsste am Spülbecken stehen. Und Dad müsste draußen an den Arbeitsgeräten herumwerkeln.“

Er hatte recht, doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken, denn dann müsste sie sich mit der Sterblichkeit ihrer Eltern befassen. Dieses Mal würde Dad wieder nach Hause kommen, aber irgendwann nicht mehr. „Möchtest du einen Tee?“, fragte sie und ignorierte seine Worte.

„Nein, danke.“

Sie wünschte, er hätte den Tee akzeptiert. Dann wäre sie ein paar Minuten beschäftigt gewesen. Stattdessen saß sie untätig da und wartete auf die Fragen, die unweigerlich kommen würden. Sie waren nicht mehr allein gewesen, seit sie vor elf Jahren aufs College gegangen war. Seit damals ging sie einem Gespräch mit ihm aus dem Weg. Es gab so viele Gedanken, so viele Gefühle, mit denen sie sich nicht beschäftigen wollte. Wenn sie jetzt in Heaths Augen sah, kam alles wieder hoch. Die unheimliche Anziehungskraft, das Verlangen, das überwältigende Gefühl der Angst …

„Was ist mit dir und Danny passiert? Es kam ziemlich plötzlich, scheint mir.“

Julianne seufzte. „Wir haben festgestellt, dass wir unterschiedliche Dinge wollen. Das ist alles. Ich wollte mich auf meine Kunst und meine Karriere konzentrieren. Danny wollte unsere Beziehung auf das nächste Level heben.“

„Er hat dir einen Heiratsantrag gemacht?“

„Ja.“ Sie versuchte, die Erinnerung an diesen unangenehmen Moment zu verdrängen. Sie hatte Danny wiederholt gesagt, dass sie an einer Heirat zurzeit nicht interessiert war und an Kinder noch lange nicht dachte. Trotzdem hatte er ihr einen Antrag gemacht. „Ich habe so freundlich wie möglich abgelehnt, doch er hat den Korb nicht verkraftet und ist ausgezogen.“

Danny war ein toller Mann. Lustig, aufregend und sexy, ohne Interesse an einer festen Beziehung. Perfekt für eine Frau in ihrer Situation. Sie wollte es auch nicht zu eng. Sie wären nicht einmal zusammengezogen, wenn er nicht kurzfristig eine neue Wohnung gebraucht hätte. Er musste es als positiven Schritt in der Beziehung gesehen haben, während es in Wirklichkeit einfach nur praktisch und wirtschaftlich war. Irgendwann war es schließlich einfacher, zusammenzubleiben, als sich zu trennen.

„Du wolltest ihn nicht heiraten?“, fragte Heath.

Julianne sah ihn an und schüttelte verärgert den Kopf. Was für eine lächerliche Frage. Er wusste ganz genau, warum sie abgelehnt hatte. „Nein, wollte ich nicht. Doch selbst wenn ich gewollt hätte, was hätte ich ihm sagen sollen, Heath?“

Es entstand ein langes peinliches Schweigen, bevor Heath wieder etwas sagte. „Jules?“

„Hör zu, ich weiß, ich habe es zur Sprache gebracht, aber ich will heute Abend wirklich nicht darüber sprechen.“ Julianne leerte ihre Tasse und stand auf. „Dad und die Sache mit Danny reichen mir. Ein weiteres Drama ertrage ich nicht.“

„Okay.“ Er lehnte sich zurück. „Doch angesichts der Tatsache, dass wir die nächsten Monate zusammen verbringen werden, wirst du dich damit abfinden müssen, dass wir irgendwann darüber reden müssen. Wir haben die Angelegenheit schon viel zu lange unter den Teppich gekehrt.“

Als sie die Entscheidung getroffen hatte, nach Hause zu kommen, war ihr bewusst gewesen, dass genau dies passieren würde. Doch egal, wie unangenehm es werden würde, ihre Hilfe wurde auf der Farm gebraucht, deshalb war sie hier. Wo sollte sie auch sonst sein? Sie hatte ihr Haus verkauft. Die Übergabe fand nächste Woche statt. Ab dann war sie offiziell wohnungslos. Sie hatte also hierherkommen müssen. Und sie musste sich endgültig mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen.

Julianne blickte zu dem Mann, der ihr Herz erobert hatte, als sie zu jung und zu durcheinander gewesen war, um damit umzugehen. Selbst jetzt genügte der sanfte Schwung seiner Lippen, dass ihr heiß wurde und sie ein heftiges Verlangen verspürte. Mühelos erinnerte sie sich daran, wie sich der erste Kuss in Paris angefühlt hatte. Und die zarten Küsse auf ihren Nacken, als sie die Sagrada Familia in Barcelona bewunderten …

Ihre Eltern glaubten, dass sie die beiden jüngsten Kinder nach bestandenem Schulabschluss auf eine aufregende Reise durch Europa geschickt hatten. Sie ahnten nicht, was die Freiheit und die romantischen Schauplätze zwischen ihrer Tochter und ihrem jüngsten Pflegesohn in Gang gesetzt hatten. Heath war nicht ihr Bruder. Sie hatte ihn schon vor dem Tod seiner Eltern gekannt und ihn nie als Bruder gesehen. Er war ihr bester Freund. Doch wenn sie wollte, dass er mehr für sie war, dann musste sie sich mit der Vergangenheit befassen.

„Einverstanden“, sagte sie. „Sobald Dad stabil ist und wir etwas Zeit für uns haben, dann bin ich bereit, darüber zu reden.“

Heath sah sie mit zusammengekniffenen Augen an, und sie wusste sofort, was er dachte. Er glaubte ihr nicht. Seit Jahren speiste sie ihn mit Entschuldigungen ab. Vermutlich glaubte er, dass sie ein fast krankhaftes Vergnügen daran hatte, das Gespräch hinauszuzögern, aber das stimmte absolut nicht. Das Problem war, dass sie ihn einerseits nicht verlieren wollte und andererseits nicht wusste, was sie mit Heath tun sollte, wenn sie ihn hatte.

Vor langer Zeit, als sie achtzehn waren und ganz weit weg von zu Hause, hatte er sie gewollt. Und sie hatte ihn gewollt. Zumindest hatte sie es gedacht. Sie war jung und naiv gewesen. Trotz der Erregung, die sie verspürt hatte, wenn er sie berührte, hatte sie sich ihm auch in der Hitze des Moments nicht ganz hingeben können.

„Es war leicht zu ignorieren, während wir an der Uni waren und unsere berufliche Karriere aufgebaut haben“, sagte Heath. „Aber jetzt ist es an der Zeit. Deine jüngste Trennung ist eins von vielen Zeichen, die wir nicht länger ignorieren dürfen. Ob es dir gefällt oder nicht, irgendwann müssen wir uns der Tatsache stellen, dass wir immer noch verheiratet sind.“

2. KAPITEL

Er hatte die Karten auf den Tisch gelegt. Das Spiel wäre bald vorbei. Nachdem nach längerem Schweigen immer noch keine Antwort von ihr kam, stand Heath auf. „Gute Nacht, Jules.“

Er hatte Verständnis dafür, dass sie heute Abend nicht darüber sprechen wollte, aber er würde nicht ewig warten. Er hatte schon viel zu viel Zeit verschwendet. Er nahm seine Tasche und trug sie die Treppe hinauf.

Das Gästezimmer lag direkt gegenüber von Juliannes Zimmer und neben dem Bad, das sie teilen würden. Er konnte an einer Hand abzählen, wie oft er im Laufe der Jahre in diesem großen Haus geschlafen hatte. Er fühlte sich hier einfach nicht wohl. Das Haus war wunderschön, denkmalgeschützt und mit Antiquitäten und Schnickschnack liebevoll eingerichtet. Die meisten wären glücklich, hier wohnen zu dürfen, doch Heath fühlte sich in diesem Haus wie ein Elefant im Porzellanladen.

Im Kindesalter war das Blockhaus der perfekte Platz für die Jungs gewesen. Sie konnten herumtollen, da die Möbel massiv, aber alt waren und es keine zerbrechlichen Gegenstände gab. Das Erdgeschoss hatte einen Holzboden und keinen Teppich, und so entstanden keine Flecken, wenn sie etwas verschütteten. Es gab einen großen Fernseher, Videospiele, einen Kickertisch und einen unerschöpflichen Vorrat an Getränken und Knabbereien für die heranwachsenden Jungs. Über die Jahre hatte sich einiges geändert, doch wenn er mit seinen Brüdern dort war, dann war es irgendwie wie früher.

Heute Abend machte er eine Ausnahme und würde wegen Julianne in dem großen Haus übernachten. Doch es wäre falsch von ihr, diese Geste als Schwäche für sie zu deuten. Jegliche Liebe, die er für sie empfunden hatte, war verpufft, als sie ihm im Studentenwohnheim ihre Zimmertür vor der Nase zugeknallt hatte.

Jahrelang war er so geduldig wie möglich gewesen. Jetzt wusste er, dass er zu nett gewesen war und ihr zu viel Raum gegeben hatte. Sie hatte keinen Anlass gesehen zu handeln. Das würde sich jetzt ändern. Er würde sie nicht schonen. Egal, wie weit er sie aus ihrer Komfortzone hinausdrängen musste, er würde die Farm als glücklich geschiedener Mann verlassen. Eigentlich sollte er es nicht genießen, sie leiden zu sehen, vor allem heute Abend nicht – doch er tat es.

Das würde jedem Mann nach elf Jahren Ehe ohne Ehefrau im Bett so gehen.

Autor

Andrea Laurence
Bereits im Alter von zehn Jahren begann Andrea Laurence damit, Geschichten zu schreiben – damals noch in ihrem Kinderzimmer, wo sie an einer alten Schreibmaschine saß. Sie hat immer davon geträumt, ihre Romane eines Tages in der Hand halten zu können, und sie arbeitete jahrelang hart, bis sich ihr Traum...
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