Ein karibisches Märchen

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Auf einer Kreuzfahrt in der traumhaften Karibik möchte der reiche Manager Ryan Daniels die widerspenstige Laura verführen. Hier könnte er sie auch vor der Gefahr schützen, in der sie sich befindet, und ihr endlich seine Gefühle gestehen. Wenn sie es zulässt …


  • Erscheinungstag 10.04.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773397
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Stell dir glühende Hitze vor, Laura!“, rief der Fotograf dem schlanken Model zu, das den Eindruck erwecken sollte, als führe es ausgerechnet den riesigen Traktor, für den diese Werbeaufnahmen gemacht wurden. Solche landwirtschaftlichen Maschinen verkauften sich praktisch von selbst. Im Allgemeinen hielt man Landwirte nicht für so naiv, dass sie ihr schwer erarbeitetes Geld aufgrund einer schönen Frau ausgaben, die das Titelblatt einer Fachzeitschrift zierte, aber eine Kombination aus leistungsfähiger Technik und stilvoller Präsentation förderte den positiven Gesamteindruck. Jedenfalls schienen Daniels & Blackthorn diese Ansicht zu vertreten, denn sie hatten den Auftrag dafür erteilt.

Laura Walsh verharrte in ihrer unbequemen Pose und zog mit ihren Augen die Kameraführung auf sich, als wäre diese ferngesteuert. Sie dachte an heiße Erde, den Geruch von reifem Getreide, gleißende Sonne und endlosen blauen Himmel und war vollkommen in ihre eigenen Fantasien vertieft, da hörte die Kamera auf zu surren, und die Crew atmete entspannt auf.

„Gut gemacht, Laura“, meinte Jack Bryan anerkennend und sah recht selbstzufrieden drein. „Ich glaube, damit hätten wir’s jetzt im Kasten.“

Laura blinzelte, und dann fiel ihr Blick auf einen Mann im Nadelstreifenanzug, der an einer der Monstermaschinen lehnte, die in dieser abschließenden Fotoserie nicht verwendet wurden. Er hatte sie beobachtet. Das kam bei ihrem Job häufig vor, aber er schaute nicht weg, als Laura ihn bemerkte, und das ärgerte sie.

„Wollen Sie überprüfen, ob wir auch kein Filmmaterial verschwenden?“, scherzte Jack Bryan und bestätigte dadurch, dass es sich bei dem Mann um einen der Chefs der auftraggebenden Firma handelte.

Der Mann ging nicht darauf ein.

„Suchen Sie das hier?“ Er hielt Laura ihre Umhängetasche entgegen.

Lauras grüne Augen schienen Funken zu sprühen, und sie warf ihre dunkle Haarmähne zurück, ehe sie herankam. In diesem Moment zog der Fremde die Tasche wieder zurück und streckte stattdessen die Hand aus, was Laura als Zeichen geheuchelter Freundlichkeit empfand.

„Ryan Daniels“, stellte er sich vor, während er Lauras Finger mit festem Griff umschloss. „Ich bitte hiermit um Verzeihung, dass ich gedacht habe, sich fotografieren zu lassen, sei für Sie leicht verdientes Geld. Als ich Ihnen eben zugeschaut habe, konnte ich das Getreide förmlich riechen.“

Wie gebannt blickte Laura ihm in die Augen, und was sie dort sah, ließ ihr Herz wie wild schlagen. Dieser Mann war gewohnt zu nehmen, was er wollte, und, das erriet sie intuitiv, er verachtete leichte Eroberungen.

Von den anderen Models hatte Laura gehört, dass Ryan Daniels aus einer unglaublich wohlhabenden Familie stammte und selbst bereits zu einer Legende in der Geschäftswelt geworden war. Alles, was Reichtum und Einfluss ihm bieten konnten, fiel ihm in den Schoß. Darunter selbstverständlich auch die schönsten Frauen der High Society. Laura dachte, dass es ihm wohl kaum je an weiblicher Gesellschaft gefehlt hätte, selbst wenn er völlig mittellos gewesen wäre. Er besaß die Art dynamischen guten Aussehens, das den Erfolg auf diesem Gebiet geradezu garantierte. Sein dunkelblondes, kurz geschnittenes Haar war aus der Stirn gestrichen und zeigte ein hageres, markantes Gesicht mit graublauen Augen, einer geraden Nase und einem sehr männlich wirkenden Mund.

„Laura Walsh.“ Ihre Stimme klang merkwürdig belegt. Irgendetwas an diesem Mann verursachte in ihr ein Gefühl, als würde sie mit einer unbestimmten Gefahr kokettieren. Und das gefiel ihr ganz und gar nicht.

„Walsh?“, wiederholte er in leicht fragendem Tonfall und ließ zögernd ihre Hand los. „Einer meiner Angestellten heißt so. Sind sie irgendwie verwandt?“

„Das ist mein Bruder.“ Laura war zumute, als hätte sie bereits endlos lange den Atem angehalten, und sie holte tief Luft.

Ryan Daniels, der die Bewegung bemerkt hatte, lächelte, und sie ballte wütend die Hände.

„Ihre?“

Verlegen errötete Laura, denn er hielt ihr die Tasche erneut entgegen. Hastig griff sie danach, er ließ sie jedoch nicht sofort los.

„Sind Sie heute Abend frei zum Dinner? Falls diese Werbekampagne ein Erfolg werden sollte, hätte ich möglicherweise noch mehr Arbeit für Sie. Wir könnten ein Projekt besprechen, das ich im Auge habe“, schlug er vor.

„Ich bin bereits verplant“, erwiderte sie mit dem äußersten Minimum an Höflichkeit, das ihr zu Gebote stand.

„Sagen Sie ab, wer immer oder was auch immer es sein mag. Ich werde dafür sorgen, dass Sie sich wesentlich besser amüsieren.“ Wie im Scherz berührte er ihr Kinn mit der Faust.

„Ich bin mit einem guten Buch und einem Becher heißer Schokolade verabredet. Ich fürchte, Ihr Angebot kann mich nicht reizen.“ Sie befreite ihre Umhängetasche aus seinem Griff. Er hatte sie zu grober Unhöflichkeit veranlasst, was ihrem Wesen im Grunde gar nicht entsprach, und ihre smaragdgrünen Augen brannten vor Zorn über seine spöttisch erhobenen Brauen.

„Damit kann ich natürlich nicht konkurrieren.“ Sein Blick schweifte an ihr vorbei zu Jack und seiner Crew, die dabei waren, ihre Sachen zusammenzupacken. „Dies ist das erste Mal, dass ich einem Model begegne, das mit einem Annäherungsversuch nicht umzugehen weiß.“

Laura würdigte Daniels keiner Antwort, sondern ging mit unnahbarem Ausdruck und hocherhobenen Hauptes zu den Umkleideräumen. Dort entledigte sie sich der Landarbeiterkleidung, die sie für die Aufnahmen getragen hatte. Sie zog einen weiten, handgestrickten Pullover an, in dem sie fast versank, und schlüpfte in schwarze Leggings und halbhohe warme Stiefel, um für den trostlosen Februartag gerüstet zu sein, der sie draußen erwartete.

„Ach ja, die Aktentasche“, erinnerte sie sich und blickte sich stirnrunzelnd um. Sie fand sie unter einem Haufen Kleidern vergraben, holte sie hervor und hängte dann ihr Outfit auf einen Bügel, obwohl sie sah, dass keine der anderen sich die Mühe gemacht hatte.

Ehe sie den Raum verließ, überprüfte sie mechanisch ihr Aussehen im Spiegel, nicht etwa aus persönlicher Eitelkeit, sondern weil die Agenturchefin, Melanie Peters, höchsten Wert darauf legte, das Fantasie-Image ihrer Models auch dann noch aufrechtzuerhalten, wenn der Fototermin vorbei war.

Das dunkle Haar fiel Laura in weichen Wellen über die Schultern, das Make-up war dezent gehalten. Aber sie stellte fest, dass noch immer ein etwas verwirrter Ausdruck ihre Augen verdunkelte. Sie hatte tatsächlich nicht sehr professionell auf Ryan Daniels reagiert. Warum bin ich bloß so defensiv gewesen? fragte sie sich. Wahrscheinlich, weil er mich dabei erwischt hat, dass ich ihn wie ein Schulmädchen angestarrt habe, gestand sie sich ehrlich ein. Einen Mann attraktiv zu finden, dessen Persönlichkeit sie verabscheute, das war ihr bisher noch nie passiert.

Entschlossen verbannte Laura Ryan Daniels aus ihren Gedanken und dachte lieber an das beruhigende Finanzpolster, das ihrem Bankkonto zugutekommen würde. Geld zu haben, war für Laura wichtig. Es war gleichbedeutend mit Sicherheit. Viele ihrer Freunde und Freundinnen aus dem Londoner College for Fashion hatten sich dafür entschieden, an ihren Entwürfen zu arbeiten, während sie arbeitslos waren. Das war Laura nicht möglich. Sie brauchte das Gefühl, selbst für ihre eigenen vier Wände aufzukommen und jederzeit wegziehen zu können, falls sich dies als notwendig erweisen sollte. Im Grunde waren diese Sorgen eigentlich überflüssig. Sie war inzwischen erwachsen, und die Ängste aus ihrer Vergangenheit sollten allmählich verblassen. Aber sogar jetzt noch, mit dreiundzwanzig Jahren, trug sie die ungelösten Konflikte aus ihrer Jugend mit sich herum, und ein Gehaltsscheck besaß immer noch die Macht, dunkle Wolken zu verscheuchen.

Laura ging zum Lift und sah im Geiste das Bild von Sommerhitze und Getreide, das im Wind raschelte, vor sich, dass sie für die Kamera heraufbeschworen hatte. Der Winter in England war so lang und trist, dass der Sommer wie ein unwirkliches Märchen erschien …

Vorbei die Szenerie weiter Kornfelder, und an dessen Stelle sah Laura sich einem erbosten Sicherheitsbeamten gegenüber, der die Aktentasche ihres Bruders an sich nahm.

„Würden Sie bitte hier entlang kommen, Miss?“, forderte sie der uniformierte Wachmann mit wichtiger Stimme auf. „Dies ist ein Routinecheck.“

Achselzuckend folgte sie ihm in einen Raum, dessen eine Wand voller Monitore war. Die Hände in die Hüften gestemmt, schaute Laura mit steigendem Unbehagen zu, wie der Aktenkoffer geöffnet wurde, und der Mann eine Akte herausnahm, die er mit bedeutungsvoller Miene begutachtete.

„Was, bitte, soll das?!“, wollte Laura wissen.

Der Sicherheitsbeamte wandte sich ab und sprach in sein Sprechfunkgerät, das er an seine Jacke geheftet trug. Als Laura die Worte ‚Verdächtige festgenommen‘ vernahm, weiteten sich ihre Augen.

„So etwas nennt man Industriespionage“, höhnte der Mann, der sicher war, dass ihre Unschuld nur vorgetäuscht war. „Was Sie da in diesem Aktenkoffer haben …“

„Aber …“ Laura brach ab, denn in diesem Augenblick trat Ryan Daniels ein, der die Situation mit einem Blick erfasste.

„Was haben Sie denn da, Davis?“ Er nahm die Akte an sich, überflog deren Inhalt, und sah dann auf, um Lauras verständnislose Miene zu betrachten. „Ich will, dass die Stichproben-Untersuchungen fortgesetzt werden. Achten Sie darauf, okay?“ Er setzte sich auf die Schreibtischkante und schob Laura den Ordner zu. „Ich erwarte eine Erklärung“, meinte er scharf.

Laura schluckte und holte Luft. „Ich … weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin.“ Daniels’ Ausdruck verfinsterte sich, und hastig fuhr sie fort: „Mein Bruder bat mich, die Tasche für ihn mitzubringen. Er hatte sie vergessen … Aber Derek würde niemals etwas mitgehen lassen. Ganz bestimmt nicht“, beharrte sie. „Das weiß ich.“

Es war alles so einfach! Derek hatte sie lediglich um einen Gefallen gebeten, denn es war ein Zufall, dass sie gerade für dieselbe Firma arbeiteten. Derek war bereits seit zwei Jahren bei der Daniels Corporation als Industriedesigner angestellt. Laura hatte keine Ahnung, was sich in der Aktentasche befand, aber sie war hundertprozentig sicher, dass ihr Bruder unter keinen Umständen in irgendwelche verdächtigen Machenschaften verwickelt sein konnte.

„Und wo ist Ihr Bruder?“, erkundigte Ryan Daniels sich kühl.

„Ich weiß es nicht.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ich meine …“ Es klang alles viel zu dürftig. Der sonst so verantwortungsbewusste Derek war übers Wochenende weggefahren, wobei er sehr geheimnisvoll getan hatte. Laura glaubte, dass sie beide Opfer eines skrupellosen Versuchs geworden waren, wichtige Dokumente aus dem Firmengebäude zu schmuggeln. Von außen sahen die Dinge jedoch höchst unvorteilhaft aus.

„Wissen Sie nun, wo er sich aufhält, oder nicht?“

„Nein, ich …“ Mühsam hielt sie Daniels’ durchdringendem Blick stand. „Er hat gesagt, dass er am Wochenende wegfährt, und dass er seine Tasche vergessen hat. Aber Derek ist kein gemeiner Dieb! Irgendjemand muss diese Papiere da hineingetan haben.“

Die ironisch verzogenen Mundwinkel von Ryan Daniels sprachen Bände.

Der Wachmann lachte höhnisch.

„Und ich bin Mary Poppins.“

„Schon gut, Davis, das reicht. Könnten Sie vielleicht etwas Tee für Miss Walsh organisieren? Sie sieht aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen“, sagte Ryan.

Laura verstand nun gar nichts mehr. Als der Sicherheitsbeamte den Raum verließ, erhob Daniels sich und ging hinüber zum Fenster. Er bog die Jalousien auseinander und spähte hinaus in die kalte Winternacht. Dennoch hatte Laura keine Chance zu fliehen, dessen war sie sich bewusst.

Prüfend betrachtete sie ihren Gegner, denn als solchen stufte sie ihn ein. Ryan Daniels war keineswegs weniger entschlossen als sein Wachmann, er benutzte lediglich andere Mittel.

„Ich nehme an, Sie würden vermutlich ein Urteil auf Bewährung kriegen.“ Er ließ die Jalousien krachend fallen, sodass Laura zusammenfuhr, und wandte sich ihr wieder zu. „Allerdings bezweifle ich, dass Ihre Karriere als Model in Zukunft noch lukrativ sein wird.“

Empörung erwachte in Laura.

„Aber das ist doch lächerlich! Es ist nichts gestohlen worden. Sie haben doch das, was sich in der Aktentasche befunden hat …“

Spöttisch blickte er sie an.

„Dies ist nicht das erste Mal gewesen, Laura. Die Sicherheitsvorkehrungen sind extra verstärkt worden als Maßnahme gegen geringfügigere Vorkommnisse ähnlicher Art in den letzten drei Monaten. Das Material, das Sie hinauszuschmuggeln versuchten, war zweifellos das Entscheidende.“ Dann fügte er hinzu: „Ich hätte gedacht, dass ich Sie gut genug dafür bezahle, dass Sie sich über unsere neue Traktorenserie drapieren, aber offensichtlich streben Sie ja nach höheren Dingen.“

„Wenn das Ihre Art von Scherz ist, dann finde ich das sehr geschmacklos“, gab Laura entrüstet zurück. „Nur weil ich mich geweigert habe, mit Ihnen auszugehen, gibt Ihnen das noch lange nicht das Recht, mir einen derartigen Schrecken einzujagen.“

Ryan Daniels ließ seinen Blick langsam über ihr Gesicht wandern, bis er schließlich an Lauras Mund hängen blieb.

„Ich versichere Ihnen, dass es sich hierbei nicht um einen Scherz handelt, Laura.“

Ein eisiger Schauder lief ihr über den Rücken. Da kam der Wachmann wieder zurück.

„Ich habe eine Tasse für Sie mitgebracht, Mr Daniels, für den Fall, dass Sie auch einen Tee trinken wollen“, sagte Davis.

„Danke.“ Ryan reichte Laura die eine Tasse und befahl: „Trinken Sie. Sie sehen aus, als könnten Sie’s gebrauchen.“

Laura verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall. Ryan kam zu ihr, klopfte ihr auf den Rücken, und ihr traten Tränen in die Augen. Daraufhin gab er ihr ein makellos weißes Taschentuch, dann standen die beiden vor ihr und betrachteten ihren Fang mit dem unbehaglichen Ausdruck von Männern, die sich einer weinenden Frau gegenübersahen.

„Tut mir leid …“ Laura wischte sich die Augen. „Ich fühle mich, als sei ich mitten in einen Albtraum gestolpert.“

Ryan Daniels spürte, wie ihn seine berühmte Menschenkenntnis im Stich zu lassen drohte. Alles schien darauf hinzuweisen, dass diese junge Frau in eine größere Spionagesache verwickelt war. Wenn er nicht darauf bestanden hätte, gelegentliche Stichproben vorzunehmen, hätten seine Sicherheitsleute ihr womöglich noch angeboten, den Aktenkoffer für sie zu tragen. Sie ist tatsächlich etwas Besonderes, dachte er.

Ryan gestattete sich eine ausgiebige Musterung. Lauras dunkelbraunes Haar schimmerte im Licht kastanienfarben, fein gezeichnete Brauen wölbten sich über den grünen Augen, die von dichten, schwarzen Wimpern umrahmt waren. Er hatte die Werbeaufnahmen zum Teil mitverfolgt. Lauras herzförmiges, perfekt geformtes Gesicht verführte die Kamera geradezu. Und dieser bebende Mund konnte in ganz entzückender Weise schmollen … Ryan rief sich zur Räson, als Laura seinen Blick auffing und ihn vorwurfsvoll ansah.

Nachdenklich schob er die Hände in die Hosentaschen. In Gedanken ging er die unterschiedlichsten Möglichkeiten durch.

„Sie können gehen.“ Nickend wies er auf den Aktenkoffer. „Den brauche ich noch wegen der Fingerabdrücke. Davis, besorgen Sie etwas ähnlich Aussehendes als Ersatz und räumen Sie die unverdächtigen Gegenstände wieder hinein.“

„Aber … Mr Daniels …“

„Miss Walsh hat ganz offenbar nichts mit der Sache zu tun.“ Eine Mischung aus Erstaunen, Dankbarkeit und Verwirrung huschte über Lauras Züge. „Ich möchte nicht, dass auch nur das Geringste über diesen Vorfall verlautet, Davis, verstanden? Nur Sie und ich wissen davon. Lassen wir’s vorerst dabei.“

„Jawohl, Sir.“ Der Sicherheitsbeamte war sichtlich verstimmt, schluckte seinen Widerspruch jedoch hinunter. „Ich werde einen anderen Koffer holen.“

Laura wusste nicht, was sie davon halten sollte. Den einen Moment sprach Ryan Daniels von einem Urteil auf Bewährung, und im nächsten ließ er sie ohne Weiteres laufen. Sie wollte sich bei ihm bedanken, merkte aber, dass er sie wieder auf die gleiche Weise ansah wie vorhin beim Set.

„Hat Ihnen noch keiner gesagt, dass es unhöflich ist, andere Menschen anzustarren?“, sagte sie stattdessen.

„Es ist auch nicht gerade höflich, Industriegeheimnisse zu klauen“, entgegnete er. „So oder so, ich werde Sie doch einfangen, Laura Walsh. Und wenn ich es tue, dann werden Sie mir nicht entkommen. Also genießen Sie Ihre Freiheit, solange Sie können.“

Laura verließ das Gelände von Daniels & Blackthorn so eilig, als wäre der leibhaftige Teufel hinter ihr her. Zusammen mit ihrer Umhängetasche warf sie den Aktenkoffer hinten in den Kofferraum und schlüpfte dann hinter das Steuer ihres dunkelroten Minis. Sie hatte die Absicht, Derek ausfindig zu machen, um sich einen Reim auf das Vorgefallene machen zu können. Im Geiste hörte sie immer wieder Ryan Daniels’ Worte. ,Einfangen‘, hatte er gesagt, nicht ,fassen‘.

Nachdem Laura in die Wohnung in Catford zurückgekehrt war, die sie mit ihrem Bruder teilte, ging sie, ohne auch nur einen Augenblick Zeit zu verlieren, an Dereks Schreibtisch und suchte sein Adressbuch.

Die folgenden Stunden verbrachte sie damit, alle seine Freunde anzurufen, aber niemand schien eine Ahnung zu haben, wo Derek stecken könnte. Wo mochte er bloß sein? Es war so gar nicht seine Art, einfach ins Blaue hinein zu verschwinden. Laura und er hatten als Familie nur einander, und sie standen sich sehr nahe. Aus dem wenigen, das er hatte verlauten lassen, hatte sie den Eindruck gewonnen, dass dieser Wochenendausflug eine ganz spontane Aktion gewesen war. Laura hatte den Verdacht gehabt, dass ihr zugeknöpfter Bruder offenbar eine Romanze hatte, und wollte ihn eigentlich bei seiner Rückkehr deshalb necken.

An diesem kalten Freitagabend stand ihr jedoch nicht der Sinn danach.

Das gewohnte Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das sie normalerweise mit der Wohnung verband, mochte sich heute Abend nicht einstellen. Laura blickte sich in dem gemütlichen Wohnzimmer mit der riesigen cremefarbenen Couch um, die mit zahllosen Kissen bedeckt war, die sie von ihren Reisen mitgebracht hatte. Der Teppich war in unauffälligem Beige gehalten, und eine Bücherwand aus glänzendem Mahagoni füllte eine geräumige Nische im Mauerwerk aus. Ein großer Spiegel mit vergoldetem Rahmen nahm den Ehrenplatz über dem Kamin ein. Derek war von ihm zwar nicht begeistert gewesen, aber Laura hatte darauf bestanden, dass er dem Raum etwas mehr Leichtigkeit verlieh, ebenso wie die blau geblümten Vorhänge. Wenn es nach ihrem Bruder gegangen wäre, hätten sie vermutlich in einem Apartment gelebt, das einer öffentlichen Bücherei glich.

Laura betrachtete den Spiegel in der Hoffnung, dass dieser ihr ein Lächeln würde entlocken können, jedoch vermisste sie die Sicherheit, die sich ihr sonst hier bot. Angst beschlich sie. Derek hatte sie damals gerettet, als sie am verletzlichsten war, und ihre Welt wieder sicher gemacht. Nun war es an ihr, dasselbe für ihn zu tun, auch wenn sie fürchtete, dass sie nicht stark genug war, jemand wie Ryan Daniels Paroli zu bieten.

Schließlich döste Laura erschöpft ein, bis sie vom Läuten des Telefons aus dem Schlaf gerissen wurde. Hastig griff sie nach dem Hörer, aber der Anrufer legte wortlos auf. Laura erhob sich, trat ans Fenster und erstarrte vor Schreck, als sie sah, wie zwei Männer versuchten, in ihren Wagen einzubrechen.

So rasch sie konnte, wählte sie den Polizei-Notruf und überprüfte dann, ob sie die Wohnungstür auch sorgfältig abgeschlossen hatte. Der neue Mini war ihr ganzer Stolz, und zitternd vor Empörung kauerde sie sich auf dem Sofa zusammen. Tausenderlei Gedanken quälten sie. Die Aktentasche, Dereks Verschwinden und jetzt auch noch dieser Autoeinbruch – das passte alles zu gut zusammen.

Als die Polizei schließlich eintraf, waren die beiden Männer an dem Mini inzwischen fort. Gemeinsam mit den Beamten untersuchte Laura den Wagen, und es stellte sich heraus, dass sowohl ihre Umhängetasche als auch der Aktenkoffer daraus fehlten. Wie der eine Polizist ihr sagte, waren die Täter sehr professionell vorgegangen. Der Kofferraum war kaum angekratzt. Laura beschloss, Ryan Daniels von dem Diebstahl in Kenntnis zu setzen und zu hören, was er dazu sagen würde. Immerhin bewies er schließlich, dass sie unschuldig war.

Ryan Daniels musterte seine Begleiterin mit einem gewissen Maß an Ernüchterung. Chantal Rabanne war auserlesen, aber er langweilte sich. Er hatte sich mit Chantal verabredet, nachdem Laura Walsh ihm einen Korb gegeben hatte, musste jedoch nun zu seiner nicht geringen Überraschung feststellen, dass sein Bedürfnis nach weiblicher Gesellschaft keineswegs mit irgendeiner attraktiven Frau gestillt werden konnte.

Er sollte heiraten oder doch zumindest Anzeichen einer dauerhaften Beziehung aufweisen. Als Ryan am Nachmittag Laura Walsh beobachtet hatte, hatte er eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wie er möglicherweise eine machtvolle, körperliche Anziehung befriedigen und zugleich seinen Vater würde zufriedenstellen können.

Warum muss Vater nur so kapriziös sein? dachte er verärgert. Ich habe mich bewiesen, die Firma vergrößert und halte selbst einen beträchtlichen Teil der Aktien. Ryan war der Nächste in der Reihenfolge mit dem Anspruch darauf, den Vorstandsvorsitz zu übernehmen. Das plötzliche Auftauchen Richard Harringtons als Gegenspieler, der Ryans Schwester Penelope den Kopf verdreht hatte, war ihm ein Dorn im Auge.

„Du bist so still, Darling“, Chantal war verstimmt. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“

Da in diesem Augenblick sein Name ausgerufen wurde, enthob ihn dies einer Antwort.

„Bitte entschuldige mich.“ Er stand auf.

Durch den Anruf erfuhr er, dass sich die Dinge schneller entwickelt hatten, als er gedacht hatte. Ryan entschuldigte sich bei Chantal und bot ihr an, sie nach Hause zu fahren, aber sie lehnte schmollend ab, da sie an einem der Nebentische Freunde von sich entdeckt hatte. Erleichtert machte Ryan sich dann auf den Weg. Sein Chauffeur Mitch Harrison brachte ihn nach Catford.

„Erster Stock, Boss“, informierte er seinen Chef und parkte den Wagen hinter dem Mini.

„Warten Sie hier.“ Daniels stieg aus. In seinem Dinnerjacket fühlte er sich ein wenig fehl am Platz.

Laura, die das Motorengeräusch gehört hatte, sah ihn mit recht gemischten Gefühlen auf ihr Haus zukommen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er noch heute Abend bei ihr auftauchen würde. Es war fast elf, und nachdem die Polizisten gegangen waren, fühlte sie sich ungeschützt. Da war die Gesellschaft von Ryan Daniels immer noch besser als gar keine.

Sie öffnete ihm die Tür, gerade als er den oberen Treppenabsatz erreichte. Forschend blickte er ihr in die tiefgrünen Augen, in denen ein gequälter Ausdruck lag.

„Sie führen ja ein höchst interessantes Leben“, begrüßte er sie. „Ich meine, für jemanden, der süchtig ist nach Kakao und Romanen.“

„Ich wollte Sie nicht von irgendetwas wegholen.“ Sie fröstelte, denn er brachte einen Schwall kalter Nachtluft mit herein.

„Das haben Sie auch nicht.“ Interessiert sah er sich in der Wohnung um. „Ganz Ihr Stil“, bemerkte er, setzte sich auf die Armlehne der Couch und betrachtete Laura eindringlich. „Und?“

„Jemand ist in mein Auto eingebrochen“, antwortete sie stirnrunzelnd. Sie hatte angenommen, dass der Butler im Hause Daniels ihre Nachricht weitergegeben hätte. „Sie haben die Aktentasche gestohlen.“

„Sie?“

Laura nickte. „Derek ist noch nicht nach Hause gekommen. Aber trotzdem, er würde ja wohl kaum seine eigene Aktentasche stehlen, oder?“

„Wollen Sie damit sagen, Derek sei unschuldig? – Und hat die Polizei die Diebe erwischt?“

„Nein, sie waren schon weg, aber …“

„Ihr Wagen sieht nicht beschädigt aus. Soll ich etwa glauben, dass sowohl Sie als auch Ihr Bruder unschuldig sind, bloß wegen ein paar Kratzern auf der Kofferhaube?“

„Die Polizisten haben ihren Bericht …“, begann sie.

„Da bin ich ganz sicher. Aber das beweist noch gar nichts, nicht wahr?“ Und ehe Laura protestieren konnte, winkte er ab. „Ob Derek in der Sache mit drinsteckt oder nicht, in dem Aktenkoffer war jedenfalls nichts. Keiner außer mir und Davis weiß, dass man Sie abgefangen hat. Das heißt, wie Sie’s auch drehen und wenden, derjenige, der den Inhalt des Aktenkoffers haben will, wird vermuten, dass sich die Papiere in Ihrem Besitz befinden.“

Lauras Augen weiteten sich vor Schreck.

„Falls Sie nicht mit in die Geschichte verwickelt sind, haben Sie jetzt ein Problem.“

„Aber ich weiß doch nichts!“ Die Gedanken jagten sich in ihrem Kopf. Was ist mit der Polizei?”

Ryan Daniels hob die Achseln. „Was mich betrifft, so ist nichts gestohlen worden. Industriespionage wirkt sich nachteilig auf den Aktienindex aus. Ich erledige meine Probleme auf meine Art.“

„Na, wie schön für Sie!“, machte Laura ihrem Ärger Luft. „Was soll ich denn Ihrer Ansicht nach tun? Ich weiß nicht, wo mein Bruder ist. Aber ich weiß, dass er völlig unschuldig an dieser Sache ist. Er könnte in großen Schwierigkeiten sein, und das Einzige, wovon Sie reden, ist der Aktienindex!“

Daniels erhob sich und trat auf sie zu. Er musterte ihre feinen Gesichtszüge mit einer solchen Intensität, dass Laura unwillkürlich errötete.

„Ich möchte nicht …“

„Sie brauchen meinen Schutz.“ Er streckte die Hand aus und nahm eine ihrer Haarsträhnen zwischen Daumen und Zeigefinger. Seine Augen verdunkelten sich, als Laura sich sogleich entzog und ihn wütend anstarrte. „Sie können unmöglich hierbleiben. Die Diebe werden mittlerweile wissen, dass der Aktenkoffer leer ist.“

Instinktiv bewegte Laura sich aufs Telefon zu.

„Das wäre nicht sehr clever.“ Ryan legte seine Hand leicht über die ihre, sodass sie nicht abheben konnte. „Die Polizei will Ergebnisse, und Sie wurden im Besitz gestohlener Papiere abgefangen …“ Er legte eine wirkungsvolle Pause ein. „Nein, ich hätte da einen viel besseren Vorschlag.“

„Ach ja?“ Zweifelnd sah sie ihn an.

„Lassen Sie mich Ihren Schutz übernehmen.“

Laura war außerstande, ihr Misstrauen zu verbergen. Erst hatte er sie in die Freiheit entlassen, und nun sollte sie sich freiwillig wieder in Gefangenschaft begeben?

„Wenn Sie wirklich unschuldig sind, wäre das die perfekte Lösung. Einige Männer haben keine Achtung vor der Schönheit, Laura. Tatsächlich haben manche Männer vor gar nichts Respekt. Bei mir werden Sie in Sicherheit sein. Außerdem verspreche ich Ihnen, Sie über meine Nachforschungen über den Verbleib Ihres Bruders auf dem Laufenden zu halten. Ich werde ihn finden, darauf können Sie sich verlassen. Und ich könnte mir denken, dass Sie dann gerne dabei sein würden, um sicherzustellen, dass er fair behandelt wird.“

Ein paar endlos scheinende Augenblicke verlor Laura sich in seiner männlichen Stärke, gegen ihren Willen angezogen von Ryans kraftvoller Ausstrahlung. Auf einmal stimmte ihr Bild von ihm als einem gefährlichen Gegner nicht mehr. Sein Haar schimmerte im Lampenlicht, in das sich Schatten mischten. Es war so, als ob man Ryan Daniels nicht so leicht definieren könnte. Laura war fasziniert.

„Unser Haus liegt in Mayfair, und wir haben jede Menge freier Gästezimmer.“

Laura überlegte kurz, ob sie sein Angebot ablehnen und stattdessen in ein Hotel gehen sollte. Andererseits, falls noch mehr passieren sollte, wollte sie ein hieb- und stichfestes Alibi haben. Außerdem beabsichtigte sie, einen guten Anwalt für Derek zur Hand zu haben, wenn dieser seinem Chef gegenübertreten musste.

Ryan, der ihren Widerstand schwinden fühlte, hob seine Hand von der ihren und blickte sie erstaunt an, als sie den Hörer abnahm und ihn ihm hinhielt.

„Möchten Sie die Leute bei sich zu Hause nicht vorwarnen und ihnen sagen, sie sollten schon mal das Familiensilber wegschließen?“ Es kostete sie einige Mühe, sich aus dem Bann seiner hellen Augen zu lösen.

Autor

Christine Greig
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