Ein Mann für alle Fälle

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Privatdetektiv Mitch findet seine Klientin Mae überaus aufregend! Dass er sich in sie verliebt und sie in Verdacht gerät, einen Mord begangen zu haben, wirft allerdings ein paar Probleme auf …


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • ISBN / Artikelnummer 9783862789238
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer Crusie

Ein Mann für alle Fälle

Roman

Übersetzung aus dem Amerikanischen von
Emma Luxx

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MIRA TASCHENBUCH

MIRA TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
What the Lady wants
Copyright © 1995 by Jennifer Crusie
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Covergestaltung: pecher und soiron, Köln
Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN epub 978-3-86278-923-8

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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1. KAPITEL

Mae Sullivan ließ stirnrunzelnd den Blick an dem alten, rußgeschwärzten Bürogebäude hochwandern und verlagerte ihr Gewicht. Ihre Füße schmerzten höllisch, und sie hatte den Verdacht, dass sie sich in diesen verflixten hochhackigen Pumps mindestens an einem Fuß bereits eine Blase eingehandelt hatte. Sie blickte sich um und schätzte ihre Chance, überfallen zu werden, nur geringfügig höher ein als die, dass das Gebäude im nächsten Moment zusammenstürzen könnte. Wer in einer solchen Gegend in einem solchen Haus arbeitete, konnte nur ein Versager sein.

Das traf sich gut.

Sie schien genau den Trottel gefunden zu haben, nach dem sie gesucht hatte: Mitchell Peatwick, Privatdetektiv.

Zuerst war ihr nicht so recht klar gewesen, wie sie es am besten anstellen könnte. Wie findet man einen möglichst unfähigen Schnüffler? Gar nicht so einfach. Also hatte sie sich die Gelben Seiten des Telefonbuchs von Riverbend geschnappt, war die Spalte „Detekteien“ von A bis Z durchgegangen und hatte sie erst einmal nach Anzeigengröße und Wohngegend durchgesiebt. Daraus ließ sich schon einiges schließen. Alle teuren, auffälligen Anzeigen beschloss sie von vornherein ad acta zu legen, um anschließend die kleinen abzuklappern, bis ihr die Füße wehtaten.

Und hier war sie nun. Mitchell Peatwick - sie sah ihn bereits vor sich, wie er in seinem Bürosessel hing, fett, kahlköpfig und mit hängender Kinnlade.

Er würde sie gönnerhaft und von oben herab behandeln, weil sie eine Frau war. Und sie würde auf ihm spielen wie auf einem Piano. Alles, was sie zu tun hatte, war, ihn davon zu überzeugen, dass es sich bei dem Fall, auf den sie ihn ansetzen wollte, wirklich um Mord handelte.

Sie holte tief Luft und zuckte zusammen, weil ihr der Bund des um mindestens zwei Nummern zu engen pinkfarbenen Rocks, den sie sich von June ausgeborgt hatte, in die Taille schnitt. Dann zog sie den Schleier ihres Huts über die Augen, schritt mit aller Grazie, die sie trotz ihrer schmerzenden Füße noch aufbringen konnte, auf die Eingangstür zu, in deren zerbrochenen Scheiben ihr ihr Spiegelbild entgegenkam.

Wirklich amüsant, was Kleider bewirken konnten.

Der lächerliche pinkfarbene Schleier verwandelte sie in die reinste Sexbombe.

Nun, vorausgesetzt, sie schaffte es tatsächlich dieses verdammte Gespräch hinter sich zu bringen, ohne dass sie der Bund von Junes Rock in zwei Teile zerschnitt und Junes Stilettos sie für den Rest ihres Lebens hinken ließen, dann war das ein erster Schritt in die richtige Richtung hin zur Lösung all ihrer Probleme.

Bitte, lieber Gott, lass Mitchell Peatwick beschränkt wie ein Ackergaul sein, und mach, dass er eine Schwäche für Frauen in hautengen Kostümen hat, betete sie, während sie mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen die Treppen emporstieg.

Das Fenster hinter Mitch stand sperrangelweit offen, und der Deckenventilator summte leise, doch der Abkühlungseffekt war gleich null. Mitch, der die Beine bequem auf seinen ramponierten Schreibtisch gelegt hatte, war überzeugt davon, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein konnte, bis er einem Hitzschlag erliegen würde. Am besten nicht mal den kleinen Finger rühren, dachte er, während er sich, die Ärmel hochgekrempelt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt, vorsichtig zurücklehnte, die Augen schloss und sich seelisch darauf vorbereitete, gleich dahinzuschmelzen wie Butter in der Sonne.

Um sich zu bewegen, war er ohnehin viel zu deprimiert. Er sann darüber nach, was er sich vorgenommen hatte und was schließlich daraus geworden war. Zwischen beidem bestand ein himmelweiter Unterschied. Wunschvorstellungen waren eine lausige Vorbereitung auf die Wirklichkeit, deshalb hatte er beschlossen, sie nun ein für alle Mal zu begraben. Träume in die Realität umsetzen zu wollen, zahlte sich nicht aus, es war kindisch und unproduktiv. Und wenn man merkte, dass es nicht klappte, zog es einen nur runter. Die Wirklichkeit holte einen meist schneller ein, als einem lieb war.

Aufgrund einer Wette, die er während eines feuchtfröhlichen Abends mit einem Freund abgeschlossen hatte, hatte er sich schon als Privatdetektiv gesehen, als einsamen Wolf - der Sam Spade der Neunziger jähre - das Böse in der Welt bekämpfend und der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfend. Dafür war er bereit gewesen, seinen einträglichen Job als Börsenmakler ein Jahr lang an den Nagel zu hängen.

Und was war dabei herausgekommen? Jämmerlich wenig. Er hatte lernen müssen, dass die Arbeit eines Privatdetektivs in der Hauptsache darin bestand, untreuen Ehegatten auf die Schliche zu kommen. Was eine ausgesprochen deprimierende Angelegenheit war. Am Ende stellte sich immer heraus, dass alle Beteiligten sich ziemlich mies verhielten. Mitch hatte sich schon vorher eine recht nüchterne Vorstellung von der Ehe gemacht, jetzt aber hatte er auch die letzten Illusionen über diese Institution verloren.

Eine unumstößliche Wahrheit hatte er in diesem Jahr gelernt: Jeder Mensch lügt.

Sam Spade hätte diese Erkenntnis mit Sicherheit nicht vom Hocker gerissen, und bestimmt hätte er auf derartige Aufträge, wie er, Mitch, sie notgedrungen immer wieder übernommen hatte, dankend verzichtet. Mitch wurde das unangenehme Gefühl nicht mehr los, dass er ebenfalls hätte dankend verzichten sollen.

Eine Woche hatte er noch durchzustehen, und einen Klienten brauchte er noch, der ihm 2.694 Dollar über den Tisch schob. Dann hätte er die Wette gewonnen, die darauf hinauslief, dass er ein Jahr lang als Detektiv arbeiten sollte und dabei ein Mindesthonorar von 20.000 Dollar erzielen musste.

Am nächsten Freitag war Stichtag, dann würde er in sein früheres Leben zurückkehren, egal, ob er diese idiotische Wette nun gewonnen oder verloren hatte. Natürlich würde er keinen Klienten mehr auftreiben - vor allem keinen, der so betucht war, dass man ihm für eine Woche ein derart hohes Honorar abknöpfen könnte.

Das war denn auch der eigentliche Grund dafür, weshalb er vor Enthusiasmus nicht gerade einen Satz machte, als er draußen im Flur den Aufzug rumpeln hörte, und nicht etwa deshalb, weil er befürchtete, die Hitze würde ihn auf der Stelle umbringen, wenn er sich auch nur einen Millimeter von der Stelle rührte. Nein, es war nur einfach so, dass ihm wirkliche Begeisterung schon vor längerer Zeit abhanden gekommen war.

Wäre ich Sam Spade, dann käme jetzt Brigid O’Shaugnessy zur Tür herein, überlegte er flüchtig, während er ein Auge halb öffnete und entnervt zu dem altersschwachen Ventilator an der Decke emporblickte, dessen Summen in ein leises Quietschen übergegangen war. Aus heiterem Himmel verspürte er plötzlich wider Erwarten ein winziges Fünkchen Optimismus in sich aufkeimen. Vielleicht war ja noch nicht alles verloren. Wer konnte schon wissen, ob es nicht doch Brigid O’Shaugnessy war, die da gerade aus dem Aufzug stieg? Brigid, die einzig und allein in der Absicht hierher gekommen war, ihn zu verführen. Um das zu erreichen, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte.

Und er wollte verdammt sein, wenn er keine Lust hatte, sich verführen zu lassen.

Gleich würde sich die Tür öffnen, und sie würde hereingeschwebt kommen. Kühl, schön wie eine Göttin und tödlich gefährlich - in einem dieser weißen Kostüme mit breiten Jackenaufschlägen und einem engen, an der Seite bis fast zur Hüfte geschlitzten Rock, der ihre langen, atemberaubenden Beine aufs Vorteilhafteste zur Geltung bringen würde. Auf den roten Locken trüge sie vielleicht einen kleinen Hut, dessen schwarzer Schleier zwar ihre veilchenblauen Augen verdeckte, dafür aber die klassisch geformte Nase, die porzellanweiße Haut und die sinnlichen, vollen dunkelroten Lippen betonte. Und dann würde sein Blick von ihren Lippen abwärts gleiten hin zum herrlichsten Teil ihres Körpers, den ihre Kostümjacke nicht verbergen, sondern vielmehr aufreizend modellieren würde: zu ihren herrlichen üppigen Brüsten.

Erst nach einiger Zeit und mit größter Anstrengung gelang es Mitch, seine Gedanken von den Brüsten seiner Traumfrau loszureißen.

Sie würde leise die Tür hinter sich schließen, auf ihn zuschweben und mit weicher, kehliger Stimme sagen: „Ich muss den Malteser Falken finden.“ Dann würde sie ihren Hut abnehmen, ihn mit ihren veilchenblauen Augen ansehen, dass ihm der Atem stockte, und ehe er sich’s versah, würden sie sich in einer leidenschaftlichen Umarmung auf dem Fußboden wiederfinden und heißen, animalischen, schweißtreibenden Sex miteinander haben …

Seine Gedanken verweilten genüsslich bei dieser Vorstellung.

Und irgendwann würde er herausfinden, dass sie von Anfang an ein teuflisches Spiel mit gezinkten Karten gespielt hatte. „Ich werde nicht den Trottel für dich spielen, Baby“, würde er sagen und sie wegen des Mordes an seinem Partner der Polizei übergeben. Okay, er hatte zwar keinen Partner, es sei denn, man zählte Newton mit, aber das wäre lächerlich gewesen. Kein Wunder, dass das Buch zum Klassiker geworden war. Sam Spade hatte Brigid auch ohne Partner zur Strecke gebracht und sich erst wieder richtig gut gefühlt, nachdem ihm der große Befreiungsschlag gelungen war. Erst Sex vom Feinsten, und dann hatte er sie fallen lassen, war wieder frei gewesen wie ein Vogel - ein Held anstatt ein begossener Pudel.

Das alles war nur Fantasie.

Als sich die Tür öffnete und sie hereinkam, schaute er auf.

Ihr Haar war dunkelbraun, und ihr Kostüm war pink statt weiß, doch alles andere stimmte mit seinen Fantasien recht gut überein. Die Nase, die Lippen, die …

„Ich will verdammt sein …“ Mit enormer Anstrengung riss Mitch seine Blicke von ihren Brüsten los und sah sie an.

„Von mir aus.“ Ihre Stimme jagte ihm einen Schauer den Rücken hinunter. „Sind Sie Mitchell Peatwick?“

„Hm … ja.“ Mitch nahm seine Füße vom Schreibtisch und stand auf. Bevor er ihr die Rechte entgegenstreckte, wischte er sich die feuchten Handflächen an seinem Hemd ab. „Mitch Peatwick, Privatdetektiv. Sagen Sie, haben Sie jemals Der Malteser Falke gelesen?“

„Selbstverständlich.“ Sie übersah seine Hand und überflog mit einem raschen Blick den mehr als armselig ausgestatteten Raum. „Das hier ist also Ihr Büro, ja?“

Okay, besonders beeindruckt schien sie von seinen Geschäftsräumen ja nicht gerade zu sein. Und von ihm selbst ganz offensichtlich auch nicht. Nun, so war eben das Leben. Hart, aber ungerecht. Schon wieder einmal hatte er sich von seiner Erwartungshaltung aufs Glatteis führen lassen. Wenn sie nicht den Mund aufgemacht hätte, wäre sie fast perfekt gewesen, aber so …

Die Realität. Eine Beruhigungspille, hergestellt auf natürlicher Basis.

Mitch seufzte und zog seine Hand zurück. „Betrachten Sie’s einfach als Atmosphäre. Ich mach’s genauso.“ Er ließ sich in seinen Stuhl fallen und gestattete auch seinen Füßen, wieder ihren gewohnten Platz auf dem Schreibtisch einzunehmen. „Und? Womit kann ich Ihnen dienen? Ist Ihnen Ihr Pudel davongelaufen?“

Sie hob die Brauen. „Wären Sie denn in der Lage, ihn zu finden?“

„Das hat mir gerade noch gefehlt - eine schnippische Klientin.“ Mitch gab sich redlich Mühe, seinen Unmut im Zaum zu halten, aber es fiel ihm nicht leicht. Sich von einer schönen Frau mit herrlichen Brüsten über den Mund fahren zu lassen, war er nicht gewohnt, und es brachte seine schlechtesten Seiten zum Vorschein. Bei Licht betrachtet, war sie so schön ja nun auch wieder nicht. Nun ja, die Nase war nicht schlecht, durchschnittlich hübscher Standard sozusagen, und die Lippen waren zwar voll, aber sie hatte nicht diesen sinnlichen Schmollmund wie Brigid, und die Brüste … Mitch spürte, wie ihm die Luft wegblieb, und er wagte nicht weiterzudenken. Vergiss die Brüste, rief er sich zur Ordnung. Es deprimiert dich nur.

„Wenn ich Sie so ansehe, werde ich den Eindruck nicht los, dass Sie dringend mal wieder einen Klienten brauchen könnten.“ Interessiert unterzog sie seine Schuhe, die auf dem Schreibtisch direkt vor ihr lagen, einer eingehenden Betrachtung. „Wirklich, ich habe noch nie so dünne Sohlen gesehen. Ausgesprochen bemerkenswert. Ich kann Ihnen von hieraus sagen, welche Farbe Ihre Socken haben. Und Löcher haben sie auch.“

„Toll!“ Mitch grinste matt. „Wenn Sie mir jetzt auch noch sagen, welche Farbe meine Unterhose hat, sind Sie wirklich gut.

„Sie tragen keine“, gab sie kühl zurück.

Mitch nahm die Füße vom Schreibtisch.

„Was wollen Sie von mir?“ Er starrte sie an und registrierte dabei flüchtig die Staubkörnchen, die im Sonnenschein tanzten. „Wenn Sie aufhören, mir meine Zeit zu stehlen, könnten wir vielleicht ins Geschäft kommen.“

Sie sah sich suchend um, stand schließlich auf und ging mit schwingenden Hüften durchs Zimmer, wobei sich bei jedem Schritt der Stoff ihres hautengen Rocks beängstigend dehnte. Entschlossen steuerte sie auf die Garderobe zu, schnappte sich Mitchs Leinenjackett, ging zu dem Besucherstuhl und staubte die Sitzfläche ab. Mitch hätte normalerweise selbstverständlich empört Protest eingelegt, aber beim Anblick ihres atemberaubenden Pos, als sie sich vorbeugte, fiel ihm ein, dass er das Jackett sowieso noch niemals so besonders gern angezogen hatte. Nachdem sie den Stuhl sauber gemacht hatte, hängte sie das Jackett wieder an seinen Platz. Während Mitch sie beobachtete, sann er belustigt darüber nach, was Frauen doch für seltsame Wesen waren, und er dankte seinem Schöpfer ein weiteres Mal dafür, dass er ihn als Mann hatte auf die Welt kommen lassen.

Sobald sie sich wieder gesetzt hatte, versuchte er seine Aufmerksamkeit auf ihr Anliegen zu konzentrieren.

Sie blinzelte einmal kurz und sah ihn dann mit ihren großen braunen Augen an. „Was ich Ihnen jetzt erzähle, ist streng vertraulich.“

„Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Glauben Sie vielleicht, hier kommt jemand rein und sagt, hören Sie zu, ich möchte, dass es alle Welt erfährt?“ Mitch zog einen Schreibblock zu sich heran und angelte sich aus einer Blechdose einen Kugelschreiber. „Vielleicht verraten Sie mir zuerst einmal Ihren Namen.“

„Mae Sullivan“, sagte sie, und er schrieb es nieder.

„Und was ist Ihr Problem?“

Sie starrte ihn an. „Irgendjemand scheint meinen Onkel ermordet zu haben.“

Ihr Ton war viel zu schnippisch, um sexy zu sein. Außerdem war es ihm sowieso nicht möglich, verärgert und erregt zugleich zu sein. Es hätte ihm eine viel zu große Menge an Energie abverlangt. Und die brauchte er, um die Hitze ignorieren zu können, die im Zimmer herrschte. „Ermordet. Aha. Nun, Sie wissen ja sicher, dass wir eine hervorragende Polizei haben. Haben Sie die Leiche schon gemeldet?“

„Die Beerdigung ist übermorgen.“

„Dann weiß die Polizei ja bereits Bescheid.“

„Sie ist nicht interessiert.“ Gelassen begegnete sie seinem Blick. „Und Sie?“

Mitch überlegte. Offenbar gab es für ihn nur eine Alternative zu der schmutzigen Wäsche, die er ein Jahr lang in Scheidungsangelegenheiten hatte hervorkramen müssen: Mord. Er seufzte. „Ja. Wahrscheinlich wird es mir hinterher leidtun, aber egal. Ja, ich bin interessiert.“

Sie schlug aufreizend die Beine übereinander.

Lügen war nicht unbedingt eine von Maes stärksten Seiten, aber man konnte doch, wie sich nun zeigte, allerhand damit ausrichten. Mitchell Peatwick, vollkommen groggy von der brütenden Hitze, hing in seinem Stuhl, grinste sie träge an und erweckte den Eindruck, dass er nicht mal dann den kleinen Finger gerührt hätte, wenn sie damit herausgerückt wäre, seit Jahren auf den Fahndungslisten der Polizei zu stehen. Solange er den Mund hielt, fand sie ihn gar nicht mal so übel. Der Malteser Falke? Was für ein Träumer!

Nun, ihr konnte es nur recht sein. Einer, der von großen Abenteuern träumte, würde ihr die Geschichte von dem Mord und dem Tagebuch eher abkaufen als jemand, der realistischer war. Und so unmöglich erschien er ihr nun auch wieder nicht. Seine Kleidung war zwar nicht gerade hip, und ein Besuch beim Friseur stand auch wieder mal an - im Moment hing ihm eine Locke seines blonden Haars fast bis in die Augen und sein Kinn konnte sie nur als ausgesprochen kantig bezeichnen. Na wenn schon. Insgesamt wirkte er ausgesprochen männlich, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, und wenigstens gehörte er nicht zu den Typen, die stets ein Goldkettchen um den Hals trugen. Wenn er grinste, strahlte er diesen überwältigenden MachoCharme aus, bei dem man als Frau gelegentlich ins Zweifeln geriet, ob man sich mit der Emanzipation nicht vielleicht doch noch ein bisschen Zeit hätte lassen sollen.

Aber wehe, wenn er den Mund aufmachte! Dann war es für all die Frauen, die eben noch fast schwach geworden wären, an der Zeit, sich nach dem nächsten Laternenpfahl umzusehen, an dem sie ihn aufknüpfen könnten. Wenn er einfach nur geschwiegen hätte …

Egal, dachte sie, schließlich habe ich ja genau so einen Trottel gesucht.

„Erzählen Sie mir von Ihrem Onkel“, forderte er sie geduldig auf.

War das ein Funken von Mitgefühl, was da in seinen Augen aufblitzte? Plötzlich verspürte sie ein leises Schuldgefühl, weil sie ihn benutzte. Natürlich nur, wenn sie sich nicht getäuscht hatte. Vielleicht hatte er ja auch bloß einen Kater.

„Er ist ermordet worden.“ Mae lehnte sich etwas vor - nur ein wenig, sodass ihre Brüste unter der Kostümjacke leicht in Bewegung gerieten, wobei sie sich allerdings bemühte, die Sache nicht zu übertreiben. Oft bekamen Männer dann diesen seltsam glasigen Blick, vor dem es ihr grauste. Sie sah Mitch an. Da war nichts Glasiges. Na dann, Vollgas voraus. „Aber mir glaubt niemand.“

„Die Polizei auch nicht?“

Mae zog alle Register, um so verletzt und schutzlos auszusehen wie möglich, weil sie ihn als einen Mann einschätzte, der auf so etwas ansprach. „Ich war nicht bei der Polizei. Sie würden mir erst recht nicht glauben. Laut Totenschein war es ein ganz normaler Tod.“

Mitch klemmte sich den Kugelschreiber wieder zwischen die Finger. „Wie hieß Ihr Onkel?“

„Armand Lewis.“ Mae sah zu, wie er auf seinem gelben Block herumkritzelte und Strichmännchen malte. Er hatte große, starke Hände, und seine Bewegungen waren sicher. Einen kurzen Moment streifte sie der Gedanke, was diese Hände alles bewerkstelligen könnten. Sie rief sich zur Ordnung.

Er sah sie an. „Was steht denn als Todesursache auf dem Totenschein?“

„Herzversagen.“

Gewissenhaft notierte er es und fuhr dann fort: „Hatte Ihr Onkel Probleme mit dem Herzen?“

„Ja.“

„Wie alt war er?“

„Sechsundsiebzig.“

Als er jetzt wieder sprach, schien er seine Worte sehr sorgfältig zu wählen. „Und Sie finden es ungewöhnlich, dass er im Alter von sechsundsiebzig Jahren an Herzversagen verstorben ist?“

„Sonst wäre ich nicht hier.“ Mae - ganz Brigid - schenkte ihm ein aufreizendes Lächeln.

„Haben Sie denn einen Grund anzunehmen, dass er ermordet worden ist?“

„Nein.“ Mae lehnte sich ein bisschen nach vorn und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Ich weiß es einfach. Manchmal habe ich einen sechsten Sinn für bestimmte Sachen.“

Er gönnte ihr ein mitleidiges Grinsen, als wäre sie ein unvernünftiges Kind. „Aha. Und Sie glauben, dass das jetzt so eine Sache ist.“

„Ja.“

„Okay.“ Er wandte sich wieder seinem Block zu, und Mae entspannte sich etwas. „War er vermögend?“

„Ja. Seine Hinterlassenschaft dürfte sich etwa auf zwanzig Millionen belaufen.“

„Nicht schlecht. Wer erbt?“

„Ich. Falls er in seinem Testament nicht etwas anderes verfügt hat.“

Er sah ruckartig auf. „Alles?“

Mae schüttelte den Kopf. „Die Hälfte.“

„Und die andere Hälfte? Wer bekommt die?“

„Sein Bruder, Claud Lewis.“

Mitch runzelte die Stirn. „Und sonst gibt es niemanden - keine Bediensteten, kein Wohlfahrtsverein, keine entfernten Verwandten?“

Mae fand es an der Zeit, ihm ein weiteres Brigid-Lächeln zu präsentieren, um ihn wieder dahin zu bringen, wo sie ihn haben wollte. „Das ist wirklich nicht so wichtig. Natürlich bekommen sowohl der Butler als auch die Haushälterin etwas, aber kaum so viel, dass es für sie der Mühe wert gewesen wäre, meinen Onkel deshalb umzubringen.“

„Wie viel?“

„Jeder fünfzigtausend.“

Ihre Blicke begegneten sich. „Für meine Verhältnisse sind fünfzigtausend nicht gerade wenig.“

Geduld gehörte vermutlich nicht unbedingt zu den Tugenden eines Vamps, aber Mae hatte kaum eine andere Wahl. Mitchell Peatwick stellte sich als ein ziemlich hartnäckiger Zeitgenosse heraus. Das war nicht gut. „Es ist jedenfalls nicht genug, um ihnen ihren Lebensabend zu sichern. Wenn Onkel Armand noch am Leben wäre, hätten sie jeden Monat ihr sicheres Gehalt plus freie Kost und Logis. Da sie beide Anfang sechzig sind, ist es unwahrscheinlich, dass sie noch mal eine neue Stellung finden. Sein Tod war ein Unglück für sie. Mein Onkel …“

„Mag sein. Vermutlich werden derzeit wirklich nicht viele Butler gesucht“, räumte Mitch ein. „Wie auch immer - geben Sie mir ihre Namen.“

Mae holte tief Luft. Warum zum Teufel taten Männer eigentlich immer so hilfsbereit und hörten dann doch nie auf das, was man zu sagen hatte? Lag es an ihr, oder war das generell eine verhängnisvolle Nebenerscheinung der männlichen Hormone? „Sie haben ihn nicht umgebracht.“

„Ich will ihre Namen.“

Ihr Lächeln fiel diesmal etwas weniger großzügig aus. „Harold Tennyson und June Peace.“

„Adresse?“

„Sie wohnen bei uns im Haus.“ Am liebsten hätte Mae vor Ungeduld mit den Zähnen geknirscht. Die Hitze machte sie ebenso gereizt wie ihre schmerzenden Füße, am meisten jedoch reizte sie Mitchell Peatwick. „Im Haus meines Onkels.“

„Dann können Sie sie doch behalten.“

„Nun ja - natürlich.“ Mae verlor allmählich die Geduld. „Ich kann sie natürlich nicht einfach auf die Straße werfen.“

Er lächelte sie an, offensichtlich erfreut darüber, dass es ihm gelungen war, sie zu verärgern. „Es ist immerhin Juli. Erfrieren würden sie nicht. Und wenn Sie sie nicht rauswerfen, haben die beiden mit dem Tod Ihres Onkels überhaupt nichts verloren - im Gegenteil.“

Mae hatte Mühe, sich ihre Gereiztheit nicht anmerken zu lassen. „Sie wussten doch gar nicht, dass ich sie nicht entlassen würde.“

„Ja - kennen Sie sich denn nicht ein bisschen näher?“

„Ich weiß nicht, was Sie unter ein bisschen näher verstehen. Selbstverständlich kennen wir uns, aber sie konnten dennoch nicht davon ausgehen, dass ich sie nach dem Tod von Onkel Armand behalten würde. Darüber haben wir niemals gesprochen.“

„Wie lange kennen Sie sich denn schon?“

Zeit für ein Lächeln. Mae strahlte Mitch an. „Was tut das denn zur Sache?“

„Wie lange?“, wiederholte er hartnäckig.

„Achtundzwanzig Jahre.“

Er verengte die Augen. „Seit Ihrer Geburt?“

„Nein, ich war sechs, als ich zu meinem Onkel kam.“

„Dann sind Sie jetzt vierunddreißig?“

„Mein Kompliment, Kopfrechnen eins.“

„Sie sehen aber gar nicht aus wie vierunddreißig.“

„Das kommt daher, weil ich nicht verheiratet bin. Die Ehe lässt Frauen früher altern.“

„Männer auch.“

„Blödsinn. Verheiratete Männer leben nachgewiesenermaßen länger als unverheiratete.“

„Sie leben scheinbar länger.“ Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und musterte sie mit gönnerhafter Nachsicht. „Also - Harold und June haben Sie schon auf den Knien geschaukelt, aber Sie sind dennoch der Meinung, dass die beiden nicht davon ausgehen, dass Sie nach dem Tod Ihres Onkels für sie sorgen.“

Mae schloss die Augen und schwieg.

„Egal, wir kommen später noch darauf zurück. Und außer Ihnen, Harold und June und Onkel Claud gibt es also niemanden, der im Testament bedacht ist?“

„Nein.“

„Was hatte Ihr Onkel für Geschäftsverbindungen?“ Er klopfte mit dem Kugelschreiber auf seinen Notizblock. „Ist es möglich, dass einer seiner Geschäftspartner ihn loswerden wollte?“

„Kaum. Ihm gehörte zusammen mit meinem Onkel Claud der Konzern ‚Lewis & Lewis‘.“

„Gibt es noch andere Teilhaber?“

„Nein. Nur mein Onkel Claud.“

Als Mitchell zum Sprechen ansetzte, schnitt Mae ihm kurzerhand das Wort ab. „Der Onkel Armand aber auch nicht getötet hat.“

„Haben die beiden sich gut verstanden?“

„Nein. Onkel Claud konnte Onkel Armand nicht ausstehen. Er missbilligte Onkel Armands ausschweifendes Leben, weil er Angst hatte, dass das dem guten Namen von ‚Lewis & Lewis‘ schaden könnte.“

„Klingt wie ein direktes Zitat.“

„Ist es auch.“

„Und? Stimmte das?“

„Ja.“

Mitch hob die Augenbrauen. „Ein ausschweifendes Leben mit sechsundsiebzig?“

Mae seufzte. Mitch Peatwick mochte zwar ein Trottel sein, aber zumindest war er ein ausgesprochen hartnäckiger Trottel. „Er hatte eine Geliebte. Wenn Sie es genau wissen wollen, er war in der Nacht, in der er gestorben ist, bei ihr. Er ist in ihrem Bett gestorben.“

Mitch lehnte sich zurück. „Kann ich eine Frage stellen?“

Langsam brachte er Mae an den Rand der Verzweiflung. „Wenn es sein muss.“

„Ja. Er hatte also trotz seines relativ hohen Alters und seiner Herzschwäche eine Geliebte, die … wie alt war? Fünfzig?“

„Fünfundzwanzig. Sie heißt Stormy Klosterman, aber das ist nicht weiter wichtig.“

„Klosterman?“

Mae gab auf. „Ihr Künstlername ist Stormy Weather. Solange sie mit meinem Onkel liiert war, hat sie selbstverständlich nicht gearbeitet.“

„Selbstverständlich.“ Er zwinkerte ironisch. „Und wie lange war das?“

„Sieben Jahre“, gab Mae kurz angebunden zurück. „Er hob ihr eines Nachts ihren Regenschirm auf, der ihr auf die Straße gefallen war. Es war Liebe auf den ersten Blick.“

Er grinste sie an. „Sie sind nicht gerade ein Fan von Stormy, scheint mir.“

Mae zuckte die Schultern. „Ach, sie ist schon okay. Zumindest halte ich es für ausgeschlossen, dass sie meinen Onkel umgebracht hat. Sie erbt keinen Cent.“

Autor

Jennifer Crusie
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