Endlich Single: schon verliebt

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Raus aus dem goldenen Käfig - hinein ins pralle Leben! Nina ist froh, dass ihre langweilige Ehe vorbei ist. Bevor sie jedoch ihre Freiheit richtig genießen kann, verliebt sie sich in Alex. Gut aussehend, erfolgreich in seinem Beruf - und zehn Jahre jünger als Nina. Sie beginnen eine heftige Affäre, bei der anscheinend nur der Augenblick und nicht die Zukunft zählt ...


  • Erscheinungstag 20.12.2012
  • ISBN / Artikelnummer 9783862789276
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer Crusie

Mit Lust und Liebe - Endlich Single: schon verliebt!

Roman

Übersetzung aus dem Amerikanischen von
Heike Hellmann-Brown

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Anyone but you

Copyright © 1996 by Jennifer Crusie

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Satz: Berger Grafikpartner, Köln

ISBN epub 978-3-86278-927-6

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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1. KAPITEL

Das Letzte, was Nina Askew brauchte, war Fred.

“Ich möchte einen Welpen”, erklärte sie der pummeligen Frau in brauner Uniform am Empfang von Riverbends Tierheim. “Irgendwas Niedliches.”

“Niedlich.” Die Frau seufzte und deutete auf die graue Metalltür am Tresenende. “Da durch und dann eine Treppe tiefer.”

Nina schob eine Strähne ihrer schwarzen, kinnlangen Locken hinters Ohr, klemmte sich ihre Handtasche unter den Arm und machte sich auf den Weg, sich das netteste Geburtstagsgeschenk auf vier Beinen auszusuchen. Was machte es schon, dass heute ihr vierzigster Geburtstag war? Vierzig war ein gutes Alter. Es bedeutete Freiheit. Ganz besonders Freiheit von ihrem ehrgeizigen Exmann und dem überteuerten Vorstadtschloss, das nach über einem Jahr nicht enden wollender Besichtigungstouren endlich einen neuen Besitzer gefunden hatte. Noch etwas Gutes: Sie war raus aus diesem Marmorpalast!

Und gleich würde sie ihren lang ersehnten Welpen bekommen. Seit Jahren wünschte sie sich einen quirligen kleinen Vierbeiner, wofür Guy überhaupt kein Verständnis aufbrachte.

“Hunde haaren”, lautete sein Kommentar, als sie einen Hund als gemeinsames Hochzeitsgeschenk vorschlug. Sie hätte wissen müssen, dass das ein böses Omen war. Aber nein, sie heiratete ihn trotzdem und zog in dieses Designermausoleum von Haus. Als Dank durfte sie fünfzehn Jahre lang die Karriere ihres Mannes mit aufbauen, ohne einen Hund in einem Haus, das sie zunehmend verabscheute. Sechzehn, wenn man dieses letzte Jahr in der Vorhölle frisch geschiedener Hausbesitzerinnen mitzählte. Doch heute besaß sie Freiheit, ein eigenes Apartment und einen wundervollen, wenn leider auch unsicheren Job. Das Einzige, was ihr zu ihrem Glück noch fehlte, war ein liebevolles Wesen, das sie abends zu Hause erwartete.

Am Ende eines langen, schmalen Gangs stieß die Tierpflegerin eine weitere schwere Eisentür auf. Sofort nahm das vorher nur leise Bellen ohrenbetäubende Ausmaße an. Aus einer Reihe trister grauer Metallkäfige, einem Zellenblock ähnlich, forderten Hunde aller Rassen lautstark ihre Aufmerksamkeit. Die stürmische Begrüßung riss Nina aus ihrer Versunkenheit. Das war ja der reinste Horror!

Vor dem vorletzten Käfig blieb die Frau stehen. “Die ‚niedliche’ Abteilung.”

Hinreißende Mischlingswelpen rangelten tollpatschig miteinander. Jetzt musste sie sich nur noch einen aussuchen …

Zufällig fiel ihr Blick in den letzten Zwinger. Nina erstarrte.

Eine unattraktive Mischung aus Beagle und Basset – viel zu groß für ihr Apartment und viel zu trübsinnig für ihren angeschlagenen Gemütszustand – starrte sie an, ohne zu bellen, ohne jede Regung.

Aus unerfindlichen Gründen erinnerte sie dieses melancholische Mini–Monster mit seinen riesigen Tränensäcken, den eingesunkenen Schultern und dem braunweiß gesprenkelten Fell an ihren Großonkel Fred.

“Na, mein Kleiner.” Der Hund hob kaum merklich den Kopf. Durch die Käfiggitter kraulte Nina ihm die Ohren. “Was ist los mit dir?”

Die Frau überprüfte die Karte an der Zwingertür. “Vielleicht ist er hellseherisch veranlagt. Heute ist sein letzter Tag.”

“Sie meinen …”

“Genau.” Sie fuhr mit der Handkante ihre Kehle entlang.

Nina sah den Hund an. Der Hund sah Nina an, den Tod in den Augen.

Hilfe! dachte sie. Sie konnte diesen Hund nicht gebrauchen! Er war zu groß! Er war zu alt! Er war zu depressiv! Selbst an seinem besten Tag sah dieser hässliche Bassetmischling aus wie ein professioneller Trauerkloß. Außerdem war er kein Welpe mehr.

Eine Entscheidung, die der Hund trübsinnig zur Kenntnis nahm. Als Nina einen Schritt zurücktrat, sank sein Kopf herab, bis die langen Ohren den Boden berührten. Resigniert fand er sich ab mit dem kalten, harten Betonboden, der Tatsache, dass niemand ihn liebte und der sicheren Erwartung des Todes im Morgengrauen.

Keine Frage: dieser Hund ahnte sein drohendes Schicksal.

Sie ertrug es nicht länger. “Ich nehme ihn.”

Der Frau stand vor Verblüffung der Mund offen. “Das verstehen Sie unter niedlich?”

“Ich könnte nie wieder ruhig schlafen, wenn ich wüsste, dass sein Leben in meinen Händen lag.” Nina ging in die Knie. “Es ist alles okay, Fred. Mach dir keine Sorgen.”

Fred hob seine schlaffen Augenlider. Sein Interesse hielt sich in Grenzen.

“Du musst nicht gleich übersprudeln vor Freude. Es war mir ein Vergnügen.” Nina folgte der Frau den Gang hinunter. An der Eisentür drehte sie sich um. Fred tappte nach vorn und schob seine Nase durch die Gitterstäbe. “Nur keine Panik, Fred. Sobald ich die Formalitäten erledigt habe, befreie ich dich aus diesem Kerker.”

Unbeeindruckt trottete Fred zurück in die Tiefen seines Gefängnisses.

“O ja, du wirst mich wirklich aufheitern.” Kopfschüttelnd machte sich Nina an die Unterzeichnung der nötigen Papiere.

Auch als sich rasselnd die Zwingertür öffnete, reagierte Fred eher gelassen auf den Umschwung der Ereignisse. “Du stinkst, Fred.” Ungeachtet ihres frisch gereinigten Seidenkostüms und trotz seiner unglaublichen Duftwolke drückte Nina ihren ebenso schwermütigen wie schwergewichtigen Vierbeiner an sich. “Und du wiegst eine Tonne.” Er war unförmig wie ein Sack Kartoffeln. Der Hauptteil seines Gewichts konzentrierte sich auf sein hinteres Ende, was ihm ein enormes Gefälle verlieh. “Ich habe dir das Leben gerettet, Fred”, flüsterte Nina ihm ins Ohr. Leicht zuckte er zusammen, ansonsten ließ seine Begeisterung erheblich zu wünschen übrig.

Wahrscheinlich war er es einfach nicht gewohnt, wie ein sperriges Paket behandelt zu werden. “Eigentlich hatte ich vor, mir einen Welpen anzuschaffen”, keuchte Nina, balancierte ihn unbeholfen auf einer Hüfte und stieß mit der anderen die Tür ihres weißen Kleinwagens auf. “Eine Mischung aus Basset, Beagle und Bleifass war nicht eingeplant.” Wenig elegant wuchtete sie ihn auf den Sitz, schlug die Tür zu und lehnte sich erschöpft an den Wagen. Drinnen putzte Fred seine feuchte Nase am Seitenfenster ab.

“Sehr schön, Fred! Fühl dich ganz wie zu Hause!”

Kaum saß sie hinter dem Steuer, sprang Fred in Erwartung einer Spazierfahrt am Fenster hoch und verlängerte seine Schmierspur quer über die Scheibe. Nina dachte mit Wehmut an die quirligen Welpen. “Fred, du machst mich krank!” Ob es half, wenn sie das Beifahrerfenster öffnete? “Spring bloß nicht raus. Dein Leben hat gerade einen drastischen Aufschwung genommen!”

Beim Klang ihrer Stimme drehte Fred den Kopf. Er war wirklich ein süßer Hund. Natürlich überschlug er sich nicht vor Begeisterung. In seiner Situation wäre sie ebenfalls vorsichtig. Womöglich hatte er in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht. Es spielte keine Rolle. Wichtig war, dass er Liebe brauchte. Jeder brauchte Liebe. Selbst sie. Und jetzt hatte sie Fred.

Fred.

Nina schloss die Augen. Sogar ihre beste Freundin würde sie für verrückt erklären. “Du hast was gekauft?” würde Charity fragen. Bei einem Blick auf Fred – depressiv, altersschwach und müde – würde sie … Nina sah in Freds seelenvolle braune Augen und schämte sich. “Es ist okay, Fred.” Sie tätschelte seinen Kopf. “Jetzt bist du mein Hund. Sollen die anderen ruhig reden.”

Anscheinend sah Fred das ähnlich. Nach einer eindringlichen Musterung seiner neuen Besitzerin stürzte er sich schwanzwedelnd auf sie und leckte ihr das Gesicht vom Kinn bis zur Stirn ab.

“Oh, Fred!” Nina brach in Tränen aus. Obwohl er sich nach Kräften wehrte, umarmte sie ihn. Sie war ja so froh, wieder jemanden in ihrem Leben zu haben. Selbst wenn dieser Jemand vier Beine besaß und unaussprechliche Gerüche verströmte. “Wir werden so glücklich zusammen sein, Fred”, schluchzte sie und weinte sich ihren angestauten Frust von der Seele. Fred leckte ihr die Tränen vom Gesicht, was gleich eine neue Tränenflut auslöste. So gut hatte Nina sich seit Wochen nicht gefühlt.

Ein letztes Mal schniefte sie, dann ließ sie Fred los, damit sie ihm sein neues Zuhause zeigen und Tante Charity zu einem Kennenlernbesuch einladen konnte.

“Du hast jetzt Familie, Fred! Komm, fahren wir nach Hause.”

Alex Moore lag auf der schmalen Liege in einem leeren Untersuchungszimmer der Ambulanz des Riverbend General Hospitals und genoss eine wohlverdiente Pause, ehe der nächste Notfall sein Können forderte.

Schwungvoll landete eine braune Papiertüte auf seinem Bauch.

“Hey!” Wer war das? Max natürlich! Wer sonst? Schmerz in Verbindung mit seiner Chaosfamilie war für Alex nichts Neues. “Ich schlafe. Geh weg. Nimm, was immer du auch anschleppst, wieder mit, bevor dich jemand erwischt.”

“Würdest du nicht die halbe Nacht jedem wippenden Rocksaum hinterher jagen, wärst du tagsüber nicht so griesgrämig.” Max zog einen Sechserpack Bier aus der Tüte, befreite eine Dose von der Plastikummantelung, stellte die fünf übrigen wieder auf Alex’ Bauch und ließ sich auf einen orangefarbenen Plastikstuhl fallen.

Das Quietschen der Stuhlbeine auf dem Linoleum schreckte Alex auf. Geradewegs blickte er auf Max’ violettes Seidenhemd, dessen Farbton sich heftig mit dem Grasgrün der Wand biss. “Zu deiner Information, Bruderherz: Mein gestriges Vergnügen erschöpfte sich in einem Dinner mit Debbie. Zur Unterhaltung hielt sie einen stundenlangen Vortrag über die Freuden der Vaterschaft. Anschließend brachte ich sie nach Hause.”

“Muss an deinem jungenhaften Sonnyboy-Look liegen. Du hast ‚netter Kerl’ förmlich auf die Stirn geschrieben. Ich dagegen, ich sehe aus wie eine Ratte.”

“Stimmt. Tust du. Verschwinde, du Ratte.” Alex schloss die Augen in der vagen Hoffnung, Max würde den zarten Wink verstehen.

Fehlanzeige. “Natürlich ist ein Imagewechsel für dich längst zu spät, da dir dein Ruf meilenweit vorauseilt. Wieso hast du nicht einfach das Thema gewechselt? ‚Da wir gerade von Kindern sprechen, Debbie, wie wärs mit ein paar Probeläufen?’ “

Flüchtig dachte Alex an drastischere Maßnahmen, um Max und sein pseudointellektuelles Geschwafel endlich loszuwerden, entschloss sich aber dagegen. Er mochte Max. Bei seinen Familienverhältnissen war ein Verwandter, den er gerne sah, eine absolute Rarität. “Weil Debbie wie alle Frauen weit und breit laut und vernehmlich ihre biologische Uhr ticken hört, begleitet vom fernen Geläut der Hochzeitsglocken. Eine Sekunde Unachtsamkeit, und schon sitzt du in der Falle.”

Ungerührt nippte Max an seinem Bier. “Die Macht des Schicksals. Alle Frauen wollen einen Arzt heiraten.”

Alex öffnete ein Auge und übersah geflissentlich das schrille Farbarrangement. “Du bist Arzt. Wieso kommst du ungeschoren davon?”

“Weil ich prinzipiell nie öfter als zweimal mit einer Frau ausgehe. Das verhindert das Aufkommen kritischer Themen.”

“Sehr reif von dir, Max.” Alex schloss sein Auge wieder. “Jetzt verzieh dich. Ausnahmsweise gibt es da draußen nämlich mal keine Katastrophen.”

Zu früh gefreut. “Heute ist dein letzter Tag als lebenslustiger Twen. Wie fühlt man sich kurz vor Toresschluss?”

“Sag du es mir. Du bist derjenige, der stark auf die Vierzig zugeht.”

“Sechsunddreißig, wenn ich bitten darf”, verbesserte Max würdevoll. “Außerdem verlierst du deine Haare vor mir. An deiner Denkerstirn zeigen sich schon die ersten Geheimratsecken. Das sehe ich von hier aus.” Scheppernd landete die leere Bierdose im Abfalleimer.

“Sag mir, dass du keine Visite mehr machen musst.”

“Vor einer Stunde beendet.” Max verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lümmelte sich auf dem unbequemen Stuhl. “Alles bereit für morgen?”

“Es ist mein Geburtstag.” Alex’ Geduld näherte sich rapide ihrem Ende. “Nichts, wofür ich mich besonders vorbereiten müsste. Andere Leute müssen sich darauf vorbereiten. Du zum Beispiel. Geh, und kauf mir ein kostspieliges Geschenk. Du scheffelst schließlich hier das große Geld.”

“Weißt du auch, wieso?”

Seelenruhig präsentierte er Max seinen Rücken.

Geistesgegenwärtig fing Max den Fünferpack Bier auf. “Weich der Realität ruhig aus, wenn du das für nötig hältst, aber vergeude nicht dieses kostbare Nass!”

“Ich weiche nicht der Realität aus. Ich weiche dir aus.”

“Ich bin die Realität, Kumpel.” Erst schrammten vier Stuhlbeine, dann landeten die Dosen mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. “Gerade bin ich unserem Dad über den Weg gelaufen. Pflichtdinner morgen Punkt sieben im ‚Levee’.”

Ein Stöhnen. “Warum hast du nicht gesagt, ich sei tot?”

“Er ist Arzt. Sobald du dich durch die Korridore schleichst, wäre ich der Lüge überführt.”

Alex starrte an die fleckige Decke. “Du hättest ihm sagen können, ich sei krank. Diagnose: irgendwas Hässliches und hochgradig Ansteckendes.”

“Irgendwelche Vorschläge? Vielleicht eine Pilzinfektion in der Scheide?” Max war Gynäkologe.

“Wäre es ihm aufgefallen?”

“Er hatte Dienst, also war er nüchtern.”

“Großartig! Genau das, was ich mir für meinen Geburtstag wünsche – ich darf meinen volltrunkenen alten Herrn um Mitternacht in ein Taxi verfrachten.”

“Darum habe ich mich gekümmert. Ich sagte ihm, wir hätten Pläne ab neun Uhr. Er verstand.”

“Jetzt muss ich ihn schon um neun in ein Taxi verfrachten. Vielen Dank.”

“Es wird noch schlimmer. Deine Mutter kommt morgen in die Stadt.”

Alex setzte sich auf. “Alice fliegt zu meinem Geburtstag her?” Hoffentlich wollte sie keine neu entdeckten Muttergefühle an ihm austoben!

“Nein. Sie fliegt her für ein eintägiges Seminar über die neueste Lasertechnologie. Dass du gerade Geburtstag hast, traf sich eher zufällig. Zwölf Uhr im Hilton. Komm rechtzeitig, um eins hält sie ihre Rede.”

“Meine Mutter.” Alex blickte an Zimmerdecke. “Eine ganze Stunde mit meiner Mutter.”

“Oh, du hast auch eine Stunde mit meiner Mutter”, meinte Max unbekümmert. “Drinks um vier, nach der letzten Operation. Übe dich in Geduld.”

“Eine Stunde mit deiner Mutter ertrage ich gerade noch.”

“Hat Stella schon angerufen?”

“Gemeinsames Frühstück vor ihrer Visite.”

“Glaubst du, sie erledigt alles mit den ersten Sonnenstrahlen, weil sie die Älteste von uns ist?”

“Nein, das macht sie aus purem Sadismus. Obwohl Stella meine Lieblingsverwandte ist.”

“Hey!” Max rappelte sich aus seiner liegenden Haltung hoch. “Wer hat dir denn hier einen ganzen Abend in Gesellschaft unseres alten Herrn inklusive einer Rechtfertigung deiner mangelnden Berufsaussichten erspart?”

“Ich habe einen aussichtsreichen Beruf”, erklärte Alex zum millionsten Mal. “Ich bin Arzt.”

“Leider im falschen Fachgebiet, mein Junge. Für den Moore-Clan musst du schon was Hochkarätigeres vorweisen. Sie haben mich geschaffen, jetzt werden sie dich schaffen. Kardiologe, Onkologe, Gynäkologe …”

Eine dunkelhaarige Krankenschwester steckte den Kopf durch den Türspalt. “Alex, wir brauchen dich. Ein Verkehrsunfall.” Ebenso schnell verschwand sie wieder.

“Heißen Dank, Bruderherz. Hättest du mich nicht mit deiner Anwesenheit beglückt, hätte ich ganze fünfzehn Minuten in Bewusstlosigkeit schwelgen können.”

“Das ist ein weiterer Punkt”, kehrte Max zum Thema zurück. “Wärst du kein Notfallmediziner, hätte sie dich Dr. Moore genannt.”

Wieder öffnete die Schwester die Tür. “Alex, mach endlich! Oh, hi, Max. Hab dich vorhin gar nicht gesehen.” Sie runzelte die Stirn. “Schaff sofort das Bier weg!”

“Hi, Zandy.” Max hob grüßend die Dose. “Gut schaust du aus.”

Eine bezeichnende Geste, und fort war sie.

“Der Respekt, den sie dir gegenüber aufbringt, ist Ehrfurcht gebietend.” Alex grinste. “Muss daran liegen, dass du kein Notfallmediziner bist.”

“Ich bin einmal mit ihr ausgegangen.”

“Das erklärt alles.” Alex schwang die Beine von der Liege. “Aus dem Weg! Die Pflicht ruft!”

“Vergiss morgen nicht”, rief Max ihm nach. “Familientag. Der gesamte Moore-Clan.”

“Richtig”, knurrte Alex leise vor sich hin und überholte Zandy auf dem Weg zum OP. “Dr. Moore und Dr. Moore und Dr. Moore und Dr. Moore und Dr. Moore.”

“Lass mich raten: dein Vater hackt wieder auf dem schwarzen Schaf der Dynastie herum?” Zandy hüpfte ein paarmal, um sich seinen langen Beinen anzupassen. Kein leichtes Unterfangen, da Alex sie um Haupteslänge überragte.

Ihr zuliebe verlangsamte er sein Tempo. “Bingo.”

“Tus nicht.”

“Nein?”

“Nein. Du brauchst die Ambulanz. Und die Ambulanz braucht dich. Ignorier sie. Es sind alles prestigesüchtige Zombies.”

Alex lachte auf. “Selbst Max?”

“Max ist ein Affe.”

Sirenengeheul unterbrach sie. Sobald sich die automatische Tür öffnete, vergaß Alex Zandy, Max und die gesamte Moore-Familie und machte sich daran, das zu tun, was er am besten konnte: Leben retten.

“Du hast dir was angeschafft?” Fassungslos besah sich Charity Ninas Neuerwerb.

“Charity, das ist nicht einfach irgendein Hund!” Wieso hegte sie dann immer noch leise Zweifel, ob die Fahrt zum Tierheim wirklich eine so gute Idee gewesen war? Charity würde sich nie einen Hund zur Seelenmassage anschaffen. Sie würde sich in ihrer Boutique den aufreizendsten roten Ledermini aussuchen, ihre lange rote Lockenmähne mit einem schwarzen Seidenstrumpf hochbinden und sich auf die Jagd nach einem neuen Mann machen. Zumindest hatte sie das das letzte Mal getan, als wieder eine ihrer Beziehungen in die Brüche gegangen war, bevor sie Sean gefunden hatte, ihre erste wahre Liebe. Tatsächlich war Sean ihre zwölfte wahre Liebe, aber wer zählte schon?

Da sich Ninas Chancen auf einen roten Ledermini gegen Null bewegten, widmete sie ihre Aufmerksamkeit lieber Fred, der wie ein Koloss auf dem Parkettboden hockte und sie verwirrend ehrfurchtsvoll anhimmelte. Fred war bei weitem besser als jeder Ledermini! Er mochte ihr zwar nicht zu einem neuen Mann verhelfen, aber er schenkte ihr bedingungslose Liebe!

Für Charity ein schlechter Tausch. “Du verkaufst diese Luxusvilla in Lehigh Terrace und vergräbst dich im zweiten Stock dieser viktorianischen Bruchbude – wo ‚Aufzug’ ein Fremdwort ist …”

“Würdest du nicht auf halsbrecherisch hohen Absätzen durch die Gegend stöckeln, wären zwei Treppen kein Problem”, murmelte Nina.

“… als sei das nicht schlimm genug, legst du dir auch noch einen Hund zu! Das ist doch ein Hund, oder?”

Fred erhob sich schwerfällig, präsentierte ihr seine wenig attraktive Kehrseite und watschelte mit einem majestätischen Powackeln zu Ninas Birkenfeige, die er neugierig beschnüffelte.

“Charity, ich brauche Fred. Ich fühle mich jetzt schon besser. Er besitzt Charakter.”

Charity nickte. “Genau das rieche ich – seinen Charakter.”

“Sollte ich ihn etwa sofort in die Wanne stecken? Der Ärmste bekäme ja einen Schock fürs Leben. Erst einmal muss er sich in Ruhe in seinem neuen Heim umsehen.”

“Wie lange ist er hier? Eine Stunde? Dann hat er alles gesehen.” Charitys ausholende Geste umfasste das ganze Apartment. “Wie konntest du nur deine Luxusvilla eintauschen gegen …”

“Es war nicht meine Luxusvilla, es war Guys Luxusvilla.” Der Sonnenschein fiel durch die hohen Sprossenfenster auf liebevoll restaurierten Parkettboden, dunkle Eichenpaneele, einen kostbaren Orientteppich und die urgemütliche rubinrote Couch vor dem Kamin. Gleich auf Anhieb hatte Nina sich in dieses Haus verliebt. Nach nur einem Monat fühlte sie sich hier heimischer als nach fünfzehn Jahren in Guys protzigem Palast. Beim Gedanken an ihren Exmann schüttelte sie den Kopf. “Wir hätten niemals heiraten dürfen. Ich wollte nie dieses Haus in Lehigh Terrace. Er wollte nie einen Hund.”

Ihre neu erstandene Promenadenmischung setzte seinen Erkundungsgang fort und beschnupperte ausgiebig die Couch. Schon seit seiner Ankunft zeigte er daran Interesse. Nun siegte die Neugier. Freds Flanken zitterten vor Anspannung. In einem mächtigen Satz katapultierte er sich auf die Polster. Einen Augenblick hing er an der Sofakante, ein Triumph der Hoffnung über die Anatomie, nur um der Macht der Schwerkraft folgend im Zeitlupentempo wieder auf den Boden zu rutschen, wo er mit einem leisen Plumps landete.

In Anbetracht der Umstände nahm er sein Versagen ziemlich gelassen hin.

“Sehr sportliche Kreatur”, spottete Charity. “Fortan willst du Django also Nacht für Nacht mehrmals zum den nächsten Baum tragen, ja? Und was ist tagsüber? Du hast noch eine kleine Nebenbeschäftigung, schon vergessen? Jessica rastet aus, wenn du diesen Ausbund an Hässlichkeit mit ins Büro bringst!”

Nina seufzte. “Wo wir gerade von Jessica sprechen – du solltest das Werk ihres neuesten Schützlings lesen. Eine Katastrophe!”

“Will sie diesen Verlag in den Bankrott treiben? Überrede sie zu ein bisschen Pep.”

“Jessica macht nur genau das, was ihr Vater vor ihr gemacht hat.” Fred trottete auf sie zu. Die Couch-Demütigung war vergessen. “Eine Tradition aufrechterhalten.”

“Aufrecht? Du meinst wohl geradewegs den Bach hinunter!”

Nina verzog das Gesicht. “Danke für den moralischen Beistand. Der Verlag macht dicht, ich kann mir einen neuen Job suchen, und Jessica wird sich umbringen. Wenn ich bloß einen Ausweg wüsste! Kein Wunder, dass ich so deprimiert bin. Hinzu kommt dieses große, leere Apartment. Glaub mir, ich liebe meine neue Freiheit, aber abends komme ich niedergeschlagen nach Hause, und hier erwartet mich nur grenzenlose Einsamkeit. Ich brauchte einfach etwas, das mich aufheitert.” Sie atmete tief durch. “Und das ist Fred. Allein seine bloße Anwesenheit muntert mich auf.”

Wie um ihre Worte zu verspotten, vergrub Fred gähnend die Nasenspitze zwischen den Vorderpfoten.

“Ja, das sehe ich. Putzmunteres kleines Kerlchen, dein Fred”, bemerkte Charity trocken.

Nina ignorierte die Freundin. “Was das Gassi gehen betrifft, habe ich bereits einen Plan. Komm her.” Am großen Fenster neben der Couch blieb sie stehen, schob den schweren, alten Fensterrahmen hoch und deutete nach draußen. “Die Feuerleiter verläuft direkt neben dem Fenster. Der Hinterhof ist eingezäunt, das Tor stets geschlossen. Somit werde ich Fred ein wenig trainieren. Ist das nicht eine grandiose Idee?”

Charity nickte und tätschelte ihr den Arm. “Grandios, Nina. Wirklich grandios.”

“Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.” Verbissen reckte Nina das Kinn vor. “Verglichen mit meinem oberflächlichen High-Society-Leben als dekoratives Anhängsel von Mr. Staranwalt geht es mir heute blendend. Es ist nur so … heute werde ich vierzig. Angeblich die Blüte meiner Jahre – die Zeit, wo das Leben erst richtig beginnt. Ich kenne all die einschlägigen Artikel, aber ich bin vierzig, Charity, ich bin allein, darum habe ich mir Fred angeschafft …”

“Ich verstehe dich ja.” Tröstend drückte Charity die Freundin. “Zu welcher Rasse gehört dieses Urviech eigentlich?”

“Teils Basset, teils Beagle, teils manisch-depressiv. Fred, könntest du dich bitte aus deinem Stimmungstief reißen? Sieh doch nur, in was für einer tollen Umgebung du gelandet bist.”

“Ja, und das Beste kommt erst noch.” Charity verbiss sich ein Grinsen. “Warte, bis du die Feuerleiter siehst, die sie für dich hat.”

Unbeeindruckt trottete Fred durch den Türbogen in die angrenzende Küche. Leise klickten seine Zehen auf dem Parkett.

“Darf ich dich um einen winzigkleinen Gefallen bitten? Könntest du Fred babysitten, während ich eine Leine und Futter besorge? Ich würde ihn ja mitnehmen, aber er steckt mit Vorliebe den Kopf aus dem Autofenster. Dann bläst ihm der Wind in die Nase, er niest, und die ganze Bescherung fliegt durch den Fahrtwind zurück ins Auto.” Liebevoll sah Nina ihrem vierbeinigen Neuerwerb nach. “Es ist widerwärtig.”

“Kann ich mir lebhaft vorstellen.” Charity griff nach ihrer violetten Wildlederjacke. “Nein, ich werde diese Kreatur nicht für dich babysitten. So wie er aussieht, gibt er jeden Moment den Löffel ab. Ich möchte nicht verantwortlich sein, wenn er sich in selbstmörderischer Absicht von der Feuerleiter stürzt. Sag mal, gibt es auch Aufputschmittel für Hunde?”

“Betrachte es philosophisch. Stille Wasser sind tief.” Nach einigem Suchen machte Nina einen Notizblock ausfindig. “Hinter Freds Denkerstirn verbergen sich die tiefsinnigsten Gedanken.”

Einen Kommentar dazu ersparte sich Charity. “Wo du schon bei deiner Einkaufsliste bist, schreib auch Amaretto und Eiscreme mit auf.”

“Oje! Auch Sean?” fragte Nina, der nichts Gutes schwante.

“Ja, auch Sean. Wie kann ich nur in einer Stadt voller Männer leben und immer Nieten ziehen?”

Nina zermarterte sich den Kopf nach einer tröstlichen Bemerkung. “Es sind nicht alles Nieten.”

“Ach, tatsächlich?” Charity verschränkte die Arme vor ihrem beeindruckenden Busen. “Nenn mir einen, der es nicht war.”

Erfolglos durchforstete sie ihr Gedächtnis. “Natürlich kannte ich nicht alle von ihnen …”

“Zwölf von ihnen”, stellte Charity richtig. “Zwölf bedeutsame Männer in zweiundzwanzig Jahren und nicht ein Siegertyp dabei!”

“Bist du sicher, dass es vorbei ist? Vielleicht braucht Sean einfach Abstand, weil es mit euch beiden langsam ernst wurde. Vielleicht …”

“Ich habe ihn mit seiner Sekretärin im Bett erwischt. Ich bezweifle, dass sie ein Diktat aufgenommen hat. Zumindest nicht mit dem, was sie in der Hand hielt.”

“Oh.” In dem Fall schrieb Charity besser auch gleich Schokoladensirup mit auf ihre Liste. Kalorienhaltige Milchshakes mochten nicht die gesündeste Art zur Bewältigung einer Lebenskrise sein, aber sie waren mit Sicherheit die angenehmste.

Autor

Jennifer Crusie
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