Eine Rose für den Major

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Ohne Adam wäre sie nicht mehr hier, das spürt Rose genau. In seinen Armen fühlt sie sich sicher, auch wenn sie jede Erinnerung verloren hat. Doch als bei dem heißen Kuss ihres Helden ihr Gedächtnis endlich erwacht, erkennt sie verzweifelt: Ihre Liebe ist nicht standesgemäß - sie können niemals glücklich werden!


  • Erscheinungstag 03.04.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505819
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

19. Juni 1815, Schlachtfeld von Waterloo

Die Zweige der Wildrose zerrten an ihr, als sie sich rückwärts bewegte. Boshaft stachen die Dornen. Der Schmerz war echt. Also war dies alles wohl echt.

Oder war alles nur ein böser Traum?

Der anhaltende Schrei in ihrem Kopf machte ihr das Denken beinahe unmöglich. Wenn es doch endlich aufhören würde! Es quälte sie, seit sie Gerald gefunden hatte. Besser gesagt: das, was von Gerald übrig war. Auf den ersten Blick schien er unverletzt gewesen zu sein. Doch dann hatte sie seine Schulter gepackt und ihn umgedreht.

Der Schrei im Kopf schmerzte mehr als die Dornen. Sie wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, es zum Schweigen zu bringen. Dann würde sie wieder klar denken können. Dann würde sie wissen, was sie unternehmen sollte wegen …

Sie versuchte, sich zu bewegen. Es war unmöglich. Die Dornen hielten sie umklammert, Schmerz und Angst hatten sie fest im Griff.

Ihr Blick glitt über den Wildrosenbusch und über die Gestalten, die sich ihr vom schlammigen, durch Granateinschläge aufgewühlten Feld näherten. Eine Landschaft wie aus einer Gruselgeschichte. Aber es gab sie wirklich.

Wahrscheinlich befinde ich mich in der Hölle. Und das da vorn sind Dämonen.

Die dämonischen Gestalten lachten. Es waren vier. Blutverschmiert, dreckig und zerlumpt machten sie Jagd auf sie. Ihre bösen Augen verrieten, was sie vorhatten.

Ja, sie wusste genau, was die vier wollten! Zwar erinnerte sie sich weder an ihren eigenen Namen noch daran, warum sie hier war inmitten des Grauens. Aber sie wusste, was sie erwartete, und es erfüllte sie mit Angst.

Weg mit euch! Hilfe! Jemand muss mir helfen!

Aber da war niemand außer den Dämonen.

Plötzlich jedoch entdeckte sie eine weitere Gestalt. Ein Mann bahnte sich einen Weg durch das Dickicht am Rande des Felds. Blutverschmiert auch er. Groß war er, und er hielt einen Degen in der einen und eine Pistole in der anderen Hand. Er brüllte die Dämonen an.

Der Teufel!

Die Dämonen gingen auf ihn los.

Er erschoss den ersten.

Zitternd vor Angst schloss sie die Augen. Noch hörte sie das Gebrüll der Dämonen. Dann blieb nur der Schrei in ihrem Kopf.

Ich habe gesündigt und erhalte nun meine Strafe.

„Öffnen Sie die Augen! Schauen Sie mich an! Sie sind in Sicherheit. Die Männer sind fort.“ Flint warf einen Blick auf den blutigen Degen, ehe er ihn in die Scheide schob. Ich habe getan, was ich musste. Ich habe die Marodeure getötet. Erneut wandte er seine Aufmerksamkeit der Frau zu. „Sehen Sie mich an!“

Sie war groß und schlank. In ihrem zerrissenen Kleid hatten sich Rosenblätter verfangen. Ein paar hingen auch in ihrem nassen braunen Haar, das wirr das blasse Gesicht umrahmte. Ihr Atem ging viel zu schnell. Sie hatte schreckliche Angst.

In ihrer Furcht hatte sie sich die Unterlippe blutig gebissen. Der Anblick weckte Gefühle in Flint, die er nicht zulassen wollte. Nicht zulassen durfte.

„Ich befreie Sie jetzt von den Dornenzweigen“, sagte er. Die Arbeit bescherte ihm blutige Fingerkuppen. Doch nach den drei grausamen Tagen auf dem Schlachtfeld war es ein beinahe willkommener Schmerz. Ich lebe noch.

Die Frau rührte sich nicht, sondern blieb leicht schwankend stehen, als er sie befreit hatte. Vorsichtig berührte er mit dem Finger ihre bleiche Wange. Sie zuckte zusammen und öffnete endlich die Augen. Ihre Pupillen waren so riesig, dass Flint die Farbe der Augen nicht erkennen konnte.

„Wie heißen Sie?“, fragte er. „Mein Name ist Flint.“

Keine Reaktion.

„Quel est votre nom?“, versuchte er es auf Französisch.

Nichts.

„Ich bin Major Adam Flint. Sind Sie verletzt?“ Er wusste, dass sie nicht vergewaltigt worden war. Das hatte er verhindern können. Er hatte das Lachen der Männer gehört und es sogleich richtig gedeutet. Oh ja, er kannte dieses Lachen. Es war typisch für Soldaten, die eine Schlacht überlebt, aber ihre Moral verloren hatten. Sie nahmen sich, was sie bekommen konnten: Frauen, Mädchen, Kinder … Nicht immer war er rechtzeitig gekommen, um das Schlimmste zu verhindern.

Die Unbekannte war wie erstarrt. Dabei hatte sie vermutlich schon mehr als ein Schlachtfeld gesehen. Sie musste zu den Frauen gehören, die dem Heer folgten. Eine Marketenderin oder die Geliebte irgendeines Soldaten. Er konnte sie hier nicht zurücklassen. Denn auch wenn sie einen Mann oder einen Liebhaber hatte, der noch lebte, würde der sie nicht finden. Andere würden sie finden. Männer wie die vier, die er gerade getötet hatte. Entschlossen legte er ihr einen Arm um die Schultern und schob den anderen unter ihre Knie. So hob er sie hoch. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Verflixt, die Degenwunde, die ein Franzose ihm zugefügt hatte! Sie hatte wohl wieder zu bluten begonnen. Aber das war jetzt egal.

Die Frau schlang ihm die Arme um den Nacken.

Er trug sie über das Schlachtfeld dorthin, wo seine Männer auf ihn warteten. Sie war nicht besonders schwer. Schlank, ohne knochig zu wirken, wohlgerundet, aber nicht drall. Sie war weiblich, sehr weiblich. Und zu jeder anderen Zeit an einem anderen Ort hätte er es genossen, ihren Körper an seinem zu spüren.

Seine Männer warteten, wie er befohlen hatte, bei dem Munitionswagen, den sie am Morgen notdürftig repariert hatten. Keiner von ihnen ließ sich die Überraschung darüber anmerken, dass Flint eine Frau mitbrachte.

„Haben Sie Jakes gefunden, Major?“, fragte Sergeant Hawkins.

„Er ist tot. Ich habe ihn begraben.“ Tatsächlich hatte er den Leichnam nur dünn mit Erde bedeckt, nachdem er ihn in ein von einer Granate gerissenes Loch gelegt hatte. Das musste genügen, um Leichenfledderer fernzuhalten.

Flüche wurden gemurmelt. Dann sagte Hawkins: „Wir können also los.“ Jetzt erst musterte er die Frau. „Keine von unseren.“

Flint nickte. Er wusste, dass die Frauen, die zu seinen Männern gehörten, in dem kleinen Weiler Roosbos zurückgeblieben waren. Dort hatte es keine Kämpfe gegeben. Sie befanden sich also in Sicherheit.

Rasch zählte er seine Soldaten. Mit ihm selbst waren es dreizehn. Er unterdrückte ein Seufzen. Die meisten seiner Leute waren bereits unterwegs nach Brüssel. Die Verwundeten würde man in ein Lazarett oder ein Kloster bringen. Die noch Kampftauglichen hatten den Befehl, sich im Hauptquartier zu melden. Die Toten waren begraben worden

„Was ist mit ihr?“, erkundigte sich Hawkins, dem die Regungslosigkeit der Frau aufgefallen war.

„Verwundet scheint sie nicht zu sein. Aber sie spricht nicht. Als ich sie fand, wurde sie von vier Deserteuren bedroht.“

Hawkins hob fragend die Brauen. Jeder Soldat wusste, was mit Frauen geschah, die von Marodeuren überrascht wurden.

„Ich kam gerade noch rechtzeitig“, sagte Flint.

„Gut“, murmelte einer der Verwundeten.

Und ein anderer meinte: „Ob Sie sie wohl schneller wieder loswerden, Major, als das letzte Lebewesen, das Sie aufgegabelt haben?“

Ein paar der Männer lachten. Alle kannten den riesigen struppigen Hund, den der Major vor einiger Zeit gefunden hatte und der ihm seitdem auf Schritt und Tritt folgte. Flint hatte ihn in Roosbos an einen Baum gebunden, um ihn vom Schlachtfeld fernzuhalten.

Ich hoffe, Dog hat alles unbeschadet überstanden, dachte er. Dann schalt er sich einen sentimentalen Dummkopf.

Hawkins’ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Llewellyn und Hodge können laufen“, erklärte der Sergeant. „Aber was machen wir mit der Frau?“

Der Major musterte die Männer, die sich auf dem Wagen befanden. Drei waren so schwer verwundet, dass sie mit geschlossenen Augen auf dem Boden lagen. Die anderen saßen dicht an dicht.

„Potts“, sagte Flint, „Sie können auf meinem Pferd reiten. Ich gehe zu Fuß.“

Gehorsam kletterte Potts vom Wagen. Doch als Flint die Frau auf den frei gewordenen Platz setzen wollte, klammerte sie sich an ihn und begann wieder zu zittern.

Woher nimmt ein so zerbrechliches, hilfloses Wesen diese Kraft?

„Es sind gute Männer“, versuchte er sie zu beruhigen, „auch wenn sie im Moment etwas wild aussehen.“

„Sie ist halb verrückt vor Angst, Major“, bemerkte einer der Soldaten. „Ich glaube, das Blut erschreckt sie. Oder vielleicht Jimmy … Wir haben für ihn getan, was wir konnten. Aber er ist kein Anblick für eine junge Frau.“

Jimmy lag bewusstlos auf dem Boden des Wagens. Und man konnte ihm nur wünschen, dass er diese Welt verließ, ohne noch einmal aufzuwachen.

„Gehen Sie wieder auf Ihren Platz, Potts“, befahl Flint. „Ich nehme die Frau vor mich aufs Pferd. Wir müssen aufbrechen.“ Die Verwundeten brauchten frische Verbände und einen Platz zum Ausruhen. Für Jimmy allerdings würde jede Hilfe zu spät kommen. Doch immerhin musste er nicht allein auf dem Schlachtfeld zurückbleiben. Randall’s Rogues – das war der Spitzname der draufgängerischen Soldaten, die unter Colonel Randall dienten – ließen nie einen Kameraden im Stich.

Hawkins griff nach dem Zaumzeug des klapprigen Gauls, der vor den Wagen gespannt war, und zog das Tier vorwärts.

Flint rief nach seinem eigenen Pferd. Old Nick war ein riesiger schwarzer Hengst, der sich seit Spanien in seinem Besitz befand. Das für den Krieg ausgebildete Tier fürchtete sich vor nichts und niemandem, brachte aber auch niemandem Sympathie entgegen. Es biss und trat, wann immer sich die Gelegenheit ergab.

Widerwillig ließ es sich zu einem umgestürzten Wagen führen, den Flint wie eine Leiter benutzte, um in den Sattel zu steigen und die Frau vor sich zu platzieren. „Los jetzt!“, befahl er.

Bis Brüssel waren es ungefähr zwölf Meilen. Gesunde Männer konnten die Entfernung auf einer akzeptablen Straße innerhalb einiger Stunden zurücklegen. Doch eine solche Straße gab es nicht. Außerdem waren sowohl die Pferde als auch die Männer unglaublich erschöpft.

Aber wir werden es schaffen, dachte Flint. Es beruhigte ihn ein wenig, dass die meisten Überlebenden seiner Kompanie sich bereits in Brüssel befanden. Auch Colonel Randall, sein Vorgesetzter, würde dort sein. Zwar hatte er von Randall seit dem vergangenen Tag nichts mehr gehört, aber er war sicher, dass er es irgendwie erfahren hätte, wenn der Feind den Colonel verwundet oder gar getötet hätte. Das Gleiche galt auch für Bartlett, den wildesten der Rogues, der das Talent besaß, überall eine willige Frau, ein gutes Fässchen Wein und etwas Anständiges zu essen aus dem Hut zu zaubern.

Randall und Bartlett, das waren zwei Offiziere und Gentlemen … Ein Offizier war er selbst natürlich auch, allerdings ganz und gar kein Gentleman. Das war die unabänderliche Folge seiner unehelichen Geburt.

Nun, immerhin lebte er noch. Der junge Gideon hingegen war bei Quatre Bras gefallen. Aber er wollte jetzt nicht an seinen toten Halbbruder denken. Er hatte mehr als genug damit zu tun, sich um die Lebenden zu kümmern.

„Wie heißen Sie?“, fragte er die von ihm gerettete Frau noch einmal.

Sie reagierte nicht.

Er versuchte es mit Französisch, Flämisch und Deutsch.

Nichts.

Ein paar der Rosenblätter lösten sich aus ihrem Haar und wurden vom Wind davongetragen. Flint seufzte. „Also gut, ich werde Sie Rose nennen.“

Sie kamen nur langsam vorwärts, was einerseits an den beiden Verwundeten lag, die zu Fuß gehen mussten, und andererseits daran, dass das vor den Wagen gespannte Pferd alt und erschöpft war. Tatsächlich grenzte es an ein Wunder, dass Hawkins überhaupt ein Tier aufgetrieben hatte, das in der Lage war, einen Wagen zu ziehen. Flint hegte den Verdacht, dass der Sergeant es einem Bauern gestohlen hatte. Die Vorstellung gefiel ihm nicht. Noch weniger allerdings gefiel ihm die Vorstellung, dass er die Verwundeten nicht vom Schlachtfeld hätte fortbringen können.

Inzwischen waren sie auf andere Fußsoldaten gestoßen, die Richtung Brüssel marschierten, und auch auf andere Gefährte, die sich durch hohes Gras und Schlamm quälten. Von allen Seiten war das Stöhnen der Verwundeten zu hören. Manche schrien vor Schmerz, wenn der Karren, mit dem man sie transportierte, durch ein Loch rumpelte. Leichen lagen auf dem Boden und mussten umfahren werden. Da seit der Schlacht inzwischen einige Zeit vergangen war, boten sie einen schrecklichen Anblick. In der Luft hing ein Ekel erregender Geruch.

Es war ein Albtraum!

Als erfahrene Soldaten waren Flint und seine Männer natürlich an solche Situationen gewöhnt. Trotzdem war es schwer, das Grauen zu ertragen.

Als sie ein besonders schlammiges, unebenes Stück Land erreichten, nahm Flint die Füße aus den Steigbügeln, damit Llewellyn und Hodge sich daran festhalten konnten. Old Nick hatte gelernt, sich mit dem zusätzlichen Gewicht abzufinden. Schon oft hatte er Verwundeten beim Verlassen des Schlachtfelds helfen müssen.

Kurze Zeit später gelangten sie in ein Dorf, das von den Kampfhandlungen weitgehend verschont geblieben war. Als sie die Kirche passierten, sah Flint einen Priester, der auf den Stufen saß und die Hände vors Gesicht geschlagen hatte. Vielleicht weinte er, weil ein riesiger Berg von Toten vor ihm aufgeschichtet worden war und noch immer weitere Gefallene dazu gelegt wurden.

„Major!“ Hawkins wies auf die Tür einer Kate, auf die jemand den Namen Ponsonby geschrieben hatte. „Ponsonby lebt!“

Aber er ist verwundet, dachte Flint, sonst hätte man ihn nicht hier untergebracht. Er hegte große Achtung für den Offizier, der sowohl ein talentierter Stratege als auch ein guter Menschenführer war.

Dann hatten sie das Dorf hinter sich gelassen, und Flint wandte seine Aufmerksamkeit noch einmal Rose zu. Sie hatte sich kaum gerührt, seit er sie zu sich aufs Pferd gehoben hatte. Da sie mit dem Rücken zum Kopf des Tieres saß, hatte sie die Arme um Flints Taille geschlungen und den Kopf an seine Brust gebettet. Anscheinend störte es sie nicht, dass ihr Retter durchdringend nach Schweiß, Blut und Schießpulver roch.

Als Flint tief Luft holte, stieg ihm Roses Geruch in die Nase. Er nahm Angst wahr und auch, dass die Kleidung der Frau feucht und schlammig war. Aber zu seinem Erstaunen war da auch ein Duft nach Kräutern und Zitrone. Sie musste sich das Haar mit leicht parfümiertem Wasser gewaschen haben. Die Vorstellung weckte seltsame Gefühle in ihm. Es war so typisch weiblich, selbst unter den schlimmsten Umständen schön und begehrenswert erscheinen zu wollen. Vielleicht hatte sie vor sich hin gesummt, als sie in einem Zelt ihr Haar wusch und kämmte. Vielleicht hatte sie dabei aus den Augenwinkeln beobachtet, wie ihr Mann seine Waffen reinigte. Während er sich auf die Schlacht vorbereitete, hatte sie so getan, als gäbe es keinen Krieg.

„Was wollen Sie mit ihr machen, Major?“

Flint runzelte die Stirn. „Am besten wäre es, wenn eine Frau sich um sie kümmern könnte.“ Aber hier gab es weit und breit keine dafür geeignete Frau. Also würde er sie wohl mitnehmen müssen nach Brüssel. Doch dann fiel ihm ein, dass sie auf dem Weg dorthin an einem Kloster vorbeikommen würden. „Wir sollten sie bei den Nonnen lassen.“ Gut, dann war er sie los! Seine Wunde schmerzte, und er war furchtbar müde.

„Jimmy lebt nicht mehr“, verkündete in diesem Moment einer der Soldaten auf dem Wagen.

Auch um ihn sollen die Nonnen sich kümmern. „Wir machen beim Kloster Rast“, erklärte Flint.

„Sicherheit … Rose … Kloster …“

Sie verstand nur Bruchstücke von dem, was der Teufel zu ihr sagte. Der Schrei in ihrem Kopf war zu laut. Aber sie sah deutlich, wie eine der armen Seelen, die dem Teufel bisher gefolgt waren, an ein großes Tor klopfte. Es wurde geöffnet, und riesige schwarze Krähen kamen mit den Flügeln flatternd heraus. Oh Gott, eine der Krähen griff nach ihr!

„Ma pauvre petite …“

Sie klammerte sich noch fester an den Teufel.

Die Krähen nahmen einen blutverschmierten Mann mit. Er war offensichtlich tot. Genau wie Gerald. Nur, dass der Unbekannte noch sein Gesicht hatte, während Gerald ….

Rose schrie.

„Der Teufel sagte etwas zu den Krähen, die daraufhin zurück zum Tor flatterten.“

„Was soll ich bloß mit Ihnen machen, Rose“, murmelte er.

Rose? Wer ist Rose? Ich heiße anders.

Dummerweise konnte sie sich nicht an ihren Namen erinnern. Der Teufel hieß Adam, das hatte er ihr gesagt. Seltsam, Adam war kein Teufelsname. Er hätte Luzifer oder Beelzebub heißen müssen. Und es gab noch mehr Ungereimtheiten. Ein Teufel – gleichgültig wie er hieß – hätte heiß sein müssen, unangenehm heiß. Doch Adams Körper strahlte eine wundervolle Wärme aus. Zudem passten seine blauen Augen überhaupt nicht zu einem Teufel.

Vielleicht, dachte Rose, vielleicht ist er gar kein Teufel. Schließlich roch er auch nicht nach Schwefel.

Ich bin so müde. Ob ich ein wenig schlafen darf?

Verschwommen erinnerte sie sich daran, dass sie sehr lange nicht geschlafen hatte. Erst war da dieser Ball gewesen. Dann hatte sie Gerald in den Armen gehalten. Und noch später hatte eine schreckliche Schlacht getobt, während es in Strömen regnete.

Was verbindet mich mit Gerald? Und wer bin ich?

Sie wusste, dass sie gesündigt hatte. Aber welcher Sünde hatte sie sich schuldig gemacht? Sie würde dafür bestraft werden. Doch nicht jetzt. Adam war nicht der Teufel.

Der Schrei in ihrem Kopf wurde ein bisschen leiser. Sie schlief ein.

2. KAPITEL

Um Himmels willen!“ Maggie Moss stand in der Tür und starrte die Männer an. Ihre Hände und ihre Schürze waren weiß von Mehl. Ihre Wangen waren weiß vor Schreck.

„Wir sind in eine Rauferei geraten, Maggie“, versuchte Flint zu scherzen. Er war unglaublich froh, Mrs. Moss zu sehen, die gemeinsam mit ihrem Mann ein Gasthaus in Brüssel betrieb. Sie stand für all das, was es auf dem Schlachtfeld nicht gab: gutes Essen, anregende Getränke, Wasser zum Waschen und erholsame Ruhe. „Habt ihr Platz für uns? Wir sind insgesamt zwölf Mann und dann noch Rose.“

Natürlich hatte Maggie die dunkelhaarige Frau längst bemerkt. Sie schluckte, weil sie beim Anblick der Verwundeten den Tränen nahe gewesen war, und erklärte dann ruhig: „Selbstverständlich könnt ihr bleiben. Für Randall’s Rogues ist bei uns immer Platz. Ein paar Leute mussten sich eine andere Unterkunft suchen, da wir euch erwartet haben.“ Sie wandte sich um und rief: „Moss, wo steckst du?“ Und dann leiser: „Warum ist dieser Mann nie da, wenn man ihn braucht?“

Unwillkürlich huschte ein Lächeln über Flints Gesicht.

Maggie hatte sich unterdessen wieder den Neuankömmlingen zugewandt. „Kommt herein! Am besten erst einmal in die Küche. Ich koche gleich Tee für uns alle.“ Zunächst jedoch trat sie an den Wagen, um einem der Verwundeten beim Absteigen zu helfen.

Als nahezu alle in der Küche versammelt waren, hinkte ein Mann mit einem Holzbein herein. Moss. Er hatte als Sergeant unter Flint gedient, bis er in Badajoz ein Bein verlor. Er und Maggie, die während des Feldzugs stets in seiner Nähe geblieben war, hatten nach seiner Genesung beschlossen, sich gemeinsam in Brüssel niederzulassen. Dort hatten sie sich ihren Traum erfüllt und ein Gasthaus eröffnet.

„Im Nebengebäude gibt es genug Strohmatratzen für alle“, verkündete Moss, während seine Frau Wasser aufsetzte und Tee in eine riesige Kanne füllte. „Dort ist es kühl und trocken, und niemand muss irgendwelche Treppen hinaufsteigen. Zu voll wird es wohl auch nicht werden.“ Er wandte sich an Flint. „Es muss schlimm gewesen sein, wenn Sie nur so wenige Männer herbringen.“

„Es hätte noch schlimmer kommen können. Immerhin haben wir gesiegt. Aber es war ein harter Kampf. Hawkins, die zehn Männer hier und ich sind sozusagen die Nachhut. Einen Teil meiner Leute konnte ich schon gestern nach Brüssel schicken. Die Kampffähigen müssen sich im Hauptquartier melden. Die Verwundeten haben hoffentlich alle einen Platz in einem Lazarett oder einem Kloster gefunden.“ Er schaute sich nach Hawkins um. „Können Sie sich eine Weile um alles kümmern? Ich kann nicht viel tun, solange ich beide Hände voll habe.“

Alle Augen waren jetzt auf Rose gerichtet, die sich noch immer an Flint klammerte.

„Wir kommen zurecht“, verkündete Moss und wechselte einen Blick mit Hawkins. „Sie, Major, sollten sich von Maggie helfen lassen.“

„Allerdings.“ Maggie nickte. „Kommen Sie mit nach oben, Major. Wie geht es Ihrem Bru… Colonel Randall?“

Auf der Treppe hörten sie, wie Moss zu den weniger schwer Verwundeten sagte: „Im Hof gibt es eine Pumpe. Ziehen Sie sich aus und waschen Sie sich gründlich. Dann können wir auch besser erkennen, welche Wunden behandelt werden müssen.“

„Soweit ich weiß“, sagte Flint, der mit Maggie und Rose das obere Stockwerk erreicht hatte, „geht es dem Colonel gut. Gideon allerdings ist gefallen.“ Sein jüngerer Halbbruder war ein mutiger, doch leider nicht sehr kluger Kavallerie-Offizier gewesen, der eigentlich nicht bei den Artillerie-Soldaten hätte sein sollen. Flint machte sich Vorwürfe, weil er ihn nicht davon hatte abhalten können.

„Der arme Junge“, murmelte Maggie. „Es tut mir so leid …“

„Ich habe ihn kaum gekannt“, erinnerte Flint sie. Tatsächlich war er den ehelich geborenen Kindern seines Vaters stets so weit wie möglich aus dem Weg gegangen. Schwierig war das erst geworden, als sein älterer Halbbruder Colonel Randall sich aus unerfindlichen Gründen dafür eingesetzt hatte, dass Flint zum Major befördert wurde. Randalls Interesse an ihm erschien Flint unbegreiflich. Ihr gemeinsamer Vater hatte doch so viele Bastarde gezeugt …

Maggie hatte nicht die Absicht, ein Thema zu vertiefen, dass Flint offenbar unangenehm war. „Sie können wieder das Zimmer links haben“, meinte sie und betrachtete dann die Frau, die offenbar nicht bereit war, ihn loszulassen. „Wer ist sie?“

„Keine Ahnung. Ich habe sie auf dem Schlachtfeld aufgelesen und vor ein paar Marodeuren gerettet.“

„Ehe die …“

„Ja. Trotzdem muss sie etwas Schreckliches erlebt haben. Sie spricht nicht. Sie scheint nicht zu verstehen, was ich zu ihr sage – ganz gleich in welcher Sprache. Und sie will nicht von mir weichen, was ich inzwischen doch etwas störend finde.“

Mit sanfter Stimme wandte Maggie sich an die Fremde: „Sie sind in Sicherheit, Liebes. Ich kümmere mich um Sie. Sie können den Major jetzt loslassen.“

Vergeblich. Erst als Flint sich aus seinem Uniformrock schälte, in den Rose die Finger gekrallt hatte, war es möglich, sie auf das Bett in der Kammer rechts vom Flur zu legen.

„Arme Kleine“, murmelte Maggie.

„Klein ist sie nicht“, stellte Flint fest. Sie war auch nicht so jung, wie er zunächst gedacht hatte. Wahrscheinlich hatte sie seit einiger Zeit mit irgendeinem Soldaten zusammengelebt. Allerdings wirkte sie erstaunlich unschuldig und zerbrechlich. „Warmes Wasser“, überlegte der Major laut. „Dann können Sie sie waschen und sie hoffentlich davon überzeugen, dass niemand hier ihr etwas Böses will.“

Aus einer Ecke im Flur trug er einen zinnernen Zuber herbei. Vor dem Ball der Duchess of Richmond hatte er selbst darin gebadet. „Ich brauche Sie an meiner Seite, Major“, hatte Lord Randall gesagt. „Ziehen Sie Ihre Galauniform an und versuchen Sie, ausnahmsweise mal auszusehen wie ein Gentleman.“

Dem Befehl eines Vorgesetzten gehorchte man. Also hatte Flint ein Bad genommen und sich von Moss die Haare schneiden lassen. Maggie hatte darauf bestanden, dass er sich parfümierte. Dann hatte er seine bisher kaum getragene Galauniform angezogen. Widerwillig und im Bewusstsein, in den Kampf gegen die Dämonen der Vergangenheit zu ziehen, hatte er das Gasthaus des Ehepaars Moss verlassen.

Rückblickend dachte er, dass es die Mühe wert gewesen war. Sonst hätte er niemals erlebt, wie entsetzt der gut aussehende Justin Randall gewesen war, als einige der Damen, die ihn zu umschwirren pflegten, sich lieber seinem wortkargen Halbbruder zuwandten.

„Es überrascht mich immer wieder, wie vornehm Sie auftreten können“, hatte Randall später gesagt. Um seine Lippen hatte ein Lächeln gespielt, das die Augen nicht erreichte.

„Und nicht nur das“, hatte Flint erwidert und sich angehört wie jemand, der die besten Schulen und Universitäten besucht hatte. Oh ja, er konnte durchaus den hochwohlgeborenen Gentleman spielen, wenn er es darauf anlegte. „Haben Sie Angst, Mylord, dass ich Sie bei den Ladys ausstechen könnte?“

Beide wussten, dass er dazu durchaus in der Lage war. Beweise dafür gab es genug. Die Frauen flogen auf ihn, selbst wenn er sich nicht schick machte und sich nicht ausdrückte wie jemand, der der Oberschicht angehörte. Justin Randall hatte vermutlich auch das eine oder andere Herz gebrochen. Aber er war der Ansicht, dass es unter seiner Würde war, sich mit seinen Geliebten in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Ich sollte mich konzentrieren, rief Flint sich selbst zur Ordnung, als er jetzt die Treppe hinabstieg, um zwei Eimer voll warmem Wasser für Rose zu holen. Er durfte seine Pflichten als Offizier nicht vergessen. Also zwang er sich, nicht länger an jenen Abend bei der Duchess of Richmond zu denken.

In der Küche stieß er auf Moss, der gerade einen der schwerverwundeten Soldaten medizinisch versorgte. Die anderen Männer waren im Hof, nackt wie Gott sie erschaffen hatte, und wuschen sich an der Pumpe.

Hawkins schien noch keine Zeit gefunden zu haben, sich zu waschen. „Ich habe eine Nachricht ans Hauptquartier geschickt, Sir, um den Colonel darüber zu informieren, wo wir untergekommen sind“, teilte er Flint mit. „Außerdem habe ich einen Wundarzt angefordert. Vorerst sollen die Männer ihre Wunden, so gut es geht, selbst säubern. Mit Salbe und Verbandszeug kann Maggie uns versorgen. Ist sie noch oben bei dem Mädchen? Wie geht es der Kleinen?“

„Ich habe sie Rose getauft.“ Aufmerksam musterte Flint seine Männer. Sie wirkten zuversichtlich. Das allein würde schon einiges zu ihrer Genesung beitragen. Trotz der schrecklichen Verluste hatten sie den Feind zum Schluss besiegt. Und nun waren sie im Gasthof der Moss’ gut aufgehoben. Wahrscheinlich würden sie ohne die Hilfe des Wundarztes zurechtkommen. „Maggie kümmert sich um Rose. Ich habe versprochen, den beiden warmes Wasser zu bringen.“

„Gut. Aber dann müssen Sie endlich auch an sich selbst denken. Sie sind verwundet.“

Und dreckig!

In der Küche goss Flint warmes Wasser in die zwei Eimer und ging rasch wieder nach oben. Sobald er die Wanne gefüllt hatte, begab er sich zu seinen Männern auf den Hof. Hawkins hatte begonnen, sich auszuziehen, und Flint tat es ihm nach. Als der Sergeant ihm ein Stück Seife reichte, wusch er sich und säuberte die Degenwunde trotz der Schmerzen, so gut er konnte.

Die verwundeten Soldaten hatten sich unterdessen gegenseitig verbunden. „Zeit zum Schlafen“, rief Moss und begann, die herumliegenden blutigen und schmutzverkrusteten Uniformen einzusammeln. „Die müssen gereinigt werden.“ Er ging mit seiner Last in die Küche, und man hörte ihn nach dem Dienstmädchen rufen.

„Sie brauchen auch etwas Schlaf“, sagte Flint zu Hawkins.

Der hob kurz den Kopf und fuhr fort, seine Füße zu waschen.

„Schlafen Sie, Sergeant! Das ist ein Befehl.“

„Jawohl, Major. Sie sollten ebenfalls schlafen.“

Flint schaute sich um. Alles schien geregelt zu sein. „Das werde ich“, sagte er. „Sie finden mich oben, wenn Sie mich brauchen.“ Er trocknete sich ab, schlang sich das Handtuch um die Hüften, kehrte zurück ins Haus, stieg die Treppe hinauf und warf einen Blick auf die geschlossene Tür des Zimmers, in dem Rose untergebracht war. Zufrieden stellte er fest, dass der Boden der Zinkwanne, die wieder im Flur stand, mit schmutzig-grünem Wasser bedeckt war

Gut, wenn Maggie Rose gewaschen hat, muss sie mögliche Verletzungen bemerkt haben.

Plötzlich fühlte Flint sich so erschöpft, dass er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Er ging zu Bett, und kaum hatte er die Decke über sich gezogen, da war er auch schon eingeschlafen.

Rose erwachte. Wie von weither hörte sie noch immer den Schrei in ihrem Kopf. Gleichzeitig wusste sie, dass es um sie her still war. Still und friedlich.

Zögernd öffnete sie die Augen. Sie befand sich in einer sauberen Kammer in einem sauberen Bett. Und sie trug ein Nachthemd, das ihr nicht gehörte. Ihr fiel ein, dass eine Frau ihr geholfen hatte, sich zu waschen. Sie kannte jene Frau nicht. Sie war auch nie zuvor in diesem Zimmer gewesen. Verwirrt setzte sie sich auf – und heftige Schmerzen durchzuckten ihren Körper. Verflixt, jede Bewegung tat weh.

Was ist passiert?

Sie konnte sich nicht erinnern, was geschehen war. Vor einiger Zeit – so viel wusste sie – hatte sie in einem großen Haus gelebt. Später in einem kleineren. Vor Kurzem erst hatte sie ein wunderschönes Kleid getragen und einen Ball besucht. Aber wo? Und mit wem? Es gab einen gut aussehenden jungen Mann, ja. Mit ihm hatte sie getanzt. Später hatte er sie geküsst. War das in einem Zelt gewesen? Wie seltsam! Und dann …

Rose fuhr zusammen. Irgendetwas Schreckliches war geschehen. Aber was? Der Schrei in ihrem Kopf wurde lauter. Zitternd sank sie in die Kissen zurück.

Es dauerte eine Weile, bis sie wieder in der Lage war nachzudenken.

Ein paar Dämonen hatten sie in Angst und Schrecken versetzt. Dann war der Teufel selbst erschienen.

Er hat mich gepackt und mich weggetragen. Er hat mich vor sich auf sein schwarzes Höllenross gehoben. Aber dies ist nicht die Hölle. Oder etwa doch? Was werde ich sehen, wenn ich die Tür öffne? Vielleicht bin ich dann mitten unter den armen Seelen, die im Höllenfeuer brennen.

Sie nahm all ihren Mut zusammen, stand auf und ging zur Tür. Ihre Hand bebte, als sie die Klinke hinunterdrückte.

Kein Höllenfeuer! Gut!

Ihr Blick wanderte über einen Kamin, in dem kein Feuer brannte, und blieb an einem Bett hängen. In dem Bett lag der Teufel. Er schlief.

Vorsichtig trat sie näher, um den Schlafenden zu mustern. Breite Schultern, muskulöse Arme, raue Hände. Er musste oft verwundet worden sein. Selbst auf seiner Stirn sah sie, halb verdeckt vom dunklen Haar, eine Narbe. Obwohl er fest schlief, ging von dem Mann etwas Gefährliches aus.

Sie runzelte die Stirn. Der Teufel hatte sie gerettet. Also gehörte sie ihm. Wenn er im Bett lag, sollte sie bei ihm liegen. Vorsichtig hob sie die Decke und schlüpfte darunter. Der Teufel murmelte etwas im Schlaf, drehte sich auf die Seite und schlang den Arm um sie. Sie spürte, dass er nackt war. Sein Körper strahlte Wärme aus. Das war beruhigend. Der Schrei in ihrem Kopf war kaum noch zu hören. Aufseufzend schloss sie die Augen und schlief ein.

„Rose? Verflucht, was machen Sie hier?“

Rose? Wer ist Rose?

Sie wollte sich enger an den starken warmen Männerkörper schmiegen. Erst als zwei kräftige Hände sie bei den Schultern packten, öffnete sie die Augen. Der Teufel hatte sie ein Stück von sich fortgeschoben und starrte sie an.

Ruhig erwiderte sie seinen Blick. Angst empfand sie seltsamerweise nicht. Dann wurde ihr klar, dass sie mit ihm allein war. Also musste er wohl sie gemeint haben, als er Rose sagte. Er sah ärgerlich aus. Warum? Sie hatte doch nichts Falsches gemacht. Vorsichtig legte sie ihm die flache Hand auf die Brust. Jetzt konnte sie spüren, wie sein Herz schlug.

Er sieht unglaublich gut aus. Dunkel. Sehr männlich und so, als wäre er fähig, die verruchtesten Dinge zu tun.

Sie gestand sich ein, dass sie nichts dagegen gehabt hätte, wenn er diese Dinge mit ihr getan hätte.

„Rose“, sagte er, „Sie müssen zurück in Ihr eigenes Bett. Sie brauchen keine Angst vor dem Alleinsein zu haben. In diesem Haus sind Sie sicher.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Verstehen Sie mich überhaupt?“

Sie nickte.

„Dann reden Sie doch endlich mit mir!“

Reden? Nein, das konnte sie nicht. Wegen Gerald …

Gerald? Was ist mit ihm? Was habe ich mit ihm zu tun?

„Rose, so sagen Sie doch etwas!“

Sie schüttelte den Kopf.

„Verflixt! Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Adam Flint.“

Natürlich erinnerte sie sich an ihn! Es tat gut, seinen Herzschlag zu spüren. In diesem Moment begriff sie, dass er nicht der Teufel war, sondern ein Mensch wie sie selbst. Das bedeutete auch, dass sie nicht tot und trotz all ihrer Sünden nicht in der Hölle war.

Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

„Rose, Sie müssen zurück in Ihr Zimmer!“, wiederholte Flint. Und als sie sich nicht rührte, fügte er hinzu: „Einer von uns muss gehen. Entweder Sie oder ich. Verdammt, ich bin nackt!“

Nackt? Rose begriff, dass sie hätte entsetzt sein sollen. Aber sie war nicht entsetzt. Sie war neugierig. Sie wollte mehr über Flint herausfinden. Und mehr darüber, was es hieß, wenn ein Mann nackt war. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie wohl noch nie das Bett mit einem nackten Mann geteilt hatte.

Da sie sich nicht rührte, warf Flint ihr einen zornigen Blick zu. Dann stieß er einen Fluch aus, schwang die Beine aus dem Bett und wandte Rose den Rücken zu.

Es war ein beeindruckender Rücken. Muskulös und von Narben überzogen. Die Hüfte war schmal, das Gesäß fest und rund, die Beine waren behaart und kräftig. Um Flints Rippen war ein Verband gewickelt.

Rose schluckte. Adam Flint gefiel ihr. Er wirkte so lebendig, sein Körper war umwerfend männlich. Außerdem war ihr noch nie ein so furchtloser Mensch begegnet. Mein Mann!

Der Name Gerald formte sich in ihrem Kopf. Ein hübsches Gesicht. Blondes Haar. Augen, die noch nichts vom Leben gesehen hatten. Er war so jung gewesen, so voller Zuversicht. Und am Schluss halb wahnsinnig vor Angst. War Gerald ihr Mann gewesen? Sie entsann sich, dass sie ihn in den Armen gehalten hatte, als er vor Furcht zitterte. Später …

Der Schrei in ihrem Kopf wurde so laut, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Mit aller Kraft versuchte sie, sich auf Flint zu konzentrieren.

Er hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und eine zerrissene Uniformhose angezogen. Jetzt drehte er sich um. Der Verband um seine Rippen war blutig.

Er ist verwundet.

Rose sprang aus dem Bett.

Flint sprang vom Stuhl auf.

Sie bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. Er zögerte. Doch als sie ihm mit dem Finger gegen die Brust stieß, gehorchte er.

Es kostete Rose einige Mühe, den Verband zu lösen, doch schließlich gelang es ihr. Als sie die lange Wunde mit den roten Wundrändern sah, erschrak sie. Eine Entzündung würde sich nur verhindern lassen, wenn die Wunde schnellstmöglich gereinigt und behandelt wurde.

Mit Zeichen gab sie Flint zu verstehen, dass er warten sollte, bis sie zurückkäme. Aber er stand auf, als sie den Raum verlassen wollte. Sie prallte mit ihm zusammen, verlor beinahe das Gleichgewicht. Unwillkürlich hielt sie sich an ihm fest.

Ach, seine nackte Haut fühlte sich gut an! Und es war so angenehm, den Kopf an seine Schulter zu betten! Tief holte Rose Luft. Flint roch ein wenig nach Blut, ein wenig nach Schweiß und Schießpulver, vor allem aber nach Mann.

„Es gefällt Ihnen wohl, andere herumzukommandieren“, meinte er vorwurfsvoll. Offenbar war er es nicht gewohnt, Anweisungen entgegenzunehmen.

Sie wollte den Kopf schütteln und berührte dabei unabsichtlich mit den Lippen Flints Brustwarze.

Ein Schauer überlief ihn.

Rose riss die Augen auf. Sie konnte sehen und spüren, wie erregt Flint war. Sie war verantwortlich für seine Reaktion. Das war ein berauschendes Gefühl.

Langsam hob sie den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. Seine blauen Augen blitzten. Roses Atem beschleunigte sich.

„Warum wollen Sie nicht mit mir reden? Sie können mir wirklich vertrauen.“

Hatte er denn noch immer nicht begriffen, dass sie nicht sprechen konnte? Wie konnte sie ihm mitteilen, dass sie Vertrauen zu ihm hatte? Sie wich einen Schritt von ihm zurück, setzte eine strenge Miene auf und wies auf den Stuhl.

Flint nahm Platz.

Mit einem kleinen Lächeln verließ Rose den Raum. Irgendwo würde sie sicher die freundliche Frau finden, die ihr geholfen hatte, sich zu waschen.

Stattdessen fand sie eine Gruppe von halb bekleideten Männern, die sich um einen großen Tisch drängten.

„Hölle und Teufel!“, rief jemand.

„Oh Mist!“

Humpelnd und fluchend drängten die Männer aus der Küche in den Hof.

Jetzt erst entdeckte Rose die freundliche Frau, die am Herd stand und in einem riesigen Topf rührte. Ein wundervoller Duft erfüllte den Raum.

Rose wurde ganz schwach vor Hunger. Wann habe ich zuletzt gegessen?

„Sie hätten im Bett bleiben sollen, Liebes“, sagte die Frau. „Ich wollte Ihnen gleich eine Tasse Tee nach oben bringen.“

Rose trat an den Tisch, auf dem sie Verbandszeug entdeckt hatte. Alles in diesem Raum wirkte so vertraut wie eine Kindheitserinnerung. Nur, dass sie weder den Namen der Frau kannte, noch wusste, wer der Mann mit dem Holzbein war, der einen Kessel mit dampfendem Wasser in der Hand hielt.

Immerhin hatte sie nicht vergessen, warum sie hier war. Sie griff nach zwei Bandagen sowie einer Schüssel und zeigte auf den Kessel.

„Sie wollen den Major neu verbinden?“, erkundigte die Frau sich. „Ich helfe Ihnen.“

„Moss, sieh bitte nach dem Stew“, sagte sie zu dem Mann und nahm ihm den Kessel ab.

Gleich darauf betraten die beiden Frauen Flints Zimmer. Der Major musterte sie mit einer Mischung aus Amüsement und Gereiztheit. „Als ich wach wurde“, sagte er zu Maggie, „war sie hier. Sie hat mir befohlen, hier sitzen zu bleiben, bis sie zurück ist.“

„Hm …“ Maggie betrachtete die Wunde. „Das sieht nicht gut aus“, murmelte sie. Dann wandte sie sich Rose zu. „Sie wissen, was zu tun ist?“

Rose nickte.

„Nun, wie es scheint, Major, haben Sie jetzt eine eigene Krankenpflegerin.“

„Ich brauche weder eine Krankenpflegerin“, schimpfte Flint, „noch sonst eine Frau!“

Oh doch, dachte Rose. Sie war seine Frau. Sie gehörte zu ihm. Denn er war das Einzige, was ihr in dieser Welt Halt gab.

Vorsichtig begann sie mit der Reinigung der Wunde.

3. KAPITEL

Sie machen das nicht zum ersten Mal“, bemerkte Adam Flint, während Rose seine Wunde säuberte. „Ihr Mann ist wohl mehrmals verwundet worden?“

Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte fast keine Erinnerungen an Gerald, aber sie wusste, dass sie ihn nicht nach einer Verletzung gepflegt hatte.

Wo habe ich Erfahrungen in der Versorgung von Wunden gesammelt? Dann fiel es ihr ein. Unsere Pächter. Wir waren für sie verantwortlich. Die Wunden, die sie verbunden hatte, waren also keine gewesen, die der Krieg den Menschen zugefügt hatte. Dessen war sie sich sicher. Doch warum, um alles in der Welt, wusste sie nicht, wo das gewesen war und wie sie hieß?

„Ich habe Sie schon früher einmal gesehen“, stellte Adam in diesem Moment fest. „Vielleicht in Quatre Bras? Gehörte Ihr Mann dem 73. Regiment an? Dann könnte ich Ihnen helfen, ihn zu finden.“

Er ist tot. Und er war auch niemals wirklich mein Mann. Wie dumm von mir zu glauben, dass ich ihn liebe!

Autor

Louise Allen
<p>Louise Allen lebt mit ihrem Mann – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.</p>
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