Er bleibt, er bleibt nicht ...

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Gerade weil die schöne Bailey nichts von ihm wissen will, denkt der erfolgsverwöhnte Tanner McConnell sich etwas aus, um sie zu erobern. Dabei kommt eine Beziehung für ihn nicht infrage - eine gescheiterte Ehe hat er bereits hinter sich. Aber eine Affäre mit Bailey lockt ihn ungemein …


  • Erscheinungstag 06.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757472
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Das glaube ich einfach nicht“, murmelte Tanner McConnell, während er seinen Mercedes in eine Parklücke vor dem neuen Gemeindehaus in Wilmore, einer Stadt in West Virginia, lenkte.

„Wie bitte, mein Liebling?“

Offenbar hatte er doch laut gesprochen. Tanner räusperte sich und tat, als wäre sein unbeabsichtigter Kommentar ein Husten gewesen. „Nichts, Mutter. Ich habe nur einen Frosch im Hals, das ist alles.“

Er parkte und stieg aus. Es war ein warmer Juniabend. Unter den ausladenden Eichen bei den Blumenbeeten vor dem grauen Gebäude standen Grüppchen von Leuten und unterhielten sich. Die Männer trugen Anzüge, die Frauen waren sich in schicken Abendkleidern gekommen.

Tanner ging um den Wagen, um seiner Mutter die Tür zu öffnen, doch sein Vater, der auf dem Rücksitz gesessen hatte, war schneller.

„Kauf ihm die Ausrede mit dem Husten nicht ab“, sagte Jim McConnell. „Tanner kann es nicht fassen, dass er nun doch mit uns zu diesem festlichen Dinner kommt. Das wollte er sagen.“ Er reichte seiner Frau die Hand. „Er denkt nämlich, er ist sich jetzt zu gut für uns“, flüsterte er ihr mit einem Zwinkern absichtlich laut zu.

Tanner hatte die grünen Augen und das sandfarbene Haar seines Vaters. Beide hatten den gleichen sehnigen Körperbau. Jim behauptete, dass Tanners Mutter, Doris, noch genauso schön war wie an dem Tag, als er sie kennengelernt hatte. Tanner glaubte das gern. An diesem Abend trug sie das korallenfarbene Cocktailkleid, das sie vor einigen Monaten mit Tanner in New York gekauft hatte, das kastanienbraune Haar hatte sie zu einem eleganten Nackenknoten gebunden. Tanner war immer stolz auf seine Eltern gewesen, nur auf seinen Heimatort Wilmore war er schlecht zu sprechen.

„Du weißt genau, dass das nicht so ist“, protestierte er. „Ich lege nur überhaupt keinen Wert darauf, Emmalee wieder zu sehen, das ist alles.“

„Ich verstehe nicht, wieso. Deine Scheidung ist schließlich Jahre her“, meinte Doris und zog die Krawatte ihres Sohnes zurecht. „Emmalee ist jetzt mit dem Bürgermeister verheiratet und hat sich sehr verändert.“

„Genau so wie ich“, gab Tanner zurück. Er trug einen teuren braunen Anzug und ein passendes elfenbeinfarbenes Hemd, beides Maßanfertigungen.

„Falls ihr es vergessen haben solltet: Ich habe gerade für ein kleines Vermögen mein Speditionsunternehmen verkauft. Ich habe mich nicht nur verändert, ich befinde mich noch in der Veränderung.“

„Ist ja gut, Liebling“, beschwichtigte Doris ihn. „Du bist ein reicher, ehemals erfolgreicher Footballstar. Leider hast du dir damals schon in deinem ersten Profispiel das Knie ruiniert. Mit der Entschädigungssumme konntest du die Spedition gründen, die du jetzt für ein paar Millionen verkauft hast. Das wissen wir doch.“ Sie lächelte ihren Sohn an. „Aber du bist nicht verheiratet.“

„Und wir haben keine Enkel“, fügte Jim hinzu, während die drei über den Parkplatz zu dem belebten Gemeindehaus schlenderten.

„Oh“, seufzte Tanner. „Jetzt verstehe ich, worum es geht.“ Plötzlich sah er diese Abendveranstaltung in einem völlig neuen Licht. „Ihr meint, ich sollte heute Abend Brautschau halten.“

„Es gibt keinen besseren Ort dafür als deine Heimatstadt“, bestätigte Jim.

„Hier leben mindestens fünfzehn reizende ungebundene junge Frauen, die perfekt zu dir passen würden“, fügte Doris hinzu, als wäre es ein Kinderspiel, an einem einzigen Abend die Frau fürs Leben zu finden.

Tanner schnitt seinem Vater über den Kopf seiner Mutter hinweg eine Grimasse.

„Hey, lass das. Deine Mutter und ich sind an diesem Punkt ganz einer Meinung“, drohte Jim im Scherz.

Die drei betraten das Gemeindehaus, begrüßten Bekannte und gingen zum Empfang, wo eine blonde junge Frau die Eintrittskarten abriss.

Sie trug ein dunkelblaues paillettenbesetztes Kleid mit Rüschen. Der Saum endete oberhalb ihrer Knie. Die Ohrringe und die Halskette passten farblich gut zu ihrem Kleid. Man hätte sie eher im Fernsehen oder auf einem Zeitschriftencover vermutet als hier bei einer Dinnerparty in einem winzigen Städtchen in den Appalachen.

„Hallo, Mrs. McConnell, Mr. McConnell …“ Sie machte eine Pause und betrachtete Tanner. „Tanner“, fügte sie weich hinzu.

Ihre Stimme klang wie ein Wiegenlied: traurig, leicht und voller Wärme. Ihre Augen hatten die Farbe von wilden Veilchen. Das dichte blonde Haar, das sie kunstvoll hoch gesteckt hatte, erinnerte ihn an eine griechische Göttin. Einige Strähnen hatten sich gelöst, lockten sich um ihr Gesicht und flossen wie ein goldener Wasserfall über ihren Nacken. Wie verzaubert starrte Tanner sie an.

„Du erinnerst dich sicher noch an Bailey Stephenson“, sagte seine Mutter. „Sie ist die Besitzerin des Kosmetiksalons.“

Tanner lächelte. Natürlich, wer sonst könnte eine Frisur so gekonnt arrangieren? „Tut mir leid, ich erinnere mich nicht mehr“, sagte er und hielt ihr die Hand zum Gruße hin. Plötzlich war er verdammt froh, dass seine Eltern darauf bestanden hatten, dass er zu dieser Veranstaltung mitkam. Das Ende der Aufräumarbeiten nach dem verheerenden Frühjahrshochwasser sollte an diesem Abend gefeiert werden.

Die junge Frau ergriff Tanners Hand. An seiner rauen Handfläche fühlten sich ihre zarten Finger glatt und weich an, und Tanners Herz machte einen Satz. Ihre Haut war wie warmer Samt.

Hitze durchflutete ihn. Wie verzaubert sah er in Baileys Augen und hielt ihre Hand viel zu lange in seiner. Da sich ihm die Frauen allerorten zu Füßen warfen, sei es wegen seines Geldes oder seines Aussehens, hatte er schon lange nicht mehr spontan auf eine Frau reagiert. Nicht nur, dass ihm dieses Gefühl gefiel, er wollte, dass es ewig anhielt.

„Ich habe auch nicht erwartet, dass Sie sich an mich erinnern“, sagte Bailey lächelnd.

Es klang freundlich, nicht kokett. Tanner mochte diese Frau auf den ersten Blick. Nicht nur weil sie schön war, sondern weil er spürte, dass ihre Sympathie nicht oberflächlich war.

„Ich bin ein bisschen jünger als Sie“, fügte sie hinzu. „Als Sie die Stadt verließen, kam ich gerade erst auf die Highschool.“

Bevor Tanner nachrechnen konnte, ob sie nicht doch zu jung für ihn war, schimpfte sein Vater neben ihm los.

„Ah, verdammt“, sagte Jim und tastete seine Brusttaschen ab. „Ich habe die Karten vergessen.“

„Das macht nichts“, beruhigte Bailey ihn lächelnd. „Ihre Namen stehen doch auf der Liste. Die Karten sind nur eine Formalität.“

„Sind Sie sicher?“, fragte Doris.

„Natürlich. Ich war doch im Vorsitz des Komitees“, lachte Bailey. „Aber wenn Sie uns Ihren guten Willen zeigen möchten, könnte Tanner …“

„Ich tue, was immer Sie wollen“, kam Tanner ihr galant zuvor. Die Aussicht darauf, dieser Frau näherzukommen, stimmte ihn fröhlich.

„Seien Sie nicht zu voreilig.“ Bailey verkniff sich ein Lächeln. „Ich wollte Sie gerade als Freiwilligen für das Modernisierungskomitee gewinnen.“

Tanners Grinsen verblasste. „Was?“

„Die Mitglieder des Komitees, das die Aufräumarbeiten organisiert hat, haben sich im Modernisierungskomitee neu organisiert, weil es noch viele andere Dinge gibt, die getan werden müssen.“

Er hatte keine Ahnung, wovon sie redete.

Sie fing an, die Projekte an ihren Fingern aufzuzählen. „Wir benötigen einen Park für die Kinder. Fahrradwege stehen seit Langem auf unserer Wunschliste. Ein neues College würde den Jugendlichen viel bringen. Und wir brauchen ein Seniorenzentrum. Es gibt zwar Spenden und Gelder vom Staat, aber es fehlt an Leuten, die sich um die Anträge kümmern.“

„Ich …“, fing Tanner an.

„Tanner kann nicht in einem Komitee mitarbeiten“, unterbrach seine Mutter und sprach für ihn, als wäre er gar nicht da. „Ich glaube wirklich, er wäre genau der Richtige dafür – seine ganze berufliche Erfahrung könnte der Stadt Wilmore enorm zugutekommen –, aber die ganze Zeit redet er von nichts anderem, als sich in Florida niederzulassen, ein Boot zu kaufen und Angeltouren für Touristen zu veranstalten. Er hat bestimmt kein Interesse.“

„Schade“, meinte Bailey unverbindlich. „Nun, dann amüsieren Sie sich gut heute Abend“, fügte sie hinzu und wandte ihre Aufmerksamkeit den nächsten Gästen zu.

Tanner hatte tatsächlich keine Lust, bei dem Komitee mitzuarbeiten, aber wenigstens hätte er gern die Gelegenheit gehabt, selbst darüber zu entscheiden. „Vielen Dank, Mom. Ich hätte mir allerdings gern angehört, was Bailey noch über die Arbeit in diesem Komitee zu sagen gehabt hätte.“

Das Gespräch fortzusetzen, wäre tatsächlich die einzige Möglichkeit, noch ein paar Minuten mit Bailey herauszuschlagen. Auf jeden Fall musste er diese Frau, die sein Interesse erregt hatte, noch einmal sprechen.

Bailey Stephenson sah Tanner und seinen Eltern nach, als sie in den Hauptsaal gingen, der mit einem Meer von rotem, weißem und blauem Krepppapier dekoriert war. Auf den langen Tischreihen mit weißen Tischdecken standen Miniaturflaggen und rote Kerzen. Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie die Eintrittskarten der anderen Gäste abriss. Nur mühsam hatte sie einen Schauder unterdrücken können, als sie Tanner McConnell die Hand gab. Wahrscheinlich fand ihn einfach jede Frau attraktiv, nicht nur sie. Doch Bailey hatte Ziele und genaue Vorstellungen, und die beinhalteten keinen Ehemann.

Jedenfalls vorerst nicht. Sie war erst fünfundzwanzig. Zu jung, um über eine feste Beziehung nachzudenken. Nicht dass sie dachte, Tanner McConnell könnte sich ausgerechnet in sie verlieben. Seit er und Emmalee sich vor Jahren getrennt hatten, hatte er niemals länger als einen Monat eine Freundin gehabt. Und die waren nicht aus West Virginia gewesen, sondern aus New York. Keine Models oder Schauspielerinnen, nein, sein Geschmack waren Töchter einflussreicher Männer, die Wohltätigkeitsbälle veranstalteten, weil sie nichts anderes zu tun hatten.

Bailey war sich ziemlich sicher, dass sie als Kosmetikerin nicht für ihn infrage kam. Sie wäre bestimmt nicht gut genug für ihn. Ebenso wie Emmalee, die er auch sitzen gelassen hatte, um fern von Wilmore ein neues Leben zu beginnen.

So lauteten jedenfalls die Gerüchte.

Außerdem waren ihr Emmalee, Tanner und diese hässliche Scheidung egal. Sie hatte zu arbeiten. Im Moment kreierte sie hauptsächlich neue Frisuren, um den Kundenstamm ihres Kosmetiksalons zu erweitern. Dazu brauchte sie zwar im Moment ihren College-Abschluss in Wirtschaft nicht, aber das Modernisierungskomitee, mit dessen Hilfe sie Fördergelder für Wilmore beschaffen wollte, bot ihr seit Neuestem eine gute Gelegenheit, ihre brach liegenden Fähigkeiten wieder zu nutzen. Sie hatte also mehr als genug zu tun. Für einen Mann gab es keinen Platz in ihrem Leben.

Als alle Gäste eingetroffen waren, schloss Bailey sich der Festgesellschaft an. Sie bemerkte, dass Tanner den Blick nicht von ihr ließ. Als sein offenbares Interesse sich auch während des Abendessens nicht legte, kam sie zu dem Schluss, der Grund dafür sei, dass sie ihm nicht sofort zu Füßen gefallen war. Elegant wich sie all seinen Versuchen aus, mit ihr Augenkontakt aufzunehmen. Doch kaum hatte die Band nach dem Essen den ersten romantischen Walzer angestimmt, stand er schon vor ihr.

„Möchten Sie tanzen?“, fragte er und bot ihr den Arm.

Bei seinem strahlenden Lächeln schmolz Bailey förmlich dahin, sie fühlte ihre Knie weich werden. In Tanners grünen Augen funkelte es aufrichtig. Seine gebräunte Haut ließ das blonde Haar noch heller wirken. Die Nase war gerade, die Zähne regelmäßig. Er sah wirklich umwerfend aus.

Als sie nicht antwortete, trat er etwas näher und öffnete die Hand weiter. „Es ist nur ein Tanz“, neckte er sie, aber Bailey sah das anders. Bei dem Blick in seine Augen erwachten Gefühle in ihr, die sie noch nie erlebt hatte. Bestimmt würde sie sich leicht in Tanner verlieben können. Schnell und ganz leicht. Jeder Frau würde es so gehen. Und er würde ihr wehtun. Sie war nicht erfahrener als Emmalee damals, und was, wenn er sie bald wieder fallen ließ? Außerdem war sie nicht der Typ für eine schnelle Affäre.

Ohne den Blick abzuwenden, schluckte sie. „Ich glaube nicht“, lehnte sie ab. „Ich sehe besser mal nach, ob in der Küche Hilfe gebraucht wird.“

Sie wandte sich um, aber Tanner fasste ihre Hand und drehte Bailey wieder zu sich. „Es ist nicht gut, wenn man sich um jede Kleinigkeit kümmert.“

„Was?“

„Sie sollen sich nicht für jede Kleinigkeit verantwortlich fühlen“, wiederholte er und schob Bailey auf die Tanzfläche. „Weil Sie der Vorstand sind“, erklärte er und legte wie nebenbei einen Arm um ihre Taille, „sind Sie auch der Boss hier. Wenn Sie immer wieder nachsehen, was die anderen machen, denken die, dass Sie ihnen nicht vertrauen.“

„Ich glaube eher, sie denken, dass es mir egal ist“, gab Bailey zurück, während ihr Herz wild schlug. Tanners Präsenz war ihr nur zu deutlich. Er sah einfach großartig aus. Unwillkürlich musste sie sein Lächeln erwidern.

Tanner lachte und führte sie leichtfüßig im Walzerschritt über die Tanzfläche. „Nein. Sie nehmen ihnen damit nur die Möglichkeit, Eindruck auf Sie zu machen.“

Fragend neigte Bailey den Kopf. Wenn schon nichts aus der Romantik werden sollte, dann brachte ihr diese Begegnung vielleicht wenigstens Ratschläge für eine erfolgreiche Karriere. „Haben Sie diese Methode auch bei Ihren Angestellten angewandt?“

Er nickte. „Man muss den Leuten zeigen, dass man ihnen vertraut, dann vertrauen sie sich selbst und tun alles, was man von ihnen verlangt.“

Sie lächelte. „Wirklich?“

„Wirklich.“

„Das ist ganz interessant, denn ich habe eine neue Stilistin angestellt. Sie ist sehr begabt, aber jedes Mal, wenn es um die großen Sachen geht, treibt sie mich fast zum Wahnsinn.“

„Was für Sachen?“

„Sie wissen schon, Hochzeitspartys, Schulbälle, die Gelegenheiten eben, wo es um besondere Frisuren geht“, erklärte Bailey.

„Oh, das sind also die kritischen Faktoren Ihres Erfolgs“, stellte er interessiert fest.

„Ganz genau. Mit diesen Dingen steht oder fällt der Laden. Ein Kosmetiksalon ist wie ein Blumenladen. Wenn eine Braut die Blumen zu ihrer Hochzeit mag, dann kauft sie auch die für den nächsten Muttertag dort. Wenn einem Mädchen die Frisur zu ihrem Abschlussball gefällt, lässt sie später auch die für ihre Hochzeit dort machen.“

Tanner nickte. Er wirkte, als ob er nicht nur zuhörte, sondern auch verstand, was sie sagte. Trotzdem fühlte Bailey sich plötzlich unendlich dumm. Hier tanzte sie mit dem attraktivsten Mann im Saal, und statt über unverfänglichere Dinge zu reden, musste sie gerade auf dieses Thema kommen. Sie war zu weit gegangen.

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und wollte etwas sagen, aber beim Blick in Tanners Augen brachte sie kein Wort heraus. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin, als er sie durch den Saal wirbelte und ihre Füße kaum den Boden berührten. Verzaubert von dem Blick seiner grünen Augen wünschte sie sich, dieser Tanz würde niemals enden. Bailey spürte, wie er die Hand fester um ihre Hüften schloss, und sah, wie sein Lächeln breiter wurde. Ihr wurde regelrecht schwindelig. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so sehr gewollt wie ihn, doch sie war sich darüber im Klaren, dass sie ihn nicht bekommen konnte.

Bailey nutzte die unerwartete Wiederholung des Musikstücks dazu, sich in Tanners Duft, den Ausdruck seiner Augen und das Gefühl seiner Hand auf ihrem Rücken einzuprägen. Sie merkte sich jedes Prickeln, jede noch so kleine Stelle, die er berührt hatte, jede Empfindung dabei. Denn als der Tanz vorbei war und sie sich voneinander lösten, um zu applaudieren, wusste sie, was sie zu tun hatte.

Sie lächelte. „Danke für den Tanz“, sagte sie höflich. Dann war sie wie ein Wirbelwind in Richtung Küche verschwunden.

Mit einem kurzen Blick versicherte sie sich in der Küche, dass alles aufgeräumt und in Ordnung war. Sie wandte sich an Ricky Avery, den Küchenjungen, um ihn zu fragen, ob alles glatt lief, doch dann erinnerte sie sich an Tanners Rat. „Sieht gut aus hier drin“, meinte sie lächelnd.

Der schlaksige Bursche strahlte vor Stolz. „Finden Sie?“

„Ja“, antwortete sie und klopfte ihm auf die Schulter. „Das haben Sie sehr gut gemacht.“

Der Junge straffte sich und wirkte plötzlich größer. „Danke.“

Bailey lächelte. „Gern geschehen.“ Dann nahm sie ihre Handtasche, die sie vor Beginn des Festes in der Küche gelassen hatte. „Wir sehen uns später“, fügte sie hinzu und ging zum Hinterausgang.

Ricky sah verständnislos drein. „Gehen Sie schon?“

„Ich hatte genug Aufregung für heute Abend. Außerdem muss ich morgen arbeiten.“

„Aber morgen ist Sonntag!“

„Irgend jemand muss diese Frisuren doch wieder in einen Normalzustand bringen“, erklärte sie. „Morgen früh können die Damen noch so in die Kirche gehen, aber wenn sie danach Jeans und T-Shirt anziehen, werden sie nicht mehr wie Athene aussehen wollen.“

„Aber Sie haben den Abend doch organisiert. Und er hat gerade erst angefangen!“, protestierte Ricky.

Bailey lächelte zur Antwort, doch als sie sah, dass Tanner in diesem Moment geradewegs auf die Küche zusteuerte, sagte sie nur: „Ich weiß. Bis morgen.“

Durch den Hinterausgang rannte sie in die dunkle Nacht hinaus. Sie stieg in ihren Kleinwagen und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Im selben Moment kam Tanner aus der Hintertür und winkte. Bailey legte den Gang ein und fuhr los. Sie war zufrieden mit einem Tanz. Mit einer einzigen glücklichen Erinnerung.

2. KAPITEL

Tanner jedoch war keineswegs nur mit der Erinnerung zufrieden. Er ging zurück in den blau-weiß-rot geschmückten Gemeindesaal. Seine Gedanken wirbelten durcheinander.

„Sie hat dich wohl sitzen gelassen“, bemerkte sein Vater, als Tanner sich einen Stuhl heranzog, um sich zu seinen Eltern zu setzen.

Tanner lockerte seine Krawatte und verzog das Gesicht. „Sie ist nach Hause gefahren. Ricky Avery sagte, sie müsste morgen arbeiten.“

„Wenn sie das sagt, wird es schon stimmen“, meinte Doris und nahm sich eine Olive. „Nicht alle sind wie du im vorgezogenen Ruhestand.“

„Sehr witzig“, entgegnete Tanner.

„Nein. Sie hat ihren Kosmetiksalon Flora Mae Houser abgekauft, der hatte er dreißig Jahre lang gehört. Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht mehr an sie, aber sie war diejenige, die …“

Tanner warf seiner Mutter einen ungnädigen Blick zu.

„Tut mir leid, mein Schatz“, lenkte sie lächelnd ein. „Ich weiß, dass dich das gerade überhaupt nicht interessiert. Wir können gern darüber sprechen, dass Bailey offenbar nichts mit dir zu tun haben will.“

„Wenn sie nicht davongerannt wäre, als wäre der Teufel hinter ihr her, hätte ich geschworen, dass ihr beide diese Szene am Eingang eingefädelt habt“, beschwerte Tanner sich. Keine Frau im Saal konnte Bailey das Wasser reichen. Es gab keine, mit der er hätte reden wollen, geschweige denn tanzen.

„Ich war’s nicht“, schwor sein Vater.

„Ich auch nicht“, schloss Doris sich an. „Niemand macht einer Frau wie Bailey etwas vor. Außerdem, sieh dich um. In diesem Teich schwimmen eine Menge Fische. Frag einfach eine, ob sie mit dir tanzen will.“

„Ich bin nicht in der Stimmung dazu“, erklärte Tanner und erhob sich. „Ich glaube, ich gehe auch nach Hause.“

Doris lächelte. „Das geht nicht, du hast uns doch hergefahren.“ Sie deutete auf die Tanzenden. „Tanz einfach, dann kommt deine gute Laune bestimmt wieder.“

Tanner wollte nicht davon anfangen, dass seine gute Laune mit Bailey verschwunden war. Sonst hätte er Worte wie „faszinierend“ oder „bezaubernd“ gebrauchen müssen. Und das war lächerlich, denn schließlich hatte er kaum zwei Worte mit dieser Frau gewechselt. Und er wusste auch kaum mehr von ihr als die Augenfarbe und den Beruf. Außerdem wollte sie offensichtlich nichts mit ihm zu tun haben.

Daher raffte Tanner sich auf und tanzte einige Runden. Doch obwohl seine Tanzpartnerinnen alle nett und unterhaltsam waren, konnte er Bailey nicht vergessen. Er wusste nicht, was ihn so an ihr faszinierte, aber irgendetwas musste es sein. Und es war mehr als die Tatsache, dass sie ihn herausforderte. Sie hatte sich gut angefühlt in seinen Armen. Sie duftete wunderbar. Und der Blick ihrer blauen Augen verfolgte ihn noch, als er zu Bett ging.

Am nächsten Morgen, als er mit seinen Eltern in die Kirche ging, war Tanner von den Anstrengungen der letzten Tage sehr müde. Der Verkauf seines Unternehmens hatte sein Leben einschneidend verändert.

Er brauchte Bailey Stephenson nicht. Verflixt, er war sich nicht einmal sicher, ob er Bailey Stephenson überhaupt wollte! Das meiste von dem, was er fühlte, war wahrscheinlich reine Einbildung. Er war glücklich, hatte einen Haufen Geld und eine Zukunft, die andere sich nur wünschen konnten. Sozusagen alles, was ihm wichtig war. Und in Florida würde es genug Frauen geben, vielleicht sogar eine, die mehr von Booten verstand als er.

Dummerweise betraten genau in dem Moment, wo er sich mit diesem Gedanken anfreundete, Bürgermeister Thorpe und seine Frau Emmalee den Mittelgang, gefolgt von drei reizenden Kindern.

Tanners Herz sank. Das Familienleben, das Emma jetzt führte, war genau das, was er sich mit ihr gewünscht hatte. Doch sie hatte ihn verlassen, obwohl sie sich einmal geliebt hatten. Sie waren verrückt nacheinander gewesen. Und jetzt stand sie da drüben mit Kindern von einem anderen Mann.

Selbst nach zehn Jahren tat ihm das noch weh. Nicht, dass Tanner nicht über sie hinweggekommen wäre. Der Mann, der er geworden war, hätte nie das Leben führen können, das Emma hier in Wilmore lebte. Er brauchte andere Dinge. Und normalerweise bekam er sie auch, denn wenn es nötig war, konnte er rücksichtslos sein.

Stur, egoistisch und rücksichtslos.

Tatsächlich war es Emma gewesen, die das zu ihm gesagt hatte. Und dass er weggehen solle, weil seine großen Träume ihn verändert hätten und er nicht mehr nach Wilmore passte. Sie war es leid, so zu tun, als wäre es großartig und wunderbar, wenn er sie ein paar Mal im Monat mit seiner Anwesenheit beglückte und vorgab, hierher zu gehören, obwohl das gar nicht mehr stimmte. Er gehörte irgendwohin, nur nicht in eine ruhige, gesetzte Kleinstadt. Emma selbst war es, die ihm geraten hatte, besser nach New York zu gehen.

Also zog er um und fand heraus, dass sie recht gehabt hatte. Er passte wirklich besser in eine Großstadt. Das hieß jedoch nicht, dass es nicht wehtat, seine Frau und seine Heimat so plötzlich zu verlieren.

Und genau das war auch der Grund, warum er sich unbedingt von Bailey Stephenson und jeder anderen Frau in dieser Stadt fern halten musste. Er gehörte nicht mehr hierher. Er war nur zurückgekommen, um die Reparaturen der Hochwasserschäden am Grundstück seiner Eltern zu überwachen und um sich von ein paar alten Freunden zu verabschieden, bevor er tausend Meilen weit weg zog. Denn vor Ende des Monats würde er bereits in Florida sein und nur noch selten nach West Virginia zurückkehren. Also machte es keinen Sinn, hier neue Verbindungen zu knüpfen.

Dieser Gedanken war so überzeugend, dass er Emmalees Kinder richtig reizend fand. Und er war plötzlich überzeugt, dass Artie Thorpe zweifellos ein besserer Ehemann und Vater sei als er.

Und dann kam Bailey herein.

Anders als bei den Frauen, die immer noch die hoch toupierten Frisuren vom Vorabend trugen, fiel Baileys das seidige Haar offen über die Schultern. Sie trug ein schlichtes Blümchenkleid, das ihre Figur betonte und den Blick auf ihre langen schlanken Beine freigab. Bailey Stephenson sah genauso aus, wie Tanner sie in Erinnerung hatte, und das Gefühl, das er beim Tanz mit ihr gehabt hatte, durchflutete ihn erneut.

Tanner vergaß Artie und Emmalee schlagartig. Er vergaß, dass er nicht in diese Stadt gehörte. Er vergaß, dass ihn wahrscheinlich die halbe Gemeinde beobachtete. Er hatte nur Augen für Bailey.

Als Bailey sich setzte, bemerkte sie Tanner und seine Eltern. Doris winkte ihr unauffällig zu, und Bailey erwiderte den Gruß. Dann ließ sie den Blick zu Tanner schweifen.

Es fiel ihr offensichtlich schwer, den Blick von ihm zu wenden, und das flatterige Gefühl in seinem Magen verstärkte sich noch. Als der Gottesdienst begann, hatte Tanner allen Schmerz über die Vergangenheit vergessen. Seine Faustregel war es, das Beste aus allem zu machen und sich nicht um Dinge zu grämen, die vorbei waren. Und genau in diesem Augenblick hatte er das Gefühl, dass das Schicksal ihm die Chance gab, einige Zeit mit einer absolut umwerfenden Frau zu verbringen. Beinahe musste er grinsen. Das Leben war doch recht großzügig zu ihm.

Der Gottesdienst zog sich unangenehm in die Länge. Reverend Daniels war an diesem Sonntag besonders gesprächig. Tanner wand sich geradezu auf seinem Platz, besonders weil ihm nicht entging, dass auch Bailey unruhig war. Er war sicher, dass sie am Ende des Gottesdienstes einander buchstäblich in die Arme fallen würden. Doch als der gute Pastor endlich den Segen gesprochen hatte, schoss Bailey wie eine Rakete aus der Kirche zu ihrem Wagen.

Und keineswegs in seine Arme.

Tanner konnte ihr nur noch von der Kirchtreppe hinterher sehen. Mühsam unterdrückte er einen Fluch.

„Hey, Tanner!“

Er drehte sich um. Artie, Emmalee und ihre drei kleinen Kinder näherten sich. Die Gedanken an Bailey vernebelten immer noch seine Sinne, also setzte er automatisch seine heitere Geschäftsmiene auf und streckte Artie die Hände entgegen.

„Hallo, Artie!“, begrüßte er ihn und schüttelte ihm die Hand. „Emma“, sagte er mit einem Blick in Richtung seiner Exfrau. „Wer sind denn die Kleinen da?“, scherzte er.

„Ich bin Sam“, sagte der Erste und schniefte.

„Oh Himmel“, seufzte Emma genervt. „Wir haben das Medikament gegen seine Allergie zu Hause vergessen.“

Sam schniefte lauter. „Macht ja nichts.“

„Doch, durchaus, Samuel Eugene Thorpe“, widersprach Emmalee. Sie war eine große, schlanke Frau mit rotem Haar und durchscheinender Haut. Die Mutterrolle stand ihr gut. „Du schluckst sie zwar ungern, aber du brauchst sie!“ Sie wandte sich an Tanner. „Es tut mir leid, aber wir müssen gehen.“

„Natürlich. Ich will euch nicht aufhalten.“

„Wie lang bist du denn in der Stadt?“, erkundigte Emma sich.

Autor

Susan Meier
<p>Susan Meier wuchs als eines von 11 Kindern auf einer kleinen Farm in Pennsylvania auf. Sie genoss es, sich in der Natur aufzuhalten, im Gras zu liegen, in die Wolken zu starren und sich ihren Tagträumen hinzugeben. Dort wurde ihrer Meinung nach auch ihre Liebe zu Geschichten und zum Schreiben...
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