Etwas Heißes zum Dessert?

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Verbrenn dir nicht die Finger, ermahnt Lara sich streng. Leichter gesagt als getan! Sie will bei der Kochshow unbedingt gewinnen, um einen Job in einem First-Class-Restaurant zu bekommen. Aber ihr Rivale bei dem kulinarischen Wettstreit ist ausgerechnet Finn Westbrook. Der attraktive Meisterkoch hat alles: Unverschämt viel Charme, jede Menge männliches Selbstvertrauen und offensichtlich ein Geheimrezept, wie er Lara schwach macht. Und er spielt unfair: Sein erster Kuss ist eine verführerische Geschmacksprobe, die Lust auf mehr macht. Auf etwas Heißes zum Dessert …


  • Erscheinungstag 07.07.2015
  • Bandnummer 0014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701857
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lara Dunham schob den Basilikumzweig, der die gegrillte Hähnchenbrust auf einem Bett von Risotto und Spargelspitzen verzierte, einen Tick weiter nach links und trat einen Schritt zurück. Zusammen mit der Redakteurin der Kochzeitschrift begutachtete sie ihr Werk.

„Ich weiß nicht“, murmelte die andere Frau. „Irgendetwas stimmt noch nicht.“

„Ich finde, der quadratische Teller ist unpassend.“ Wie sie es erwartet hatte, wirkte er ziemlich asiatisch, was nicht zu dem italienisch angehauchten Gericht passte.

Die Idee mit dem Teller war von der Redakteurin gekommen, und Lara hatte nachgegeben. Sie wusste aus früheren Kooperationen mit der älteren Dame, dass es keinen Zweck hatte, mit ihr zu diskutieren. Sie musste selbst sehen, dass etwas nicht funktionierte, um es zu begreifen.

Und tatsächlich nickte die Redakteurin. Lara verkniff sich ein triumphierendes Lächeln und wandte sich der Praktikantin zu, die ihr assistierte. „Bring mir bitte den großen runden Teller mit dem breiten Rand.“

Eine Dreiviertelstunde später, nachdem das Essen auf dem anderen Teller angerichtet worden war, konnte der Fotograf die Aufnahme machen. Sie würde das Titelblatt der Oktoberausgabe des landesweit erscheinenden Magazins zieren und von Millionen von Lesern gesehen werden.

„Es sieht großartig aus“, schwärmte die Redakteurin, während der Fotograf seine Ausrüstung zuammenpackte und Lara sich daranmachte, das Verlagsbüro zu verlassen. „Ich sollte allmählich lernen, dass es Unsinn ist, Ihnen irgendwelche Vorschläge zu machen. Niemand kann das Essen köstlicher herrichten als Sie.“

Lara nickte. Es war ihre Aufgabe, Gerichte lecker aussehen zu lassen, und sie machte ihre Sache gut. Mit ihrer Liebe zum Detail, für die sie sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht hatte, war sie zu einer gefragten Foodstylistin geworden. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass ihr das Verhalten ihres Vaters so naheging. Die Tatsache, dass er ihr nichts zutraute, schmerzte.

Die, die es können, kochen. Die anderen werden Foodstylisten.

Das waren die Worte des berühmten Restaurantbesitzers Clifton Chesterfield.

Er hatte ihr die Ausbildung an einer der besten Kochschulen des Landes bezahlt und sie anschließend zwei Jahre ins Ausland geschickt, damit sie die Küchentechniken der Toskana und Südfrankreichs vor Ort erlernen konnte. Seitdem Lara alt genug gewesen war, eine Mehlschwitze zuzubereiten, träumte er davon, dass sie in seine Fußstapfen treten und eines Tages sein berühmtes New Yorker Restaurant übernehmen würde. Das Restaurant, das seinen Namen trug und in dem er so gut wie seine gesamte Zeit verbracht hatte, als Lara klein gewesen war.

Es mochte albern und kleinlich sein, aber sie nahm es ihrem Vater noch immer übel, dass ihm dieses dämliche Restaurant wichtiger gewesen war als seine Familie. Mit Mitte zwanzig hatte sie schließlich rebelliert – und zwar äußerst erfolgreich.

Im Rückblick, mit dreiunddreißig, sah sie ein, dass sie zu weit gegangen war. Sie hatte ihren Vater und sein geliebtes Restaurant in aller Öffentlichkeit schlechtgemacht und dann auch noch den einzigen Restaurantkritiker Manhattans geheiratet, der es je gewagt hatte, dem Chesterfield’s eine mittelprächtige Note zu geben. Auch wenn die Ehe mit Jeffrey Dunham nicht lange gehalten hatte, nahm ihr Vater ihr die Verbindung noch immer übel – er redete bis heute nicht mit ihr.

Jetzt, sechs Jahre später, war Lara klar, dass sie sich ins eigene Fleisch geschnitten hatte. Sie plante, ihre Karriere als Foodstylistin an den Nagel zu hängen und stattdessen eine erfolgreiche Köchin zu werden. Und wenn sie schon nicht seine Zuneigung bekommen konnte, so wollte sie sich doch wenigstens den Respekt ihres Vaters erarbeiten.

Als sie ihn aber vor einem Jahr gefragt hatte, ob sie bei ihm anfangen könne, hatte er sein Schweigen nur gebrochen, um ihr zu sagen, dass er sie nicht einmal als Küchenhilfe einstellen würde. Und wenn er sie nicht einstellte, würde das auch kein anderes halbwegs angesehenes Restaurant in der Stadt tun. Clifton Chesterfields Einfluss war nicht zu unterschätzen.

Doch nun hatte sie endlich eine Gelegenheit, ihrem Vater zu beweisen, dass sie eine ernstzunehmende Köchin war, und sie würde es nicht vermasseln.

Lara verließ das Gebäude. Wenn sie sich beeilte, würde sie es noch vor eins ins Zentrum schaffen. Dann hätte sie zwar keine Zeit mehr, Mittag zu essen, aber da sie vor lauter Nervosität ohnehin keinen Bissen herunterbekäme, war ihr das egal.

Über ihr zogen sich dunkle Wolken zusammen. Es würde jeden Moment anfangen zu regnen, und sie hatte keinen Schirm dabei. Auch wenn sie das Wetter nicht als schlechtes Omen ansah – auf alle Fälle war es nicht gut für ihre Frisur. Ihr schulterlanges rötlich braunes Haar, das sich ohnehin nur schlecht in Form bringen ließ, hing nun schnurgerade herab. Bevor sie ein Taxi herbeiwinkte, fuhr sie sich über den Pony, den sie sich bei ihrem letzten Friseurbesuch hatte schneiden lassen – was sie inzwischen bereute.

Als sie die Hand nach dem Türgriff des Taxis ausstreckte, streiften ihre Finger die Hand eines Mannes, den sie vorher nicht bemerkt hatte. Beide traten einen Schritt zurück.

„Oh“, sagte Lara, nicht nur, weil sie nicht die Einzige war, die dieses Taxi nehmen wollte, sondern auch, weil ihr Konkurrent ungeheuer gut aussah. Anders als die meisten Männer, die man um diese Tageszeit auf der Straße traf, trug er keinen Anzug, sondern verwaschene Jeans und eine leichte Windjacke. Er war braungebrannt, und in seinem dunkelblonden Haar leuchteten sonnengebleichte Strähnen. Ein Stoppelbart umrahmte sein entspanntes Lächeln, das irgendwie nicht zu dem ernsten Blick seiner grauen Augen passte.

„Schere, Stein, Papier?“, fragte er.

„Einverstanden“, antwortete Lara und schlang den Gurt ihrer Handtasche um ihre Schulter, um die Hände frei zu haben.

„Ching, chang, chong“, sagten sie im Einklang – dann streckte er die flache Hand aus, während Lara mit Zeige- und Mittelfinger eine Schere imitierte.

„Schere schneidet Papier“, sagte sie überflüssigerweise.

Er seufzte. „Ich hätte bei Ihnen eher mit Stein gerechnet.“

Was sollte das denn jetzt heißen? „Sorry, dass ich Sie enttäuscht habe.“

„Ich würde nicht sagen, dass ich enttäuscht bin.“ Er hielt ihr die Wagentür auf und beugte sich zu ihr hinein, nachdem sie sich gesetzt hatte. „Da Sie mich um das Taxi gebracht haben … dürfte ich Sie vielleicht um einen Gefallen bitten?“

„J…ja“, sagte sie zögernd, obwohl sie ziemlich gespannt war, was jetzt kommen würde.

Doch er schüttelte den Kopf. „Nein. Vergessen Sie es. Es ist verrückt“, brummelte er und schickte sich an, sich aufzurichten.

„Nun sagen Sie schon: Was kann ich für Sie tun?“

Er zögerte einen Moment. „Ich bin auf dem Weg zu einem wichtigen Termin. Eine große Sache, von der meine Zukunft abhängt.“

„Ein Vorstellungsgespräch?“

„So könnte man es nennen.“

Lara nickte. Genau wie sie. So konnte man es nennen. „Also – was ist das für ein Gefallen?“

„Darf ich …“ Sein Blick senkte sich auf ihren Mund. „Bekomme ich einen Kuss als Glücksbringer?“

Lara lachte ungläubig auf, während ihr Körper von einem erregten Kribbeln ergriffen wurde. „Alle Achtung. Den Spruch habe ich noch nie gehört.“

Der Mann schloss die Augen und sah dabei sowohl etwas verlegen als auch beunruhigend anziehend aus. „Ja. Lächerlich. Vergessen Sie es.“

Wieder wollte er sich aufrichten. Gleich würde er die Tür zuschlagen und sie im Taxi davonfahren. Glück? Wenn es weiter nichts war – ein wenig davon täte ihr selbst schließlich auch gut. Und was konnte es schon schaden, einen wildfremden Mann zu küssen? In einer Stadt mit mehr als acht Millionen Einwohnern war die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihm wiederbegegnete, verschwindend gering. Also griff sie nach seiner Jacke und zog ihn zu sich hinunter.

Sein Kuss war nachdrücklich und zart zugleich. Lara nahm an, dass der Fremde sich nach erfolgreicher Mission wieder aufrichten und sie wegfahren lassen würde. Doch sie hatte sich getäuscht. Er umfasste ihr Kinn, streichelte ihre Wange und schloss seufzend die Augen. Als er seinen Mund wieder auf ihren senkte, war Lara froh, dass sie saß, so schwindelig wurde ihr.

„Hey, Kollege, steigst du nun ein oder nicht?“, fragte der Taxifahrer ungeduldig.

Das ließ die Glut, die sich in Lara ausgebreitet hatte, abkühlen. Der schöne fremde Mann löste sich verlegen lächelnd von ihr.

Auch sie war ein wenig befangen. Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit waren eher nicht so ihr Ding.

„Nein. Die Dame hat gewonnen. Sie fährt“, erwiderte er und richtete sich auf.

„Viel Glück“, sagte sie.

„Danke“, antwortete er und schloss die Tür. Als das Taxi anfuhr, lächelte er nicht mehr. Stattdessen starrte er kopfschüttelnd zu Boden. Aber er sah eher verwirrt aus als genervt, und das, obwohl es in diesem Moment wie aus Kübeln zu schütten begann.

Es kostete Lara Mühe, wieder halbwegs zu sich zu kommen. Sie durfte sich jetzt nicht von den aufregenden Küssen schöner fremder Männern ablenken lassen. Sie musste sich voll konzentrieren. Als sie einen kurzen Blick in den Rückspiegel warf, stellte sie fest, dass sie ein wenig benommen aussah und ihre Wangen gerötet waren. Ihr Haar war zerzaust, ihr Lipgloss verschwunden. Doch für einen so aufregenden Kuss nahm sie es gern in Kauf, ein wenig derangiert auszusehen.

Sie zog ihren Taschenspiegel hervor und schminkte sich nach. Abgesehen von dem Lipgloss trug sie kaum Make-up, doch in Anbetracht der vielen Zeit, die sie drinnen verbrachte, war etwas Rouge auf ihren blassen Wangen ein Muss. Ein wenig Mascara verhinderte, dass man ihr ansah, wie schlecht sie in der vergangenen Nacht geschlafen hatte.

Vor Aufregung.

Heute war ihr großer Tag. Wenn alles gut ging, würde sie vielleicht bald in der Küche des Chesterfield’s stehen.

Glück.

Das war Finn Westbrook seit seiner Scheidung vor zwei Jahren nicht gerade hold gewesen. Jetzt stand er hier und würde womöglich zu spät zu dem Termin kommen, der die Chance seines Lebens darstellte. Und das alles nur, weil er seine Taxifahrt verspielt hatte! Doch als er dem sich entfernenden Wagen mit der hübschen jungen Frau darin hinterhersah, war er versöhnt.

Sie war nicht die Sorte Frau, nach der sich die Männer die Köpfe verdrehten. Dafür war sie zu unauffällig: klein, mit Sommersprossen, Augenbrauen, die unter einem Pony verschwanden, eher schm­ale Lippen und weit auseinanderstehende grüne Augen, in denen man aus der Nähe goldene Sprenkel sehen konnte.

Doch in dem Moment, als sich ihre Hände berührt hatten, war es ihm durch und durch gegangen. Es fiel ihm schwer, das Gefühl zu beschreiben – eine schier übermächtige Anziehungskraft, die ihn atemlos zurückließ. Eines aber wusste er ganz genau: So wie für sie hatte er schon seit langer Zeit für keine Frau mehr empfunden.

Und dann dieser Kuss – die Glut, die dieser in ihm entfacht hatte, drohte noch immer, ihn zu verbrennen.

In diesem Moment begann es fürchterlich zu regnen. Doch Finn musste lächeln. Wahrscheinlich sollte er froh sein über die kalte Dusche.

2. KAPITEL

Im Laufe der Fahrt war es Lara gelungen, die Gedanken an den aufregenden Fremden beiseitezuschieben. Dafür war ihr nun ganz schlecht vor Aufregung. Sie zahlte, hielt ihre Tasche als Regenschutz über den Kopf und eilte auf das Gebäude zu.

Nachdem sie sich am Empfang in der Lobby angemeldet und sich das Namensschild mit der Aufschrift Lara Smith angesteckt hatte, begab sie sich zum nächsten Aufzug und seufzte erleichtert. Die erste Hürde war schon einmal genommen. Dank ihrer neuen Frisur und ihres Decknamens war sie unerkannt geblieben.

Der Pausenraum der Sylvan-Studios im 14. Stock war brechend voll. Es war eine ziemlich bunte Gesellschaft, aber das hatte sie nicht anders erwartet. Es gab nun einmal die verschiedensten Köche, von Künstlertypen und Avantgardisten bis hin zu bodenständigen, manchmal erschreckend farblosen Menschen. Und sie wusste, dass sie keinesfalls den Fehler begehen durfte, einen von ihnen aufgrund seines Äußeren zu unterschätzen. Alle hatten es durch die Vorauswahl geschafft und waren auf dasselbe aus wie sie selbst: auf eine Stelle. Und zwar nicht irgendeine Stelle, sondern eine, die sie schon längst hätte haben können, wäre sie damals nicht so übertrieben aufsässig gewesen. Sollte ihr Vater ihr ruhig Salz in die Wunde reiben, indem er öffentlich verkündete, dass er einen Nachfolger brauchte und sich bereiterklärte, die Stelle des Chefkochs in seinem Restaurant über eine sehr beliebte Kochshow von Cuisine Cable Network zu besetzen. Zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der letzten Folgen im Herbst würde Lara bereits über die Abendkarte des Chesterfield’s entscheiden – oder ein anderer der zwölf hoch qualifizierten Köche aus dem ganzen Land.

Sie nahm ohne Wissen ihres Vaters an dem Wettbewerb teil. Auch vom Sender wusste niemand etwas von ihrer Verbindung zu Clifton und zum Chesterfield’s. Da alle Sendungen vor Ausstrahlung der ersten Folge aufgezeichnet wurden, bestand die Hoffnung, dass sie nicht aufflog. Wenn sie es bis in die letzte Runde schaffte – bei deren Aufzeichnung ihr Vater anwesend wäre –, würde sie sich outen müssen. Aber bis dahin konnte sie sich beweisen, indem sie all ihre Kochkünste und ihre gesamte Kreativität aufbrachte.

Sie sah sich noch einmal im Pausenraum um und zählte sechs Männer sowie vier Frauen. Mit ihr also elf. Sie runzelte die Stirn. Es fehlte jemand.

Sie stand noch immer im Türrahmen und checkte E-Mails auf ihrem Smartphone, als sie hinter sich Schritte hörte. Das musste Teilnehmer Nummer zwölf sein. Sie wandte sich um und sah …

„Papier“, flüsterte sie überrascht.

„Finn. Finn Westbrook“, antwortete er lächelnd, schälte sich aus der durchweichten Jacke und hängte sie an die Garderobe zu Laras Linken. „Na? Angenehme Fahrt gehabt?“

„Ja, danke.“ Auch wenn die Antwort offensichtlich zu sein schien, fragte sie zurück: „Und Sie? Mussten Sie lange auf ein anderes Taxi warten?“

„Ich denke, das Sie können wir uns schenken – nachdem wir uns ja bereits nähergekommen sind“, entgegnete er grinsend. „Auf der Ecke war keine Chance. Ich bin losgegangen und habe drei Blocks weiter ein Taxi bekommen.“

Ein Wassertropfen rann seine Schläfe hinab, und Lara unterdrückte den Impuls, ihn abzuwischen. Stattdessen reichte sie ihm eine Packung Papiertaschentücher.

„Danke.“

„Das ist ja wohl das Mindeste. Wenn ich gewusst hätte, dass wir das gleiche Ziel haben, hätte ich das Taxi mit dir geteilt.“

Er nahm sich ein paar Taschentücher, gab ihr das Päckchen zurück, rieb sein Gesicht und seinen Kopf ab. Sein kurzes Haar sah anschließend gleichzeitig strubblig und perfekt aus. „Du bist also Köchin“, sagte er.

„Ja“, antwortete sie, „und du also auch?“

„Einer der besten“, antwortete er mit einem charmanten Lächeln, das verhinderte, dass sein Eigenlob allzu eingebildet klang.

„Das kann wohl jeder in diesem Raum von sich behaupten“, erwiderte Lara trocken.

Sein Lächeln wurde breiter; er knüllte die Taschentücher zusammen und warf sie in Richtung eines Papierkorbes. Treffer. Natürlich. Noch ein Punkt für ihn – wenn sie weiter mitzählte.

„Das heißt dann wohl, dass ich dein Rivale bin“, bemerkte er.

Allerdings. Und nicht nur das – dieser Finn war eine allzu willkommene Ablenkung. „Das heißt es wohl.“

Er sah ihren Mund einen Moment lang an und sagte dann: „Zu schade.“

Bevor Lara auch nur über eine passende Antwort nachdenken konnte, trat ein Mann herein. Er war Ende dreißig, trug Brille und Anzug und hatte tiefe Geheimratsecken. Er klatschte in die Hände, um die Anwesenden auf sich aufmerksam zu machen, was ihn alt und oberlehrerhaft erscheinen ließ.

Lara erkannte Tristan Wembley von der Vorausscheidung in der vergangenen Woche. Was genau er beim Sender machte, wusste sie nicht, aber er hatte ihnen gesagt, dass er bei Fragen oder Problemen der erste Ansprechpartner war.

„Herzlich willkommen in den Sylvan-Studios, wo Cuisine Cable Network zuhause ist und die erfolgreiche Sendung Kampf der Küchenchefs gedreht wird, bei der es dieses Mal um einen Posten im berühmten Chesterfield’s geht. Meinen Glückwunsch! Die Tatsache, dass Sie bis hierher gelangt sind, zeugt von Ihrem Können. Fast zweihundert andere Bewerber haben es nicht durch die Vorrunde geschafft. Heute können Sie sich das Küchenstudio ansehen. Morgen und am Freitag werden wir Werbefilme für die Staffel drehen, die vorab im Fernsehen und auf unserer Webseite zu sehen sein werden. Die Aufnahmen für die erste Runde beginnen am Montag. Sie müssen spätestens um sieben Uhr morgens im Studio sein. Richten Sie sich darauf ein, mindestens zehn Stunden hier zu verbringen.“

„Zehn Stunden!“, japste jemand.

„Wahrscheinlich eher zwölf“, erwiderte Tristan ungerührt.

Obwohl die Sendung nur einmal wöchentlich ausgestrahlt wurde, mussten die teilnehmenden Köche fast vier Wochen lang drei volle Tage pro Woche im Studio sein. Lara hatte eine anstrengende Zeit vor sich.

„Sehen Sie sich gut um“, riet Tristan schließlich. „Nächste Woche um dieselbe Zeit ist einer von Ihnen schon nicht mehr dabei, und der Nächste steht kurz vor dem Aus.“

Lara betrachtete die anderen Teilnehmer und fragte sich, wer die ersten sein würden, die gehen mussten. Als sie bei Finn angelangt war, schnaubte er und beugte sich zu ihr herüber, um zu flüstern: „Mich wirst du nicht so schnell los. Ich bin bis zum Schluss dabei.“

Unter anderen Bedingungen hätte sie sich über diese Worte aus einem so verführerischen Mund eines so aufregenden Mannes sicher gefreut, aber in diesem Fall …

Ein Schauer lief ihr über den Rücken. „Das hoffe ich nicht.“

„Zumindest bist du ehrlich“, antwortete Finn – nun nicht mehr lächelnd.

Wenn er wüsste …

Wieder klatschte Tristan in die Hände. „Also gut, wenn Sie mir dann bitte folgen würden …“

Finn ging neben Lara her. „Ich nehme mal an, dass du es jetzt bereust, mir einen Kuss als Glücksbringer gegeben zu haben“, sagte er im Plauderton.

Lara sah sich verstohlen um und stellte erleichtert fest, dass ihnen offenbar niemand zuhörte. Dass sie Küsse als Glücksbringer verteilte, musste nicht unbedingt gesendet werden.

„Wahrscheinlich so sehr, wie du es jetzt bereust, mir das Taxi überlassen zu haben“, antwortete sie so leise, dass er sich zu ihr herüberbeugen musste. Scharf atmete sie ein, als sie seine Körperwärme spürte.

„Du hast die Fahrt gewonnen“, erwiderte er schulterzuckend und sah wieder ihren Mund an. „Und was den Rest betrifft, mache ich mir keine Vorwürfe. Es war … nett.“

„Nett?“

„Fällt dir ein besseres Wort ein?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Allerdings schon ein wenig ungewöhnlich.“

„Ich weiß nicht, was du damit sagen willst“, antwortete sie unschuldig.

Er lächelte so zufrieden, wie Lara sich nach jenem großartigen Kuss gefühlt hatte. „Ich glaube, das weißt du sehr gut.“

Allerdings. Das tat sie.

„Ich möchte jetzt schon sagen, dass es mir leidtut“, fuhr er fort.

„Was?“

„Dass ich dich fertigmachen werde“, antwortete er mit einem verwegenen, selbstsicheren Grinsen.

„Ganz schön eingebildet“, gab Lara zurück, doch auch sie musste lächeln.

Ein paar Schritte weiter verkündete Tristan: „Jeder von Ihnen bekommt einen Arbeitsplatz zugewiesen. Alle Plätze sind identisch ausgestattet. Heute haben Sie eine Stunde lang Gelegenheit, sich mit dem Platz vertraut zu machen. Falls irgendetwas fehlt oder defekt ist, müssen Sie das melden, bevor Sie heute Abend das Studio verlassen. Sobald die Filmarbeiten am Montag begonnen haben, wird nichts mehr geändert. Absolut nichts.“ Es sah sich mit strengem Blick um. „Dann müssen Sie improvisieren.“

Mittlerweile waren sie vor dem Studio angekommen. Die rote Lampe über der Flügeltür leuchtete nicht – also fanden gerade keine Dreharbeiten statt. Doch das würde sich bald ändern.

Als Foodstylistin war Lara grelles Licht und Kameras um sich herum gewohnt, und sie nahm an, dass ihr das einen gewissen Wettbewerbsvorteil verschaffte. Bis Tristan die Tür öffnete und sie alle den Raum betraten.

Die Deckenbeleuchtung tauchte die Geräte und die stählernen Arbeitsflächen in gleißendes Licht.

Jemand rief: „Wie toll!“

Mehrere der Anwesenden murmelten etwas vor sich hin, manche begeistert, manche verzagt. Auch Lara war eher eingeschüchtert.

„Es sieht anders aus als im Fernsehen“, bemerkte Finn.

Wie recht er hatte! Im Fernsehen wirkte das Studio kleiner, fast schon heimelig. Eben wie eine echte Restaurantküche und nicht wie ein riesiges Studio voller Kabel und Kameras. Zwei Wände waren von Arbeitsplätzen gesäumt, an der dritten gab es einen Vorratsschrank, ein beeindruckend bestücktes Weinregal, einen großen Kühlschrank, eine Eismaschine, einen Kaltluftfroster und weitere Spezialgeräte.

Diese Aufteilung erlaubte sowohl den Teilnehmern als auch den Kameraleuten, sich frei im Raum zu bewegen. Und natürlich Garrett St. John, dem Moderator der Sendung, der zu den Arbeitsplätzen der einzelnen Teilnehmer gehen würde, um ihr Vorgehen zu dokumentieren und sie zu ihrer Arbeit zu interviewen.

Bei dem bloßen Gedanken daran wurde Lara flau im Magen. Frei reden hatte sie schon in der Schule gehasst.

„Falls jemand von Ihnen unter akutem Lampenfieber leidet, ist es an der Zeit, das abzulegen“, sagte Tristan. „Machen Sie sich darauf gefasst, dass Sie ständig gefilmt werden. Es kann durchaus vorkommen, dass ein Dutzend Kameras gleichzeitig auf Sie gerichtet sind. Jedes Lächeln, jede Grimasse, jedes Stirnrunzeln wird aufgenommen.“

„Wie beruhigend“, murmelte Lara.

Finn lachte trocken.

Tristan fuhr fort: „Sobald die Serie ausgestrahlt wird, werden die Fans mit ihrem Favoriten mitfiebern. Wir wollen ihnen so viel Input geben wie möglich – darum wird viel von dem Filmmaterial, das es nicht in die Sendungen schafft, auf die Webseite der Show gestellt.“

Als sein Telefon klingelte, warf Tristan einen Blick auf das Display. „Tut mir leid, ich muss diesen Anruf annehmen. Ich bitte Sie, hier zu warten und nicht an die Arbeitsplätze zu gehen, bis ich wieder hier bin“, sagte er und ging in den Flur zurück.

„Nervös?“, fragte Finn.

Lara unterdrückte ein Stöhnen. Allerdings war sie nervös. Doch sie schüttelte den Kopf.

„Und ich dachte, du bist ehrlich“, schalt er sie lächelnd.

„Na gut, vielleicht bin ich ein wenig nervös“, gab sie zu. „Aber nicht, weil ich für eine Jury kochen muss, und das auch noch unter Zeitdruck, sondern …“

„Lügnerin.“

Sie kümmerte sich nicht um seine Bemerkung und fuhr fort: „Ich habe eher Angst davor, vor laufender Kamera zu arbeiten. Das macht doch sicher alle hier nervös.“

„Das meinst du.“

„Willst du etwa sagen, dass du überhaupt kein Lampenfieber hast?“

„Wenn ich gewinnen will, kann ich mir das nicht leisten. Und ich will gewinnen.“

„Wollen heißt nicht unbedingt werden.“

Er lächelte verwegen, beugte sich dann vor und sagte in nüchternem Ton: „Ich werde gewinnen.“

Unter anderen Bedingungen hätte sie sein Selbstbewusstsein sexy gefunden. Doch da seine Pläne ihr nicht in den Kram passten, entgegnete sie schnippisch: „Träum weiter, Papier.“

Er lachte. „Hatte ich doch recht mit dem Stein. Aber das Einzige, wovon ich momentan träume“, er senkte den Blick auf ihre Lippen und zögerte, bevor er weitersprach, „das Einzige, wovon ich momentan träumen darf, ist, dass ich der letzte Koch bin, der diese Küche verlässt.“

„Womit wir schon zwei wären.“

„Ich würde eher sagen, zwölf“, bemerkte der junge Mann, der rechts neben Lara stand.

Sie hatte ihn vergessen, wie sie auch alle anderen vergessen hatte, während sie und Finn ihr kleines Wortgefecht ausgetragen hatten.

Kirby Nochwas – von hier aus konnte sie den Nachnamen auf seinem Schild nicht erkennen. Er musste Anfang zwanzig sein und hatte wild vom Kopf abstehendes Haar.

„Kein Grund, nicht nett zueinander zu sein“, sagte eine dickliche blonde Frau mittleren Alters, deren Namensschild verriet, dass sie Flo Gimball hieß.

„Das stimmt wohl. Wir sollten nett zueinander sein. Obwohl das natürlich nichts daran ändern wird, dass ich gewinnen werde“, erwiderte ein Mann mit kahlrasiertem Kopf, Tunnelpiercings in den Ohrläppchen und zehn Zentimeter langem Ziegenbart. Mit seinen volltätowierten Armen wäre er in einer Rockerkneipe kaum aufgefallen. Als echter Rebell trug er natürlich kein Namensschild, doch auf seinen Hals war das Wort Ryder eintätowiert, und Lara nahm an, dass das sein Name war, auch wenn sie nicht wusste, ob es sich um Vor-, Nach- oder Spitznamen handelte.

„Sicher“, murmelte sie. Die Vorstellung, ihn in der Küche ihres Vaters hantieren zu sehen, entlockte ihr ein Lächeln.

„Hast du was zu sagen?“, fragte Ryder mit seiner Reibeisenstimme.

Er war gut und gerne zwei Meter groß und trug sein Filetiermesser, das er sicher nicht nur für Fisch und Fleisch verwendete, in einem Futteral am Gürtel.

„Sachte, Kollege“, mischte sich Finn ein. „Leg dich mit Leuten an, die dir gewachsen sind.“

Ryder lachte höhnisch. „Ich habe gar nicht gewusst, dass man hier paarweise antritt. Was soll das werden, du Schönling? Willst du ihr Souschef werden?“

Seine Stichelei brachte einige der Mitstreiter zum Lachen.

Lara war Finn dankbar, dass er ihr beigesprungen war, doch sie durfte keine Schwäche zeigen. Also sagte sie zu Ryder: „Ja, ich habe was zu sagen. Aber ich werde meine Kochkünste ab Montag für mich sprechen lassen.“

Sie hoffte, dass das, was sie hier zubereiten würde, der dreiköpfigen Jury gefallen würde – und den berühmten Köchen, welche die Jury unterstützten.

„Dann wird es wohl ziemlich leise sein“, sagte eine statuenhafte Brünette, auf deren Schild Angel Horvath stand. Ihre übertriebenen Lippen verzogen sich zu einem nicht gerade freundlichen Lächeln, und Lara beschlich das Gefühl, dass sie sich vor dieser Frau in Acht nehmen musste. Wie eigentlich vor all ihren Konkurrenten hier. Denn jeder verfolgte dasselbe Ziel: gewinnen.

Autor

Jackie Braun
Nach ihrem Studium an der Central Michigan Universität arbeitete Jackie Braun knapp 17 Jahre lang als Journalistin. Regelmäßig wurden dabei ihre Artikel mit Preisen ausgezeichnet. 1999 verkaufte sie schließlich ihr erstes Buch ‚Lügen haben hübsche Beine‘ an den amerikanischen Verlag Silhouette, der es im darauf folgenden Jahr veröffentlichte. Der Roman...
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