Feuer, Eis und heiße Küsse

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Breite Schultern, schmale Hüften, ein Lächeln, das jedem weiblichen Wesen Herzflattern beschert: Connor Mansfield sieht einfach teuflisch sexy aus, muss Vivi widerwillig zugegeben. Aber zum Glück lässt sie sein gefährlicher Charme absolut kalt, schließlich kennt sie ihn schon ihr halbes Leben - und hasst ihn leidenschaftlich, seit er ihr einst das Herz brach. Als sie jetzt beim Spendensammeln gegen ihn antreten muss, fliegen prompt die Fetzen. Doch bald ist es nicht mehr der Hass, der zwischen Connor und ihr entflammt, sondern ein ganz anderes, viel bedrohlicheres Gefühl …


  • Erscheinungstag 01.10.2013
  • Bandnummer 0020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733700027
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Vivienne LaBlanc bemühte sich, nirgendwo mit ihren Flügeln anzustoßen und sich nicht zu schnell zu bewegen, damit der Heiligenschein auf ihrem Kopf nicht verrutschte, während Max Hale auf der anderen Seite des Vorhangs seine Einführungsrede hielt.

„Es gibt viele Vereine, aber keinen wie Bon Argent. Vor fünf Jahren beschlossen wir, etwas zu unternehmen und Geld für die Opfer von Hurrikan Katrina zu sammeln, und haben uns dafür an eine Tradition erinnert, die für New Orleans typisch ist. Wir waren erfolgreicher, als wir es uns je hätten träumen lassen. Während des Saints and Sinners-Festival, das mit jedem Jahr größeren Zulauf erhält, konnten wir Hunderttausende von Dollar an viele Wohltätigkeitsorganisationen weiterleiten, und ich möchte Ihnen allen für Ihre Spenden und Ihre Unterstützung danken.“

Nach einem kurzen Applaus fuhr Max mit seiner Lobrede auf die Errungenschaften fort. Vivi hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie wusste bestens über die Arbeit von Bon Argent Bescheid, war sie doch seit der Gründung mit dabei. Candy Hale war eine ihrer ältesten Freundinnen, Max so etwas wie ein zweiter Vater, und ihre Mutter hatte jahrelang im Vorstand gesessen. Ihr brauchte man den Erfolg des Vereins also nicht zu verkaufen. Was sie allerdings brauchte, war irgendein Clip, um diese Flügel zusammenzuhalten.

Wie soll ich mich mit diesen Dingern denn hinsetzen können? Es waren wirklich wunderschöne Flügel, sie reichten ihr über den Kopf und gingen hinunter bis zu den Waden. Vivi richtete die Fersenriemchen an ihren goldenen Sandaletten und runzelte die Stirn. Sie konnte fühlen, wie das gesamte Konstrukt bedenklich schwankte. Eigentlich sah sie weniger wie ein Engel aus, sondern eher wie ein Las Vegas-Showgirl, das in das weihnachtliche Krippenspiel geplatzt war.

Mit den pompösen Kostümen grenzte der Ball der Saints and Sinners – und der gesamte Bon Argent-Verein – manchmal hart ans Lächerliche. Aber das war es schließlich auch, was die ganze Sache so kurzweilig machte und weshalb sie in so kurzer Zeit so bekannt und erfolgreich geworden waren.

Jetzt warteten dreihundert Leute da draußen im Saal gespannt darauf, dass die diesjährige Heilige und der Sünder des Jahres bekannt gegeben wurden. Ganz in der Tradition der Mardi Gras – Vereine war dies bis zum allerletzten Moment ein bestens gehütetes Geheimnis. In diesem Jahr kannten nur drei Leute den Namen – Max als Kopf von Bon Argent, Paula, die sich um die PR kümmerte, und Miss Rene, die für die Kostüme verantwortlich war. Selbst Vivi hatte nicht in Erfahrung bringen können, wer ihr Gegenpart bis zum Mardi Gras, dem Faschingsdienstag, sein würde.

Auch wenn sie ein paar Vermutungen hatte.

Anders als die traditionellen Vereine, die immer einen König und eine Königin krönten, bestand Bon Argent nicht auf derartige Geschlechterregeln. Sünder und Heiliger wurden aufgrund ihres lokalen Bekanntheitsgrads ausgewählt und konnten somit also durchaus gleichen Geschlechts sein. Vivi setzte auf Nachtclub-Besitzerin Marianne Foster. In letzter Zeit hatte Marianne häufiger in den Schlagzeilen gestanden, auch würde sie viele Stimmen und damit viel Geld einfahren können. Trotzdem … es hatte nichts mit Selbstüberschätzung zu tun, wenn Vivi behauptete, dass sie berühmter war und viel mehr Geld zusammenbringen konnte.

Sie unterdrückte den bissigen Gedanken. Gedanken waren immer Vorläufer von Worten und Taten. Sie achtete stets darauf, einen klaren Kopf zu behalten, bevor sie etwas sagte oder tat, was sie hinterher bereute. Hier ging es schließlich nicht ums Gewinnen, sondern darum, so viel Geld wie möglich zu sammeln.

Nun, ein wenig ging es auch ums Gewinnen. In den letzten beiden Jahren hatte der Sünder den Pokal erhalten. Doch dieses Jahr würde die Ehrung an die Heilige gehen, denn Vivi weigerte sich einfach zu verlieren. Zu verlieren hinterließ einen bitteren Geschmack im Mund.

Na schön, sie war also ehrgeizig. Daran war auch nichts verkehrt. Wer verlor schon gern? In diesem speziellen Falle war ihr Ehrgeiz sogar wünschenswert, schließlich ging es hier um einen guten Zweck.

Max stellte jetzt ihre Putten vor – zehn Kinder aus der hiesigen Schule, die sie beim Spendensammeln und bei den Arbeiten unterstützen würden. Gleich würde ihr Stichwort kommen. Sie atmete noch einmal tief durch, zupfte ihr Kleid zurecht …

„Und jetzt ist es mir eine Ehre, unsere Heilige zu präsentieren – Vivienne LaBlanc!“

Der Vorhang hob sich, ein Blitzlichtgewitter ging los, Applaus brandete auf. Vivi hörte das unverkennbare Pfeifen ihrer Schwester und sah zu dem Tisch, an dem ihre Familie saß. Als sie sich vorhin mit einem Vorwand entschuldigt hatte, da hatte Lorelei ihr wissend zugezwinkert, jetzt winkte sie ihr zu, während alle im Saal ihrer Familie Glückwünsche zuriefen.

Es war eine große Ehre, als Heilige ausgewählt zu werden. Der laute Applaus rührte Vivi, zeigte es ihr doch, wie viele Menschen überzeugt waren, dass sie ihn verdiente. In ihrem Leben hatte sie schon viele Wettbewerbe gewonnen, hatte viele Kronen und Tiaren mit nach Hause gebracht, doch das hier war anders. Hier ging es um mehr als nur um das Äußere. Jahrelang hatte sie dagegen angekämpft, immer nur als hübsches Gesicht ohne Substanz angesehen zu werden. Der Heiligenschein auf ihrem Kopf war der Beweis, dass es sich gelohnt hatte. Er mochte albern und vielleicht sogar ein wenig billig wirken, aber er bedeutete ihr mehr als jede Krone, die sie bisher getragen hatte.

Den Sünder – wer immer das sein würde – zu schlagen wäre die Kirsche auf dem Törtchen, und sie wollte diese Trophäe mehr als alles andere.

Jetzt nahm Vivi den Heiligenschein ab und setzte ihn auf das blaue Samtkissen, auf dem dann gleich auch die Hörner des Sünders liegen würden, bis der Wettbewerb zu Ende war und der Gewinner beide Trophäen erhielt. Dann nahm sie zusammen mit ihrem Gefolge ihren Platz ein und applaudierte höflich, als das Gefolge des Sünders vorgestellt wurde, die Teufel.

Max holte tief Luft, er sah aus, als würde er vor Aufregung gleich explodieren. „Die Wahl unseres Sünders hat sich dieses Jahr regelrecht aufgedrängt, und ich freue mich außerordentlich, dass er es hat einrichten können und sich die Zeit für diese so wichtige Veranstaltung genommen hat.“

Vivi hatte die Wette mit sich also verloren, das sagte ihr Max’ Wortwahl. Dabei war sie so sicher gewesen, dass es Marianne sein würde. Nun, sie war bereit, es mit jedem aufzunehmen.

„… ist Connor Mansfield!“

Das Lächeln erfror Vivi auf dem Gesicht. Das konnte nur ein schlechter Witz sein!

Fast hätte Connor laut gelacht, als er auf die Bühne trat und Vivis Gesicht sah. Die Mischung aus Entsetzen und Wut passte so gar nicht zu den glitzernden weißen Engelsflügeln. Verübeln konnte er ihr es nicht, er hatte ähnlich reagiert, als ihr Name bekannt gegeben worden war. Glücklicherweise hatte er da noch sicher hinter dem Bühnenvorhang gestanden.

Eines musste er Bon Argent lassen – der Verein wusste, wie man die Aufmerksamkeit der Lokalpresse erregte. Die Spenden würden wahrscheinlich alles bisher Dagewesene übertreffen.

Vivi wirkte, als wollte sie ihm am liebsten an die Gurgel gehen. Nun, manche Dinge änderten sich eben nie, ganz gleich, wie lange man aus seiner Heimatstadt weg war.

Aber die Show musste weitergehen, und deshalb nahm er die Hörner ab und legte sie neben den Heiligenschein auf das Samtkissen. Dann ging er zu Vivi, nickte ihr höflich zu und wartete darauf, dass sie die Geste erwiderte, bevor sie sich unter dem Applaus der Anwesenden zusammen an den Tisch auf der Bühne setzten, damit das Spendendinner offiziell beginnen konnte.

Kellner servierten den ersten Gang und schenkten Gläser voll, und Connor lehnte sich leicht zu Vivi.

„Du machst noch die ganze Arbeit des Kieferorthopäden zunichte, wenn du weiter so mit den Zähnen knirschst.“

Sie griff nach dem Wasserglas, betrachtete es nachdenklich und trank dann achselzuckend einen Schluck. So wie er sie kannte, hatte sie gerade überlegt, ob sie es ihm in den Schoß gießen sollte.

„Ich würde ja sagen, ‚Willkommen zu Hause‘, aber …“

„Aber das wäre nicht ernst gemeint.“ Er grinste sie provozierend an.

„Aber“, fuhr sie ungerührt fort, „das erübrigt sich wohl, wenn man die Begrüßung bedenkt, die du gerade erhalten hast.“

„Neidisch, weil der Applaus lauter war als bei dir?“

„Nein, mir geht es nicht um Aufmerksamkeit.“ Sie lächelte schmal. „Manche von uns lassen die Pubertät hinter sich und werden erwachsen.“

Für einen Moment schien er ihre Worte abzuwägen, dann schüttelte er traurig den Kopf. „Du bist noch immer genauso scheinheilig.“

„Und du bist immer noch …“

Sie brach so abrupt ab, dass Connor sich fragte, ob sie sich auf die Zunge gebissen hatte.

Vivi atmete geräuschvoll durch die Nase ein. „Du musst sehr zufrieden sein, dass man dich endlich entsprechend deiner Eigenschaften einsetzt.“

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, oh heilige Vivienne, aber diese Titel heute werden nicht für die tatsächlichen Charaktereigenschaften verliehen.“

„Nicht?“ Sie setzte die perfekte Unschuldsmiene auf. „Ich dachte nur … weil es bei dir so gut passt.“

Der erste Seitenhieb. Er hätte wissen müssen, dass sie sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen ließ. Auch wenn man ihn von allen Vorwürfen freigesprochen hatte, der Klatsch und die Gerüchteküche hatten ihren Schaden angerichtet. Jeder glaubte, dass trotz allem ein Körnchen Wahrheit daran war. „Scheinheilig und voreingenommen. Du solltest daran arbeiten, dein Repertoire zu erweitern.“

„Du deines aber auch. Ein paar Manieren wären nicht schlecht, wenn man bedenkt, welche Ehre man dir hier hat zukommen lassen.“

„Sagtest du nicht gerade, es sei keine Ehre?“

„Du siehst trotzdem sehr zufrieden mit dir aus.“ Sie schnaubte. „Aber schwarze Lederhosen? Ehrlich, Connor! In welchem Jahr bist du stecken geblieben? 1988?“

Er hatte Ähnliches gedacht, als man ihm die Hose zum Anziehen gegeben hatte. „Stimmt, Glam Metal, Achtzigerjahre. Aber als Kostüm passt es.“

Sie lächelte, dieses Mal ein echtes Lächeln. Nur galt es dem Kellner, der die Weingläser vollschenkte. Und es verschwand, sobald der Kellner sich wieder entfernte. „Ich weiß nicht, was Max sich dabei gedacht hat.“ Sie stocherte in ihrem Salat. „Sünder und Heiliger sollten Lokalgrößen sein.“

„Ich bin der Junge von nebenan, Vivi. Ich bin genauso ‚lokal‘ wie du.“

„Du warst“, verbesserte sie. „Jetzt bist du international. Du bist ständig auf Tour.“

Er wollte sich bequemer hinsetzen, doch die riesigen schwarzen Flügel machten das schwierig. Miss Rene hatte sich offensichtlich auf eine Art Luzifer für den Sünder versteift. Doch er kam sich eher vor wie eine gigantische Krähe. „Ah, dich stört es also, dass mein Beruf mich oft aus der Stadt führt?“

Als sie sich das Haar aus dem Gesicht strich, verfing es sich in den Flügeln. Jetzt sah sie aus wie ein modernes Gemälde. „Mich stört nur das Ungleichgewicht.“

Abgesehen von dem rabenschwarzen Haar wäre Vivi die Verkörperung des Engels – blaue Augen, milchweiße Haut, sanfte Züge. Allerdings war das Feuer in ihren Augen keineswegs engelsgleich. Verärgert ruckte sie mit dem Kopf und verwickelte ihre Haare nur noch mehr.

„Ungleichgewicht?“

Mit einem letzten heftigen Ruck bekam sie ihre Haare endlich frei. Dabei riss sie auch einen der Strasssteine ab, der ihr in den Ausschnitt fiel. Kurz sah sie dem Steinchen nach, und Connors Augen folgten ihrem Blick, bevor er sie wieder auf ihr Gesicht lenkte. Sie hatte einen wunderschönen Mund, voll und einladend … bis sie ihn öffnete und die Illusion sofort ruinierte.

„Deine Groupies und Fans, und all deine berühmten Freunde werden sicherstellen, dass dein Geldsack prall gefüllt wird und du gewinnst.“

„Aber geht es denn nicht darum? So viel Geld wie möglich zu sammeln?“

„Natürlich.“ Sie biss die Zähne so hart zusammen, dass es wehtun musste. „Trotzdem hast du einen unfairen Vorteil beim Wettbewerb.“

„Schön, dass du es endlich zugibst.“

„Ich meinte damit“, stieß sie aus, „dass ich nur ein Mädchen aus der Stadt hier bin und du ein international bekannter Rockstar. Schon allein deshalb hast du eine größere Fangemeinde, und das ist unfair.“

„Dein Titel ist ‚Heilige‘, nicht ‚Märtyrerin‘, oder?“

Vivi hielt den Stiel des Weinglases so fest, dass es jeden Moment brechen konnte. „Iss einfach.“

Er grinste frech. „Du könntest ja auch gleich aufgegeben.“

Prompt verschluckte sie sich an ihrem Wein. „Eher friert die Hölle zu.“

„Die Wette gilt also?“, fragte er herausfordernd.

„Darauf kannst du Gift nehmen.“ Viel zu heftig spießte sie das nächste Salatblatt auf die Gabel.

Vivi hatte noch nie einer Herausforderung widerstehen können. Das war eines der wenigen Dinge, die sie gemein hatten, und er respektierte sie dafür. Alles andere an ihr trieb ihn jedoch in den Wahnsinn. Hatte es schon immer getan.

Dabei sollte er sie sich nicht so unter die Haut gehen lassen. Er war erwachsen, Herrgott. Sie mochte ihn vielleicht nicht, aber die meisten Frauen hatten nichts an ihm auszusetzen. Ihr „Päpstlicher als der Papst“-Gehabe sollte ihn nicht stören, doch etwas war an ihr, das ihn noch immer aufrieb. Hätte er dieser Sache hier zugestimmt, wenn er gewusst hätte, dass sie ebenfalls teilnahm? Oder hätte er einfach nur einen Scheck geschickt?

Nein. Schon seit Längerem hatte er an Zuhause zurückgedacht, das hier war nur der fehlende Anreiz gewesen, um zurückzukehren. Es war der perfekte Vorwand, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Ein Neustart, bei dem es nicht um Vaterschaftsklagen oder ein überaktives Sexleben ging. Er konnte langsamer treten und durchatmen, zum ersten Mal seit Jahren.

Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie satt er es hatte. In der Theorie mochte es großartig klingen, alles zu erreichen, was man wollte, nur hatte er nicht geahnt, dass er sich wie ein gut angezogener Obdachloser vorkommen würde. Zuerst hatte er das akzeptiert, schließlich wäre er nicht so weit gekommen, wenn er an einem Ort festgesessen hätte. In dem Konzept lag eine grenzenlose Freiheit. Aber dafür war auch ein Preis zu zahlen.

Wieder zu Hause zu sein und nicht nur in den Zimmern, in denen er zwischen den Auftritten schlief, gab ihm das Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. New Orleans war gut für seinen Kopf und seine Seele. Er würde die nächsten Wochen nutzen, um sich zu sammeln und darüber nachzudenken, wie sein nächster Schritt aussehen sollte.

Vivis irritierter Seufzer holte ihn aus den Gedanken zurück. Jetzt hatte er erst einmal einen Wettbewerb zu gewinnen. Ja, es war ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein und so begeistert begrüßt zu werden. Und man bot ihm die Möglichkeit, etwas Gutes für seine Heimatstadt zu tun.

Wenn er dabei Vivi ein bisschen ärgern konnte … wäre das ein zusätzlicher Bonus.

Vivi kaute jeden Bissen gründlich durch, bevor sie schluckte und direkt die nächste Gabel in den Mund führte. Dann war ihr Mund wenigstens beschäftigt und würde nichts von sich geben, was ihr hinterher leidtun könnte.

Es war ja so maßlos ungerecht! Für eine Spendenaktion war Connor praktisch ein Gottesgeschenk. Die Gelder würden nur so fließen, und die Publicity würde bombastisch werden. Der vernünftige Teil in ihr beglückwünschte Max Hale, dass er Connor zum Mitmachen überredet hatte. Aber ausgerechnet Connor Mansfield? Wenn man sie schon mit einem Superstar der Musikszene zusammenstecken musste, hätten sie nicht einen anderen finden können? Es gab doch genügend lebende Legenden, die aus New Orleans stammten.

Von ihrem Platz hier oben am Bühnentisch konnte sie den gesamten Saal überblicken. Die Gästeliste war das Who is Who von New Orleans, sie kannte jedes einzelne Gesicht. Und jeder von denen dort unten wusste, wie sehr sie und Connor sich hassten.

Nun, „hassen“ war übertrieben. Sie mochte ihn nicht. „Hassen“ verlangte Energie, und die verschwendete sie nicht auf ihn. Er und sie waren einfach nicht dafür geschaffen, sich im gleichen Raum-Zeit-Kontinuum aufzuhalten. Connor war der eine Mensch, der ihre Wut schon zum Schäumen brachte, wenn er nur Luft holte.

Hinter ihrer Stirn meldete sich der Kopfschmerz.

Von den Gästen, die ihnen Blicke zuwarfen, wusste jeder im Saal genau, wie sehr sie es verabscheute, hier oben mit ihm zu sitzen – und alle fanden das höchst amüsant. Vermutlich liefen die Wetten bereits, wie lange es dauern würde, bevor es eine Wiederholung des Vorfalls von vor zehn Jahren gab. Damals hatte die Königin den König zehn Minuten nach der Krönung geohrfeigt.

Connor hatte es damals eindeutig verdient gehabt, trotzdem war ihr die Episode ewig nachgeschlichen. Ein paar Monate später beim Wettbewerb zur „Mississippi River Prinzessin“ hatte man ihr unverblümt zu verstehen gegeben, dass ihr Hang zu öffentlichen Szenen ihrer Kandidatur abträglich sein könnte. Also hatte sie daran gearbeitet, sich zu beherrschen. Demnach könnte man wohl sagen, dass Connor ein gewisser Anteil an ihrem Erfolg bei Wettbewerben zukam. Trotzdem … jener Abend war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Danach hatten Connor und sie klugerweise Abstand voneinander gehalten. Und als Connors Karriere dann startete, war er so oder so mehr aus als in der Stadt gewesen.

Welch ein Segen.

In vier Wochen war Aschermittwoch. An dem Gedanken hielt Vivi sich fest. Dann würde Connor wieder nach Los Angeles oder New York – oder wo immer er dieser Tage zu Hause war – zurückkehren. Würde sie so lange durchhalten, ohne zu explodieren? Schließlich hatten sie sich verändert, waren jetzt erwachsen, reifer, klüger …

Sie riskierte einen Seitenblick auf ihn. Wahrscheinlich nicht.

Alles an Connor strahlte selbstzufriedene Arroganz aus. Da spielte immer dieses überhebliche Lächeln um seine Lippen, so als würde er sie auslachen. Und dieser Luzifer-Look …

Miss Rene hatte ihn in schwarzes Leder gesteckt – nicht nur die Hose, über die Vivi sich vorhin lustig gemacht hatte, sondern auch eine ärmellose Weste und Motorradstiefel. Um seine Oberarme waren schwarze, mit Nieten versetzte Lederbänder gewickelt, die den Blick auf einen Bizeps zogen, den man in dieser Größe sicherlich nicht bei einem Klavier spielenden Sänger erwarten sollte.

Der perfekte Kontrast zu ihrem weißen Satin/Feder-Aufzug. Doch während ihr Kostüm sofort an Demut und Unschuld denken ließ, schrie Connors Aufzug laut „Sex!“ Das Leder schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihn und erübrigte der Vorstellungskraft die Arbeit.

Er war groß und dunkel, die personifizierte Gefahr, angefangen bei dem etwas zu langen dunklen Haar bis hin zu dem kleinen Bärtchen, das auf seinem Kinn saß. Vivi schluckte. Durch ihre Liebe zur Kunst wusste sie Schönheit zu schätzen, doch das hier war nicht nur einfach männliche Schönheit. Das hier war Virilität, Stärke, Leidenschaft.

Connor sah auf und erwischte sie dabei, wie sie ihn anstarrte, und ein Ladykiller-Lächeln zog auf seine Lippen, das ein paar Fältchen in die Winkel seiner schokoladenbraunen Augen zauberte.

Jede Frau wäre ihm jetzt zu Füßen gesunken – zumindest, bis er den Mund aufmachte.

„Probleme, Vivi?“

„Nur verblüfft über dieses Ziegenbärtchen. Hast du unterwegs auf Tour deinen Rasierer verloren?“

Er rieb sich übers Kinn. „Es passt doch zum Kostüm. Lässt mich teuflischer aussehen, meinst du nicht?“

„Es ist genauso albern wie die Hose“, log sie. Connor sah teuflisch aus, gefährlich, sexy und bereit, Dutzende von Frauenseelen zu stehlen.

Die Frauen würden sich nicht einmal groß wehren. Sie liebten Connor.

Wem wollte sie hier etwas vormachen? Jeder liebte Connor, lobte sein Talent, feierte ihn für seinen Erfolg. Das war wohl auch einer der Hauptgründe, warum sie es nicht tat.

Sie konnte nicht einmal mehr sagen, wann und warum es angefangen hatte, aber in den fünfundzwanzig Jahren, in denen sie Connor jetzt kannte, konnte sie sich an keine einzige Gelegenheit erinnern, da er sie nicht bis aufs Blut gereizt hätte.

Es war nicht so, als wäre sie gemein. Sie mochte Menschen, man sagte ihr sogar nach, dass sie gut mit Menschen umgehen konnte. Schließlich hatte sie ständig mit aufreibenden Menschen zu tun. Nur bei Connor versagte ihr Talent völlig. Dabei war er wirklich der Junge von nebenan, wie er gesagt hatte. Ihre Mütter saßen gemeinsam in zwölf Wohltätigkeitskomitees, trafen sich zweimal pro Woche zum Lunch. Ihre Väter waren Geschäftspartner und spielten Golf zusammen. Connor und sie waren gleich alt, waren zusammen in den Kindergarten gegangen, hatten die gleichen Freunde – und seit der Pubertät versuchte man, sie zusammenzubringen. Dass sie einander nicht mochten, schien dabei niemanden zu interessieren.

Die Leute waren so schrecklich oberflächlich. Sie ließen sich von Aussehen und Erfolg blenden und vergaßen darüber sämtliche Charaktermängel.

Es ärgerte Vivi maßlos, dass er für das diesjährige Spendensammeln ausgewählt worden war. Connor interessierte sich für niemanden außerhalb seines Universums – dessen Zentrum natürlich er war. Hier sollte es um andere Menschen gehen, doch jetzt würde sich alles nur um ihn drehen. Weniger Spenden zu sammeln als ihr Counterpart würde schwer zu verdauen sein, aber dann auch noch gegen Connor zu verlieren, wäre mehr, als ihr Stolz verkraften könnte.

Nur der Stolz hielt sie überhaupt hier auf diesem Sitz.

Sie aß nur, um jegliche Konversation zu vermeiden, und plante derweil ihre Strategie. Sie musste weit über New Orleans hinausgehen. Ja, sie würde die Studentinnen ihrer Verbindung aktivieren, damit wäre sie schon mal national. Und sie würde ihre Kontakte aus sämtlichen früheren Wettbewerben nutzen. Sie würde jeden Gefallen einfordern, der irgendwo noch ausstand. Sie musste Kreativität beweisen, da Connor nur zu lächeln brauchte, um Geld und Stimmen einzufahren.

Und dafür hasste sie ihn noch ein bisschen mehr.

Nein. In Gedanken riss sie sich zusammen. Sie hatte sich so darauf gefreut, und das würde sie sich von Connor nicht verderben lassen. Sie hatte diesen Titel verdient. Selbst wenn sie verlieren sollte … es würde so knapp wie nur möglich sein. Dann konnte sie wenigstens ihre Würde wahren und würde zufrieden sein können, weil sie sich für einen guten Zweck eingesetzt hatte.

Connor konnte sie nicht kontrollieren, aber sich selbst. Sie war als Heilige gewählt worden, sie würde ihrem Titel alle Ehre machen und würdevoll und tugendlich sein. Im Vergleich zu ihr würde Connor wie ein arrogantes Ekel wirken und dabei noch langsam wahnsinnig werden. Ein kleiner Sieg, den sie mitzunehmen gedachte.

Eine bösartige Idee schoss ihr in den Kopf, die ihr jedoch ausnehmend gut gefiel. Sie legte die Gabel ab und griff nach ihrem Weinglas. „Connor?“

„Ja, Vivi?“

Sie hob das Glas zum Toast, und Connor blickte sie argwöhnisch an. „Auf den guten Zweck und einen guten Wettkampf. Ich freue mich auf dieses Abenteuer, denn die wahren Gewinner werden die Menschen sein, denen wir helfen. Ich bin froh, dass du nach Hause gekommen bist, um dabei mitzuwirken.“

Connors Augenbrauen verschwanden unter seinem Haaransatz, doch er hatte sich schnell von der Überraschung erholt und hob ebenfalls sein Glas. Als sie anstießen, konnte Vivi das Raunen durch den Saal gehen hören, und sie setzte ihr strahlendstes Gewinner-Lächeln auf, als die Kameras aufblitzten.

Allein Connors verblüffte Miene machte die ganze Sache wert. Vielleicht wurde es ja doch noch lustig.

Auf jeden Fall würde es befriedigend werden.

2. KAPITEL

Es war nach Mitternacht, bevor Vivi sich auf den Heimweg machte. Die Clubs auf der Frenchman Street waren voll besetzt, und obwohl sie Januar hatten, war die Nacht mild genug, um im Sweatshirt draußen zu sitzen. Vivi musste immer wieder wegen der schlendernden Fußgänger abbremsen, bevor sie endlich in die Auffahrt vor ihrem Haus einbiegen konnte. Aufgewachsen war sie auf den stillen Straßen des Garden District, an den Trubel im Marigny Triangle hatte sie sich gewöhnen müssen, doch sie konnte sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Wenn sie nach Hause kam, stand immer ein Lächeln auf ihren Lippen.

Ihr Nachbar Sam saß mit einer Flasche Bier in der Hand auf seiner Veranda. Er winkte ihr zu. „Herzlichen Glückwunsch, heilige Vivi.“

Lorelei musste die Neuigkeiten wohl verbreitet haben. „Danke, Sam.“ Sie sollte stehen bleiben und ein wenig mit ihm plaudern, aber sie war völlig ausgelaugt, hinter ihren Schläfen hämmerte es, und ihre Wangen schmerzten vom ständigen Lächeln. Außerdem hatten die Riemen des Flügelkonstrukts die Haut an ihren Schultern aufgeschürft, und das fand sie fast genauso unangenehm wie den Gedanken an Connor.

Sie wollte nur die Schminke abwaschen und ins Bett. Außerdem musste sie morgen früh aufstehen und sich gleich ans Telefon hängen. Schlaf war das Einzige, was gegen diesen durch Connor verursachten Kopfschmerz half.

Allerdings war es keine große Überraschung, dass Lorelei auf sie gewartet hatte. Auf dem Ball hatten sie ja keine Zeit zum Reden gehabt.

„Da ist ja unsere Heilige!“, begrüßte Lorelei sie begeistert.

Vivi verbeugte sich übertrieben, stellte ihre Taschen ab und ließ sich mit einem Seufzer neben Lorelei auf die Couch sinken.

„Ich kann nicht glauben, dass du mir nichts davon gesagt hast, Vivi. Wir sind alle so stolz. Mom und Dad sprudeln geradezu über.“

„Ist mir aufgefallen. Ich hoffe doch, dass du es dir jetzt überlegst, ob du dieses Mal den Sündern deinen alljährlichen Treueschwur leistest. Ich rechne nämlich fest mit deiner Unterstützung.“

Lorelei krauste die Nase. „Die Sünder haben viel mehr Spaß.“

„Ich will nicht den Schwestern-Trumpf ausspielen müssen.“

„Bist du sicher, dass du mich dabeihaben willst? Dein Heiligenschein wird möglicherweise durch die Verbindung beschmutzt.“

„Bereue, büße und sündige nicht länger, mein Kind.“

Lorelei schnaubte. „Eine Heilige in der Familie reicht, und die Rolle kommt dir zu.“

„Stimmt.“ Dieses Gespräch hatten sie schon öfter geführt, doch zum ersten Mal verspürte Vivi so etwas wie Neid auf Loreleis Ungezwungenheit. Sie unterdrückte dieses Gefühl sofort. Könnte sie sich ein wenig von der Einstellung der Schwester angewöhnen, würde das die nächsten Wochen sicher erleichtern. Sie kickte die Schuhe von den Füßen. „Versuch’s wenigstens kurzfristig mit der Heiligkeit. Vier Wochen werden dich schon nicht umbringen.“

Autor

Kimberly Lang
Schon in der Highschool versteckte Kimberly Lang Liebesromane hinter ihren Schulbüchern. Statt sich mit Theorien und Zahlen herumzuschlagen, schmökerte sie lieber in den neuesten Romances. Auch das Studium ernster englischer Literatur konnte ihre Leidenschaft für aufregende Helden und Happy Ends nicht ändern. Kimberly war nach der Ausbildung zunächst Balletttänzerin und...
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