Flucht aus dem Wüstenpalast

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Wüstenprinzessin Leila führt ein Leben im goldenen Käfig. Doch an Flucht wagt die begeisterte Fotografin nicht zu denken … bis Werbe-Tycoon Steel als Gast des Sultans im Palast auftaucht. Aber ist der attraktive Playboy wirklich nur der Schlüssel zu ihrer Freiheit?


  • Erscheinungstag 21.07.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733768850
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Gabe Steel kam gerade nackt aus der Dusche, als jemand an die Tür klopfte. Ungehalten griff er nach einem Handtuch. Er wollte seine Ruhe. Er brauchte seine Ruhe. Wenn er geahnt hätte, dass ihm in seiner Hotelsuite nicht einmal eine ungestörte Dusche vergönnt sein würde, wäre er niemals in dieses orientalische Land gereist!

Gabe dachte an das kalte Frühlingswetter zurück, das er in England zurückgelassen hatte. Hätte er doch den Kummer, der ihn zu dieser Zeit des Jahres immer packte, ebenso leicht hinter sich zurücklassen können! Wie seltsam, dass Schuldgefühle sich nie ganz abschütteln ließen, sosehr man sich auch bemühte. Kaum kratzte man an der Oberfläche, schon brachen sie sich wieder Bahn. Dabei hütete er sich, die Oberfläche auch nur zu berühren!

Doch vor manchen Dingen gab es kein Entrinnen: Vorhin hatte eine Hotelangestellte gefragt, ob Gabe besondere Wünsche zu seinem Geburtstag habe. Woher wusste sie, dass er heute Geburtstag hatte? Ach ja, beim Einchecken gestern hatte er seinen Reisepass vorlegen müssen …

Gabe stand da und lauschte. Es herrschte wieder völlige Stille. Sehr gut! Erleichtert begann er, sich abzutrocknen, als es erneut klopfte. Lauter und nachdrücklicher.

Normalerweise hätte er die Störung ignoriert, aber er kannte sich mit den Gepflogenheiten dieses Landes nicht aus. Abgesehen davon, war er noch nie Gast einer Königsfamilie gewesen. Besser gesagt, eines Sultans, der über einen der reichsten Staaten der Welt herrschte. Die Gastfreundschaft des Herrschers war überwältigend. Für Gabes Geschmack fast schon zu überwältigend.

Gabe fluchte unterdrückt, schlang sich das Handtuch um die Hüften und machte sich auf den Weg zur Tür – ein Unterfangen, das fast einem halben Workout gleichkam. Diese Suite hatte einfach ungeheure Ausmaße! Sein eigenes Penthouse in London war auch nicht von schlechten Eltern, doch der Luxus dieser Suite in Qurhahs Tophotel war eine Klasse für sich.

Jetzt wurde laut an die Tür gehämmert. Ziemlich unverschämt, dachte Gabe und öffnete verärgert die Tür. Vor ihm stand eine Frau.

Eine Frau, die offensichtlich nicht als solche erkannt werden wollte.

Groß, schlank, mit einem Aktenkoffer in der Hand. In Jeans und Trenchcoat und mit dem Filzhut, den sie tief ins Gesicht gezogen hatte, wäre sie tatsächlich fast als Mann durchgegangen. Doch nicht bei Gabe. Ein flüchtiger Blick genügte ihm normalerweise, um den Hüftumfang einer Frau abzuschätzen und davon ziemlich akkurat auf ihre Höschengröße zu schließen. Mit Frauen kannte sich Gabe bestens aus – zumindest, wenn es ums Äußere ging.

Gefühle interessierten ihn dagegen weniger. Frauen, die ihm nach einem stressigen Arbeitstag ein Gespräch aufzwängen wollten oder sich an seiner Schulter ausweinten, weil sie sich einbildeten, auf diese Weise sein Herz zum Schmelzen zu bringen, waren ihm ein Gräuel. Und eine Frau, die aus dem Nichts auftauchte, während er nicht nur mit dem üblichen Terminstress fertig werden musste, sondern auch noch mit der eigenen Verbitterung, konnte Gabe schon gar nicht gebrauchen.

„Wo brennt’s denn?“, fragte er unwirsch.

„Bitte!“ Leise und gehetzt klang ihre Stimme. Außerdem machte Gabe einen leichten Akzent aus. „Darf ich hereinkommen?“

Leicht verächtlich verzog er den Mund. „Sie haben sich offensichtlich in der Tür geirrt, Herzchen.“ Gabe versuchte, die Tür wieder zuzudrücken.

„Bitte!“ Panisch wandte sie sich kurz um. „Ich werde verfolgt.“

Beunruhigt starrte er sie an. Von einem Moment auf den anderen wurde er aus seinem geordneten Leben zurück in eine Zeit katapultiert, in der er sich permanent bedroht gefühlt hatte. Damals war die Angst sein ständiger Begleiter gewesen.

Der Schatten des Huts machte es schwer, den Gesichtsaudruck der Fremden zu beurteilen, doch Gabe glaubte, Furcht in ihren Augen zu erkennen.

„Bitte!“ Erneut dieses Flehen um Hilfe.

Die Zeit des Zögerns war vorüber. Jetzt meldete sich sein Beschützerinstinkt. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! „Also gut“, knurrte Gabe mürrisch und hielt die Tür auf.

Die Frau eilte an ihm vorbei, und Gabe glaubte, den Hauch eines würzigen Dufts wahrzunehmen.

„Was ist denn los?“, fragte Gabe, machte die Tür zu und wandte sich der ungebetenen Besucherin zu.

Die schüttelte nur wortlos den Kopf und starrte ängstlich die Tür an. In Sicherheit glaubte sie sich demnach noch nicht.

„Später.“ Der weiche Akzent klang in Gabes Ohren ziemlich sexy. „Jetzt muss ich mich hier irgendwo verstecken. Die dürfen mich auf keinen Fall hier finden. Wenn ich in Sicherheit bin, erzähle ich Ihnen, was Sie wissen müssen.“ Gehetzt blickte sie in dem riesigen Zimmer um sich und entdeckte am anderen Ende durch die offene Schlafzimmertür das ungemachte Bett, in dem Gabe vor der Dusche gedöst hatte. Schnell wandte sie den Blick ab. „Wo können Sie mich verstecken?“

Ihr Ton ärgerte Gabe. Schließlich tat er ihr doch gerade einen Gefallen! Etwas mehr Höflichkeit wäre da schon angebracht! Aber jetzt war wohl der falsche Zeitpunkt, ihr den Knigge näher­zubringen.

Er dachte darüber nach, wo er sich früher immer versteckt hatte, wenn mal wieder ein Gerichtsvollzieher vor der Tür gestanden hatte. Im Badezimmer war es immer am sichersten gewesen. „Gehen Sie ins Badezimmer!“ Er wies ihr die richtige Richtung. „Verkriechen Sie sich unter der Badewanne, und kommen Sie erst wieder heraus, wenn ich es Ihnen sage. Dann erwarte ich auch eine Erklärung dafür, dass Sie mir meine Zeit stehlen.“

Wie gehetzt durchquerte die Unbekannte das Zimmer und entschwand seinem Blick.

Ihre Furcht hatte sich inzwichen auch auf Gabe übertragen. Er spürte, wie sein Adrenalinspiegel anstieg und das Herz zum Rasen brachte. Vielleicht sollte er sich erst einmal anziehen. Zu spät – der Klang schwerer Schritte drang vom Korridor ins ­Zimmer.

Einen Moment später klopfte jemand laut an die Tür. Gabe atmete tief durch und öffnete sie. Draußen standen zwei Männer und beäugten ihn misstrauisch. Ihre locker sitzenden Anzüge konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Männer durchtrainiert waren und Waffen trugen.

Der größere ließ den Blick über Gabes feuchten Oberkörper bis zum hastig um die Hüften geschlungenen Handtuch wandern. „Bitte entschuldigen Sie die Störung, Mr Steel.“

„Kein Problem.“ Gabe lächelte freundlich und wunderte sich, dass in diesem Hotel offenbar jeder wusste, wer er war. Außerdem fiel ihm der Akzent auf. Er war ausgeprägter als bei seinem ungebetenen Gast, der sich im Badezimmer versteckt hatte. „Was kann ich für Sie tun?“

Mit seinem starken Akzent antwortete der Mann: „Wir suchen eine Frau.“

„Tun wir das nicht alle?“ Diese humorvolle Replik konnte er sich nicht verkneifen. Perlen vor die Säue, dachte er im nächsten Moment, denn die Typen hatten ganz offensichtlich keinen Sinn für Humor, sondern musterten ihn weiterhin misstrauisch.

„Haben Sie sie gesehen?“

„Wie sieht sie denn aus?“

„Groß, Anfang zwanzig, dunkelhaarig.“ Der kleinere Mann übernahm die Personenbeschreibung. „Sie fällt einem sofort ins Auge.“

Gabe wies auf das kleine Handtuch und rieb sich die Oberarme, um anzudeuten, dass ihm kalt war. Tatsächlich war die Klimaanlage so kühl eingestellt, dass er sogar eine Gänsehaut vorweisen konnte. „Wie Sie sehen, komme ich gerade aus der Dusche. Leider hat mir dort niemand Gesellschaft geleistet. Sehr bedauerlich, aber wahr.“ Er warf einen kurzen Blick über die Schulter, bevor er sich wieder den Männern zuwandte und gequält lächelte, um seine Verärgerung über die Störung anzudeuten. „Sie können sich gern selbst davon überzeugen, wenn Sie darauf bestehen. Aber bitte schnell. Ich muss mich noch rasieren und anziehen. In knapp zwei Stunden diniere ich mit dem Sultan.“

Die Erwähnung des Sultans zeigte sofort die erhoffte Wirkung. Gabe musste sich ein amüsiertes Lächeln verkneifen, als die beiden Männer im Gleichschritt zurückwichen.

„Selbstverständlich. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Wir werden Ihre Zeit nicht länger beanspruchen, Mr Steel. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Gern geschehen“, antwortete Gabe und schloss leise die Tür hinter den Männern. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihre Schritte auf dem Korridor verklungen waren, durchquerte er das Zimmer und öffnete die Badezimmertür. Mit der Grazie einer Tänzerin wand die junge Frau sich unter der Badewanne hervor. Sein Körper reagierte sofort auf ihre sinnlichen Bewegungen, erst recht, als sie jetzt mit ihren Händen glättend über ihre Kleider strich.

Da sie bei ihrer Versteck-Aktion ihren Hut verloren hatte, konnte Gabe zum ersten Mal ausgiebig ihr Gesicht betrachten. Plötzlich sah er sich der atemberaubendsten Frau gegenüber, die er je erblickt hatte. Träumte er? Oder hatte sich tatsächlich eine orientalische Schönheit aus Tausendundeiner Nacht in seine Hotel­suite verirrt?

Ihr mediterraner Teint schimmerte makellos. Die von dichten schwarzen Wimpern umkränzten strahlend blauen Augen luden zum Träumen ein. Das blauschwarze, zu einem Pferdeschwanz gebundene Haar reichte fast bis zur Taille und glänzte wie frisch poliert. Und dann die hübschen Brüste, die er unter dem Trenchcoat erahnte … und die langen Beine, die jedes Topmodel vor Neid erblassen lassen würden.

Sie ließ seine Musterung über sich ergehen, ohne mit der Wimper zu zucken. War sie es gewohnt, angestarrt zu werden? Nur die plötzlich rosig schimmernden Wangen verrieten, dass seine Aufmerksamkeit sie vielleicht doch etwas aus der Fassung brachte. Was hatte sie denn erwartet? Wenn man ins Schlafzimmer eines wildfremden Mannes platzte und um Asyl flehte, dann verloren normale Konventionen doch wohl ihre Gültigkeit, oder?

„Die Luft ist rein“, sagte Gabe knapp.

„Ich weiß.“ Sie zögerte. „Danke.“

Ihm blieb nicht verborgen, wie sie immer wieder seinen nackten Oberkörper mit verstohlenen Blicken streifte, als wüsste sie, dass sich das nicht gehörte, es aber trotzdem tun musste, wie unter einem inneren Zwang. Gabe lächelte trocken. Das passierte ihm nicht zum ersten Mal.

„Finden Sie nicht, dass Sie mir eine Erklärung schuldig sind?“

„Doch. Sie haben recht.“ Sie bückte sich nach ihrem Aktenkoffer und streifte Gabes nackten Oberkörper erneut mit einem flüchtigen Blick. „Aber nicht hier.“

Nicht im Badezimmer? Okay, das war vielleicht etwas zu intim, zumal er ja bis auf das winzige Handtuch nackt war und … Hatte sie etwa bemerkt, dass sein Körper bereits auf ihren Körper reagierte? Plötzlich fühlte Gabe sich ein wenig unbehaglich.

„Dann gehen Sie schon mal vor. Ich ziehe mir schnell was an“, raunzte er.

Als Gabe schließlich mit Jeans und T-Shirt bekleidet ins Wohnzimmer schlenderte, war seine Erektion wieder verschwunden. Die Frau stand am Fenster und betrachtete die Aussicht auf Simdahab, wo goldene Minarette und Hochhäuser in der Spätnachmittagssonne glänzten. Doch Gabe hatte nur Augen für die geheimnisvolle Fremde.

Sie hatte den Trenchcoat über eine Sofalehne gelegt. Richtete sie sich auf einen längeren Aufenthalt ein? Jedenfalls freute Gabe sich über die Gelegenheit, die perfekte Passform ihrer Jeans zu bewundern und das wunderschöne schwarze Haar, das ihren Rücken wie ein Stück Satinstoff bedeckte.

Sie musste seine Anwesenheit gespürt haben, denn sie wandte sich um. Die Vorderansicht gefiel Gabe noch besser. Diese klaren blauen Augen … die reinste Versuchung.

Ob der Sultan sie geschickt hatte, um seinem Gast die Wartezeit bis zum Bankett zu versüßen? Noch ein Geschenk? Wie all die anderen, die seit dem Frühstück in seiner Suite eingetroffen waren? Trotz seiner jungen Jahre war der Sultan angeblich sehr altmodisch und traditionsbewusst. Vielleicht stellte diese schöne junge Frau die Krönung der Geschenkflut dar.

„Wer sind Sie?“, fragte Gabe kühl. „Eine Hure?“

Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, ließ sich aber viel Zeit, auf seine krude Frage zu antworten.

„Nein, ich bin keine Hure. Ich heiße Leila.“ Wachsamkeit spiegelte sich plötzlich in den blauen Augen.

„Hübscher Name. Aber wer Sie sind, weiß ich immer noch nicht.“

„Mr Steel …“

Verblüfft starrte er sie an. „Wieso weiß jeder in dieser Stadt, wer ich bin?“

Leila lächelte.

Beim Anblick dieser einladend sinnlichen Lippen wünschte Gabe fast, dass sie doch eine Hure wäre. Bisher hatte er in seinem Leben noch nie für Sex bezahlt, doch jetzt war er drauf und dran, eine Ausnahme zu machen. Was würde er sich wohl zuerst von ihr wünschen? Dass sie ihn mit ihrem sinnlichen Mund verwöhnte? Oder sollte sie ihn mit ihren herrlichen Beinen umschlingen und ihn reiten, bis er seine Lust hinausschrie?

„Ihr Name ist allen bekannt, weil Sie Gast des Sultans sind“, erklärte Leila. „Sie heißen Gabe Steel, sind ein absolutes PR-Ass und sind nach Qurhah gereist, um unser Image in der Welt aufzupolieren.“

„Eine sehr schmeichelhafte Zusammenfassung“, bemerkte Gabe trocken. „Aber ich stehe nicht auf Schmeicheleien. Außerdem wüsste ich jetzt wirklich gern, wieso Sie unangemeldet hier hereingeplatzt sind und sich in meinem Badezimmer versteckt haben, Leila.“

Einen Moment lang herrschte absolute Stille.

Leilas Herz pochte aufgeregt. Wie zärtlich er ihren Namen ausgesprochen hatte … Dabei war die Art, in der er nach Auskunft verlangt hatte, eiskalt gewesen! Sie war völlig durcheinander. Da sie nun aber schon einmal hier war und dafür ein erhebliches Risiko eingegangen war, wollte sie ihr Vorhaben nun auch durchziehen. Allerdings hätte sie es sich einfacher vorgestellt und nicht damit gerechnet, so nervös zu sein. Aber bei ihrem schönen Plan hatte sie einen Faktor außer Acht gelassen: die Wirkung, die Gabe Steel auf sie hatte.

Leila schaute ihm in die ungewöhnlichen quecksilbergrauen Augen, deren Blicke sie zu durchbohren schienen. Vergeblich versuchte sie, sich an die Worte zu erinnern, die sie sich so sorgfältig zurechtgelegt hatte.

Normalerweise war sie niemals allein mit einem Mann, schon gar nicht mit einem Ausländer in dessen Hotelzimmer. Der noch dazu unfassbar attraktiv war.

Natürlich hatte sie sich im Internet über ihn informiert, nachdem feststand, dass ihr Bruder ihn beauftragen würde. Was je über Gabe Steel im Netz veröffentlicht worden war, hatte sie gefunden. Daher war ihr bekannt, dass er der Eigentümer einer der weltweit renommiertesten und größten PR-Agenturen war. Mit nur vierundzwanzig Jahren hatte Gabe seine erste Million verdient. Inzwischen war er fünfunddreißig, Multimillionär, wenn nicht inzwischen sogar Milliardär – und noch immer ledig. Obwohl schon viele Frauen versucht hatten, ihn einzufangen, wenn man der Boulevardpresse Glauben schenken wollte.

Auch Fotos von ihm fanden sich im Internet. Gestochen scharfe Bilder, die sie wie gebannt betrachtet hatte. Gabe Steel sah fantastisch aus: goldblondes Haar, durchtrainierte Traumfigur – wie ein Olympionike.

Auch im Smoking war er eine umwerfende Erscheinung. Doch eine Aufnahme war ihr besonders in Erinnerung geblieben: Gabe Steel in ausgeblichenen Jeans und halb aufgeknöpftem Hemd auf einer schweren Maschine, wie er gerade den Helm abnahm. Schon beim Anblick dieser Fotos hatte sie geahnt, dass so ein Mann ihr den Atem rauben würde, wenn sie ihm gegenüberstand. Und ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen.

Sein Charisma war jedoch noch überwältigender als erwartet.

Leila kannte sich mit mächtigen Männern aus. Sie war schließlich unter ihnen aufgewachsen. Ihr ganzes bisheriges Leben lang war sie ermahnt worden, ihnen respektvoll zu begegnen. „Der Mann hat immer recht“, war ihr eingebläut worden. Ironisch lächelte sie vor sich hin, denn sie hatte auch erlebt, wie grausam und kaltherzig Männer sein konnten. Sie behandelten Frauen, als wären sie nichts wert. Ihre Meinung zählte sowieso nicht. Deshalb hegte Leila insgeheim eine tiefe Abneigung gegen Männer.

Natürlich beugte sie sich ihren Wünschen, denn sie war ja so erzogen worden. Wenn man als Prinzessin in einer von Männern dominierten Gesellschaft aufwuchs, hatte man gar keine andere Chance. Noch nie in ihrem Leben hatte sie bisher eine eigene Entscheidung getroffen. Nicht einmal bei der Auswahl des Internats in England war ihr ein Mitspracherecht eingeräumt worden. Sogar ihre Freundinnen hatte man handverlesen. Also hatte sie gelernt, mit einem Lächeln Ja und Amen zu sagen, denn Widerstand wäre ohnehin zwecklos gewesen. Andere bestimmten, was „das Beste“ für sie war. Auf dieses Urteil musste sie sich verlassen.

Materiell hatte es ihr nie an etwas gefehlt. Als einzige Schwester eines der reichsten Männer der Welt war sie immer sehr verwöhnt worden. In ihrer Palastsuite stapelten sich Schmuckschatullen mit erlesenen Juwelen: Brillanten, Perlen, Rubine, Smaragde – was das Herz begehrte. Die Diademe und Tiaras ihrer verstorbenen Mutter wurden hinter Panzerglas verwahrt. Leila hatte jederzeit Zugriff auf diese unbezahlbaren Geschmeide.

Doch was nützten einem die edelsten Preziosen der Welt, wenn man unzufrieden mit seinem Leben war und sich wie eine Gefangene im goldenen Käfig fühlte?

Im Palast war sie normalerweise in traditionellem Gewand und Schleier unterwegs. Heute jedoch hatte sie sich aus lauter Trotz ganz im westlichen Stil gekleidet. Zum ersten Mal in ihrem Leben trug sie hautenge Jeans. So wollte sie sich dann aber doch nicht auf die Straße wagen und hatte in letzter Minute noch schnell einen langen Trenchcoat übergezogen. Bei jedem Schritt rieb sich die Jeansnaht zwischen den Beinen, die Seidenbluse an den Brüsten … Es war ein erregendes Gefühl. Irgendwie ungezwungen, aber auch ein wenig unheimlich. Besonders jetzt, als Gabe Steel sie mit diesem ganz besonderen Blick betrachtete.

Doch Leila durfte sich nicht von der Tatsache ablenken lassen, dass dieser Mann den Schlüssel zu ihrer Zukunft in der Hand hielt. Sie war entschlossen, Gabe dazu zu bewegen, die Tür aufzuschließen – notfalls auch gegen seinen Willen.

Jetzt nur nicht den Mut verlieren, dachte sie, öffnete den Akten­koffer und zog daraus ihre sorgfältig zusammengestellten Unterlagen hervor. „Ich möchte Sie bitten, einen Blick darauf zu ­werfen.“

Überrascht zog Gabe die Augenbrauen hoch. „Was soll das sein?“

Wortlos ging Leila zu einem hübschen Intarsientisch, auf dem sie ihre Fotos ausbreitete. „Sehen Sie selbst!“

Also folgte er ihr, stellte sich neben sie und beugte sich über den Tisch. Leila stieg sofort sein Duft in die Nase: Limonen und … eine ganz eigene männlich-potente Note. Eben noch hatte dieser umwerfende Mann nur mit einem um die Hüften geschlungenen Handtuch vor ihr gestanden. Ihr wurde heiß.

„Das sind Fotos“, bemerkte er trocken.

Leila befeuchtete sich die plötzlich trockenen Lippen. „Genau.“

Gespannt sah sie zu, wie Gabe den Blick über die Bilder schweifen ließ, und hoffte inständig, sie gefielen ihm. Seit sie denken konnte, war Leila eine begeisterte Fotografin. Fotografieren war ihre große Leidenschaft – und ihre Zuflucht.

Seit sie als Kind einen Fotoapparat geschenkt bekommen hatte, war sie Feuer und Flamme gewesen, alles aufzunehmen, was ihr vor die Linse kam – die Palastgärten, die edlen Pferde ihres Bruders, die Bediensteten im Palast, deren Kinder – einfach alles. Nichts und niemand war vor ihr sicher.

Die meisten Fotos, die sie vor Gabe Steel ausgebreitet hatte, zeigten jedoch die Wüste. Eindrucksvolle Bilder einer Landschaft, die er sicher noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte. Nur wenige Menschen genossen das Privileg, die heiligen Stätten von Qurhah zu besichtigen. Sie waren absolut einmalig. Das musste ein so weit gereister Mann wie Gabe doch anerkennen, oder?

An einem Bild blieb sein Blick bewundernd hängen.

„Wer hat diese Aufnahmen gemacht?“ Er richtete sich auf und schaute Leila fragend an. „Sie?“

„Ja.“

„Sie sind talentiert, Leila. Sie sind sogar sehr talentiert“, sagte er nachdenklich.

Sein Lob fühlte sich wie eine Liebkosung an. So ein wundervolles Kompliment hatte sie noch nie bekommen. Leila strahlte vor Stolz. „Oh, vielen Dank.“

„Wo sind diese Aufnahmen entstanden?“

„In der Wüste. Ganz in der Nähe der Sommerresidenz des Sultans. Diese atemberaubende Landschaft ist bekannt unter dem Namen Mekathasinian Sands.“ Leila spürte seinen beunruhigenden Blick wieder auf sich. Gabe war ihr so nah, dass sie ihn hätte berühren können. Sie sehnte sich danach, die Finger durch sein dichtes, wie flüssiges Gold schimmerndes Haar gleiten zu lassen. Und dann weiter hinunter über den schlanken muskulösen Körper.

So was Verrücktes! Leila riss sich zusammen und konzentrierte sich schnell wieder auf das Foto in Gabes Hand statt auf seinen aufregenden Körper.

„Ich habe das Bild nach einem der seltenen Regenschauer in der Wüste aufgenommen“, erklärte sie. „Etwa alle zwanzig Jahre kommt es zu einer Überflutung. Wir nennen es das Wunder der Wüste, wenn Blumensamen, die Jahrzehnte im Wüstensand gelegen haben, durch den Regen zu neuem Leben erwachen. Innerhalb kürzester Zeit kommt ein wahres Blütenmeer zum Vorschein, das in allen Regenbogenfarben schimmert. Ein magischer Anblick. Leider hält sich die Pracht nur etwa zwei Wochen lang. Dann ist alles wieder vorbei.“

„Das ist ein außergewöhnliches Bild. Ich sehe so etwas zum ersten Mal.“

Als sie die Bewunderung in seinem Tonfall mitschwingen hörte, wurde Leila erneut mit Stolz erfüllt. Doch plötzlich schien ihre Arbeit in den Hintergrund zu treten, und es zählte nur noch die beunruhigende Nähe dieses Mannes. Seltsamerweise machte es ihr aber keine Angst, mit dem Playboy Gabe Steel allein in seiner Suite zu sein. Im Gegenteil! Sie fand es ausgesprochen aufregend.

Erneut versuchte sie, sich auf das Foto zu konzentrieren. „Wenn … wenn Sie genau hinschauen, können Sie den Palast im Hintergrund ausmachen.“

„Wo denn?“

„Genau hier.“ Der Impuls, ihn zu berühren, wurde übermächtig. Fast unmerklich lehnte sie sich zur Seite, streifte Gabes Arm mit ihrem und zeigte auf den golden schimmernden Palast. Gabe schien zusammenzuzucken, und ihr stockte der Atem. Ob Gabes Herz auch so heftig pochte wie ihres? War er auch völlig überwältigt von heißer Sehnsucht?

Falls ja, hatte er seine Gefühle schnell wieder unter Kontrolle, denn er wich zurück und musterte Leila neugierig mit kühlem Blick. „Warum wollten Sie mir unbedingt diese Fotos zeigen, Leila? Wieso sind diese Männer hinter Ihnen her?“

Sie zögerte. Die Wahrheit lag ihr auf den Lippen, doch sie traute sich nicht, sie Gabe anzuvertrauen.

Er würde sie sofort mit anderen Augen betrachten, wenn er wüsste, dass sie eine Prinzessin war. Das wollte sie so lange wie möglich hinauszögern. Es tat so gut, mal wie eine ganz normale Frau behandelt zu werden.

Leila beschloss, ihm nur die halbe Wahrheit zu verraten. „Ich möchte für Sie arbeiten“, erklärte sie mutig. „Ihnen bei der PR-Kampagne helfen.“

Gabe musterte sie arrogant. „Soweit ich mich erinnere, habe ich keine Stellenanzeige aufgegeben.“

Autor

Sharon Kendrick
<p>Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr. Sharon träumte davon, Journalistin zu werden,...
Mehr erfahren