Hand in Hand

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Hand in Hand gehen die blonde Sophy und der feurige Reeder Andreas Karydis an einem griechischen Traumstrand spazieren. Und das, obwohl sich Sophy fest vorgenommen hatte, Andreas kühl und abweisend zu behandeln. Doch ohne Erfolg …


  • Erscheinungstag 06.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757489
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Du willst doch nicht allen Ernstes behaupten, dass du mit dem Gedanken spielst, nach Griechenland zu gehen, Jill.“ Es fiel Sophy schwer, die kleine, schlanke junge Frau, die ihr gegenübersaß, nicht wütend anzufunkeln. „Du bist Theodores Familie nichts schuldig. Michael ist jetzt sieben, und sie haben nicht einmal seine Existenz anerkannt.“

„In den ersten Jahren wussten sie ja auch nicht von ihm“, wandte Jill ein.

„Und später haben sie nicht einmal geschrieben oder angerufen.“

„Christos zufolge hat die Familie geschrieben, aber auf keinen ihrer Briefe eine Antwort bekommen.“

„Und das glaubst du?“ Der Ausdruck in Sophys veilchenblauen Augen war genauso spöttisch wie der Klang ihrer Stimme.

„Es ist denkbar, Sophy.“ Traurig blickte Jill ihre Zwillingsschwester an. Sie hatte ebenfalls veilchenblaue Augen, die nun dunkler wirkten als sonst. „Theodore war ein sehr stolzer Mann, das weißt du. Er sagte, er würde ihnen niemals verzeihen. Er … er konnte sehr unerbittlich sein.“

„Allerdings hätte er mit dir darüber gesprochen“, beharrte Sophy.

„Nein.“ Jill wandte sich ab und begann, die Wäsche zusammenzulegen, die sie gerade hereingebracht hatte. „Nicht unbedingt. Als wir geheiratet haben, hat er zu mir gesagt, von nun an wäre ich seine Familie. Ich durfte nicht einmal über seine Familie reden.“

Nicht zum ersten Mal fragte sich Sophy, wie die Ehe ihrer Schwester wohl gewesen sein mochte. Doch es spielte inzwischen keine Rolle mehr. Vor sechs Wochen war Theodore bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ein Baum war bei einem Unwetter auf seinen Wagen gestürzt.

„Aber sie sind nicht einmal zu seiner Beerdigung gekommen, Jill“, erklärte sie sanft.

„Christos hat ihnen gesagt, dass Theodore es so gewollt hat.“ Als Sophy einen verächtlichen Laut ausstieß, sah Jill auf. „Theodore hatte Christos vor ein paar Jahren Briefe zur Aufbewahrung gegeben. Ich wusste nicht einmal von diesen Briefen. Christos hat mir nach seinem Tod davon erzählt, bevor er sie nach Griechenland geschickt hat. Ich glaube, er wusste, was darin stand.“

„Briefe?“ Sophy trank einen Schluck Kaffee, während sie Jill weiterhin beim Zusammenlegen der Wäsche beobachtete. „Briefe an wen?“

„An seine Familie. Für den Fall, dass er schwer erkranken oder sterben sollte. Natürlich hatte er nicht damit gerechnet, dass es so früh passieren würde …“ Jill atmete tief durch, bevor sie fortfuhr. „Jedenfalls haben Christos und ich beschlossen, die Briefe zu lesen, und sie dann vernichtet. Christos fühlte sich allerdings verpflichtet, die Familie anzurufen und ihr zu sagen, dass Theodore keinen von ihnen auf seiner Beerdigung haben wollte.“

Sie stützte den Kopf auf den Wäschekorb und brach in Tränen aus. Daraufhin sprang Sophy auf, eilte zu ihr und legte ihr den Arm um die Schultern. „Was ist denn, Liebes?“

„Die Briefe waren schrecklich, Sophy“, brachte Jill hervor und schluchzte heftig. „So hart und verbittert. Ich konnte sie seiner Familie nicht schicken. Deswegen …“ Sie nahm ein frisches Taschentuch aus dem Wäschekorb. „… deswegen habe ich sie verbrannt. Glaubst du, das war falsch?“

Gequält blickte sie zu ihr auf, und Sophy betrachtete sie besorgt. „Natürlich nicht“, erwiderte sie sanft und strich ihr eine aschblonde Strähne aus der Stirn. „Es hätte alles nur noch schlimmer gemacht.“

„Das dachte ich auch.“ Jill tupfte sich die Tränen ab. „Christos sagte, ich müsste es ganz allein entscheiden, aber trotzdem belastet es mich sehr. Theodore würde mir nie verzeihen, wenn er es wüsste.“

Theodore ist wirklich unerbittlich gewesen, dachte Sophy grimmig. Sie hatte ihm gegenüber schon immer Vorbehalte gehabt, und Jill und er hatten sich eigentlich nie gut verstanden. Jill hatte ihre Vorbehalte offenbar von Anfang an gespürt und ihr daher kaum etwas erzählt. Es war das erste Mal in ihrem Leben gewesen, dass sie sich nicht mehr alles anvertraut hatten.

Allerdings hatte man ihr, Sophy, kurz nach Abschluss ihres Studiums der Wirtschaftsmathematik, drei Monate nachdem Jill Theodore begegnet war, einen sehr guten Job als Trainee im Einkauf einer großen Modefirma in London angeboten.

Sie hatte ihre Heimatstadt Cambridge innerhalb eines Monats verlassen, nur wenige Tage bevor Jill erfahren hatte, dass sie mit Michael schwanger war, und Theodore heiraten musste. Von dem Zeitpunkt an hatten sich ihre Wege getrennt, denn Jill hatte sich vorwiegend um ihre Familie gekümmert und in Theodores Restaurant mitgearbeitet, das er zusammen mit Christos führte.

Sie, Sophy, war immer der Meinung gewesen, dass Theodore ihre Schwester absichtlich geschwängert hatte, wohl wissend, dass diese die Pille nicht vertrug. Allerdings hatte sie es für sich behalten. Nach wenigen Jahren war ihre ehemals fröhliche, lebenslustige Schwester nur noch ein Schatten ihrer selbst gewesen – still, zurückgezogen und völlig unter dem Einfluss ihres dominanten Ehemannes stehend. Jill hatte sich jedoch nie beklagt und stets das Thema gewechselt, wenn sie sie darauf ansprach.

„Also“, kam Sophy nun auf den Brief zurück, der neben dem Wäschekorb lag und Auslöser für ihr Gespräch gewesen war. „Du fühlst dich verpflichtet, Theodores Familie zu besuchen.“ Inzwischen konnte sie die Entscheidung ihrer Schwester etwas besser nachvollziehen.

„Nur für einen Kurzurlaub, wie sie es vorgeschlagen haben. Sie können Michael sehen, und Michael kann endlich seine einzigen Großeltern kennenlernen.“ Ihr Vater hatte ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt verlassen, und ihre Mutter war vor einigen Jahren gestorben.

„Und dann?“, hakte Sophy sanft nach.

„Dann kommen wir zurück und führen unser gewohntes Leben weiter“, erwiderte Jill leise. „Ich kann Christos in der Firma helfen. Wir haben schon darüber gesprochen. Und Michael besucht weiterhin seine alte Schule. Ich würde niemals in Griechenland bleiben, falls du dir darüber Sorgen machst.“

Sophy wusste nicht genau, worüber sie sich Sorgen machte. Doch wenn seine Familie auch nur annähernd so war wie Theodore, würde sie Jill womöglich umstimmen. Jill war schon immer sehr sanftmütig, unselbstständig und leicht zu beeinflussen gewesen.

„Wenn du Bedenken hast, warum kommst du dann nicht einfach mit?“, schlug sie nun vor. „Theodore hat mir schließlich angeboten, nicht nur für Michael und mich, sondern auch für eine Freundin die Reisekosten zu übernehmen. Er schreibt ja, ich würde mich vielleicht wohler fühlen, wenn ich eine Freundin mitbringe. Mir wäre es natürlich am liebsten, wenn du mitkämst. Ich dachte nur, du hättest zu viel um die Ohren, weil du in den letzten Wochen ständig zwischen London und Paris hin- und hergereist bist.“

„Jetzt sind die Kollektionen ja fertig“, antwortete Sophy nachdenklich. „Die nächsten Wochen werden etwas ruhiger, und außerdem habe ich noch Resturlaub vom letzten Jahr. Wann wolltest du denn fliegen?“

„Ich richte mich nach dir“, sagte Jill schnell. „Meinst du wirklich, du könntest mitkommen? Oh Sophy, das wäre wunderbar!“ Wieder brach sie in Tränen aus.

Sophys Entschluss stand fest. Jill brauchte sie. Alles andere war dagegen unwichtig.

Der Flughafen in Griechenland war genauso überfüllt und laut wie alle anderen Flughäfen auch. Der Flug war allerdings angenehm gewesen, und Michael hatte beide Frauen mit seinem Geplauder von der bevorstehenden Begegnung mit Theodores Familie abgelenkt. Sophy war mit dem Einsammeln des Gepäcks beschäftigt gewesen und hatte auf Michael aufgepasst, während Jill ein wenig benommen dastand, und bemerkte den großen, dunkelhaarigen Mann erst, als diese ihren Arm umfasste und flüsterte: „Sophy, das muss Andreas sein, Theodores Bruder. Er beobachtet uns.“

Sophy hielt mit einer Hand Michael fest und drehte sich um. Wie gebannt begegnete sie seinem Blick. Er hatte dunkle Augen. Sie hatte keine Zeit, etwas zu sagen, denn im nächsten Moment kam der Mann durch die Menge auf sie zu.

„Mrs. Karydis? Jill Karydis?“ Er hatte eine tiefe Stimme und einen starken Akzent. Sein Gesicht war attraktiv und abweisend.

Jill war wie erstarrt, sodass Sophy schließlich sagte: „Das ist Jill.“ Sie deutete auf ihre Schwester. „Und Michael.“ Sie schob ihren Neffen vor sich. „Guten Tag, Mr. …?“

„Bitte nennen Sie mich Andreas.“

Andreas wandte sich an Jill, die verzweifelt Sophys Arm umklammerte und offenbar immer noch kein Wort hervorbringen konnte. Als er ihr die Hand entgegenstreckte, riss sie sich jedoch zusammen und ließ ihren Arm los. „Hallo, Andreas. Vielen Dank, dass Sie uns abholen.“

„Es ist mir ein Vergnügen“, erwiderte Theodores Bruder kühl.

Sophy konnte gut nachvollziehen, dass ihre Schwester schockiert war, denn ihr ging es ähnlich. Dieser Mann ähnelte Theodore nicht im Mindesten. Theodore war nur etwas größer als Jill und ein wenig stämmig gewesen und hatte freundlich blickende, aber alles andere als bemerkenswerte braune Augen gehabt. Sein Bruder hingegen war umwerfend attraktiv und männlich – mindestens einen Meter fünfundachtzig groß und sehr muskulös. Seine Augen waren dunkelgrau und sein Haar tiefschwarz. Und anders als Theodore hatte er nichts Weiches an sich.

Schließlich wandte er sich an Michael und kniete sich vor ihn. „Manchester United, nicht?“ Er betrachtete dessen Lieblings-T-Shirt, das Sophy ihm zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatte. „Ich bin auch Fußballfan. Wir werden zusammen spielen, ja? Würde dir das gefallen?“

„Oh ja!“, erwiderte sein Neffe eifrig und fügte leise hinzu: „Du bist der Bruder von meinem Daddy, nicht?“

Seine Miene war unbeweglich, als Andreas antwortete: „Ja, Michael, ich bin der Bruder von deinem Daddy, also dein Onkel. Das ist gut, nicht? Es bedeutet, dass wir schon Freunde sind.“

Michael blickte ihn aus seinen braunen Augen an. Schließlich lächelte er strahlend und nickte.

Andreas zauste ihm das Haar, bevor er wieder aufstand, und Sophy war froh darüber, dass sie sich einen Moment hatte sammeln können. Dieser große, maskuline Mann war ziemlich Furcht einflößend. Allerdings war er während seiner Unterhaltung mit Michael wie umgewandelt gewesen.

Schließlich sah er sie direkt an und sagte ausdruckslos: „Und Sie sind sicher, Sophy, nicht? Jill hat uns in ihrem Brief nicht darauf vorbereitet, dass es sie gleich zweimal gibt. Sie schrieb nur, ihre Schwester würde sie begleiten.“

Sofort verspannte sie sich. Jill und sie hatten von klein auf sehr aneinander gehangen, waren jedoch immer darauf bedacht gewesen, als Individuen betrachtet zu werden. Manch einer schien zu glauben, dass sie eine Person waren. Vom Wesen her waren sie allerdings völlig verschieden.

„Guten Tag, Andreas“, sagte sie höflich, aber mit einem gewissen Unterton, der Andreas offenbar nicht entging. „Ich bin Jills Zwillingsschwester, wie Sie sicher erraten haben.“ Sie rang sich ein kühles Lächeln ab und hoffte, dass er den Wink verstand.

Er nickte und betrachtete sie forschend, als versuchte er, ihre Gedanken zu lesen. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Sophy“, erwiderte er ruhig, bevor er sich so abrupt wieder an Jill wandte, dass es fast unhöflich wirkte. Sie blinzelte verwirrt und betrachtete ärgerlich sein hartes Profil, während er fortfuhr: „Der Wagen wartet draußen, und meine Eltern erwarten Sie schon gespannt. Wollen wir aufbrechen?“

„Ja, natürlich“, erwiderte Jill schnell.

Andreas hatte mit einem Nicken einen Gepäckträger herbeigerufen, mit dem er nun auf Griechisch sprach.

Jill wirkte völlig verwirrt, und Sophy krauste die Stirn, als sie beobachtete, wie sie sich mit zittriger Hand den Pony glatt strich. Eigentlich war ihre Schwester hierher gekommen, um auszuspannen und Theodores Familie in harmonischer Atmosphäre kennenzulernen. Und ihrer Meinung nach konnte die Familie Karydis sich verdammt glücklich schätzen, dass ihre Schwester die weite Reise gemacht hatte. Dieser Andreas brauchte jedenfalls nicht so zu tun, als würde seine Familie ihr einen Gefallen tun.

Als Sophy das von aschblondem Haar gerahmte, angespannte Gesicht ihrer Schwester betrachtete, verstärkte sich ihre Abneigung gegen Andreas Karydis. Sie strich sich das kinnlange Haar zurück und presste die Lippen zusammen. Für wen hielt sich diese Familie eigentlich?

Dann riss sie sich jedoch zusammen. Sie wusste nicht, was Andreas dachte. Vielleicht interpretierte sie sein Verhalten falsch. Vielleicht war er immer so unnahbar. Jill hatte ihr erzählt, dass es lange vor seiner Begegnung mit ihr zu dem Zerwürfnis zwischen Theodore und seiner Familie gekommen war. Dass er eine Engländerin geheiratet hatte, hatte aber den Ausschlag gegeben.

Als sie Jill damals gefragt hatte, warum Theodore sich mit seiner Familie überworfen hatte und nach England gekommen war, hatte diese schnell das Thema gewechselt. Erst zwei oder drei Jahre später hatte sie gestanden, dass er sich weigerte, mit ihr über sein früheres Leben zu sprechen. Selbst Christos, den er in England über den Freund eines Freundes kennengelernt und mit dem er sich sogleich angefreundet hatte, wusste es ihr zufolge nicht.

Es war ein Rätsel. Und sie, Sophy, hatte Rätsel und Geheimnisse noch nicht gemocht. Sie hätte Theodore niemals heiraten können! Nicht, dass er es gewollt hätte. Ein zerknirschtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ihre Abneigung erwiderte. Sie hatte sich noch nie zu Machos hingezogen gefühlt.

Sophy schreckte aus ihren Gedanken, als das Gepäck auf den Wagen geladen wurde und Andreas sich umwandte und Jills Arm umfasste. „Wollen wir?“, fragte er höflich an sie und Michael gewandt, bevor er mit Jill davonging.

Sophy lächelte steif und hoffte, dass er ihr nicht angemerkt hatte, wie ihr unter seinem durchdringenden Blick zumute war. Er strahlte Stärke und Autorität aus, und das war einfach zu viel für sie. Selbst seine Sachen verrieten es, denn im Gegensatz zu den bunt gekleideten Menschen um sie her trug er ein blütenweißes Hemd, das am Kragen offen stand, und eine anthrazitfarbene Hose.

Als sie das Gebäude verließen, brannte die Junisonne auf sie herab, und Michael bemerkte beeindruckt: „Mann, ist das heiß!“

Daraufhin drehte sein Onkel sich lächelnd zu ihm um. „In England ist es nicht so warm, oder?“ Seinem Neffen gegenüber waren sein Tonfall und sein Gesichtsausdruck ganz anders. „Im Juli und August ist es noch heißer. Du wirst bestimmt viel Zeit im Swimmingpool deiner Großeltern verbringen.“

„Im Swimmingpool?“ Michaels Augen strahlten. „Sie haben einen eigenen Swimmingpool?“ Er hatte erst vor Kurzem schwimmen gelernt.

Andreas nickte. „Aber an einem Ende ist er sehr tief“, warnte er ihn und betrachtete sein von hellbraunen Locken gerahmtes Gesicht. „Du darfst nur ins Wasser gehen, wenn ein Erwachsener dabei ist. Das ist eine Regel für alle Kinder, die das Haus meiner Eltern besuchen.“

„Wer sind die anderen Kinder?“, erkundigte Michael sich prompt.

„Verwandte und Freunde der Familie. Keine Angst, Kleiner. Du wirst sie irgendwann alle kennenlernen.“

Andreas hatte sie über den großen Parkplatz geführt und ging nun auf eine lange Limousine mit Chauffeur zu. Michael fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Ist das dein Wagen?“, fragte er atemlos.

„Ja. Gefällt er dir?“ Andreas lächelte.

Sophy hatte den Wortwechsel zwischen den beiden erstaunt verfolgt. Als sie nun zu Jill blickte, sah sie, dass es ihr genauso ging. Michael schien sich nicht im Mindesten von Andreas einschüchtern zu lassen!

„Er ist klasse“, flüsterte der Junge und strich respektvoll über den silberfarbenen Lack. „Und das ist meine Lieblingsfarbe.“ Dann ging er langsam um den Wagen herum.

„Meine auch“, bestätigte Andreas.

Die beiden Frauen tauschten einen Blick. Es schien so, als wären Andreas und Michael bereits Freunde.

Der Chauffeur hatte inzwischen das Gepäck im Kofferraum verstaut, und nun rief Andreas ihn herbei. „Das ist Paul, mein Fahrer und Freund.“ Als der kleine, dünne Mann lächelte, fuhr Andreas fort: „Mrs. Karydis, Paul, und mein Neffe Michael. Und das ist Miss …?”

„Sophy Fearn. Mrs. Sophy Fearn.“ Sophy lächelte Paul, der ein gnomenhaftes Gesicht hatte, freundlich an und freute sich über ihren kleinen Triumph.

Andreas wirkte erschrocken, fing sich allerdings schnell wieder, und sagte leise und mit unergründlicher Miene: „Entschuldigen Sie, Sophy. Ich wusste nicht, dass Sie verheiratet sind. Aber ich hätte natürlich nicht das Gegenteil annehmen dürfen.“

Nein, das hätten Sie nicht, gab sie ihm mit ihrem Blick zu verstehen. Schließlich lächelte sie kühl und antwortete höflich, aber kühl: „Schon gut, Andreas. Ich bin verwitwet.“

Für den Bruchteil einer Sekunde verriet der Ausdruck in seinen Augen Überraschung. „Das tut mir leid.“

Sophy merkte, dass Michael es kaum erwarten konnte, mit dem Wagen zu fahren, und erklärte daher nur: „Mein Mann ist vor drei Jahren gestorben, und die Zeit heilt alle Wunden.“ Sie hoffte nur, dass er nicht so taktlos war, wie es einige ihrer Freunde nach Theodores Tod gewesen waren. Mit ihren Bemerkungen hatten sie ihr das Gefühl vermittelt, dass Jill und sie am Tod ihrer Ehemänner schuld wären.

Andreas nickte jedoch nur und blickte ihr noch einen Moment in die Augen, bevor er die Tür öffnete und ihnen in den Wagen half. Es war das erste Mal, dass er sie anfasste, und die Berührung durch den dünnen Ärmel ihres Tops machte Sophy aus irgendeinem Grund nervös.

Michaels bewundernde Ausrufe ließen erst gar keine peinliche Situation entstehen, und kurz darauf lenkte Paul die Luxuslimousine vom Parkplatz.

„Sind Sie schon mal im Norden von Griechenland gewesen?“, fragte Andreas nach einigen Minuten höflich und blickte dabei Jill und sie an.

„Ich bin noch nirgendwo gewesen“, erwiderte Jill schnell, „abgesehen von einer Reise nach Frankreich zu Studienzeiten. Sophy reist von Berufs wegen sehr viel.“

„Wirklich?“ Er betrachtete Sophy.

„Ich bin Textileinkäuferin“, antwortete sie leise. „Deswegen muss ich ab und zu nach Frankreich fliegen und gelegentlich nach Mailand und New York. Aber die meiste Zeit arbeite ich am Schreibtisch.“

„Modeeinkäuferin.“ Vielleicht bildete sie es sich nur ein, doch seine Stimme verriet so etwas wie Missbilligung. „Dann sind Sie also eine Karrierefrau?“

Wenn jemand anders ihr diese Frage gestellt hätte, hätte es Sophy nichts ausgemacht. Bei Andreas Karydis hingegen machte es ihr sehr wohl etwas aus. „Ich habe einen hochinteressanten Job, den ich nur durch harte Arbeit bekommen habe und der mir sehr viel Spaß macht“, erklärte sie kühl, „aber ich lege keinen Wert auf Marken.“

Sie spürte, wie Jill neben ihr unbehaglich hin und her rutschte. Andreas wirkte jedoch ungerührt. Schließlich nickte er und wandte sich dann wieder an Jill. „Ich bin sicher nicht unparteiisch, aber für mich ist dieser Teil Griechenlands einer der schönsten. Halkidiki ist größtenteils landwirtschaftliches Gebiet mit Pinienwäldern und Olivenhainen, und Sie werden feststellen, dass die Landschaft mit ihrem üppigen Grün und den weißen Stränden von zeitloser Schönheit ist. An vielen Orten ist die Lebensweise der Menschen vom einundzwanzigsten Jahrhundert noch wenig beeinflusst. Es ist schade, dass Sie nicht im Frühling gekommen sind. Dann blühen überall Blumen.“

„Haben Sie Ihr ganzes Leben hier verbracht?“, erkundigte Jill sich nervös, nachdem einige Sekunden lang Schweigen geherrscht hatte.

Andreas nickte. Dann betrachtete er Sophy einen Moment lang durchdringend und verzog spöttisch den Mund. „Aber genau wie Ihre Schwester reise ich ab und zu. Mein Vater hat auf seinem Anwesen Oliven-, Zitronen- und Orangenhaine, aber sein eigentliches Interesse galt immer der Schifffahrt. Nun, da er älter ist, überlässt er die geschäftlichen Angelegenheiten vorwiegend mir. Davon profitieren wir beide.“

Jill nickte nur, doch Sophy gingen unzählige Fragen durch den Kopf. War Theodores Familie so reich, wie sie vermutete? War Theodore der jüngere oder der ältere der beiden Söhne gewesen, und gab es noch mehr Geschwister? Was hatte ihn veranlasst, dieser herrlichen Gegend den Rücken zu kehren und sich in England eine neue Existenz aufzubauen? Sophy zwang sich, aus dem Fenster zu blicken und so tun, als wäre sie sich nicht der Gegenwart des Mannes bewusst, der ihr gegenübersaß, neben sich den unermüdlich plappernden Michael.

Sie waren eine breite, staubige und von hohen Zypressen gesäumte Straße entlanggefahren und näherten sich nun einem kleinen Dorf, das in der Mittagssonne döste. Die purpur- und scharlachfarbenen Hibisken und Bougainvilleen bildeten einen reizvollen Kontrast zu den weiß getünchten Mauern. Hier und da pickten Hühner am Straßenrand.

„Oh, sieh mal, Jill.“ Sophy stieß ihre Schwester an und deutete auf eine Quelle in einiger Entfernung von der Straße, an der einige Frauen mit amphorenähnlichen Tonkrügen Wasser holten. Das Quellwasser floss in einen Trog, aus dem ein kleiner Esel trank. „Ist das nicht schön?“

„Das Wasser ist ganz sauber“, bemerkte Andreas leise. „Die meisten Dörfer haben mittlerweile fließend Wasser, aber trotzdem holen die Frauen das Wasser lieber noch von der Quelle. Für sie ist es auch ein beliebter Treffpunkt. Wahrscheinlich leiden die Menschen hier viel weniger unter der Krankheit namens Stress als die in den Städten, oder?“, fügte er mit einem zynischen Unterton hinzu.

„Kann ich auch Quellwasser trinken?“, fragte Michael hoffnungsvoll. „Im Haus von meinen Großeltern?“

Sophy beobachtete, wie Andreas nachsichtig lächelte und zerknirscht antwortete: „Leider nicht, Michael. Deine Großeltern haben auch fließend Wasser. Aber wenn es nicht so wäre, hätten sie auch keinen Swimmingpool.“

Nachdem sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, fuhren sie eine gewundene Straße hinauf, die von weiten Feldern gesäumt war. Nur gelegentlich kamen sie an Steinhäusern vorbei, die in Zitronen-, Feigen- und Olivenhainen lagen.

„Warum tragen die Frauen Stiefel?“, wandte Michael sich einige Minuten später an seinen Onkel und deutete auf die Frauen, die auf den Feldern arbeiteten und kniehohe Stiefel sowie Strohhüte trugen. „Ist ihnen nicht warm?“

„Das ist zum Schutz gegen Schlangenbisse“, erwiderte Andreas ernst. „Wir sind hier in Griechenland, mein Kleiner. Es ist ganz anders als England.“

Und er war auch ganz anders. Er widmete seine Aufmerksamkeit seinem Neffen, sodass Sophy Gelegenheit hatte, ihn verstohlen zu betrachten. Sie wettete darauf, dass er genauso gefährlich war wie eine Schlange. Wie alt mochte er wohl sein? Sie betrachtete sein markantes Gesicht, seine vollen Lippen und hohen Wangenknochen, die gerade, schmale Nase und die schwarzen Augenbrauen. Er konnte Ende zwanzig oder auch Ende dreißig sein. Seine klassischen Züge würden sich im Lauf der Jahre kaum verändern.

Theodore war sechsunddreißig und somit acht Jahre älter als Jill und sie gewesen. In den letzten Jahren vor seinem Tod hatte er beträchtlich zugenommen und war zunehmend kahler geworden. Sein Bruder ähnelte ihm nicht im Entferntesten.

Sophy erschrak, als sie feststellte, dass Andreas nicht mehr mit Michael sprach, sondern sie mit hochgezogenen Brauen ansah. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, und ihr Herz klopfte schneller. Schnell wandte sie sich ab und blickte aus dem Fenster. Er mochte vielleicht anders aussehen als sein verstorbener Bruder, aber ansonsten war er ein typischer Karydis – arrogant, gefühlskalt, selbstherrlich und dominant.

Sie hatte nie verstanden, warum ihre Schwester sich zu Theodore hingezogen gefühlt hatte und all die Jahre mit ihm verheiratet geblieben war. Andererseits hatte Jill vielleicht keine andere Wahl gehabt, sobald Michael unterwegs war. Sie, Sophy, hätte es jedenfalls nicht eine Minute mit Theodore ausgehalten! Jill war sich dessen vielleicht nicht bewusst, doch sie strahlte inzwischen schon wieder etwas von der Lebensfreude aus, die sie früher besessen hatte.

Vielleicht würde diese Reise für Michael und sie tatsächlich ein erholsamer Urlaub und die Basis für ein freundschaftliches Verhältnis zu ihrer Familie sein. Sie, Sophy, hingegen hatte ihre Zweifel, was die Beweggründe der Familie Karydis betraf. Jedenfalls würde sie auf keinen Fall tatenlos zusehen, wie ihre Schwester sich erneut unterdrücken ließ, sei es von Theodores Eltern, seinem Bruder oder der ganzen Bagage.

Energisch straffte sie die Schultern und hob das Kinn. Sie würde die Augen und Ohren offen halten. Schon immer war sie wesentlich sensibler gewesen, und nun war sie erst recht froh, dass sie ihre Schwester begleitete. Die Karydises mochten Jill sehr entgegenkommend und ein wenig naiv finden, doch sie würden bald merken, dass ihre Schwester aus einem ganz anderen Holz geschnitzt war!

2. KAPITEL

Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis Andreas verkündete, sie wären fast am Ziel. Wenn es nach Sophy gegangen wäre, hätte die Fahrt durch die griechische Landschaft, in der sich die weiß getünchten Häuser und die Olivenbäume gegen den strahlend blauen Himmel abzeichneten, noch länger dauern können. Lediglich seine Nähe störte sie.

Seit dem Moment, als er sie dabei ertappt hatte, wie sie ihn beobachtete, hatte sie jeglichen Blickkontakt vermieden. Trotzdem spürte sie, dass er sie ansah, und das machte sie nervös. Er machte sie nervös.

Sie war noch nie einem so maskulinen Mann begegnet. Da sein Hemd am Kragen offen stand, hatte sie einen Blick auf seine behaarte Brust erhascht, und ihr Magen hatte sich zusammengekrampft. Das gefiel ihr noch weniger als ihr vorheriger Ärger und ihre Abneigung, denn es war ein Zeichen von Schwäche.

Autor

Helen Brooks
Bereits seit über 20 Jahren veröffentlicht die britische Autorin unter dem Pseudonym Helen Brooks Liebesromane, unter ihrem richtigen Namen Rita Bradshaw schreibt sie seit 1998 historische Romane. Weit über 40 Bücher sowie einige andere Werke sind bisher unter dem Namen Helen Brooks erschienen, von Rita Bradshaw gibt es 14 Romane....
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