Heiße Küsse für die falsche Erbin?

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Ihr Lächeln kann noch so charmant sein, ihre Kurven noch so verlockend – niemals darf Owen Perry vergessen, dass Callie eine dreiste Erbschleicherin ist, die sich das Haus seiner verstorbenen Patentante unter den Nagel reißen will! Jahrelang hat sie sich nicht für die alte Dame interessiert, aber jetzt heuchelt die vermeintliche Erbin plötzlich Interesse an der Familiengeschichte! Doch je besser er sie kennenlernt, desto schwerer fällt es Owen, die hinreißende Callie nicht mit heißen Küssen zu verwöhnen. Dabei wurde er schon einmal aus Habgier aufs Schlimmste hintergangen …


  • Erscheinungstag 10.08.2021
  • Bandnummer 162021
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718930
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Owen Perry sah auf die Wanduhr über der Tür des Anwaltsbüros, dann wandte er sich wieder zu Mr. Dunkley um.

Der Anwalt räusperte sich unbehaglich und schob einige Papiere auf seinem Schreibtisch zur Seite. „Miss Nicholls ist erst gestern angekommen, und der Flug von Sydney nach New York dauert lange. Wahrscheinlich leidet sie unter Jetlag und hat deshalb verschlafen.“

Owen schnaubte ungläubig. Er konnte nicht verstehen, warum Mr. Dunkley immer noch nach Entschuldigungen für Callie Nicholls suchte. Immerhin wusste der Anwalt genauso gut wie er von den unzähligen Briefen, die Frances ihrer Enkelin nach Australien geschickt hatte. Und wie viele Antworten sie auf diese Briefe bekommen hatte.

Keine.

Nicht eine einzige.

Owen atmete tief ein und versuchte die angespannten Muskeln in seinem Kiefer zu lockern. Er schaute zu dem Umschlag vor sich auf dem Tisch. Die letzten Worte seiner Patentante an ihn.

Den Brief hatte er zur Erinnerung an Frances’ Wünsche mitgebracht. Damit er sich beherrschte und Callie Nicholls nicht ins Gesicht sagte, was er wirklich von ihr hielt. Denn das hätte Frances nicht gewollt. Seine Patentante würde sich wünschen, dass er professionell blieb … und hilfsbereit.

Bei dem Gedanken stieg tiefe Trauer in ihm auf. Das dunkle Gefühl drückte seine Brust zusammen, bis er kaum noch Luft bekam. Der Anblick seines Namens in Frances’ vertrauter Handschrift tat weh.

Könnte er nur ein letztes Mal in ihrem Wohnzimmer sitzen, um mit ihr eine Runde Schach zu spielen und dabei über Politik zu diskutieren.

Doch das würde nie wieder passieren. Und der Brief mit seinem Namen war in schwarzer Tinte geschrieben – nicht in einem fröhlichen Blau oder Orange, obwohl Frances bunte Tinte geliebt hatte. Als sollte die Tintenfarbe die Förmlichkeit des Inhalts betonen. Wie ein Symbol für den Tod.

Reiß dich zusammen!

Könnte Frances ihn jetzt sehen und seine Gedanken hören, würde sie ihn gründlich zurechtweisen. Aber sie war nicht hier. Alles, was ihm blieb, war dieser Brief. Mein lieber Owen, du schuldest mir nicht das Geringste.

Er schuldete ihr alles! Und genau aus diesem Grund war er fest entschlossen, ihre Wünsche zu ehren, statt Callie Nicholls seine Meinung zu sagen.

Er würde dieser verfluchten Frau helfen, soweit es in seiner Macht stand. Zumindest so lange, wie sie sich hier in New York aufhielt – obwohl er inständig hoffte, dass sie schnell wieder abreiste.

Auch wenn er dazu weniger Lust hatte, als zu einem Zahnarzttermin, würde er sich nachbarschaftlich verhalten. Für Frances.

Die Sprechanlage brummte, und am anderen Ende erklang die Stimme der Sekretärin: „Miss Nicholls ist hier für den Zehn-Uhr-Termin.“

„Schicken Sie sie herein“, antwortete der Anwalt.

Owen warf einen Blick auf die Uhr. Zehn Uhr fünfundzwanzig.

In diesem Moment stürmte eine junge Frau in das Büro und zog sich schwungvoll ihren himbeerfarbenen Mantel aus. Einen Moment lang hatte Owen das Gefühl, einem Wirbelwind aus bunten Farben, Sonnenschein und Frühlingsblumen zuzuschauen.

„Es tut mir so leid, dass ich zu spät komme.“ Sie wickelte einen pinkfarbenen Schal von ihrem Hals. „New York ist wirklich verrückt!“

Der Anwalt sprang auf die Füße, und Owen erhob sich ebenfalls.

„Ist es niemals still in dieser Stadt?“

„Sie kommen zu spät, weil es in New York laut ist?“ Die spitze Bemerkung kam aus seinem Mund, bevor Owen etwas dagegen tun konnte.

Sie schaute ihn aus intelligenten eisblauen Augen an. Der Anblick erinnerte ihn an seine Lieblingsmurmel, mit der er als Kind gespielt hatte.

Ihre Mundwinkel zuckten. „Mein Hotel liegt direkt neben der Feuerwehr, und entweder gibt es eine ganze Menge Brände in New York oder irgendetwas stimmt nicht mit dem Feueralarm. Aber ich bin sogar trotzdem ganz früh aufgestanden, obwohl die Sirenen mich die ganze Nacht lang wachgehalten haben. Aber dann hat mich der Taxifahrer drei Häuserblocks zu früh abgesetzt und Stein und Bein geschworen, Ihr Büro wäre nur zwanzig Meter entfernt. Und dafür hat er mir noch zwanzig Dollar berechnet, was ich ziemlich viel finde …“ Sie verdrehte die Augen und hängte ihren Mantel über eine Stuhllehne.

„In welchem Hotel wohnen Sie?“, fragte Owen.

Sie nannte ihm ein nahegelegenes Hotel – günstig und alles andere als gepflegt. Kein Hotel, das Owen seiner Schwester empfehlen würde.

„Da wären Sie ja pünktlicher hier gewesen, wenn Sie gelaufen wären.“

Bei seinem Tonfall hob sie die Augenbrauen und spannte die Schultern an.

Er atmete tief ein und bemühte sich um einen freundlicheren Gesichtsausdruck. Immerhin hatte er versprochen, zu helfen. Schnippische Bemerkungen waren alles andere als hilfreich. „Das Hotel hat nicht den besten Ruf. Wir müssen etwas anderes für Sie finden.“

Sie schaute ihn prüfend an. „Wir wurden uns noch nicht vorgestellt.“ Sie hob den Kopf und streckte eine Hand aus. „Callie Nicholls.“

Er nahm ihre Hand. „Owen Perry.“ Unter ihrer Berührung schien seine Haut zu brennen. Schnell zog er die Hand wieder zurück.

„Der Testamentsvollstrecker meiner Großmutter?“

„Genau.“ Er ballte die Hände zu Fäusten. Warum hatte sie Frances nicht wenigstens einen Brief geschrieben? War das wirklich zu viel erwartet?

„Ich versichere Ihnen, dass ich wunderbar für mich selbst sorgen kann, Mr. Perry. Sowohl für meine Unterbringung als auch für alles andere, was ich hier in New York unternehmen werde.“

Darauf würde er wetten.

„Also machen Sie sich bitte meinetwegen keine Umstände.“

Wenn es nach ihm ginge, könnte sie in der nächsten Mülltonne wohnen. Aber … „Ihre Großmutter hat sich gewünscht, dass Sie sich hier in New York wohlfühlen und gut aufgehoben sind.“

„Das lässt sich ganz einfach bewerkstelligen“, sagte Mr. Dunkley eilig. „Miss Nicholls, bitte setzen Sie sich.“

Sie nahmen Platz.

„Das Beste wäre sicherlich, Miss Nicholls wohnt im Apartment ihrer Großmutter“, fuhr der Anwalt fort.

„Nein!“, rief Owen aus, bevor er sich zurückhalten konnte.

Mr. Dunkley und Callie Nicholls starrten ihn an. Obwohl Owen nur einen Wollpullover trug, kam es ihm plötzlich vor, als läge eine zu enge Krawatte um seinen Hals. Es war nur … Er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand anderer als Frances im Obergeschoss wohnte. Wollte es sich nicht vorstellen.

Der Anwalt beugte sich über den Tisch näher zu Owen. „Warum nicht?“

Wenn Callie dort einzog, konnte er nicht länger nach oben gehen und im Halbdunkeln sitzen, um seinen Erinnerungen an Frances näher zu sein.

„Ja, bitte, warum nicht?“, hakte Callie nach. Ihre Stimme klang nicht unfreundlich, sondern verwundert.

Verdammt! Diese Frau verdiente es nicht, von Frances’ Tod zu profitieren, wenn sie es zu Lebzeiten ihrer Großmutter nicht einmal für nötig gehalten hatte, ihr einen einzigen Brief zu schreiben!

Aber Frances hat es sich gewünscht. Darauf musste er sich konzentrieren. Nicht darauf, was Callie falsch gemacht hatte. „Die Wohnung ist seit acht Wochen nicht geputzt worden. Es muss gründlich gereinigt und gelüftet werden, bevor irgendjemand einziehen kann.“

„Das wurde bereits erledigt“, warf Mr. Dunkley ein. Die Fröhlichkeit in seiner Stimme klang gezwungen. „Ich habe mir gestern die Freiheit genommen, eine Reinigungsfirma zu beauftragen. Die Wohnung steht für Miss Nicholls bereit.“

Owen zwang sich, seine Gefühle zur Seite zu schieben. Sentimentalität konnte er sich jetzt nicht leisten. „Wie vorausschauend von Ihnen, Mr. Dunkley.“

Sobald Callie Nicholls die Dokumente unterschrieb, würde ihr ein Großteil der Immobilien ihrer Großmutter gehören. Dazu gehörte auch das Mehrfamilienhaus, in dem Frances gewohnt hatte.

Für New Yorker Verhältnisse handelte es sich um ein bescheidenes Mehrfamilienhaus mit nur acht Wohnungen, aber dafür lag es mitten im Herzen von Greenwich Village, einer der exklusivsten Wohngegenden von ganz New York. Allein diese Wohnungen waren viele Millionen Dollar wert. Sobald Miss Nicholls die Wohnungen zum Verkauf anbot, plante Owen das gesamte Haus zu kaufen.

„In Ihrem Brief stand, dass meine Großmutter mir eine kleine Erbschaft hinterlassen hat, Mr. Dunkley. Ich muss zugeben, dass ich nicht damit gerechnet habe.“

Owen unterdrückte ein Schnauben.

„Aber natürlich bin ich ganz aufgeregt. Was können Sie mir über Frances erzählen?“

„Ihr Mädchenname war Frances Victoria Allbright, und sie ist in Maine aufgewachsen. Mit neunzehn Jahren hat sie Thomas Nicholls geheiratet, einen aufstrebenden Börsenmakler. Tragischerweise ist Thomas vor mehr als vierzig Jahren ertrunken und hat Frances und Ihrer Mutter sein kleines Vermögen hinterlassen. Frances hat sich nicht auf dieser Erbschaft ausgeruht, sondern ist selbst an den Börsenmarkt gegangen. Offenbar hatte Thomas ihr alles beigebracht, was er wusste, und sie hat mit viel Erfolg gehandelt.“

Während der Anwalt erzählte, rutschte Callie auf ihrem Stuhl weiter nach vorne und hing an den Lippen des älteren Mannes.

Habgierig. Das Wort kam Owen in den Sinn. Bei dem Gedanken zog sein Magen sich schmerzhaft zusammen. Frances verdiente etwas Besseres als so eine Enkelin.

„Mit sechsundvierzig hat Frances noch einmal geheiratet, aber nach vier Jahren endete die Ehe mit der Scheidung.“

„Wer war ihr zweiter Ehemann?“

„Richard Bateman.“ Mr. Dunkley hielt inne, als warte er auf weitere Fragen. Als Callie schwieg, fuhr er fort: „Ungefähr ein Jahr nach der Scheidung ist sie von ihrer Wohnung an der Upper East Side nach Greenwich Village gezogen. Dort hat sie die letzten zwanzig Jahre gewohnt.“

Und dort hatte Owen sie kennengelernt. Seine Mutter hatte als Reinigungskraft für Frances gearbeitet.

Callie lehnte sich auf ihrem Stuhl nach vorne. „Stimmt es, dass Sie seit über dreißig Jahren der Anwalt meiner Großmutter sind?“

Mr. Dunkley legte seine Lesebrille zur Seite und schaute sie an. „Das ist korrekt.“

„Nun, das sind ja alles interessante Fakten, aber mich interessiert etwas ganz anderes.“ Sie machte ein kurze Pause, dann fragte sie: „Was für ein Mensch war meine Großmutter? War sie aufbrausend? Mochte sie Katzen? Hatte sie Hobbys? Wer waren ihre Freunde?“

Der Anwalt blinzelte und rieb seine Brille, als wüsste er nicht, was er außer den Fakten über Frances erzählen konnte.

Owen wusste selbst nicht genau, warum er antwortete. „Manchmal war Ihre Großmutter so wortkarg, dass es an Unhöflichkeit grenzte“, sagte er langsam. Seine Stimme klang heiser. „Aber ihr Herz war voller Liebe und Großzügigkeit. Sie mochte weder Katzen noch kleine Kinder. Eine Schachpartie gegen sie zu gewinnen, war nicht einfach, und sie hat bis zu ihrem Sterbetag den Börsenmarkt beobachtet. Sie besaß nicht viele Freunde – wahrscheinlich, weil sie sehr viel Wert auf ihre Privatsphäre gelegt hat –, aber die wenigen hat sie sehr geschätzt. Sie liebte die Menschen und hat viel Geld an Wohltätigkeitsorganisationen gespendet. Und sie hat jedes Weihnachtsfest alleine verbracht.“

Callies Blick hing an seinen Lippen, als würde sie jedes Wort von ihm in sich aufsaugen. Sie sah aus wie das nette Mädchen von nebenan. Mit ihren glänzenden kastanienbraunen Haaren, dem breiten Lächeln und der strahlenden Haut wirkte sie wie die Art Frau, die nichts zu verbergen hat.

Fast hätte er glauben können, dass sie sich wirklich für ihre Großmutter interessierte und nicht für das Geld. Aber er wusste, der Anschein konnte trügen. Das hatte Fiona ihm auf grausame Art und Weise gezeigt. Darum würde er Callie nicht nach ihrem Aussehen beurteilen, sondern danach, wie sie sich verhielt.

Und nach ihrem bisherigen Verhalten zu urteilen, ging es ihr nur ums Geld.

Je länger sie Owen Perry ansah, desto schwerer fiel Callie das Atmen. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass dieser mysteriöse und verwirrende Mann der Schlüssel zu allem war. Er hatte ihre Großmutter gut gekannt. Wenn es irgendjemanden gab, der ihr alles sagen konnte, was sie wissen musste, dann war er es.

Das konnte interessant werden. Denn es war nicht zu übersehen, dass er sie nicht ausstehen konnte. Wie merkwürdig … schließlich kannte er sie nicht. Aber ihrer Erfahrung nach brauchten Männer keinen Grund, um sich unfair oder feindselig zu verhalten.

Um nichts in der Welt würde sie sich je wieder von einem Mann unterkriegen lassen, der selbstzufrieden seine Macht missbrauchte. Das hatte sie sich geschworen.

Auch ohne seine Hilfe würde sie alles herausfinden, was sie wissen wollte. Immerhin war sie Historikerin. Sie wusste, wie sie einer Spur von Brotkrumen folgen konnte, um fehlende Stücke der Vergangenheit zusammenzusetzen. Das war ihre Spezialität, und das würde sie auch bei ihrer eigenen Geschichte schaffen. Sie brauchte keinen Owen Perry.

„Möchten Sie sonst noch etwas wissen?“

Er klang höflich, und doch kam es ihr vor, als würde er sich über sie lustig machen.

„Ich bin einfach neugierig, das ist alles. Bis vor Kurzem wusste ich nicht einmal, dass Frances existiert. Aber Sie haben sie gekannt. Und geschätzt, glaube ich. In welcher Beziehung standen Sie zu Frances?“

„Sie war meine Patentante.“

Patentante? Owen war der Patensohn von Frances? Sofort verflog ihr Misstrauen gegen ihn. Was sie für Abneigung gehalten hatte, war einfach nur Trauer.

„Oh, Owen, es tut mir so leid. Sie müssen sie schrecklich vermissen.“

Anstatt zu antworten, schaute er zur Seite.

Mr. Dunkley räusperte sich. „Dann kommen wir jetzt zum Testament. Sind Sie bereit?“

Bitte, bitte, lass Grandma einen Brief für mich hinterlassen haben, flehte Callie im Stillen. Irgendetwas, das erklärte, warum sie niemals Kontakt zu ihrer Enkelin aufgenommen hatte. Wenn es nur einen Hinweis auf einen Familienstammbaum gab, den sie nachverfolgen konnte …

„Ihre Großmutter war eine wohlhabende Frau“, begann Mr. Dunkley.

Callie nickte ungeduldig und wartete sehnsüchtig darauf, dass der Anwalt ihr einen Brief von ihrer Großmutter überreichte.

„Sie hat Ihnen das Mehrfamilienhaus vermacht, in dem sie selbst lebte, sowie ein Treuhandkonto, das sie bei Ihrer Geburt eingerichtet hat.“

Callies Herz schlug schneller. Bei ihrer Geburt? Hatte sie ihre Großmutter als Baby kennengelernt? Und gab es keinen Brief?

„Ist das alles?“, fragte sie enttäuscht.

Owen packte seine Stuhllehne so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. „Sie wollen noch mehr?“

„Ja!“ Ihr Herz schlug so wild in der Brust, dass ihr ganz schwindelig wurde. „Hat sie mir keinen Brief hinterlassen? Irgendetwas, was erklärt, warum sie nie Kontakt zu mir aufgenommen hat? Weshalb hinterlässt sie mir so ein großes Erbe, obwohl sie nie versucht hat, mich kennenzulernen?“ Das ergab alles keinen Sinn.

Owen sprang auf die Füße und lief mit großen Schritten im Raum auf und ab. Als ob … als ob er vor Wut kochte und sich abreagieren musste. Callie runzelte die Stirn. Sie verstand sein Verhalten nicht.

Der Mann trauert um seine Patentante, sagte sie sich dann.

„Ihre Großmutter hat Ihnen keinen Brief hinterlassen“, sagte Mr. Dunkley.

Ein Stich fuhr durch ihr Herz. Keinen Brief?

„Aber sie hat Ihnen einen Notgroschen vererbt. Auf dem Treuhandkonto liegen fünf Millionen Dollar.“

Als würde Geld es besser machen, niemals ihre Großmutter kennengelernt zu haben. Ihre Familie. Als ob sie mit Geld … Hatte er gerade etwa fünf Millionen gesagt? „Wie bitte?“

„Insgesamt sind das Apartmenthaus und das Treuhandkonto mehr als zwanzig Millionen Dollar wert.“

„Zwanzig Millionen Dollar? Das ist kein Notgroschen! Das ist … ungeheuerlich!“

„Korrekt.“ Owens Mund wirkte angespannt, als er sich wieder auf seinen Stuhl setzte. „Es handelt sich um eine Menge Geld, Miss Nicholls.“

Sie richtete sich auf. Ein Brief hätte es ihr leichter gemacht, ihre Großmutter zu verstehen. Aber sie würde nicht aufgeben. Sie würde die Geheimnisse ihrer Vergangenheit aufdecken – und wenn es das Letzte war, was sie tat.

Ob ihre Mutter von all diesem Reichtum wusste? Ganz bestimmt. Trotzdem hatte sie darauf verzichtet, selbst als sie in Callies Kindheit bitterarm gewesen waren. Anstatt das Geld ihrer Familie anzunehmen, hatte sie sich dazu entschieden, hart zu arbeiten und mit ihrem kleinen Gehalt auszukommen.

Dafür musste es einen Grund geben. Einen guten Grund.

Ihre Mutter hatte Callie immer gesagt, dass die Reichen ihre eigenen Gesetze machten. Dass sie einer anderen Moral folgten, als der Rest der Welt es tat. Dass sie glaubten, die Welt gehöre ihnen.

Vielleicht wäre es das Beste, das Erbe nicht anzunehmen? Schließlich wollte Callie kein Geld von einer Familie, die ihre Mutter schlecht behandelt hatte.

Sie ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte den Kopf. Sie musste sich auf den einen Grund konzentrieren, aus dem sie nach New York gekommen war – mehr über ihren Familienstammbaum zu erfahren. Nur so konnte sie die Kontrolle über ihre Gefühle behalten – die Panik, die Hoffnung, die Angst.

Sobald sie es geschafft hatte, ihre Herkunft zurückverfolgen, würde sie ein Video darüber drehen, wie sie bei der Recherche vorgegangen war. Sie hoffte, dass sie damit eine begehrte wissenschaftliche Position in der Fernsehserie Mysteriöse Familienstammbäume bekommen konnte.

Über das Erbe würde sie später nachdenken. Sie schluckte. Wenn sie es behielt, musste sie nie wieder arbeiten. Aber das kam nicht infrage. Sie konnte sich nicht vorstellen, nicht mehr zu arbeiten.

Sie hatte ihren letzten Job an der Universität geliebt. Sich über ihre Arbeit definiert. Vertraute Wut schoss durch ihre Adern. Das hatte Dominic ihr genommen, als er dafür sorgte, dass sie gefeuert wurde.

Dann stellte sie sich seinen Gesichtsausdruck vor, wenn er herausfand, dass sie bei einer Fernsehshow arbeitete. Und zwar nicht bei irgendeiner. Oh, das würde ihre perfekte Rache sein – genau den Job zu ergattern, den er sich so sehr wünschte, aber nicht bekommen hatte. Bei der Vorstellung erfüllte sie tiefe Zufriedenheit. Rache ist süß.

„Geben Sie in Gedanken schon das Geld aus, Miss Nicholls?“

Owens Tonfall klang gerade scherzhaft genug, um zu glauben, dass es ein harmloser Scherz war. Aber sie hörte eine Schärfe heraus.

„Noch nicht, Mr. Perry. Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe an etwas sehr viel Süßeres gedacht.“

„Nämlich?“

„Rache“, sagte sie sanft.

Sie war immer noch schrecklich wütend auf Dominic und auf den Leiter des Instituts für Geschichte an ihrer ehemaligen Universität. Sie hatte sich nie für eine Person gehalten, die besonders hitzköpfig oder gar rachsüchtig war, aber Dominic hatte sie zu sehr betrogen.

„Wie … angenehm“, brummte Owen Perry.

Der Klang seiner Stimme holte sie in die Realität zurück. „Mr. Dunkley, könnten Sie mir eine Kopie von dem Testament geben?“

„Weshalb?“, fragte Owen Perry und lehnte sich zu ihr.

In diesem Moment bemerkte sie zum ersten Mal den verführerischen Schwung seiner Lippen. Mit seinem kräftigen Kinn und den durchdringenden grauen Augen war Owen Perry ein unverschämt gut aussehender Mann. In ihrem Inneren regte sich etwas, doch sie schob das ungebetene Gefühl beiseite.

„Neugier.“ Sie zuckte mit den Schultern. In Wirklichkeit suchte sie einfach nach dem kleinsten Anhaltspunkt, um mehr über ihre Familie zu erfahren. Aber das sprach sie nicht aus. „Gibt es einen Grund, warum ich das Testament nicht sehen darf?“

Owen Perry schüttelte den Kopf. „Selbstverständlich nicht.“

Den Rest des Termins gab sie sich große Mühe, Mr. Perry zu ignorieren. Die Kombination aus Jetlag und einer Nacht ohne Schlaf zehrte an ihren Kräften. Vielleicht schätzte sie den Mann darum falsch ein. Immerhin hatte er nicht den geringsten Grund, sie nicht zu mögen. Oder doch?

Aber wie sollte sie ihn ignorieren? Owen war kein unauffälliger Mann. Sie warf einen Seitenblick auf seine breiten Schultern und die hochgewachsene schlanke Statur. Unter seinem Pullover zeichneten sich harte Muskeln ab, und er strahlte eine unübersehbare Aura der Männlichkeit aus.

Sie fuhr mit der Zungenspitze über ihre trockenen Lippen. „Gibt es noch andere Erben?“ Falls Frances noch anderen Menschen etwas vererbt hatte, wussten diese vielleicht mehr über ihre Familie.

„Nur Ihre Mutter.“

Callie schaute enttäuscht zu Boden.

„Den Rest ihres Vermögens sowie das Familienanwesen hat Frances Ihrer Mutter Donna Susan Nicholls vererbt.“

Ein Familienanwesen? Callie richtete sich auf. Das war sogar mehr als eine Spur aus Brotkrumen! Das war ein ganzer Laib Brot!

Als der Anwalt das Familienanwesen erwähnte, leuchtete Callie Nicholls’ Gesicht auf. Owen dagegen fühlte sich, als legte sich ein tonnenschweres Bleigewicht auf seine Schultern.

Offensichtlich reichten zwanzig Millionen Dollar dieser Frau nicht. Sie wollte auch noch das Familienanwesen. Wie froh er war, dass Frances das nicht mit ansehen musste.

„Was passiert, wenn meine Mutter ablehnt?“, fragte Callie.

Damit hatte Frances ebenfalls gerechnet und deshalb einen Zeitraum von zwölf Monaten vorgeschrieben, in denen ihre Tochter das Erbe annehmen konnte. Sollte diese in den zwölf Monaten Briefe schreiben, in denen sie das Erbe ablehnte, hatte der Anwalt die Anweisung, die Schreiben zu ignorieren.

Mr. Dunkley erklärte Callie die Anweisungen. „Wenn Ihre Mutter nach Ablauf der zwölf Monate das Erbe immer noch ablehnt, dann wird das Anwesen an eine Stiftung für Katzen gespendet.“

Callie drehte sich zu Owen. „Sie haben gesagt, meine Großmutter mochte keine Katzen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Wie auch immer. Ich verspreche Ihnen, dass die Chance, einen Gerichtsprozess zu gewinnen, extrem gering ist, falls Sie vorhaben, den Anteil Ihrer Mutter auf sich selbst umschreiben zu lassen.“

Sie machte eine abwehrende Handbewegung, und er bekam den Eindruck, dass sie ihm gar nicht zuhörte.

„Mr. Dunkley, über wie viel Geld sprechen wir hier?“

„Fünf oder sechsmal so viel, wie Ihre Großmutter Ihnen hinterlassen hat. Also irgendetwas zwischen einhundert und einhundertzwanzig Millionen Dollar.“

Sie atmete scharf ein. „Das ist eine unfassbare Summe. Wie konnte ich nicht die geringste Ahnung haben, dass meine Großmutter eine der reichsten Frauen New Yorks war?“

„Das war sie nicht. Nicht einmal annähernd. Die reichste Frau New Yorks hat ein mehr als hundertmal so großes Vermögen.“

Owen konnte Callie keinen Vorwurf für den Blick machen, den sie dem Anwalt zuwarf. Er schaute aufmerksam zu, wie sie sich aufrichtete. Was hatte sie vor? „Mr. Dunkley, haben Sie eine Idee, worüber sich meine Mutter und meine Großmutter zerstritten haben?“

Owen hob eine Augenbraue. Wollte sie den Grund für den Streit herausfinden, damit ihre Mutter das Erbe akzeptierte und sie es selbst irgendwann nach dem Tod ihrer Mutter erben würde?

Mr. Dunkley kniff die Lippen zusammen. „Das hat Ihre Großmutter mir nicht anvertraut.“

Sie wandte sich zu Owen. „Wissen Sie etwas darüber?“

Einen Moment lang fragte er sich, ob er sie falsch eingeschätzt hatte. In ihren Augen sah er nichts als Verblüffung. Nicht den geringsten Funken Gier.

Nein, sei nicht so leichtgläubig, wies er sich zurecht. Fiona hatte ihn genauso getäuscht.

Er schüttelte den Kopf. Er hatte nicht die geringste Idee, was zwischen Frances und ihrer Familie vorgefallen war.

Mr. Dunkley nahm einen Stapel Unterlagen in die Hand. „Bringen wir die Formalitäten hinter uns.“

Es war tatsächlich nur eine Sache von wenigen Minuten, ein Fünftel von Frances’ gesamtem Vermögen an Callie zu überschreiben. Einige Unterschriften, Callies Bankdetails und das Versprechen, ihr innerhalb von ein oder zwei Tagen den Schlüssel zu dem Apartment zu übergeben.

Owen kam es vor, als schlösse sich eine Faust um sein Herz. Callie Nicholls sollte ihrer Großmutter dankbar sein. Und sie hätte ihre Dankbarkeit zeigen müssen, solange Frances noch lebte.

Sie hätte wenigstens einen der Briefe beantworten können, die Frances ihr geschickt hatte! Das war doch wohl nicht zu viel verlangt? Ein kleiner Preis für zwanzig Millionen Dollar.

Sobald das letzte Dokument unterzeichnet war, verabschiedeten sie sich von Mr. Dunkley. Gemeinsam verließen sie das Büro des Anwalts und fuhren im Fahrstuhl nach unten. Owens Gewissen gab keine Ruhe. Zum Teufel! Er hatte Frances ein Versprechen gegeben, und das musste er halten!

Im Foyer zog er seine Visitenkarte heraus und reichte sie Callie. Misstrauisch hob sie eine Braue.

„Meine Karte“, erklärte er. „Falls Sie irgendetwas brauchen, während Sie in New York sind, kontaktieren Sie mich. Ich helfe Ihnen bei allem, so gut ich kann.“

Sehr langsam nahm sie die Karte aus seiner Hand. Dabei achtete sie darauf, ihn nicht zu berühren. „Das ist überraschend freundlich von Ihnen.“

Das hatte er verdient.

Sie betrachtete ihn aus schmalen Augen. „Sie sagten, meine Großmutter wäre Ihre Taufpatin gewesen?“

„Möchten Sie meine Taufurkunde sehen?“, entfuhr ihm.

Ihre Augen blitzten humorvoll auf. „Sie glauben gar nicht, wie gern ich jetzt Ja sagen würde.“

Wenn sie die Mundwinkel auf diese Weise hob, wirkten ihre Lippen plötzlich unwiderstehlich anziehend. Ihr Humor und auch die Richtung, die seine Gedanken plötzlich nahmen, überraschten ihn zutiefst. Er unterdrückte ein Lächeln – das wäre an dieser Stelle ausgesprochen unpassend.

Schließlich plante er nicht, dem Charme dieser Frau zu erliegen. Charme, den sie ohne Zweifel an gutgläubigen Dummköpfen wie ihm trainiert hatte.

Sie steckte seine Visitenkarte in ihre Handtasche. „Wenn Sie Frances’ Patensohn sind“, sagte sie nachdenklich, „und meine Mutter und ich sind ihre einzigen Erben …“

Er runzelte die Stirn. Worauf wollte sie hinaus?

„Möchten Sie eine Abfindung oder irgendetwas in der Art? Haben Sie mit einem Erbe gerechnet und es nicht bekommen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Das würde zumindest einiges erklären.“

Er ballte die Hände zu Fäusten. War Geld alles, woran diese Frau denken konnte? „Was würde es erklären?“ Sein Tonfall klang täuschend freundlich. Frances wäre stolz auf ihn.

„Den Eindruck, dass Sie mich nicht ausstehen können.“

Er atmete scharf ein. Offensichtlich musste er sich mehr anstrengen, wenn er seine Patentante wirklich stolz machen wollte. „Es tut mir leid, wenn ich Ihnen diesen Eindruck vermittelt habe. Es war ein … schwieriger Tag.“

Autor

Michelle Douglas
Das Erfinden von Geschichten war schon immer eine Leidenschaft von Michelle Douglas. Obwohl sie in ihrer Heimat Australien bereits mit acht Jahren das erste Mal die Enttäuschung eines abgelehnten Manuskripts verkraften musste, hörte sie nie auf, daran zu arbeiten, Schriftstellerin zu werden. Ihr Literaturstudium war der erste Schritt dahin, der...
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