Heiße Küsse, heimliches Begehren

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"Ich brauche dich." Kurz nach dem Unfalltod ihres Exmannes taucht dessen Bruder bei Sienna auf. Und Adam Quinn ist nicht allein: Im Arm hält er ein Baby. Er bittet Sienna, ihm mit dem Kind seines verstorbenen Bruders zu helfen. Widerstrebend stimmt sie zu, obwohl sie vor Begierde nach Adam brennt. Sie darf ihren Gefühlen auf keinen Fall nachgeben! Denn eine Liebe zu dem attraktiven Millionär ist unmöglich: Seit sich Sienna von Adams Bruder scheiden ließ, ist die ganze Familie Quinn gegen sie …


  • Erscheinungstag 04.09.2018
  • Bandnummer 2045
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722111
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Für fünfzigtausend Dollar kannst du das Baby haben.“

Adam Quinn schluckte einen plötzlichen Anfall von Zorn hinunter und betrachtete die Frau, die ihm gegenüberstand. Kim Tressler war ungefähr dreißig Jahre alt. Sie hatte hellblondes Haar und trug ein schwarzes, so eng geschnittenes Kleid, dass sich jede Kurve ihres Körpers darunter abzeichnete. Die stark geschminkten blauen Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, aus denen sie Adam Quinn böse anfunkelte. Ihr Mund war ein einziger roter Strich.

Tunlichst vermied Adam es, das Baby länger als nötig anzuschauen, das Kim auf der linken Hüfte trug … den Sohn seines toten Bruders. Er musste einen klaren Kopf bewahren, solange er es mit dieser Frau zu tun hatte, und das konnte er nur, wenn er nicht auf das Kind sah.

Als Besitzer einer der weltweit größten Bau- und Immobilienfirmen war Adam daran gewöhnt, Konflikte zu lösen. Im Laufe seines Geschäftslebens hatte er es schon mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu tun gehabt und zahlreiche Kämpfe ausgefochten. Und aus allen war er stets als Sieger hervorgegangen. Aber diesmal ging es nicht ums Business. Das hier war eine rein private Sache. Und die ging ihm mächtig an die Nieren.

Vor ihm auf dem Schreibtisch lag der geöffnete DNA-Test, der bestätigte, dass der Vater des Babys Devon Quinn war, Adams jüngerer Bruder. Er hätte den Test eigentlich nicht benötigt, denn das Kind war Devon wie aus dem Gesicht geschnitten. Ebenso klar war, dass er den Jungen auf keinen Fall bei seiner Mutter lassen würde, so kalt und berechnend, wie sie war. Typisch Devon. Er hatte immer einen schlechten Geschmack gehabt, was Frauen betraf.

Die einzige Ausnahme bildete seine Exfrau, Sienna West. Bei dem Gedanken an sie fühlte Adam ein Ziehen in der Brust, das jetzt völlig fehl am Platz war. Er durfte nicht an Sienna denken, solange ihm Kim gegenüberstand. Es war wichtig, dass er sich ausschließlich auf sie konzentrierte.

„Fünfzigtausend“, wiederholte er.

„Das ist ein faires Angebot“, meinte sie schulterzuckend. Als das Baby durch die plötzliche Bewegung aufwachte und unruhig wurde, schüttelte sie es unwirsch, während sie den Blick neugierig durch Adams Büro schweifen ließ.

Ihm war völlig klar, was in ihr vorging.

Sein Büro war riesig und strahlte Macht und Reichtum aus. Ein massiver Schreibtisch aus Mahagoni stand zwischen ihm und Kim. Breite Glasfronten boten einen wunderschönen Ausblick auf den Pazifischen Ozean, wo sich Surfer und Segler tummelten. An den hellgrauen Wänden hingen gerahmte Fotos von einigen seiner größten Projekte, und auf dem schimmernden Holzboden lagen wertvolle Teppiche in dunklen Rottönen. Adam hatte hart dafür gearbeitet, dass seine Firma da war, wo sie heute stand, und er war stolz darauf. Sollte dieses geldgierige Weib ruhig alles anstarren, als hingen Preisschilder daran.

Als das Kind leise zu wimmern begann, lenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Adam. „Also. Das ist Devons Sprössling, und er hat versprochen, dass er für uns beide sorgen wird, als er mich zu dem Baby überredet hat. Er wollte das Kind, ich nicht. Jetzt ist er tot, und das alles geht mich nichts mehr an. Ich muss mich auf meine Karriere konzentrieren. Für ein Kind habe ich keine Zeit. Ich will es nicht, aber Sie als sein Bruder …“

Nur mit größter Mühe gelang es Adam, sich zu beherrschen. Wie konnte sie nur so herzlos sein? Das Baby tat ihm unendlich leid. Gleichzeitig fragte er sich, was, um Himmels willen, sein Bruder in dieser Frau gesehen hatte. Mal abgesehen davon, dass Devon selbst ziemlich oberflächlich gewesen war, musste er doch mit so einer Frau kein Kind in die Welt setzen. Schließlich machte sie keinen Hehl daraus, dass sie nur an Geld interessiert war.

Es schockierte ihn, dass sie so schnell mit ihrer Vergangenheit und dem gemeinsamen Leben mit seinem Bruder abgeschlossen hatte. Zweifellos hatte Devon seine Schwächen gehabt, aber er verdiente doch etwas Besseres als diese Frau. Andererseits sah ihm das alles ziemlich ähnlich. Er hatte nie weiter als bis zum nächsten Abenteuer gedacht. Oder bis zur nächsten Geliebten. Leider war er ausgerechnet bei dieser hängen geblieben. Und ein Testament hatte er trotz des Kindes nicht verfasst, weil er vermutlich damit gerechnet hatte, ewig zu leben.

Stattdessen war er vor etwas mehr als sechs Monaten bei einem schrecklichen Bootsunfall in Südfrankreich ums Leben gekommen. Adams Schmerz über den Tod seines Bruders war noch frisch. Ein Jahr vor dessen Tod hatte er das letzte Mal mit Devon gesprochen. Jetzt würde er nie mehr die Gelegenheit dazu haben.

„Hat das Kind eigentlich auch einen Namen?“, wandte er sich an Kim. Da sie immer nur über das Baby sprach, hatte er den Verdacht, dass sie vielleicht einfach darauf verzichtet hatte.

„Selbstverständlich“, antwortete Kim. „Es heißt Jack.“

Wie ihr Vater. Adam wusste nicht, ob er wütend oder gerührt sein sollte. Erst hatte sich Devon von der Familie abgewandt und dann seinen Sohn nach dessen Großvater benannt, der schon lange tot war.

Aber schon wieder schweiften seine Gedanken ab. Er musste sich zusammenreißen.

„Warum kommen Sie erst jetzt zu mir?“, fragte Adam, während er sich in seinem Sessel zurücklehnte.

„Ich hatte zu tun.“ Sie blies eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zuckte zusammen, als das Kind mit dem Händchen nach ihrer Wange fasste. „Die Publicity um Devons Unfall war enorm. Deshalb hatte ich einige wichtige Fototermine bei einer bekannten Modelagentur in Frankreich.“

Unglaublich! Sie sah den Tod seines Bruders tatsächlich als lukratives Geschäft. Die letzte Geliebte des Unfallopfers. In Adam kochte der pure Zorn hoch, obwohl er wusste, dass dies der falsche Moment für Emotionen war. Kim durfte nichts von seinem inneren Aufruhr merken. Es war schon schlimm genug, dass er dem eiskalten Biest auch nur einen Cent überlassen musste, aber so eine Mutter konnte er dem kleinen Jungen wahrlich nicht zumuten.

Kim seufzte laut und wippte ungeduldig auf den Hacken ihrer hohen Sandaletten hin und her. „Was ist denn nun? Bezahlen Sie das Geld oder …?“

Er unterbrach sie augenblicklich. „Wie bitte?“

Mit beiden Händen stützte er sich auf dem Schreibtisch ab, während er aufstand und ihr fest in die Augen sah. Sie sollte gleich merken, wer hier der Boss war. Was erlaubte sich diese Frau? Schließlich war sie zu ihm gekommen, nicht umgekehrt. Es war doch klar, wer hier etwas von wem wollte.

„Was genau werden Sie sonst tun, Ms. Tressler? Den Kleinen ins Waisenhaus geben? Oder ihn woandershin verkaufen?“

Ihre Augen sprühten Funken, doch sie war klug genug, nichts zu erwidern.

„Wir wissen beide, dass nichts von alldem passieren wird. Im Übrigen würde ich Ihnen meine Anwälte auf den Hals hetzen, und dann könnten Sie froh sein, wenn Sie noch neben einem Sack Hundefutter posieren dürften.“

Hasserfüllt sah die Frau ihn an.

„Sie wollen Geld, und das werden Sie bekommen“, erklärte er. Dann kam er um den Schreibtisch herum und nahm ihr entschlossen das Kind aus dem Arm. Keinen Moment länger sollte sie seinen Neffen in ihren Klauen halten. Der kleine Junge schaute ihn aus großen Augen an, als würde er sich fragen, was das alles eigentlich sollte.

Adam hielt ihn unsicher fest. Er konnte ihm den Blick nicht verübeln. Schließlich hatte man ihn um die halbe Welt gezerrt, und jetzt lag er im Arm eines völlig fremden Menschen. Es war ein Wunder, dass er nicht wie am Spieß schrie. Das traf allerdings auch auf Adam zu. In seinem bisherigen Leben hatte er nicht viel mit Kindern zu tun gehabt. Geschweige denn mit Babys. Aber das würde sich nun ändern.

„Gut. Dann lassen Sie uns die Sache über die Bühne bringen, und schon bin ich weg.“

Er warf ihr einen kalten Blick zu und drückte auf die Gegensprechanlage. Wenige Sekunden später meldete sich Kevin, sein Assistent.

„Kevin, schick mir bitte zwei Anwälte rein. Wir müssen einen Vertrag aufsetzen. Jetzt gleich.“

„Wird gemacht.“

„Anwälte?“, fragte Kim mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Was denken Sie denn? Dass ich Ihnen eine so hohe Summe Geld aushändige, ohne sicherzustellen, dass Sie nicht noch mal herkommen? Wie naiv sind Sie eigentlich?“

Adam kannte Frauen wie Kim zur Genüge. Im Laufe von Devons Liebesleben hatte seine Firma Dutzende von ihnen ausbezahlt, um sie loszuwerden. Jedes Mal, wenn Devon genug von einer hatte, kam er damit zu Adam. Mit Ausnahme von Sienna West. Sie hatte sich standhaft geweigert, bei der Scheidung Geld anzunehmen, obwohl es ihr zustand und Adam alles darangesetzt hatte, sie umzustimmen.

„Und wenn ich nicht unterschreibe?“, fragte Kim lauernd.

„Denken Sie nicht mal daran“, gab Adam kalt zurück. „Sie wollen das Geld viel zu sehr, als dass sie den Vertrag ausschlagen werden. Und noch etwas: Lassen Sie sich keine krummen Touren einfallen. Sonst strenge ich sofort einen Prozess gegen Sie an, den Sie nicht gewinnen werden. Ich kann jahrelang durchhalten. Bis dahin sind Sie verhungert. Haben wir uns verstanden?“

Sie sah aus, als würde sie ihm ins Gesicht springen wollen, doch sie blieb ruhig sitzen.

„Ja, verstanden.“

Er wusste, dass die Sache damit erledigt war.

Adam sah auf das Baby in seinem Arm hinab und überlegte, was er jetzt anfangen sollte. Er wusste überhaupt nichts über Babys. Aus seiner Familie konnte er niemanden fragen. Sein Vater war schon lange tot, und seine Mutter lebte mit ihrem neuen Freund in Florida. Außerdem war sie nicht der großmütterliche Typ.

Er würde jemanden engagieren müssen. Ein Kindermädchen. Aber bis dahin … Wieder drückte er auf den Knopf der Gegensprechanlage. „Kevin, kommst du bitte kurz?“

Gleich darauf wurde die Tür geöffnet, und Kevin Jameson trat ein. Er war groß, hatte dunkelblondes Haar, blaue Augen und einen durchdringenden Blick. So wie jetzt, als er Kim betrachtete wie ein widerliches Insekt. „Wie kann ich helfen?“, fragte er Adam.

Wortlos drückte ihm Adam das Baby in den Arm. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte er laut über Kevins panischen Gesichtsausdruck gelacht. „Bitte kümmere dich um das Kind, bis ich hier fertig bin“, wies er seinen verblüfften Assistenten an.

„Ich?“

„Genau. Seine Sachen sind da drüben in der Tasche.“ Er winkte zwei Männer in dunklen Anzügen heran, die eben den Raum betraten. „Danke, Kevin.“

Kevin war ein alter Freund und Zimmernachbar aus dem Studium. Die beiden hatten ein enges Vertrauensverhältnis, und Adam war sicher, dass er sich später noch einiges über Kevins plötzlichen Job als Kindermädchen anhören musste. Aber erst einmal konzentrierte er sich voll und ganz auf den Vertrag, den seine beiden Anwälte gerade aufsetzten.

Nachdem sich die Tür hinter Kevin geschlossen hatte, wandte sich Adam an Kim. „Sie erhalten eine einmalige Zahlung und verzichten auf alle elterlichen Rechte. Klar?“

Sie sah nicht besonders glücklich damit aus, hielt aber den Mund. Ganz sicher hatte sie gehofft, noch öfter Geld von ihm fordern zu können, aber da hatte sie sich verrechnet. Adam hatte genug Erfahrung, um solch eine Situation von vornherein auszuschließen.

„Ja, gut.“

„In Ordnung. Meine Herren, bitte setzen Sie jetzt den Vertrag auf. Alle Rechte, die Devons Sohn Jack betreffen, werden an mich übertragen. Dieses Dokument muss juristisch absolut wasserdicht sein, sodass ich damit vor jedem Gericht bestehen kann.“

Kims Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Sie trauen mir wirklich nicht über den Weg, was?“

„Warum sollte ich? Einer Mutter, die ihren Sohn verkauft? Sie machen Witze.“

Eine Stunde später saßen sich Adam und Kevin mit hochgelegten Beinen an Adams Schreibtisch gegenüber.

„Das zahl ich dir heim! Mir einfach ein Kind in den Arm zu drücken“, schimpfte Kevin.

„Dachte ich mir doch, dass du das toll finden würdest.“ Lachend lehnte Adam sich in seinem Stuhl zurück und trank einen Schluck Kaffee. Jetzt hätte er allerdings einen Scotch bevorzugt. „Du hast an der Tür gelauscht und alles mitgekriegt, stimmt’s? Ich meine, bevor du wegen des Babys reingekommen bist.“

„Allerdings.“ Kevin stellte seine Tasse auf dem Tisch ab. „Als ich sie mit dem Kind gesehen habe, wusste ich sofort, dass Ärger im Anmarsch ist.“ Er schüttelte den Kopf. „Der Junge sieht genau so aus wie sein Vater. Also, Devon hat sich ja so einige merkwürdige Damen an Land gezogen, aber die hier toppt echt alle. Wie ist er bloß an so eine Frau geraten?“

„Eine, die ihr eigenes Kind verkauft“, stellte Adam grimmig fest.

„Weißt du, was? An solchen Tagen bin ich heilfroh, dass ich schwul bin.“

Erneut lachte Adam. Dann sah er sich plötzlich erschrocken um. „Wo ist denn das Baby eigentlich?“

Kevin legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. „Ich habe es in der Obhut von Kara gelassen. Sie hat selbst drei Kinder, also im Gegensatz zu mir jede Menge Erfahrung. Oder soll ich dir den Kleinen wiederbringen?“ Er öffnete ein Auge und grinste Adam an.

„Ich habe keine Ahnung von kleinen Kindern.“

„Aber ich, oder was?“ Kevin schüttelte sich. „Jetzt ist der Junge jedenfalls bei Kara, und ich habe Teddy zum Einkaufen geschickt. Windeln, Babynahrung und was man sonst so braucht.“

„Okay. Momentan ist also für alles gesorgt. Aber was mache ich mit ihm?“ Adam überlegte. Er brauchte dringend Hilfe. „Ich muss ein Kindermädchen finden“, überlegte er laut.

„Bitte schau mich dabei nicht so an.“

„Das würde ich dem Baby nicht antun“, erwiderte Adam trocken.

„Sehr komisch.“ Kevin nippte an seinem Kaffee. „Soll ich mich um Anzeigen und Bewerbungsgespräche kümmern?“

Kevin genoss Adams volles Vertrauen. Mit Sicherheit würde er für jeden Job die beste Person finden. Aber hier ging es um etwas so Persönliches, dass Adam die Sache selbst in die Hand nehmen wollte. „Danke, aber ich möchte mich diesmal selbst darum kümmern. Und vor allem brauche ich heute noch jemanden.“

„Das wirst du nicht hinkriegen“, prophezeite Kevin.

„Hey, wie wäre es mit deiner Mutter?“, fragte Adam. Das war eine brillante Idee. Kevins Mutter hatte Adam vor Jahren quasi adoptiert. Sie war warmherzig, witzig und dank Kevins Schwester Nora auch schon Großmutter. „Meinst du, sie könnte für eine Weile einspringen?“

„Das würde sie bestimmt liebend gern tun. Babys sind ihr Ein und Alles“, sagte Kevin und nickte.

„Super, dann …“

„Aber leider“, unterbrach ihn Kevin, „ist sie gerade auf dieser Kreuzfahrt durch Alaska, die du ihr zum Geburtstag geschenkt hast.“

„Ach, verdammt!“ Mit gerunzelten Brauen dachte Adam nach.

„Gestern Abend hat sie mir ein Video geschickt.“ Kevin schmunzelte. „Sie und Tante Noreen haben richtig viel Spaß. Mom hat für Nick und mich Pelzmäntel gekauft. Für den Winter.“

„Hör mal, wir wohnen in Südkalifornien.“

Kevin zuckte mit den Schultern. „Das hat sie anscheinend nicht gestört. Ach ja, und sie bedankt sich noch mal ganz herzlich bei dir.“

„Hab ich gern getan. Deine Schwester lebt in San Diego, also kann ich sie nicht fragen.“

„Nora hat schon drei Kinder, aber ich glaube, sie würde ein viertes gar nicht bemerken. Du müsstest nur hinfahren.“

Ratlos schaute Adam seinen Freund an. „Wen kennen wir denn noch?“

„Jede Menge Leute.“ Kevin überlegte. „Aber irgendwie ist niemand dabei, dem ich ein Baby anvertrauen würde. Außer vielleicht Nick, aber das kannst du vergessen.“

Kevins Ehemann Nick liebte Kinder. Er hatte selbst zwei Schwestern und einen Bruder, die ihn zum mehrfachen Onkel gemacht hatten, und war auch für Noras Kinder ein liebevoller Onkel.

„Es wäre ja nur für kurze Zeit“, meinte Adam hoffnungsvoll.

Kevin schüttelte den Kopf. „Schon eine Nacht ist zu lang. Nick träumt ohnehin schon die ganze Zeit von einer Adoption. Ich werde ihm keine zusätzlichen Argumente liefern.“

„In Ordnung.“ Fieberhaft dachte Adam nach. Nichts war in Ordnung. Natürlich hatte er genau das Richtige getan, als er seinen Neffen dieser unmöglichen Frau entrissen hatte, die ihn überhaupt nicht verdiente, aber nun musste er mit den Konsequenzen klarkommen. Irgendjemand musste ihm helfen. Seine Exfrau Tricia kam überhaupt nicht in Frage. Allein der Gedanke brachte ihn zum Lachen. Tricia arbeitete als TV-Reporterin und hatte noch weniger Ahnung von Kindern als er. Außerdem hatten sie seit ihrer Trennung vor fünf Jahren praktisch keinen Kontakt mehr gehabt.

Plötzlich wurde Adam klar, wie einsam er war. Nachdenklich setzte er seine Kaffeetasse ab und trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte herum. Die meisten Leute, die er kannte, waren Geschäftspartner. Er hatte eigentlich gar keine Zeit für Freundschaften, deshalb kannte er auch nur Menschen, die ebenso beschäftigt waren wie er.

„Lass das.“

Verwirrt schaute Adam auf. „Wie bitte?“

„Hör auf zu trommeln. Du machst mich nervös.“

„Meine Güte“, sagte Adam und fuhr sich durchs Haar. „Es muss doch irgendeine Lösung geben.“

„Was ist mit Delores?“

Adam schüttelte den Kopf. „Sie ist Haushälterin, keine Nanny.“

„Aber für eine Weile …“

„Außerdem verreist sie morgen. Sie will ihre Schwester in Ontario besuchen.“

„Na toll.“

„Logisch. Der Sommer fängt an. Die Leute fahren in den Urlaub.“

Plötzlich hatte er eine Eingebung. Das konnte tatsächlich funktionieren! Oder absolut nach hinten losgehen. Doch die Idee ließ ihn nicht mehr los.

Kevin beobachtete ihn aufmerksam. „Was hast du vor? Du denkst doch an jemanden, oder?“

Adam nickte. „An Sienna.“

Kevin war ehrlich erschüttert. „Du hast ernsthaft vor, Devons Exfrau zu bitten, sich um Devons Sohn zu kümmern? Den er mit einer anderen Frau hat? Respekt.“

Verwirrt sah Adam ihn an. „So hatte ich das noch gar nicht gesehen.“

„Das solltest du aber. Erinnere dich bitte daran, dass sie Devon verlassen hat, weil er keine Kinder wollte.“

Adam winkte ab. „Das war doch nur einer der Gründe.“

„Eben.“ Kevin stand auf und sah seinen Freund streng an. „Mann, Devon hat sie absolut mies behandelt, und du willst jetzt so tun, als wäre nie was gewesen?“

„Hier geht es um eine streng geschäftliche Angelegenheit“, behauptete Adam.

„Ach so. Na dann ist ja alles prima. Bestimmt versteht sie das.“

Adam überhörte den Sarkasmus in Kevins Stimme und ging zum Fenster, das einen atemberaubenden Ausblick auf das Meer bot. Jetzt, da er einmal den Gedanken gefasst hatte, gab es kein Zurück mehr. Sienna war die Frau seiner Wahl.

Adam ließ den Blick über die Szenerie vor ihm schweifen. Auf dem Meer tanzten kleine Segelboote in der Sonne, während Surfer auf den Wellen an den Strand rauschten. Delphine tauchten auf und nieder wie Balletttänzer. „Sie ist die Einzige, der ich diese Aufgabe zutrauen würde.“

„Das kann schon sein, aber warum sollte sie dir helfen?“, gab Kevin zu bedenken. Er stand auf und gesellte sich zu seinem Freund. „Wenn ich mich recht erinnere, wollte sie bei der Scheidung kein Geld von Devon. Weshalb sollte sie jetzt was von dir annehmen?“

Adam sah Kevin an. „Weil ich ihr keine Wahl lassen werde“, sagte er entschlossen.

Vorsichtig rückte Sienna West das Baby in die richtige Position, drehte das Köpfchen mit dem zauberhaften Gesicht zu sich her, trat einen Schritt zurück und drückte auf den Auslöser. Das Licht war einfach perfekt. Die zart zitronengelbe Decke, auf der das Kind lag, brachte den Bronzeton der Haut wunderbar zur Geltung. Der kleine, wunderschöne Körper war umgeben von gelb-weißen Gänseblümchen – eine Szenerie wie aus dem Bilderbuch.

In rascher Folge nahm Sienna noch einige Bilder auf. Dann legte ihre Assistentin Terri noch ein Gänseblümchen direkt neben den Kopf des Kindes an das winzige Ohr, und Sienna machte die letzten Aufnahmen. Schließlich lehnte sie sich zufrieden zurück. Sie warf einen prüfenden Blick auf das Display ihrer Kamera und lächelte. Natürlich würden nicht alle Fotos gelungen sein, und sie musste noch ordentlich sortieren, aber alles in allem war sie mehr als zufrieden.

Seit über einer halben Stunde arbeiteten sie schon mit dem entzückenden Säugling, der alles schlafend über sich hatte ergehen lassen. Sogar das Umbetten, das Bürsten der feinen Haare und die ständig wechselnde Beleuchtung. Bestimmt würde er bald aufwachen.

Sienna drehte sich zu den stolzen Eltern um, die im Hintergrund warteten. „Ich glaube, das war’s. Wir haben alles.“

„Die sind bestimmt toll geworden“, meinte die junge Mutter und hob ihre Tochter vorsichtig in die Arme.

„Da bin ich mir sicher“, erwiderte Sienna lächelnd. „Bei so einem bezaubernden Baby kann es gar nicht anders sein.“

„Ja, sie ist wunderbar, nicht wahr?“, ließ sich jetzt der Vater vernehmen, während er sanft über die Wangen des Kindes strich.

Sienna nutzte den Moment. Unbemerkt von den jungen Eltern, die in den Anblick ihres Babys versunken waren, hob sie die Kamera und machte einige Schnappschüsse. Eine junge Familie, voller Liebe und Hingabe füreinander. Sie fing die zärtliche Fürsorge der jungen Mutter ebenso ein wie die schützende Geste des Vaters, der seine beiden Frauen ganz nah bei sich hatte.

Sienna lächelte in sich hinein. Das Familienfoto, das sie jetzt im Display der Kamera betrachtete, war ihr wunderbar gelungen. Sie hatte vor, es den beiden jungen Eltern als Überraschung zu schenken. Vielleicht durfte sie es ja auch für ihre eigene Website verwenden.

„In ungefähr einer Woche können Sie auf die Fotos zugreifen. Terri wird Ihnen den Code geben“, erklärte sie. „Dann können Sie sich alle Aufnahmen in Ruhe ansehen und entscheiden, welche Ihnen am besten gefallen.“

Die junge Mutter küsste ihr Kind und lachte. „Ich fürchte, das wird der schwierigste Teil.“

„Auf jeden Fall“, pflichtete Terri ihr bei und hielt den beiden die Tür auf. „Kommen Sie bitte mit. Während Sie Kenzie anziehen, suche ich Ihnen den Code raus.“

Lächelnd sah Sienna ihnen hinterher. Terri konnte fabelhaft mit Kunden umgehen. Sie hatte selbst vier Kinder und sechs Enkel, daher kannte sie sich hervorragend mit Babys aus. Außerdem hatte sie ein gutes Händchen für nervöse Eltern und unruhige Kinder. Sienna hatte es noch keinen Augenblick bereut, sie eingestellt zu haben.

Sie nahm die Memory Card aus ihrer Digitalkamera, steckte sie in den Computer und öffnete einen neuen Ordner für die Familie Johnson.

Als alle Fotos hochgeladen waren, schaute sie sich die Aufnahmen kritisch an. Diejenigen, die ihr nicht gefielen, wanderten sofort in den Papierkorb. Einige allerdings übertrafen ihre Erwartungen sogar noch. Vor allem die Schnappschüsse, die sie ganz am Ende von der jungen Familie gemacht hatte, waren von einer solch intensiven Zärtlichkeit, dass ihr das Herz wehtat. Die Liebe in den Augen der jungen Mutter und der Beschützerinstinkt, den der Vater ausstrahlte, waren für jeden Betrachter sichtbar. Das winzige Baby, dicht an die Mutter geschmiegt, wirkte noch zerbrechlicher neben der großen Hand des Mannes, der es sanft berührte.

Sienna seufzte leise. Vor langer Zeit hatte sie selbst auch davon geträumt, Kinder zu haben. Davon, eine eigene Familie zu gründen, mit einem Mann, den sie liebte und für den sie die Welt bedeutete. Einmal hatte sie es auch versucht, aber ohne Erfolg. Statt ihr Glück zu finden, war ihr alles zwischen den Fingern zerronnen. Was wunderbar begonnen hatte, hatte sich am Ende als Illusion entpuppt.

Devon Quinn war zugleich der Mann ihrer Träume und ihr Albtraum gewesen. Gut aussehend, charmant, mit einem verführerischen Lächeln und einem Funkeln in den Augen, das Sienna Liebe und Abenteuer versprach. Aber sie hatte nur gesehen, was sie sehen wollte, und sehr schnell war ihr klar geworden, dass die Ehe mit Devon der größte Fehler ihres Lebens war.

Jetzt war Sienna geschieden und hatte ein kleines Unternehmen, das immer noch ums Überleben kämpfte. Sie fotografierte nun die Kinder anderer Leute.

„Oh Mann“, schalt Sienna sich. „Hör auf mit der Grübelei.“

Normalerweise hatte sie damit kein Problem. Sie war ein Mensch, der nicht dazu neigte, in der Vergangenheit zu leben und vertanen Chancen hinterherzutrauern. Lieber konzentrierte sie sich auf die Gegenwart.

„Sienna?“ Terri stand in der Tür.

„Was gibt’s? Haben die Johnsons noch etwas auf dem Herzen?“

„Nein“, sagte Teri zögernd. „Sie sind schon gegangen. Aber da ist jemand anderes, der dich sprechen möchte.“

Terri war augenscheinlich nicht glücklich über den Besucher, sodass sich Sienna fragte, wer, um Himmels willen, da zu ihr wollte.

„Wer ist es denn?“

„Ich“, vernahm sie da eine vertraute Stimme.

Terri zuckte zusammen, als die tiefe Stimme direkt hinter ihrem Rücken erklang. Langsam erhob Sienna sich. Dabei wandte sie keine Sekunde den Blick von dem Besucher, der hinter Terri im Türrahmen stand. Diese Stimme hätte sie aus Tausenden wiedererkannt, obwohl sie sie seit zwei Jahren nicht gehört hatte. Es war eine tiefe, volle Stimme, gewohnt, Anweisungen zu geben, die von anderen wie selbstverständlich befolgt wurden.

Außer von Sienna. Sie richtete sich nicht nach den Anweisungen anderer, sondern handelte nach ihren eigenen Vorstellungen.

Dennoch tat ihr Herz einen Sprung, und ihr wurde heiß, als sich ihre Blicke trafen und sich einen langen Moment nicht voneinander lösen konnten.

Adam Quinn.

Ihr ehemaliger Schwager. Jetzt, da sie ihn eine ganze Weile nicht gesehen hatte, fiel ihr zum ersten Mal die Ähnlichkeit zwischen den Brüdern auf. Gleichzeitig entdeckte sie aber noch viel mehr. Dinge, die sie früher nie wahrgenommen hatte. Zum Beispiel, dass Adams braune Augen fest auf sie geheftet waren, während Devons Blick immer umhergewandert war, als würde er ständig nach neuen interessanten Objekten suchen. Und im Gegensatz zu seinem Bruder, der fast immer ein gewinnendes Lächeln zur Schau getragen hatte, schien Adam ungewöhnlich ernst.

Er war größer, als Sienna ihn in Erinnerung hatte. Groß und eindrucksvoll. Wer sich ihm in den Weg stellte, musste mit Hindernissen rechnen.

Sein Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen. So war es jedes Mal gewesen, wenn sie Adam gesehen hatte. Sienna hasste es zwar, sich das einzugestehen, aber leugnen konnte sie es nicht. Dabei hatte sie sich geschworen, dass Adam absolut tabu war. Jedenfalls theoretisch.

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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