Heiße Rache, süße Küsse

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Vergeltung! Das ist alles, wonach der schönen Jesse der Sinn steht. Ihr Vater soll endlich bezahlen, für den Schmerz, den er ihrer Familie zugefügt hat! Doch gerade, als sie ihren lang gehegten Racheplan in die Tat umsetzen will, taucht plötzlich der Playboy Luc Sanchis auf, um ihrem Vater zu helfen. Luc hat Macht und Einfluss - und eine unglaubliche Ausstrahlung. Was kann sie bloß gegen einen Mann wie ihn unternehmen? Schockiert muss sie sich eingestehen, dass sie in seiner Nähe ungewollt heißes Verlangen verspürt. Und als er beginnt, sie zu verführen, ist sie verloren ...


  • Erscheinungstag 29.10.2013
  • Bandnummer 2098
  • ISBN / Artikelnummer 9783733700065
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wer ist das?“ Luc Sanchis gab sich betont gelangweilt, auch wenn sein Interesse unverständlicherweise geweckt war. Die Frau entsprach nicht im Entferntesten seinem Typ.

„Wer, die Rotblonde mit dem kurzen Haar?“

Luc nickte knapp. Er ärgerte sich, dass er gefragt hatte. Sein Anwalt kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er das nicht grundlos getan hatte.

„Jesse Moriarty, von JM Holdings.“

Mit gerunzelter Stirn musterte Luc die grazile Gestalt. Sie stand im Profil zu ihm, in dem grauen Hosenanzug unterschied sie sich von all den anderen Frauen, stach regelrecht heraus. Und sie wirkte extrem verlegen.

Selbst von hier aus erkannte er die weißen Knöchel ihrer Finger, weil sie das Champagnerglas – von dem sie nicht trank – so fest umklammerte. Den Blick hielt sie starr auf einen imaginären Punkt im Raum gerichtet.

Sein Anwalt nahm wohl an, dass Luc noch nichts von JM Holdings gehört hatte, denn er begann zu erklären: „Sie soll über fünfzig Millionen wert sein. Nicht schlecht für jemanden, der gerade mal vor ein paar Jahren auf der IT-Szene aufgetaucht ist. Sie hat in Cambridge studiert … Informatik und Wirtschaft. Hat noch während des Studiums ein von ihr entwickeltes Hacker-Schutzprogramm patentieren lassen. Unternehmen weltweit nutzen es – Ihre Firma übrigens auch. Es heißt, sie sei ein Genie.“

Luc musterte die Frau erneut. Wie ein Genie sah sie nicht aus, wirkte eher verloren in der Menge. Dass sie das Bedürfnis in ihm weckte, zu ihr zu gehen und tröstend ihre Hand zu nehmen, überraschte ihn.

Leise fuhr sein Anwalt fort: „Jeder, der mit ihr zu tun hat, nennt sie nur die ‚Maschine‘. Sie soll eiskalt sein. Keine Gerüchte über Affären oder Ähnliches. Also, wenn Sie mich fragen, ist sie lesbisch …“

Luc hielt nichts von solchen Unterstellungen. Er war froh, als jemand an seinen Gesprächspartner herantrat und ihn weglotste. Jetzt, da Luc allein war, bemerkte er die interessierten Blicke der Frauen, doch er konnte die Augen nicht von Jesse Moriarty abwenden.

Natürlich kannte er JM Holdings. Dieses Schutzprogramm war genial. Er hätte nur nie vermutet, dass die notorisch publicityscheue Person, die dahinter stand, eine so grazile junge Frau war.

Genau in diesem Moment drehte sie den Kopf in seine Richtung. Sie hatte ein hübsches Gesicht, herzförmig, und riesengroße Augen. Er straffte die Schultern und verfolgte neugierig, wie sie ihr noch volles Glas auf das Tablett eines vorbeilaufenden Kellners stellte und sich in seine Richtung in Bewegung setzte.

Als sie näher kam, konnte er sehen, dass sie eine weiße Bluse unter dem Jackett trug. Der klassisch-kühle Look, im Gegensatz zu den anderen Frauen, die erlesene Designerroben gewählt hatten. Sie wirkte, als hätte sie sich verirrt, doch der entschiedene Ausdruck in ihren Augen zeigte klar, dass sie sich genau da befand, wo sie sein wollte.

Sie war ihm jetzt nah genug, dass er ihre Anspannung fast spüren konnte. Sie war ungeschminkt, aber sie brauchte auch kein Make-up, ihr Teint war perfekt. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt eine ungeschminkte Frau gesehen hatte. Es erschien ihm seltsam intim.

Luc rührte sich nicht von der Stelle. Doch kurz bevor Jesse Moriarty ihn erreichte, wich sie erschreckt zur Seite, als ihr jemand zufällig in den Weg trat.

Es war eine instinktive Reaktion: Bevor Luc wusste, was er tat, ergriff er ihren Oberarm, um sie zu stützen. Auf ihren Wangen bildeten sich rote Flecken. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. Augen, die so dunkelgrau waren, dass sie beinahe blau wirkten – und Luc für einen Moment vollkommen in ihren Bann zogen.

Diese Frau hatte etwas, das seinen eisernen Schutzpanzer, den er sich über die Jahre zugelegt hatte, durchdrang. Als ihm das bewusst wurde, zog er seine Hand ruckartig zurück. Fast hätte er Jesse Moriarty dabei von sich gestoßen.

Sie sprach seine ursprünglichsten Instinkte an. Diese Frau fesselte ihn. Dabei passierte so etwas normalerweise nur, wenn er es zuließ, spontan jedoch nie. Diese bizarre Erfahrung ließ seine Stimme harscher klingen als beabsichtigt.

„Sie sollten besser aufpassen, wohin Sie gehen.“

Kurz flackerte maßlose Verlegenheit in den großen Augen auf, dann veränderte sich der Ausdruck, wurde – die Beschreibung, die der Anwalt benutzt hatte, fiel Luc ein – eiskalt.

Sie trat zurück, musterte ihn von Kopf bis Fuß. „Es war nur ein Missgeschick.“

Ihre heiser-rauchige Stimme ließ Lucs Pulsschlag rasen. Mit ihrem Blick hätte sie die Sahara auf den Gefrierpunkt abkühlen können. Dann ging sie weiter, und Luc musste den seltsamen Impuls unterdrücken, sie zurückzuhalten und … Was? Sich zu entschuldigen? Wurde er etwa mit zunehmendem Alter weich? Er wusste doch, dass die Frauen dieser Welt, ob Geschäftskolleginnen oder Goldgräberinnen auf der Suche nach einer guten Partie, sich nur den Anschein gaben, als besäßen sie eine verletzliche Seele. Vielleicht mochten solche Wesen tatsächlich existieren, aber zum größten Teil war das alles nur Schein, der dazu diente, sich einen Mann zu angeln. Er war ein Mal in diese Falle getappt. Den Fehler würde er nicht wiederholen.

Und nach dem Blick zu schließen, mit dem sie ihn gemustert hatte, gehörte Jesse Moriarty wohl zu den absolut unverletzlichen Frauen.

Ein Jahr später …

„Weshalb interessieren Sie sich für JP O’Brian Bauunternehmen, Mr Sanchis?“

Luc sah die Frau an, die schäumend vor seinem Schreibtisch stand, die Hände auf die Platte gestützt, das Kinn vorgereckt. Sie war einfach in sein Büro marschiert gekommen, als würde es ihr gehören – was ihn zuerst völlig überrumpelt hatte.

Ein Jahr war es her, seit sie sich begegnet waren, und in diesem einen Jahr hatten sich ihre großen grauen Augen ärgerlicherweise als unvergesslich erwiesen. Nur wurde Luc jetzt klar, dass seine Erinnerung der Realität nicht standhielt.

Groll über die unwillkommene Erinnerung an seine menschliche Schwäche flammte in ihm auf. Das hier war das zweite Treffen mit Jesse Moriarty, aber die Frau schien ein unfehlbares Gespür dafür zu haben, wie sie ihn verärgern konnte.

Er stand auf, stützte die Hände ebenfalls auf die Schreibtischplatte. „Miss Moriarty, ich schlage vor, Sie nehmen erst einmal Platz … wenn Sie davon ausgehen, dass dies hier ein Gespräch werden soll.“

Jesse blickte starr in seine dunkelbraunen Augen. Und genau wie letztes Jahr, als sie auf dieser Veranstaltung mit Luc Sanchis zusammengestoßen war, hatte sie das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren.

Der innere Aufruhr, der sie veranlasst hatte, den Mann spontan und unangemeldet zur Rede zu stellen, legte sich. Schlagartig wurde Jesse sich der ungewöhnlichen Situation bewusst, nahm abrupt Platz und beobachtete, wie ihr Gegenüber sich ebenfalls wieder auf seinem Stuhl niederließ.

Erst vor ein paar Monaten hatte sie erfahren, wer der Mann war, mit dem sie damals zusammengeprallt war, als sie sein Bild in der Zeitung gesehen hatte. Ärgerlich nur, dass die Erinnerung an ihn auch ohne das Foto nach wie vor sehr lebendig war.

Luc Sanchis, halb Spanier, halb Franzose. Vorstandsvorsitzender von Sanchis Construction & Design, eines der erfolgreichsten Architekturbüros weltweit. Die Firma war bekannt für die Verbindung von innovativem Design und umweltfreundlichen Konstruktionsmethoden.

Noch immer erinnerte Jesse sich an das Gefühl seiner Hand auf ihrem Arm. Damals hatte sie das Brennen an der Stelle tagelang gespürt. Viel beunruhigender war allerdings die Enttäuschung gewesen, als er sie von sich gestoßen hatte, so, als würde ihn allein ihr Anblick anekeln.

Über die Sprechanlage beauftragte er seine Assistentin, Erfrischungen zu bringen. Jesse wollte ihm sagen, er brauche die Frau nicht zu bemühen, doch sie traute ihrer Stimme nicht. Sie wollte sich erst sammeln, er sollte nicht sehen, wie stark er ihr inneres Gleichgewicht ins Wanken bringen konnte – heute nicht anders als vor einem Jahr.

„Also, Miss Moriarty“, er hatte den Lautsprecher wieder abgestellt, „fangen wir doch noch einmal von vorn an.“

Sein Ton passte ihr ganz und gar nicht, dennoch hielt sie sich zurück. „Entschuldigen Sie, ich wollte nicht unhöflich sein“, presste sie bemüht hervor.

Er zog eine Augenbraue in die Höhe. Ein leises Klappern kündigte die Assistentin mit dem Kaffeetablett an. Jesse war dankbar für den Aufschub und beobachtete fasziniert, wie Luc sich mit einem Lächeln für den Kaffee bedankte. Ihr stockte das Herz. Sein Gesicht war dunkel gebräunt, viel eher markant als attraktiv – eine Erkenntnis, die sie alles andere als kalt ließ.

Die Assistentin verließ den Raum, Jesse nahm einen Schluck Kaffee und wappnete sich, um Luc Sanchis offen anzusehen.

„Ich würde gern wissen, welches Interesse Sie an JP O’Brian haben.“

Er stellte seine Tasse ab, lehnte sich in den hohen Ledersessel zurück. Er hatte unglaublich breite Schultern und das blütenweiße Hemd mit der Seidenkrawatte vermittelte nur die Illusion von Zivilisiertheit, unter der sich raue, ungezügelte Männlichkeit verbarg. Jesse schluckte nervös.

„Bei allem Respekt“, hob er an, „aber ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht. Die Frage ist doch wohl eher, was Sie mein Interesse kümmert, oder?“

Sein Blick schien sie zu durchbohren und machte sie noch nervöser. Dabei sagte man ihr nach, sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen. Allerdings gab es da auch die wenig schmeichelhafte Charakterisierung, sie wäre eiskalt und emotionslos. Doch in der letzten Woche hatte sie nichts anderes als Gefühle gehabt, noch dazu sehr turbulente. Weshalb sie sich entschlossen hatte, Luc Sanchis aufzusuchen.

Jesse stand auf und stellte sich an die Fensterfront, die einen großartigen Blick auf London bot. Sie brauchte Abstand von dem Mann.

„Vielleicht haben Sie genügend Zeit, sich mit Dingen zu beschäftigen, die Sie nichts angehen“, hörte sie seine ungeduldige Stimme hinter sich. „Ich nicht.“

Sie drehte sich um. Er war um den Schreibtisch herumgekommen und zeigte mit dem ausgestreckten Arm zur Tür – die Aufforderung zu gehen. Zu ihrem Entsetzen fiel ihr jedoch nur auf, wie sich das Hemd über seiner breiten Brust spannte und der feine Stoff die Muskeln durchschimmern ließ.

Jesse war schockiert über sich selbst. Wieso reagierte sie so heftig auf diesen Mann, der, wie sie herausgefunden hatte, in dem Ruf eines Don Juans stand?

Mühsam riss sie sich zusammen und konzentrierte sich allein auf seine dunklen Augen. Sie hatte nicht vor, nachzugeben, nicht, wenn Luc Sanchis das einzige Hindernis auf dem Weg zu ihrem Triumph darstellte, O’Brian seiner gerechten Strafe zuzuführen. Sie hatte zu hart dafür gearbeitet.

Sie holte tief Luft. „Was immer Sie investieren wollen, um O’Brian zu retten – ich biete mehr.“

Luc Sanchis ließ den Arm sinken. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie. Jesse zwang sich, seinem Blick standzuhalten. Sie wusste, wie einflussreich der Mann war, und sollte er entschlossen sein, O’Brian zu retten, würde sie kaum gegen ihn ankommen.

„Warum, um alles in der Welt, sollte die erfolgreichste IT-Firma in ganz Europa sich für ein Bauunternehmen interessieren? Haben Sie nicht gerade noch einen Spielehersteller aufgekauft?“

Jesse fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Dieser Mann brauchte nichts über ihre Motive zu wissen. „Das Warum steht nicht zur Diskussion.“

„Aber mein Interesse an O’Brian schon?“

Bei der keineswegs unberechtigten Frage wurde sie rot. Und noch etwas anderes passierte – sie bekam eine Gänsehaut. Luc Sanchis hatte sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Schreibtischkante gelehnt, der Stoff seiner Hose schmiegte sich eng um die muskulösen Schenkel. Jesse ballte die Hände zu Fäusten.

Luc musterte die Frau, die in seinem Büro stand. Fast bebte sie vor Anspannung. Er gab es nur ungern zu, aber sie faszinierte ihn in vielerei Hinsicht, nachdem er den ersten Schock des unerwarteten Wiedersehens überwunden hatte.

Sie war nicht sein Typ, trotzdem konnte er nicht bestreiten, dass sie etwas in ihm anrührte. Er zog große kurvige Schönheiten mit Erfahrung vor. Jesse Moriarty dagegen war klein, überschlank und durchtrainiert. Ihre Figur verschwand gänzlich in der anthrazitfarbenen Hose und dem Pullover, und das rotblonde Haar trug sie kurz geschnitten.

Ihre Erscheinung wirkte eher asketisch. Wieso also regte sich leises Verlangen in ihm? Erst recht, da diese Frau aussah, als würde sie lieber aus dem Fenster springen, als seine Gegenwart noch länger zu ertragen. Eine Reaktion, die er nicht von der Damenwelt gewöhnt war. Zerstreut fragte er sich, ob sein Anwalt doch recht gehabt hatte. Vielleicht war sie ja wirklich lesbisch.

Jesse wünschte, Luc Sanchis würde sie nicht so eindringlich ansehen – wie ein seltenes Insekt unter dem Mikroskop. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und seine sinnlichen Lippen zogen ihren Blick an wie ein Magnet.

„Miss Moriarty, wenn Sie nicht erklären, weshalb ich nicht in O’Brian investieren soll, werden wir unser Treffen leider beenden müssen. Ich halte nichts von Rätselraten.“

Seine Stimme ging ihr durch und durch. „Er ist so gut wie bankrott“, erwiderte sie atemlos. „Er hat Ihnen nichts zu bieten.“

„Was die Gegenfrage aufwirft, was er Ihnen zu bieten hat, dass Sie so interessiert sind.“ Als Jesse eisern schwieg, fuhr er fort: „O’Brian hat seine Finger in allen möglichen Bauprojekten in Europa. Ich möchte die Substanz bewahren, bevor es zu spät ist.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wenn ich O’Brian sanieren muss, um das zu erreichen … sei’s drum.“

Was er sagte, ergab Sinn. Zuerst hatte Jesse glaubt, er würde gemeinsame Sache mit O’Brian machen, doch sie hatte sich genau über Luc Sanchis erkundigt. Sein Ruf war makellos, nicht der geringste Hinweis auf Korruption oder Unregelmäßigkeiten. Und bisher hatte er nie Kontakt zu O’Brian gehabt. Er war im sprichwörtlichen letzten Moment als Retter aufgetaucht.

„Warum sind Sie eigentlich mit Ihrem Angebot nicht zu O’Brian gegangen?“

Jesse wurde blass, als sie an ihr Treffen mit O’Brian letzte Woche dachte. Natürlich hätte sie damit rechnen müssen, dass Luc Sanchis diese logische Frage stellte. Sie überlegte, was er tun würde, sollte er die ganze hässliche Wahrheit über ihre Beziehung zu O’Brian erfahren.

„Ich habe meine Gründe.“ Sie mied seinen Blick.

Sie konnte die Frage nicht beantworten. Es hatte nichts mit geschäftlichen Dingen zu tun, sondern nur mit Leid und Trauer. Und mit Rache. Wie könnte sie einem anderen Menschen das Chaos düsterer Emotionen erklären, das in ihr tobte? Sie lebte schon so lange damit …

Luc Sanchis richtete sich auf. Nur unwillig sah Jesse ihn an. Er hatte genug, seine Miene zeigte es überdeutlich. „Wie immer Ihre Gründe aussehen mögen … Wer würde schon mehr in diese Firma investieren wollen?“

Jesse wusste, dass sie gegen diesen Mann nicht ankommen würde. Sie mochte ihr eigenes Unternehmen aufgebaut und Millionen im Rücken haben, doch gegen ihn hatte sie keine Chance, wenn er beschloss, sie aufzuhalten.

Sie musste ihn glauben machen, es wäre ihr völlig unwichtig – wenngleich es ihr in Wahrheit alles bedeutete.

„Sehen Sie“, hob sie mit der einstudierten Nonchalance an, die nicht verriet, dass ihr Herz wild hämmerte und sich Schweißtropfen zwischen ihren Brüsten zu bilden begannen, „ich bin bereit, das Doppelte zu bieten, wenn Sie Ihre Investitionspläne fallen lassen.“

Luc taxierte die Frau vor sich. Ganz offensichtlich wollte sie O’Brian. Das Problem war nur – er auch. Er hatte zu lange und zu hart darauf hingearbeitet, um sich die Gelegenheit entgehen zu lassen, erst recht nicht wegen dieser kratzbürstigen Ausgabe einer Frau, der so rasch das Rot in die Wangen schoss. Dabei wusste sie vermutlich genau, welchen Effekt dieses Erröten hatte.

Frauen hatten keinen solchen Erfolg wie Jesse Moriarty in der Geschäftswelt, indem sie nett und unschuldig waren. Dazu musste man skrupellos sein und absolut zielgerichtet handeln. Er hatte seine Lektion auf die harte Tour gelernt – durch eine Frau, die über Leichen gegangen war, um an die Spitze zu kommen. Von Jesse Moriarty würde er sich nicht von dem Weg abbringen lassen, den er vor über fünfzehn Jahren eingeschlagen hatte.

„Und wenn Sie das Vierfache bieten, Miss Moriarty“, sagte er mit kühler Höflichkeit und streckte ihr die Hand zum Abschied entgegen. „Ich werde nicht abspringen. Sollten Sie O’Brian ein höheres Angebot machen, selbst anonym … ich werde es überbieten. So leid es mir tut, aber ich fürchte, Sie haben den Weg hierher umsonst gemacht.“

2. KAPITEL

Jesse starrte auf die hingehaltene Hand. Ihre größte Angst hatte sich bewahrheitet. Luc Sanchis würde sie ausbooten.

Sie musste so schnell wie möglich hier raus. Mit größter Mühe zwang sie sich dazu, seine Hand zu schütteln – und ihr verräterischer Körper reagierte sofort. Es war, als würde sie von einem Stromschlag getroffen.

Dabei hatte die Berührung nicht länger als eine Sekunde gedauert. Abrupt zog sie den Arm zurück, merkte erst jetzt, dass Luc Sanchis ihr ihren Aktenkoffer hinhielt, den sie vor dem Schreibtisch abgestellt hatte. Mit hochroten Wangen griff sie ungelenk danach und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ich bedaure“, sagte sie steif, „dass es mir nicht gelungen ist, Sie dazu zu bewegen, Ihre Meinung zu ändern. Auf Wiedersehen, Mr Sanchis.“

„Es muss Ihnen nicht leidtun.“ Seine Stimme klang leicht doppeldeutig. „Das Treffen mit Ihnen war auf jeden Fall … anregend.“

Vor Verlegenheit wäre sie am liebsten im Boden versunken. Dieses „anregend“ kam einer Ohrfeige gleich. Sie hätte nicht weiter von der Welt dieses Mannes entfernt sein können, die vermutlich vor sinnlichen Vergnügungen und den dafür geeigneten weiblichen Wesen nur so wimmelte. Ein bitterer Geschmack stieg in ihr auf. Nie zuvor hatte sie sich so linkisch gefühlt. Zudem konnte sie mit der Niederlage nicht umgehen, solange sie in seiner Nähe war.

Sie drehte sich um und ging mit starrem Blick auf die Tür zu. Und erst, als diese hinter ihr leise ins Schloss gefallen war, wurde Jesse klar, dass sie den Atem angehalten hatte. Rasch holte sie tief Luft. Die streng aussehende Sekretärin mittleren Alters geleitete sie bis zum Ausgang.

„Auf Wiedersehen, Miss Moriarty.“

Jesse verabschiedete sich mit einem knappen Nicken. Im Aufzug nach unten wurde ihr schließlich die volle Tragweite dessen bewusst, was sich dort oben abgespielt hatte.

Luc starrte noch lange auf die geschlossene Tür. Ein schwerer Duft kitzelte seine Nase – ihr Duft. Ein exotischer Duft, der in scharfem Kontrast zu dem unnahbaren Image stand, das diese Frau sich gab. Und doch weckte der Gedanke an ihr hochgeschlossenes Hemd ein unwillkommenes Verlangen in ihm.

Mit gerunzelter Stirn schüttelte Luc den Kopf. Die Hände tief in die Hosentaschen geschoben, schaute er aus dem Fenster auf die Skyline von London. Jesse Moriarty war ihm ein Rätsel. Was hatte sie vor? Warum wollte sie ihn überreden, nicht in O’Brian zu investieren? Weshalb war es ihr so wichtig, dass sie Millionen aufbringen wollte, um ihn davon abzuhalten?

Die Sprechanlage rauschte. „Luc, die Verbindung der Videokonferenz steht. In New York wartet man darauf, dass Sie sich zuschalten.“

Luc kehrte an seinen Schreibtisch zurück. „Danke, Deborah.“

Es kostete ihn mehr Anstrengung als erwartet, seine Gedanken von Jesse Moriarty auf die aktuelle Agenda zu lenken. Vor allem, wenn er wieder vor sich sah, wie sie zusammengezuckt war, als sie seine Hand genommen hatte.

Ja, ganz bestimmt lesbisch, dachte er, doch etwas in ihm rebellierte bei der Vorstellung.

In bequemen Jazzpants und einem Tanktop, einen Kaschmirpullover um die Schultern gelegt, saß Jesse mit untergeschlagenen Beinen in dem großen Sessel bei der Glasfront ihres Penthouse-Apartments und trank Tee. Ähnlich wie in Luc Sanchis’ Büro bot sich ihr von hier aus der Blick auf Londons Innenstadt. Es war dunkel in der Wohnung, Licht hatte Jesse nur in der Küche angemacht.

Normalerweise fand Jesse es beruhigend, abends im Dunkeln auf die Metropole hinauszublicken. Es machte ihr immer bewusst, welch weiten Weg sie zurückgelegt hatte. Das traumatisierte, einsilbige Kind hatte sich zu einer erfolgreichen Geschäftsfrau gewandelt, der ein Unternehmen mit Millionen-Umsätzen gehörte. Vor Kurzem erst hatte ein führendes Wirtschaftsmagazin sie zur Unternehmerin des Jahres gekürt.

Als junges Mädchen hatte sie erkannt, dass Schule und Lernen ihr den perfekten Fluchtweg aus einem Alltag boten, der mit hilfloser Wut und maßloser Trauer angefüllt gewesen war. Leicht war es nicht gewesen, sie hatte sich nicht viele Freunde gemacht, aber letztendlich hatte sie ihre Intelligenz genutzt, um ein Universitätsstipendium zu erhalten.

Der Hass auf ihren Vater hatte ihren Ehrgeiz beflügelt und sich zu dem drängenden Bedürfnis entwickelt, eines Tages vor ihn zu treten und ihn wissen zu lassen, dass sie seinen Untergang arrangiert hatte. Ihn wissen zu lassen, dass sie es nicht vergessen hatte. Dass er nicht ungestraft davonkommen würde. Ihre Mutter könnte noch leben, hätte sie damals die richtige Behandlung erhalten. Doch ihr Vater war zu betrunken und zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, als dass es ihn gekümmert hätte.

Er hatte sie praktisch umgebracht, so, als hätte er es mit seinen eigenen Händen getan.

Jesse umklammerte die Teetasse fester, als sie sich in Erinnerung rief, wie sie in der letzte Woche vor ihrem Vater gestanden hatte. Es war das zweite Mal seit ihrer Kindheit gewesen, dass sie ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Das erste Mal war es auf dieser Veranstaltung gewesen, auf der sie mit Luc Sanchis zusammengestoßen war. Ihren Vater dort zu erblicken, hatte sie zutiefst erschüttert, ihr war schnell klar geworden, dass sie mehr Zeit brauchte, um sich auf die nächste Begegnung vorzubereiten.

Letzte Woche hatte er nicht einmal geahnt, dass das „JM“ in JM Holdings für ihren Namen stand, während er davon schwadronierte, dass er dringend eine Finanzspritze brauche, um sich über Wasser zu halten. Jesse war vollkommen erschüttert gewesen, als sie entdeckte, dass sie ihre außergewöhnliche Augenfarbe von ihm geerbt hatte, er jedoch hatte sie nicht einmal erkannt. Sie musste Wellen der Übelkeit niederkämpfen, denn plötzlich fühlte sie sich wieder in die Kindheit zurückversetzt, in der er schwitzend und fluchend über ihr gestanden hatte, den Gürtel in seiner Hand mit ihrem Blut beschmiert.

Unwirsch hatte Jesse seinen plumpen Versuch, sie zu einer Investition zu überreden, unterbrochen und war aufgestanden. Als ihm dann klar wurde, wer sie war, hatte er sich sofort wieder in den Tyrann verwandelt. Mit abfälligem Blick hatte er sie taxiert. „Erzähl mir nicht, das soll kleingeistige Rache sein. Hast du etwa nachts wach gelegen und dir diesen Moment ausgemalt?“

Ja, das hatte sie. Es war das Einzige, was sie in den Jahren der trostlosen Einsamkeit aufrechterhalten hatte, als die Welt nach dem Tod ihrer Mutter zu einem Ort von Feindseligkeit, Unsicherheit und Angst geworden war, bevölkert von gesichtslosen Sozialarbeitern und Pflegeeltern.

„Du bist genauso erbärmlich wie deine Mutter“, hatte er gezischt. „Ich hätte sie damals zwingen sollen, dich nicht auszutragen. Aber sie hat mich angebettelt, und ich gab nach. So dankst du mir das also heute?“

Jesse hatte sich auf den Triumph konzentriert, der so kurz bevorstand, und Kraft daraus geschöpft. „Dieser Moment ist nur das Ergebnis meiner Anstrengungen, dich zu Fall zu bringen. Es gibt niemanden mehr, der dir helfen wird. Schon bald wirst du in Vergessenheit geraten … und ich werde Zeugin deines Untergangs.“

Bei der Erinnerung an den unerfreulichen Zusammenstoß schauderte Jesse. Sie wünschte das Triumphgefühl zurück, doch es wollte nicht kommen. Sie war einfach nur müde. Da hatte sie so lange gearbeitet, und jetzt … alles umsonst. Es gab nichts, was sie trotz all ihrer Mühe vorweisen konnte.

Sie stellte die Tasse ab, ging ans Fenster und lehnte die Stirn dagegen. Das dicke kühle Glas, das sie von der Stadt trennte, schien ihr wie ein Symbol für ihr Leben. Immer hatte sie sich allein und nirgendwo zugehörig gefühlt. Früh hatte sie lernen müssen, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen konnte.

Die einzige Konstante in ihrem Leben war die Unsicherheit gewesen. Hatte sie Vertrauen zu einem der Sozialarbeiter gefasst, war er versetzt worden. Hatte sie sich bei einem Pflegeelternpaar eingewöhnt, hatte man sie in die nächste Familie gebracht. Nur der Hass auf ihren Vater hatte sie nie verlassen.

Freundschaften oder ein soziales Leben kannte sie nicht. Einmal hatte es einen Mann gegeben. Sie hatte sich von ihm verführen lassen, vermutlich, weil die Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Zärtlichkeit trotz allem nicht vollständig abgestorben war. Doch der Akt als solches hatte sie nicht berührt, und hinterher hatte der Mann angewidert gesagt: „Es stimmt also, du verhältst dich wirklich wie eine Maschine.“

Den Fehler hatte sie nicht wiederholt. Stattdessen hatte sie sich auf zwei Dinge konzentriert – ihre Arbeit und darauf, dass ihr Vater seine gerechte Strafe erhielt. Sie hatte Licht am Ende des düsteren Tunnels gesehen, bis Luc Sanchis’ sich ihr in den Weg stellte. Der Gedanke, dass ihr Vater mit dessen Hilfe davonkommen würde, war unerträglich. Und nicht nur das – jetzt, da O’Brian wusste, wer sie war, würde er sie terrorisieren, bis er sie am Boden sah.

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
Mehr erfahren