Heiße Weihnacht mit dem Milliardär

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Nur ein beherzter Sprung in eine Schneewehe bewahrt Joy davor, von der schwarzen Limousine überfahren zu werden. Der Fahrer Alexander Townsend bietet ihr an, die stürmische Winternacht in seiner Luxusvilla zu verbringen. Ein Blick in Alexanders Augen - und Joy kann nicht Nein sagen. Sie erlebt sinnliche Stunden mit dem attraktiven Milliardär am Kamin. Doch Weihnachten mit ihm muss ein romantischer Traum bleiben. Denn Alexander darf nie erfahren, wer sie wirklich ist. Dann würde er sie eiskalt verlassen …


  • Erscheinungstag 11.12.2018
  • Bandnummer 2058
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724498
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Joy McKinley hasste es, alle zu belügen. Besonders wenn jemand so reizend war wie Natalie, ihre Kollegin aus der Bäckerei. Aber Joy hatte keine Wahl.

„Hier rechts wohne ich. Du musst nicht in die Einfahrt fahren. Da kommst du schlecht wieder raus, weil die Autos immer so schnell um die Kurve preschen.“ Mittlerweile schneite es wie verrückt. So wie es aussah, würden sie bald einen prächtigen Schneesturm erleben.

„Wirklich schön.“ Natalie spähte durch die Windschutzscheibe auf das urige kleine Haus. Ihre blonden Locken quollen unter ihrer gestreiften Strickmütze hervor, auf der ein riesiger Bommel thronte. „Verdienst du in der Bäckerei so viel, dass du dir das alleine leisten kannst?“

Wenn Natalie wüsste, wo Joy wirklich wohnte, wären ihr die Augen aus dem Kopf gefallen. Dieses Gebäude wäre nicht mal als Hütte hinter dem Haus geduldet worden, in dem sie gerade lebte. „Von innen ist es gar nicht so toll, eigentlich eine ziemliche Bruchbude. Es ist auch nur vorübergehend, bis ich mich entschieden habe, ob ich in Vail bleibe.“

Jedes Wort war eine Qual. Das war der Grund, warum Joy meist für sich blieb, seit sie nach Vail gekommen war. Es war leichter, ihr Geheimnis zu bewahren, wenn niemand Details aus ihrem Leben wissen wollte. Aber es machte sie auch sehr einsam, und diese Einsamkeit zehrte an Joy – besonders jetzt, wo Weihnachten vor der Tür stand.

Natalies Auto gab seltsame Geräusche von sich, aber wenigstens funktionierte die Heizung. Der Winter in Colorado war hart. Joy war zwar in Ohio aufgewachsen und hatte dort einige eisige Winter erlebt, aber zuletzt hatte sie viele Jahre in Santa Barbara verbracht und war die frostige Kälte nicht mehr gewohnt.

„Und, was denkst du? Eher bleiben oder eher gehen?“, fragte Natalie in die plötzliche Stille hinein.

„Ich weiß es nicht. Ich muss erst alle Möglichkeiten abwägen und eine Wohnung finden. Kennst du irgendwen, der eine Mitbewohnerin sucht? Ich würde mir gerne die Miete mit jemandem teilen.“

„Ich höre mich um, versprochen. Es wäre schrecklich, wenn du weggehst. Ich arbeite so gerne mit dir zusammen.“

„Das ist lieb von dir. Ich arbeite auch sehr gerne mit dir.“ Joy nickte eifrig. Das war die Wahrheit. Aber ihr wurde plötzlich ganz heiß. Was, wenn der Besitzer des Hauses jetzt rauskäme, weil er sich wunderte, dass ein fremdes Auto in seiner Einfahrt stand? Dieser Gedanke ließ sie beinahe panisch werden, ein Zustand, der ihr in den vergangenen Monaten nur allzu vertraut geworden war. Eines Tages würde sie sich irgendwo niederlassen. Nicht mehr wie eine Nomadin leben.

„Nur damit du es weißt: Ich will dir kein schlechtes Gewissen machen. Du bist für den Job ja ziemlich überqualifiziert.“

„Nein, bin ich nicht. Backen ist genauso schwierig, wie italienisch oder französisch zu kochen.“ Das tat Joy am liebsten, aber wenn sie jetzt anfing, über Essen zu reden, würde sie nie mehr aus diesem Auto aussteigen. Und das Schicksal führte sie jetzt schon in Versuchung. Entschieden öffnete sie die Tür und stieg aus. „Ich muss jetzt los. Der Tag war anstrengend, und du solltest zu Hause sein, bevor der Schnee noch schlimmer wird.“

Natalie beugte sich über den Beifahrersitz. „Soll ich wirklich nicht mal meinen Bruder fragen, ob er dein Auto repariert? Er verlangt sicher nicht viel Geld dafür.“

Aber immer noch zu viel für mich. „Das ist wirklich nett von dir. Ich sag dir Bescheid. Danke fürs Mitnehmen, wir sehen uns morgen bei der Arbeit.“

Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich da hinkommen soll. Aber darüber mache ich mir später Gedanken.

„Falls die Bäckerei bei dem Sturm überhaupt aufmacht. Frag lieber noch mal Bonnie, bevor du schlafen gehst. Je nach Wettervorhersage gibt es einen Notfallplan.“

„Danke, das werde ich.“ Joy trödelte auf dem Weg zum Briefkasten und gab vor, etwas in ihrer Tasche zu suchen. Dann legte sie eine Hand an den Griff und winkte mit der anderen Natalie hinterher. Kaum war Natalies Wagen außer Sicht, zog Joy die Hand schnell vom Briefkasten zurück. Bei ihrem Glück würde sie sonst noch wegen Postdiebstahls verhaftet werden.

Einen Moment lang stand sie ganz still, während der Schnee um sie herum zu Boden fiel. Als sie sicher sein konnte, dass Natalie wirklich weg war, ging sie zurück zum Ende der Straße und machte sich an den langen Aufstieg zu dem Haus auf dem Hügel, das ihren ehemaligen Chefs Harrison und Mariella Marshall gehörte. Als sie damals Chefköchin auf dem Anwesen der Marshalls in Santa Barbara wurde, war ein Traum wahr geworden. Jetzt war sie in einem bizarren Albtraum gefangen, in dem sie noch immer von dem Luxus der Marshalls umgeben war, doch in der Realität war ihre Lage alles andere als rosig.

Harrison Marshall war ein weltberühmter Sternekoch und Besitzer eines globalen Kochkunst-Imperiums. Für ihn zu arbeiten war für jeden Chefkoch der Ritterschlag. Doch kurz nachdem Joy bei ihm angefangen hatte, hatte er einen schweren Autounfall gehabt, bei dem er beinahe ums Leben gekommen wäre. Die Familie war fast daran zerbrochen, und besonders seine Frau Mariella konnte nicht gut mit der Situation umgehen. Joy wurde zu ihrem Prügelknaben. Ständig brach Mariella wegen Nichtigkeiten einen Streit vom Zaun, und eines Tages hatte Joy genug und kündigte. Mit wenig Geld und noch weniger Perspektiven verließ sie den besten Arbeitsplatz, den sie je gehabt hatte.

Mariellas Sohn Rafe hatte Mitleid mit ihr gehabt und Joy den Schlüssel zu dem Haus in Vail gegeben. Aber lange konnte sie nicht bleiben. Schon Mitte Januar würden die Geschwister zu ihrem alljährlichen Skiurlaub kommen. Der Aufenthalt in dem wundervollen Haus verschaffte ihr also nur einen kurzen Aufschub. Sie brauchte dringend Arbeit. Doch der einzige Job, den sie hatte finden können, war der in der Bäckerei. Aber immerhin brachte er ihr Geld ein – und das war alles, was zählte.

Normalerweise hätte sich Joy jetzt mit ihrem altersschwachen Auto den Berg hinaufgekämpft und gebetet, dass sie es auch diesmal bis oben schafften. Aber heute Morgen war der Wagen nicht angesprungen. Und das, nachdem sie fast ihr gesamtes Vermögen in die Reparatur gesteckt hatte. Sie hätte das Geld besser als Kaution für ein Apartment nutzen sollen. Die Zeit lief, und bald würde sie auf der Straße stehen.

Kurz hatte sie überlegt, einen der drei Wagen zu nehmen, die in der Garage der Marshalls standen. Jeder davon hatte mehr gekostet, als sie in fünf Jahren verdienen konnte. Aber mit einer dieser Luxuskarossen durch die Stadt zu fahren hätte zu viel Aufmerksamkeit erregt. Etwas, das sie unbedingt vermeiden musste. Sie hatte es schließlich mit einem der Fahrräder versucht, stürzte aber, noch bevor sie die vereiste Einfahrt heruntergefahren war. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon so spät dran gewesen, dass ihr keine andere Wahl blieb, als ihr letztes Geld für ein Taxi auszugeben. Und jetzt hatte Natalie sie nach Hause gebracht.

Der Schneesturm schien heftiger zu werden. Aus den weichen weißen Flocken wurden Eiskörner, und der Wind heulte in den Wipfeln der Bäume. Um sich vor dem eisigen Wind zu schützen, wickelte Joy sich ihren Schal über Mund und Ohren. Der Weg den Berg hinauf war steil, und ihr brach trotz der Temperaturen der Schweiß aus. Die Höchsttemperatur hatte heute bei zwei Grad unter null gelegen, aber jetzt war die Sonne untergegangen, und es wurde schnell kälter. Die kalte Luft brannte auf ihren Wangen, und Joy war durchgefroren bis auf die Knochen. Colorado war wunderschön, aber sie war nicht gemacht für dieses Wetter. Jetzt gerade hätte sie alles gegeben für Sonne, Strand und eine Margarita.

Missmutig stapfte sie den verschneiten Weg hinauf und hielt sich dabei so dicht am Straßenrand wie möglich. Dort lagen die Schneemassen der vergangenen Wochen zu einem hüfthohen Wall aufgetürmt. Besser, sie konzentrierte sich darauf, was am Ende des Weges auf sie wartete. Sie stellte sich das riesige weiche Bett vor, in dem sie seit ihrer Ankunft jede Nacht geschlafen hatte. In die weichen Kissen zu sinken und ihre kalten Füße unter die kuschelige Decke zu stecken war einfach himmlisch. Aber das Bett war auch ihr sicherer Hafen. Dort erlaubte sie sich keine negativen Gedanken und Sorgen um die Zukunft. Ja, momentan lebte sie das Leben einer anderen, und ein heimliches noch dazu. Aber sie musste dankbar sein für das, was sie hatte. Ein Dach über dem Kopf und ein warmes Bett waren in ihrer Situation ein wahrer Segen.

Der Weg wurde steiler, und ihr Atem beschleunigte sich. Eisige Luft strömte in ihre Lungen. Sie war halb erfroren und begann zu zittern. Denk an das Bett. Denk nur an das Bett. Plötzlich sah sie einen schwachen Lichtschein, der die hohen Schneewände am Straßenrand beleuchtete. Das Licht kam schnell näher. Aber das Verrückte war – es war vollkommen still. Und dann hörte sie plötzlich das typische Geräusch von knirschenden Reifen auf Schnee.

Auf der Hügelkuppe kam ein schwarzer Wagen in Sicht. Joy drückte sich so weit wie möglich an den Straßenrand. Sie winkte dem Fahrer zu, um sicher zu sein, dass er sie sehen konnte. Offenbar tat er es, denn der Wagen bewegte sich nun langsam auf die Straßenmitte zu. Joy drehte für einen Moment ihr Gesicht aus dem schneidenden Wind – und das Nächste, was sie sah, war, wie das Auto ins Rutschen geriet und langsam auf den Graben auf der gegenüberliegenden Straßenseite zuschlitterte. Der Fahrer riss das Lenkrad herum, und das Heck des Wagens brach aus. Jetzt rutschte er auf sie zu. Lauf. Das war ihr einziger Gedanke. Aber wohin? Weiter nach oben erschien ihr der sicherste Fluchtweg zu sein. Dann rutschte sie aus und verlor das Gleichgewicht. Die Scheinwerfer blendeten sie, und der Wagen schoss auf sie zu. Jetzt gab es nur noch einen Ausweg: Joy warf sich kopfüber in die nächste Schneewehe.

Kälte umschloss sie. Sie schnappte nach Luft, und ihre Lungen schienen sich mit Eis zu füllen. Ihr Hals wurde eng, sie bekam keine Luft mehr. Überall war Schnee. Sie versuchte aufzustehen, aber ihre Füße fanden keinen Halt. Es gab keinen festen Boden – nur Schnee überall um sie herum. Konnte man in einer Schneewehe ersticken? Sie würde es sehr bald herausfinden. Sie strampelte weiter mit den Armen, um sich zu befreien, als plötzlich etwas ihr Bein packte. Oh mein Gott, ein Bär.

Panik schlug über ihr zusammen wie eine Welle. Sie schrie und trat wild um sich, und es gelang ihr, sich auf den Rücken zu drehen. Was immer es war, das sie gepackt hatte, zerrte an ihr. Sie krallte ihre Hände in den Schnee, versuchte wegzukommen, aber das Monster war zu stark für sie. Sie konnte nicht entkommen. Sie würde hier von einem Bären gefressen werden. Jetzt wünschte sich Joy, sie wäre in der Schneewehe erstickt.

Dann plötzlich gab die Schneewehe sie frei, und sie plumpste auf die Straße. Der Bär ließ von ihr ab. Joy kreischte und trat nach ihm. Sie sah nur eine dunkle Gestalt, die sich im Licht der Scheinwerfer über ihr auftürmte. Moment mal. Wenn das ein Bär war, hatte er breite Schultern und ziemlich schöne Haare.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte die Gestalt besorgt. „Geben Sie mir Ihre Hand.“

Joy setzte sich auf, aber an Aufstehen war nicht zu denken. Sie versuchte noch immer zu begreifen, was passiert war. Sie starrte die Gestalt an. Ein Mann. Es war ein Mann. Hinter ihm stand ein Auto. Das Auto. Die Scheinwerfer erhellten die Straße. Der Mann hatte sie aus der Schneewehe gezogen. Jetzt begriff sie. Er kauerte sich nieder und packte sie an der Schulter.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er wieder. „Sind Sie verletzt? Können Sie mich hören?“

Joy starrte ihn an, und einen Moment lang dachte sie, sie müsste tot sein. Wow, er sieht gut aus. Wie ein Märchenprinz. Ein echter: mit dichtem dunklem Haar, das ihm in perfekten Wellen ins Gesicht fiel. Seine Augen waren von einem intensiven Blau. Er hatte sogar ein Grübchen am Kinn.

Das war es. Sie war tot.

Der schöne Prinz griff in seine Tasche und zog ein Handy heraus. „Ich rufe einen Krankenwagen. Sie haben einen Schock.“

Das ließ Joy aus ihrer Starre erwachen. „Nein, nein. Mir geht’s gut.“ Sie atmete tief ein, und als die eisige Luft in ihre Lungen strömte, wurde ihr klar, dass sie nicht tot war. Der Mann war real. „Tut mir leid. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und bin einfach in die Schneewehe gesprungen. Sie müssen mich für verrückt halten.“

„Denken Sie, Sie können aufstehen?“

„Ich glaube schon.“ Als sie wieder sicher auf ihren Füßen stand, sah sie es sofort. In diese Schneewehe zu springen war das einzig Richtige gewesen. Das Heck seines Wagens war nur wenige Zentimeter davor zum Stehen gekommen. „Sie hätten mich beinahe erwischt.“

„Tut mir leid. Ich bin auf dem Glatteis ins Schleudern gekommen und habe die Kontrolle über das Auto verloren.“ Der schöne Prinz hatte eine tiefe Stimme. Er klang bestimmt. Sicherlich war er sehr gut darin, Leuten zu sagen, was sie zu tun hatten. Er war groß. Und jetzt, wo sie sein Gesicht richtig sehen konnte, wurde ihr erst richtig bewusst, wie unglaublich gut er aussah. Hohe Wangenknochen, volle Lippen, ein männliches Kinn und dichte, gerade Augenbrauen. Nichts an ihm wirkte weich. Alles war scharf konturiert. Er trug einen schwarzen Wollmantel und schwarze Lederhandschuhe. „Darf ich fragen, was zum Teufel Sie hier im Dunkeln auf der Straße machen?“

Ach ja. Das. „Einen Spaziergang.“

„Einen Spaziergang? In den Schuhen?“ Er zeigte auf ihre Füße, die in Lederstiefeln mit klobigen Absätzen steckten. Die Stiefel waren erstaunlich bequem, außerdem machten sie einen schönen Hintern.

„Ja, ich weiß. Aber was soll ich machen. Ich bin nun mal ein Fashion-Junkie.“ Sie kicherte nervös.

Er hob die Augenbrauen und starrte ihr forschend ins Gesicht. „Wie auch immer. Ich halte es für keine gute Idee, wenn Sie jetzt weiter spazieren gehen. Ich bringe Sie nach Hause.“

Nach Hause? Oh nein. Niemand durfte wissen, dass sie im Haus der Marshalls wohnte. Was, wenn er ein Freund von ihnen war? Sie kannten eine Menge Leute, und die meisten Leute kannten sie. „Mir geht’s gut, wirklich.“

Er schüttelte den Kopf. „Es geht Ihnen nicht gut. Sie sollten sich mal sehen. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob Sie sich nicht doch den Kopf gestoßen haben. Ich bringe Sie nach Hause. Wenn meine Mutter noch leben würde, wäre sie entsetzt, wenn ich mich in so einer Situation nicht wie ein Gentleman benehmen würde.“

Klar. Natürlich. Bring ruhig deine tote Mutter ins Spiel! „Nein, wirklich …“

„Ich bestehe darauf. Entweder ich fahre Sie, oder ich rufe einen Krankenwagen. Sie werden nicht nach Hause laufen.“

Joy wusste, sie hatte keine Wahl. Wenn sie oben auf dem Hügel ankamen und er nur ein Wort über die Marshalls verlieren würde, müsste sie sich schnell eine Ausrede einfallen lassen. Zumindest – da war sie sich ziemlich sicher – würde man sie nicht verhaften, solange Prince Charming in der Nähe war. „Na schön. Das wäre nett.“

Alexander Townsend ging vor und öffnete der mysteriösen Fremden die Beifahrertür. „Ich kann die Sitzheizung anstellen.“ Behutsam schloss er die Tür. Er war noch immer nicht sicher, ob sie nicht doch einen Schock erlitten hatte. Er war auf jeden Fall verwirrt. Im einen Moment fuhr er ziellos durch die Gegend, um nach der Arbeit ein bisschen Dampf abzulassen, im nächsten Moment rutschte er einen Hügel hinunter und überfuhr fast eine Frau.

Er stieg ein und warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie hatte den Schminkspiegel heruntergeklappt, um das verschmierte Make-up unter ihren Augen wegzuwischen und sich die Haare zu richten.

„Ich wollte damit nicht sagen, dass Sie sich zurechtmachen müssen.“

„Aber Sie haben recht, ich sehe grässlich aus.“

Obwohl ihre Haare aussahen, als hätte sie gerade einen Tornado überlebt, konnte er sich nicht vorstellen, dass sie jemals nicht gut aussehen könnte. Selbst im Profil, im schwachen Licht des Schminkspiegels, sah sie atemberaubend aus. Sie war eine klassische Schönheit, wie aus einem alten Technicolor-Film. Mit zartem Teint, roten Wangen und dunklem Haar, das ihr in sanften Wellen auf die Schultern fiel.

„Wenn das Ihre Version von grässlich ist, würde ich gerne sehen, wie Sie aussehen, wenn Sie ausgehen.“

Sie wandte sich ihm zu und warf ihm einen Blick aus ihren sanften braunen Augen zu.

Er streckte die Hand aus. „Vielleicht sollte ich mich erst mal vorstellen. Ich bin Alex. Eigentlich Alexander – Alexander Townsend.“

Sie zog ihren flauschigen Handschuh aus und reichte ihm ihre Hand. „Schön, Sie kennenzulernen, Alexander Townsend. Wenn das allerdings Ihre Masche ist, Frauen aufzureißen, schlage ich vor, Sie überlegen sich eine neue Taktik.“

Alex lachte. Schön und witzig. Heute war sein Glückstag. „Und Ihr Name?“

Sie klappte den Spiegel hoch und streifte den Handschuh wieder über. „Joy.“

„Freut mich, Joy. Nur Joy?“

„Baker.“

„Von den Denver-Bakers?“

„Ich verstehe nicht.“

„Die Denver-Bakers. Ich bin eng mit Patrick befreundet. Wir haben im selben Jahr an der Columbia unseren Abschluss gemacht.“ Er sah ihrem Gesicht an, dass sie keine von den Bakers aus Denver war. „Ich schätze, nein?“

Sie zuckte die Schultern. „Tut mir leid, die kenne ich nicht.“

„Und woher kommen Sie, Joy Baker? Wenn ich fragen darf.“

Sie räusperte sich. „Aus Santa Barbara.“

„Ich bin aus Chicago. Nicht so toll wie Kalifornien, aber mein Zuhause.“

„Klingt schön.“

Dieses Gespräch schien nirgendwohin zu führen. „Wo kann ich Sie hinbringen?“

„Kennen Sie sich hier aus?“

„Ganz offensichtlich nicht.“

Sie zeigte auf den Hügel. „Es ist da oben. Fahren Sie einfach, ich zeige es Ihnen.“

Er folgte ihren Anweisungen. Die Scheinwerfer warfen ein goldenes Licht auf den funkelnden Schnee. Das kurze Geplänkel war angenehm gewesen, doch jetzt holte ihn die Realität ein. Er hätte sie töten können. Solange er es nicht besser wusste, musste er davon ausgehen, dass sie verletzt war. Hatte sie innere Blutungen? Eine Kopfverletzung? Möglich wäre es. Der Gedanke machte ihn doppelt nervös. Frauen gegenüber hatte er einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, manchmal zu seinem eigenen Nachteil. Das lag an seiner Kindheit, den vielen Jahren, in denen sein Vater seine Mutter misshandelt hatte und Alex der Puffer gewesen war. Er musste sich daran erinnern, dass er Joy kaum kannte. Er hatte keinen Grund, sie mehr zu beschützen als irgendeine andere Fremde.

Und es gab Gründe, vorsichtig zu sein. Sein Geld und der Name seiner Familie machten ihn regelmäßig zum Ziel skrupelloser Menschen. Der bemerkenswerteste von ihnen war seine ehemalige Verlobte gewesen. Das Kapitel war für ihn abgeschlossen, trotzdem hatte es ihn misstrauisch gegenüber Fremden und ihren Absichten gemacht.

„Es ist da oben, auf der linken Seite. Sie können mich am Tor rauslassen.“

Er fuhr den Hügel hoch, und von hier war der Blick atemberaubend, fast als wären sie auf dem Dach der Welt. Es gab nur den schwarzblauen Himmel und Millionen von Sternen. Das Haus, auf das Joy gedeutet hatte, war ein Prunkstück und schien sich endlos über den Hügel zu erstrecken. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Er musste sich keine Gedanken wegen Joys Absichten machen. So wie es aussah, hatte sie genug eigene Mittel.

Langsam fuhr er auf das Tor zu und ließ das Fenster herunter. „Wie lautet der Code?“

„Oh nein. Schon gut. Ich steige hier aus. Sie können jetzt fahren.“

Alex wusste nicht, was er erwidern sollte. Nicht, dass er sich selbst als Gottes Geschenk an die Frauen betrachtete. Aber er war es auch nicht gewohnt, so brüsk abgewiesen zu werden. Normalerweise waren Frauen gerne mit ihm zusammen. Und es war ja nicht so, als hätte er sie um ein Date gebeten. Er wollte sie nur bis zur Tür bringen. „Ich werde ihn gleich wieder vergessen, versprochen. Ich arbeite zwar in der Finanzbranche, aber ich bin ganz schlecht mit Zahlen. Mit den kleinen zumindest.“ Er lachte leise über seinen eigenen Witz, sie nicht. Idiot.

„Ich denke nicht, dass ich Sie hereinlassen sollte.“

Er nickte und versuchte zu verstehen, was sie so sehr beunruhigte. Er wollte ihr sagen, dass er der vertrauenswürdigste Mann weit und breit war, immer ein perfekter Gentleman. Aber welche Art Mann würde so etwas sagen? Natürlich nur jemand, der das genaue Gegenteil war. Aber er war sich nun mal nicht sicher, dass nach ihrem beherzten Sprung in die Schneewehe alles in Ordnung mit ihr war. „Ich will ja nicht wieder meine Mutter ins Spiel bringen, aber kann ich Sie nicht wenigstens bis zur Tür bringen? Für diese Auffahrt brauchen Sie doch mindestens fünf Minuten. Oder eher zehn – in diesen Schuhen. Die, nebenbei bemerkt, zum Spazierengehen völlig ungeeignet sind. Ich kann kaum glauben, dass Sie nicht beim ersten Schritt gestürzt sind.“

„Wenn Sie aufhören, an meinen Schuhen herumzumäkeln, dürfen Sie mich fahren.“

„Einverstanden.“

„Der Türcode lautet sechs-zwei-sieben-vier.“

Er gab die Zahlen ein, und das große eiserne Tor schwang auf. Er fuhr behutsam die verschneite Auffahrt hoch. Noch einmal wollte er nichts riskieren. Aus der Nähe sah das Haus noch beeindruckender aus. Es hatte bestimmt ein Dutzend Giebel, die von hölzernen Balken getragen wurden. Das Dach war schneebedeckt, die Wände holzverkleidet, und alles wirkte sehr gepflegt. In dieser umwerfenden Berghütte konnten zwanzig Gäste bequem übernachten.

„Schönes Haus. Erinnert mich an mein Haus in der Schweiz. Drüben kann man natürlich besser Ski laufen, aber ich wollte schnell weg, da erschien mir mein Haus in Vail die klügere Wahl.“

„Oh, ähm, das Haus gehört mir nicht. Es gehört Freunden von mir.“

„Wer sind Ihre Freunde? Vielleicht kenne ich sie.“

„Die Santiagos? Sie lassen mich eine Weile hier wohnen.“ Ihre Stimme zitterte leicht. Vielleicht hatte sie sich bei dem Sturz doch verletzt.

„Hmm, die kenne ich nicht. Wohnen Sie hier ganz allein?“

„Ja. Ich brauchte etwas Zeit für mich. Das Leben war ziemlich verrückt.“ Joy sammelte ihre Sachen zusammen und öffnete die Autotür. „Danke noch mal.“ Als sie sich umdrehte, trafen sich ihre Blicke.

„Gerne. Das war das Mindeste, was ich tun konnte.“ So ging das nicht. „Wollen wir nicht Telefonnummern tauschen? Dann können Sie mich anrufen, wenn Sie sich nicht gut fühlen.“

Sie presste ihre Lippen aufeinander. Er sah ihr an, dass sie sich zutiefst unwohl fühlte. „Wie wäre es, wenn Sie mir Ihre Nummer geben?“

Verständlich. „Sicher, gern.“ Er rasselte die Zahlen herunter, und sie tippte sie in ihr Telefon. Zumindest glaubte er das.

Dann stieg sie aus, schloss die Tür und stieg langsam die Stufen zur vorderen Veranda hinauf. Joy war groß, ihre Beine lang und geschmeidig. Trotzdem wirkte sie winzig vor der gewaltigen hölzernen Eingangstür. Sie schloss auf, und sobald sie im Inneren verschwunden war, legte er den Rückwärtsgang ein und wendete. Ihr süßer Duft hing noch im Wagen, ein Aroma wie Zuckerwatte. Er war seit Monaten mit keiner Frau ausgegangen, selbst die wenigen Minuten mit Joy würden ihn verfolgen. Er hatte den Eindruck, sie verbarg etwas. Hoffentlich war sie bei dem Unfall nicht doch verletzt worden.

2. KAPITEL

Joy schob den Riegel vor und sank gegen die Tür. Da war knapp gewesen. Als Rafe Marshall, der Sohn von Mariella, ihr erlaubt hatte, eine Weile in dem Haus zu bleiben, hatte er sich in einem Punkt deutlich ausgedrückt: Niemand durfte wissen, dass sie hier war. Wenn seine Mutter herausfand, dass er jemandem Unterschlupf bot, der es gewagt hatte zu kündigen, würde sie ihn umbringen.

Zum Glück war ihr noch rechtzeitig eingefallen zu behaupten, das Haus gehöre den Santiagos. Santiago war Mariellas Mädchenname, aber das hatte Alex glücklicherweise nicht gewusst. Joy hasste diese kleinen Notlügen, aber Mariella Marshall konnte nun mal mit ein, zwei Telefonaten ihre gesamte Karriere zerstören, alles, wofür sie die letzten Jahre so hart gearbeitet hatte.

Joy rannte zum Fenster, zog die schweren Vorhänge zurück und spähte nach draußen. Im Dunkeln sah sie die Rücklichter von Alex’ Auto, als er durch das Tor fuhr. Erst als das schwere Eisentor ganz geschlossen war, hatte Joy das Gefühl, wieder atmen zu können. Er war weg. Der unglaublich heiße Märchenprinz hatte sich aus dem Staub gemacht. Und das war gut so, egal, wie enttäuschend es vielleicht schien. Sie war allein, seit sie nach Colorado gekommen war. Etwas Zeit mit einem sympathischen, gut aussehenden Mann zu verbringen hätte ihr gefallen. Es wäre sogar ganz wunderbar gewesen.

Aber das geht nicht, ermahnte sie sich, als sie ihre Tasche fallen ließ und die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinaufstieg. Reiche Männer bedeuteten Ärger. Sie hatte in den Restaurants, in denen sie gearbeitet hatte, genug von ihnen getroffen. Männer mit Geld waren zu sehr daran gewöhnt, alles zu bekommen, was sie wollten. Und Joy war zu starrköpfig, um so etwas zu ertragen.

Nichts schlug Joy schneller in die Flucht als ein Mann, der Forderungen stellte. Ihr Exfreund war ein Paradebeispiel dafür gewesen. Er hatte kein Geld gehabt, aber immer die Kontrolle. Von ihm wegzukommen war grauenvoll gewesen. Und es war noch nicht vorbei. Geld und ihr Auto waren ein Problem, aber er war der eigentliche Grund, warum sie Weihnachten nicht nach Hause konnte. In der Kleinstadt gab es keine Geheimnisse. Er fand es jedes Mal heraus, wenn sie zurück nach Hause kam, und fing dann an, um sie herumzuschleichen. Es war am besten, wegzubleiben. Egal, wie traurig es sie machte, Weihnachten ohne ihre Familie zu verbringen.

Joy zog ihre Arbeitskleidung aus und stellte sich unter die heiße Dusche. Das Wasser hatte genau die richtige Temperatur und den perfekten Druck für ihre schmerzenden Muskeln. Backen war harte körperliche Arbeit, vermutlich anstrengender, als Chefköchin zu sein. Und kilometerweit den Berg hinaufzuwandern und dann in einer Schneewehe zu landen war nicht das ideale Ende eines Arbeitstages. Das spürte sie am ganzen Körper.

Auch wenn es in diesem Haus unbegrenzte Mengen von heißem Wasser gab, konnte sie nicht ewig hier stehen. Sie stieg aus der Dusche, versank in der plüschigen Badematte und wickelte sich in ein großes, weiches Handtuch. Alles in diesem Haus war von feinster Qualität. Jedes Teil war mit Sinn für Luxus und Komfort ausgesucht, und sie würde lügen, würde sie behaupten, das nicht jede Sekunde zu genießen.

Sie nahm ihren Bademantel vom Haken und rubbelte sich die Haare trocken, während sie sich im Spiegel betrachtete. An manchen Tagen war das nötig, um sich daran zu erinnern, wer sie war und was sie war. Sie war Joy McKinley, eine hart arbeitende Frau aus Ohio. Sie stammte nicht aus einem Haus wie diesem, und sie würde auch nie in einem solchen Haus leben. Luftschlösser bauen hatte noch nie zu etwas geführt, nur harte Arbeit tat das. Sie war auf jeden Fall nicht Joy Baker, Gast der Marshall-Familie, und keine Frau, die sich allein in einem solchen Haus zu Hause fühlte. Sie hatte das nur zu Alex gesagt, um ihre Spuren zu verwischen, und er war nicht mal ein Bekannter. Zwar unglaublich sexy, aber trotzdem ein Fremder.

Plötzlich ertönte die Türklingel. Joy zuckte zusammen. Jemand war an der Tür. Ihr Puls fing an zu rasen. Wer auch immer vor der Tür stand, er musste durch das Eisentor gekommen sein. War jemand von der Marshall-Familie ohne einen Schlüssel hierhergekommen? Oder hatte Mariella Freunde eingeladen? Joy ging zum Display der Überwachungskamera im Flur. Sie sah Alex in Schwarz-Weiß. Eine Welle der Erleichterung schwappte über sie hinweg, gefolgt von einer Spur Erregung. Aber warum war er zurückgekommen?

„Hallo?“, fragte sie in die Gegensprechanlage

„Hallo. Hier ist Alex. Von vorhin? Das Auto? Der Hügel?“

Autor

Karen Booth
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