Ich will dich, schöne Verräterin

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Ein gefährliches Feuer brennt in Markos. Vor zehn Jahren hat Lexis Falschaussage ihn unschuldig ins Gefängnis gebracht, obwohl er dachte, sie liebt ihn. Aber nun ist der mächtige Grieche frei - und will sich an der schönen Verräterin rächen. Einen ebenso listigen wie lukrativen Plan hat er geschmiedet: Lexi muss ihn heiraten. So gelangt er an ihre Hälfte des prachtvollen Anwesens Worth Manor, und er hat sie unter Kontrolle. Doch als Lexi neben ihm vor dem Altar steht, ahnt er: Er will sie gar nicht strafen - sondern raffiniert verführen …


  • Erscheinungstag 02.07.2019
  • Bandnummer 142019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712303
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

An einem ganz normalen Frühlingsdienstag im langweilig grauen, verregneten London war die denkbar schlimmste Katastrophe über Lexi Haring hereingebrochen.

Natürlich hatte sie irgendwie damit gerechnet. Seit der Aufmacher in allen Medien als die Sensation des Jahres beschrieben wurde, war sie das reinste Nervenbündel. Nach all den Jahren – zahllosen Berufungen der Anwälte der Familie Worth und ihren Beteuerungen, der Mann versuche nur, möglichst viel Staub aufzuwirbeln – war Markos Chariton ein freier Mann.

Und nicht nur frei. Unschuldig.

Angespannt hatte Lexi die Übertragung seiner Pressekonferenz vor dem amerikanischen Gefängnis verfolgt, in dem er wegen Mordes lebenslänglich eingesperrt worden war – ohne Aussicht auf Bewährung oder je freizukommen. Erst der DNA-Vergleich bei der letzten Berufungsverhandlung hatte eindeutig bewiesen, dass er den Mord nicht begangen hatte.

Noch am selben Tag war Markos Chariton freigelassen worden.

Nicht eine Sekunde hatte Lexi sich von der fesselnden Berichterstattung losreißen können, natürlich auch, weil alle Fernsehkanäle die Pressekonferenz live brachten.

„Ich habe meine Unschuld von Anfang an beteuert“, hatte Markos mit dunkler, kraftvoller Stimme in bestem Englisch mit leicht griechischem Akzent betont. Und wie stets hatte er eine verheerende Wirkung auf Lexi. Gut, dass sie fernab in ihrem bescheidenen Einzimmerapartment im ärmlichen Westlondon saß, das sie mühsam ergattert hatte. Um zu ihrer Arbeitsstelle im Herrenhaus der Firma Worth zu gelangen, nahm sie eine längere Busfahrt und einen zehnminütigen Fußmarsch in Kauf. Dennoch musste sie froh sein, dass Onkel Richard ihr den Job angeboten hatte …

„Ich bin glücklich, meine Unschuld damit zweifelfrei bewiesen zu haben“, hatte Markos erleichtert geschlossen.

Wie erwartet, sah er erschöpft aus, doch sein dichtes dunkles Haar wies noch kein graues Haar auf. Auch seine Züge wirkten wie früher markig und entschlossen, nur war er seit der Verhaftung vor elf Jahren schlanker, drahtiger geworden. Seine dunklen Augen versprühten den alten Kampfgeist, um seinen Mund lag jetzt ein harter, brutaler Zug.

Obwohl das Interview in den USA stattgefunden hatte, war Lexi erschauert, als er direkt in die Fernsehkamera blickte. Wie unerbittlich er sie mit seinen dunklen Augen in dem Moment angesehen hatte! Als könnte er auf den Grund ihrer Seele blicken.

Und der Blick galt ihr, dessen war sie sicher. Markos wusste, dass sie sich die Übertragung nicht entgehen lassen würde.

So hatte er sie vor zehn Jahren angesehen, als sie mit achtzehn im überhitzten Gerichtssaal von Martha’s Vineyard verstört gegen ihn ausgesagt und Höllenqualen durchlitten hatte, wenn er zu ihr herüberblickte. Dennoch hatte sie es irgendwie geschafft, die Aussage über die Lippen zu bringen, aufgrund derer er verurteilt worden war.

Selbst heute erinnerte sie sich an jedes Wort, konnte jedes einzelne bitter wie Galle und unwiderruflich auf der Zunge spüren … so belastend und endgültig.

Nichts von allem, was damals geschehen war, würde sie je vergessen. Schon gar nicht, wie erbarmungslos ihr Onkel und die Cousins sie unter Druck gesetzt hatten, als sie nicht aussagen wollte, verzweifelt nach einer möglichen anderen Erklärung für Markos’ Verhalten gesucht hatte …

Und wie er sie bei dem eisigen Schweigen im Gerichtssaal angesehen hatte, das ihrer hilflosen Bestätigung der Anklage folgte.

„Was haben Sie jetzt vor?“, hatte ein Reporter Markos vor dem Gefängnisgebäude bestürmt.

Er hatte nur kalt und tödlich gelächelt. Doch das war kein Lächeln, eher eine Waffe, gefährlicher als der schärfste Dolch … den er ihr, Lexi, mitten ins Herz stoßen würde.

Es war ihr Fluch, dass er selbst jetzt, nach allem, was sich ereignet hatte, der einzige Mann war, der ihr Herz bewegte.

„Ich werde mein Leben wieder in die Hand nehmen“, hatte er der Welt finster angekündigt. „Endlich.“

Lexi wusste, was das bedeutete. Was nun so unausweichlich folgen würde wie die Nacht dem Tag. Ihr Onkel Richard hatte vorsichtig darum herumgeredet, es nicht ausgesprochen, doch auch er wusste, worauf es hinauslief. Während ihre Cousins Gerard und Harry so getan hatten, als wäre nichts passiert – wie vor elf Jahren, als man Philippa in Oyster House, dem Sommersitz der Familie in Massachusetts, tot im Pool aufgefunden hatte. Als beträfe sie das alles nicht, so hatten die beiden sich während der Urteilsverkündung und der vorausgegangen Berufungsverhandlungen verhalten. Als würde alles sich in Luft auflösen, wenn sie es nicht zur Kenntnis nahmen und zum Alltag übergingen.

Als wäre zu erwarten, dass ein Mann wie Markos Chariton einfach von der Bildfläche oder im Gefängnis verschwand …

Doch Lexi hatte es besser gewusst, als sie verzweifelt an seine Unschuld glauben wollte. Und ihn später dennoch für schuldig halten musste. Obwohl er der Mann ihres Lebens war.

„Auf keinen Fall wird er wieder bei uns weitermachen wollen“, hatte Harry zuversichtlich im Kreis der Familie verkündet, deren altehrwürdiger Herrensitz „Worth Manor“ im vornehmsten Viertel Londons sich seit dem siebzehnten Jahrhundert in ihrem Besitz befand. „Sicher hat er so wenig Interesse an uns wie wir an ihm.“

Lexi quälten andere Überlegungen. Schließlich hatte man sie als Einzige in den Zeugenstand gerufen, um gegen Markos auszusagen. Grausam, einfach schrecklich war es für sie gewesen. Weil sie wusste, dass er sich rächen würde.

Grimmig und stolz, wie er vor dem Richter stand, hatte sie ihn tatsächlich für einen Mörder gehalten … obwohl sie in ihn verliebt war. Eine Schulmädchenschwärmerei, hatte sie sich später einzureden versucht.

Heute sah sie es anders. Von Anfang an hatte sie Markos geliebt – und dennoch gegen ihn ausgesagt. Hatte sie wirklich unvoreingenommen die Wahrheit gesagt? Sich dem Druck ihres Onkels erneut gebeugt? Oder Markos auf sich aufmerksam machen wollen …?

Sie fand keine Antwort darauf.

Was immer sie empfunden hatte, die Wissenschaft hatte die Wahrheit endlich ans Licht gebracht. Jetzt plagte sie das Gewissen. Sie hatte geglaubt, sich für Philippa einsetzen zu müssen. Obwohl es ihr das Herz zerrissen hatte, weil sie so viel für Markos empfand, hatte sie das Richtige tun wollen …

Nun musste sie dafür büßen.

Nachdem er frei war, musste er innerhalb weniger Tage bei ihr in London auftauchen. Aber wie würde er sie sehen? Als die Achtzehnjährige von damals … oder als Frau?

Und nun war Markos hier. In London …

Lexi rang sich ein Lächeln ab und nickte der Sekretärin zu, die ihr seinen Besuch angekündigt hatte.

„Danke, dass Sie extra hergefahren sind, um es mich wissen zu lassen.“ Wie ruhig und unbekümmert das klang … als beträfe die Katastrophe jemand anderen.

„Mr. Worth wollte, dass ich es Ihnen persönlich mitteile“, fuhr die Sekretärin unbehaglich fort, an der die Anspannung der letzten Wochen nicht vorübergegangen war.

Gespielt heiter blickte Lexi an der jungen Frau vorbei auf die gepflegten Rasenanlagen und die lange Auffahrt des prächtigen Herrensitzes. Worth Manor war einst der Stolz eines schwer­reichen Kaufmanns gewesen, dessen Ehefrau aus verarmtem Adel sich mit seinem Geld jeden Wunsch erfüllt hatte. Doch der Reichtum hatte ihr nichts genützt …

Heute war wieder ein trister grauer Regentag, und nur die blühenden Tulpen entlang der gewundenen Auffahrt versuchten, den Frühling zögernd zu begrüßen.

Zwei Fahrzeuge standen vor dem Herrensitz geparkt: Der bescheidene kleine Kombi der Sekretärin und ein schnittiges ­schwarzes Jaguar-Cabrio, das einem Bond-Film alle Ehre gemacht hätte.

Lexis Magen spielte verrückt. Doch sie durfte sich nichts anmerken lassen.

Hier konnte ihr niemand helfen.

„Wenn Sie gleich zurückfahren, könnten Sie dem Regen gerade noch entrinnen“, versuchte sie, die Frau loszuwerden.

Dankbar nickend zog die den Regenmantel fester um sich und verließ Lexis kleines Büro.

Stockstarr blieb Lexi sitzen, registrierte nur undeutlich, wie die Schritte der Sekretärin auf dem Holzboden in Richtung Haustür verklangen.

Lexis Büro lag am Ende des eigentlichen Herrenhauses und war einst eine Kutschengarage gewesen, weit entfernt von den vornehmen Wohnbereichen der Familie und den Besucherströmen, die das Herrenhaus täglich bevölkerten. Natürlich wohnten ihre Cousins im Hauptbau von Worth Manor – Gerard mit Familie im eleganten Wohnflügel, wie es dem Erben von allem hier zukam, Harry in einem Gästebungalow, wo er nach Lust und Laune kommen und gehen und sich betrinken konnte. Bis auf einige Jahre an der Universität hatte kein Mitglied der Familie Anstalten gemacht, aus dem Herrensitz auszuziehen oder sich anderweitig umzutun.

Philippa hatte als Einzige auszubrechen versucht. Voller Pläne und Träume und verrückter Ideen war sie gewesen, wäre so gern frei gewesen, wenn ihr tyrannischer Vater es zugelassen hätte. Doch von der einzigen Tochter hatte er Dinge erwartet, die sie als unerträglich empfand. Und dann war sie mit neunzehn umgebracht worden.

Sie war so liebenswert, so unschuldig und loyal gewesen – und fehlte Lexi schrecklich.

Unwillkürlich dachte sie an Philippa, wenn sie wieder einmal wütend auf ihren Onkel oder die Cousins war, was sie meist als Undankbarkeit verdrängte. Dabei war Onkel Richard sehr nett zu ihr gewesen, solange sie für ihn die ferne Nichte war, die er gleichmütig abtun konnte wie ihre Mutter.

Von Anfang an hatte Richard sich gegen seine aufsässige Schwester gestellt, die aus Trotz den flotten Partylöwen Scott Haring geheiratet hatte. Unablässig hatte er aufs Schärfste gegen das Lotterleben seiner Schwester mit ihrem zügellosen drogensüchtigen Ehemann gewettert. Später war Lexi erleichtert gewesen, als ihre süchtigen Eltern mit ihr wegzogen, sodass sie sich frei und unabhängig bewegen konnte.

Dafür war sie dankbar gewesen. Sehr dankbar sogar.

Später nicht mehr unbedingt, wenn ihr Onkel und die Cousins sie wieder einmal rücksichtslos mit Arbeit eingedeckt hatten. Während die anderen ein faules Luxusleben führten, war sie abends erschöpft in ihr ärmliches Zuhause geflüchtet und hatte sich einzureden versucht, dass Philippa sie um ihr bescheidenes Dasein beneidet hätte: das beengte Büro in der Kutschengarage, in dem Lexi ihr eigener Herr war, die Möglichkeit, unbehelligt kommen und gehen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln überallhin fahren zu können wie normale Londoner. Alles das war für Philippa als behüteter Tochter der High Society so erstrebenswert, aber unerreichbar gewesen.

Selbst das hier, dachte Lexi, als die Sekretärin das Tor der Kutschengarage hinter sich zuschlug und einen überraschten Laut von sich gab.

Natürlich wusste Lexi, wer sie heimsuchte. Diesen Mann konnten weder amerikanische Gerichte, noch Anwälte oder Gerichts­diener von ihr fernhalten. Nicht einmal ihr halbherzig reagierender Onkel und die Cousins. Diesmal gab es keine Ausflucht, keine Rettung …

Sie war Markos ausgeliefert. Jetzt kam die Abrechnung, vor der sie sich seit zehn Jahren fürchtete.

Ihr schlimmster Albtraum wurde wahr.

Markos war hier.

Unüberhörbar näherte er sich, seine Schritte hallten in der Diele … vor ihrer Tür … konfrontierten sie mit der Bedrohung, die er nach all den Jahren verkörperte. Der Augenblick der Wahrheit war gekommen.

Was sollte sie tun? Aufstehen? Oder lieber sitzen bleiben? Sich im überfüllten Schrank verstecken, bis er vielleicht doch unverrichteter Dinge abzog …?

Ließ das Unvermeidliche sich überhaupt aufschieben?

Eigentlich hatte Lexi schon als Kind in kritischen Situationen nicht gekniffen – wenn ihre drogensüchtigen Eltern wieder ausgeflippt waren und sie erneut in einer Pflegefamilie landete.

Sie durfte nicht feige oder undankbar sein. Dann wäre sie nicht besser als ihre verstorbene Mutter. Yvonne Worth war eine verwöhnte Erbin gewesen, die alles haben konnte und schließlich als verkommener Junkie in einem Elendsquartier endete.

Diesen Weg zur Hölle wollte Lexi auf keinen Fall beschreiten. Zu lebhaft erinnerte sie sich, wie ihre Mutter gegen Onkel Richard rebelliert hatte.

Drohend verharrten die schweren Schritte vor ihrer Bürotür. Lexis Herz hämmerte so heftig, dass ihr schwindlig wurde. Jetzt war sie froh, am Schreibtisch sitzen geblieben zu sein, weil ihre Beine sie nicht getragen hätten.

Dann wurde die Tür aufgestoßen … Markos war da.

Er ist hier, war alles, was Lexi denken konnte. Starr, benommen saß sie da und konnte ihn nur stumm ansehen.

Markos.

Er war gekommen.

Und füllte die Tür des kleinen Büros mit seiner groß gewachsenen, athletischen Gestalt fast aus. In ganz Europa war ihm sein Ruf als umwerfender Playboy und Erfolgsmann vorausgeeilt …

Auch Lexi war der charismatischen Ausstrahlung, dem Charme dieses Mannes prompt verfallen, der es aus dem Nichts nach ganz oben geschafft hatte. Selbst jetzt noch hatte er diese Wirkung auf sie.

An jede Einzelheit ihrer Beziehung konnte sie sich erinnern, wenn auch verklärt durch den Abstand zur Vergangenheit. Dieser Mann war einmalig. Man konnte ihn nicht vergessen. Seine kühne Nase, das herausfordernd aufgeworfene Kinn und die ausgeprägten Wangenknochen verliehen ihm ein kämpferisches Aussehen, dem sich niemand entziehen konnte.

Wie hätte sie diesem Mann widerstehen können?

Das alles lag zehn Jahre zurück. Doch Markos hatte immer noch diese Wirkung auf sie. Dennoch war jetzt alles … anders. Er sah immer noch fabelhaft aus – männlich, markig, unwiderstehlich – doch nun verströmte er etwas, das noch gefährlicher war … tödliche Entschlossenheit.

Fast konnte Lexi seine Hände schon an ihrem Hals spüren …

Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Würde Markos jetzt wahr machen, wessen sie ihn vor zehn Jahren beschuldigt hatte?

Sie kurzerhand erwürgen …?

Wie versteinert saß sie da und konnte sich nicht rühren. Sah ihn einfach nur an … ein hilfloses Opfer, das sich seinem Schicksal ergab.

Markos stand immer noch an der Tür, das Kinn erhoben, in seinen Augen lag ein bedrohlicher Glanz. Der elegante Straßenanzug betonte seine breiten Schultern, die alle Lasten der Welt zu stemmen können schienen.

Diesen unwiderstehlichen Magnetismus hatte er schon immer besessen. In seiner Nähe waren Lexi Schauer über den Rücken gelaufen. Wenn er einen Raum betrat, hatte ihr der Atem gestockt.

Nachts hatte sie sich in ihrer Dachkammer im Dienstbotenteil des Herrenhauses herumgewälzt, wo ihr Onkel sie gnädig untergebracht hatte. Nichts von dem, was sie für Markos empfunden hatte, war verblasst, er verfolgte sie in den Albträumen, die sie in ihrer Mansarde einholten.

Jetzt war Markos noch überwältigender. Etwas Unbezähmbares, Gefährliches ging von ihm aus, das auch der elegante Anzug nicht überspielen konnte. Er wirkte noch größer. Mächtiger. Härter. In Alltagskleidung umso bedrohlicher.

Und wie er sie ansah … als wollte er sie wirklich mit bloßen Händen erwürgen.

Was Lexi ihm nicht übel nehmen könnte.

Ihre Kehle fühlte sich trocken an, die Handflächen wurden feucht, ihr Gesicht brannte. Gleich würde ihr übel werden …

Doch Markos sah sie so erbarmungslos an, dass sie sich nicht einmal diesen Luxus leistete.

„Lexi“, sagte er anklagend … so leise, dass es wie ein Todesurteil klang. „Endlich.“

„Markos …“

Musste sie nicht stolz sein, seinen Namen so gefasst herauszubringen? Ohne zu stottern, zu beben …

Doch im Moment ging es nur um eins: Sie musste es durchstehen. Irgendwie. Falls sie es überhaupt schaffte.

Er sagte kein Wort mehr. Stand einfach nur da und sah sie durchbohrend an.

Schließlich ertrug Lexi die Spannung nicht mehr.

„Seit wann bist du in London?“, wagte sie sich zaghaft vor.

Markos zog eine Braue hoch. „Spar dir die dummen Fragen. Seit heute Morgen – wie du garantiert weißt.“

Natürlich wusste sie Bescheid. Seit er in Heathrow gelandet war, hatten die Fernsehsender kaum etwas anderes übertragen.

Alle Welt brannte darauf, alles über Markos Charitons Aufstieg und seinen skandalösen Sturz noch einmal zu erfahren. Den Mann, der sich aus dem Nichts emporgearbeitet und die Welt der oberen Zehntausend im Handstreich erobert hatte. Als Chef des Worth Trusts hatte er als blutjunger Anfänger die Modernisierungs- und Umbauarbeiten des prächtigen alten Anwesens übernommen, es in ein großzügiges öffentliches Erholungszentrum verwandelt und allen Beteiligten, auch sich selbst, damit zu Ansehen und Wohlstand verholfen. Besonders durch ein beliebtes Vier-Sterne-Restaurant im Erdgeschoss. Während der Bauherr im Gefängnis saß, war ein von ihm weitsichtig geplantes berühmtes Fünfsternehotel eröffnet worden, über das die Medien hochtönend berichtet hatten. Auch die interessanten Besichtigungsprogramme waren ihm zu verdanken, die in seiner Abwesenheit angelaufen waren und weit über die üblichen Herrenhaus- und Parkbesichtigungseinrichtungen hinausgingen – und Worth Manor zu einem bekannten Londoner Touristenmagneten gemacht hatten.

Seit er wegen Mordes an Philippa Worth verurteilt und eingesperrt worden war, hatten alle von seinen Visionen gelebt.

Markos’ unerbittliche Miene verriet, dass er auf etwas ganz anderes hingelebt hatte.

Auf Vergeltung. Rache.

Lexi hatte sich endlich wieder etwas gefangen. „Wie findest du das Herrenhaus jetzt?“, wagte sie sich kühn vor.

Er sah sie so scharf an, dass ihr heiß wurde.

„Ich finde es beleidigend, dass du immer noch die Unschuld spielst.“

„Markos, lass mich dir alles erklären. Ich …“

„O nein, meine Liebe. Nichts da.“ Er lächelte grausam. Doch sie hatte nicht vergessen, wie er sie früher angelächelt hatte. Nie so unversöhnlich und furchterregend wie jetzt. „Spar dir die Entschuldigungen, Lexi. Dafür ist es längst zu spät.“

Steif stand sie auf. Sie konnte nicht mehr sitzen, kam sich wie ein Beutetier vor, das dem Jäger hilflos ausgeliefert war. Nervös strich sie sich den Bleistiftrock zurecht, der hoffentlich noch richtig saß.

„Ich weiß …“, setzte sie an. „Du musst schrecklich wütend auf mich sein …“

Markos lachte nur – so mitleidlos, dass ihr bange wurde.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie wütend, kleine Lexi.“ In seinen Augen erschien ein mörderischer Glanz. „Doch bald kannst du es. Sehr bald sogar, das verspreche ich dir.“

2. KAPITEL

Markos war Wut gewöhnt.

Und Zorn. Diese schwarze, erstickende Spirale, die ihn seit zehn Jahren immer wieder drohte hinunterzuziehen – und es fast geschafft hätte.

Doch das hier war etwas anderes. Lexi Haring war eine andere.

Einst war sie ihm mit großen staunenden Augen scheu lächelnd, fast hündisch gefolgt … und hatte damit seinen Untergang beschleunigt.

Natürlich wusste Markos, dass sie ebenso ein Bauernopfer in diesem bösen Spiel war wie er. Er hatte erlebt, wie wenig ihre Verwandten von ihr hielten … und wie hinterhältig sie das Mädchen um ihr Erbe betrogen hatten. Das bewies schon der Umstand, dass man sie so primitiv in die Kutschengarage von Worth Manor verbannt hatte … weit weg von den wichtigen Mitgliedern der Familie.

Deshalb hatte er seit Jahren Detektive auf diese Leute angesetzt, um alle Daten und Fakten zusammenzutragen, die er brauchte … wenn er endlich frei war. So wusste er Dinge über Lexi, die sie vermutlich nicht einmal ahnte. Die er rücksichtslos gegen diese Leute verwenden würde, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bot.

Nach seiner Verhaftung und während der trostlosen Jahre im Gefängnis hatte nur der Gedanke ihn aufrechterhalten, eines Tages wieder frei zu sein.

Und jetzt stand er hier, in dem zugigen alten Schuppen, und erinnerte sich besser an die Dramen der Familie Worth, als ihm lieb sein konnte. Wie sie Lexi ausgebootet und ihre Unterbringung in der Kutschengarage auch noch als großherzige Tat verkauft hatten. So hatten sie Lexi harmlos und unterwürfig am Haken gehalten, jedoch nicht nahe genug, um ihr Einblicke in die wahren Familienverhältnisse zu ermöglichen. Sie sollte ihnen einfach nur dankbar sein.

Doch er wollte verdammt sein, wenn Lexi ihm leid tat. Sie war als Einzige im Zeugenstand aufgetreten, hatte ihn mit ihrer Aussage vernichtet – mit jedem einzelnen, stockend hervorgebrachten Wort.

Nie würde Markos ihre Zeugenaussage vergessen … und wie sie ihn angesehen hatte – hilflos, furchtsam, mit tränennassen Augen, als täte es ihr weh, diese Dinge aussprechen zu müssen.

Als hätte sie Angst – vor ihm.

Am schlimmsten war, was sie ihm angetan hatte: als hielte sie ihn – nicht ihren durchtriebenen Onkel – für schuldig. Ihn, Markos, hatte sie tatsächlich für einen Mörder gehalten: Er habe sich mit der schönen, lebensgierigen Philippa heftig gestritten, nachdem sie mit ihm geschlafen hatte. Als es zu einer heftigen Auseinandersetzung gekommen sei, hätte er sie im Zorn erwürgt, hatte der Staatsanwalt ihm gnadenlos vorgehalten. Und da er wegen der Beziehung zu der Worth-Erbin um seinen Posten hätte bangen müssen, habe er sie in der kühlen Sommernacht auf dem Grundstück von Oyster House in den Pool geworfen.

Dort habe Lexi ihn überrascht, die Philippa frühmorgens suchen gegangen war.

„Wenn Mr. Chariton wegen der Beziehung zu Miss Philippa Worth um seine Stellung gebangt hätte – warum ließ er die Tote dann im Pool liegen, bis ihn jemand am Morgen in dieser mörderischen Situation überraschen musste?“, hatte sein Anwalt Lexi ins Kreuzverhör genommen.

Unwillkürlich sah Markos sie vor sich, mit bebenden Lippen, tränenüberströmt … Und wie sie zu ihm zur Anklagebank hinaufgeblickt hatte … als würde er sie in ihren Albträumen verfolgen.

„Das weiß ich nicht …“, hatte sie geflüstert. „Ich weiß es wirklich nicht.“

Und ihn damit zum Ungeheuer abgestempelt, als das die Jury ihn nach zweistündiger Beratung verurteilt hatte.

Lexi hatte ihm die schreckliche Tat zugetraut … und ihn für zehn Jahre ins Gefängnis geschickt. Ebenso hätte sie den Schlüssel zu seiner Gefängniszelle selbst umdrehen können.

„Du bist erwachsen geworden“, bemerkte er, als das Schweigen zwischen ihnen unerträglich wurde.

„Ich war achtzehn … als du fortgingst“, erinnerte sie ihn zaghaft. „Seitdem bin ich älter geworden.“

„Als ich fortging“, wiederholte er zynisch. „Nennst du es so? Wie nett.“

„Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, Markos. Was gäbe ich darum, alles zurücknehmen zu können …“

„Aber du kannst es nicht.“

Wieder sprach keiner ein Wort. Steif standen sie sich in dem ärmlichen Kutscherraum des Luxusanwesens gegenüber. Längst war Markos klar, warum ihr hintertriebener Onkel sie in diese Abstellkammer verbannt hatte, die er seinen nichtsnutzigen Söhnen nie zugemutet hätte.

Langsam trat Markos näher, ließ den Blick über die vollgestopften alten Bücherregale und ungerahmte Fotoabzüge schweifen, während sich auf den geräumigen Speichern des prunkvollen Haupthauses unbezahlbare Schätze alter Meister stapelten, die ihr verschlagener Onkel dort stillschweigend gelagert hatte – damit Lexi gar nicht auf den Gedanken kommen sollte, Ansprüche zu stellen, wie es seine verantwortungslosen Söhne taten.

Vor ihrem abgenutzten alten Schreibtisch blieb er stehen.

Am liebsten hätte er sie berührt. Aus der kleinen Lexi war in den zehn Jahren eine schöne, begehrenswerte junge Frau geworden. Dabei war er auf eine graue Maus gefasst gewesen, die er sich gnadenlos vornehmen wollte.

Dass sie alles andere als eine graue Maus war, konnte ihm jedoch nur recht sein.

Weil er etwas Bestimmtes vorhatte. Und dafür brauchte er sie. Er würde sie zwingen, sich ihm bedingungslos unterzuordnen – sie zur Sklavin seines Willens machen.

Vielleicht war es besser, sie anfangs nicht zu hart anzufassen.

Und da sie jetzt erwachsen und sehr attraktiv war, konnte seine Rache umso lustvoller werden …

„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich sagen soll, Markos.“ Hilflos faltete Lexi die Hände wie einen Schutzschild vor sich.

„Geht es nicht noch verzweifelter?“ Markos neigte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete die Bücherregale mit langweiligen Abhandlungen über das altehrwürdige Herrenhaus und die jahrhundealte Geschichte der Familie Worth. Abgegriffene brüchige Buchrücken verrieten ihm, dass Lexi sich auch für andere Dinge interessierte. Umso besser. „Oder bin ich dir jetzt nicht mehr ganz so unsympathisch?“

„Ach Markos …! So ist es nicht. Ich wollte nur …“

„Ich mache dir ein Angebot.“ Er schlenderte ans Fenster. Natürlich regnete es wieder einmal. Aber natürlich, hier war er in England. Nachdenklich nahm er ein geschliffenes Steinchen vom Sims auf, wog es in der Hand und legte es wieder hin. „Du hast mich nicht nur ans Messer geliefert – und das hast du getan –, sondern auch dich selbst. Und auf erbärmlichste Weise auch Philippa.“

Lexi zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Doch das hatte er nicht mehr nötig. Nach zehn Jahren im Gefängnis hatte er aufgehört, sich gewalttätigen Fantasien hinzugeben – zumindest nicht so mörderischen wie in der ersten Zeit.

„Glaubst du, das weiß ich nicht?“, flüsterte sie. „Seit du frei bist, habe ich nichts anderes getan … zu begreifen versucht, wie ich das Ganze damals so falsch verstehen konnte …“

„Dein Glück, dass Philippa seit elf Jahren tot ist“, hielt Markos ihr mitleidlos vor und sah, dass sie erbleichte. „Als Einzige musste sie bei diesem grausamen Justizirrtum nicht als Zeugin aussagen. Dabei ging es um die Einkerkerung eines Unschuldigen, den großen Ausverkauf, die Betrügereien der Familie … die im Prozess gegen mich gipfelten. Danach blieb der Mord an Philippa zehn Jahre lang ungesühnt. Eine Frage habe ich mir all die Jahre immer wieder gestellt.“ Er wartete, bis Lexi ihn gequält ansah. Gut, dachte er und schwieg dramatisch weitere Sekunden. Hoffentlich tat es weh. „Bist du jetzt stolz auf dich?“

Lexi schluckte verzweifelt. Er war sicher, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde. Sie tat es nicht. Und irgendwie imponierte ihm das. Jetzt war sie beherrschter als vor zehn Jahren.

„Hier kann wohl niemand stolz auf sich sein“, erwiderte sie leise.

„Von Stolz kann gar nicht die Rede sein“, wies Markos sie scharf zurecht. „Dein Onkel und deine Cousins müssen zur Rechenschaft gezogen werden – dafür sorge ich. Keiner von ihnen verdient es, ausgerechnet von dir in Schutz genommen zu werden, Lexi. Und ich kann nicht vergessen, was du mir angetan hast.“

Er erwartete, dass sie aufgelöst reagierte. Die Lexi von früher war für ihn zu unbedeutend, nur ein flüchtiger Schatten in seinem Umkreis gewesen. Bestenfalls eine Hintergrundfigur Philippas. Damals war Lexi achtzehn gewesen, eine Knospe, die erst später zur Schönheit erblühen sollte.

Autor

Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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