Karibische Küsse

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Gefangen in einer lieblosen Ehe, fordert Lucy die Scheidung! Tycoon Dio Ruiz willigt ein - unter einer Bedingung: verspätete Flitterwochen in der Karibik! Lucy akzeptiert den Deal und merkt schon bald, was Dio im Schilde führt. Unter funkelnden Sternen fordert er eine Hochzeitsnacht!


  • Erscheinungstag 11.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715892
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Scheidung. So etwas gab es nur bei anderen Leuten. Bei Leuten, die sich nicht um ihre Ehe bemühten. Die nicht verstanden, dass man eine Beziehung pflegen und so sorgsam behandeln musste wie kostbares Porzellan.

Das hatte Lucy jedenfalls bisher immer gedacht. Nun fragte sie sich, wie es passieren konnte, dass sie in einem der prächtigsten Häuser Londons stand und auf ihren Mann wartete, um ihm zu sagen, dass sie die Scheidung wollte.

Sie blickte auf ihre diamantbesetzte Armbanduhr und fühlte, wie der Knoten in ihrem Bauch immer größer wurde. Noch eine halbe Stunde. Sie konnte sich nicht erinnern, wo ihr Mann die vergangenen anderthalb Wochen verbracht hatte. New York? Paris? In beiden Städten hatte er Wohnungen, aber vielleicht hatte er die Zeit auch mit einer anderen Frau in seiner Villa auf Mustique verbracht. Sie hatte keine Ahnung.

In dem riesigen Spiegel mit dem handgeschnitzten Rahmen sah sie sich selbst: einen Meter fünfundsiebzig, gertenschlank mit blondem Haar, das ihr lang über die Schultern fiel. Mit sechzehn war sie von einer Agentur entdeckt worden, und ihr Vater hatte versucht, ihr eine Karriere als Model einzureden. Warum ein so hübsches Gesicht verschwenden? Für schwierigere Aufgaben waren Frauen in seiner Welt nicht gemacht.

Gegen diese Ansicht hatte sie sich erfolgreich gewehrt. Aber was hatte ihr das Universitätsstudium genützt, wenn sie schließlich doch hier gelandet war? Sie bewegte sich in diesem riesigen Haus wie ein Geist von Raum zu Raum und spielte die perfekte Gastgeberin. Als ob das eine befriedigende Aufgabe war für jemanden mit einem Diplom in Mathematik!

Sie war zur Grünen Witwe mutiert, nur dass keine Kinder im Haus lachten und kein liebender Ehemann nach Hause kam und fragte, was es zum Essen gebe. Alles wäre besser als das, was sie hatte, nämlich nichts.

Jedenfalls fast nichts. Sie gestattete sich ein kleines Lächeln, denn ganz so steril wie in der Vergangenheit war ihre Situation nicht mehr. In den letzten zwei Monaten hatte sich ihre Lage verbessert.

Das entschädigte sie für die vergeudete Zeit, in der sie wie eine teure Puppe herausgeputzt, höflich lächelnd Dinner-Partys für die Reichen und Schönen gegeben hatte … für die sehr, sehr Reichen. Von all dem würde die Scheidung sie befreien. Vorausgesetzt Dio machte kein Theater. Sie wüsste keinen Grund, warum er das tun sollte, und doch bebte sie innerlich vor Aufregung.

Dio Ruiz war ein Leitwolf. Er war das Alphatier, das nur nach seinen eigenen Regeln spielte. Auf Frauen wirkte er ebenso sexy wie bedrohlich.

Lucy aber würde sich nicht einschüchtern lassen. Seit sie sich zur Trennung entschieden hatte, redete sie sich das Tag für Tag ein. Ich will die Scheidung!

Der einzige Haken an der Sache war, dass es ihn völlig unvorbereitet treffen würde. Dio mochte keine unliebsamen Überraschungen. Sie hörte die Eingangstür ins Schloss fallen, und ihr Magen verkrampfte sich. Ohne sich umzudrehen, spürte sie seine starke, übermächtige Persönlichkeit, als er den Raum betrat.

Erst jetzt wandte sie sich um und sah ihn an. So sehr sie ihn nach allem auch hasste, sein Anblick raubte ihr auch jetzt noch den Atem.

Bei ihrer ersten Begegnung war er ihr wie der bestaussehende Mann auf Erden erschienen. Daran hatte sich seither nichts geändert. Seine hellen, silbergrauen Augen standen in eindrucksvollem Kontrast zu dem rabenschwarzen Haar und der sonnengebräunten Haut. Die Lippen waren sinnlich geschwungen, der Blick wirkte stets ein wenig herablassend. Seine Miene verbreitete unmissverständlich die Botschaft, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte.

„Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst in Paris.“ Dio wirkte ehrlich überrascht. Ungeplante Begegnungen mit seiner Frau gab es nicht oft. Ihr Zusammentreffen verlief stets förmlich und arrangiert, niemals spontan. Gemeinsam traten sie nur bei sozialen Veranstaltungen auf. Sie hatten ihre eigenen Wohnbereiche in dem riesigen Haus, bereiteten sich in ihren privaten Kokons auf die Veranstaltungen vor und trafen sich erst in der großen Eingangshalle. Erst dann präsentierten sie der Öffentlichkeit das Bild des perfekten Paars, das mit der Wahrheit nicht das Geringste gemein hatte.

Gleich nach dem Betreten des Raums hatte Dio seine Krawatte abgenommen und auf das weiße Ledersofa geworfen. Nun stand er stirnrunzelnd vor ihr und öffnete die obersten Knöpfe seines Hemds.

„Also …“, begann er. „Was verschafft mir das unerwartete Vergnügen?“

Lucy atmete tief ein. Dios Duft würde sie mit verbundenen Augen erkennen. Er verströmte unwiderstehliche Männlichkeit.

„Störe ich deine Pläne für den Abend?“ Sie vermied es, auf die sonnengebräunte Haut zu blicken, die sich in seinem Hemdausschnitt zeigte.

„Mein Plan war, ein paar ziemlich langweilige Dokumente über eine Firma zu studieren, die ich zu übernehmen gedenke. Was glaubtest du denn, wobei du mich stören könntest?“

„Keine Ahnung.“ Lucy zuckte mit den schmalen Schultern. „Ich weiß schließlich nicht, wie du in meiner Abwesenheit deine Zeit verbringst.“

„Möchtest du, dass ich dir meinen Tagesablauf erläutere?“

„Es ist mir egal, was du treibst, aber es hätte ein wenig peinlich werden können, wenn du mit einer anderen Frau im Arm erschienen wärst.“ Ihr Lachen klang kalt, und sie hasste sich selbst für ihren harten, abweisenden Tonfall.

So war es nicht immer gewesen. Als sie sich kennenlernten, hatte sie ihn mit ihren Geschichten über ihr Studentenleben zum Lachen gebracht und ihrerseits fasziniert zugehört, wenn er von seinen vielen Reisen um die ganze Welt erzählte. Dass ihr Vater ihre Beziehung zu Dio nicht nur akzeptierte, sondern sie sogar nach Kräften unterstützte, war eine erfreuliche Abwechslung gewesen. Mit ihren früheren Bekanntschaften war er nie einverstanden gewesen, und er hatte sie das jedes Mal deutlich spüren lassen. Mit ein wenig mehr Lebenserfahrung hätte sie sich gefragt, woher dieser plötzliche Sinneswandel kam. So aber hatte sie sich Hals über Kopf verliebt und die Motive ihres Vaters nicht hinterfragt.

Als Dio ihr nach einigen romantischen Wochen einen Antrag machte, war sie außer sich gewesen vor Glück. Sein intensives Werben hatte sie ebenso beeindruckt wie die Tatsache, dass er nicht warten wollte. Keine lange Verlobung! Er hatte es eilig gehabt, ihr den Ring auf den Finger zu streifen, und sie hatte das Gefühl genossen, geliebt und begehrt zu werden.

Manchmal fragte sie sich, wie ihre Ehe verlaufen wäre, wenn sie nicht zufällig dieses Gespräch am Abend ihrer Hochzeit mitgehört hätte. In glückseliger Stimmung hatte sie sich durch das Hochzeitsfest treiben lassen. Auf der Suche nach Dio, den sie nirgendwo entdecken konnte, kam sie schließlich am Büro ihres Vaters vorbei und erkannte die beiden Stimmen sofort.

Was sie hörte, hatte sie innerlich zu Stein erstarren lassen. Was für ein Deal! Dio rettete mit seiner Investition die verlustreiche Firma ihres Vaters und bekam sie selbst als Zubehör dazu. Ihr Vater hatte geradezu auf der Ehe bestanden, vermutlich in der Annahme, Dio so fester an das Familienunternehmen binden zu können. Sie war das Sicherheitsnetz ihres Vaters!

Als sie ihn später mit dem Gehörten konfrontiert hatte, war ihm das nicht viel mehr als ein Schulterzucken wert gewesen, begleitet von dem Satz: „Dio bekommt mit dieser Ehe Zugang zu gesellschaftlichen Schichten, den ihm sein ganzes Geld nicht ermöglichen könnte.“

Innerhalb weniger Stunden war Lucy aus all ihren Träumen gestürzt. Sie war zwar eine verheiratete Frau, aber ihre Ehe war vorüber, ehe sie noch richtig begonnen hatte. Schlimmer noch, es gab für sie kein Entrinnen. Ihr Vater hatte dubiose Geschäfte mit geliehenem Geld gemacht, die ihn womöglich vor Gericht bringen konnten. Mit Dios Geld und ihrer Ehe war er gerettet. Sie hatte ihren Vater vor dem Gefängnis bewahrt, sich selbst aber in eines begeben.

Allerdings hatte sie darauf bestanden, dass die Ehe nur auf dem Papier bestand. Kein Sex! Keine romantischen Stunden! Wenn Dio glaubte, er habe sie mit Haut und Haaren gekauft, hatte er sich getäuscht. Anfangs war sie seinem Charme verfallen, wofür sie sich inzwischen schämte, aber ihren Stolz ließ sie sich nicht nehmen.

„Kann ich dir etwas zu trinken bringen?“, fragte Dio höflich. „Eigentlich müssten wir dieses seltene Ereignis feiern, findest du nicht? Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal ohne vorherige Verabredung gemeinsam im selben Raum waren.“

Dio hatte Robert Bishop und seine Firma schon lange im Auge gehabt. Aufmerksam hatte er verfolgt, wie der Betrieb immer weiter in Schulden versank, und wie ein geübter Jäger hatte er sich Zeit gelassen. Rache genoss man am besten kalt!

Er hatte nur nicht mit der Tochter gerechnet. Für seine Pläne war Lucy in ihrer zarten Schönheit eine unerwartete Komplikation. Mit ihrer Unschuld hatte sie etwas in ihm berührt, wovor ihn all sein Zynismus nicht bewahren konnte. Ursprünglich hatte er sie nur in sein Bett bekommen und sich eine Weile mit ihr vergnügen wollen, um Robert Bishops Demütigung perfekt zu machen. Doch schon nach kurzer Zeit hatte er erkannt, dass ihm das nicht genügen würde.

Leider war er nach eineinhalb Jahren weiter als je zuvor von seinem Ziel entfernt. Er hatte diesen herrlichen Körper noch immer nicht berühren dürfen. Lange hatte er sich eingebildet, das Spiel verlaufe nach seinen Regeln. Doch inzwischen hatte er einsehen müssen, dass sie und ihr betrügerischer Vater ihn hereingelegt hatten. Statt Robert Bishop die Polizei auf den Hals zu hetzen, hatte er dessen Firma gerettet, weil er Lucy an seiner Seite und in seinem Bett wollte. Ungewollt war er ihrem scheuen Charme verfallen. Sie war ihm zu Kopf gestiegen wie eine Droge.

Dabei hatte sie ihn nur zum Narren gehalten. Gott allein wusste, ob ihr schmieriger Vater den Plan ausgeheckt hatte, aber es spielte auch keine Rolle. Wichtig war nur, dass die beiden alle Trümpfe in der Hand hielten, während er keines seiner Ziele erreicht hatte.

Lucy lehnte den angebotenen Drink mit einem Kopfschütteln ab, doch er ignorierte ihre Weigerung. Er goss sich selbst ein Glas Whisky ein und brachte ihr ein Glas Wein.

„Entspann dich“, forderte er sie auf und drückte ihr das Glas in die Hand. Dann zog er sich ans Fenster zurück, nippte an seinem Drink und betrachtete sie schweigend. Sie hatte ihm bereits in der Hochzeitsnacht unmissverständlich klargemacht, dass es für sie keine echte Ehe war. Sie wollte keinen Sex, kein freundliches Geplauder, ihn nicht einmal besser kennenlernen.

Er hatte sich nie bemüht, die Situation zu ändern. Niemand konnte ihr vorwerfen, nicht die perfekte Vorzeigefrau zu sein. Mit ihrer Schönheit und ihrem eleganten Auftreten war sie für die Öffentlichkeit genau die richtige Partnerin an seiner Seite. Für die Welt seiner Geschäfte hätte er sich keine Bessere wünschen können.

„Da du nicht in Paris bist, scheint etwas mit dem Apartment dort nicht zu stimmen. Aber du solltest inzwischen wissen, dass ich mich um so etwas nicht kümmere. Das ist dein Job.“

Lucy versteifte sich innerlich. Ihr Job. Das sagte alles. Nicht gerade das, was eine junge Frau vom Leben erwartete. Eine Ehe, die man als Job bezeichnete.

„Mit der Wohnung in Paris ist alles in Ordnung. Ich wollte nur …“ Sie holte tief Luft und trank einen Schluck. „Ich habe beschlossen, dass wir reden müssen.“

„Wirklich? Worüber? Deinem Bankkonto geht es mehr als gut. Hast du etwas gesehen, das du unbedingt haben möchtest? Ein Haus in Italien vielleicht? Eine Wohnung in Florenz? Kauf sie dir.“ Er zuckte achtlos mit den Schultern und leerte sein Whiskyglas. „Solange es auch für geschäftliche Zwecke nutzbar ist, habe ich kein Problem damit.“

„Warum sollte ich mir ein Haus kaufen wollen, Dio?“

„Was denn dann? Juwelen? Ein Kunstwerk? Was?“

Sein Ausdruck gelangweilter Gleichgültigkeit machte sie wütend. Meist konnten sie wenigstens fünf Minuten höflich miteinander umgehen, wenn sie gezwungen waren, Zeit miteinander zu verbringen. Heute war Dio schlimmer als gewöhnlich. Das war keine gute Voraussetzung für ihr Vorhaben.

„Ich will mir überhaupt nichts kaufen.“ Unruhig begann sie, hin und her zu gehen, ohne auf die Kostbarkeiten zu achten, die sie umgaben. Wie alle ihre Häuser war auch dieses mit dem Besten eingerichtet, das für Geld zu haben war. Die Gemälde waren atemberaubend, das Mobiliar von Hand geschreinert und die Teppiche aus afghanischer Seide.

An nichts wurde gespart, und es war ihr Job, darauf zu achten, dass alle ihre Domizile tadellos in Schuss waren. Einige benutzte Dio selbst, wenn er sich im Land aufhielt. Andere stellte er Geschäftspartnern zur Verfügung, und dann hatte sie dafür zu sorgen, dass es den Gästen an nichts fehlte.

„Wenn das so ist“, sagte Dio, „dann komm zum Punkt und sag, was du zu sagen hast. Ich werde heute hier übernachten, weil ich einiges in der Stadt zu erledigen habe.“

„Und natürlich hättest du dir ein anderes Quartier gesucht, wenn du gewusst hättest, dass ich hier auf dich warte“, erwiderte Lucy spitz.

Seine Reaktion beschränkte sich auf ein müdes Schulterzucken.

„Ich finde“, begann Lucy zögernd, „dass sich die Bedingungen zwischen uns geändert haben, seit mein Vater gestorben ist.“

Diese Eröffnung nahm er stumm zur Kenntnis. Den Blick unverwandt auf sie gerichtet, stellte er sein Whiskyglas auf den Beistelltisch. Soweit es ihn betraf, war die Welt ohne Robert Bishop ein freundlicherer Ort, auf jeden Fall ein ehrlicherer. Wie seine Frau darüber dachte, wusste er nicht. Bei der Beerdigung hatte sie kaum ein Wort gesagt und ihr Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille verborgen.

„Was willst du damit sagen?“

„Ich möchte nicht länger an dich gekettet sein, und ich sehe auch nicht mehr die Notwendigkeit.“ Sie versuchte laut und deutlich zu sprechen, doch sein intensiver Blick verunsicherte sie.

„Zufällig bist du auch an einen Lebensstil gekettet, um den dich die meisten Frauen beneiden würden.“

„Dann solltest du mich gehen lassen und eine von diesen Frauen für dich finden“, gab sie mit brennenden Wangen zurück. „Wir wären beide glücklicher … aber wie es mir geht, ist dir vermutlich gleichgültig.“ Lucy hielt seinem Blick nicht länger stand. Noch immer schaffte er es, sie in ihrem Innersten aufzuwühlen, obwohl sie alles getan hatte, um ihre Gefühle für ihn abzutöten. Als sie noch glaubte, dass er sich ernsthaft für sie interessiere, hatte sie nachts von ihm geträumt und sich tagsüber nach ihm verzehrt. Aber das war vorbei, seit sie die Wahrheit wusste.

„Soll das heißen, dass du mich verlassen willst?“

„Kannst du mir das verdenken?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage und blickte ihm jetzt endlich in die kühlen grauen Augen. „Wir führen keine Ehe, Dio. Jedenfalls keine richtige. Ich verstehe nicht einmal, warum du mich überhaupt geheiratet hast.“ Das stimmte natürlich nicht, denn ihr Vater hatte sie brutal über den Deal mit Dio ins Bild gesetzt.

„Du hättest meinen Vater auch kaufen können, ohne mich zu heiraten“, fuhr sie fort und hielt tapfer seinem eisigen Blick stand. „Ich weiß, dass ich nur Teil eines Deals war, weil mein Vater hoffte, du würdest deinen Schwiegervater nicht ins Gefängnis bringen wie einen gewöhnlichen Kriminellen.“

„Wie hättest du dich denn gefühlt, wenn dein lieber Daddy im Gefängnis gelandet wäre?“

„Niemand möchte einen engen Verwandten dort sehen.“

Dio hatte eine andere Antwort erwartet, aber er schwieg. Er war sehr erstaunt über die Entwicklung dieses Abends. Glaubt Lucy wirklich, so einfach davonzukommen? Erst fängt sie mich ein und lässt sich einen Ring anstecken, verweigert sich mir aber schon in der Hochzeitsnacht. Und nun, kaum dass ihr Vater gestorben ist, will sie mir vollends den Rücken kehren?

„Nein, Knastbrüder sind keine besondere Zier bei Familienfesten.“ Er stand auf, um sein Glas neu zu füllen.

„Sag mir eines, Lucy. Was hast du von dem … kreativen Umgang deines Vaters mit der Pensionskasse seines Unternehmens gehalten?“

„Ich habe nie genau gewusst, was er getan hat“, entgegnete sie verlegen. Bis zu jenem zufällig mitgehörten Gespräch hatte sie tatsächlich keine Ahnung von seinen Machenschaften gehabt. Aber statt nach den krummen Geschäften ihres Vaters hätte Dio sie besser nach ihrer Einstellung zu ihm als Mensch fragen sollen. Robert Bishop hatte seine Tochter stets gegängelt und klein gehalten. Statt des erhofften Sohnes hatte er sich mit einer Tochter abfinden müssen und nie akzeptiert, dass auch Frauen in allen Lebensbereichen leistungsfähig waren. Ihre bildschöne Mutter war für ihn nur ein Aushängeschild gewesen, mit der er sich bei wichtigen Empfängen schmücken konnte. Er hatte sie unterdrückt und betrogen, und Agatha Bishop war mit achtunddreißig Jahren an Krebs gestorben.

Während er sie ansah, fragte sich Dio, was wohl in diesem hübschen Kopf vorging. „Dann will ich deine Wissenslücke füllen“, erwiderte er grob. „Dein Vater hat viele Jahre lang die Pensionskasse seines Unternehmens geplündert und die Mitarbeiter betrogen. Der Mann war Alkoholiker. Er hatte gerade noch genügend funktionierende Gehirnzellen, um sich Gelder anzueignen, die nicht ihm gehörten. Er hätte das ganze Unternehmen versenkt, wenn ich nicht zu seiner Rettung gekommen wäre.“

„Warum hast du das denn überhaupt getan?“, fragte Lucy neugierig. Nach dem Wenigen, das ihr Vater angedeutet hatte, stammte Dio aus ärmlichen Verhältnissen. Doch als er wie aus heiterem Himmel in ihrem Leben erschien, war er bereits mehrere Millionen schwer. Warum gab er sich also mit der Firma ihres Vaters ab?

Das war eine lange und komplizierte Geschichte, und Dio hatte nicht die Absicht, sie ihr jetzt zu erzählen.

„Die Firma hatte Potenzial“, erwiderte er nur mit einem plötzlichen Lächeln, das ihr Herz schneller schlagen ließ. „Das Unternehmen hatte Verbindungen in die richtigen Netzwerke, und meine Intuition hat sich bezahlt gemacht. Es hat inzwischen mehr abgeworfen, als ich investiert habe. Und außerdem …“ Er sah sie einen Augenblick schweigend an, ehe er fortfuhr: „Wie viele notleidende Firmen gibt es schon mit einem solchen Bonus? Siehst du ab und zu mal in den Spiegel? Welcher gesunde Mann hätte dir widerstehen können?“

„Allerdings“, fuhr er gleichmütig fort, „habe ich dich ja nicht bekommen. Du bist mit mir ausgegangen, hast mich scheu angelächelt und mich glauben lassen, dass du dir etwas aus mir machst. Du hast mich ein Stück an dich herangelassen, es aber zu einer Kunstform entwickelt, dich im richtigen Moment mit unschuldigem Lächeln zurückzuziehen. Damals musste ich jeden Abend kalt duschen, wenn ich nach Hause kam. Und dann hast du mich in der Hochzeitsnacht eiskalt wissen lassen, dass du dich nicht als Teil des Deals betrachtest. Du hast mich an der Nase herumgeführt.“

„Ich … das war nie meine Absicht.“ Allerdings verstand Lucy, dass es Dio aus seiner Warte so vorgekommen sein musste.

„Warum fällt es mir nur so schwer, das zu glauben?“, entgegnete er. Erstaunt stellte er fest, dass er sein Glas bereits zum zweiten Mal geleert hatte. Vorsichtshalber verzichtete er darauf, es erneut zu füllen. „Du hast mit deinem Vater einen hübschen kleinen Plan ausgeheckt, um mich hereinzulegen.“

„Das ist nicht wahr!“ Hektische rote Flecken bedeckten Lucys Wangen.

„Als ihr mich erst am Haken hattet, konntest du die Maske fallen lassen. Und jetzt sprichst du plötzlich von Scheidung. Deinen Vater kann der lange Arm der Justiz nicht mehr erreichen, und du willst dich aus dem Staub machen.“ Nachdenklich neigte er den Kopf zur Seite. Ein neuer Gedanke war ihm plötzlich gekommen. Zum ersten Mal fragte er sich, wie sich seine Frau während seiner vielen Abwesenheiten wohl die Zeit vertrieb.

Es wäre ein Leichtes gewesen, ihr nachzuspionieren, aber er hatte sich nicht vorstellen können, dass diese Eisprinzessin etwas hinter seinem Rücken trieb. Allerdings war sie nicht immer so kalt gewesen. Bis zu ihrer Hochzeitsnacht hatte sie einen sehr sinnlichen Eindruck auf ihn gemacht. Gibt es also doch einen anderen Mann?

„Ich will dich verlassen, weil wir beide etwas Besseres verdienen.“

„Wie reizend von dir, auf meine Gefühle Rücksicht zu nehmen.“ Er verzog die Miene zu einem Lächeln, doch sein Blick blieb eisig. „Ich habe nie gewusst, dass du so eine mitfühlende Ader hast.“ Morgen würde er einen Detektiv auf sie ansetzen. Er musste wissen, was vor sich ging.

„Es gibt keinen Grund sarkastisch zu werden, Dio.“

„Wer ist sarkastisch? Ich denke allerdings …“ Er tat so, als müsse er über seine nächsten Worte sorgfältig nachdenken. „Du willst mich also verlassen. Aber dir ist hoffentlich klar, dass du nichts mitnehmen wirst.“

„Wie meinst du das?“

„Ich habe vor der Hochzeit einen wasserdichten Ehevertrag aufsetzen lassen. Du hast ihn brav unterzeichnet, obwohl ich nicht weiß, ob du ihn überhaupt gelesen hast.“

Lucy erinnerte sich schwach, dass sie ein langes, kompliziertes und langweiliges Dokument unterschrieben hatte. Ihr Vater hatte sie gedrängt, und sie hatte gehorcht.

Und jetzt wollte sie diese Ehe nur noch so schnell wie möglich beenden und ihn nie wiedersehen. Der Gedanke verursachte einen kleinen Stich tief in ihrem Inneren, doch sie schob das Gefühl rasch beiseite.

„Als reicher Mann hielt ich es für angeraten, mich zu schützen. Soll ich dir sagen, was du unterschrieben hast? Ich habe das gesamte Unternehmen mit Mann und Maus bekommen. Das ist der Lohn dafür, dass ich es vor dem unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch gerettet und deinen Vater vor dem Gefängnis bewahrt habe. Weißt du eigentlich, um welche Summen er den Pensionsfond betrogen hat und wie viel ich investieren musste, um die Angestellten vor der Altersarmut zu bewahren?“ Er sah Lucy an. Es erstaunte ihn immer wieder, dass sich hinter dieser unschuldigen Miene ein so durchtriebener Charakter verbarg.

Lucy ließ den Kopf sinken. Jedes Mal, wenn ihr Vater erwähnt wurde, schämte sie sich entsetzlich. Sie blickte auf ihre perfekt manikürten Hände hinab. Wie wundervoll würde es sein, nie wieder Nagellack tragen zu müssen. Vielleicht sollte sie eine Nagellackverbrennungsfeier veranstalten. Der Gedanke ließ sie lächeln.

Dio sah sie stirnrunzelnd an. Findet sie das alles etwa lustig?

„Solange du meine Frau bist“, brachte er mit mühsam kontrolliertem Zorn hervor, „bekommst du alles, was du dir wünschst.“

„Jedenfalls, solange du meine Einkäufe gutheißt“, entgegnete Lucy.

„Habe ich dir jemals einen Wunsch abgeschlagen?“

„Alles, was ich kaufe, sind Kleider, Juwelen und Accessoires“, entgegnete Lucy, „und auch nur, weil ich sie für die Rolle brauche, die ich für dich spiele.“

Dio zuckte achtlos mit den Schultern. „Von mir aus hättest du dir auch eine ganze Fahrzeugflotte anschaffen können.“ Seine Miene wurde noch finsterer. „Wenn du mich allerdings verlässt“, erklärte er kühl, „gehst du mit nichts als den Kleidern auf deinem Leib.“

Lucy wurde blass. Sie hasste die Schattenseiten des Reichtums, aber tatsächlich hatte sie nie ein anderes Leben gekannt. Bin ich nach all den Jahren des verwöhnt und umsorgt Werdens überhaupt auf ein Leben in der rauen Arbeitswelt vorbereitet? Sicher, sie hatte einen Universitätsabschluss, aber bevor sie damit etwas hatte anfangen können, war sie Hals über Kopf in diese Ehe gestürzt.

„Das ist mir egal“, gab sie trotzig zurück.

Dio hob spöttisch die Augenbrauen. „Du weißt doch nicht einmal, wie man einen Job sucht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Sieh dich doch an! Du bist im Luxus aufgewachsen, und während andere junge Frauen sich der Welt gestellt haben, hast du mich geheiratet und weiter im Luxus geschwelgt. Sag mir, was dich auf das große Böse vorbereitet hat, das man Realität nennt?“

Lucy erkannte in seinem kalten Blick, dass er sie wirklich ohne einen Penny hinauswerfen würde. Aber sie musste ihm recht geben. Sie war es nicht gewöhnt, sich um die banalen Dinge des täglichen Lebens zu kümmern. Es würde eine Ewigkeit dauern, bis sie sich in der Arbeitswelt zurechtfand. Und wovon sollte sie in der Zwischenzeit leben?

„Wenn du gehen willst, hast du zwei Möglichkeiten.“ Dio beugte sich vor. „Du verlässt mich mit nichts, oder …“

„Oder … was?“, fragte sie ihn argwöhnisch.

2. KAPITEL

In dieser Form würde ihre Ehe nicht lange bestehen können, das war Dio klar. Eigentlich war das schade, denn sie hatten etwas ganz Ungewöhnliches geschaffen … eine wie eine geölte Maschine funktionierende Beziehung, die sich als sehr erfolgreich erwies. Lucy ergänzte seine Fähigkeiten in ungeahnter Weise mit ihren. Anders als sie war er nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden und hatte sich am eigenen Schopf aus einem Leben in Armut emporziehen müssen. Das war ihm nur gelungen, weil er seine Geschäfte hart und aggressiv verfolgte und sich auf seinem Weg alles nahm, was er brauchte.

Er war der König im Betondschungel und klug genug, um zu wissen, dass die Hyänen hinter jeder Ecke lauerten. Er war gleichermaßen gefürchtet und respektiert. Die angeborene Eleganz der Frau an seiner Seite glättete die scharfen Kanten seiner rauen Persönlichkeit. Als Team funktionierten sie prächtig.

Autor

Cathy Williams
<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
Mehr erfahren