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... und halt mich ganz fest in deinen Armen, wünscht sich Alice, als sie Kyros wiedersieht. Nicht etwa, weil der faszinierende Grieche sie mit Luxus verwöhnt: Sie hat ihn immer geliebt. Fast hofft sie auf ein Happy End - da erfährt sie etwas, das all ihre Illusionen zerstört ...


  • Erscheinungstag 26.09.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727390
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das Geräusch einer zufallenden Wagentür, dann Schritte die kiesbedeckte Einfahrt entlang. Alice zuckte zusammen, als die Klingel unnatürlich laut durch das große Haus schallte.

Er war da.

Sie atmete tief ein, zog ein letztes Mal den roten Lippenstift nach und trat dann zurück, um ihr Werk im Spiegel zu bewundern. Eine völlig fremde Alice starrte ihr entgegen.

War das ihr Schutzschild, den sie für ein Wiedersehen mit Kyros brauchte?

Normalerweise hätte sie nie schwarzen Satin angezogen – das Kleid umschmiegte ihren Körper so eng, als sei es ihr auf den Leib geschneidert worden. Auch die Seidenstrümpfe und die High Heels mit den roten Absätzen gehörten nicht zu ihrer üblichen Garderobe. Die glitzernden Ohrringe waren natürlich nicht echt, aber zumindest würden sie ihren Zweck erfüllen. Das Funkeln würde ihren Exfreund davon ablenken, ihr zu tief in die Augen zu schauen, um dort ihre Gefühle lesen zu können.

Vielmehr sollte er denken: Alice sieht fantastisch aus. Was war ich nur für ein Idiot, sie gehen zu lassen.

Wünschte sich das nicht jede Frau in ihrer Situation? Dass der Mann, der ihre Beziehung nur deshalb so leichtfertig beendet hatte, weil seine Partnerin keine Griechin war, heftiges Bedauern empfand?

Es klingelte ein zweites Mal.

„Ich bin gerade aus der Wanne gestiegen“, schrie ihre Freundin Kirsty von der anderen Seite des Flurs.

Erneut atmete Alice tief ein, dann machte sie sich auf den Weg zur Tür. „Schon gut“, rief sie. „Ich komme ja.“

Nur langsam bewältigte sie die Treppe auf den hohen Absätzen. Dafür klopfte ihr Herz umso schneller, als sie endlich die Haustür öffnete. Im Gegenlicht der tief stehenden Sommersonne ließ sich nur die Silhouette eines Mannes ausmachen. Plötzlich war ihr Mund wie ausgetrocknet.

Seit seinem Anruf wirbelten ihre Gedanken in einem wirren Chaos durcheinander. Sie hatte versucht, sich vorzustellen, wie er jetzt aussehen mochte. Aber nichts hatte sie auf die Realität vorbereiten können, Kyros nach zehn Jahren zum ersten Mal wiederzusehen.

Seine imposante Gestalt schien fast den gesamten Türrahmen auszufüllen. Schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt betonten seinen schlanken männlichen Körper und die langen muskulösen Beine.

Mit der Sonne im Rücken erkannte sie zunächst sein Gesicht überhaupt nicht. Erst allmählich, während sich ihre Augen an das Licht gewöhnten, enthüllten sich ihr seine Gesichtszüge. Die hohen Wangenknochen, die schmale Nase und der ausdrucksstarke Mund, auf dem sich nur selten ein Lächeln abzeichnete.

Alice klammerte sich an die schwere Eichentür, da sie befürchtete, ihre Knie könnten weich werden. Da stand der Mann, der sie zutiefst verletzt hatte. Er hatte aus ihr eine Zynikerin gemacht, die nicht mehr an die Liebe glaubte. Vergiss das nicht, befahl sie sich.

„Hallo, Kyros“, begrüßte sie ihn betont ruhig.

Im ersten Moment reagierte Kyros gar nicht, zum einen, weil Wut und ungläubiges Staunen ihn sprachlos machten, zum anderen, weil sexuelles Verlangen durch seine Adern strömte. Er nahm eine hastige Begutachtung vor. Kein Ehering. Kein Mann, der sich neugierig im Hintergrund hielt und den mysteriösen Anrufer überprüfte. Und sie trug die Kleider einer Hure!

Verächtliche Anerkennung zeichnete sich auf seinen Lippen ab, als er seinen Blick über das schwarze Satinkleid wandern ließ, das viel zu viel von ihren wunderschönen langen Beinen entblößte, die sich so spektakulär um seinen Körper legen konnten. Er betrachtete die Rundungen ihrer Brüste und dann den perfekten kleinen Po. Wie konnte sie nur darüber nachdenken, in diesem Fetzen auszugehen, der den Puls eines jeden Mannes zum Rasen brachte und ihm dieselben Gedanken einflößen musste, die ihm gerade durch den Kopf schossen?

Kalispera, Alice“, erwiderte er sanft, während die Sehnsucht tief in seinem Inneren weiter wuchs. „Hast du vergessen, dein Kleid anzuziehen … oder arbeitest du nebenbei als Prostituierte?“

Trotz der gemeinen Worte bedeutete seine samtige Stimme fast ihren Untergang. Dieser Akzent, dachte sie ohnmächtig. Dieser sexy unvergleichliche griechische Akzent entführte sie zurück in eine Zeit, die eigentlich nicht betreten werden durfte.

„Ich habe dir doch gesagt, ich gehe auf eine Party“, entgegnete sie. Wieso, fragte sie sich, rechtfertige ich ihm gegenüber mein Verhalten?

„In Schuhen, die niemals außerhalb des Schlafzimmers getragen werden sollten“, stellte er fest und musterte die extrem hohen Absätze.

Alice umklammerte die Tür noch fester. „Jemanden zu beleidigen, den man seit zehn Jahren nicht gesehen hat, entspricht nicht der traditionellen Begrüßung in England. Oder weißt du nicht mehr, was sich gehört?“

Aber Kyros beachtete sie kaum. Stattdessen fuhr er fort, sie eindringlich zu mustern, als würde seine Sicht sich plötzlich klären und die Frau, die er eigentlich erwartet hatte, erscheinen. Die Alice, die er gekannt hatte, war rein und unschuldig gewesen. Blonde Haare fielen offen bis zur Taille und waren nicht zu einer aberwitzigen Kreation aus Schleifen und Locken aufgetürmt. Sie hätte ein hübsches Sommerkleid aus Baumwolle oder einen adretten kurzen Rock und ein schlichtes T-Shirt getragen. Auf keinen Fall hätte sie etwas so Offenherziges angezogen. Das hätte er niemals erlaubt.

Seine Augen blitzten auf, als ihre Blicke sich trafen. „Okay, Alice, wenn du auf Konventionen Wert legst, dann sollst du sie bekommen.“ Noch einmal betrachtete er sie eingehend, verlor sich fast in dem Anblick ihrer zarten hellen Haut. „Lange nicht gesehen“, murmelte er spöttisch. „Sagt man das nicht nach so vielen Jahren?“

„Ich war mir nicht sicher, dass du wirklich kommst“, meinte sie.

„Aber ich habe dir doch gesagt, ich bin auf der Durchreise.“

„Ja, ich weiß.“ Er könne auf einen Sprung vorbeischauen, hatte er gesagt, als sei ihm die Idee erst eben gekommen. Betonte er absichtlich die Tatsache, dass er nicht extra ihretwegen herkam? Nur für den Fall, dass sie die falschen Schlüsse zog? Er hatte ihr nicht einmal gesagt, ob er alleine oder in Begleitung kommen würde. Sie spähte über seine Schulter, als erwarte sie, eine exotische griechische Schönheit zu sehen, die ihm gehorsam folgte. Zu ihrer Erleichterung stand dort niemand.

Es war nicht gerade die herzlichste Begrüßung, die Kyros je erfahren hatte. Theoretisch hatte er natürlich gewusst, dass sie ihn nicht mit offenen Armen empfangen würde. Dennoch wunderte er sich über ihre Kühlheit. Sorgte sie sich vielleicht um ihre Eltern und ihre Reaktion auf seinen Besuch? „Deine Mutter und dein Vater … Sind sie zu Hause?“

„Nein. Dad hat sich für eine frühe Pensionierung entschieden. Jetzt genießen meine Eltern das Leben in vollen Zügen und machen Ferien auf den Malediven!“ Warum erzählte sie ihm das eigentlich?

Kyros’ Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Es überraschte ihn, dass ein so gesunder Mann wie ihr Vater vorzeitig in Rente ging. „Und nun wohnst du hier?“, fragte er. „Bei deinen Eltern?“

Vielleicht reagierte sie ja überempfindlich … aber seine Worte klangen, als sei sie eine alte Jungfer, die zu ihren Eltern nach Hause gerannt war, weil ihre romantischen Träume nicht wahr geworden waren. Alice lachte. „Nein, natürlich lebe ich nicht hier. Ich besitze ein Apartment in London. Ich bin nur für diese Party zurückgekommen.“

„Und du hast immer noch vor, dort hinzugehen?“

„Dachtest du, ich würde absagen, weil du dich angekündigt hast?“

Er lächelte langsam. „Warum nicht?“

Seine Arroganz hätte sie wütend machen müssen, doch ein winziger Teil von ihr hatte genau darüber nachgedacht. Hatte sie nicht das überwältigende Bedürfnis verspürt, Kirsty zu bitten, sich in ihrem eigenen Haus aufzubrezeln? Damit sie ein wenig Zeit mit dem dunkeläugigen Griechen verbringen konnte, den sie nie so ganz vergessen hatte?

Sie hatte sich eingeredet, dass es normal sei, alles über das vergangene Leben des anderen erfahren zu wollen. Vielleicht half es ihr sogar dabei, einen würdigen Abschluss für ihre Beziehung zu finden. Diesmal für immer. Allerdings gingen alle Überlegungen an der Realität vorbei. Es gab nur einen Grund, warum sie Kyros wiedersehen wollte … und der hatte nichts mit Reden zu tun, sondern vielmehr mit seinem allzu verführerischen Sex-Appeal. „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen“, brachte sie hervor.

„Ah, aber du hast mich nie enttäuscht, Alice“, sagte er sanft. „Damals nicht und ganz bestimmt nicht heute … trotz deines liederlichen Outfits.“

Wieder ließ er seinen Blick über ihren Körper wandern. Unbehaglich fragte Alice sich, warum sie keinen Morgenmantel übergezogen hatte. Die Tür in diesem Aufzug zu öffnen entsprang einer rebellischen Geste. Sieh her, schien sie zu besagen, ich bin zwar fast dreißig und unverheiratet, meine Figur ist aber immer noch schlank, und die Beine sind so anmutig wie zu Universitätszeiten.

Dabei fühlte sie sich in Wahrheit gerade sehr verletzlich. Doch ihn nun fortzuschicken war einfach unmöglich. Damit würde sie Kyros nur überdeutlich zu verstehen geben, dass er immer noch eine gewisse Macht über sie besaß. Und das war ja nicht der Fall, oder? Jedenfalls nicht mehr!

Außerdem war Alice neugierig. Sie hatte nicht Jahre damit zugebracht, sich zu fragen, was aus dem einzigen Mann geworden war, den sie je geliebt hatte, um ihm dann die Tür vor der Nase zuzuschlagen.

War das nicht die Gelegenheit, die Dinge ein für alle Mal zu ändern? Die schlechten Erinnerungen zu löschen und durch neue zu ersetzen? Zu erkennen, dass Kyros nur ein x-beliebiger Mann war, mit dem sie überhaupt nichts mehr verband? Wäre es nicht wundervoll, wenn ihr das gelang?

Sie machte einen Schritt zurück. „Du kommst wohl besser herein“, meinte sie.

„Endlich“, sagte Kyros. Die Schwelle zu übertreten, empfand er als kleinen Sieg.

Unvermittelt musste er an seinen ersten Besuch in dem gemütlich eingerichteten Haus denken. Die vielen Bücherregale waren ihm aufgefallen, die weichen Kissen auf den Sofas, die unzähligen Gemälde und Fotos an den Wänden. Damals war ihm alles fremd vorgekommen.

Ihre Mutter hatte einen Kuchen gebacken. Die Tassen, in denen der zart duftende Tee gereicht wurde, waren aus so erlesenem Porzellan, dass sie fast durchsichtig wirkten. Zu seinen Füßen kauerte der Hund, der ihn mit feuchten braunen Augen um einem Leckerbissen anbettelte.

„Aber du darfst ihm nichts geben“, kicherte Alice. „Er ist ein richtiger Gierschlund.“

Natürlich fütterte er den Hund, woraufhin alle lachten. War das, ging es ihm damals durch den Kopf, ein geheimer Test, den er gerade bestanden hatte? Denn danach hatte Alice ihm mit einem Lächeln tief in die Augen gesehen. In diesem Moment hatte er …

Was eigentlich?

Ein Gefühl der Gefahr verspürt?

Oh, ja. Zusammen mit der Gewissheit, sich zu sehr in etwas zu verstricken. Er war noch viel zu jung, um sich für immer fest zu binden. Und wenn es einmal so weit war, dann nicht mit jemandem wie Alice.

Jetzt, zehn Jahre später, starrte er in ihr hübsches Gesicht. Hinter der viel zu dick aufgetragenen Schminke verbargen sich die faszinierendsten Augen, die er je bei einer Frau gesehen hatte. Grün und tief wie eine Lichtung mitten im Wald. Und wie ihre Haare wie ein Wasserfall aus Mondlicht über ihren nackten Rücken fielen. Es war, als höre er den Ruf längst vergessener Poesie. In seinen Lenden empfand er ein süßes Ziehen. Hastig ließ er sich auf eines der Sofas fallen, bevor Alice etwas davon mitbekam.

„Also, was genau tust du in England“, fragte sie und flüchtete mit großen Schritten auf die andere Seite des Raumes.

Kyros streckte die Beine aus und beobachtete amüsiert, wie Alice auf dem Sessel Platz nahm, der am weitesten von ihm entfernt stand. Der Anblick des Streifens Haut zwischen Strumpf und Kleid raubte ihm fast den Verstand. „Ich habe eine Hochzeit besucht“, erwiderte er gedehnt.

Das war nun wirklich das Letzte, womit sie gerechnet hatte. Alice bohrte die Fingernägel in die weiche Sessellehne. Kyros und Hochzeiten harmonierten in etwa so gut wie Wasser und Strom. Dabei klang allein das Wort in ihren Ohren unbehaglich vertraut, hatte sie doch einst gehofft, er würde sie heiraten! Was für eine Närrin war sie doch gewesen! „Wessen Hochzeit?“

„Die meines Zwillingsbruders Xandros.“

„Xandros?“

„Du klingst überrascht.“

Ungläubig schüttelte sie den Kopf. „Überrascht trifft es nicht einmal annähernd. Ich dachte, dein Bruder leide unter einer Treue-Phobie … zumindest legt die Anzahl seiner Liebschaften das nahe.“

„Anscheinend kann selbst der wildeste Liebhaber der Welt gezähmt werden. Denn nun hat er eine Frau namens Rebecca geheiratet …“

Alice verspürte einen schmerzhaften Stich. „Sie ist keine Griechin?“, unterbrach sie ihn rasch.

„Nein, Engländerin.“ Ihre Blicke trafen sich. „Genau wie du.“

Nein, ganz und gar nicht wie ich, dachte Alice und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Damals hatte Kyros ihr erklärt, ihre Herkunft sei zu verschieden, als dass eine Beziehung wirklich funktionieren könnte. Die kulturellen Unterschiede würden einer gemeinsamen Zukunft den Todesstoß versetzen. Vielleicht jedoch hatte er diese Gründe nur vorgeschoben, als perfekte Entschuldigung, um eine jugendliche Romanze zu beenden. „Hast du dich nicht mit deinem Bruder zerstritten? Ich dachte, ihr sprecht kein Wort mehr miteinander?“

Kyros fuhr sich mit den Fingern durch das dichte schwarze Haar. Es stimmte. Er und Xandros hatten ihr ganzes Leben lang gegeneinander gekämpft und sich schließlich in einem dramatischen Finale endgültig entzweit. Sein Zwillingsbruder war nach Amerika gegangen und hatte seither ihre Heimatinsel nicht mehr betreten. Beide Brüder redeten sich ein, so wäre es am Besten. Wie schwarz-weiß die Dinge erscheinen konnten, wenn man achtzehn war!

„Das ist lange her“, entgegnete Kyros nun leichthin. „Die Zeit heilt alle Wunden. Weder er noch ich können uns an den ursprünglichen Auslöser unseres Streites erinnern. Also dachte ich, warum soll ich nicht zu seiner Hochzeit kommen?“ Xandros hatte es sehr viel bedeutet. Zumindest hatte er ihm das unmittelbar vor der Zeremonie anvertraut, als er Kyros fest in die Arme schloss. Das Gesicht von den anderen Gästen abgewandt, ließ Kyros diese unerhörte Zurschaustellung von Gefühlen über sich ergehen.

„Und ist er … glücklich?“, fragte Alice.

„Glücklich?“ Kyros’ Miene verhärtete sich. Wie töricht und vorhersehbar Frauen doch sein konnten. Immer diese naive Annahme, Glück sei etwas Dauerhaftes! Etwas, das fertig und unzerstörbar mit der Heiratsurkunde mitgeliefert wurde. Glück war wie eine Seifenblase: perfekt, bis sie zerplatzte. Zurück blieb nur eine vage Erinnerung.

Trotzdem beschlich ihn ein merkwürdiges Gefühl, wenn er sah, wie sein Zwillingsbruder der Welt – und einer Frau – völlig ungeniert zeigte, wie sehr er Rebecca vergötterte. Das Glück würde nicht andauern, denn das tat Liebe nur äußerst selten. Und dann würde seine Schwäche auf ihn zurückfallen und ihm übelste Seelenqualen bereiten. Und natürlich würde er einen beachtlichen Teil seines Vermögens verlieren, wenn die beiden sich scheiden ließen.

„Oh, jeder kann für eine Weile glücklich sein“, sagte er. „Wer weiß schon, ob es halten wird. Ich allerdings bezweifle es.“

„Was bist du nur für ein Zyniker.“

„Oder ein Realist?“

Einen langen schweigenden Moment trafen sich ihre Blicke. Kyros schaute zuerst fort, weil der schwelende Funke des Verlangens Feuer zu fangen drohte. Sie trug keinen Ring am Finger. Dennoch musste er sich überzeugen. Weigerten die modernen Frauen der westlichen Gesellschaft sich nicht häufig, die äußeren Symbole einer verheirateten Frau zu tragen?

„Du bist nicht verheiratet, Alice, oder?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Vielleicht einen Freund?“

„Auch nicht.“

Er lächelte. „Mit mir kann doch keiner mithalten, ist es nicht so?“

Konnte er Gedanken lesen? Wusste er, dass kein Mann je von ihrem Herz und ihrem Körper auf eine Weise Besitz ergriffen hatte wie Kyros? „Ganz sicher nicht, was dein ausgeprägtes Ego angeht“, entgegnete sie trocken.

Kyros lachte und veränderte unauffällig seine Sitzposition. „Auch nicht in anderen Bereichen, könnte ich mir vorstellen.“

„Um die Wahrheit zu sagen, habe ich darüber nicht viel nachgedacht“, sagte sie, die sexuelle Anspielung ignorierend. Insgeheim sandte sie ein Stoßgebet gen Himmel, dass er ihre Lüge nicht durchschaute und ihre Miene nichts von den vielen Nächten verriet, in denen sie nach seiner Abreise wach gelegen und sich nach ihm verzehrt hatte. Es hatte sie viel Zeit und Mühe gekostet, einen Zustand zu erreichen, in dem ein Gedanke an Kyros ihr nicht die Kehle zuschnürte. Auf keinen Fall würde sie diese Fortschritte einfach so wegwerfen. „Oder genauer gesagt, habe ich über dich nicht viel nachgedacht!“

„Ach, wirklich?“, fragte er spöttisch.

„Ich befasse mich nicht sehr oft mit der Vergangenheit, Kyros. Ich bin der Meinung, man sollte sie am besten ruhen lassen“, fuhr sie fort. Wie hatte sie nur seine Arroganz vergessen können? „Wie hatten eine Affäre, als wir beide sehr jung waren. Und dann war sie vorbei. Was soll’s?“ Sie zuckte die Schultern. „Das passiert doch jedem.“

Ein ungläubiger Ausdruck trat in Kyros’ Augen, der rasch Verärgerung wich. War es möglich, dass sie die Wahrheit sagte? Dass sie ihre „Affäre“ mit ihm abtun konnte, als sei er irgendein Exfreund unter vielen?

Nun, entweder sie meinte es ernst, oder sie wollte ihm nachdrücklich zu verstehen geben, dass er ihr nicht länger wichtig war. Noch heute Abend wird sie ihre Worte zurücknehmen, schwor er sich.

Es war ein spontaner Entschluss gewesen, sie heute Abend zu besuchen, ein halbgeformter Wunsch, wissen zu wollen, wie es ihr seit damals ergangen war. Doch ihre wegwerfende Bemerkung hatte dieselbe Wirkung auf ihn wie ein Eimer Benzin auf schwelende Kohlen.

Er begehrte sie.

Begehrte sie noch immer.

Und heute Abend würde er sie dann bekommen. Er würde ihr das billig aussehende Kleid abstreifen, ihre Brüste entblößen und sanft an den dann hart aufgerichteten Knospen saugen. Bald würde er entdecken, wie die Zeit die Kurven ihres Körpers und die geheimen weiblichen Stellen verändert und verfeinert hatte.

Er würde sie dazu bringen, die Schuhe anzulassen. Er würde mit Alice schlafen und sein Verlangen nach ihr stillen. Nur wenn er sie diesmal verließ, würde er endgültig von ihr befreit sein. Keine Spur mehr würde sich dann noch von ihr in seinen Gedanken finden. Nach einer langen leidenschaftlichen Nacht voller Sex würde er sie endlich ganz vergessen können.

„Ja, das passiert in der Tat jedem. Keine Erfahrung ist einzigartig“, stimmte er also zu. Unablässig glitt sein Blick zu ihrem blutrot geschminkten Mund. Schließlich stand er auf und schlenderte zu Alice hinüber. „Erzähl mir mehr über diese Party, zu der du gehst.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“

Kyros dachte an die Aufregung, die sie mit ihrem ungeheuerlichen Outfit verursachen würde. Ihm fielen die unzähligen Male ein, bei denen sie sich für ihn zurechtgemacht und sich anschließend für ihn ausgezogen hatte. Plötzlich verspürte er Eifersucht in sich aufsteigen, die wie heißes Gift durch seine Adern strömte. „Wer ist der Gastgeber?“

Alice bemerkte die aufflammende Feindseligkeit in Kyros’ Körpersprache sofort. „Kyros! Du kannst nicht nach zehn Jahren wie eine Dampfwalze in mein Leben zurückkehren und mir intime Fragen über meine Freunde stellen!“

„Kann ich nicht?“ Er trat einen Schritt näher.

Jetzt stand er nah genug vor ihr, sodass sie die glühende männliche Hitze wahrnahm, die von ihm ausging, die flackernde Aura stürmischer Erotik, die sein verführerischer Körper stets zu verströmen schien. Zum ersten Mal fielen ihr die winzigen Fältchen auf, die sich um seine Augen abzeichneten. Die einzelnen silbernen Strähnen im ansonsten schwarzen Haar. Die allmählich tiefer werdenden Linien um den sinnlichen Mund. „Ich brauche deine Frage nicht zu beantworten.“

„Wer ist der Gastgeber?“, beharrte er. In diesem Moment war das Klacken von Absätzen auf der Treppe zu hören. Eine Frau in einem silberfarbenen hautengen Catsuit spazierte ins Zimmer.

„In dem Ding kann man kaum atmen“, beschwerte sie sich grinsend. In einer Hand hielt sie ein halb geleertes Weinglas. Ihr Lächeln verschwand, als sie Kyros erblickte.

Kyros starrte sie fassungslos an. „Wer, zum Teufel, ist das denn?“

Alice beobachtete, wie Kirsty einige Male blinzelte, als glaube sie, ihren Augen einfach nicht trauen zu können. Von Kyros’ unhöflicher Begrüßung schien sie überhaupt nichts mitbekommen zu haben. Eigentlich eine amüsante Situation, trotzdem tat es weh zu sehen, wie ihre beste Freundin Kyros mit offenem Mund bestaunte, als habe sich eine Art Gott aus dem Nichts materialisiert.

„Ja, hal…lo“, säuselte sie. „Du bist bestimmt …“

„Das ist Kyros. Kyros, Kirsty“, stellte Alice sie einander schnell vor. „Erinnerst du dich? Ich habe dir von ihm erzählt. Kyros und ich kannten uns während der Unizeit.“

„Ach ja, richtig“, erwiderte Kirsty und begann unbewusst mit einer roten Haarsträhne zu spielen. „Aber ich hatte ja keine Ahnung, dass …“

Dass er so atemberaubend attraktiv ist? Oder dass er nun im Wohnzimmer meiner Eltern steht, breitbeinig und die Hände auf die schmalen Hüften gestützt, als gehöre ihm das Haus, und uns anstarrt, als seien wir Außerirdische, die soeben in ihrem Ufo gelandet sind?

„Ziehst du dich immer so an, wenn du ausgehst?“, fragte er.

Kirsty kicherte. „Natürlich nicht. Aber das Motto der Party lautet ‚Göttliche Dekadenz‘. Hat Alice dir das verschwiegen?“

Kyros sah zu Alice hinüber. Seine funkelnden schwarzen Augen sandten widersprüchliche Botschaften aus. „Nein“, sagte er sanft. „Diese Tatsache hat sie wohl vergessen zu erwähnen. Bestimmt hat es ihr gefallen, mich in dem Glauben zu lassen, sie kleide sich für jede Party wie die Königin der Nacht, nicht wahr, Alice?“

„Stimmt“, gab sie unumwunden zu. „Kyros kommt gerade von einer Hochzeit und hat nur kurz Hallo gesagt. Außerdem wollte er gerade wieder aufbrechen.“

„Oh!“, schmollte Kirsty. „Wie schade.“

Autor

Sharon Kendrick
<p>Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr. Sharon träumte davon, Journalistin zu werden,...
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