Können diese Küsse lügen?

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Privatdetektiv Jack Carson ist ihr Traummann - doch er ahnt nichts davon! Und jetzt hat seine Assistentin Vivianna auch noch etwas über seine Herkunft herausgefunden. Wie soll sie ihm nur die Wahrheit sagen - über ihn und über ihre Gefühle?


  • Erscheinungstag 16.04.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716738
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Was machst du denn so früh hier?“

Jack Carson ging an Vivianna Smith vorbei und betrat ihr Apartment. Dabei versuchte er um jeden Preis, eine Berührung zu vermeiden. Oder ihren vertrauten Duft nach Jasmin einzuatmen. Oder darüber nachzudenken, wie unglaublich sexy sie in dem hellrosa Kostüm aussah.

Masochist. Mehr fiel ihm nicht dazu ein. Doch Jack musste eine Mission ausführen, verdammt noch mal, und dazu brauchte er die Hilfe seiner Assistentin.

Wie viel einfacher es doch wäre, wenn Viv nur seine Assistentin wäre. Seit vier Jahren versuchte Jack, die unwillkommene und doch nicht zu leugnende Anziehung zu ignorieren, die sie auf ihn ausübte. Doch je mehr Zeit verstrich, desto schwieriger wurde es. Und in letzter Zeit träumte er. Gut, zugegeben, er hatte am helllichten Tag Fantasien. Und Viv spielte jedes Mal die Hauptrolle.

Wie zum Teufel konnte er nur solche Gedanken haben? Es war schlichtweg falsch und dazu noch unprofessionell.

„Du musst deinen Charme spielen lassen und mehr rauskriegen.“ Jack drehte sich zu ihr um, als sie die Wohnungstür hinter sich zuzog. „Du musst unbedingt noch mehr über die Parkers herausfinden.“

Clint und Lily Parker waren ein junges Ehepaar, das zwei Monate zuvor bei einem Einbruch umgebracht worden war. Die Täter hatten das Haus der Parkers angezündet. Einzig ihr Baby hatte überlebt. Ein entzückendes kleines Mädchen namens Katie … das Baby, das jetzt bei Viv in Pflege war.

Jack wollte nicht einmal an Babys denken, es tat immer noch zu weh. Trotzdem bewunderte er Viv für ihre selbstlose Art. In den vergangenen Jahren hatte sie immer wieder Pflegekinder aufgenommen. Er selbst wollte absolut nichts mehr mit Babys zu tun haben. Er konnte es nicht, wenn er nicht wollte, dass ihm das Herz brach.

„Bist du sicher, dass die O’Sheas mit dem Verbrechen in Verbindung stehen?“, fragte Vivianna und sah ihn an, bevor sie ihm voran in die Wohnung ging.

Jack blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen und dabei den Schwung ihrer runden Hüften zu bewundern. Er war auch nur ein Mensch. Und ein Mann. Wo sonst hätte er hinsehen sollen als auf Viviannas sexy Hinterteil? Sie trug immer diese figurbetonten Röcke … Bleistiftröcke hatte sie sie genannt, wenn er sich recht erinnerte. Ihre Kurven würden ihn noch um den Verstand bringen.

„Ich weiß es“, bestätigte er.

Die O’Sheas waren eine berüchtigte Bostoner Familie. Es war bekannt, dass sie kein Mittel scheuten, um ihre Interessen durchzusetzen. Selbst wenn das bedeutete, das Gesetz zu brechen. Jack hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Verbrecher wie sie zur Strecke zu bringen. Jedes Mal, wenn er jemanden vor sich hatte, der meinte, über dem Gesetz zu stehen, sah er den Verbrecher vor sich, der seine Frau und sein ungeborenes Kind getötet hatte … und ungestraft davongekommen war.

Die O’Sheas mochten ein hochklassiges High-Society-Auktionshaus führen, das auf der ganzen Welt bekannt war, doch Jack wusste, dass sie keinen Deut besser waren als ganz gewöhnliche Kriminelle. Und er würde dieser arroganten Sippschaft schon zeigen, wer das Sagen hatte. Er würde ihre sorgfältig errichtete Fassade niederreißen und dafür sorgen, dass sie ihre gerechte Strafe erhielten. Und dazu brauchte er die Frau, die in seinen Fantasien die unbestrittene Hauptrolle spielte.

Vor einem Jahr hatte er die perfekte Tarnung für Viv geschaffen und sie in das Auktionshaus der O’Sheas eingeschleust. Sie arbeitete zwar nur Teilzeit für die berüchtigte Familie, aber das genügte, um an Informationen zu kommen.

Das FBI hatte ihn um Hilfe gebeten, da es jemanden mit seiner Erfahrung und seinen Möglichkeiten benötigte, um in den engsten Kreis der O’Sheas einzudringen. Jack war der Beste, den man im Bereich private Ermittlungen finden konnte, und das FBI brauchte ihn. Das war keine Eitelkeit, sondern eine Tatsache. Er konnte da etwas ausrichten, wo andere schon lange ihre Waffen hatten strecken müssen.

Die Millionen, die er verdient hatte, waren ihm nicht zugeflogen. Er war niemand, der sich zurücklehnte und die Verantwortung an andere delegierte. Seit er vor zehn Jahren aus Afghanistan zurückgekehrt war, hatte Jack Tag und Nacht gearbeitet, um Carson Enterprises dahin zu bringen, wo es heute war.

Bei seiner Rückkehr hatte er erfahren, dass seine Familie während seiner Stationierung in Afghanistan umgebracht worden war. Was sonst hätte Jack tun sollen, als sein Leben der Gerechtigkeit zu widmen?

Inzwischen nahm er, der längst ein Vermögen gemacht hatte, nur noch die Jobs an, die ihn interessierten. Und die O’Sheas spielten genau in der Liga, auf die er es abgesehen hatte. Die O’Sheas hatten gerade in Verhandlung mit den Parkers gestanden, um einige ihrer Antiquitäten zu erwerben, als sich der Raub ereignete. Jack zweifelte keine Sekunde daran, dass diese gewissenlose Familie ganz genau wusste, was sich in der tragischen Nacht tatsächlich zugetragen hatte.

Viv ging ins Kinderzimmer. Jack wurde eng um die Brust, und er entschied sich wohlweislich, in der Diele zu bleiben.

Seit er sie kannte, hatte er Viv schon mit vielen Pflegekindern erlebt, aber niemals mit einem Baby. Damit wollte er nichts zu tun haben. Obwohl der tragische Vorfall, bei dem seine Frau und sein ungeborenes Kind gestorben waren, schon so lange her war, waren die Wunden noch offen und schmerzten, als wäre es erst gestern geschehen. Er bezweifelte, dass sie jemals heilen würden.

Viv trat wieder zu ihm in die Diele. Sie hielt Katie in den Armen, der kleine Kopf des Kindes lag auf Vivs Schulter. „Ich muss sie nur kurz nach nebenan zur Babysitterin bringen und dann los zum Auktionshaus.“

Viv konnte sich glücklich schätzen, dass ihre Nachbarin, eine verwitwete Lehrerin im Ruhestand, Kinder liebte. Martha kümmerte sich gerne um Vivs Pflegekinder, wenn diese arbeiten musste.

„Ich tue, was ich kann, Jack.“ Sie blickte ihn an. Wie müde sie aussieht, dachte er. Sie war zwar trotzdem wunderschön und sexy, aber Jack fühlte sich schuldig, dass sie seinetwegen so viel arbeiten musste. „Sie sind eh schon misstrauisch wegen der verschwundenen Daten. Wenn ich jetzt zu sehr Druck mache, verrate ich mich.“

Jack hatte sie niemals in diese Lage bringen wollen. Aber er konnte jetzt nicht einfach aufgeben, solange der Job nicht erledigt war. Und sein Job bestand nicht darin, in den tiefen V-Ausschnitt von Vivs tailliertem Jackett zu starren, als Katie daran zerrte.

Als ein Stück weißer Spitze von ihrem BH aufblitzte, hätte Jack nichts lieber getan, als die Knöpfe ihres Jacketts zu öffnen, um zu sehen, ob die Spitze …

Verdammt noch mal! Reiß dich zusammen!

Viv kam auf ihn zu, und er musste sich zwingen, den Blick von ihrem atemberaubenden Dekolleté abzuwenden und ihr ins Gesicht zu sehen. Was an sich nicht schwierig war. Viv hatte einen Teil indianisches Blut. Ihre Großmutter war eine Sioux gewesen, und Viv hatte ihre hohen Wangenknochen, ihr dichtes blauschwarzes Haar und ihre dunkelbraunen Augen geerbt. Jack hatte mehr als einen Mann gesehen, der bei ihrem Anblick stehen blieb und sie wie hypnotisiert anstarrte … und jedes Mal hatte er das unbändige Verlangen gespürt, dem Fremden einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu verpassen.

Das Schuldgefühl war so stark, dass es ihm den Hals zuschnürte. Jack sollte keine andere Frau begehren. Er hatte die Liebe seines Lebens gefunden. Und jetzt war sie tot. Weil er nicht da gewesen war, um sie und ihr Baby zu beschützen.

Er war sich sicher, dass er sich nur zu Viv hingezogen fühlte, weil sie schon so lange zusammenarbeiteten. Viv war die einzige Frau, mit der er regelmäßigen Kontakt hatte, abgesehen von seiner Haushälterin Tilly. Jack bewunderte Viv, weil sie stark und gleichzeitig so gefühlvoll war. Nahm man ihr umwerfendes Aussehen und ihre wohlgeformten Kurven dazu, war es nur natürlich, dass Jack sich von ihr angezogen fühlte. Doch er musste seine Emotionen unter Kontrolle halten.

„Ich bin auf deiner Seite“, sagte Viv lächelnd und riss ihn aus seinen Gedanken. „Warum kommst du nicht heute Abend vorbei, und wir reden weiter?“

„Heute Abend habe ich eine Telefonkonferenz mit Auftraggebern aus Großbritannien.“

Sie nickte. „Okay, alles klar. Was ist mit morgen? Ich koche uns was, und dann überlegen wir uns das weitere Vorgehen.“

Abendessen? Mit ihr und dem Baby? Das hörte sich so … häuslich an. Normalerweise achtete er darauf, sie nur im Büro oder auf neutralem Terrain zu treffen. Allerdings war er heute Morgen selbst zu ihr nach Hause gefahren, um nach dem Rechten zu sehen … und das hatte, wenn er ganz ehrlich war, nicht nur mit der Arbeit zu tun gehabt.

Verdammt. Je länger sie mit diesem Fall beschäftigt waren, desto größer wurde sein Verlangen, sie zu beschützen … und zu besitzen.

„Warum kommst du nicht zu mir? Meine Haushälterin kocht uns was.“

Das war es. Tilly würde da sein, und dadurch wurde alles gleich weniger familiär.

„Morgen passt gut“, erwiderte sie und strahlte ihn an. „Katie und ich können es kaum erwarten, aus dem Haus zu kommen. Ich arbeite bis vier. Danach hole ich sie ab und gehe gleich zu dir rüber.“

Bisher war Viv noch nie mit einem ihrer Pflegekinder bei Jack gewesen. Bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen sie sich außerhalb des Büros getroffen hatten, waren es immer nur sie beide gewesen. Seitdem er begonnen hatte, in ihr mehr als nur seine Assistentin zu sehen, hatte er versucht, ihren Kontakt zueinander auf ein Minimum zu beschränken.

„Irgendwelche besonderen Wünsche?“, fragte er.

Wanderte ihr Blick plötzlich zu seinen Lippen? Sah sie ihn wirklich gerade mit ihren dunkelbraunen Augen an, als wollte sie …?

Nein, wies er sich zurecht. Es war gleichgültig, was sie wollte oder auch er selbst. Ihre Beziehung war rein beruflich. Punkt.

„Hm … nein, keine besonderen Wünsche.“ Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn wieder an. „Egal, was es ist, es schmeckt bestimmt gut.“

Jack rieb sich die feuchten Handflächen an der Jeans. Ich muss hier raus, dachte er. Ihr vielsagender Blick, das entzückende Baby an ihrer Schulter, seine Übermüdung … all das führte dazu, dass sich in seinem Kopf unmögliche Filme abspielten.

Jack ging zur Wohnungstür und drückte die Türklinke nach unten. Über seine Schulter warf er einen Blick zurück, bevor er hinausging. „Sei vorsichtig, Viv. Ich will nicht, dass du ein unnötiges Risiko eingehst.“

„Du hast mir beigebracht, auf mich aufzupassen. Ich verspreche dir, dass mir nichts passiert. Wir sehen uns morgen.“

Er blieb einen Moment stehen und ließ das Bild auf sich wirken, wie sie in ihrem makellosen, figurbetonten Kostüm mit dem Baby auf dem Arm vor ihm stand. Es war wirklich höchste Zeit, das Weite zu suchen, bevor er noch vergaß, dass sie für ihn arbeitete, und das tat, was er schon seit Monaten am liebsten getan hätte. Aber romantische Verwicklungen oder andere Ablenkungen von seiner Lebensaufgabe durfte es nicht geben.

Endlich, dachte Viv erleichtert, als sie zur Wanduhr sah. Es war sechzehn Uhr, und gleich würde sie zu Jack fahren. Es war lächerlich, wie sie für ihren Boss schwärmte. Sie entsprach ganz bestimmt nicht dem Klischee der verknallten Assistentin, und doch wusste sie, dass sie sofort mit ihm ins Bett gehen würde, wenn er ihr signalisierte, dass er es wollte.

Erbärmlich, dachte sie. Es war einfach nur erbärmlich, wie sie darauf hoffte, dass ihr Boss sie endlich eines Tages bemerken würde. Außerdem war es nicht so, dass sie Zeit oder Energie für eine heiße, flüchtige Affäre gehabt hätte. Sie hatte ein Baby, das sie brauchte und um das sie sich kümmern musste. Was war schon sexy an einer übermüdeten Mutter? Doch gleichzeitig wusste sie, dass sie niemals aufhören würde, Pflegekinder bei sich aufzunehmen. Auf diese Weise konnte sie wenigstens auch Mutter sein, ohne sich gefühlsmäßig zu sehr zu binden.

Der Schmerz darüber, dass sie niemals eigene Kinder haben konnte, war weniger heftig als früher. Doch irgendwo lauerte er noch immer und drohte jederzeit wieder hervorzukommen. Zum Glück lenkte die Arbeit sie ab und ließ nicht zu, dass sie zu viel Zeit zum Nachdenken hatte. Und im Augenblick hatte sie mehr als genug Arbeit.

Sie arbeitete in Teilzeit für die O’Sheas, was sich gut mit ihren Aufgaben als Pflegemutter in Einklang bringen ließ. Außerdem arbeitete sie inoffiziell natürlich immer noch für Jack. Als Single kannte sie nur eine Handvoll Menschen, auf die sie zählen konnte. Ihre Eltern waren schon tot, und sie war Einzelkind. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, für sich selbst zu sorgen. Aber ganz ohne Unterstützung konnte auch sie nicht gleichzeitig arbeiten und sich um ein Kind kümmern.

Zum Glück gab es Martha, ihre Nachbarin. Sie war eine entzückende ältere Dame, die fast immer Zeit hatte, sich um Katie zu kümmern. Und wenn es gerade nicht passte, konnte Viv das Baby auch mit ins Büro nehmen. In ihr Büro bei Jack.

Der Job bei den O’Sheas war nur eine Tarnung, die Jack sich ausgedacht hatte, um sie in den inneren Kreis der Familie zu bringen. Ihr wirklicher Arbeitgeber war der attraktive und reiche Ermittler, dessen Herz einmal gebrochen worden war und der seitdem nichts anderes um sich herum wahrnahm als die Arbeit.

Was kein Wunder ist, sagte sich Viv. Der Mann hatte so viel durchlitten in seinem Leben. Seine Mutter war gestorben, als er erst neunzehn gewesen war. Er war im Krieg gewesen. Seine Frau war ermordet worden, und er hatte nie erfahren, wer sein Vater war … Viv kannte nur die groben Einzelheiten, aber das reichte schon, um ihr selbst fast das Herz zu brechen. Wie sehr sie sich wünschte, er würde dem Leben noch einmal eine Chance geben. Zu gern wäre sie diejenige gewesen, die ihm zeigte, dass nicht alles im Leben Schmerz und Verlust bedeutete. Wenn er sie nur gelassen hätte.

Sie lief in den hinteren Bereich des Auktionshauses, wo sich die Büroräume befanden. Laney, das jüngste Familienmitglied der O’Sheas und die einzige Frau unter den Geschwistern, verhandelte vorne gerade mit einem potenziellen Kunden. Seitdem sich herausgestellt hatte, dass vertrauliche Informationen zum FBI durchgedrungen waren, war immer mindestens ein Mitglied der Familie im Auktionshaus. Was Vivs Aufgabe, an Informationen zu kommen, deutlich erschwerte, zumal sie nur zwanzig Stunden in der Woche hier arbeitete.

Sie ging um den antiken Schreibtisch herum, der ihr als Arbeitsplatz zugeteilt worden war, und öffnete die oberste Schublade, um einen Stift zu suchen. Bevor sie Katie abholte, musste sie dringend noch ein paar Einkäufe erledigen, und wenn sie vorher keine Liste machte, würde sie die Hälfte vergessen. Einkaufen rangierte momentan ziemlich weit unten auf ihrer Prioritätenliste. Weiter oben stand Kinder retten, Jack helfen, versuchen, dass Jack endlich mehr in ihr sah als nur seine Assistentin … Würde er das jemals tun?

In dem einen Jahr, seit sie für die O’Sheas arbeitete, war es Viv gelungen, das Vertrauen der Familie zu gewinnen. Manchmal allerdings fühlte sie sich schuldig, sie zu täuschen. Aber sie war nicht naiv. Auch sie hatte die Gerüchte gehört, die sich um die Familie rankten. Jeder, der in Boston mit Kunst oder Auktionen zu tun hatte, kannte die O’Sheas. Die Begriffe „Mafia“ und „skrupellos“ waren durchaus gebräuchlich, wenn die Familie beschrieben wurde.

Auf einmal fühlte Viv, wie etwas ihren Handrücken streifte. Erschrocken zog sie die Hand zurück, bückte sich und blickte suchend in die Schublade. Nichts. Hoffentlich war es keine Spinne gewesen.

Schnell griff sie noch einmal in die Schublade, und wieder streifte etwas ihre Hand.

Ängstlich nahm Viv ihr Smartphone und leuchtete in die Schublade hinein. Fast erwartete sie, eine ganze Familie haariger Vogelspinnen zu erblicken.

Doch als sie sich bückte, um genauer hinzusehen, entdeckte sie ein Stück Papier, das aus der Verkleidung über der Schublade herausragte. Was ist das?, fragte sie sich. Seltsam, dass da ein Stück Papier über der Schublade steckte. Wieso war ihr das bisher nie aufgefallen?

Viv lauschte. Laney war immer noch im Gespräch mit dem Kunden, und ansonsten befand sich niemand im Auktionshaus. Viv zog ihren Schreibtischstuhl heran, setzte sich und besah sich die Unterseite des Schreibtisches genauer.

Vorsichtig nahm sie das Papier zwischen Daumen und Zeigefinger und zog daran. Es bewegte sich, und jetzt sah sie auch, dass es eng mit einer Handschrift beschrieben war, die sie nicht kannte. Sie zog etwas stärker, und plötzlich fühlte sie, wie es nachgab. Wieder leuchtete sie in die Schublade, und diesmal sah sie, dass die Verkleidung über der Schublade locker war.

Behutsam zog sie an der Verkleidung, bis sie diese ganz gelöst hatte und ein kleines Buch in die Schublade fiel.

Wie kommt es dahin, und wer hat es wohl versteckt? Rasch nahm sie das Buch und schob es in ihre Handtasche. Hier konnte sie es nicht wagen, es sich genauer anzusehen.

Ohne noch einen Gedanken an die Einkaufsliste zu verschwenden, packte sie eilig ihre Sachen zusammen. Später war noch genug Zeit für Einkäufe. Sie warf sich ihren Mantel über und verließ das Büro durch den Hinterausgang. Als sie zu ihrem Auto eilte, bemerkte sie fast nichts von dem eisigen Wind, der ihr entgegenschlug.

Als sie endlich in ihrem Wagen saß, einem älteren, aber noch vollkommen funktionstüchtigen Modell, verriegelte sie die Türen und zog das kleine, ledergebundene Büchlein aus ihrer Handtasche.

Sie brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass sie auf Gold gestoßen war. Der Verfasser des Büchleins war kein anderer als der verstorbene Patrick O’Shea selbst. Der Patriarch der Bostoner Familie, die Jack um jeden Preis zu Fall bringen wollte.

Als Viv die ersten Seiten rasch überflog, sah sie Jack schon vor sich, wie er triumphierend das Buch las. Sie konnte es kaum abwarten, es ihm zu geben. Endlich hatten sie etwas in der Hand!

Als sie jedoch zur nächsten Seite umblätterte, gefror ihr auf einmal das Blut in den Adern. Sie hatte Mühe zu begreifen, was sie las. Sie las jedes Wort noch einmal, um sich zu vergewissern, dass ihre Fantasie ihr keinen Streich gespielt hatte.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie begriff, dass Jack das Büchlein niemals in die Hände bekommen durfte. Alles, was er brauchte, um die Familie zu Fall zu bringen, stand in dem Büchlein … aber darin stand auch, dass er Patrick O’Sheas unehelicher Sohn war.

2. KAPITEL

Das Geräusch von Absätzen, die über den massiven Holzfußboden klackerten, wurde immer lauter, je näher Viv kam. Jack stand auf und wandte sich zu den Flügeltüren um, die zu dem verglasten Patio hinausführten. Jack hatte Tilly darum gebeten, im Patio aufzutragen. Außerdem hatte er ihr gesagt, dass sie nach Hause gehen könne, sobald sie Viv hineingelassen hatte.

Jack stockte der Atem, als Viv in Sichtweite kam. Das Verlangen, das ihn schlagartig überfiel, war heftig, aber inzwischen nicht mehr überraschend. Jedes Mal, wenn sein Blick auf sie fiel, packte es Jack. Aber das war allein sein Problem.

Der rosafarbene Blazer betonte ihre schmale Taille. Der dazu passende Rock endete kurz über dem Knie, und die schwarzen Stiefel mit den hohen Absätzen ließen ihre Beine endlos lang wirken.

Jack war viel herumgekommen. Sowohl privat als auch in seiner Zeit beim Militär. Überall auf der Welt war er umwerfenden Frauen begegnet. Mit dieser betörenden Mischung aus Unschuld, Klasse und heißblütigem Temperament war Viv jedoch eine Frau, der keine von ihnen das Wasser reichen konnte.

Jack wusste, dass Viv in jeder Kleidung wunderschön aussehen würde. Wegen ihres indianischen Erbes stach sie unter allen anderen Frauen, die er kannte, hervor. Und genau das ließ immer wieder heftige Schuldgefühle in ihm aufsteigen. Er fühlte sich, als sei er seiner verstorbenen Frau untreu. Ich muss das in den Griff kriegen, dachte Jack. Bevor er ihre berufliche Beziehung in Gefahr brachte. Jack wollte keine andere Assistentin. Er und Viv waren ein eingespieltes Team.

Außerdem war Viv die Einzige, der Jack es zutraute, die Informationen bei den O’Sheas zu finden, die er brauchte.

„Tut mir leid, ich bin ein bisschen zu spät“, begrüßte Viv ihn. Dann fiel ihr Blick auf den Tisch, und ihre Augen weiteten sich. „Wow, du hast ja an alles gedacht.“

Knusprige Brötchen, Putenrouladen mit Pflaumensauce, goldbraun geröstete Ofenkartöffelchen, knackiges Gemüse, Wein … die Butterstücke für die Brötchen hatten die Form kleiner Tauben. Tilly, seine Haushälterin und Köchin, wollte nichts lieber, als Jack wieder unter die Haube zu bringen, und so hatte sie sich mächtig ins Zeug gelegt. Und in der Küche wartete noch ein selbst gemachter dreilagiger Frucht-Käsekuchen zum Nachtisch.

Was soll’s, dachte Jack. Tillys Versuche waren vergebens. Dieses Dinner war rein beruflich, und er brauchte bestimmt keine Hilfe, um sich eine Frau zu suchen. Wenn er jemals wieder so weit sein sollte, würde er sich schon selbst darum kümmern.

Jack ließ seinen Blick über den romantisch gedeckten Tisch wandern, bevor er Viv wieder ansah. „Ich habe Tilly gesagt, dass es ein Arbeitsessen ist, aber sie hat sich in den Kopf gesetzt, mich zu verkuppeln.“

Viv zog belustigt eine Augenbraue hoch. „Na ja, es ist jetzt schon romantischer als alle Dates, die ich je erlebt habe. Ich erhole mich immer noch von dem letzten.“

Bevor Jack fragen konnte, was sie damit meinte, stieß Katie, die gerade zahnte, einen Schrei aus. Viv strich ihr besänftigend über den Rücken und schaukelte sie sanft hin und her, während sie ihr tröstende Worte ins Ohr flüsterte. Doch nichts schien zu helfen.

„Ich habe die Wickeltasche bei der Garderobe stehen lassen. Könntest du sie mir eben holen?“

Wickeltasche. Sicher.

Jack versuchte, ein Schuldgefühl zu verdrängen, als er zur Garderobe lief. Schon bevor sie Katie in Pflege genommen hatte, war Viv mit ihren zwei Jobs vollkommen ausgelastet gewesen. Sich jetzt noch um ein elf Monate altes Baby zu kümmern, war mehr als eine Herausforderung. Aber Jack kannte Viv lange genug, und sie war stark. Er machte sich keine Sorgen, dass ihr Job darunter litt. Im Gegenteil, er zählte auf sie.

Und genau das irritierte Jack. Er hasste es, sich auf andere verlassen zu müssen, während er danebenstand und nichts unternehmen konnte.

Die grau-weiß gemusterte Tasche stand neben dem kleinen Tischchen bei der Eingangstür. Jack schnappte sich den Riemen und warf sich die schwere Tasche über die Schulter. Was zum Teufel ist da drin?, fragte er sich ungläubig. Wie konnte ein so kleines Wesen nur so viel Zeug benötigen?

Jack hörte Katie schon schreien, als er zurück zum Patio ging. Viv saß auf einem der weich gepolsterten Stühle am Tisch. Sie hielt Katie in den Armen und flüsterte ihr beruhigend zu.

Als sein Blick auf die hellrosa Spitze fiel, die aus dem V-Ausschnitt ihres Blazers hervorblitzte, blieb Jack wie angewurzelt stehen. Gott im Himmel, sei mir gnädig!, dachte er flehend. Nicht schon wieder! Katie hatte die Fäustchen in das Revers gekrallt und zog den Stoff auseinander.

Die helle Spitze bildete einen unwiderstehlichen Kontrast zu Vivs dunkler, samtig schimmernder Haut … ihrer Haut, die er ebenso wenig mit Blicken verschlingen sollte, wie es ihn danach verlangen durfte, sie zu berühren.

Reiß dich zusammen!

Jack rückte den Riemen der Wickeltasche auf der Schulter zurecht und versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken, dass diese Frau offenbar Spitzenwäsche liebte.

„Was brauchst du?“, fragte Jack und öffnete den Reißverschluss der Tasche.

Viv hob den Kopf. Wie jedes Mal, wenn sie ihn aus ihren tiefbraunen Augen ansah, konnte er kaum den Blick abwenden. Viv war sich gar nicht bewusst, was sie mit ihren Blicken anrichtete, und Jack tat gut daran, sich erneut zu ermahnen, dass Viv tabu war.

„Stell sie bitte hier hin. Ich mach das schon.“

Jack stellte die Tasche auf den Boden neben Viv und setzte sich auf einen Stuhl ihr gegenüber. Unglücklicherweise riss Katie noch ungestümer an Vivs Ausschnitt, als diese sich gerade hinunterbeugte, um in der Tasche zu kramen. Jack sah, dass eine kleine pinke Schleife genau in der Mitte zwischen ihren Brüsten saß.

Nein, es war unmöglich! Wie sollte Jack sich so auf die Arbeit konzentrieren?

„Sag mir doch bitte, was du suchst.“

Autor

Jules Bennett
<p>Jules Bennett, die ihren Jugendfreund geheiratet hat, ist Mutter von zwei Mädchen – und, natürlich, Autorin. Voller Tatkraft managt sie ihr Leben. Wenn sie sich erst einmal ein Ziel gesetzt hat, hält nichts sie davon ab, es zu erreichen. Davon kann ihr Mann ein Lied singen. Jules Bennet lebt im...
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