Küsse, die du nie vergisst! (Baccara 2128)
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Es gab so einiges, was Sera Perini nicht mochte. Zum Beispiel Frauenhelden, lästige angeheiratete Familienmitglieder und unliebsame Überraschungen. All das traf leider auf Jordan Serenghetti zu. Dass er an diesem sonnigen Frühlingstag plötzlich in der Praxis in Massachusetts auftauchte, trug nicht gerade dazu bei, ihre Laune zu verbessern.
„Du!“ Sie konnte den Ausruf nicht unterdrücken. Eigentlich war es ein ganz normaler Tag in der Physiotherapiepraxis Astra Therapeutics gewesen, bis er erschienen war. Der Star-Eishockeyspieler, der obendrein noch sehr erfolgreich für Unterwäsche-Anzeigen posierte.
Jordan lächelte. „Gut erkannt, ich bin es höchstpersönlich.“
Er wirkte entspannt und lässig wie immer, attraktiv und fotogen, selbst jetzt, wo er an Krücken ging. Er trug Jeans und ein schlichtes olivfarbenes T-Shirt, das seinen muskulösen Oberkörper betonte. Ja, er war ein richtiger Hingucker mit enormer Ausstrahlung. Das konnte Sera nicht leugnen. Nicht, dass er sie irgendwie interessiert hätte! Denn sie war mehr als misstrauisch gegenüber Männern, die einfach zu gut waren, um wahr zu sein. Männer, denen alles zuflog. Dazu gehörte Jordan nämlich eindeutig. Sein kurzes dunkles Haar, seine grünen Augen, sein markantes Gesicht – er kam einfach überall gut an.
Oh ja, Sera kannte auch die Unterwäschewerbung, für die er posiert hatte. Man konnte kaum eine Zeitschrift aufschlagen, ohne sie zu sehen, zudem prangten die Bilder an allen Plakatwänden. Der Stoff, aus dem die Träume waren, für Heerscharen von Bewunderinnen. Aber nicht für Sera. Sie war keine Träumerin, sie war Realistin. Und ihre schlechten Erfahrungen hatte sie schon hinter sich.
„Was willst du denn hier?“, stieß sie hervor. Obwohl sie es ahnte. Die Sprechstundenhilfe hatte ihr gesagt, ihr nächster Termin warte in Kabine sechs auf sie – aber da hatte sie nicht damit gerechnet, dass es sich um Jordan handeln könnte.
Sie hatte schon gehört, dass er sich beim Spiel verletzt hatte, aber sie war davon ausgegangen, dass sich die medizinische Abteilung seines Eishockeyteams, der New England Razors, darum kümmern würde. Tja, aber jetzt sollte ganz offensichtlich sie ihn versorgen.
Sera seufzte. Jordan sollte nur nicht glauben, dass er ihr wegen seiner Verletzung leidtat! Schließlich war er ihr zweitgrößter Fehler, was die Männerwelt anging. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er neuerdings mit ihr verschwägert war, denn ihre Cousine hatte Jordans Bruder geheiratet. Obwohl sie sich seitdem öfter gesehen hatten, konnte sich Jordan offenbar nicht an ihr früheres, nicht ganz unbedeutendes Zusammentreffen erinnerte.
Sie schaute auf sein bandagiertes linkes Knie. Ein ungewohnter Anblick, Jordan Serenghetti einmal so zu sehen, nicht gerade hilflos, aber doch sichtlich lädiert …
„Na, das nenne ich mal eine Begrüßung“, kommentierte er schmunzelnd. „Meistens rufen die Fans laut meinen Namen, wenn sie mich sehen. Aber ich wusste schon immer, du schwimmst gegen den Strom, Engelchen.“
Sera verdrehte die Augen. Fans? Wahrscheinlich waren es eher die Frauen, die seinen Namen schrien. Fehlgeleitete Frauen, die nicht wussten, was gut für sie war. „Nenn mich nicht Engelchen.“
„Du bist nun mal nach einem Himmelswesen benannt, dafür kann ich doch nichts.“
Ja, ihr voller Name war Serafina, und das kam von den Seraphim, einer Art von Engeln. Insofern hatte Jordan recht. Trotzdem mochte sie es nicht, wenn man sie Engelchen nannte. Vor allem nicht, wenn Jordan es tat.
„Die Seraphim sind besonders feurige Engel, wenn ich mich recht an meinen Religionsunterricht erinnere“, fuhr Jordan ungerührt fort. „Ich finde, deine Eltern haben die perfekte Namenswahl getroffen. Denn das bist du: himmlisch, schön und feurig-temperamentvoll.“
Sera stöhnte auf. „Womit willst du mich jetzt beeindrucken? Mit deinem Bibelwissen oder mit deinen zweifelhaften Komplimenten?“ Sie knallte ihr Klemmbrett auf die Ablage. „Du bist also wegen der Physiotherapie hier …“
„So ist es und nicht anders.“
Nur mühsam konnte sie ihre Verärgerung unterdrücken. „Und ich soll wirklich glauben, dass du rein zufällig mir zugeteilt worden bist?“
Er hob die Hände. „Ich schwöre, ich werde dir nichts vorlügen.“
„Oh, sehr gut.“
„Ich will immer nur das Beste …“
Das galt mit Sicherheit auch für Frauen. Unter seinen zahlreichen weiblichen Fans konnte er sich immer die Attraktivste aussuchen.
„… und du hast einen fantastischen Ruf. Die Leiterin der Physiotherapie-Praxis hat dich in den höchsten Tönen gelobt.“
Sera kam wieder das Gespräch in den Sinn, das sie am Anfang der Woche mit der Praxisleiterin Bernice geführt hatte. „Mit ein bisschen Glück können wir einen Vertrag mit den New England Razors abschließen“, hatte Bernice gesagt. „Das Management will einen Teil der Physiotherapiearbeit abgeben, um das eigene medizinische Team zu entlasten. Sie haben drei Praxen in der engeren Wahl, darunter unsere. Wenn wir diesen Auftrag an Land ziehen, können wir vielleicht auch noch andere Sportmannschaften an uns binden …“
Zu diesem Zeitpunkt hätte Sera eigentlich schon Böses ahnen können, aber sie hatte es einfach nicht wahrhaben wollen. Sie hatte gedacht, als Testpatienten würden sie jemanden mit einer leichten, unkomplizierten Verletzung schicken.
„Und du wolltest genau mich für die Behandlung haben?“
Jordan nickte grinsend. „Ja, einerseits natürlich wegen der Empfehlung deiner Chefin. Und dann ist noch ein Punkt dazugekommen, als ich mir bei eurer Sprechstundenhilfe den Termin habe geben lassen. Sie hat deine hervorragenden Kochkünste erwähnt. Da wusste ich, dass ich bei dir hundertprozentig richtig bin.“
„Sie hat was? Sie hat meine Kochkünste erwähnt?“
„Und deine Backkünste“, ergänzte er. „Offenbar stehst du ganz oben in der Gunst des Personals, weil du öfter mal was Leckeres zu essen mit in die Praxis bringst. Na ja, und bei so vielen Pluspunkten …“
„Vielleicht darf ich dich daran erinnern, dass wir uns beide nicht besonders mögen.“
„Das stimmt nicht ganz“, korrigierte Jordan. „Du magst mich nicht besonders. Ich dagegen habe absolut nichts gegen attraktive und heißblütige Frauen. Die Abneigung, wenn man es denn so nennen will, ist also nur einseitig.“
„Na gut, dann ist sie eben einseitig. Aber sie ist vorhanden.“ Sie musterte ihn aus schmalen Augen.
„Keine Sorge, du bist vor mir sicher“, sagte Jordan leichthin. „Wir sind ja praktisch verwandt. Also … nicht verwandt, aber verschwägert.“
Ja, so war es, ob es ihr gefiel oder nicht. Jordans älterer Bruder Cole hatte vor Kurzem Seras Cousine Marisa Danieli geheiratet. Das machte Jordan und sie zu Schwiegercousins oder was auch immer. Sera wusste nicht, ob es überhaupt eine Bezeichnung dafür gab. Und es war ihr auch egal.
„Glaub ja nicht, dass ich es dir leicht machen werde, Serenghetti“, drohte sie. „Physiotherapie bei mir ist kein Zuckerschlecken, ich bin eine harte Trainerin. Du wirst schwitzen und leiden wie vielleicht noch nie in deinem Leben.“
Diese Drohung war sogar ernst gemeint, denn sie erwartete viel von ihren Patienten. Sie war gut in ihrem Job, hatte auch Mitgefühl – aber sie konnte auch sehr streng sein, wenn nötig.
Jordan ließ sich nicht einschüchtern; er lächelte immer noch. „Nimm mich hart ran, Engelchen. Das ist dein Job, und ich würde es auch nicht anders erwarten.“
„Kann dir denn gar nichts die gute Laune vermiesen?“, grummelte sie. „Ziehen im Serenghetti-Land nie dunkle Wolken auf?“
Er lachte. „Ich ziehe dich nur ein bisschen auf, Sera Perini. Und mit dunklen Wolken kann ich vielleicht nicht dienen, aber ich bin sicher, ich könnte mit Donner und Blitz deine Welt erschüttern.“
Immer diese sexuellen Anspielungen, das war typisch für ihn. Aber das Schlimmste war: Er hatte tatsächlich schon einmal ihre Welt erschüttert. Und er erinnerte sich nicht einmal mehr daran. Das war demütigend, sogar beleidigend. „Versuch gar nicht erst, mit mir was anzufangen“, drohte sie. „Denn du könntest dich anschließend nicht einfach aus dem Staub machen, weil ich nämlich die Cousine deiner Schwägerin bin.“
Er zog eine Augenbraue hoch. „Ist das alles, was dich davon abhält, mit mir etwas anzufangen?“
Sie seufzte vernehmlich. „Du bist ein hoffnungsvoller Fall, Jordan.“ Ganz sicher würde sie ihn nicht an das erinnern, was früher einmal zwischen ihnen vorgefallen war.
Er zuckte nur mit den Schultern und sah sich im Behandlungsraum um. „Na ja, eines wird uns wenigstens bleiben: die Erinnerung an ein paar großartige Physiotherapie-Sitzungen.“
„Oh, an die wirst du dich wirklich noch lange erinnern“, erwiderte sie drohend. „Und zwar vor allem an den Schmerz.“
„Den nehme ich gerne auf mich, wenn er für die Behandlung nötig ist“, erwiderte er. „Und ansonsten gilt: Ich bin ein guter Zuhörer. Für den Fall, dass du dich mal aussprechen möchtest, statt dich mit mir zu streiten.“
Sie musterte ihn misstrauisch. Meinte er das ernst – oder war das wieder nur einer seiner Scherze? „Warum sollte ich gerade einem Weiberhelden wie dir mein Herz ausschütten?“, fragte sie barsch. „Vergiss es.“
„Vielleicht ja nach Dienstschluss?“, bohrte er weiter. „Es hätte vielleicht eine therapeutische, heilsame Wirkung …“
„Wenn ich Entspannung brauche, buche ich eine Reise in die Karibik.“
„Prima, sag mir nur wann. Ich checke dann im selben Hotel ein.“
Grrr! Gab er denn nie auf? „Wenn ich Urlaub mache, dann garantiert ohne dich. Meinst du, ich will mich ständig ärgern lassen?“
Er zog eine Augenbraue hoch. „Ach so, ich dachte, du wärst immer so gereizt. Ich dachte, das wäre deine Grundeinstellung.“
„Ist es nicht.“
Amüsiert musterte er Serafina. Amüsiert – und auch ein bisschen angeturnt. Jordan Serenghetti hatte im Laufe seines Lebens schon viele attraktive Blondinen kennengelernt, aber sie war etwas ganz Besonderes. Er spürte, dass hinter ihrer Kratzbürstigkeit und ihrer aggressiven Streitlust eine wunderschöne – und wahrscheinlich auch sehr verletzliche – Seele steckte.
Außerdem machte es ihm viel zu viel Spaß, sich mit ihr zu kabbeln! Irgendwie war sie ihm ein Rätsel. Ein Rätsel, das er nur zu gerne lösen wollte …
„So, genug gescherzt“, sagte sie plötzlich streng. „Sonst ist unsere Sitzung vorbei, bevor ich überhaupt die Chance hatte, dir wehzutun. Los, setz dich auf die Behandlungsliege, damit ich dein Knie begutachten kann.“ Sie stockte kurz. „Äh, soll ich dir helfen?“
„Vielen Dank, nicht nötig.“ Sie waren ja seit einiger Zeit verschwägert, deshalb hatten sie sich gelegentlich auf Familientreffen gesehen, aber eine Berührung hatte es zwischen ihnen nie gegeben. Kein Schulterklopfen, kein zufälliges flüchtiges Streifen der Hände und erst recht kein Küsschen auf die Wange. Nichts dergleichen. Als wäre da eine unsichtbare Grenze zwischen ihnen, umso mehr, da sie eher verfeindet als befreundet zu sein schienen. Diese Grenze zu übertreten, konnte problematisch werden …
Geschickt ließ sich Jordan unter Zuhilfenahme seines gesunden Beines auf der Liege nieder.
„Sportlich, sportlich“, kommentierte Sera trocken.
„Du würdest dich wundern, was ich sonst noch so draufhabe.“
Sie warf ihm nur einen bösen Blick zu und schaute dann in die medizinischen Unterlagen, die er ihr mitgebracht hatte.
Er nutzte die Gelegenheit, sie noch einmal eingehend zu mustern. Sie trug ihren Physiotherapeuten-Kittel, der ihre Figur mehr verbarg als betonte, aber er wusste ja, wie sie aussah, was für eine gute Figur sie hatte. Sie hatte im Puck & Shoot gekellnert, der beliebten Sportsbar, und auch auf den Familientreffen war sie anders gekleidet gewesen. Ihre vollen Brüste und die endlos langen Beine verlockten ihn schon sehr. Insgeheim hatte er bereits davon geträumt, sie auszuziehen und ihre Kurven zu entdecken …
Davon abgesehen wusste er allerdings nicht recht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Sicher, er fühlte sich zu ihr hingezogen, aber sie war ja mit ihm verschwägert. Und was noch viel schwerer wog: Sie schien ihn nicht ausstehen zu können. Fest stand aber auch, dass es ihm einen Heidenspaß machte, sie zu ärgern und zu reizen.
Doch da gab es noch etwas anderes: Er brauchte sie. Er brauchte ihre Hilfe als offenbar beste Physiotherapeutin im weiten Umkreis. Er hatte mehrere Werbeverträge laufen, und die Firmen, die ihm gute Honorare zahlten, wurden allmählich unruhig, weil er verletzungsbedingt bereits mehrere Eishockeyspiele versäumt hatte. Doch wie schon so oft verdrängte er die Befürchtung, dass seine Spielerkarriere sich dem Ende zuneigen könnte. Er würde sich allen Behandlungen aussetzen, die nötig waren, um das zu verhindern. Mochte es auch noch so wehtun, ihm noch so viel abverlangen – er war dazu bereit. Sicher, er hatte im Laufe seiner Karriere viel Geld verdient und es geschickt angelegt, aber dennoch wollte er auf absehbare Zeit im Rennen bleiben.
Er streckte die Beine auf der Liege aus. Es tat weh, und er verzog das Gesicht.
Sera blickte von den Papieren hoch. „Wie ist es zu diesem Kreuzbandriss gekommen?“
„Es war beim Spiel gegen die New York Islanders vor drei Wochen. Ich habe auf einmal so ein knackendes Geräusch gehört und …“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich wusste gleich, was es war. Cole hat das nämlich auch schon mal mitgemacht.“
Sein älterer Bruder hatte im Laufe der Zeit mehrere Knieverletzungen erlitten, die im Endeffekt dazu geführt hatten, dass er seine Profi-Eishockeykarriere beenden musste. Inzwischen leitete er das Familienunternehmen Serenghetti Construction, nachdem ihr Vater Serg Serenghetti einen Schlaganfall erlitten hatte und nicht mehr in der Lage war, die Tagesgeschäfte zu führen.
„Du kannst ja noch von Glück sagen, dass die Eishockeysaison jetzt vorbei ist. Wer hat dein Knie operiert?“
„Das war Dr. Nabov vom Welsdale Medical Center. Ich schätze mal, er hätte es auch ambulant machen können, aber sie haben darauf bestanden, dass ich über Nacht bleibe. Sie wollten wohl sichergehen, dass alles glatt läuft. Du weißt ja, wie Eishockeyfans so sind.“
„Ja, ja“, murmelte Sera und vertiefte sich noch einmal in seine Krankenakte. „Hast du Autogramme geben müssen, während du in der Klinik warst?“
Er grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ein paar schon, ja.“
„Ich wette, die Krankenschwestern sind ausgeflippt.“
Er zuckte mit den Schultern. „Man tut, was man kann.“
„Hast du das Knie immer schön gekühlt?“
„Ja, sicher. Die im Krankenhaus haben mir genau erklärt, was ich tun soll …“
„… bis du dich in Expertenhände begibst?“
„In deine Hände, genau.“ Er lächelte.
Eigentlich ist sie genau mein Typ, wenn sie nicht so kratzbürstig wäre, dachte er. Allerdings kam eine kurze Affäre nicht infrage, weil sie ja gewissermaßen zur Familie gehörte. Trotzdem, diese Frau hatte etwas, das ihn faszinierte …
Sera legte die Akten beiseite und sah ihn an, kühl und geschäftsmäßig. „Gut, dann werde ich jetzt mal den Verband entfernen.“
So barsch sie zuvor zu ihm gewesen war, beim Freilegen des Knies erwies sie sich als überaus feinfühlig. Anschließend musterte sie das Knie ausgiebig.
„Gute Nachrichten.“
„Das hört man gerne.“
„Keine Infektion, nur ganz geringe Blutungen.“ Sie betastete sein Knie. „Tue ich dir weh?“, fragte sie, ohne aufzublicken.
„Ist auszuhalten.“
„Aha, ein echter Mann, der keinen Schmerz kennt.“
„Wir Eishockeyspieler sind aus hartem Holz geschnitzt.“
„Das wird sich erst noch zeigen.“ Sie drückte weiter auf seinem Knie herum.
„Ganz offensichtlich bin ich dein erster Eishockeyspieler. Sonst wüsstest du das.“
„Hat mich noch nie interessiert, wie hart Eishockeyspieler sind. Aber wir Physiotherapeutinnen sind auch aus hartem Holz geschnitzt.“
„Und besonders hübsch geschnitzt obendrein.“
„Jordan, benimm dich.“
„Ach ja, richtig, wird gemacht.“
Sie holte ein medizinisches Instrument hervor. „Ich mache jetzt ein paar Untersuchungen, damit wir sehen, wo du verletzungsmäßig stehst.“
„Alles, was du willst.“
Sie vermaß ihn bei ausgestrecktem Bein und bei angewinkeltem Bein. Dann legte sie das Instrument wieder beiseite. „Sieht gar nicht mal so schlecht aus, wenn man bedenkt, dass dein Knie seit der OP bandagiert war. Heute wollen wir erst einmal die Oberschenkelmuskelfunktion verbessern und schauen, wie es um die Beweglichkeit deiner Patella bestellt ist.“
„Was ist eine Patella?“
Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Das ist deine Kniescheibe.“
Er grinste. „Das wusste ich. Ich wollte nur wissen, ob du es auch weißt.“
„Sag mir Bescheid, wenn ich dir zu sehr wehtue.“
Sie klang erstaunlich besorgt und mitfühlend, und er scherzte: „Ich dachte, du hättest mir einen schönen kräftigen Schmerz versprochen.“
„So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich.“
Als Profisportler war er Schmerzen gewöhnt. „Wie viele Kreuzbandrisse hast du eigentlich schon behandelt?“
„Ach, schon etliche. Am Schluss der Behandlung sage ich dir, ob du mein bester Patient warst.“
„Gibt’s Punktabzug, wenn ich zu frech zu dir bin?“
„Du kannst es ja ausprobieren. Aber lass es lieber.“ Sie brachte zwei Elektroden an seiner Haut an. „So, wir fangen jetzt mit der Reizstrom-Muskelstimulation an.“
Seiner Meinung nach lag zwischen ihnen beiden schon genug elektrische Spannung in der Luft. Aber er verkniff sich einen Kommentar in diese Richtung, um sie nicht zu verärgern – und sie nicht von ihrer Arbeit abzulenken. Brav und ohne Widerspruch folgte er ihren Anweisungen, auch, als sie ihm ein paar Übungen beibrachte, die er zu Hause regelmäßig durchführen sollte.
Am Ende lobte sie ihn, dass sich die Beweglichkeit seines Knies schon verbessert habe.
Er lächelte siegesgewiss. „Dann bin ich also dein bester Patient, ja?“
„Nicht so voreilig, Superman. Bis vor einer halben Stunde war dein Knie ja noch bandagiert und damit stillgelegt. Da ist es kein Wunder, dass sich die Beweglichkeit jetzt verbessert hat.“
„Lange Rede kurzer Sinn: Ich bin dein bester Patient.“
„Wenn du etwas bist, dann bist du unmöglich.“
„Unmöglich wohl kaum. Unausstehlich, das könnte schon sein …“
Sie ging nicht weiter auf ihn ein. „Du wirst wöchentliche Folgetermine brauchen.“
„Wie lange wird die Behandlung insgesamt dauern?“
„Schwer vorauszusagen. Das hängt vom Heilungsverlauf ab. Normalerweise rechne ich bei einer Verletzung wie in deinem Fall mit drei bis vier Monaten.“
„Also keine längerfristige Geschichte.“
„Nein, eine eher kurzfristige Geschichte. An kurzfristige Geschichten bist du ja gewöhnt.“
Autsch. Damit hatte sie auf seine Affären angespielt, das war ganz klar. Diese bösartige kleine Kratzbürste!
„Ich kann es einfach nicht, Bernice, es geht nicht. Ich werde auf keinen Fall für die Behandlung von Jordan Serenghetti zuständig sein.“ Sera war wild entschlossen.
„Aber du musst“, erwiderte ihre Praxischefin Bernice. „Es hängt so viel davon ab. Wir zählen auf dich, dass du diesen Patienten für uns an Land ziehst. Du weißt, er ist der Schlüssel zu lukrativen Folgeaufträgen …“
Die Behandlungseinheit war jetzt seit über einer Stunde vorbei, und Sera hatte sich immer noch nicht davon erholt. Seine sexuellen Anspielungen, seine Flirtversuche – das alles schwirrte ihr immer noch im Kopf herum.
Sicher, er war ein attraktiver Mann, charmant obendrein – und sie war nicht immun dagegen. Ja, ja, vielleicht war sie schon viel zu lange allein. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass Jordan Serenghetti bei ihr landen konnte. Nicht noch einmal. Auf keinen Fall!
Das Geschehen lag schon so lange zurück, aber sie konnte sich immer noch daran erinnern, wie sich seine Lippen auf ihrer Haut angefühlt hatten. Er hingegen erinnerte sich überhaupt nicht mehr an sie, kein Stück. Für ihn war sie ganz offensichtlich eine von Hunderten, wenn nicht Tausenden gewesen – bezirzt und sofort wieder vergessen. Das war ihr klargeworden, als sie ihn nach Jahren wieder getroffen hatte, in der Sportsbar Puck & Shoot, wo sie gekellnert hatte. Er hatte ihr ins Gesicht gesehen – und sie nicht mehr erkannt.
„Wie wär’s, wenn du Jordan Serenghetti einer anderen Physiotherapeutin zuteilst und dafür morgen eine schöne hausgemachte Lasagne auf deinem Schreibtisch vorfindest?“, lockte Sera.
Bernice lachte. „Was kleine Gefälligkeiten angeht, lasse ich mich ja gerne mal mit deinen Leckereien bestechen. Aber dieses Mal muss ich leider Nein sagen. Bei aller Liebe.“
Sera ließ die Schultern hängen.
„Wenn er mit uns zufrieden ist …“, fuhr Bernice fort, „… bekommen wir bestimmt noch mehr Patienten von den New England Razors. Das wäre ein großer Schritt nach vorne für Astra Therapeutics. Und auch für dich und deine Karriere.“
Sera biss die Zähne aufeinander. Ihre Chefin würde hart bleiben, das spürte sie.
Bernice blickte sie an. „Sera, du hast doch schon öfter schwierige Patienten gehabt. Die haben wir alle schon gehabt.“
Sera legte die Stirn in Falten. Ja, natürlich hatte es immer mal Problem-Patienten gegeben, aber dieser Fall lag anders. Auch wenn sie es selber nicht erklären konnte. „Aber es fühlt sich wie Vetternwirtschaft an, Bernice. Als ob ich den Super-Patienten bekomme, weil er mit mir verschwägert ist.“
Bernice lachte leise. „Wenn er für dich zur Familie gehört, sollte dir die Arbeit doch besonders leichtfallen. Na ja, falls er ein unliebsames Familienmitglied ist, musst du damit eben auch klarkommen.“
Sera presste die Lippen aufeinander. Verdammt! Sie hatte so viel Zeit und Geld in ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin gesteckt, hatte nebenher lange Stunden als Kellnerin gearbeitet, um die Ausbildung zu finanzieren. Und nun sollte Jordan Serenghetti ihrem Fortkommen im Wege stehen?
Bernice sah sie forschend an. „Oder hast du ein Problem damit, dass Jordan ein Star ist? Manche Leute fühlen sich ja durch so etwas eingeschüchtert und können sich dann nicht richtig auf die Arbeit konzentrieren. Und er ist ja ein charmanter Kerl.“
Sera lachte auf. „Ich bitte dich, Bernice. Seine gekünstelte Charme-Offensive! Das turnt mich eher ab!“
Die Chefin zog eine Augenbraue hoch.
Sera errötete und fügte schnell hinzu: „Nicht, dass du denkst, ich nehme seine Flirtversuche persönlich. Ich weiß, er ist zu allen Frauen so. Er kann wahrscheinlich nicht anders.“
Bernice lächelte versonnen. „Weißt du, Sera, wenn ich ein bisschen jünger wäre und mein Mann nichts dagegen hätte, würde ich sogar gerne selbst auf ein Date mit Jordan Serenghetti gehen.“
„Ich bitte dich, Bernice! Dein Keith ist doch der perfekte Ehemann. Pures Gold. Warum sollte man pures Gold gegen Katzengold eintauschen?“ Sera wusste, dass ihre Chefin gerade ihren sechzigsten Geburtstag und kurz danach ihren dreißigsten Hochzeitstag gefeiert hatte.
„Du scheinst zu glauben, dass Jordan ein falscher Fünfziger ist. Warum?“
Sera verdrehte die Augen. Sie wollte ihrer Vorgesetzten nicht ihre gesamte Vorgeschichte offenlegen. Deshalb sagte sie nur: „Das Problem mit ihm ist: Er weiß, wie toll er ist.“
Bernice lachte. „Gegen einen Mann mit gesundem Selbstbewusstsein ist doch nichts einzuwenden.“
„Aber bei ihm ist es mehr als nur Selbstbewusstsein. Bei ihm ist es schon Arroganz.“ Sera wusste, so kam sie nicht weiter, deshalb wechselte sie das Thema und plauderte mit ihrer Chefin über Belangloses. Jetzt blieb ihr nur noch, mit ihrer Cousine Marisa zu reden. Vielleicht würde die Jordan davon überzeugen können, dass die Behandlungskonstellation ungünstig war. Wenn Sera schon nicht den Auftrag ablehnen konnte, würde vielleicht Jordan mit ein bisschen Ermutigung von Marisa einen Rückzieher machen?
Nach Feierabend fuhr Sera die kurze Strecke von Astra Therapeutics außerhalb von Springfield zum neuen Haus von Marisa und Cole in Welsdale. Sie hatte ihren Besuch vorher per Textnachricht angekündigt.
Freudestrahlend schloss Marisa sie in die Arme. Sie beide hatten sich schon immer gut verstanden; sie hatten sich als Kinder und Jugendliche fast so nahegestanden wie Schwestern.
Nachdem sie sich zu einem Glas Cola in die Küche gesetzt hatten, kam Sera gleich zur Sache. „Marisa, Jordan soll ein Patient von mir werden.“
Die Cousine warf einen kurzen Blick auf den Babymonitor und erwiderte dann: „Ja, du sollst ihm helfen, nach seinem Kreuzbandriss wieder fit zu werden.“
„Was, du weißt Bescheid? Und du hast mich nicht vorgewarnt?“
„Ich habe es ja auch erst heute Morgen erfahren. Cole hat zufällig erwähnt, dass Jordan einen Termin bei Astra Therapeutics hat. Und er meinte auch, Jordan hätte gesagt, dass er sich ganz gerne von dir behandeln lassen würde. Aber ich wusste nicht, ob das ernst gemeint war.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Klang eher nach einem Scherz, weil ja bekannt ist, dass ihr auf Familientreffen nicht so gut miteinander auskommt …“
„Tja, ein Scherz war es nicht. Aber ein Riesenfehler.“ Auch Marisa wusste nichts von der Vorgeschichte zwischen Jordan und ihr, und Sera wollte die Story jetzt auch nicht zum Besten geben. Schlimm genug, wenn schon Außenstehende merkten, dass es Animositäten zwischen ihnen gab.