Lang geträumt von soviel Glück

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Er ist der attraktivste Mann, den sie je getroffen hat: Pearce Tyrone. Carol verliebt sich unsterblich in den reichen Schriftsteller, den sie an der französischen Riviera kennen lernt. Traumtage des Glücks beginnen, die nur durch eins getrübt werden: Pearce weiß nicht, wer Carol wirklich ist...


  • Erscheinungstag 03.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776473
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Sommerhitze flirrte über der Côte d’Azur. Carol hatte es sich auf einem Liegestuhl am Hotelpool gemütlich gemacht und versuchte gerade, genug Energie aufzubringen, den Stuhl in den Schatten zu rücken.

Ach, das Leben ist herrlich, dachte sie verträumt. Anfangs war sie nicht gerade begeistert gewesen, ihren Urlaub allein zu verbringen. Inzwischen freute sie sich sogar über die Gelegenheit, neue Energie zu tanken und ihren hektischen Job bei einer Londoner Tageszeitung für eine Weile zu vergessen.

Ein Kellner riss sie aus ihren Tagträumen mit der Nachricht, sie werde am Telefon verlangt.

„Ich? Sind Sie sicher?“ Sie runzelte verblüfft die Stirn und schwang ihre hübschen Beine vom Liegestuhl. Zwei an der Poolbar sitzende Männer beobachteten sie interessiert.

„Ja, der Anruf ist wirklich für Sie, Mademoiselle Fielding“, sagte der Kellner geduldig.

„Okay, merci.“ Sie strich sich das lange Haar aus der Stirn und griff nach dem schnurlosen Telefon.

„Hallo, Carol, hier ist Mike. Ich habe tolle Neuigkeiten.“

Beim Klang der übertrieben fröhlichen Stimme ihres Chefredakteurs lief ihr ein ahnungsvoller Schauer über den Rücken. „Du kannst sie für dich behalten, Mike. Es sei denn, das Verlagshaus ist in Flammen aufgegangen, oder der Premierminister ist mit einer Nonne durchgebrannt.“ Was fällt Mike ein, mich im Urlaub zu stören? überlegte sie empört.

„Nun hab dich nicht so, Carol. Ich wette, dass du dich schon furchtbar langweilst und es gar nicht erwarten kannst, endlich wieder zu arbeiten. Ich kenne dich schließlich. Du bist eine ausgezeichnete Journalistin und freust dich über einen guten Auftrag. Dir ist es doch lieber, bei strömendem Regen eine Story zu recherchieren, als tatenlos in Südfrankreich in der Sonne zu liegen.“

„Du träumst wohl, Mike“, sagte sie kurz angebunden.

Mike überhörte geflissentlich ihren Einwurf. „Ich habe eine sensationelle Story – ganz in deiner Nähe.“

Carol kämpfte mit sich. Doch die Neugier überwog. „Also gut, sag schon, was los ist. Du gibst ja doch keine Ruhe.“

„Pearce Tyrone ist in seiner Villa, die in unmittelbarer Nähe deines Hotels liegt.“

„Na und? Was ist daran sensationell? Er ist ein erfolgreicher Schriftsteller und hält sich sicher oft hier auf.“

„Man hat Jody Sterlings Kind zu ihm gebracht. Es ist alles streng geheim, die anderen Redaktionen haben noch keinen Wind von der Sache bekommen.“

„Wie zuverlässig ist dein Informant?“

„Sehr zuverlässig. Ich weiß, dass die kleine Poppy heute Morgen bei Tyrone eingetroffen ist.“

Carol horchte auf. Das schien tatsächlich interessant zu sein. Erst kürzlich hatten alle Zeitungen über Jody Sterling berichtet. Sie wäre beinahe bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die blonde Schönheit war eine außerordentlich begabte Schauspielerin, die oft in den Schlagzeilen auftauchte. Vor neun Monaten hatte die Nachricht wie eine Bombe eingeschlagen, sie habe ein uneheliches Kind zur Welt gebracht und weigere sich, den Namen des Vaters zu verraten.

Als die Zeitschrift Ça Va ein Foto veröffentlicht hatte, das die Schauspielerin am Arm des prominenten, verheirateten Politikers Jonathan Briars zeigte, hätte der Skandal fast die Karriere des Mannes zerstört. Die Blondine wurde aber auch mit Pearce Tyrone in Verbindung gebracht.

Über ihn war lediglich bekannt, dass er siebenunddreißig Jahre alt und ein außerordentlich erfolgreicher Schriftsteller war. Seine Bücher standen jedes Mal auf der Bestsellerliste. Carol hatte nur hin und wieder ein Foto von ihm gesehen, wenn es jemandem gelungen war, heimlich eine Aufnahme von ihm zu machen, wenn er aus einem Hotel oder Restaurant kam.

Der Mann gab keine Interviews und weigerte sich, Journalisten auch nur in seine Nähe zu lassen. Sein Privatleben sollte privat bleiben. Auf den Umschlägen seiner Bestseller stand weder eine Biografie von ihm, noch war er abgebildet. Dabei sah er blendend aus, wie ein Adonis. Je mehr er sich weigerte, Interviews zu geben, desto interessanter wurde er für die Öffentlichkeit.

Ob er der Vater von Jody Sterlings Baby ist? überlegte Carol.

„Und? Bist du interessiert?“, fragteMike ungeduldig.

„Pikant ist die Geschichte ja“, antwortete Carol nachdenklich. „Aber eigentlich nicht ganz meine Linie. Es wäre eher etwas für Linda Hardman, unsere Klatschreporterin.“

„Linda ist in New York, aber du bist vor Ort.“ Langsam wurde Mike unwirsch. „Außerdem streiken seit gestern Abend die französischen Fluglotsen. Die Story wäre Schnee von gestern, bis jemand aus London in Südfrankreich eintreffen würde. Du musst einspringen, Carol. Geh zur Villa und mach ein Interview mit Tyrone, bevor die Konkurrenz uns zuvorkommt.“

„He, wie soll ich denn das anstellen?“, rief Carol empört. „Dieser Mann gibt nicht einmal Signierstunden, weil er sie als Eingriff in sein Privatleben betrachtet. Und du verlangst von mir, ein Interview mit ihm zu machen?“

„Streng dein hübsches Köpfchen an. Darin bist du doch sonst so gut.“ Mike ließ sich nicht beirren. „Ach, und denk daran, Fotos zu machen. Ich verlasse mich auf dich.“ Und dann fügte er drohend hinzu: „Du hängst doch an deinem Job, oder?“

Er erwartete keine Antwort auf diese Frage, denn bevor Carol reagieren konnte, hatte ihr Chefredakteur das Gespräch beendet.

Großartig, dachte Carol wütend. Und typisch Mike. Mein schöner Urlaub!

Eine knappe Stunde später fuhr Carol in einem Mietwagen auf der Suche nach Pearce Tyrones Villa die Küstenstraße entlang.

Sie hatte sich an der Hotelrezeption nach seinem Haus erkundigt, und man hatte ihr den Weg beschrieben. Das Haus sollte hinter einem hohen Tor mit auf Säulen ruhenden Steinlöwen liegen. Carol fuhr langsamer. Von der gebirgigen Straße aus konnte man keine Häuser sehen. Sie lagen hinter Bäumen und Büschen verborgen.

Plötzlich machte die Straße eine scharfe Kurve, und Carol fuhr genau auf ein großes Tor zu, das zu beiden Seiten von Steinlöwen bewacht wurde, die stolz über das blaue Mittelmeer zu blicken schienen. Hier musste es sein.

Sie hielt am Straßenrand und musterte nervös das Tor. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aufs Grundstück gelangen sollte. Das Tor war elektronisch gesichert, außerdem hatte sie Videokameras entdeckt, die jeden Besucher aufnahmen. Wenigstens war weit und breit niemand zu sehen. Entweder hatten die Kollegen von der Konkurrenz noch keinen Wind von der Story bekommen, oder Mike war falsch informiert worden.

Carol biss sich auf die Lippe. Wenn sie zum Tor ginge und in die Gegensprechanlage sagte, sie wolle Mr. Tyrone interviewen, dann würde man sie gleich wieder fortschicken. Sie könnte auch vorgeben, sich in einer Notlage zu befinden. Das war vielleicht nicht sehr tugendhaft, aber wenigstens hätte sie die Chance, eingelassen zu werden. Schnell warf sie einen prüfenden Blick in den Rückspiegel.

Smaragdgrüne Augen mit langen dunklen Wimpern schauten ihr entgegen. Carols Gesicht war herzförmig, sie hatte langes honigblondes Haar, das sie zum Zopf geflochten hatte. In der Redaktion wurde sie nur „Barbie“ genannt, wegen ihres wunderschönen Haars und der makellosen Figur. Carol konnte diesen Spitznamen nicht leiden, weil sie befürchtete, man könnte ihre Arbeit nicht ernst nehmen.

Und dann gab es wieder Momente, in denen gutes Aussehen ein Vorteil war, so wie jetzt. Sie könnte ein hilfloses Mädchen spielen, das Ärger mit dem Auto hatte und bat, das Telefon benutzen zu dürfen. Carol begann, die Samtschleife aus dem Haar zu ziehen, überlegte es sich jedoch schnell anders. Nein, so tief wollte sie nicht sinken. Sie würde das Interview auch mit fairen Mitteln bekommen!

Der Entschluss war gefasst. Also fuhr sie den Wagen zum Tor. Wie erwartet, richteten sich die Kameras sofort auf sie, als sie anhielt und das Fenster hinunterkurbelte.

„Sagen Sie bitte, was Sie möchten“, erklang eine Männerstimme in gebrochenem Englisch.

Carol zögerte nur eine Sekunde, dann antwortete sie selbstbewusst: „Ich habe einen Termin bei Mr. Tyrone.“

Zu ihrem großen Erstaunen öffnete sich im nächsten Moment das hohe Tor.

Na bitte, dachte sie erfreut und fuhr aufs Grundstück. Ehrlichkeit währt am längsten. Allerdings war das etwas zu glatt gegangen. Irgendetwas stimmte da nicht.

Langsam fuhr sie die lange kurvige Auffahrt entlang. Als sie die hübsche, von Bäumen und blühenden Sträuchern umgebene rosa Villa mit dunkelgrünen Fensterläden entdeckte, stockte ihr der Atem vor Bewunderung. Sie glaubte zu träumen. Das war ja eine richtige kleine Oase hier! Auf der breiten Treppe zum Haus standen zu beiden Seiten mit roten Geranien bepflanzte Terrakottakübel. Die Tür war einladend geöffnet.

Mehr kann man nicht verlangen, dachte Carol, als sie den Wagen parkte und ausstieg. Genießerisch sog sie den betäubenden Duft von Geranien und Lavendel ein, strich ihr weißes Leinenkleid glatt und ging langsam die Treppe hinauf. Sie überlegte gerade, wie sie das Interview beginnen sollte, als Pearce Tyrone persönlich an der Tür auftauchte.

Der sieht ja fantastisch aus, dachte Carol hingerissen. Saphirblaue Augen, schwarzes Haar, breite Schultern, schmale Hüften und bestimmt einen Meter neunzig groß – Carol konnte ihn nur sprachlos anschauen. Auf Fotos sah er schon gut aus, aber in Wirklichkeit war er noch viel charismatischer. Sie hatte das merkwürdige Gefühl, ihn schon lange zu kennen. Dabei wusste sie genau, dass sie diesem hinreißenden Mann noch nie zuvor begegnet war.

„Wo um alles in der Welt bleiben Sie denn so lange?“, fragteer ärgerlich. „Ich habe Sie schon vor Stunden erwartet.“

Carol schaute ihn nur verblüfft an.

Er erwiderte ungeduldig ihren Blick. Dann runzelte er plötzlich die Stirn. „Sie sind doch von der Agentur?“ Er musterte sie fragend.

Sein Tonfall verriet, dass Pearce sie auf der Stelle an die Luft setzen würde, wenn sie seine Frage verneinte. Also nickte sie zustimmend, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, worauf sie sich einließ.

„Dem Himmel sei Dank!“ Er atmete erleichtert auf und bedeutete Carol, ihm zu folgen. „Das Kind schreit ununterbrochen – seit Stunden. Es ist grauenhaft.“

Da Carol nicht wusste, was sie sagen sollte, folgte sie Pearce schweigend. Aber wenigstens wusste sie jetzt, dass ein Kind im Haus war.

„Hat man Sie in der Agentur eingehend informiert?“, fragteer missmutig.

Wieder nickte sie nur wortlos.

„Gut. Dann bringe ich Sie direkt zu Poppy. Das Geschäftliche können wir später erledigen.“

Das wird ja immer besser, dachte Carol, als sie hinter ihm eine Treppe mit schmiedeeisernem Geländer hinaufging. Oder, besser gesagt, immer mysteriöser. Mike Johnson, ihr Chefredakteur, würde ihr wahrscheinlich kein Wort glauben, wenn sie ihm die Story erzählte.

Schon von weitem hörte man Kinderweinen. Es wurde immer lauter und ohrenbetäubender, je näher sie kamen. Pearce öffnete die Tür und führte Carol in ein hübsches Zimmer mit gelben Tapeten und weißen Vorhängen, die sich sanft in der sachten Brise bauschten, die durch die offenen Fenster wehte. In der Zimmermitte stand ein Kinderbett, über das sich ein Mann mittleren Alters beugte und versuchte, das verzweifelte Kind zu beruhigen. Als er Carol bemerkte, spiegelte sich sofort Erleichterung auf seinem Gesicht.

Au secours, ça suffit!“, sagte der Mann auf Französisch. Ganz offensichtlich war er mit seinem Latein am Ende.

„Machen Sie sich keine Gedanken, Henri. Sie haben getan, was Sie konnten, und ich bin Ihnen sehr dankbar. Jetzt übernimmt das Kindermädchen.“

Pearce hatte eine tiefe, vertrauenswürdige Stimme. Carol drehte sich nach dem Kindermädchen um, konnte jedoch niemanden entdecken. Und dann ging ihr ein Licht auf – Peace meinte sie! Ach du liebe Zeit, er hielt sie für das Kindermädchen!

„Nun stehen Sie doch nicht so tatenlos herum“, sagte Pearce abfällig, als das Kind noch lauter zu schreien schien.

Carol überlegte, ob sie den Irrtum aufklären sollte. Sie war doch gar kein Kindermädchen, sondern Journalistin!

Sie schaute ihm in die Augen. Sie schienen jetzt dunkelblau, Pearce’ Gesichtsausdruck war mürrisch und unnachgiebig. Offensichtlich der falsche Zeitpunkt, um mit der Wahrheit herauszurücken, dachte Carol. Man würde mich sofort hinauswerfen, ehe ich etwas herausfinden könnte.

Der ältere Mann schimpfte vor sich hin, als er das Zimmer verließ. Es schien ihn sehr aufgeregt zu haben, dass er das Kind nicht hatte beruhigen können. Carol ging zum Bettchen, um herauszufinden, warum die Kleine weinte. Vielleicht hatte sie Hunger oder musste trockengelegt werden?

Carol überlegte angestrengt. Erst vor kurzem hatte sie einen Artikel über neue Ansätze in der Kinderpflege recherchiert. Allerdings war alles sehr theoretisch gewesen.

„Sie weint fast ununterbrochen, seit sie vorhin gebracht wurde“, sagte Pearce bekümmert. „Ich bin ganz außer mir vor Sorge.“

Carol warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Ihr fiel ein, dass es ihrer Schwester ebenso gegangen war wie Pearce, als ihre kleine Tochter Koliken gehabt und ununterbrochen geweint hatte.

Das kleine Mädchen schrie noch lauter, und Pearce stellte sich nun auch ans Bettchen. „Ich habe sie auf den Arm genommen, sie gefüttert und trockengelegt, und noch immer weint sie.“ Er fuhr sich verzweifelt durchs Haar. „In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nicht so hilflos gefühlt.“

Carol zog belustigt die Augenbrauen hoch. Es war erstaunlich, was ein kleines Baby mit einem sonst eher selbstbewussten Mann anstellen konnte. Sie strich der Kleinen zärtlich über die Stirn. Sofort ließ das Weinen nach. Carol nutzte diesen Vorteil und beugte sich über das Mädchen. „Was ist denn los, meine Süße?“, flüsterte sie ihr ins Ohr.

Die Kleine schaute sie flüchtig an. Das Gesicht war schon ganz rot vom Weinen. Eine Welle der Zärtlichkeit durchflutete Carol. Leider schrie die Kleine sofort wieder und rieb sich die Augen.

Armes Ding, dachte Carol. Sie hat ihre Mutter erwartet, stattdessen sieht sie noch ein fremdes Gesicht vor sich.

„Möchtest du raus aus dem dummen Bettchen und gestreichelt werden?“, fragteCarol liebevoll und nahm das Baby auf den Arm. Das Weinen verstummte, die Kleine betrachtete Carol erstaunt. Die plötzliche Stille war ein Geschenk des Himmels.

„Warum hast du denn so einen Aufstand gemacht?“, fragteCarol und strich dem Baby übers Kinn. Die Kleine war höchstens neun Monate alt und sehr niedlich. Sie umklammerte Carols Finger sofort, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Offensichtlich hatte sie Angst, wieder allein gelassen zu werden.

Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, eine Story von Pearce Tyrone zu bekommen. Viel wichtiger war die Tatsache, dass dieses kleine Mädchen seine Mutter verlieren könnte. Jody Sterling lag in einem Pariser Krankenhaus im Koma, aus dem sie vielleicht nie wieder erwachen würde. Vielleicht war Pearce auch deswegen so verzweifelt.

„Poppy scheint Sie zu mögen, Miss …?“

Sie zögerte nur einen Sekunde, bevor sie ihren richtigen Namen nannte. „Fielding … Carol Fielding.“

Er runzelte die Stirn und betrachtete Carol streng.

Jetzt wirft er mich gleich hinaus, dachte sie.

„Die Agentur hat aber einen anderen Namen genannt. Ich hatte jemanden namens Mabel Soundso erwartet.“

Nach einer Schrecksekunde hatte Carol eine Antwort parat. „Eigentlich heiße ich auch Mabel, aber der Name gefällt mir nicht. Deshalb nenne ich mich Carol.“ Sie schaute ihn kokett an. „Mabel ist kein besonders hübscher Name, oder?“

Er musterte sie, als hätte sie den Verstand verloren. „Ehrlich gesagt, habe ich im Moment keine Lust, mich mit so einer weltbewegenden Frage auseinander zu setzen“, sagte er arrogant.

Carol zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen.

„Mir ist nur wichtig, dass Sie wirklich so gut qualifiziert sind, wie die Agentur es mir versichert hat“, fuhr er kühl fort.

Klar bin ich qualifiziert, dachte Carol. Und zwar dafür, der Welt die Augen über den wahren Pearce Tyrone zu öffnen! Wenn sie lange genug in seinem Haus bliebe, würde ihr das ohne weiteres gelingen. Mike würde sich die Hände reiben. „Ich bin hoch qualifiziert“, versicherte sie ihm strahlend.

Das Baby wurde unruhig und griff nach einer Strähne, die sich aus Carols Zopf gelöst hatte.

„Au! Du hast aber Kraft!“ Es dauerte einen Moment, bis Carol sich aus dem Griff befreit hatte, und Poppy streckte strahlend die Ärmchen nach Pearce aus, der das Baby zärtlich betrachtete.

„Warum hast du Henri und mir das Leben schwer gemacht?“, fragteer heiter. „Wieso reagierst du nur auf eine Frau?“

Die Kleine gluckste vergnügt, als hätte sie die Frage genau verstanden.

Carol lächelte. „Vielleicht erinnere ich sie an ihre Mutter? Immerhin haben wir die gleiche Haarfarbe.“

Pearce schaute sie so durchdringend an, dass sie sicher war, im nächsten Moment vor die Tür gesetzt zu werden. Offensichtlich war sie zu weit gegangen. „Ich … ich weiß, dass ich mich nicht mit Jody Sterling vergleichen kann“, fügte Carol nervös hinzu. „Sie ist wunderschön. Poppy hat große Ähnlichkeit mit ihr, finden Sie nicht auch?“ Sie wiegte das Kind in ihren Armen. Dann fragte sie, was sie wirklich interessierte. „Oder finden Sie, die Kleine ähnelt Ihnen?“

Carol musterte ihn, um herauszufinden, was in ihm vorging, doch sein Gesichtsausdruck blieb unbewegt, vielleicht eine Spur verächtlich. Dann zuckte Pearce die Schultern. „Die Frage müssen Sie sich selbst beantworten, Miss Fielding.“

Sie runzelte die Stirn. „Und was meinen Sie?“

Pearce zog arrogant eine dunkle Augenbraue hoch. „Ich meine, dass ich keine Zeit habe, diesen Unsinn mit einer Angestellten zu diskutieren.“

Offenbar zeigt er nicht nur den Medien die kalte Schulter, sondern behandelt auch seine Mitmenschen herablassend, dachte Carol wütend. Er gibt sich wohl nur mit seinesgleichen ab. So ein Snob!

„Ihr Zimmer ist übrigens hier.“ Pearce zeigte auf eine Verbindungstür. „Soll Henri Ihr Gepäck ausladen?“

Ach du liebe Zeit! Offensichtlich sollte das Kindermädchen im Haus wohnen. Wenn herauskam, dass sie kein Gepäck mitgebracht hatte, war sie geliefert. „Nein, danke, ich werde mich schon darum kümmern“, antwortete sie schnell. Wie lange würde sie ihre Rolle spielen können, ohne aufzufliegen? Wo war das richtige Kindermädchen?

„Auch gut.“ Pearce schaute auf die Uhr. „Kümmern Sie sich zuerst um Poppy. In zehn Minuten erwarte ich Sie in meinem Arbeitszimmer.“

Sowie er die Tür hinter sich zugemacht hatte, ließ Carol sich mit dem Baby auf einen Stuhl sinken, weil sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Ihr gefiel die Geschichte nicht, sie hätte sich niemals darauf einlassen sollen. Es passte nicht zu ihrem offenen, geradlinigen Wesen. Noch nie hatte sie vorgegeben, jemand anders zu sein, um an eine Story zu kommen. Doch dieses Mal hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können. Sie war zu neugierig auf den Ausgang der Geschichte.

Das Baby gluckste vor Vergnügen.

„Du hast gut lachen“, sagte Carol lächelnd. Dann legte sie Poppy auf eine Wickelmatte auf dem Fußboden und begann zu fotografieren. Das richtige Kindermädchen könnte jeden Moment auftauchen, dann hätte sie, Carol, wenigstens einige Aufnahmen von Jody Sterlings Tochter.

2. KAPITEL

Das Kinderzimmer war ausgezeichnet ausgestattet. Poppy würde es hier an nichts fehlen. Carol beeilte sich, weil sie Angst hatte, jeden Moment entdeckt werden zu können. Zunächst fotografierte sie das Baby, dann die Spielsachen und die neue Babykleidung, die sie in den Schränken gefunden hatte. Alle Sachen stammten aus einem sehr schicken, teuren Geschäft in Nizza.

Plötzlich hörte sie Schritte auf dem Flur und konnte die Kamera gerade noch rechtzeitig in der Handtasche verstecken, bevor Henri das Zimmer betrat.

„Haben Sie Probleme, Mademoiselle?“, fragteer, als er sie vor den geöffneten Schränken stehen sah.

„Nein, nein, ich verschaffe mir nur einen ersten Überblick“, antwortete Carol schnell.

Er schien unbeeindruckt. „Monsieur Tyrone erwartet Sie in seinem Arbeitszimmer. Ich passe auf Poppy auf.“

Er setzte sich auf einen Stuhl neben der Tür, verschränkte die Arme und beobachtete Carol.

Obwohl sein Blick sie verunsicherte, stellte sie mutig einige Fragen. Schließlich war sie hier, um eine Story zu recherchieren. „Mr. Tyrone ist aber sehr beschäftigt gewesen“, bemerkte sie wie nebenbei und zeigte auf die vollen Schränke. „Hat er das alles eingekauft, als er von Miss Sterlings Unfall hörte? Oder hat er die Sachen schon zu Poppys Geburt besorgt?“

Als Henri schwieg, drehte sie sich fragend zu ihm um. Er zuckte nur die Schultern. „Das kann ich nicht sagen, Mademoiselle.“

Kann er nicht, oder will er nicht? überlegte Carol irritiert und öffnete die Verbindungstür.

Erstaunt musterte sie das luxuriös ausgestattete, hübsche Zimmer mit weißem Teppichboden und türkisfarbenen Vorhängen vorm Himmelbett. Von der breiten Fensterfront aus hatte man einen atemberaubenden Blick aufs einladend blaue Mittelmeer.

Die Tür neben einem Einbauschrank führte zum Badezimmer.

„Mr. Tyrone bringt sein Personal aber großzügig unter“, sagte sie verwundert.

„Es ist ein Gästezimmer“, erklärte Henri.

„Ach so.“ Carol lächelte höflich und fragte: „Schläft Jody Sterling in dem Zimmer, wenn sie zu Besuch ist?“

Der Mann musterte sie durchdringend. „Es ist ein großes Haus, Mademoiselle. Ich weiß es nicht.“ Dann schaute er bedeutungsvoll auf seine Armbanduhr. „Sie sollten Monsieur Tyrone nicht warten lassen.“

Carol wandte sich seufzend ab. Schade, gegen Henri war eine Auster gesprächig. „Entschuldigen Sie mich, ich möchte mich schnell frisch machen.“ Sie verschwand im Schlafzimmer und machte die Tür hinter sich zu. Schnell zog sie den Fotoapparat aus der Tasche, drehte im Badezimmer die Wasserhähne auf, um das Klicken der Kamera zu übertönen, und machte Aufnahmen vom Schlafzimmer, bevor sie den Apparat wieder in der Handtasche verbarg. Wenigstens hätte Mike einige Aufnahmen zur Auswahl.

Nachdem sie das Wasser abgestellt hatte, warf sie einen Blick in den Spiegel und verzog das Gesicht. Poppy hatte ihre Frisur durcheinander gebracht. Carol zog die Schleife heraus und bürstete sich die seidigen Haare. So kann ich mich in die Höhle des Löwen wagen, dachte sie selbstsicher.

Sie konnte Pearce’ aufgebrachte Stimme schon von weitem hören und ging langsamer. Mit jedem Schritt wurde Carol unsicherer.

„Ihre Agentur hat mir zugesagt, sich der Angelegenheit sofort anzunehmen“, sagte er ärgerlich.

Irgendjemand hat seine Pläne durchkreuzt, dachte Carol, als sie vor der Tür zum Arbeitszimmer stehen blieb und den Raum aufmerksam betrachtete, um sich jedes Detail zu merken, solange Pearce abgelenkt war.

Er saß an einem riesigen Schreibtisch in dem hübschen Zimmer mit Bücherregalen und einer Terrassentür, die zum pittoresken Garten führte, den die Abendsonne in rötliches Licht getaucht hatte. Neben Pearce stand ein Computertisch mit Faxgerät und Kaffeemaschine.

Carol konnte sich in Ruhe umschauen. Pearce hatte sie noch nicht entdeckt. Er fuhr sich ärgerlich durchs schwarze Haar und hörte ungeduldig zu, was der andere Gesprächsteilnehmer ihm zu sagen hatte. Ich möchte mir lieber nicht Pearce’ Zorn zuziehen, dachte Carol. Hoffentlich erfahre ich genug für meine Story und kann verschwinden, bevor er den Schwindel bemerkt.

„So geht das nicht. Schließlich bezahle ich viel Geld und kann erwarten, dass …“ Pearce verstummte, als er aufsah und Carol an der Tür entdeckte.

Er ließ einen so interessierten Blick über sie gleiten, dass Carol unvermutet ein aufgeregtes Flattern im Bauch verspürte.

„Schon gut“, fuhr Pearce kurz angebunden fort. „Bemühen Sie sich nicht, ich rufe später wieder an.“ Dann legte er missmutig den Hörer auf.

„Probleme?“, fragteCarol unschuldig.

„Die werde ich schon lösen“, erklärte er unfreundlich. „Sie sehen anders aus“, fügte er unvermittelt hinzu.

„Wie anders?“

„Ja, Sie tragen Ihr Haar offen.“ Sein Tonfall war fast anklagend.

„Ach so.“ Carol strich sich verlegen übers lange honigblonde Haar. „Poppy hat meinen Zopf leider etwas zerzaust, deshalb habe ich die Schleife ganz herausgezogen, damit ich wieder ordentlich aussehe.“

„Kommen Sie, setzen Sie sich.“ Er zeigte auf einen vor dem Schreibtisch stehenden Stuhl.

Carol kam sich vor wie eine Schülerin, die etwas angestellt hatte und zum Direktor zitiert worden war. Gehorsam nahm sie Platz. Einen Moment lang musterte er sie schweigend und durchdringend.

Was fällt ihm ein, mich mit Blicken zu sezieren? dachte Carol ärgerlich.

„Sie sind also Miss Carol Fielding, Kindermädchen mit besten Referenzen“, sagte Pearce schließlich.

„Ja … nun, ich … ja.“ Sie hielt mutig seinem Blick stand, obwohl sie sich ziemlich verunsichert fühlte. Das war ihr noch nie passiert.

„Können Sie tippen?“, fragteer unverblümt.

„Ja.“

„Ausgezeichnet.“ Sein strahlendes Lächeln ließ Carols Herz höher schlagen. Seine Stimmungsumschwünge sind ja atemberaubend, dachte sie. „Wie Sie eben unschwer mithören konnten, hat mich meine Sekretärin im Stich gelassen. Ich habe einen Abgabetermin für mein nächstes Buch und brauche jemanden, der meine Aufzeichnungen abtippt.“

„Kein Problem.“

„Gut, dann will ich mir jetzt Ihre Referenzen ansehen.“

Carol stockte der Atem. Sie wollte Pearce gerade erklären, dass sie ihre Referenzen nicht bei sich hatte, als er sich vorbeugte und einen Aktenordner zu sich heranzog und öffnete. „Sie sind mir gestern zugefaxt worden, aber ich hatte bisher leider noch keine Zeit, mich damit zu beschäftigen.“

Verwundert beobachtete Carol, wie er den Blick über das Anschreiben gleiten ließ. „Die Agentur hat Sie in den höchsten Tönen gelobt“, erklärte er.

„Wirklich?“ Verflixt, gleich würde ihre Tarnung auffliegen! Er braucht ja nur den Nachnamen auf den Papieren zu lesen, dachte sie, dann weiß er Bescheid. Carol hüstelte nervös. „Könnte ich bitte etwas zu trinken haben?“, bat sie, in dem verzweifelten Versuch, Pearce abzulenken.

„Selbstverständlich.“ Er drehte sich um und griff nach der Kaffeekanne. „Trinken Sie Ihren Kaffee schwarz?“

Sie kam gar nicht dazu, zu antworten, weil in diesem Moment eine schrille Glocke ertönte.

Autor

Kathryn Ross
Kathryn Ross wurde in Afrika geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England und Irland. Eigentlich ist sie ausgebildete Therapeutin, aber die Liebe zum Schreiben war stärker, und schließlich hängte sie ihren Beruf an den Nagel. Als Kind schrieb sie Tier- und Abenteuergeschichten für ihre Schwester und Freundinnen. Mit...
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