Lass dich verführen

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Der attraktive Jay ist Amelias Traummann. Doch anstatt mit ihm zu flirten und ihn zu verführen, beschreibt sie lieber im Chatroom ihre erotischen Fantasien, wie aufregend der Sex mit ihm wäre, wenn sie sich nur trauen würde! Und dann lädt Jay sie eines Tages zu einem heißen Date ein. Zufällig hat er ihre lustvollen Gedanken gelesen...


  • Erscheinungstag 24.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777807
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Irgendwas lag auf einmal in der Luft. Unmöglich zu sagen, was es war, doch Amelia Edward spürte es ganz deutlich. Man konnte die plötzliche Spannung im Internetcafé beinahe mit den Händen greifen.

Sie sah verstohlen nach rechts. Ihr Kommilitone David schien nichts gemerkt zu haben.

Das Mädchen neben David war wohl auch eine Studentin, wenn der Rucksack als verlässliches Zeichen gelten konnte. Sie war blond und wirklich hübsch. Amelia beobachtete, wie sie aufgeregt an ihrer Unterlippe knabberte, sich so hinsetzte, dass ihr Busen gut zur Geltung kam, und dabei zur Eingangstür schaute.

Also war Amelia nicht die Einzige, die es spürte.

Er kam.

Sein Name war Jay Wagner. Ihm gehörte der Harley-Davidson-Laden nebenan. Er mochte etwas älter als Amelia sein, vielleicht sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig. Groß gewachsen, mit etwas längeren, leicht gewellten dunklen Haaren und braunen Augen. Wenn er einen Raum betrat, verblasste jede andere Person neben ihm, und die Zeit schien stillzustehen.

Amelia fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und zupfte an ihrem Rock.

Brian, dem das Internetcafé gehörte, legte eine CD auf. Stevie Ray Vaughn.

Amelia sah hinüber zur Tür, und dann erschien er tatsächlich.

Er trug seine schwarze Lederjacke, schwarze Jeans, weißes T-Shirt, schwarze Stiefel. Und eine Sonnenbrille, die seine Augen vollkommen verbarg und ihn geheimnisvoll wirken ließ.

Er war ungefähr einsfünfundachtzig groß, schlank und sehnig gebaut, aber zweifellos ziemlich stark. Seine erstaunlich feingliedrigen Hände faszinierten sie besonders.

Die Tür schwang hinter ihm zu, während er auf die Bar zuging. Die Sonnenbrille behielt er auf und sah weder nach rechts noch nach links. Doch das gehörte zum Spiel. Richtig beginnen würde es, wenn er an Amelias Tisch vorbeikam. Das war eigentlich ein Umweg, denn ihr Stammplatz war in der Ecke, wo man nicht so leicht auf sie aufmerksam wurde. Trotzdem machte er jedes Mal diesen Bogen.

Da – ein, zwei Meter von ihrem Tisch entfernt blieb er stehen und nahm die Sonnenbrille ab! Steckte sie in die Tasche und sah zu ihr herüber. Sie versuchte, ihn nicht anzustarren, aber sie wusste, es war zwecklos. Er würde nicht weitergehen, ehe sie seinen Blick erwidert hatte.

Warum nur? Warum tat er das? Er musste doch sehen, dass es ihr maßlos peinlich war! Sie spürte genau, wie sie knallrot wurde. Machte es ihm Spaß, mit ihr zu spielen?

Und warum um alles in der Welt kam sie dennoch fast jeden Tag hierher und war enttäuscht, wenn er nicht aufkreuzte?

Ein bisschen zierte sie sich noch, dann gab sie auf. Sah zunächst nur auf seine Brust. Auf die Lederjacke. Dann noch ein Stück höher, zu seinem Hals und dem kantigen Kinn.

Sie hob ihren Blick die letzten Zentimeter.

Kaum erreichte sie seine Augen, packte sein Blick ihren und ließ ihn nicht mehr los. Seine rechte Braue hob sich ein wenig spöttisch, und seine Lippen verzogen sich kaum merklich zu einem winzigen Lächeln. Doch es war sein unverhohlen herausfordernder Blick, der ihre Knie butterweich werden ließ.

Noch nie hatten sie ein Wort miteinander gewechselt. Ihr fehlte der Mut dazu, obwohl er dieses Spiel schon seit Wochen mit ihr spielte und sie damit regelrecht einlud, sich endlich ein Herz zu fassen.

Ein Teil von ihr wollte das ja auch tun. Einfach aufstehen und ihn küssen, hier, mitten im Café. O ja, dann würde ihm sein selbstgefälliges Grinsen schon vergehen. Ein Triumph wäre es.

Leider war sie zu feige dazu. Viel zu feige. Ihre Wangen glühten immer mehr, und sie sah schnell weg. Er hatte wieder einmal gewonnen. Sie hörte, wie er in sich hineinlachte, und seufzte leise. Genauso hatte er gestern gelacht, und vorgestern auch.

Sie konzentrierte sich wieder auf den Monitor. Die Worte, die sie eben eingetippt hatte, schienen ihr plötzlich fremd und zusammenhanglos. Es war eine Hausarbeit, die sie in vier Tagen abliefern musste. Sie speicherte die Datei auf Diskette und gab dann mit zitternden Fingern die Internetadresse trueconfessions.com ein. Sekunden später erschien die vertraute Homepage auf dem Bildschirm, und sie loggte sich mit ihrem Decknamen Good Girl ein. Braves Mädchen.

Sie hatte einen Hang, die Dinge beim Namen zu nennen. Jawohl, sie war ein braves, langweiliges Mädchen. Mit ihren vierundzwanzig Jahren stand sie kurz vor dem Diplom. Das war längst nicht die Regel an der Universität von New York. Kaum jemand war so strebsam, denn der Preis war ein Leben ohne Aufregung, ohne Spannung, ohne Freund.

Kaum hatte sie das gedacht, sah sie wieder auf. Jay stand vor ihr. Er war näher an ihren Tisch gekommen. Sonst ging er immer weiter, wenn sie sich wieder dem Computer zuwandte! Diesmal aber starrte er sie an, eindringlicher als zuvor, so dass sie unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte und wieder heiße Wangen bekam.

Er machte noch einen Schritt auf sie zu, und ihr Herz begann wie verrückt zu hämmern. Noch einen Schritt, und sie vergaß zu atmen. O Gott! Er kam immer näher!

Schon stand er neben ihrem Tisch. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und geflohen oder hätte sich wenigstens geduckt. Aber sie saß ganz still, den Kopf leicht in den Nacken gelegt, und sah zu dem schönsten Mann auf, der ihr je begegnet war.

Er lächelte ein wenig. Als er die Hand hob, starb sie fast. Würde er sie berühren? Ihre Wange streicheln?

Wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht hielt er inne und zog die Hand wieder zurück. Das war schlimmer, als hätte er sie tatsächlich angefasst!

Wieder lachte er leise. Dann jedoch hatte er Erbarmen und sah von ihr weg auf den Monitor. Sie nutzte die Gelegenheit und holte endlich wieder Luft.

„Good Girl“, flüsterte er.

Sie öffnete den Mund, doch kein Ton kam über ihre Lippen.

Erneut hörte sie sein leises Lachen, das tief und sexy in seiner Kehle vibrierte. Dann ging er an ihr vorbei zu Brian, der hinter der Kaffeebar hantierte.

Amelia schloss die Augen und bemühte sich, Puls und Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen. Er hatte etwas gesagt. Zu ihr. O Gott!

Obwohl er sie schon öfter angesehen hatte, bis sie rot wurde, hatte sie sich dennoch eher unsichtbar gefühlt. Meistens war sie das auch. An der Uni, neben ihren gut aussehenden Mitbewohnerinnen, in der Mensa.

Er aber hatte sogar etwas zu ihr gesagt!

Sie blickte schnell zu der Blonden neben David hinüber. Wie erwartet sah das Mädchen nicht besonders erfreut aus. Sie war eifersüchtig. Auf Amelia! Unglaublich.

Sie wandte sich ihrem Computer zu. Von den zwei Stunden, für die sie bezahlt hatte, blieben ihr noch fünfzehn Minuten. Hastig begann sie, auf die Tastatur einzuhämmern, um das soeben Geschehene festzuhalten. Den Moment, seine geflüsterten Worte, den Ledergeruch. Sie konnte kaum so schnell tippen, wie die Worte aus ihr heraussprudelten. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, das Geschriebene auf Tippfehler zu überprüfen.

Dann, als sie sich alles von der Seele geschrieben hatte, kam die Ernüchterung. Er hatte sie bemerkt. Ja, klar, wie sollte es auch anders sein? Schließlich war sie jeden Tag hier. Und ihr Kopf glühte regelmäßig so rot, dass sie damit eine Ampel ersetzen konnte. Das konnte man gar nicht übersehen. Er machte sich nur über sie lustig, das war alles. Auf einmal schämte sie sich. Ihre Tante Grace pflegte zu sagen, dass an Schüchternheit noch niemand gestorben sei, doch Amelia war sich da nicht so sicher. Vielleicht nicht direkt an Schüchternheit, aber an Einsamkeit. Oder Sehnsucht.

Eigentlich war sie ganz anders, als sie sich nach außen hin gab. Sie kleidete sich betont konservativ mit langen Röcken und weiten Blusen und trug ihr schönes Haar meist in einem Knoten am Hinterkopf.

Sie hatte sich daran gewöhnt, unsichtbar zu sein. Es war alles so viel einfacher dadurch. Niemand erwartete etwas von ihr. Dennoch …

Die Frau in mir ist nicht schüchtern. Sie ist schamlos und erotisch, zieht sich sexy an und fühlt sich schön, tippte sie weiter.

Amelia schloss die Augen und schrieb blind weiter. Sie konnte sich darauf verlassen, dass sie die richtigen Tasten traf.

Wenn nur jemand sehen könnte, wie sehr ich mich danach sehne, berührt zu werden. Wie sehr ich mir wünsche, bei einem Kuss Feuer zu fangen. Wenn er nur wüsste, wie oft ich von ihm träume. Wie sehr ich mir wünsche, mit ihm im Taumel der Ekstase zu vergehen. Ich will, dass er alles mit mir macht. Alles. Verrückt will ich werden, und bleiben, mit ihm.

Der Computer piepte. Sie hatte weder Zeit noch Geld, länger zu bleiben. Sie speicherte den Eintrag, loggte sich aus und packte so leise es ging ihre Sachen zusammen. Dann stand sie auf und eilte aus dem Café, ohne sich umzusehen. Rot wurde sie trotzdem wieder.

Jay wartete, während Brian einem anderen Kunden Kaffee eingoss. Einer von den vielen Studenten, die hierher kamen. Es war nur ein kleines Internetcafé und die Ausstattung nicht eben exquisit. Auch zu essen gab es hier nichts Großartiges. Dafür aber sechs Computer mit enorm schnellem Breitbandanschluss ans Internet, was sofortigen Zugang zu Recherchemöglichkeiten bot.

Die Dekoration war im Rock ’n’ Roll-Stil der Sechziger gehalten. An den Wänden hingen Poster von Jimi Hendrix, Janis Joplin und The Grateful Dead. Und wer wollte, konnte die neueste Ausgabe des Rolling Stone lesen.

Brian musste in seinem früheren Leben ein Hippie gewesen sein. Er spielte in seinem Café zwar die aktuellen Top-20-Hits, aber nur, weil er musste. Jay fand es überhaupt verwunderlich, dass Brian so einen Hightech-Laden aufgemacht hatte. Aber immerhin – er hatte Erfolg damit. Er war zweiunddreißig, machte sagenhaft guten Kaffee und konnte sich in jedes Computersystem der Welt hacken, wenn er wollte. Und es lag ihm viel daran, dass seine Gäste sich wohl fühlten. Diese Einstellung hatte Jay sich zu Herzen genommen, als er nebenan seinen Harley-Davidson-Laden eröffnet hatte.

Als er den Studenten bedient hatte, sah Brian zu Jay herüber. Jay nickte ihm zu, und er kam mit einer großen Tasse Kaffee zu ihm herüber.

„Was ist trueconfessions.com?“

Brian zuckte mit den Schultern. Das machte er immer, und Leute, die ihn nicht kannten, dachten dann meist, er habe keine Ahnung. Jay aber wusste es besser. Dieses Schulterzucken hieß nur, dass man sich nächstes Mal eine spannendere Frage ausdenken sollte. „Da bekennen Leute ihre Sünden. Oder ihre Fantasien. Meistens sind es irgendwelche Teenager, die ihrem gegenwärtigen Angebeteten ewige Liebe schwören.“

„Und andere Leute können diese Bekenntnisse lesen?“

„Klar. Ist ja öffentlich. Aber anonym. Die haben einen Router eingebaut, der dafür sorgt, dass man nicht so leicht rauskriegt, wer hinter welchem Nickname steckt.“

„Nicht so leicht, hm? Aber unmöglich ist es nicht?“

„Nichts ist unmöglich, solange ich es schaffe.“

Jay hob seine Kaffeetasse. „Auf deine Arroganz.“

„Das musst du gerade sagen.“

Jay lächelte, trank den Kaffee aus und gab Brian die leere Tasse. „Ich geh mal da rüber an den Computer. Bring mir noch eine dahin.“

Brian verdrehte die Augen. „Jawohl, Sir. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Eine Fußmassage vielleicht? Ein Date mit Penelope Cruz?“

„Verschon mich, bitte.“

„Dann hättest du nichts zu meckern, und dein Leben wäre langweilig“, konterte Brian lachend, während Jay schon an den Tisch in der Ecke ging – ihren Tisch.

Er war gern hier im Café, obwohl er selten an einen der Computer ging. Der Kaffee war erstklassig, aber deswegen kam er nicht her. Er kam wegen der hübschen Studentinnen, die alle ganz wild darauf waren, sich einem bösen Buben wie ihm an den Hals zu werfen.

Alle? Nein, nicht alle.

Sie nicht.

Aber sie wurde immer rot, und das sah er gerne.

Zuerst war sie ihm gar nicht weiter aufgefallen. Er hatte keine Ahnung, wer die Klamotten für sie aussuchte, aber der- oder diejenige gehörte gerädert und gevierteilt. Sie sah aus wie ihre eigene Großmutter in diesen Strickjacken und den flachen Schuhen.

Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie ihm das erste Mal aufgefallen war. Aber er war regelrecht geschockt gewesen, das wusste er noch ganz genau. Sie war wunderschön! Helle, makellose Haut, ganz zart. Sie war mittelgroß, etwa einssiebzig, und fast ein wenig zu schlank. Ihr Gang ähnelte dem einer Tänzerin. In all den Monaten hatte sie nur ein einziges Mal gelächelt. Es hatte nicht ihm gegolten, aber er hatte den Moment genossen.

Alles an ihr war von Natur aus schön. Keine Silikonbrüste, keine künstlichen Haarteile, keine Piercings. Sie sah aus, als käme sie aus einer ganz anderen Zeit. Renaissance vielleicht. Aber da war noch was anderes an ihr. Er spürte es. Und er wollte es haben.

Er setzte sich vor die Tastatur und strich mit den Fingern darüber. Bildete er es sich nur ein, oder lag da tatsächlich noch ein schwacher Duft nach Puder in der Luft?

Entschlossen schaltete er den Computer ein und gab die Adresse trueconfessions.com ein. Wie das System funktionierte, hatte er schnell erkannt.

Good Girl.

Diesen Namen hatte er gelesen. Wenn sie nicht so perplex gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich den Monitor verdeckt oder den Computer einfach ausgeschaltet. Hatte sie aber nicht. Und er war Mistkerl genug, um die Situation auszunutzen.

Ungefähr fünf Minuten später, gleich nachdem Brian ihm noch eine dampfende Tasse Kaffee hingestellt hatte, wurde er fündig – die Tagebucheinträge von Good Girl. Den Kaffee vergaß er völlig.

Die Musik aus Tabbys Zimmer dröhnte durch die ganze Wohnung. Der Bass ließ Vasen vibrieren und schob die Brotkrümel auf der Tischplatte zu immer neuen Mustern zusammen. Amelia versuchte, sich nicht darum zu kümmern.

Ihre Mitbewohnerinnen waren alle drei nette Mädchen. Ein wenig egozentrisch und sexbesessen zwar, aber was wollte man von jungen Frauen Mitte zwanzig schon anderes erwarten?

Sie selbst war da keine Ausnahme. Vielleicht nicht ganz so egozentrisch, aber in jedem Fall genauso besessen. Die anderen drei brachten regelmäßig Männer mit nach Hause. Tabby hatte ihren Josh, aber sie war die Einzige, die eine andeutungsweise monogame Beziehung führte.

Amelias Blick wanderte zur Spüle. Sie wusste, wie lange sich das Geschirr darin schon stapelte. Seit sie das letzte Mal abgewaschen hatte.

Die anderen nutzten sie aus, besonders Kathy. Das war ihr klar. Aber außer ihr schien tatsächlich keine der Frauen für so profane Dinge wie Abspülen, Wäsche waschen und Staub saugen Zeit zu haben. Jedes Mal, wenn sie die Arbeit der anderen machte, schwor sie sich, dass sie es nie wieder tun würde.

Wie sollte sie es wagen, ihn anzusprechen, wenn sie nicht einmal den Mut aufbrauchte, sich gegen ihre faulen Mitbewohnerinnen aufzulehnen und diese ihren Dreck allein wegräumen zu lassen?

Als ob sie ihn jemals ansprechen würde! Sie seufzte und lehnte sich gegen die Kühlschranktür. Jay interessierte sich bestimmt nicht die Bohne für Frauen wie sie. Niemals. Sie sollte besser nicht mehr an ihn denken. Sich verbieten, weiter von ihm zu träumen.

Nichts einfacher als das, oder?

Um Viertel nach drei hielt Jay es nicht länger aus. Er musste etwas tun. Sofort. „Karl.“

Sein Mitarbeiter hockte hinter einer Vintage Harley und sah fragend auf. „Ja?“

„Wie sieht’s aus, schließt du heute Abend ab?“

Karl nickte und schob sich seine Buddy-Holly-Brille ein Stück höher auf die Nase. Er war zehn Jahre älter als Jay, doch seine langen, dünnen Haare und das spärliche Ziegenbärtchen am Kinn ließen ihn aussehen, als sei er einer der Studenten, die hier hereinkamen, um in ihren Träumen zu schwelgen. „Hast ‚n Date, was?“

„So ähnlich.“

„Kein Problem. Marie ist sowieso nicht vor elf zu Hause.“

Jay nahm sich seine Jacke vom Ladentisch, zog sie an und hob seinen Helm vom Fußboden auf. „Sie hat immer noch diesen Job?“

„Ja. Aus irgendeinem Grund arbeitet sie gern mit Zahlen. Na los, hau schon ab.“

Jay ging zur Ladentür und ließ dabei aus Gewohnheit den Blick über die im Schaufenster ausgestellten Motorräder gleiten, ob sie auch gut poliert waren. „Wenigstens hat sie Arbeit.“

„Wenn zwei verdienen, ist alles leichter. Wenn du mir natürlich bezahlen würdest, was ich eigentlich wert bin …“

„Fang nicht damit an.“

Karl seufzte theatralisch.

„Komm, krieg dich wieder ein“, sagte Jay.

Sekunden später, als er die Tür aufstieß und seinen Mitarbeiter lachen hörte, hatte er die Unterhaltung bereits vergessen. Er hatte den ganzen Tag über an kaum etwas anderes denken können als an Good Girl. Im Internetcafé hatte er einige ihrer Einträge gelesen, und je mehr er las, desto spannender fand er die ganze Sache. Diese Frau überraschte ihn – und es kam nicht oft vor, dass eine Frau das schaffte.

Wer hätte auch gedacht, dass hinter der biederen Fassade so eine Wildkatze steckte?

Er setzte sich den Helm auf und stieg auf sein Motorrad, eine 1965er Panhead. Der Motor röhrte auf, und schon raste Jay davon, geradewegs nach Hause zu seinem Computer.

Während er durch den Verkehr von Manhattan kurvte, sah er die ganze Zeit Good Girl vor sich, wie sie sich Stück für Stück auszog. Als er infolge seiner Unkonzentriertheit fast einen Hot-Dog-Verkäufer angefahren hätte, verbot er sich derlei Fantasien.

Zwanzig Minuten später hielt er vor dem mehrstöckigen Haus mit der Fassade aus rötlich braunem Sandstein. Es war ein altes Gebäude und stand in einer Gegend, die früher einmal „Höllenküche“ genannt worden war. Mittlerweile hatte sich das Viertel verändert. Alles war viel nobler geworden durch die trendigen Läden und Restaurants, die ringsum eröffnet wurden. Aber das störte Jay herzlich wenig. Sollten sie doch bauen, was sie wollten, solange sie ihn in Ruhe ließen.

Er schob das Motorrad in einen kleinen Verschlag an der Seite des Wohnhauses und sicherte es dort mit drei schweren Schlössern, während er den Helm unter den Arm geklemmt hielt.

An der Eingangstür nickte er Jasper, dem Pförtner, freundlich zu. Jasper war steinalt und schon seit undenklichen Zeiten hier Pförtner. An dem Gebäude war ebenfalls alles alt, und der Fahrstuhl stank nach nassem Hund wie eh und je. Jay wohnte in der fünften Etage. Der Aufzug hielt in der dritten. Als die Tür sich öffnete, stand ein Mann davor, der mindestens genauso alt war wie Jasper.

„Jay, mein Junge. Wie schön, dich zu sehen!“

Jay grinste. Shawn Cody war sein Nachbar und die gute Seele des Hauses. Wenn er in der dritten Etage gewesen war, bedeutete das, er hatte nach Darlene gesehen, ob sie auch brav ihre Medizin nahm. Er war für sein Alter immer noch mächtig auf Draht und kümmerte sich buchstäblich um alle und alles im Haus. Angeblich war er Schriftsteller, aber niemand hatte jemals etwas zu Gesicht bekommen, was er geschrieben hatte. Doch das interessierte nicht. Er war ein guter Kerl.

„Wie geht’s dir so, Shawn?“

Der Mann schlurfte herein, und es roch nicht mehr nur nach nassem Hund, sondern zusätzlich nach Old Spice und Kampfer. „Wie mein Vater immer zu sagen pflegte, es geht mir so gut, wie man es halt von jemandem erwarten kann, der dereinst zu Staub werden wird.“

„Dereinst vielleicht, aber nicht heute, alter Mann. Heute wirkst du lebendiger, als manchem lieb sein dürfte.“

Shawn nickte. „Stimmt. Ich bin hier, die Gequälten zu trösten und die Getrösteten zu quälen.“

Der Fahrstuhl setzte sich wieder in Bewegung, und Jay wünschte, dass das altertümliche Ding sich ausnahmsweise ein wenig beeilte. Wenn Shawn erst mal ins Reden kam, dann gab es kein Entrinnen. Dennoch mochte Jay ihn und auch seinen Lebensgefährten Bill. Die beiden waren seit fast fünfzig Jahren ein Paar. Es war sicher nicht immer leicht gewesen, aber sie waren zusammengeblieben.

„Weißt du“, sagte Shawn und lehnte sich mit seinem leichten Buckel gegen die Fahrstuhlwand, „ich vermisse deinen Großvater schrecklich.“

Jay nickte. „Ja, ich auch.“

„Er war ein klasse Kumpel. Ein verdammt klasse Kumpel.“

„Das war er wirklich“, sagte Jay und spürte, wie die Traurigkeit wieder über ihn kam. Sein Großvater war vor vier Monaten gestorben, nach langen Jahren der Krankheit. Jay hatte sich um ihn gekümmert, und sie waren sehr vertraut miteinander geworden. So vertraut, dass Jay beschlossen hatte, die Wohnung seines Großvaters nach dessen Tod zu übernehmen, obwohl außer ihm in diesem Haus alle Rentner waren. Es lebte sich gut hier. Ab und zu half er den alten Freunden seines Großvaters, die jetzt seine waren. Außerdem war es eine Sozialwohnung. Für schlappe dreihundert Dollar im Monat hatte er eine Dreizimmerwohnung, auf die eine ganze Menge Leute aus seiner Bekanntschaft mächtig scharf gewesen wären.

Der Fahrstuhl hielt in der fünften Etage. Jay ließ den alten Mann zuerst aussteigen. „Pass gut auf dich auf, Shawn“, sagte er zum Abschied.

„Und du auf dich, junger Mann.“

Jay ging den schlecht beleuchteten Korridor hinunter. Als er die Wohnungstür aufschloss und öffnete, erwartete er wie jedes Mal, von einer Wolke aus Pfeifenqualm umweht zu werden. Es war schwer, sich daran zu gewöhnen, dass sein Großvater nicht mehr lebte. Und die Pfeife war auf ausdrücklichen Wunsch des alten Mannes mit ihm begraben worden.

Jay zog die Lederjacke aus und warf sie auf die Couch, den Helm gleich hinterher. Er holte sich ein Bier aus der Küche, trank einen Schluck und ging dann schnurstracks zum Computer. Wenig später war er wieder auf trueconfessions.com, um weiter im Tagebuch von Good Girl zu lesen. Und der Rest der Welt geriet in Vergessenheit.

Allein sein Gang ist Sex pur. Selbstbewusst, fast schon arrogant. Als ob er genau Bescheid wüsste. Wenn er mich ansieht, schmerzt mein ganzer Körper vor Sehnsucht nach ihm. Leider steht er nicht auf Frauen wie mich. Ich kann ihn nicht mal anlächeln oder mit ihm reden. Ich vergehe vor Verlangen, doch gleichzeitig vergehe ich vor Feigheit.

Jay wollte einen Schluck Bier trinken, aber die Flasche war leer. Wie aus einer Art Trance erwachend, sah er sich um. An den Wänden spielten dunkle Schatten.

Er stand auf und streckte sich ausgiebig. Seine Schultern waren total verspannt. Ein Bier noch, dann würde er aufhören. Schließlich hatte er noch andere Dinge zu tun. Nichts, was interessanter war als Good Girls Bekenntnisse, aber auch nichts, was er weiter aufschieben konnte.

Als er in den Kühlschrank sah und das Glas Marmelade darin erblickte, knurrte auf einmal sein Magen. Grundgütiger, es war ja auch schon nach zehn! Wie war nur die Zeit so schnell vergangen? Er ließ das Bier stehen und nahm stattdessen die Marmelade, Erdnussbutter und Brot heraus. Nichts Besonderes, aber es würde reichen. Außerdem konnte er auf diese Weise vor dem Computer essen.

Er machte sich zwei Sandwiches, legte eines auf einen Pappteller und biss in das andere. Dann griff er sich noch die Packung Milch und ging zurück ins Wohnzimmer.

Im Laufe des Abends hatte er sich ein Bild von Good Girl gemacht. Klug war sie, leidenschaftlich und vor lauter Schüchternheit wie gelähmt. Sie wollte raus aus ihrem Dornröschenturm, wusste aber nicht wie. So blieb ihr nichts anderes, als ihre Fantasien aufzuschreiben. Armes Kind. Das verdiente sie nicht.

Wenn sie nur wüsste, wie attraktiv sie war! Wenn sie nur aufhören würde, sich unsichtbar zu machen. Sie hatte sogar Humor, und nicht zu knapp.

Er klickte auf den nächsten Eintrag und las, während er stehend aß.

Sex hat also einen Namen. J.W.

Jay verschluckte sich und hustete erst einmal für ein paar Minuten. J.W. war doch er, oder? Sie redete die ganze Zeit von ihm?! Heiliger Bimbam. Er war der Mann ihrer Träume? Er war derjenige, dessen Gang purer Sex war?

Und er hatte gedacht, es sei von Brad Pitt oder sonst einem Beau die Rede!

Das änderte alles. Mannomann. Er stellte das zweite Sandwich beiseite und setzte sich wieder und las besonders aufmerksam weiter.

Amelia steckte ihre Karte in die Stechuhr, als sie die Bibliothek verließ. Es war beinahe vier Uhr, und sie war ziemlich erledigt. Sie hatte im Lager Bücher einsortiert und abgestaubt. Diese stille Welt war wie gemacht für sie, obwohl die Bezahlung miserabel war. Sie sollte nun die restliche Zeit nutzen, um mit ihrer Hausarbeit weiterzumachen. Aber sie brauchte nur noch Korrektur zu lesen, und da war es bestimmt besser, wenn sie einen Tag Abstand hatte.

Oder war das nur eine Ausrede? Wie auch immer, sie würde noch nicht nach Hause gehen. Sie schlenderte die Bleeker Street hinunter, in Richtung Washington Square und damit in Richtung Internetcafé. Würde er wieder da sein? Beim bloßen Gedanken an ihn beschleunigte sich ihr Herzschlag.

Es war lächerlich, wie verschossen sie in ihn war. Das war ihr sehr wohl bewusst. Aber es war die einzige echte Leidenschaft, die sie hatte. Außer ihrem Studium natürlich, doch das war eine vollkommen andere Art von Leidenschaft. Davon kribbelte ihr nicht die Haut, davon bekam sie keine Schmetterlinge im Bauch.

Leider wusste er nicht einmal ihren Namen. Er machte sich wahrscheinlich über ihre Schüchternheit lustig. Doch als sie sich jetzt dem Café näherte, ging sie unabsichtlich immer schneller.

An der Tür zögerte sie einen Moment, strich sich die Haare zurück, benetzte ihre Lippen. Dann fiel ihr ein, dass er sie letztes Mal beinahe berührt hatte. Vielleicht würde er es tun, wenn er einen Grund dazu hätte? Eine lose Haarsträhne vielleicht? Sie zupfte eine heraus, die sie über ihre Wange fallen ließ.

Dann trat sie ein und wusste sofort, dass er nicht da war. Die Luft war einfach nur Luft. Brian stand hinter der Theke, einen Joystick in der Hand, und versenkte feindliche Schiffe oder etwas Ähnliches. Jedenfalls waren Schießgeräusche zu hören. Was für ein komischer Kerl. Sein wahres Alter ließ sich absolut nicht erraten. Er sprach wie ein Teenager und spielte alberne Spiele wie ein Teenager. Anderseits besaß er dieses Café, und das war, soweit sie es beurteilen konnte, ein sehr lukratives Geschäft. Im Moment waren nur zwei der Computer besetzt. An einem saß das blonde Mädchen von gestern, an dem anderen ein Neuer. Ziemlich jung. Vermutlich ein Studienanfänger. Keiner der beiden sah zu ihr herüber.

Sie ging zu ihrem Lieblingsplatz in der Ecke, doch bevor sie den Computer hochfahren ließ, atmete sie zur Beruhigung ein paar Mal tief durch. Es war unwichtig, dass er nicht hier war. Warum sollte es auch von Bedeutung sein? Und selbst wenn er hier wäre – was würde das ändern? Er spielte in einer ganz anderen Liga als sie. Sie hatte sich da in was reingesteigert, das war alles.

Tante Grace sagte immer, Amelias lebhafte Fantasie würde sie noch einmal ins Grab bringen. Tagträume waren reine Zeitverschwendung. Man sollte nicht haben wollen, was man nicht bekommen konnte. Sie hatte wahrscheinlich Recht.

Amelias sämtliche Probleme resultierten daraus, dass sie mehr haben wollte, als sie kriegen konnte. Andererseits war Tante Grace auch überzeugt gewesen, Amelia würde niemals in das Programm für Jungakademiker aufgenommen, geschweige denn ein Stipendium bekommen. Sie waren beide gleichermaßen geschockt gewesen, als ihr sowohl das eine als auch das andere gelungen war. Es war wie ein Wunder gewesen.

Also, wer sagte, dass nicht auch diesmal ein Wunder geschah?

Sie schaltete den Computer an und loggte sich ein. Dann tippte sie die Adresse von trueconfessions.com ein und öffnete ihr virtuelles Tagebuch.

Was, wenn ich etwas fallen ließe? Und er hebt es auf? Unsere Finger berühren sich. Funken würden sprühen. Wir wären wie verzaubert. Unsere Blicke würden sich begegnen, und er würde lächeln. Aber nicht wie sonst, nein. Diesmal würde er überrascht sein, verwirrt. Und ich würde zurücklächeln. Dann könnte er sehen, dass ich wirklich interessiert bin. Er würde mich nach meinem Namen fragen, sich auf die Tischkante setzen, mich ansehen. Nicht meinen roten Kopf, nicht meine Angst sähe er, sondern mich. Den Teil von mir, der ihn begehrt, der Leidenschaft für ihn empfindet. Er würde meine Wange berühren und sie sanft streicheln, und es wäre um uns geschehen. Er würde sich vorbeugen. Mich küssen. Ganz zart auf die Lippen.

Die Eingangstür öffnete sich, und ihr Herz machte einen Satz. Aber nein, es war nur dieser andere Typ aus dem Harley-Shop. Der mit der Brille.

Sie seufzte und dachte wieder, wie albern ihre Fantasien waren. Und wie einsam sie war.

Vielleicht könnte ich einfach mal Hallo sagen. Mehr nicht. Nur Hallo. Das löst ja wohl nicht gleich ein Erdbeben aus, oder? Würde der Himmel einstürzen und die Sintflut losbrechen, nur weil ich ganz normal Hallo sage?

Amelia hielt inne. Sie wollte nicht in Selbstmitleid schwelgen. Auf gar keinen Fall. Aber irgendwie schien es unausweichlich zu sein. Immer wieder ertappte sie sich dabei. Sie hatte einfach zu große Erwartungen. Träumte von Dingen, die zu groß waren für ihr kleines Leben. Also stille Verzweiflung?

Nein, das wollte sie auch nicht. Sie wollte Gelassenheit. Befriedigung. Leidenschaft. Romantik. Sex.

Erneut richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Monitor.

Ich kann nicht aufhören, daran zu denken. An Sex. Es ist regelrecht zwanghaft, wie eine Krankheit, die sich nur mit zwei Runden J. heilen lässt.

Sie lächelte, als sie das schrieb. Zwei Runden Jay. Wenn sie sich nicht mal traute, seinen vollen Namen hinzuschreiben.

Autor

Jo Leigh
<p>Seit Jo Leigh 1975 bei der großen Filmgesellschaft 20-Century-Fox als Lektorin in der Abteilung für Comedys einstieg, ist sie im Filmgeschäft zu Hause. Sie war für die Mediengesellschaften CBS, NBC und verschiedene andere große Produktionsfirmen tätig, wobei sie zunehmend Drehbücher konzeptionierte und bearbeitete. Kein Wunder, dass bei so viel Sachkenntnis...
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