Mehr als nur eine Liebesnacht

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Dominic Borghese kann es kaum fassen: Um ihr Darlehen zu begleichen, bietet ihm eine Unternehmerin die Hand ihrer Enkelin an! Völlig absurd, findet er. Bis er ein Foto von Arianna sieht. Es ist die aufregende Frau, die er seit ihrer Liebesnacht in Rom nie vergessen konnte!


  • Erscheinungstag 13.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753207
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die letzte Juliwoche war heiß wie nie, und die Menschen sprachen schon von einem Jahrhundertsommer. Aber für Dominic Borghese waren die Tage vor dem einunddreißigsten Juli seit fünf Jahren denkwürdig. Während er auf der schmalen Straße durch die toskanische Hügellandschaft fuhr, nahm er die dunkle Sonnenbrille vom Armaturenbrett seines hellroten Sportwagens und setzte sie auf.

Er hatte Fehler gemacht und war nie zu stolz gewesen, es sich einzugestehen. Ein Mann kam nicht aus der Gosse ganz nach oben, ohne sich hin und wieder ein falsches Urteil zu bilden. Aber so viele Fehler wie in der letzten Juliwoche vor fünf Jahren hatte er noch nie gemacht.

Zum einen betrafen diese ein Darlehen, das er nie hätte bewilligen dürfen, zum anderen eine Frau. Das Darlehen konnte er abschreiben. Genau deshalb war er an diesem Morgen unterwegs. Probleme hatte ihm ohnehin nie die Summe bereitet, sondern die damit verbundenen Bedingungen. Er wollte die Teilhaberschaft an der Firma nicht, die ihm die Marchesa del Vecchio als Sicherheit angeboten hatte, und war lediglich darauf eingegangen, weil die stolze alte Frau die Summe niemals als Almosen akzeptiert hätte.

Inzwischen hatten ihm seine Buchhalter und ein Privatdetektiv bestätigt, dass die Marchesa nicht in der Lage war, das Darlehen zurückzuzahlen.

Der andere Fehler, den er in der letzten Juliwoche vor fünf Jahren begangen hatte, ließ sich weder rechtfertigen noch entschuldigen. Dominic war geschäftlich in New York gewesen und hatte eine furchtbar langweilige Wohltätigkeitsgala besucht. Um dem Small Talk zu entgehen, war er auf die Terrasse getreten … und fand sich eine Stunde später in seinem Apartment wieder, wo er mit einer sehr schönen Frau schlief, deren Namen er allerdings nicht kannte. Ihre Stimme war sanft und ihr Verlangen genauso groß wie seins. Doch am nächsten Morgen, als er aufwachte, war sie verschwunden.

Dominic hatte sie nie wiedergesehen und biss jetzt unwillkürlich die Zähne zusammen. Es war dumm, noch an sie zu denken, aber sie war so schön und geheimnisvoll gewesen – wie eine Vision. Blond, blauäugig und in einem weißen Seidenkleid hatte sie sich geweigert, ihm ihren Namen zu nennen und, als er sie in die Arme genommen hatte, gesagt, es sei alles nur ein Traum und müsse es bleiben. Doch wie konnte man eine so geheimnisvolle Schöne vergessen? Dominic erinnerte sich noch gut, wie sie geduftet, geschmeckt und sich angefühlt hatte, und seufzte.

Es hatte keinen Sinn, an die Unbekannte zu denken. Er konzentrierte sich besser auf sein bevorstehendes Treffen mit der Marchesa. In einer halben Stunde würde er ihren Palazzo erreichen und wusste immer noch nicht, wie er ihr schonend beibringen sollte, dass er weder sein Geld zurückhaben noch Teilhaber ihrer Firma werden wollte. Seine Geschäftspartner würden nie glauben, was er vorhatte – er, der Sohn einer Alkoholikerin, der seinen Nachnamen der Villa Borghese verdankte, in deren Mauern er wahrscheinlich gezeugt worden war.

Als er zwölf Jahre alt gewesen war, hatte ihn das sehr verletzt, aber jetzt, mit vierunddreißig und dem selbst erarbeiteten Reichtum, der dem alteingesessener Adelsfamilien in nichts nachstand, kümmerte es ihn nicht mehr. Ohnehin kamen ständig neue Gerüchte über seine Herkunft auf. Seit Neuestem erzählte man sich, er sei der unehelichen Beziehung eines Prinzen, dessen Stammbaum bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückreichte, mit einem Hausmädchen entsprungen. Was wohlhabende, selbstständige Frauen nicht davon abhielt, mit ihm ins Bett zu gehen. Doch er wählte sie mit Bedacht. Sie hatten immer Köpfchen, Karriere gemacht und eigene Lebensziele. Dominic wollte sich nicht binden. Noch nicht. Er genoss seine Freiheit und spielte gelegentlich mit dem Gedanken, die geheimnisvolle Schöne von damals suchen zu lassen.

„Verdammt“, schimpfte er jetzt leise vor sich hin und trat das Gaspedal durch, „konzentrier dich auf das Gespräch, das dir bevorsteht!“ Vielleicht, wenn er sich das erste Treffen mit der Marchesa noch einmal vor Augen führte, fand er eine Möglichkeit, ihr klar zu machen, dass sie die drei Millionen Dollar und ihren Stolz behalten könne.

Damals war sie achtzig Jahre alt gewesen und hatte gebrechlich ausgesehen. Trotzdem war es ihr gelungen, bis zu seinem Sekretariat vorzudringen. Doch nicht einmal eine Marchesa del Vecchio kam an Celia vorbei. Seine Sekretärin meldete die alte Dame an, und er willigte lediglich ein, die Fremde zu sehen, weil ihn interessierte, wem es da gelungen war, die Sicherheitsbarriere im Eingangsbereich zu passieren. „Aber nur fünf Minuten, Celia. Danach …“

„Lass ich es auf Ihrer Privatleitung klingeln.“

Die alte Dame war gertenschlank und hielt sich kerzengerade, auch wenn sie dazu inzwischen einen Gehstock benötigte.

„Marchesa, was für eine angenehme Überraschung!“

„Eine Überraschung mag es ja sein, aber bestimmt keine angenehme. Warum sollte sich ein junger, gut aussehender Mann über den Besuch einer alten Frau freuen?“

Sie war geradeheraus, was Dominic sofort für sie einnahm. Er war ihr beim Platznehmen behilflich und ließ sich dann selbst an seinem Schreibtisch nieder. „Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

„Einen Sherry, wenn’s recht ist“, sagte sie mit ihrer leicht brüchigen Stimme, als Celia auf der Türschwelle erschien. „Extra trocken.“

„Ich nehme dasselbe, Celia.“ Der Small Talk mit der alten Dame gestaltete sich schwierig, und Dominic atmete auf, als seine Sekretärin ihnen den Sherry brachte und man zum Geschäftlichen kommen konnte. Die Marchesa erzählte ihm von ihrer Firma „La Farfalla di Seta“ – „Der Seidenschmetterling“, die eine ihrer Urahnen im fünfzehnten Jahrhundert gegründet hatte, nachdem deren Ehemann das Familienvermögen verspielt hatte. Bei den Produkten der Firma handelte es sich um handgefertigte, sündhaft teure Dessous.

Aus Erfahrung wusste Dominic, dass anspruchsvolle Frauen die Produkte von „La Farfalla di Seta“ zu schätzen wussten. „Ich habe davon gehört“, sagte er jetzt.

„In den Vereinigten Staaten, wo unsere Firma inzwischen ihren Hauptsitz hat, nennt man die Marke ‚The Silk Butterfly‘. Mir gefällt der Name nicht. Wir sind ein altes, ehrbares Familienunternehmen, das seine Wurzeln in Florenz hat. Aber ich bin keine Närrin, Signore, ich weiß, dass der amerikanische Geschmack inzwischen wegweisend ist. Und ob es einem gefällt oder nicht, dem muss man sich anpassen.“

„Nennen Sie mich doch ‚Dominic‘, und sagen Sie mir, warum Sie mich aufgesucht haben, Marchesa.“

Der alten Frau fiel nicht im Traum ein, Dominic im Gegenzug anzubieten, doch ihren Titel bei der Anrede wegzulassen. Stattdessen stellte sie ihr Glas auf den Tisch und faltete die Hände über dem Silberknauf ihres Gehstocks. „‚La Farfalla di Seta‘ ist mein wertvollster Besitz.“

„Und?“

„Ich brauche sechs Millionen Lire.“

„Drei Millionen Dollar?“ Dominic blinzelte. „Von mir?“

„Meine Enkelin führt die Geschäfte des Unternehmens. Sie sagt, die Konkurrenz werde immer stärker, und wir müssten unbedingt modernisieren und unseren Standort verlagern. Sie sagt …“

„Ihre Enkelin sagt Ihnen ganz schön viel“, meinte Dominic ein wenig belustigt. „Sind Sie sicher, dass sie recht hat?“

„Ich bin nicht hier, um Ihre Meinung zu hören, Signore.“

„Dominic.“

„Und ich bin auch nicht hergekommen, damit Sie die Entscheidungen meiner Enkelin infrage stellen. Sie ist seit mehreren Jahren mit der Geschäftsführung betraut. Und was noch schwerer wiegt, ich habe sie nach dem Tod ihrer Eltern erzogen. Dadurch ist sie sich ihrer italienischen Herkunft bewusst und versteht, wie wichtig Unternehmenstradition für unsere ‚famiglia‘ ist. Andererseits weiß sie aber auch, dass es unerlässlich ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen und umzusetzen, wenn man in den USA Geschäfte machen will. Doch dazu benötigen wir eine Finanzspritze von sechs Millionen Lire, Signore.“

Es klingelte auf Dominics privater Telefonleitung. Celia, dachte er, ruft aber auch keinen Moment zu früh an. „Ich verstehe“, sagte er dann zur Marchesa, nahm den Hörer ab und legte die Hand auf die Sprechmuschel. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, Marchesa.“ Er lächelte. „Aber ich leite keine Bank. Und wie Sie sich sicher vorstellen können, ist meine Zeit …“

„… knapp bemessen“, fiel ihm die alte Frau ins Wort. „Meine auch. Glauben Sie, ich sei zum Vergnügen hier?“

„Natürlich nicht. Es tut mir leid, aber dieser Anruf …“

„… kommt von Ihrem Wachhund da draußen vor der Tür. Sagen Sie Ihrer Sekretärin, dass ich noch nicht fertig bin, Signore, und dass ich mein Möglichstes tun werde, höchstens noch fünf Minuten Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch zu nehmen.“

Dominic erinnerte sich nicht, wann jemand das letzte Mal so mit ihm gesprochen hatte. Normalerweise küssten ihm die Leute, die ihn um einen Gefallen baten, die Füße – zumindest im übertragenen Sinn. Die Marchesa dagegen war aufdringlich und nervtötend, kurzum … erfrischend anders.

Jetzt hielt er den Hörer ans Ohr und bat Celia, keine Anrufe mehr durchzustellen. Dann stützte er die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hände und wandte sich wieder der Marchesa zu. „Warum kommen Sie denn ausgerechnet zu mir? Wie ich schon sagte, führe ich kein Geldinstitut.“

Ihre Antwort kam sofort und unverblümt. „Bei den Banken bin ich schon gewesen. Man hat mich abgewiesen.“

„Und warum?“

„Weil die Verantwortlichen dort so dumm sind anzunehmen, ein kleines Unternehmen habe keine Erfolgsaussichten. Sie gehen davon aus, die Zeiten, in denen Frauen Hunderte von Dollar für Dessous ausgeben, seien vorbei. Außerdem sind die Herrschaften der Meinung, meine Enkelin solle nicht die Gesamtverantwortung für das Unternehmen tragen.“

„Und Sie sind der Meinung, dass sich die Verantwortlichen der Bank irren?“

„Ich weiß, dass sie es tun“, antwortete die Marchesa ungeduldig. „Frauen werden immer teuren Firlefanz kaufen, und wenn sie das Geld dafür nicht mehr haben, lassen sie sich die Sachen von Männern schenken.“

„Was Ihre Enkelin betrifft … Glauben Sie, sie sei in der Lage, ‚Silk Butterfly‘ zu führen?“

Wenn man von einer Frau wie der Marchesa überhaupt behaupten konnte, dass sie schnaufte, tat sie es jetzt. „Meine Enkelin hat ihren Abschluss auf einer amerikanischen Eliteuniversität für Wirtschaftswissenschaften gemacht. Sie ist clever, entscheidungsfreudig und fähig, einmal getroffene Entschlüsse in die Tat umzusetzen. Meine Enkelin ist genau wie ich.“

Dominic nickte. Er hegte keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage und konnte sich leicht das jüngere Abbild der Frau vor ihm vorstellen: eine alte Jungfer über vierzig mit strengen Gesichtszügen und einer scharfen Zunge. „In Ordnung“, sagte er dann, „Sie wollen, dass ich Ihnen Geld leihe, dann sagen Sie mir, warum ich es tun sollte.“

„‚Borghese International‘ hat doch kürzlich eine französische Firmengruppe gekauft, die auf dem Modesektor tätig ist.“

Dominic war beeindruckt. Bisher war dieser finanzielle Coup noch so etwas wie ein Firmengeheimnis. „Und?“

„Nun“, meinte die Marchesa ungeduldig, „die französische Firmengruppe und unsere Dessousfirma würden sich in weiten Unternehmensteilen gut ergänzen.“

Dominic lehnte sich zurück. Schon möglich, dass sich da einige Gemeinsamkeiten auftaten, aus denen man Vorteile ziehen könnte. Eine konkrete Antwort darauf würde ihm eine entsprechende Untersuchung geben. Aber er bezweifelte, dass diese Vorteile drei Millionen Dollar wert waren. Und warum hatte ihm die Marchesa zunächst von der Bedeutung der Dessousfirma für ihre Familie erzählt, um das Unternehmen im gleichen Atemzug an ihn zu verkaufen?

„Nur dass ich Sie da richtig verstehe, Marchesa … Sie bitten mich, Ihnen Ihre Firma abzu…“

„Ich bitte Sie, mir Geld zu leihen, junger Mann. Wie oft muss ich Ihnen das eigentlich noch sagen? Sie gewähren mir ein Darlehen, das ich Ihnen in fünf Jahren zurückzahle, zuzüglich des Zinssatzes, auf den wir uns einigen.“

„Heißt das, Sie wollen nicht an mich verkaufen?“

„Sind Sie taub? Nein, ich will weder an Sie noch an sonst jemanden verkaufen. Ich rede von einem Darlehen. Ich will lediglich Geld von Ihnen.“

Verwirrt schüttelte Dominic den Kopf. „Ich muss mich noch einmal wiederholen, Marchesa, aber ich leite keine Bank.“

Das erste Mal, seitdem die Frau sein Büro betreten hatte, wirkte sie zögerlich. „Ich gebe zu, dass die Gefahr besteht, Ihnen das Darlehen nicht zurückzahlen zu können.“

„Und?“

„Wenn Sie sich trotzdem dazu durchringen können, biete ich Ihnen fünf Prozent an ‚Silk Butterfly‘.“

Dominic schwieg. Fünf Prozent an einem Unternehmen, das eventuell kurz vor dem Bankrott stand, bedeutete gar nichts. Aber er war zu höflich, das auszusprechen.

Die Marchesa atmete tief durch. „Und sollte ich tatsächlich nicht in der Lage sein, Ihnen das Geld zurückzuzahlen … was ich mir kaum vorstellen kann … werden Sie alleiniger Inhaber von ‚Farfalla di Seta‘. Dann kann Ihre französische Modefirma unseren Markennamen benutzen.“ Die alte Frau lehnte sich zurück. Ihre Hände umschlossen nach wie vor den Knauf des Gehstocks. Jetzt aber zitterten sie, und Dominic begriff zum ersten Mal, welche Überwindung es die Frau gekostet hatte, zu ihm zu kommen. Finanziell musste sie ungeheuer unter Druck stehen. Wahrscheinlich hatte sie bereits ihre sämtlichen Besitztümer beliehen, um das Unternehmen funktionstüchtig zu erhalten. Doch jetzt war sie gezwungen, das Traditionsunternehmen selbst anzubieten.

Die Marchesa war bankrott und steckte bis zum Hals in Schulden. Das würden ihm seine Leute spätestens morgen bestätigen. Doch was sie ihm für die drei Millionen Dollar anzubieten hatte, war bestimmt nicht einmal die Hälfte wert. Obwohl man ihm nachsagte, er sei herzlos, brachte er es jetzt nicht fertig, deutlich zu werden.

Während er noch nach Worten suchte, sagte die Marchesa: „Ich weiß, dass Sie gelegentlich alles auf eine Karte setzen. So haben Sie doch Ihre erste Million gemacht, Signor Borghese, oder? Indem Sie alles, sogar Ihr Leben, für ein Projekt riskiert haben, das gefährlich und tollkühn gewesen ist?“ Sie lächelte, und Dominic bekam einen Eindruck, wie sie wohl als junges Mädchen ausgesehen hatte. „Diesmal können Sie nicht verlieren, Dominic. Ich trage das gesamte Risiko, nicht Sie.“

An diesem Punkt ihrer Unterhaltung war Dominic aufgestanden und hatte auch der alten Frau behutsam auf die Beine geholfen. „Einverstanden“, sagte er, „drei Millionen amerikanische Dollar für fünf Jahre zu zwei Prozent Zinsen.“

„Achteinhalb.“

Er lachte. „Fühlen Sie sich durch ein gutes Geschäft beleidigt, Marchesa?“

„Almosen beleidigen mich, wenn sie unnötig sind. Achteinhalb Prozent. Das ist, soviel ich weiß, der übliche Zinssatz.“

„Wie Sie wollen, Marchesa.“ Er gab ihr einen Handkuss.

„Und fünf Prozent an ‚Silk Butterfly‘ gehören Ihnen, sobald die Verträge unterzeichnet sind.“

Darauf gaben sie sich die Hand, und seit jenem Tag hatte Dominic nichts mehr von der Marchesa gehört. Bis gestern. Da hatte sie in seinem Büro angerufen und ihn zum Mittagessen in ihren Palazzo eingeladen.

Vor ihm erhoben sich jetzt die Flügel eines riesigen schmiedeeisernen Tores. Er war an seinem Reiseziel angekommen und wusste immer noch nicht, wie er der Marchesa, ohne ihren Stolz zu verletzen, sagen sollte, dass er auf die Rückzahlung des Darlehens verzichtete. Während er in die Überwachungskamera blickte, die in einer hohen Zypresse angebracht war, überlegte er, ob er der Marchesa etwas von Steuerersparnis wegen entgangener Außenstände auftischen konnte.

Eine Stunde später, nachdem der Espresso in Kristallkelchen aus dem sechzehnten Jahrhundert serviert worden war, wusste Dominic, dass sein Plan fehlschlagen musste. Während des Essens war die Marchesa jedem Gespräch über Geschäftliches ausgewichen.

Als er nun zum ersten Mal auf das Thema „Steuergewinn aufgrund von Verlustabschreibung“ zu sprechen kam, winkte sie ab. „Lassen wir doch die Höflichkeitsfloskeln, Signore, und kommen wir gleich zur Sache. Wahrscheinlich wissen Sie längst, dass ich das Darlehen nicht zurückzahlen kann.“

Dominic nickte. „Aber das ist kein Problem.“

„Nein, ist es nicht. Wir haben schließlich eine Vereinbarung. ‚Silk Butterfly‘ gehört Ihnen“, erklärte sie mit hoch erhobenem Kopf, aber ihre Stimme bebte.

Dominic seufzte. „Marchesa, bitte hören Sie mich an. Ich kann nicht …“

„Doch, das müssen Sie sogar. Schließlich haben wir einen Vertrag.“

Dominic fuhr sich durchs Haar. „Verträge kann man ändern.“

„Nicht unter Ehrenleuten“, sagte sie kühl.

„Ich möchte, dass Sie das Geld behalten, Marchesa. Ich brauche es nicht. Ich spende jedes Jahr mehr für wohltätige Zwecke als …“ Diese Bemerkung war eindeutig ein Fehler. Das wusste Dominic, sobald die Worte ausgesprochen waren. „Damit wollte ich nicht sagen, dass …“

„Die del Vecchios nehmen keine Almosen.“

„Nein, natürlich nicht. Ich wollte doch nur …“

„… unsere Vereinbarung umgehen.“

„Nein … Ja … Verdammt noch mal, Marchesa!“

„Das ist kein Grund, sich in Schimpfwörter zu flüchten, Signor Borghese.“

Dominic sprang auf. „Ich flüchte mich lediglich in Logik. Das müssen Sie doch erkennen.“

Die Marchesa hob den Kopf und schien Dominic mit dem Blick ihrer immer noch quicklebendigen Augen durchbohren zu wollen.

Dieses lebhafte Blau habe ich doch schon einmal gesehen, überlegte Dominic dabei stirnrunzelnd.

„Ich erkenne lediglich, dass ich Sie falsch eingeschätzt habe. Ich dachte, Sie seien ein Ehrenmann.“

Dominic erstarrte. „Wären Sie ein Mann“, sagte er dann leise, „würde Ihnen diese Bemerkung leidtun.“

„Dann versuchen Sie nicht, unseren Vertrag zu umgehen.“

„Ich wäre kein Ehrenmann, wenn ich Ihnen Ihre Firma wegnehmen würde.“

Die Marchesa seufzte. „Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen.“

Erst später sollte Dominic bewusst werden, dass die Frau viel zu schnell nachgegeben hatte. Doch für den Moment war er lediglich erleichtert gewesen.

„Ich erkläre mich mit einer Vertragsänderung einverstanden“, sagte die Marchesa schließlich.

„Wunderbar.“ Dominic nahm die Hand der alten Frau. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich habe noch einen langen Rückweg vor mir.“

„Sie werden doch zugeben müssen“, sagte die Marchesa, „dass ‚Silk Butterfly‘ eine hervorragende Ergänzung zu Ihrer französischen Modefirma ist.“

Irgendetwas an ihrem Ton stimmte ihn nachdenklich. Um aber die stolze Marchesa nicht zu verletzen, musste er ihr zustimmen. „Ja, ‚Butterfly‘ wäre wahrscheinlich eine Ergänzung. Aber …“

Als die alte Frau jetzt ihren Stock auf den Boden stieß, erschien umgehend ein Hausmädchen. Offensichtlich hatte es draußen im Flur gewartet, eilte nun auf die Marchesa zu und reichte ihr einen silbernen Fotorahmen.

Während die alte Frau dem Mädchen einen leisen Wink gab, wieder zu gehen, fragte sie ihren Gast: „Haben Sie eigentlich nie daran gedacht, sich einmal mit meiner Enkelin zu treffen?“

„Warum sollte ich? Sie haben doch gesagt, sie sei mehr als fähig, die Geschäfte von ‚Silk Butterfly‘ zu führen.“

„Das ist sie auch.“ Lächelnd blickte die Marchesa auf das Foto in ihren Händen. „Ich habe trotzdem gehofft, Arianna und Sie würden sich einmal kennenlernen.“ Sie sah zu Dominic. „Bestimmt würden Sie meine Enkelin sehr anziehend finden.“

Du liebes bisschen, wo sollte denn das hinführen? Dominic hatte oft genug erlebt, dass ihm angesehene, aber finanziell in Bedrängnis geratene Familien ihre Töchter unterjubeln wollten. Dabei war ihnen seine etwas rätselhafte Herkunft völlig egal. Musste er sich jetzt etwa anhören, wie liebreizend die altjüngferliche Enkelin der Marchesa war? Diese unattraktive, überalterte, unsexy …

Die Marchesa hielt das Bild so, dass Dominic einen Blick darauf werfen konnte, und ihm wich das Blut aus dem Gesicht. Die Frau kannte er. Sie verfolgte ihn seit fünf Jahren in seinen Träumen. Ihr Haar war goldglänzend wie das Sonnenlicht, sie verfügte über hohe, edle Wangenknochen, einen weichen rosigen Mund und Augen, deren Tiefblau er jetzt zuordnen konnte. Die Marchesa hatte die gleichen.

Irgendwie gelang es Dominic schließlich, tief durchzuatmen. „Wer ist das?“

„Meine Enkelin Arianna natürlich.“

Arianna? Der Name passte zu ihr. In Dominics Kopf drehte sich alles. Er brauchte frische Luft. „Marchesa, ich glaube wirklich …“, er räusperte sich, „… dass ich jetzt gehen muss. Es ist schon spät, und der Rückweg nach Rom ist …“

„… lang, ich weiß. Aber Sie wollen doch bestimmt noch wissen, wie ich unsere Schuld zu begleichen gedenke.“

„Nicht jetzt. Ein anderes Mal. Morgen oder übermorgen, aber …“

„Aber was? Meine Arianna ist doch hübsch.“

„Ja, das ist sie. Aber …“

„Sie ist klug und gesund und im gebärfähigen Alter.“

„Wie bitte?“ Dominic brach in schallendes Gelächter aus. „Ich bitte Sie, Marchesa …“

„Sie werden auch nicht jünger, genauso wenig wie meine Enkelin. Möchten Sie denn keine Familie gründen und Erben haben?“ Die Marchesa hob das Kinn. „Oder eine Familientradition fortsetzen, die so alt ist wie meine und Ariannas?“

Wieder atmete Dominic tief durch. „Damit wollen Sie doch wohl nicht andeuten …?“

„Natürlich. Heiraten Sie meine Enkelin, Signor Borghese. Verbinden Sie unsere beiden Familien. Dann bekommen Sie ‚Silk Butterfly‘, ohne dass ich es verliere, und wir wissen beide, dass die Schuld der del Vecchios getilgt wurde.“

2. KAPITEL

Arianna del Vecchio Cabot saß auf ihrem Stuhl aus dem achtzehnten Jahrhundert, der zum Vermächtnis der Mayflower Cabots – der Familie ihres Vaters – gehörte. Den Ellbogen stützte sie auf einen Schreibtisch aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der aus dem Vermächtnis der Familie ihrer Mutter, den del Vecchios aus Florenz, stammte. Seufzend blickte sie nun aus dem Fenster ihres New Yorker Büros.

In einer Stadt, deren Arbeitsplätze mit Computern voll standen, wirkte Ariannas wie aus einer anderen Zeit und gehörte zu einer kostspieligen und beabsichtigten Illusion. Das Unternehmen „Silk Butterfly“ war in einem modernen Gebäude an einer belebten Straße untergebracht. Aber wenn man einmal die Türschwelle übertreten hatte, glaubte man sich in einem Florentiner Palazzo. Hohe Decken, Fresken, Marmorböden und anheimelnde Beleuchtung erinnerten an eine längst vergangene Zeit.

Vor vier Jahren hatte die „New York Times“ die Verkaufsräume von „Butterfly“ als „elegant“ bezeichnet. Exklusive Modemagazine waren weniger zurückhaltend gewesen und hatten die Räumlichkeiten „sexy und aufregend“ genannt. In dem Bericht eines Fernsehsenders waren sie sogar als „besonders romantisch“ beschrieben worden.

In Scharen waren daraufhin hoch bezahlte junge Frauen zu ihnen geströmt. Genau wie deren Geliebte. Die Sache hatte nur einen Haken gehabt. Als Arianna die Türen des neuen Ladenlokals öffnete, begann die Krise der Computerbranche. Die Aktienkurse fielen ins Bodenlose, und eine Firma nach der anderen ging in Konkurs. Männer, die sich vorher nichts dabei gedacht hatten, mehrere Tausend Dollar für Dessous auszugeben, wenn sie eine Frau beeindrucken wollten, wurden arbeitslos. Frauen, die sich auf exklusive, frivole Dessous gestürzt hatten, um sie unter ihren strengen Wollkostümen zu tragen, kehrten zurück zur Massenware.

Die Verkaufsräume von „Silk Butterfly“ waren immer noch wunderschön und entlockten den Besuchern so manches „Ah!“ und „Oh!“. Doch leider gaben die Kunden kein Geld mehr aus. Die frühere Kundschaft, ältere Damen mit weißen Haaren und Finanzberatern, die zu konservativ waren, um sich auf Technologieaktien einzulassen, konnten sich die Luxusware von „Butterfly“ immer noch leisten. Doch sie kauften die ausgefallenen neuen Designs nicht. Und während immer mehr Menschen bedingt durch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ihr Geld zusammenhielten, wurde Arianna zur Gewissheit, dass sie das Darlehen, das ihr die Großmutter besorgt hatte, nicht würde zurückzahlen können. Ein Familienunternehmen, das seit Jahrhunderten gewachsen und gediehen war, stand plötzlich kurz vor dem Aus. Und Arianna wusste, dass sie es gewesen war, die ihm letztlich den Todesstoß versetzt hatte.

Sie stand auf und ging zum stilisierten Innenbalkon vor ihrem Büro, von dem man die Verkaufsräume überblicken konnte. Was für ein schöner Anblick und so geschmackvoll dekoriert mit Dessous, seidenen Nachthemden, Teddybären und Strumpfhaltern!

Und so leer!

Mit Ausnahme einer Verkäuferin, die Arianna noch behalten hatte, ehe sie endgültig schließen mussten, befand sich da unten kein Mensch. Vielleicht hatte ihre Großmutter ja recht, und sie, Arianna, hatte wirklich alles in ihrer Macht Stehende getan. Aber das änderte nichts daran, dass sie sich schuldig fühlte.

Es war jetzt fast fünf Jahre her, dass ihre Großmutter drei Millionen Dollar in „Butterfly“ gesteckt hatte. Ohne das Geld wäre das Unternehmen wahrscheinlich schon damals untergegangen. Doch jetzt stand es kurz davor, einem gewissen Dominic Borghese in die Hände zu fallen.

Arianna hatte ihn nie getroffen, wusste aber alles über ihn. Borghese war rücksichtslos und herzlos. Er regelte alles mit seinem Geld und seiner Macht, obwohl er aus den Elendsvierteln Roms stammte, worauf er oft genug hinwies.

Arianna kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück und nahm eine Kopfschmerztablette. Vielleicht hätte sie den Firmensitz nicht in die Stadtmitte verlagern sollen. Vielleicht hätte sie früher umziehen sollen. Vielleicht hätte sie den Börsenkrach vorhersehen sollen. Vielleicht sollte sie damit aufhören, sich den Kopf über Dinge zu zermartern, die ohnehin nicht mehr zu ändern waren.

Hatte sie diese Lektion nicht schon vor fünf Jahren gelernt? Sie musste jetzt nach vorn sehen und sich überlegen, wovon sie in Zukunft leben sollte. Sie … und ihr Sohn. Arianna atmete tief durch und nahm einen Bilderrahmen zur Hand, der als einziger Schmuck auf ihrem Schreibtisch stand. Auf dem Foto war ein kleiner Junge mit großen dunklen Augen und schwarzen Locken zu sehen: Lucas del Vecchio Cabot. Ihr Ein und Alles … ihr Geheimnis. Wobei selbst sie den Namen seines Vaters nicht kannte. Wenn sie daran dachte, kam es ihr immer noch unmöglich vor.

Nur ein einziges Mal hatte sie sich gehen lassen und eine leidenschaftliche Nacht mit einem Mann verbracht, der genauso wenig gewusst hatte, wie sie hieß. Doch diese Nacht hatte ihr Leben für immer verändert. An jenem Abend war sie zu der Wohltätigkeitsveranstaltung in der Fifth Avenue gegangen, um Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. Doch die Besucher der Gala waren furchtbar oberflächlich gewesen, und sie hatte sich nach der Ruhe ihres Apartments gesehnt.

Um ein wenig frische Luft zu schnappen, war sie auf die Terrasse gegangen … und ihm begegnet. Wie ein hungriger Berglöwe hatte er sie angesehen. Doch anstatt der inneren Stimme zu folgen, die ihr geraten hatte, sofort das Weite zu suchen, war Arianna auf ihn zugegangen. Er gab ihr zur Begrüßung die Hand, und nur Minuten später fand sie sich in seinen Armen wieder. Der Zungenkuss des Unbekannten raubte ihr den Verstand, und sie drängte sich an ihn, obwohl jederzeit jemand auf die Terrasse hätte kommen können.

Ariannas Hand zitterte, und sie stellte das Foto wieder auf den Schreibtisch. Sie hatte einige Liebhaber gehabt. Aber das waren diskrete, angenehme Beziehungen gewesen mit gemeinsamen Restaurant-, Theater- und Kinobesuchen und Spaziergängen im Central Park, denen nach einer Weile Küsse, Zärtlichkeiten und Sex gefolgt waren.

Mit dem Fremden war alles ganz anders gewesen. Da gab es kein Vorgeplänkel. Sie hatten sich nicht einmal ihre Namen genannt. Es war ohnehin nur das Nötigste gesprochen worden.

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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